Grundsteinspruch

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Der Grundsteinspruch zur Neubegründung der Anthroposophischen Gesellschaft wurde von Rudolf Steiner in zwei verschiedenen Fassungen gegeben. Die erste Fassung wurde während der Weihnachtstagung 1923/24 vorgetragen, die andere für den Abdruck im ersten Nachrichtenblatt «Was in der Anthroposophischen Gesellschaft vorgeht. Nachrichten für deren Mitglieder» vom 13. Januar 1924 verwendet. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass die im Nachrichtenblatt enthaltene Fassung die Hierarchien nicht namentlich nennt, die Elementargeister nur allgemein als Geister angesprochen werden und der Rosenkreuzerspruch nicht lateinisch, sondern in deutscher Übersetzung gegeben wird.

Marie Steiner hat später verschiedentlich mitgeteilt, warum Rudolf Steiner für das Nachrichtenblatt die zweite Fassung des Grundsteinspruchs gegeben hat. Marie Steiners Mitarbeiter Günther Schubert hat ihre Mitteilung wie folgt festgehalten:

„Sie sprach wiederholt davon, daß sie daran zurückdenken müsse, wie schwer sich Dr. Steiner zu dem Entschluß durchgerungen hat, den Spruch der Grundsteinlegung 1923 zu veröffentlichen, und wie er in der schließlich gedruckten Fassung den unmittelbaren Anruf der Hierarchien nach dem Abstrakten hin abgeschwächt hat. Dr. Steiner wollte, daß auch in Mitgliederkreisen nur dieser abgeschwächte Wortlaut verwendet werden sollte, denn es gebe bei solchen kultisch geformten esoterischen Sprüchen ein Gesetz, wonach die Kraft, die hinausgesandt wird, mit derselben Stärke wiederum zurückschlage, so daß man bedenken müsse, ob man dies werde aushalten können.“ (Lit.:GA 260, S. 309)

Weihnachtstagung 1923/24 Nachrichtenblatt vom 13. Januar 1924

Menschenseele!
Du lebest in den Gliedern,
Die dich durch die Raumeswelt
In das Geistesmeereswesen tragen:
Übe Geist-Erinnern
In Seelentiefen,
Wo in waltendem
Weltenschöpfer-Sein[1]
Das eigne Ich
Im Gottes-Ich
Erweset;
Und du wirst wahrhaft leben
Im Menschen-Welten-Wesen.

Denn es waltet der Vater-Geist der Höhen
In den Weltentiefen Sein-erzeugend:
Seraphim, Cherubim, Throne,
Lasset aus den Höhen erklingen,
Was in den Tiefen das Echo findet;
Dieses spricht:
Ex Deo nascimur.
Das hören die Elementargeister
Im Osten, Westen, Norden, Süden:
Menschen mögen es hören.

Menschenseele!
Du lebest in dem Herzens-Lungen-Schlage,
Der dich durch den Zeitenrhythmus
Ins eigne Seelenwesensfühlen leitet:
Übe Geist-Besinnen
Im Seelengleichgewichte,
Wo die wogenden
Welten-Werde-Taten
Das eigne Ich
Dem Welten-Ich
Vereinen;
Und du wirst wahrhaft fühlen
Im Menschen-Seelen-Wirken.

Denn es waltet der Christus-Wille im Umkreis
In den Weltenrhythmen Seelen-begnadend.
Kyriotetes, Dynamis, Exusiai,
Lasset vom Osten befeuern,
Was durch den Westen sich gestaltet;
Dieses spricht:
In Christo morimur.
Das hören die Elementargeister
Im Osten, Westen, Norden, Süden:
Menschen mögen es hören.

Menschenseele!
Du lebest im ruhenden Haupte,
Das dir aus Ewigkeitsgründen
Die Weltgedanken erschließet:
Übe Geist-Erschauen
In Gedanken-Ruhe,
Wo die ew’gen Götterziele
Welten-Wesens-Licht
Dem eignen Ich
Zu freiem Wollen
Schenken;
Und du wirst wahrhaft denken
In Menschen-Geistes-Gründen.

Denn es walten des Geistes Weltgedanken
Im Weltenwesen Licht-erflehend.
Archai, Archangeloi, Angeloi,
O lasset aus den Tiefen erbitten,
Was in den Höhen erhöret wird:
Dieses spricht:
Per spiritum sanctum reviviscimus.
Das hören die Elementargeister
Im Osten, Westen, Norden, Süden;
Menschen mögen es hören.

In der Zeiten Wende
Trat das Welten-Geistes-Licht
In den irdischen Wesensstrom;
Nacht-Dunkel
Hatte ausgewaltet;
Taghelles Licht
Erstrahlte in Menschenseelen;
Licht,
Das erwärmet
Die armen Hirtenherzen;
Licht,
Das erleuchtet
Die weisen Königshäupter -

Göttliches Licht,
Christus-Sonne,
Erwärme
Unsere Herzen;
Erleuchte
Unsere Häupter;

Dass gut werde,
Was wir aus Herzen
Gründen,
Aus Häuptern
Zielvoll führen wollen.

Menschenseele!
Du lebest in den Gliedern,
Die dich durch die Raumeswelt
In das Geistesmeereswesen tragen:
Übe Geist-Erinnern
In Seelentiefen,
Wo in waltendem
Weltschöpfer-Sein[2]
Das eigne Ich
Im Gottes-Ich
Erweset;
Und du wirst wahrhaft leben
Im Menschen-Welten-Wesen.

Denn es waltet der Vater-Geist der Höhen
In den Weltentiefen Sein-erzeugend:
Ihr Kräfte-Geister
Lasset aus den Höhen erklingen,
Was in den Tiefen das Echo findet;
Dieses spricht:
Aus dem Göttlichen weset die Menschheit.
Das hören die Geister in Ost, West, Nord, Süd:
Menschen mögen es hören.


Menschenseele!
Du lebest in dem Herzens-Lungen-Schlage,
Der dich durch den Zeitenrhythmus
Ins eigne Seelenwesensfühlen leitet:
Übe Geist-Besinnen
Im Seelengleichgewichte,
Wo die wogenden
Welten-Werde-Taten
Das eigne Ich
Dem Welten-Ich
Vereinen;
Und du wirst wahrhaft fühlen
Im Menschen-Seelen-Wirken.

Denn es waltet der Christus-Wille im Umkreis
In den Weltenrhythmen Seelen-begnadend.
Ihr Lichtes-Geister
Lasset vom Osten befeuern,
Was durch den Westen sich formet;
Dieses spricht:
In dem Christus wird Leben der Tod.
Das hören die Geister in Ost, West, Nord, Süd:
Menschen mögen es hören.


Menschenseele!
Du lebest im ruhenden Haupte,
Das dir aus Ewigkeitsgründen
Die Weltgedanken erschließet:
Übe Geist-Erschauen
In Gedanken-Ruhe,
Wo die ew’gen Götterziele
Welten-Wesens-Licht
Dem eignen Ich
Zu freiem Wollen
Schenken;
Und du wirst wahrhaft denken
In Menschen-Geistes-Gründen.

Denn es walten des Geistes Weltgedanken
Im Weltenwesen Licht-erflehend.
Ihr Seelen-Geister
Lasset aus den Tiefen erbitten,
Was in den Höhen erhöret wird:
Dieses spricht:
In des Geistes Weltgedanken erwachet die Seele.
Das hören die Geister in Ost, West, Nord, Süd;
Menschen mögen es hören.


In der Zeiten Wende
Trat das Welten-Geistes-Licht
In den irdischen Wesensstrom;
Nacht-Dunkel
Hatte ausgewaltet;
Taghelles Licht
Erstrahlte in Menschenseelen;
Licht,
Das erwärmet
Die armen Hirtenherzen;
Licht,
Das erleuchtet
Die weisen Königshäupter.

Göttliches Licht,
Christus-Sonne,
Erwärme
Unsere Herzen;
Erleuchte
Unsere Häupter;

Dass gut werde,
Was wir
Aus Herzen gründen,
Was wir
Aus Häuptern führen
Wollen.

Die geistige Bedeutung des Grundsteinspruchs

Dem Grundsteinspruch liegt die Erkenntnis von der Dreigliederung des Menschenwesens und der Welt zugrunde, wie Rudolf Steiner während der Grundsteinlegung erläuterte:

„Wahrgenommen werden konnte jene Dreigliederung des Menschen, durch die der Mensch in seinem ganzen Wesen nach Geist, Seele und Leib sich in erneuerter Form beleben kann das «Erkenne dich selbst», wahrgenommen konnte sie werden, diese Dreigliederung, seit Jahrzehnten. Ich selber konnte sie erst zur Reife bringen im letzten Jahrzehnt während der kriegerischen Stürme. Damals versuchte ich anzudeuten, wie der Mensch auch physisch lebt in seinem Stoffwechsel-Gliedmaßen-System, in seinem Herzens-Rhythmus- System, in seinem Kopfes-Denk- und Wahrnehmungs-System. Und man kann sich überzeugt halten davon, daß der Mensch - indem er in der richtigen Art, wie es gestern angedeutet worden ist, durch die Durchlebung seines Herzens mit Anthroposophia diese Dreigliederung richtig in sich aufnimmt - dann erkennt, dadurch, daß er fühlend und wollend erkennen lernt, was er eigentlich tut, indem er, die Weltengeister ihn belebend, durch seine Glieder sich hineinstellt in die Raumesweiten, dann erkennt im tätigen Erfassen der Welt - nicht im leidenden, passiven Erfassen der Welt, sondern im aktiv tätigen Erfassen der Welt, indem er seine Pflichten, seine Aufgaben, seine Mission in der Welt erfüllt - das Wesen der allwaltenden Menschen- und Weltenliebe, die da ist ein Glied im Gesamtweltenwesen. Und man kann sich überzeugt halten, daß wenn der Mensch erkennt das wundervolle Geheimnis, das da waltet zwischen Lunge und Herz - in dem innerlich wahrnehmbar ausgedrückt wird, wie die Weltenrhythmen, die durch Jahrtausende, durch Äonen wirken, in Puls- und Blutrhythmus hereinschlagen und Weltbeseelung im Menschen erwecken -, man kann hoffen, daß, indem dieses weisheitsvoll mit dem Herzen als Erkenntnisorgan erfaßt wird, dann der Mensch erfahren kann, wie die Weltenbilder, die gottgegebenen, den Kosmos aus sich heraus tatkräftig offenbaren. Wie man im wirkenden Sich-Bewegen erfaßt die waltende Weltenliebe, so wird man die Urbilder des Weltenseins erfassen, wenn man in sich fühlt den geheimnisvollen Übergang zwischen Weltenrhythmus und Herzensrhythmus und durch diese wiederum den Menschenrhythmus, der geheimnisvoll seelisch-geistig sich abspielt zwischen Lunge und Herz. Und wenn der Mensch in der riehtigen Weise fühlend wahrnehmen wird, was sich offenbart in seinem Hauptessystem, das da ruhet auf seinen Schultern, auch wenn er geht, dann wird er, sich erfühlend in seinem Hauptsystem, die Herzenswärme ausgießend in sein Hauptessystem, die waltenden, wirkenden, webenden Weltgedanken in seiner eigenen Wesenheit erleben.

Und er wird so die Dreiheit alles Seins - Weltenliebe, waltend in Menschenliebe; Weltenimagination, waltend in menschlicher Organisationsgestaltung; Weltgedanken, waltend geheimnisvoll untergründlich in Menschheitsgedanken - er wird diese Dreigliederung erfassen und sich erkennen als individuell freier Mensch im waltenden Götterwirken des Kosmos, als Weltenmensch, individueller Mensch im Weltenmenschen, wirkend als individueller Mensch im Weltenmenschen für die Weltenzukunft. Er wird aus den Zeichen der Gegenwart heraus erneuern das alte Wort: «Erkenne dich selbst!»

Noch die Griechen durften weglassen den Nachsatz, weil bei ihnen das menschliche Selbst noch nicht so abstrakt geworden war wie bei uns, zusammengeflossen in den abstrakten Ich-Punkt oder höchstens in das Denken, Fühlen und Wollen, sondern weil bei ihnen erfaßt wurde die Menschennatur als Ganzes nach Geist, Seele und Leib. So durften die Griechen glauben, zu treffen den ganzen Menschen nach Geist, Seele und Leib, wenn sie das Wort ertönen ließen, das uralte Sonnenwort, das Apollo-Wort: «Erkenne dich selbst!»

Wir aber müssen sagen, wenn wir aus den Zeichen der Zeit in der richtigen Weise erneuern dieses Wort: O Menschenseele, erkenne dich selbst in deinem wesenden Weben in Geist, Seele und Leib. - Dann haben wir verstanden dasjenige, was allem Menschenwesen zu Grunde liegt. Und diese Weltensubstanz, in der da wirkt und west und lebt der Geist, der aus den Höhen strömt und im Menschenhaupte sich offenbart; die Christus-Kraft, die überall im Umkreise wirkt, die mit den Lüften webt, um die Erde kreisend, die in unserem Atemsystem wirkt und lebt; und wenn wir erkennen die in den Tiefen aus dem Erdeninnern heraufkommenden Kräfte, die in unseren Gliedmaßen wirken - und wenn wir diese drei Kräfte, die Kräfte der Höhen, die Kräfte des Umkreises, die Kräfte der Tiefen, in diesem Augenblicke vereinigen in einer gestaltenden Substanz: dann können wir in unserem Seelen-Erfassen dem Welten-Dodekaeder das Menschen-Dodekaeder gegenüberstellen. Und aus diesen drei Kräften: aus dem Geist der Höhe, aus der Christus-Kraft des Umkreises, aus der Vater-Wirksamkeit, der schöpferischen Vatertätigkeit, die aus den Tiefen strömt, wollen wir in diesem Augenblicke in unseren Seelen den dodekaedrischen Grundstein formen, den wir in den Boden unserer Seelen senken, damit er da sei zum starken Zeichen in den kräftigen Gründen unseres Seelenseins und wir in der Zukunft des Wirkens der Anthroposophischen Gesellschaft auf diesem festen Grundstein stehen können.“ (Lit.:GA 260, S. 62ff)

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Einzelnachweise

  1. vgl. Faksimile (Lit.:GA 260, S. 350)
  2. vgl. Faksimile (Lit.:GA 260, S. 372)