Die Prüfung der Seele

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Siegelbild für das zweite Mysteriendrama nach dem Entwurf Rudolf Steiners.

Die Prüfung der Seele

Szenisches Lebensbild als Nachspiel zur «Pforte der Einweihung»

Ankündigung der Uraufführung (1911)

ist das zweite von Rudolf Steiner verfasste Mysteriendrama. Die Uraufführung fand am 17. August 1911 im Gärtnerplatz-Theater in München statt.

Kurzinhalt

Die Handlung spielt mehrere Jahre nach den Geschehnissen der „Pforte der Einweihung. Am Beispiel des Johannes Thomasius ist Capesius klar geworden, dass der Mensch erkennend in die geistige Welt vordringen kann, doch machtlos fühlt er sich, selbst diesen Weg zu gehen. Maria erkennt durch Benedictus Hilfe, dass sie sich für einige Zeit von Johannes lösen muss, um ihm die eigenständige geistige Weiterentwicklung zu ermöglichen. Für Johannes ist diese Trennung schmerzlich und die folgende Begegnung mit dem Doppelgänger zeigt ihm deutlich seine Schwächen. Strader hat indessen sein fruchtloses Erkenntnisstreben aufgegeben und widmet sich als Vorsteher einer Schraubenfabrik praktischen Lebensaufgaben. Eine wichtige Rolle spielen auch wieder Philia, Astrid und Luna, die die menschlichen Seelenkräfte mit dem Kosmos verbinden, und die andre Philia, die diese Verbindung zu hemmen sucht, aber gerade dadurch das Element der Liebe in die Welt trägt.

Auf dem Heimweg vom Häuschen der Familie Balde erlebt Capesius eine erschütternde Rückschau in seine vorige Inkarnation, die gleichzeitig auch Maria und Johannes miterleben. Diese Rückblende in die Zeit des Hochmittelalters bildet das Kernstück des zweiten Dramas und offenbart die Schicksalsverflechtungen zwischen den handelnden Personen. Maria wirkte damals als streng kirchentreuer Mönch und nahm Johannes, damals Thomas genannt, ganz gegen den Templerorden ein, für den dieser als Bergwerksmeister arbeitete. In einem der führenden Ordensmeister, der früheren Inkarnation des Capesius, muss Thomas seinen lange vermissten Vater wiedererkennen, der vor vielen Jahren schmählich die Familie verlassen hatte. In Cäcilia, der Theodora des ersten Dramas und jetzigen Pflegetochter der Kühnes, erkennt er seine lang vermisste Schwester wieder. Der heilkundige, aber von den Dorfbewohnern wenig geliebte, doch mit den Tempelrittern eng verbundene Jude Simon erweist sich als frühere Inkarnation Straders. Der Geist des Benedictus, der einst der verehrte Lehrmeister des Mönches gewesen war, gibt Maria, in ihrer damaligen Inkarnation, schließlich Einblicke in die wahren und edlen Motive der Tempelritter und stößt damit ein Umdenken an.

Capesius kann seine Schuld aus der vorigen Inkarnation nicht verwinden und flüchtet sich in die bewusstseinsdämpfende schmerzlindernde Nähe Luzifers, in dessen Fänge auch Thomasius durch seine Schwäche und unterschwellige Triebhaftigkeit geworfen wird. Und so können am Ende nur Maria und Strader, er allerdings nur unbewusst, den geistigen Sonnentempel der Hierophanten betreten.

Das Siegelbild

Siegelbild mit der von Rudolf Steiner gegebenen Hintergrundfarbe des Bucheinbandes

Zur Gestaltung des Siegelbildes für «Die Prüfung der Seele» berichtet die Goldschmiedin Bertha Meyer-Jacobs von einem Gespräch mit Rudolf Steiner:

"Nachdem ich die Siegelzeichnungen oft angeschaut hatte und diese anfingen, sich wie plastisch zu formen, wurde der Wunsch immer stärker, sie in Metall zu bilden. Zuerst war es das Siegel zu ‹Die Prüfung der Seele›, was mich besonders dazu drängte. Zu dieser Zeit wurde die Ausarbeitung eines Schließers von mir gewünscht, und ich empfand, dass in diesem Falle Wertvolles entstehen könnte, wenn es gelänge, aus diesen Formen heraus etwas zu gestalten: das Siegel selbst zu übertragen, war noch nicht beabsichtigt. Als ich Dr. Steiner darum fragte, antwortete er mir: ‹Ja, das machen Sie nur, das würde sehr gut gehen, dieses Siegel ist variabel›. Weiter sagte Dr. Steiner: ‹Beachten Sie das Dick und das Dünn, das Dick und das Dünn›. So sagte er es, zweimal. Ich trug das Buch ‹Die Prüfung der Seele› bei mir. Rudolf Steiner hatte es mir abgenommen und war bei diesen Worten dem einzigartigen Wechselspiel zwischen Zartheit und Fülle der Linien nachgegangen. Weiter sagte er, auf die Stelle deutend, wo in feinen Linien die beiden Motive ineinandergreifen: ‹Und geben Sie acht, dass sich diese Linien hier nicht berühren›. Dann gab er mir das Buch zurück, indem er auf das Siegel wies und sagte: ‹Das ganze Gespräch zwischen Capesius und Strader ist darin enthalten›." (Lit.: R. Steiner: Kleinodienkunst, S 147f)

Literarische Vorlage

Einzelne Motive aus den Szenen der Rückschau ins Mittelalter hat Rudolf Steiner dem 1870 erschienen Roman von Karl Ivelin «Die Kinder der Liebe» entnommen. Jürg-Hinrich Volkmann schreibt dazu in seiner in Das Goetheanum veröffentlichten Rezension zur Neuauflage dieses Buches:

"«Die Kinder der Liebe» im Roman von Karl Ivelin sind ein junger Bergwerksmeister bei Bernstein im Burgenland und seine Braut. Die Verschlingungen des Schicksals führen dazu, daß beide erfahren müssen, nicht leibliche Kinder ihrer Eltern zu sein. Im 14. wie im 19. Jahrhundert ein schrecklicher Makel. Anders als im Drama ist nur der Vater der jungen Frau ein Tempelritter, der Heirat steht nach allen Verwicklungen schlußendlich nichts im Wege, und der Templerpräzeptor ist reich genug (!), für eine anständige Mitgift zu sorgen. Auch sonst gibt es erhebliche Unterschiede zu Rudolf Steiners Mysteriendrama: Von einer «Vorlage» für die Handlung kann nicht die Rede sein. Aber es finden sich manche Motive, die Rudolf Steiner angeregt haben, das Geschehen in die Gegend um Bernstein und Lockenhaus zu verlegen. Sogar der jüdische Arzt und Helfer tritt auf und bedarf auch des Schutzes gegen die vom Ortspfarrer aufgehetzten Landleute. Die Templer sind dazu weniger geeignet: Sie werden eher als Raubritter und Schürzenjäger geschildert und haben die Bergwerke längst verkauft. Aber am Ende wird doch berichtet, daß der Orden früher segensreich und bedeutend war, und die Fassung der Sage vom Untergang der Templer in Lockenhaus ist plausibler als die von der Eszterhazyschen Verwaltung überlieferte." (Lit.: Volkmann, S 568)

Der Orden der Tempelritter

Tatzenkreuz des Templerordens
Burg Lockenhaus (Vorderansicht)
Der gotische Rittersaal der Burg Lockenhaus.
Burg Bernstein von Osten gesehen

In der Rückschau ins Hochmittelalter nimmt der Orden der Tempelritter eine zentrale Stelle ein. Aus ihm rekrutieren sich in der gegenwärtigen Inkarnation die Mitglieder des Rosenkreuzer-Bundes, der im «Hüter der Schwelle» geschildert wird.

Die Tempelritter haben den Pfad der Christlichen Einweihung beschritten, allerdings in einer mehr unbewussten, unsystematischen Weise, indem sie sich mit ungeheurer Gemütstiefe in die Schilderungen des Mysteriums von Golgatha versenkt haben, wie sie namentlich im zweiten Teil des Johannes-Evangeliums gegeben werden.

"Und bei einzelnen Templern bildete sich in einem höchsten Grade aus dieses ganze Erfülltsein der Seele mit dem Empfinden von dem Mysterium von Golgatha, mit dem Empfinden von all dem, was mit dem christlichen Impulse zusammenhängt. Stark und intensiv wurde die Kraft dieses Verbundenseins mit dem Christus in den Templern. Das war ein richtiger Templer, der gewissermaßen nichts mehr von sich wußte, sondern, wenn er empfand, den Christus in sich empfinden ließ, wenn er dachte, den Christus in sich denken ließ, wenn er begeistert war, den Christus in sich begeistert sein ließ. Waren es vielleicht wenige, aber gegenüber der gesamten Masse des Tempelrittertums war es immerhin eine stattliche Anzahl von Männern, in denen dieses Ideal eine völlige Umwandelung, eine ganze Metamorphose des Seelenlebens bewirkt hat, die Seele wirklich oft und oft herausgebracht hat aus dem Leibe, sie leben hat lassen in der geistigen Welt.

Dadurch war etwas ganz Merkwürdiges im Kreise der Templer vor sich gegangen; etwas ganz großartig Gewaltiges war dadurch im Kreise der Templer vor sich gegangen, ohne daß diese Templer gekannt hätten die Regeln der christlichen Initiation durch etwas anderes als durch den Opferdienst. Zuerst in den Kreuzzügen, dann in dem geistigen Wirken in Europa, wurde ihre Seele von der intensiven Hingabe an die christlichen Impulse und an das Mysterium von Golgatha so inspiriert, daß das Resultat war das Erleben der christlichen Einweihung bei vielen Templern, bei einer stattlichen Anzahl der Templer. Und wir haben das welthistorische Ereignis vor uns, daß auf weltgeschichtlichem Untergrunde einer Reihe von Männern aus den Untergründen, aus dem Schoße des menschlichen Werdens heraus die christliche Einweihung erwächst, das heißt, das Schauen derjenigen geistigen Welten, die dem Menschen zugänglich werden sollen durch die christliche Einweihung." (Lit.: GA 171, S. 123f)

Zeit und Ort der Handlung

Zeit und Ort der Handlung dürfen wir uns ähnlich denken, wie in dem Roman von Karl Ivelin beschrieben:

"ln der Zeit, in welcher sich die Ereignisse zutrugen, von welchen unsere Erzählung handelt, im Anfange des 14. Jahrhunderts, war die Gegend um Bernstein, Schlaining bis nach Güns und nördlich bis zu den Alpen, weit und dicht von undurchdringlichen Urwäldern überwachsen, aus denen graue Höhen und die stolzen Warttürme der umliegenden Burgen wie die unheimlich lauernden Wächter eines erbarmungslosen Zwingherrn hervorragten; nur in den grünen, grasreichen Tälern bemerkte man im Werden begriffene Ansiedlungen, deren roh gezimmerte Hütten von bebautem Land umrahmt waren.

Wenn man die traurigen Gestalten der Einwohner in den entferntesten Tälern so ängstlich und furchtsam um ihre Hütten herumschleichen sah, schien es, als ob der starre Druck schmählicher Unterjochung und Verheerung, mit welchem das Land durch die Tartaren unter Bela IV heimgesucht worden war, noch immer mit seinen tieferschütternden Nachwehen auf ihnen eisig und lastend ruhe und sie von jeder freien, regsamen Bewegung ausschließen wolle. Dagegen war unterhalb Lockenhaus und im Tale bei Banya, damals Szlavabanya genannt, reges Leben.

Dumpfe, eherne Schläge wuchtiger Hämmer und mächtige Rauchsäulen bekundeten bei Lockenhaus das Dasein großer Eisenwerke, wie das gewaltige ferne Getöse bei Banya auf zahlreiche Pochwerke und demnach auf großartigen Bergwerksbetrieb schließen ließ.

Hier und dort waren es Deutsche, deren Väter aus Bayern und dem Erzgebirge von König Bela IV, dem zweiten Gründer Ungarns, ins Land gerufen worden waren unter der Verheißung großer Rechte und kräftiger Unterstützung. Hier zu Lockenhaus unter dem Schutze der Templer, dort zu Banya unter der Führung mächtiger Gewerken entwickelten sie ihre Tätigkeit, bevölkerten die Gegend und förderten den Wohlstand durch Betreibung der Industrie des Bergbaus." (Lit.: Ivelin, S 11)

Lockenhaus und Bernstein

Für die Gestaltung der Templerburg hat Rudolf Steiner nach den Erinnerungen Oskar Schmiedels sehr konkrete Angaben gemacht.

„Von der mittelalterlichen Szene in der Prüfung der Seele sagte Dr. Steiner, dass die Burg in den östlichen Zentralalpen gelegen war, sie habe wirklich existiert, und wurde möglichst getreu nachgebildet (die Burg hatte im Äußeren und Inneren eine mehr gotische Form). Soweit ich mich erinnere, war die Waldwiese mit einer Mauer abgeschlossen, die anscheinend das Besitztum der Ritter abgrenzte. Im Übrigen traten die Bauern gleichzeitig, wie dies bei einem Kirchgang ja üblich ist, auf.“

Oskar Schmiedel: Erinnerungen an die Proben zu den Mysterienspielen in München in den Jahren 1910 – 1913; zit. nach Hammacher (2010), S 523

„Die Burgen Bernstein und Lockenhaus sind auch insofern interessant, als sie anscheinend Vorbilder waren für die mittelalterliche Burg in Rudolf Steiners zweitem Mysteriendrama «Die Prüfung der Seele». Dr. Steiner hatte angegeben, dass diese Burg auf der Bühne möglichst treu nach einer vorhandenen Templerburg gebracht werden solle. Nun war tatsächlich bei der Münchener Aufführung 1911 das Äußere der Burg im Bühnenbild ähnlich der Burg Bernstein, der Saal jedoch dem Templersaal in Burg Lockenhaus.“

Oskar Schmiedel: Aus dem Lande, in dem Rudolf Steiner seine Kindheit und Jugend verbrachte, Dornach 1952; zit. nach Hammacher (2010), S 523

Gilgamesch und der «Herzberg»

Hier im Burgenland, am Westrand der pannonischen Tiefebene, wenige Kilometer nördlich von Bernstein bei Redlschlag in den Ausläufern der Buckligen Welt liegt auch der von Rudolf Steiner erwähnte «Herzberg»[1], auf dem die Mysterienstätte gelegen haben soll, in der im dritten vorchristlichen Jahrtausend Gilgamesch seine Einweihung empfangen hat. Den Namen «Herzberg» dürfte Steiner aus dem oben erwähnten Roman von Karl Ivelin übernommen haben.

"Wenn man die von Wiener-Neustadt über Kirchschlag nach Ungarn führende Straße in Kirchschlag verläßt, um über Bernstein auf einem kürzeren, wenn auch steileren, aber ob der anziehenden Gegend lohnenderen Gebirgsweg ins Bad Tatzmannsdorf zu gelangen, erreicht man in einer Wegstunde oberhalb des Gebirgsdorfes Redlschlag eine der höchsten Gebirgsspitzen des Eisenburger Komitats, den sogenannten "Herzberg" oder die "Redlschlager Höhe", wo die Blicke unwillkürlich gefesselt werden durch das Landschaftsbild, das der westliche Teil des Eisenburger Komitats hier bietet, das Land der Hienzen genannt, das durch seine Großartigkeit zu den schönsten Gebirgslandschaften zählt.

Nach allen Seiten ist die Aussicht gegen Österreich, Steiermark, Krain, Kroatien und das tiefe Ungarn unbeschränkt, und der Genuß, den der Anblick dieser wildromantischen Umgebung gegen Norden, der anmutigen Gefilde mit sanftgedehnten Hügelketten gegen Süden gewährt, entschädigt für die Mühe, die das Ersteigen dieses Gebirgsweges gekostet hat." (Lit.: Ivelin, S 7)

Der Name «Herzberg» ist zwar in der Gegend unbekannt und auch auf alten Karten nicht verzeichnet, konnte aber mittlerweile mit dem „Steinstückl“ identifiziert werden.

"Er traf in einer Gegend, die etwa in demselben Gebiete liegt, von dem in der neueren Zeit viel die Rede war, das aber in bezug auf seine sozialen Zustände natürlich sich sehr geändert hat, er traf in dem Gebiete des sogenannten Burgenlandes, über das gestritten worden ist, ob es zu Zisleithanien oder zu Ungarn gehören sollte, in einem Gebiet also des Burgenlandes, ein altes Mysterium. Der Oberpriester dieses Mysteriums wird im Gilgamesch-Epos Xisuthros genannt. Er traf ein altes Mysterium, das eine echte Mysterien-Nachform der alten atlantischen Mysterien war, natürlich in einer Metamorphose, wie das in einer so späten Zeit der Fall sein konnte.

Und in der Tat, in dieser Mysterienstätte wußte man die Erkenntnisfähigkeit des Gilgamesch zu beurteilen, zu würdigen. Man wollte ihm entgegenkommen. Es wurde ihm eine Prüfung auferlegt, die dazumal vielen Schülern der Mysterien auferlegt worden ist. Die Prüfung bestand darin, gewisse Exerzitien zu machen bei vollem Wachsein durch sieben Tage und sieben Nächte. Das ging für ihn nicht. Und so unterwarf er sich denn nur dem Surrogat einer solchen Prüfung. Und dieses Surrogat bestand darin, daß ihm gewisse Substanzen zubereitet wurden, die er in sich aufnahm und durch die er in der Tat eine gewisse Erleuchtung bekam, wenn auch, wie es auf diesem Felde immer der Fall ist, wenn nicht gewisse Ausnahmebedingungen garantiert sind, diese in gewissem Sinne zweifelhaft waren. Aber eine gewisse Erleuchtung war nun bei Gilgamesch vorhanden, eine gewisse Einsicht in die Weltenzusammenhänge, in das geistige Gefüge der Welt. So daß, als Gilgamesch diese Wanderung vollendet hatte und wiederum zurückkehrte, in ihm in der Tat eine hohe geistige Einsicht vorhanden war." (Lit.: GA 233, S. 52f)

Personen, Gestalten und Vorgänge

Die geistigen und seelischen Erlebnisse der Menschen, welche in dieser „Prüfung der Seele“ gebildet sind, stellen eine Fortsetzung derjenigen dar, welche in dem früher erschienenen Lebensbilde „Die Pforte der Einweihung“ vorgeführt worden sind.

die geistigen Wesenheiten, welche die Verbindung der menschlichen Seelenkräfte mit dem Kosmos vermitteln; nicht allegorisch, sondern so, wie sie für die geistige Erkenntnis Realität sind.

Die Ereignisse des sechsten, siebenten, achten und neunten Bildes sind der Inhalt der geistigen Rückschau des Capesius in sein voriges Leben. Dieselbe Rückschau erleben (wie die Darstellung selbst zeigt) zugleich Maria und Johannes Thomasius, nicht aber Strader, dessen vorige Inkarnation nur von Capesius, Maria und Johannes geschaut wird. Die Bilder der Rückschau in das vierzehnte Jahrhundert sind als Ergebnisse der imaginativen Erkenntnis gedacht und stellen sich daher gegenüber der Geschichte als idealisierte Darstellung von Lebensverhältnissen dar, die in der physischen Welt nur durch ihre Wirkungen erkennbar sind. Die Art der Lebenswiederholung (von Vorgängen des vierzehnten Jahrnunderts in der Gegenwart) darf nicht als etwas allgemein gültiges aufgefaßt werden, sondern als etwas, das nur an einem Zeitenwendepunkt geschehen kann. Daher sind auch die Konflikte, wie sie hier dargestellt werden, als Folgen aus einem vorigen Leben nur für einen solchen Zeitabschnitt möglich.

Inhalt

Erstes Bild

Ein Bibliothek– und Studierzimmer des Capesius. Brauner Grundton. Abendstimmung. (CAPESIUS dann Geistgestalten, die SEELENKRÄFTE sind; hernach BENEDICTUS. Dieses und die folgenden Bilder stellen Ereignisse dar, welche mehrere Jahre nach der Zeit liegen, in welcher „Die Pforte der Einweihung“ spielt.)

Capesius brütet über einem Buch des Benedictus. Dass sein bisheriges Erkenntnisstreben nur ein leeres Sinnen war, das sich selbstgefällig im eigenen Gedankenspinnen verlor, ist ihm mittlerweile schmerzlich bewusst geworden. Am Beispiel des Johannes Thomasius ist ihm aber auch klar geworden, dass die in den Seelentiefen des Menschen wirkenden Geisteskräfte nur darauf warten, bewusst erweckt zu werden und dass es des Lebens größte Sünde wäre, diesen Geistesschatz verfallen zu lassen. Doch machtlos fühlt er sich, diesen Lebensquell des Geistes zu fassen und zugleich quält ihn die Angst, dass sein ganzes bisheriges Leben zusammenstürzen und er selbst zum Nichts sich wandeln müsste, wenn es gelänge. Wieder vertieft er sich in die Worte des Benedictus:

„In deinem Denken leben Weltgedanken,
in deinem Fühlen weben Weltenkräfte,
in deinem Willen wirken Weltenwesen.
Verliere dich in Weltgedanken,
erlebe dich durch Weltenkräfte,
erschaffe dich aus Willenswesen.
Bei Weltenfernen ende nicht
Durch Denkentraumesspiel – – –,
beginne in den Geistesweiten,
und ende in den eignen Seelentiefen: –
du findest Götterziele
erkennend dich in dir.“

Diese Worte haben für ihn in diesem Moment weckende geistige Kraft. In eine Vision versinkend, sieht er sich von den Seelenkräften Luna und Astrid umschwebt, die die Verbindung der menschlichen Seelenkräfte mit dem Kosmos vermitteln, und von der widerstrebenden andren Philia, die ihn im bloßen Erdenbewusstsein zurückhalten will. Auch die Geistesstimme des geistigen Gewissens ertönt. Dass wirkliche geistige Wesen zu ihm sprechen, wird Capesius ahnungsvoll bewusst:

„denn nimmer könnte ich ersinnen,
was ich zu hören meinte – –„

Doch sich selbst fühlt er nun ganz verloren: „Wo ist ….. Capesius?“ Wieder versinkt er brütend in sich selbst, da tritt Benedictus ein. Er erkennt, dass Capesius vor einer schweren Seelenprüfung steht, die ihm aber die erste Pforte zu wirklicher Geistesschau eröffnen kann, wenn er nur sich selbst dabei bewahrt. Den tieferen Sinn von Benedictus Worten kann Capesius noch nicht erfassen, aber:

„Vertrauen doch erzwingt sein Tun;
er hat mich wieder zu mir selbst gebracht.
So mag für diese Stunde
mir ungewiß auch bleiben
das Zauberwesen, daß mich schreckte;
ich will mich frei entgegenstellen
den Dingen, welche er
prophetisch mir vorher verkündet.“

Zweites Bild

Ein Meditationszimmer in violettem Grundton. Ernste, doch nicht düstere Stimmung. (BENEDICTUS, MARIA, dann Geistgestalten, die SEELENKRÄFTE darstellen.)

Auch Maria drängen schwere Seelenkämpfe. Gedanken steigen in ihr auf, die ihr wie Frevel scheinen:

„Du mußt Johannes von dir trennen;
du darfst ihn halten nicht an deiner Seite,
willst Unheil an seiner Seele du vermeiden.
Er muß allein die Bahnen wandeln,
die ihn zu seinen Zielen führen.“

Doch diese Gedanken sind kein Wahn, kein Frevel, sondern entspringen aus einer geistigen Entwicklungsnotwendigkeit, wie ihr Benedictus eröffnet.

Zu Johannes’ Heil ward er
Durch lange Zeiten dir vereint;
Doch fordert seiner Seele weitre Bahn,
daß er in Freiheit sich die eignen Ziele suche.
Es spricht der Schicksalswille
Von äußrer Freundschaftstrennung nicht;
Doch fordert er mit aller Strenge
Johannes’ freie Tat im Geistgebiet.

Und nach einer Pause tiefer Selbstbesinnung wird Maria klar, dass auch ihre weitere geistige Entwicklung daran hängt und dass es doch nur eine verfeinerte Art des Selbstgenusses und der eitlen Überhebung war, was sie als Seligkeit empfand, wenn sie ihre Geisteskräfte in Johannes Seele gießen konnte, dass sie im Freunde nur sich selbst bespiegelte. Diese schwer errungene Erkenntnis ruft die Gestalten der drei Seelenkräfte Philia, Astrid und Luna herbei. Sie sollen ihr das eigene Seelensein nun aus Weltenfernen spiegeln; und dann, so empfindet Maria mit Recht, wird sie sich auch erkennend aus dem engen Lebenskreis der gegenwärtigen Inkarnation lösen können und schauen, was sie sich als Pflichten aus früheren Erdenleben auferlegt hat.

Drittes Bild

Lichtesweben, das erste malerische Werk Rudolf Steiners, gemalt 1911 für das 3. Bild seines Mysteriendramas «Die Prüfung der Seele». In dieser Szene spricht der Maler Johannes Thomasius die Worte:

Wie kann man webend Geistessein,
das allem Sinnenschein entrückt,
sich nur dem Seheraug’ erschließt,
mit Mitteln offenbaren,
die doch dem Sinenreich gehören.
So fragt’ ich mich recht oft.
Wenn ich jedoch verbanne Eigenwesen,
und nach der Geisteslehre Sinn
zu schaffenden Weltenmächten
in Seligkeit entrückt mich fühlen darf,
erwacht in mir der Glaube
an solche Kunst, die mystisch wahr
wie unsre Geistesforschung ist.
Ich lernte mit dem Lichte leben
und in der Farbe des Lichtes Tat erkennen,
wie echter Mystik wahrer Schüler
im Reich des form– und farbenlosen Lebens
die Geistestaten und das Seelensein erschauen.
Vertrauend solchem Geisteslicht,
erwarb ich mir die Fähigkeit,
zu fühlen mit dem flutenden Lichtesmeere,
zu leben mit dem strömenden Farbengluten;
erahnend waltende Geistesmächte
im stoffentrückten Lichtesweben,
im geisterfüllten Farbenwesen.

Zimmer in rosenrotem Grundton, freundliche Stimmung. (JOHANNES vor einer Staffelei; MARIA, später eintretend, dann Geistgestalten als SEELENKRÄFTE.)

Bedrückt steht Johannes vor dem Bild, an dem er gerade arbeitet. Maria hatte es mit keinem Wort kommentiert und doch liegt ihm an ihrem Urteil unendlich viel. Ohne ihre geistigen Impulse fühlt er seine ganze Schaffenskraft erlahmen. Kaum wird er der Freundin gewahr als sie hereintritt und wie erschüttern ihn die Worte, die spricht:

Bedenk’, Johannes, daß die Eine Seele,
getrennt von andern, als ein Eigenwesen
seit Weltbeginn sich selbst entfalten muß.
Die Liebe soll getrennte Wesen binden,
doch nicht die Eigenheiten töten wollen.
Es ist der Augenblick für uns gekommen,
in welchen wir die Seelen prüfen müssen,
wie sie des Geistespfades weitre Schritte
zu einer jeden Heil zu lenken haben.

Maria geht ab und Luna, Astrid und die andre Philia erscheinen seinem Seelenblick. Luna mahnt:

Du kannst dich selbst nicht finden
Im Spiegel einer andern Seele.
Die Kraft des eignen Wesens,
sie muß im Weltengrunde Wurzeln schlagen,
wenn sie aus Geisteshöhn
die Schönheit in Erdentiefen
mit echtem Sinn verpflanzen will.

Und Astrid setzt hinzu:

Du sollst auf deinen Weltenwegen
Dich nicht verlieren wollen;
Zu Sonnenfernen dringen Menschen nicht,
die sich des Eigenseins berauben wollen.

Nur die andre Philia widerstrebt; Johannes solle sich durch die Seelenschwestern nicht in ferne Weltenweiten führen lassen, die ihm die Erdennähe und Erdenliebe rauben werden.

Viertes Bild

Dasselbe Zimmer wie im ersten Bild. (CAPESIUS und STRADER.)

Capesius wird von Doktor Strader besucht und kaum vermag er den alten Freund wiederzuerkennen. Dem spekulativen abstrakten Erkenntnisstreben, das einst so in ihm brannte, hat Strader den Rücken gekehrt. Die Erlebnisse mit der Seherin Theodora im ersten Mysteriendrama haben ihm klar vor Augen geführt, dass bloßes Gedankenspinnen niemals zu den echten Lebensquellen führt. Dem Menschen sind, so meint Strader, Erkenntnisgrenzen gesetzt, vor denen er resignieren müsse. Besser solle er durch fruchtbare Taten mit Erfindergeist in das Erdenleben eingreifen. Und so steht Strader nun einer Werkstatt vor, in der man Schrauben walzt. Eines aber ist Strader klar geworden auch ohne tiefere geistige Erkenntnis, nämlich die Wahrheit von der Wiederkehr des Erdenlebens:

Und hundertmal wohl fragt’ ich mich:
Was kann Naturerkenntnis lehren,
wie wir sie jetzt schon überschauen können?
– – – Es gibt da kein Entweichen – – –:
Des Erdenlebens Wiederholung,
die kann und darf kein Denken leugnen,
daß nicht mit allem brechen will,
was Forscherfleiß erkannt in langer Zeiten Lauf.

Capesius selbst hätte sich, wie er sagt, viel Leid erspart, hätte er sich früher zu dieser beseligenden Erkenntnis durchringen können. Für Strader selbst jedoch ist diese unausweichliche Gewissheit – und als solche erscheint sie ihm – nur bedrückend. Er kann nur empfinden

wie grausam diese folgenschwere Wahrheit ist.
Sie läßt die Lebensfreuden und das Lebensleid
als Folgen unsres eignen Wesens uns erscheinen.
Und dies ist oft recht schwer zu tragen.

Nach seinem besonderen Schicksalsweg muss Strader wohl so empfinden. Er war nicht jener Leute Kind, die ihn einst zum Mönch bestimmen wollten, sie hatten ihn an Kindes Statt nur angenommen. Seine wahre Herkunft ist ihm unbekannt. So war Strader ein Fremdling schon im Elternhaus und fremd blieb er auch allem, was später ihn umgab. Und wer so unausweichlich zum Weltenfremdling bestimmt sich sieht, der hat, so ist Strader überzeugt, dies Schicksal schon unbewusst gewollt, lang bevor er denkend wollen konnte. Doch der Einblick in diese dumpfe Triebkraft, die sein Schicksal lenkt und hinter der sich sein eigenes wahres Wesen verbirgt, ist ihm verwehrt. Und so scheint ihm nur die resignierende Flucht nach vorn zu bleiben:

Nimm mich ganz hin, du Lebensräderwerk;
ich will nicht wissen, wie du’s treibst.

Capesius jedoch ist fest überzeugt, dass Straders Erkenntnisdrang wieder erwachen werde.

Fünftes Bild

Eine Landschaft, in welcher sich das einsame Haus Balde’s befindet. Abendstimmung. (FRAU BALDE, CAPESIUS, dann FELIX BALDE; später JOHANNES und dessen DOPPELGÄNGER, hernach LUCIFER und AHRIMAN.)

Wie schon so oft ist Capesius zu Gast im Haus der Baldes. Deren Leben hat sich mittlerweile stark geändert. Felix Balde horchte auf das, was die Geistesführung in seinem Herzen sprach und hat seine alte Zurückgezogenheit aufgegeben. Jetzt ist er ein oft gesuchter Mann. Viele hören nun gern auf das, was er von den Naturwesen zu erzählen weiß. Und wenn sie auch nicht alles verstehen, was er in bilderreiche Worte fasst, so wirkt doch fruchtbar fort, was er damit in ihre Seelen pflanzt. Capesius gesteht, dass auch ihm noch vieles dunkel bleibt und beinahe ängstlich lauscht er Felix Rede:

Ihr strebt mit gutem Geist und edlem Herzen,
da müssen auch die Zeiten kommen,
wo ihr der Wahrheit Stimme hört.
Ihr achtet nicht, wie inhaltreich
Der Mensch als Bild der Weltenreiche.
Sein Haupt, es ist des Himmels Spiegelbild,
durch seine Glieder wirken Sphärengeister,
in seiner Brust bewegen Erdenwesen sich;
und allen stehn entgegen, machtvoll ringend,
Dämonen aus dem Mondbereich,
die jener Wesen Ziele kreuzen müssen.
Was als ein Menschenwesen vor uns steht,
was als die Seele wir erleben,
was als der Geist uns leuchtet:
es schwebte vielen Göttern vor seit Ewigkeiten,
und ihre Absicht war,
aus ihren Welten Kräfte zu verbinden,
die im Verein den Menschen bilden.

Capesius bittet nun Felica um eines ihrer Märchenbilder und so beginnt sie das Märchen vom Quellwunder zu erzählen, das die Worte ihres Mannes in ihr wachgerufen haben:

Es war einmal ein zarter Knabe, der als das einzige Kind armer Förstersleute in Waldeseinsamkeit heranwuchs und ganz dem Geistesweben seiner engen Welt hingegeben war. Oft saß er bei einer nahen Quelle und einmal formte sich ihm der zerstäubende Tropfenstrom im sinnenden Erleben im Mondlicht zu drei Frauengestalten. Die eine ergriff die tausend sprühenden Tröpfchen und reichte sie der zweiten, die füllte das bunte Wassertropfenwesen mit Mondensilberlicht und reichte es dem Knaben. Doch in der folgenden Nacht träumte dem Knaben, dass er des Kelches durch einen wilden Drachen beraubt wurde. Noch dreimal hatte er danach dieses Erlebnis, dann blieben die Frauen aus. Erst als dreimal dreihundertsechzig Wochen verstrichen waren und der Knabe längst als erwachsener Mann in einer fernen Stadt lebte, fühlte er sich plötzlich wieder nach seinem Felsenquell entrückt. Und wieder sah er die Frauengestalten und diesmal sprachen sie zu ihm:

Es sagte ihm die erste:
Gedenke meiner jeder Zeit,
wenn einsam du dich fühlst im Leben.
Ich lock’ des Menschen Seelenblick
in Ätherfernen und in Sternenweiten.
Und wer mich fühlen will,
dem reiche ich den Lebenshoffnungstrank
aus meinem Wunderbecher. –
Und auch die zweite sprach:
Vergiß mich nicht in Augenblicken,
die deinem Lebensmute drohen.
Ich lenk’ des Menschen Herzenstriebe
in Seelengründe und auf Geisteshöhn.
Und wer die Kräfte sucht bei mir,
dem schmiede ich die Lebensglaubensstärke
mit meinem Wunderhammer. –
Die dritte ließ sich so vernehmen:
Zu mir erheb’ dein Geistesauge,
wenn Lebensrätsel dich bestürmen.
Ich spinne die Gedankenfäden
in Lebenslabyrinthen und in Seelentiefen.
Und wer zu mir Vertrauen hegt,
dem wirke ich die Lebensliebestrahlen
aus meinem Wunderwebestuhl. – – –

Und in der folgenden Nacht träumte ihm, wie ihn ein wilder Drache umschlich, doch ihm nicht nahen konnte, da ihn die drei Gestalten von nun an beschützten.

Capesius, der fühlt, wie gesundend dieses Bild auf seine Seele wirkt, bedankt sich bei Felicia und macht sich auf den Heimweg durch den Wald.

Indessen erscheint Johannes in tiefes Nachdenken verloren in derselben Waldgegend. Die Worte Marias brennen in seiner Seele. Er kann und will ihrer Mahnung nicht folgen. Da steigt vor seinem Seelenblick das Bild des eigenen Wesens als düsterer Doppelgänger vor ihm auf. Was Johannes als reinste Liebe zu Maria dünkt, tönt ihm aus dessen Mund spöttisch als wüste Erdenlust entgegen. Dann erscheinen Luzifer und Ahriman. Und so spricht Luzifer:

O Mensch, besiege dich,
O Mensch, erlöse mich.
Du hast mich überwunden
in deinen Seelenhöhen;
Ich bleibe dir verbunden
in deinen Wesenstiefen.

Und Ahriman setzt fort:

Du konntest dir erwerben
das Geistersehen;
Ich mußte dir verderben
das Herzensleben;
Du sollst noch oft erleiden
die stärkste Seelenpein,
willst du dich nicht bescheiden
an meine Kräfte halten.
O Mensch, erkühne dich,
o Mensch, erlebe mich.

Capesius, der nun wieder erscheint, hat hinter einem Gesträuch die Szene zwischen Johannes und dem Doppergänger wie in einer Vision mitgemacht. Und noch weitere Bilder wurden dadurch in seiner Seele erregt. Von einem edlen Geistesbund träumte ihm, in dessen Mitte er sich sah und zugleich ist ihm gewiss, dass dies in seiner vollen Lebenskraft mehr ist als ein bloßer Traum, er dergleichen aber niemals in diesem Erdenleben erfahren haben kann.

Das Folgende stellt Bilder von Vorgängen aus dem ersten Drittel des vierzehnten Jahrhunderts dar. Der Fortgang wird zeigen, daß in ihnen die Rückschau von Capesius, Thomasius und Maria in ihr früheres Erdenleben zu sehen ist.

Sechstes Bild

Eine Waldwiese. Im Hintergrunde hohe Felsen, auf denen eine Burg steht. Sommerabendstimmung. (BAUERN, der Jude SIMON; der Bergwerkmeister THOMAS, ein MÖNCH.)

Bauern und Bäuerinnen gehen über die Wiese. Die einen schimpfen über den bösen Juden Simon, der aber unter dem Schutz der hohen Herren auf dem Schloss stehe. Andere preisen seine Heilkünste. Wieder andere sehen bei den Rittern des Schlosses nur Teufelskünste walten, die den Lehren der Kirche spotten. Andere sehen von ihnen nur Gutes kommen, das in die Zukunft weist.

Simon ist den Spott der Bauern gewohnt. Er führt ein einsames und ausgegrenztes Leben und fühlt sich darin den Rittern aus der Burg verwandt. Er hadert nicht mit seinem Schicksal, denn dieses hat ihn gelehrt, sich als Naturforscher auf die Kräfte seiner eigenen Seele zu besinnen und die Lehren der Ritter weisen ihn auf die herannahende Zeit, wo der Mensch die Sinneswelt erobern und ihre Kräfte entfalten wird.

Indessen kommt der Bergwerksmeister Thomas, der in dem Dienst der Ritter, aber ihrem Denken ferne steht, aus dem Wald und begegnet dem Mönch, der als strenger Kirchenmann ein erklärter Feind der ketzerischen Ritter ist. Thomas erzählt ihm, dem er so innig vertraut, von seinem Glück und Leid, von seiner geplanten Hochzeit mit der Tochter des Bergaufsehers und von seinem Vater, der die Familie verlassen hatte als er noch ganz klein war und wie er ihn dennoch immer gerne wiederfinden wollte, wenn er auch bitteres Leid über die Familie gebracht hatte. Denn die Mutter war bald aus Gram gestorben und seine damals eben erst geborene Schwester war in die Obhut fremder Leute gekommen und seitdem hatte er jede Spur von ihr verloren. Gestern nun, so fährt Thomas fort, wäre er dienstlich ins Schloss gerufen worden und da hätte sich ganz unvermutet der Ritter, der sein Vorgesetzter ist, schmerzgebeugt als sein Vater zu erkennen gegeben. Alles Leid, das er über die Familie gebracht hat, hätte er ihm da vergeben können – doch dass er ein Gegner des Mönches sei, das habe ihm nun den Vater zum zweiten Mal schmerzlich entrissen. Doch der Mönch versichert ihm:

Ich werde niemals dich entfremden wollen
den Banden, die das Blut dir auferlegt.
Doch was ich deiner Seele geben kann,
soll dir in Liebe stets beschieden sein.

Siebentes Bild

Marie Steiner als Mönch bei der Aufführung in München 1911

Ein Zimmer jener Burg, die im vorigen Bild von außen zu sehen war. Alles geschmückt mit Symbolen einer mystischen Brüderschaft. (Die geistigen RITTER während einer Versammlung, dann der MÖNCH mit einem der Ritter, später die ERSCHEINUNG DES GEISTES BENEDICTUS’, der etwa fünfzig Jahre vorher verstorben. LUCIFER und AHRIMAN. Der GROSSMEISTER mit vier Brüdern an einem langen Versammlungstisch.)

Der Großmeister hat seine treuesten Ordensbrüder zur Versammlung gerufen. Seit das teure Haupt des Ordens als Opfer dunkler Mächte gefallen ist, sind schwere Zeiten für den Orden angebrochen. Viele Bundesburgen und viele treue Brüder sind schon gefallen im Kampf gegen mächtige Feinde und auch diese Burg werde nicht mehr lange widerstehen können. Bittere Zeiten, Leiden, Schmerz und Tod kommen auf die Brüder zu, doch werden ihre Geistesschätze nicht für alle Zeiten verloren sein, wenn sie nur des Bruderbundes Weihespruch beherzigen:

„Es muß sein Sondersein und Leben opfern,
wer Geistesziele schauen will
durch Sinnesoffenbarung;
wer sich erkühnen will,
in seinen Eigenwillen
den Geisteswillen zu ergießen.“

Was jetzt durch den Zwang der Zeiten geopfert werden muss, wird Früchte tragen in einem neuen Erdenleben.

Nachdem alle abgegangen sind, tritt wenig später der 2. Präzeptor mit dem Mönch herein. Dieser fordert das einst wertlos scheinende Grundstück als Kircheneigentum zurück, auf dem die Ritter nun so reiche Bodenschätze schürfen. Doch das kann der Präzeptor nicht zugeben, denn das Land sei rechtmäßig erworben worden. Diese Antwort kann dem Mönch nicht genügen und so wünscht er den Ordensführer selbst zu sprechen.

Während der Mönch den Ordensführer erwartet, schauert ihm vor den mystischen Zeichen, die den Saal schmücken. Er fühlt sich wie von bösen Mächten umgeben – und plötzlich erscheint ihm der Geist des Benedictus, der einst, als er noch auf Erden lebte, sein eigener hochverehrter Meister und damals selbst noch Feind des Ritterordens war. Doch jetzt ruft er seinem Schüler mahnend zu:

Der Bund ist hohen Zielen zugewandt.
Die Menschen, die sich ihm gewidmet,
empfinden ahnend spätre Erdenzeiten,
und ihre Führer ahnen schon im Vorgesicht
die Früchte, die in Zukunft reifen sollen.
Es werden Wissenschaft und Lebensführung
die Formen und die Ziele wandeln.
Und was der Bund, den du verfolgen hilfst,
in dieser Zeit zu leisten sich getrieben fühlt,
sind Taten, welche dieser Wandlung dienen.

Und während der Mönch noch nachsinnt, wie er dieser Mahnung folgen kann, erscheinen ihm Ahriman und Luzifer, die ihn an Benedictus Worten irre werden lassen wollen. Verwirren können sie den Mönch, doch weiß er, dass er die Wahrheit finden kann, wenn er Benedictus, seinem geistigen Leitstern, folgen wird.

Achtes Bild

Derselbe Saal wie im vorigen Bilde. (Der erste PRÄZEPTOR, JOSEPH KÜHNE; dann der GROSSMEISTER mit SIMON; später der erste und der zweite ZEREMONIENMEISTER. Joseph Kühne ist zuerst da; der Präzeptor tritt zu ihm.)

Joseph Kühne und der 1. Präzeptor treten auf. Kühne beginnt von Thomas zu sprechen und von Cilli, der sich Thomas in Liebe zugewendet hat. Zwar betrübt ihn, dass Thomas in seinem Herzen ein Feind des Ordens ist, doch will er der ehelichen Verbindung der beiden nicht länger widerstreben, denn er empfindet, dass auch Cilli Thomas innig liebt. Und nun erst eröffnet er dem 1. Präzeptor, was selbst Cilli noch nicht ahnt, nämlich dass sie nicht Kühnes leibliches Kind sei, sondern eine angenommene Pflegetochter. Noch könne er nicht sagen, wer ihr leiblicher Vater sei; erst Jahre nach dem Tod der leiblichen Mutter seien ihm Papiere zugetragen worden, die darüber Aufschluss geben könnten. Der 1. Präzeptor wird bei diesen Worten immer unsicherer und was er schon bang zu ahnen beginnt, wird ihm durch Kühne bestätigt. Er selbst ist Cillis leiblicher Vater. Schnell sucht er nun Kühne loszuwerden. Schmerzlich ist ihm bewusst, welches Schicksal er seiner Familie aufgeladen hat. Nicht nur ist seine Frau aus Gram gestorben, auch das Glück seiner Kinder wird zerstört, den Thomas ist sein Sohn und Cilli seine Tochter und eine eheliche Verbindung der beiden darf nicht sein. Sie müssen die Wahrheit erfahren, so schmerzlich sie auch ist. Er geht ab und wenig später tritt der Großmeister mit dem Juden Simon ein.

Zu seinem eigenen Schutz müsse Simon fortan im Schloss bleiben, beschwört ihn der Großmeister, und Simon schmerzt aus tiefster Seele, dass dem Orden selbst so viel Feindschaft entgegenschlägt. Doch dieser äußere Kampf sei nur ein Bild des großen inneren Kampfes, den einander widerstrebende Geistesmächte in jedes Menschen Herzen führen, entgegnet ihm der Großmeister. Und wie sehr berührt das Simon, der diesen Kampf nur allzu sehr in seinem eigenen Inneren fühlt, ein Kampf der zwischen hohen Weltenzielen und engen Eigeninteressen unaufhaltsam tobt und die Seele mit Zweifeln und Furcht erfüllen. Doch was Simon schmerzlich so in Worte gießt, lässt den Großmeister zugleich auch Dinge schauen, die Weltenziel und Menschenschicksal segensvoll verbinden.

Nachdem die beiden abgegangen sind, treten die beiden Zeremonienmeister herein. Unverständlich erscheint dem 1. Zeremonienmeister die Milde, mit der der Großmeister auf die Feinde des Ordens blickt. Dem 2. Zeremonienmeister hingegen ist klar, dass viele, die jetzt als Feinde erscheinen, nicht böse Menschen sind, dass sie aus ehrlichem Herzen dem Orden widerstreben müssen, weil sie die zukunftsweisenden Wahrheiten, die hier verkündet werden, jetzt noch nicht erfassen können. Es wäre eitler Wahn, zu glauben, man könne diese Wahrheiten heute schon allen Menschen so verkünden, dass sie ganz davon ergriffen werden. Viel ist schon getan, wenn in ihre Herzen ein kleiner Keim für künftige Erdenleben gelegt wird:

Ich kann in vielem Haß, der uns verfolgt,
den Samen spätrer Liebe nur entdecken.

Doch das wird nur geschehen, wenn Einzelne jetzt trotz aller Verfolgung vorbereiten, was den Vielen heute noch versagt bleiben muss.

Neuntes Bild

Die Waldwiese wie im sechsten Bild. (JOSEPH KÜHNE, FRAU KÜHNE, deren Tochter BERTA; dann BAUERN, später der MÖNCH; zuletzt CÄCILIA (genannt Cilli), Kühnes Pflegetochter und THOMAS.)

Berta möchte gerne ein Märchen, wie sie oft der Vater von den Rittern nach Hause bringt, aus dem Munde ihrer Mutter hören und so beginnt Frau Kühne das Märchen von dem Guten und dem Bösen zu erzählen:

Es lebte einmal ein Mann, den quälte die Frage nach dem Ursprung des Bösen. Die Welt stamme von Gott und Gott könne nur gut sein - wie also kämen böse Menschen aus dem Guten? Da sah er auf seinen Wegen einen Baum, der war im Gespräch mit einer Axt, die sprach:

„Was dir zu tun nicht möglich ist, ich kann es tun,
ich kann dich fällen, du mich aber nicht.“

Da sagte zu der eitlen Axt der Baum:
„Vor einem Jahre nahm ein Mann ein Holz,
woraus er deinen Stiel verfertigt hat,
durch eine andre Axt aus meinem Leib.“

Da ward dem Mann, wenn er es auch nicht in klare Worte fassen konnte, mit einem Schlag die Rätselfrage gelöst, wie Böses aus dem Guten stammen kann. – Bilder solcher Art sind es, durch welche die Ritter erziehend auf die Menschen wirken.

Bald danach erscheinen die Bauern und Bäuerinnen auf der Wiese und aus ihren Gesprächen wird klar, dass auch die hiesige Ordensburg bald belagert würde. Und wieder wogen die Emotionen für und wider die Ritter. Als sie den Mönch tief in Gedanken versunken erblicken, ziehen sie sich zurück. Früher konnten sie ihm leicht in allem folgen, doch heute war ihnen manches Wort seiner Predigt recht unverständlich.

Thomas hat indessen in Cäcilia seine lang vermisste Schwester wiedergefunden und beide sind glücklich, dass es so gekommen ist. Nur ist Thomas bekümmert, dass Cilli sich so innig den Lehren der ungeliebten Ritter verbunden fühlt. Auch Cilli schaudert vor dem Abgrund, der sie dadurch trennt, doch tröstet sie sich mit dem Gedanken, dass Liebe stets sich siegend zeigen muss.

Das Folgende ist die Fortsetzung der Ereignisse, die in den ersten fünf Bildern dargestellt sind.

Zehntes Bild

Dieselbe Landschaft wie im fünften Bilde. (CAPESIUS erwacht aus der Vision welche ihm seine vorige Inkarnation vor die Seele gestellt hat.)

Ganz klar ist es Capesius, dass er soeben einen Blick in sein früheres Erdenleben geworfen hat. Wie ein Alp lastet dieses Bild auf seiner Seele und mahnend hört er die Stimme des Geistgewissens:

Erfühle, was du geschaut,
erlebe, was du getan.
Du bist dem Sein nun neu entstanden. –
Du hast geträumt dein Leben.
Erwirk’ es dir
Aus edlem Geisteslicht;
Erkenne Daseinswerk
mit Seelenblickeskraft.
Vermagst du dieses nicht,
bist wesemlosen Nichts
in Ewigkeit verbunden.

Elftes Bild

Dasselbe Meditationszimmer wie im zweiten Bilde. (MARIA, AHRIMAN.)

Wie Capesius hat auch Maria dieselbe Rückschau in ihr früheres Erdendasein erlebt. Ahriman will ihr dies als bloßes Wahngebilde erscheinen lassen, von Benedictus listig eingeflößt. Doch Maria durchschaut ihn als Vater aller Täuschung. Zugleich ist ihr bewusst, dass Ahriman auch oft die Wahrheit sprechen muss und gerade dadurch helfen kann, Schein und Wirklichkeit voneinander zu scheiden. Er bringt den Menschenseelen Freiheitsmacht und seine klar bewussten Gedankenkräfte können auch des Wahrheitssinnes Führer werden.

Die hohen Schicksalsmächte haben weise
in dir den Widersacher sich bestellt,
du förderst alles, das du hemmen willst.
Du bringst den Menschenseelen Freiheitsmacht,
wenn du in ihre Seelengründe dringst.
Von dir entspringen die Gedankenkräfte,
die Ursprung zwar der Wissens-Truggebilde,
doch auch des Wahrheitsinnes Führer sind.
Es gibt nur Ein Gebiet im Geisterland,
in dem das Schwert geschmiedet werden kann,
vor dessen Anblick du verschwinden mußt.
Es ist das Reich, in dem die Menschenseelen
sich aus Verstandeskräften Wissen bilden,
und dann zur Geistesweisheit umgestalten.
Und kann ich mir in diesem Augenblicke richtig
das Wahrheitswort zum Schwerte schmieden,
so wirst du diesen Ort verlassen müssen.

Und so gewinnt Maria gerade durch Ahrimans Erscheinen die Sicherheit, dass es Wahrheit war, was sie soeben schauen durfte:

So höre du, der Vater ist der Täuschung,
ob ich vor dir die Siegeswahrheit spreche.
Es gibt im Erdenwerden solche Zeiten,
in welchen alte Kräfte langsam sterben
und sterbend schon die neuen wachsen sehn.
In solcher Zeitenwende fanden ich
und meine Freunde uns im Geist vereint,
als sie die frühern Erdenleben suchten.
Es wirkten damals wahre Geistesmenschen,
die sich zur Seelenbrüderschaft verbanden,
und aus der Mystik Reich sich Ziele holten.
In solchen Erdentagen werden Keime
in Menschenseelen sorgsam eingepflanzt,
die lange Zeit zur vollen Reife brauchen.
Die Menschen müssen dann im nächsten Leben
noch Eigenschaften aus dem frühern zeigen.
Es werden viele Männer solcher Zeiten
in einem nächsten Leben wieder Männer,
und viele Frauen werden Frauen wieder.
Es ist dann auch die Zeitenlänge kürzer,
als jene, die sonst zwischen Leben liegt.
Es fehlet dir für solche Zeitenwenden
der sichre Blick. Deshalb vermagst du nicht
ihr Werden irrtumlos zu überschauen.

– worauf Ahriman mit unwilliger Gebärde und Donnergrollen verschwinden muss.

Zwölftes Bild

Dasselbe Zimmer wie im vorigen Bild. (JOHANNES und LUCIFER.)

Auch Johannes hat die Rückschau in das frühere Erdendasein miterlebt, doch warnend führt ihm Luzifer die Fruchtlosigkeit solchen Erlebens vor die Augen:

Erkenne an Capesius die Früchte,
die reifen müssen, wenn die Seelen sich
dem Geistgebiet zu früh erschließen wollen.
Er kennt die Worte seines Lebensbuches
und weiß, was ihm obliegt für viele Leben.
Doch Leid, das nicht im Schicksalsplane liegt,
ersteht aus Wissen, dem die Kräfte fehlen,
zu Taten sich im Leben umzubilden.
[…]
Es tötet Kräfte, die im Unbewußten
der Menschenseele sichre Führer sind,
und kann Besonnenheit doch nicht erhöhn.
So lähmt es nur des Leibes starke Macht,
bevor die Seele sie bemeistern kann.

Was ihm selbst noch fehlt, erkennt Johannes an diesem Beispiel nur zu klar. Nicht sein ganzes Menschenwesen konnte er bislang zum Geisteslicht erheben, ein leichter Seelenschatten war es nur, der schwärmen konnte für die Geistesweiten. Und aus der Begegnung mit dem Doppelgänger wurde ihm nicht minder klar, dass nicht reine Seelenliebe, sondern die Leidenschaft des Blutes zu Maria trieb. Doch fehlt ihm der Geistesmut, über diese Stufe hinaus zu dringen. Zu unreif fühlt sich Johannes, den eingeschlagenen Erkenntnisweg fortzusetzen, blind will er sich fortan dem Weltenwillen ergeben. Dass er damit in Luzifers Fahrwasser gerät, bleibt Johannes nicht verborgen, denn Luzifer selbst bekennt:

In diesem Weltenwillen wirke ich,
wenn er durch Menschenseelen kraftvoll strömt.

Doch das nimmt Johannes hin:

Ich muß dich fühlen, muß dich wollend leben;
Dann kann ich künftig dich auch überwinden,
wenn so mein Schicksalsplan es fügen will.
Das Geisteswissen, das ich früh erlangt,
es ruhe mir fortan im Seelengrunde,
bis meine Lebenstriebe selbst es wecken.
Vertrauensvoll ergeb’ ich mich dem Willen,
der weiser als die Menschenseele ist.

Dreizehntes Bild

Der Sonnentempel; die verborgene Mysterienstätte der Hierophanten. (AHRIMAN, LUCIFER; die drei SEELENGESTALTEN, STRADER; BENEDICTUS, THEODOSIUS, ROMANUS; MARIA.)

Zuerst erscheinen Luzifer und Ahriman. Luzifer fühlt sich als Sieger, da er Johannes Seelenblick gerade noch im rechten Augenblick zu blenden vermochte. Doch fehlt zum vollkommenen Sieg der beiden Widersacher die Seele Straders, die Ahriman nicht zu gewinnen vermochte.

Als Strader mit den drei Seelenschwestern naht, die ihm ihre Kräfte zuströmen, muss sich Ahriman zurückziehen. Nur Luzifer kann bleiben, da ihm Johannes die Pforte in diese Welt geöffnet hat, die er sonst nicht betreten kann.

Dann tritt Benedictus mit seinen Gefährten Theodosius und Romanus ein. Im Tempel soll Strader die Kräfte finden, die ihn durch Gedankenlabyrinthe zu den wahren Lebensquellen führen. Capesius wird erst künftig den Tempel betreten können. Zwar konnte er in sein früheres Erdenleben zurückschauen, doch fehlt ihm noch die Kraft, die Pflichten zu erfüllen, die er durch Selbsterkenntnis fühlen kann. Lernen muss er erst die Schmerzen zu ertragen, die wahre Selbsterkenntnis mit sich bringt.

Auch Johannes soll den Tempel bald wieder betreten können, doch müssen seine guten Kräfte zuvor am Gegensatz der Widersacher reifen. Bis dahin muss sein Geistesschatz behütet werden, da er in Finsternis zu tauchen droht. Und dann, während Maria hereintritt, wendet sich Benedictus an Luzifer:

Es kann in dieser Zeit des Tempels Macht
Johannes’ Seele dir noch nicht entreißen,
doch wird sie künftig wieder unser sein,
wenn unsrer Schwester Früchte reifen werden,
die wir als Blüten schon erkennen können.

Zum Heil der Entwicklung musste Benedictus Marias und Johannes Seelen zeitweilig voneinander trennen und das gab Luzifer die Kraft, an Johannes heranzutreten, denn überall wo Seelensondersein entsteht, ist seinem Wirken Raum gegeben. Doch ist das Seelenband zwischen Johannes und Maria, geschmiedet schon in früheren Erdenläufen, viel zu stark, um Luzifer dauerhaften Sieg zu gewähren. Zudem ist der freie Opferwille Marias erwacht. Sie weiß, was sie Johannes und Capesius schuldet, indem sie Vater und Sohn im früheren Erdenleben entzweite. Doch

Es gibt im Menschenwesen Liebequellen,
zu denen deine Macht nicht dringen kann.
Sie öffnen sich, wenn alte Lebensfehler,
die unbewußt der Mensch auf sich geladen,
in spätern Erdenleben mit dem Geist
geschaut und durch den freien Opferwillen
in Lebenstaten umgewandelt werden,
die wahrem Menschenheile Früchte bringen.

Und Benedictus setzt hinzu:

Es möge dieses Licht in deinem Selbst
die Kräfte heilerschaffend weiter wirken,
die deine Lebensfäden einst den andern
zum Lebensknoten fest verbunden haben.

Literatur

  • Alice Fels: Erinnerungen an die Münchener Proben zu den Mysterienspielen im Nachrichtenblatt 1929 Nr. 38 und 39 und 1950 Nr. 30 und 31
  • Max Gümbel-Seiling: Mit Rudolf Steiner in München und Einige Erinnerungen an die Mysterienspiele in München von einem Mitspieler in „Mitteilungen aus der Anthroposophischen Arbeit in Deutschland“ Nr. 7, März 1949
  • Wilfried Hammacher: Die Uraufführung der Mysteriendramen von und durch Rudolf Steiner, Verlag am Goetheanum, Dornach 2010, ISBN 978-3-7235-1379-8
  • Wilfried Hammacher: Einführung in Rudolf Steiners Mysteriendramen, Verlag am Goetheanum, Dornach 2009, ISBN 978-3-7235-1360-6
  • Wilfried Hammacher: Inhaltswiedergabe der vier Mysteriendramen Rudolf Steiners, Verlag am Goetheanum, Dornach 2000, ISBN 3-7235-1086-8
  • Wilfried Hammacher: Die Grundelemente der Sprachgestaltung und Schauspielkunst nach Rudolf Steiner, Verlag am Goetheanum, Dornach 2005, ISBN 978-3-7235-1241-8
  • Wilfried Hammacher: Kurze Wegleitung durch die Mysteriendramen, Verlag am Goetheanum, Dornach 1995, ISBN 978-3-7235-0888-6
  • Karl Ivelin: Die Kinder der Liebe: bewegtes Leben unter der Erde : historisch-romantische Sage aus Bernsteins alten Tagen, Parzival-Verlag, 1992, ISBN 978-3-9520080-6-5
  • Oskar Schmiedel: Erinnerungen an die Proben zu den Mysterienspielen in München in den Jahren 1910 – 1913 in „Mitteilungen aus der Anthroposophischen Arbeit in Deutschland“ Nr. 7 März 1949
  • Rudolf Steiner: Vier Mysteriendramen, GA 14 (1998), ISBN 3-7274-0140-0 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  • Rudolf Steiner: Die Weltgeschichte in anthroposophischer Beleuchtung und als Grundlage der Erkenntnis des Menschengeistes, GA 233 (1991), ISBN 3-7274-2331-5 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  • Rudolf Steiner: Kleinodienkunst als goetheanistische Formensprache, GA K51 (1984), ISBN 978-3-7274-3650-5
  • Jürg-Hinrich Volkmann: Templer im Burgenland, in Das Goetheanum, Jg. 1992, Seite 568
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
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