Barnabasevangelium

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Das Barnabasevangelium ist ein apokryphes Evangelium, das nach Barnabas, einem Apostel aus dem engeren Kreise Jesu, benannt ist. Die Überlieferungsgeschichte des Textes ist umstritten. Besondere Bedeutung erhält er dadurch, dass er in zentralen Aussagen stark von der Glaubenstradition fast aller christlichen Konfessionen abweicht und islamisches Gedankengut enthält.

Von islamischen Gelehrten wird das Barnabasevangelium bisweilen als Kronzeuge für eine Verfälschung der Lehre Jesu in den christlichen kanonischen Texten herangezogen. Christliche Theologen, säkulare Historiker, aber auch einige islamische Gelehrte sehen im vorliegenden Text dagegen eine Fälschung aus dem 14. bis 16. Jahrhundert (Pseudepigraph).

Das Barnabasevangelium ist nicht zu verwechseln mit dem Barnabasbrief aus dem 1. Jahrhundert oder den Barnabasakten der neutestamentlichen Apokryphen.

Text

Das Barnabasevangelium versteht sich selbst als „wahres Evangelium Jesu, genannt Christus, eines neuen Propheten, der von Gott der Welt gesandt, gemäß dem Bericht des Barnabas, seines Apostels“ und gilt den Verteidigern seiner Echtheit als das einzige bekannte Evangelium, dessen Verfasser wirklich Zeuge der Ereignisse um Jesus war. Die Geschichte des Textes lässt sich jedoch nur bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen. Der älteste vollständig erhaltene Text ist ein italienisches Manuskript aus dem 18. Jahrhundert, das heute in der Österreichischen Nationalbibliothek einzusehen ist. Von zwei älteren spanischen Manuskripten ist nur noch eines fragmentarisch erhalten und wird in Sydney aufbewahrt. Griechische, lateinische oder aramäische Handschriften wurden niemals entdeckt.

Die von den Verfechtern der Echtheit postulierte frühe Textgeschichte beruht auf einigen Spekulationen. Das Evangelium sei in der frühen Kirche weit verbreitet gewesen und beispielsweise durch Irenäus rezipiert worden, habe zwischenzeitlich sogar dem Kanon der alexandrinischen Kirche angehört, bis es im Jahr 325 durch das Konzil von Nicäa verboten worden sei. Der Papst habe jedoch ein Exemplar in seiner Privatbibliothek gerettet, wo es aufbewahrt worden sei, bis es am Ende des 16. Jahrhunderts ein Freund Papst Sixtus' V. aus der Bibliothek entwendete. Nach einer weiteren Legende aus dem 16. Jahrhundert stamme ein Manuskript von Barnabas selbst. Es sei im Jahr 478 mitsamt den sterblichen Überresten des Barnabas auf Zypern entdeckt worden. Der Autor beruft sich dabei auf eine in ihrer Historizität umstrittene zypriotische Legende des 5. Jahrhunderts, in der allerdings von einem Evangelium berichtet wird, das von Barnabas abgeschrieben wurde.

Für eine frühchristliche Existenz des heute bekannten Barnabasevangeliums gibt es keinen Beweis. Das Decretum Gelasianum de libris recipiendis et non recipiendis (496 n. Chr.) nennt zwar im Rahmen eines Verzeichnisses apokrypher Schriften ein Barnabasevangelium („Evangelium nomine Barnabae“) unter den kirchlich nicht angenommenen Büchern. Die Schrift ist jedoch sonst unbekannt und kann daher nicht mit dem heute bekannten Werk identifiziert werden.

Verfasser

Etliche fehlerhafte Darstellungen der Geographie und Geschichte Judäas in den Erzählungen zeigen, dass der Verfasser weder Zeit noch Örtlichkeiten der Handlung aus eigener Anschauung kannte. Gegen ein vorschnelles Urteil, es handele sich um eine islamische Propagandaschrift, sprechen die erheblichen Differenzen zur islamischen Lehre, die sich trotz der Rezeption des Islam im Text finden.

Ein unter Historikern als wahrscheinlich angesehener Erklärungsansatz ist es, im Verfasser einen zum Islam konvertierten Christen zu sehen, der über Kenntnisse in beiden Traditionen verfügte. Den Text hat er wahrscheinlich in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts in Spanien verfasst. Außer den schon genannten Argumenten (mittelalterliches Gedankengut, fehlende antike Textbezeugung) bringt Lonsdale Ragg noch folgendes Argument zur Datierung vor: Das Barnabasevangelium spricht von den Jubeljahren im Abstand von 100 Jahren, während das Alte Testament in 3 Mos 25,10 LUT einen 50-jährigen Abstand nennt. 1300 n.Chr. setzte Papst Bonifatius VIII. die Jubeljahrfeier auf den 100-jährigen Abstand fest, aber schon 1343 verkürzte Clemens VI. die Zeit auf die biblischen 50 Jahre und kündigte das nächste Jubiläum für 1350 an. Einen 100-jährigen Turnus des Jubeljahres hat es also historisch nur in der Zeit von 1300 bis 1343 gegeben, was für eine Abfassung des Barnabasevangeliums in dieser Zeit spricht.[1]

Türkische Untersuchungen

In der Türkei kam es zu verschiedenen Spekulationen über Handschriftenfunde zum Barnabasevangelium. Die türkische Zeitung Türkiye meldete am 25. Juli 1986, dass eine aus dem 1. Jahrhundert stammende aramäische Handschrift des Barnabasevangeliums auf dem Berg Mem in Uludere (Südostanatolien) entdeckt worden sei. Das Manuskript solle sich im Besitz der türkischen Regierung befinden, sei jedoch unveröffentlicht. Nach anderen Medienberichten von 2012 soll im Jahr 2000 bei einer Polizeiaktion gegen Schmuggler an der türkischen Mittelmeerküste eine Handschrift in aramäischer Sprache beschlagnahmt worden sein, von der es heißt, sie könne bis zu 1.500 Jahre alt sein. Türkische Medien spekulieren, es handle sich möglicherweise um ein Exemplar des Barnabasevangeliums.[2] Dem türkischen Kulturminister Ertugrul Günay zufolge soll das Fundstück untersucht und nach der Restaurierung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.[3] Da außer diesen Presseberichten und Absichtserklärungen keine weiteren archäologisch oder paläografisch gesicherten Informationen zu den Funden existieren, sind diese Behauptungen nicht überprüfbar. Wissenschaftler bezweifeln das vermutete Alter der Handschrift und halten sie für eine Fälschung.[4]

Inhalt

Die Theologie des Barnabasevangeliums weicht in drei fundamentalen Punkten von der Auffassung fast aller christlichen Kirchen und der kanonischen neutestamentlichen Schriften ab:

  • Trinität, Gottessohnschaft Jesu
  • Erlösertod am Kreuz
  • Auferstehung

Das Evangelium schildert die Lebensgeschichte Jesu und seiner Jünger von der Ankündigung der Geburt Jesu bis zu seinem Tod. Der Text vereinigt dabei jüdische, christliche und muslimische Elemente. Wie die anderen Evangelien auch, erzählt es von Jesu Wundern, seinen Gleichnissen, vom letzten Abendmahl, Verrat, Prozess und Kreuzigung. Im Gegensatz zur christlichen Tradition stirbt allerdings nicht Jesus, sondern – aufgrund einer Verwechslung – Judas Ischariot am Kreuz. Folglich kann es auch keine Auferstehung Jesu gegeben haben. Damit erweitert das Barnabasevangelium eine Aussage des Koran, der in seiner einzigen Erwähnung der Kreuzigung davon ausgeht, dass nicht Jesus gekreuzigt wurde, ohne das wahre Geschehen näher zu erläutern oder sich auf eine andere Person festzulegen (Sure 4, 157–158). Im gesamten Text des Evangeliums findet sich dezidiert islamisches Gedankengut. So enthält es die in frühchristlicher Zeit noch unbekannte Schahada (das islamische Glaubensbekenntnis), nennt Adam, Abraham, Ismael, Moses, David und Jesus unterschiedslos Gesandte Gottes oder lässt die Verheißung der Geburt Jesu an Ismael ergehen, der auch anstelle von Isaak durch Abraham geopfert werden sollte. Damit bestreitet der Text die exklusive Stellung Jesu Christi im Christentum.

Aus der Rezeption islamischen Gedankengutes schließt die nichtislamische Redaktionskritik, dass die vorliegende Textgestalt nicht vor dem 7. Jahrhundert entstanden sein kann. Allenfalls wäre es denkbar, dass eine ältere Vorlage – sofern sie überhaupt existierte – nach dem 7. Jahrhundert in wesentlichen Teilen mit pro-islamischer Tendenz überarbeitet worden wäre.[5] Eine weitergehende Analyse des Inhaltes zeigt Parallelen zu mittelalterlichem Gedankengut, so etwa den Vorstellungen Dantes über Himmel, Hölle und Paradies oder den Idealen mittelalterlicher Mönchsaskese. Als wahrscheinlichste Datierung gilt nicht-islamischen Historikern daher der Zeitraum vom 14. bis ins 16. Jahrhundert.

Differenzen zur christlichen und islamischen Theologie

Differenzen zur christlichen Theologie

Trotz der auf nichtmuslimischer Seite eindeutigen Zurückweisung einer frühchristlichen Entstehungszeit hält die Diskussion über die Echtheit der Schrift in der Auseinandersetzung zwischen Islam und Christentum bis heute an. Viele islamische Forscher halten an der Frühdatierung fest, da sie einen schlagkräftigen Beweis für die Verfälschung der Offenbarung durch die (paulinische) Tradition der Kirche liefere, keinen Widerspruch zum Islam darstelle und sich die Widerlegung ihrer Beweisführung letztlich auf christliche Glaubensauffassungen gründe. Mit derselben Konsequenz lehnen christliche Forscher die Möglichkeit der Echtheit ab. Ihnen genügen bereits die Widersprüche zwischen der Darstellung des Barnabas und der der kanonischen Evangelien als ausreichender Fälschungsbeweis. Nicht in allen Details stimmt das Barnabasevangelium mit islamischen Lehren überein, aber doch in sehr vielen, und da der Islam erst im siebten Jahrhundert entstand, spricht dies literatur- und religionswissenschaftlich gegen eine Abfassung der Schrift vor dem siebten Jahrhundert, aber durch eine Person, die sowohl mit der Kirche des 14. Jahrhunderts als auch oberflächlich mit dem Islam vertraut ist. Folgende Punkte deuten auf islamischen Einfluss hin:

  • Notwendigkeit der Beschneidung, verordnet von Gott in der Präambel und von Jesus in den Kapiteln 22-23 ("Wahrlich, ich sage Euch, ein Hund ist besser als ein unbeschnittener Mann.").
  • Behauptung der Verfälschung des Alten Testamentes durch die Juden (Pharisäer)
  • Behauptung der Verfälschung des Neuen Testamentes durch die Christen
  • Propheten wie Adam, Abraham, Ismael, Mose, David und Jesus werden als „Gesandte Gottes“ bezeichnet
  • Adam rezitiert das islamische Glaubensbekenntnis (sahada)
  • Ismael, nicht Isaak, wird von Abraham beinahe geopfert
  • Jesu alleinige Sendung zu den Juden
  • Übermittlung der Offenbarung Gottes durch den Engel Gabriel
  • Jesus nennt Muhammad „den Größeren“, der nach ihm kommen würde
  • Judas, nicht Jesus, wird gekreuzigt
  • Paulus habe die christliche Lehre verfälscht

Differenzen zur islamischen Theologie

Einige Widersprüche zum Koran deuten darauf hin, dass der Autor – offensichtlich ein spanischer Katholik des 14. Jahrhunderts – nur oberflächlich mit dem Islam vertraut war und nicht alle islamischen Lehren kannte. Folgende Punkte stimmen teilweise mit der spätmittelalterlichen christlichen (römisch-katholischen) Lehre überein, nicht aber mit dem Koran:

  • Eintreten für die Monogamie
  • Geburt Jesu in einer Herberge in Betlehem
  • Marias schmerzlose Geburt Jesu
  • Neun Himmel und als zehnter das Paradies
  • Muhammad als der Messias

Hauptargumente gegen die Frühdatierung

  • Es gibt keine Textüberlieferung des Barnabasevangeliums vor dem 16. Jahrhundert.
  • Im Gegensatz zu den kanonischen und auch zu anderen apokryphen Texten ist bei christlichen Kirchenvätern oder Kirchenlehrern kein Zitat aus dem Barnabasevangelium nachgewiesen.
  • Es wird vor dem 16. Jahrhundert auch von keinem islamischen Autor erwähnt.
  • Es gibt im Barnabasevangelium mehrere schwere historische und geographische Fehler, wie beispielsweise, dass Jesus Christus geboren wurde, als Pilatus Statthalter war (also ab 26 oder 27 n. Chr.), oder dass Jesus zu Schiff nach Jerusalem reiste (das aber inmitten des Festlands liegt).
  • Es gibt im Barnabasevangelium Widersprüche zu frühen nicht-christlichen Quellen.
  • Das Barnabasevangelium zitiert aus der Vulgata, der lateinischen Bibelübersetzung, die jedoch erst gegen Ende des 4. Jahrhunderts n. Chr. entstand.
  • Das Barnabasevangelium erwähnt vier der Fünf Säulen des Islam, die jedoch vor der Entstehung des Islam im 7. Jahrhundert n. Chr. unbekannt waren.

Siehe auch

Literatur

  • Lonsdale & Laura Ragg: The Gospel of Barnabas. Clarendon Press, Oxford 1907 (Kritische Ausgabe des italienischen Manuskripts mit ausführlicher wissenschaftlicher Einleitung).
  • David Sox: The Gospel of Barnabas. Allen & Unwin, London 1984.
  • Christine Schirrmacher: Mit den Waffen des Gegners. Christlich-Islamische Kontroversen im 19. und 20. Jahrhundert (= Islamkundliche Untersuchungen. Band 162). Klaus Schwarz Verlag, Berlin 1992.
  • Safiyya M. Linges: Das Barnabas Evangelium. Turban Verlag, Bonndorf 1994, ISBN 3-92760602-2 (deutsche Übersetzung der englischen Übersetzung des italienischen Manuskripts; Neuauflage 2004 Spohr-Verlag).
  • Christine Schirrmacher: Wurde das wahre Evangelium Christi gefunden? (PDF; 153 kB) Buchrezension in der Zeitschrift für Mission, XXI Heft 3, 1995, S. 210–211.

Weblinks

Textausgaben

Sekundärliteratur

Einzelnachweise

  1. Christine Schirmacher: Wurde das wahre Evangelium Christi gefunden? (PDF; 149,80 kB)
  2. N.N.: Adli emanetten hazine çıktı (türkisch), Artikel vom 24. Februar 2012 mit Abbildung des Schriftstückes in der Milliyet.com.tr
  3. Meldung der Nachrichtenagentur AFP vom 24. Februar 2012. Abgerufen am 20. Juni 2012.
  4. Blog von Timothy Michael Law vom 24. Februar 2012. Abgerufen am 20. Juni 2012.
  5. Analoge Fälle sind mit der christlichen Überarbeitung ursprünglich jüdischer Texte bekannt, z.B. der christlichen Redaktion des 3.Baruch-, 4.Baruch- und 4.Esra-Buches.


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