Isländische Sprache

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Isländisch (isländisch íslenska) ist eine Sprache aus dem germanischen Zweig der indogermanischen Sprachfamilie. Sie ist die Amtssprache in Island. Derzeit wird Isländisch von etwas mehr als 300.000 Menschen gesprochen.[1]

Geschichte

Das heutige Isländisch geht auf das Altisländische zurück, das im Hoch- und Spätmittelalter gesprochen und geschrieben wurde. Die Siedler Islands stammten zu einem großen Teil von der Südwestküste Norwegens,[2] weshalb Altisländisch und Altnorwegisch sich nur marginal unterschieden und noch heute zwischen den südwestnorwegischen Dialekten, dem Isländischen sowie dem Färöischen die verhältnismäßig größte Nähe besteht.[3] Die Isolation Islands hat allerdings dazu geführt, dass es sich (zusammen mit dem Färöischen) in den letzten tausend Jahren im Bereich der Formenlehre (Morphologie) kaum verändert hat und somit noch heute dem Altnordischen ähnelt.[4] Grammatikalische Eigenheiten, die in anderen Sprachen im Laufe ihrer Entwicklung reduziert oder ganz aufgegeben wurden, blieben im Isländischen weitestgehend erhalten, wogegen das Lautsystem – besonders der Vokalismus – sich erheblich geändert hat.[5]

Im Laufe der frühen Neuzeit war das Isländische allerdings vielen Einflüssen aus dem Dänischen beziehungsweise dem Niederdeutschen unterworfen.[6] So war die Übersetzung des Neuen Testaments von Oddur Gottskálksson 1540 stark dänisch-deutsch beeinflusst (zahlreiche mit for- präfigierte Verben wie forheyra, forganga, forlíkja, fornema, forblinda, forlíta usw., dann auch etwa blífa, skikka, bítala, dára, slekti usw.). Die Übersetzung von Corvinus Postilla (1546) führte weitere Teutonismen wie bíkenna, innplantaður, fortapaður ein. Auch die Korrespondenz von Bischof Gissur Einarsson von Skálholt (16. Jahrhundert) weist zahlreiche niederdeutsche Einflüsse auf wie hast, forskulda, fornægilse, bilæti, hýra und befalning auf. Erst die Bibelübersetzung von Bischof Guðbrandur Þorláksson von 1584 zeigt weniger ausländischen Einfluss. Das 17. Jahrhundert wird von Halldór Hermannsson als Epoche des „stetigen Niedergangs der Sprache“ bezeichnet. Gleichzeitig wurde allerdings mit dem Sammeln alter Schriften begonnen, und drei Wörterbücher (1650, 1654/83, 1691) sowie die Grammatik von Runólfur Jónsson (1651) zeigen erste Gegenbewegungen an. Berichte von Eggert Ólafsson und Björn Pálsson, die im 18. Jahrhundert mit Unterstützung der Dänischen Akademie der Wissenschaften Island bereisten, sowie von Árni Magnússon und Páll Vídalín besagten, dass „bestes, reinstes“ Isländisch im Osten der Insel gesprochen werde, gutes auch im Norden, wogegen der Süden unter dem Einfluss der Händler, der Lateinschule in Skálholt und der Reformation „völlig korrumpiert“ sei. Im Norden hingegen stütze die Presse in Hólar sowie die Sitte, die alte Sagaliteratur laut vorzulesen, die alte Sprache. Eggert Ólafsson zeigte großes Engagement für die isländische Sprache, musste allerdings für seine Werke ein Glossar zur Erklärung seines archaischen Wortschatzes und seiner Rechtschreibung veröffentlichen. Auf der andern Seite plädierte in dieser Zeit der Rektor von Skálholt für die vollständige Einführung des Dänischen. Vonseiten Dänemarks gab es jedoch nie Versuche, Island zu danisieren; vielmehr hatten mehrere königliche Reskripte (1743 betreffend die Schule, 1751 betreffend die Zweisprachigkeit der Gesetze, 1753 betreffend den Gebrauch des Isländischen in Petitionen) zum Ziel, die Rechte des Isländischen festzuhalten – Absichten, die freilich in der Praxis oft nur ungenügend umgesetzt wurden.

Die Wende kam um 1800:[6] 1779 wurde die Isländische Literaturgesellschaft (Hið íslenzka Lærdómslistafélag) gegründet; 1811 veröffentlichte Rasmus Christian Rask seine altisländische Grammatik (Vejledning til det islandske eller gamle nordiske Sprog), 1814 Björn Halldórsson sein dreisprachiges Lexicon Islandico-Latino-Danicum, und 1814/18 gewann Rask die Preisfrage der Königlich Dänischen Akademie zum Thema Altnordisch mit seiner Schrift Undersøgelse om det gamle nordiske eller islanske Sprogs Oprindelse („Untersuchung zum Ursprung der alten nordischen oder isländischen Sprache“). Bei einem Besuch auf Island war er entsetzt über den Zustand der Sprache im Süden der Insel, worauf er 1816 die Isländische Literarische Gesellschaft gründete. Im gleichen Jahr gab die isländische Bibelgesellschaft eine neue, sprachlich sorgfältige Übersetzung der Heiligen Schrift heraus, der in kurzen Abständen weitere Revisionen folgten. 1835 wurde die sprachpflegerische Publikation Fjölnir gegründet. Ab 1844 mussten dänische Beamte auf Island die Landessprache beherrschen, und 1848 wurde an der Universität Kopenhagen eine Professur für Isländisch eingerichtet. Gestritten wurde hingegen noch lange um die Orthographie: Nachdem im Zusammenhang mit der Übersetzung der Bibel nach dänischem Vorbild beispielsweise die Großschreibung der Substantive und die Buchstabenkombination aa für altes á um sich gegriffen hatten, kam es im frühen 19. Jahrhundert zur Rückbesinnung auf die altisländische Schreibweise: So führte beispielsweise 1827 das Íslenzka Bókmentafélag den Buchstaben ð wieder ein. Andere Versuche, etwa von Konráð Gíslason und von journalistischer Seite, die Schreibweise der realen Aussprache anzupassen, konnten sich dagegen nicht durchsetzen, und aussprachenahe Schreibungen wie je wurden im 19. Jahrhundert wieder durch das etymologisierende altisländische é ersetzt. Überhaupt kamen im Rahmen zunehmender Loslösungsbestrebungen auch sprachpflegerische Ideen auf: Um die eigene Sprache von Einflüssen der dänischen Herrscher zu reinigen, wurde das Isländische anhand alter Schriftquellen rekonstruiert.[7] 1918 schließlich wurde die Rechtschreibung mittels eines offiziellen Wörterbuchs der Regierung, das für Verwaltung und Schule Geltung hatte, amtlich festgelegt.

Das Isländische weist nur eine geringe dialektale Vielfalt auf, ganz im Gegensatz zum Färöischen, das eine große Vielzahl unterschiedlicher Dialekte kennt. Regionale Unterschiede lassen sich im Färöischen in allen linguistischen Subsystemen ausmachen, vor allem auch in der Morphologie, während sich die Unterschiede im Isländischen nahezu ausschließlich auf die phonetisch-phonologische Ebene beschränken und nur in einem geringfügigen Ausmaß in der Morphologie, Syntax und Lexik auftreten.[8] Allerdings ähneln sich die Bedingungen für beide Sprachen im Hinblick auf die äußeren Umstände wie Einwohnerzahl und geographische und politische Lage, die für die Sprachentwicklung auf Island und den Färöer-Inseln von Bedeutung sind, auf den ersten Blick. Jedoch können Faktoren wie der unterschiedliche Einfluss des Dänischen auf Island und auf den Färöer-Inseln, die frühe Etablierung einer isländischen Orthographie im Gegensatz zur verspäteten Entwicklung einer färöischen Orthographie und unterschiedliche gesellschaftliche Bedingungen, die auf Island und den Färöer-Inseln vorherrschten, als mögliche Ursachen einer unterschiedlichen dialektalen Ausprägung gelten.

Das älteste im Original erhaltene Dokument in isländischer Sprache ist der Reykjaholtsmáldagi. Schon vor der Niederschrift der Edda und anderer dichterischer Werke (vermutlich ab dem 12. Jahrhundert) gab es in Island und anderen Teilen der nordischen Welt eine besondere Dichtersprache, in der nach bestimmten Regeln oft hochformalisierte Gedichte verfasst wurden. Die Dichter, die diese Gedichte in altwestnordischer (altisländischer) Sprache verfassten und vortrugen, nannte man „Skalden“. Sie benutzten poetische Umschreibungen (Kenninge und Heiti), die auf Figuren und deren Taten aus (nord-)germanischen Heldensagen und der (nord-)germanischen Mythologie anspielten.

Wortschatz

Reiche Differenzierungen

Das Isländische bietet in vielen Bereichen reiche Differenzierungen. So lautet etwa die Übersetzung des Wortes „gefleckt“ – je nachdem, auf welches Tier sich das Wort bezieht – skjöldóttur (Kuh), flekkóttur (Schaf) oder skjóttur (Pferd). Das Isländische unterscheidet des Weiteren zwischen Seehundmännchen (brimill) und -weibchen (urta), männlichem Lamm (gimbill) und weiblichem Lamm (gimbur) usw.

Fremdwörter

Man achtet konsequent darauf, die Übernahme von Fremdwörtern so gering wie möglich zu halten. Neue Bezeichnungen erschafft man in der Regel aus dem vorhandenen Wortschatz. So entstand das Wort für „Computer“, tölva, aus den Worten tala, „Zahl“, und völva, „Wahrsagerin, Seherin“. Der Begriff für „Aids“, alnæmi, wurde aus al-, „all-“, und næmi, „Empfindlichkeit“, gebildet. Ein ähnliches Wort ist skrifstofa („Schreibstube“) für Büro.

Dennoch gibt es eine beträchtliche Anzahl älterer Lehnwörter wie hótel („Hotel“) oder prestur („Priester“); ein Anschwellen von Anglizismen, ähnlich wie im Deutschen, ist seit den 1950er Jahren auch auf Island zu bemerken. Seit 1964 besteht darum in Island ein eigenes Komitee, das für neue Begriffe rein isländische Ausdrücke findet.

Siehe auch

Literatur

Grammatiken

  • Bruno Kress: Isländische Grammatik. Verlag Enzyklopädie, Leipzig 1982.
  • Daniel Scholten: Einführung in die isländische Grammatik. Philyra, München 2000, ISBN 3-935267-00-2.
  • Colin D. Thompson: Isländische Formenlehre. Buske, Hamburg 1987, ISBN 3-87118-841-7.

Wörterbücher

  • Hans Ulrich Schmid: Wörterbuch Isländisch-Deutsch. Buske, Hamburg 2001, ISBN 3-87548-240-9.

Lehrbücher

  •  Ríta Duppler, Astrid van Nahl: Isländisch. Ein Lehrbuch für Anfänger und Fortgeschrittene. 2. Auflage. Buske, Hamburg 2015, ISBN 978-3-87548-736-7.
  •  Christine Jörg: Isländische Konjugationstabellen. Buske, Hamburg 2011, ISBN 978-3-87118-893-0.
  •  Richard H. Kölbl: Isländisch. Wort für Wort (= Kauderwelsch). 9. Auflage. Reise-Know-How-Verlag Rump, Bielefeld 2015, ISBN 978-3-8317-6414-3.
  •  Magnús Pétursson: Lehrbuch der isländischen Sprache. 6. Auflage. Buske, Hamburg 2010, ISBN 978-3-87548-565-3.
  • Astrid van Nahl, Jan Alexander van Nahl: Isländisch. Sprachreiseführer Isländisch. Buske, Hamburg 2017, ISBN 978-3-87548-838-8.

Wissenschaftliche Literatur

  • Eiríkur Rögnvaldsson: Íslensk hljóðkerfisfræði. Reykjavík: Málvísindastofnun Háskóla Íslands, 1993, ISBN 9979-853-14-X.
  • Höskuldur Thráinsson: The Syntax of Icelandic. Cambridge University Press, Cambridge (UK) 2007.
  • Robert Nedoma: Kleine Grammatik des Altisländischen. 3. Auflage. Winter, Heidelberg 2010, ISBN 978-3-8253-5786-3.
  • Janez Orešnik und Magnús Pétursson: Quantity in Modern Icelandic. Arkiv för Nordisk Filologi 92 (1977), S. 155–71.
  • Sten Vikner: Verb movement and expletive subjects in the Germanic languages. Oxford University Press, Oxford 1995.
  • Betty Wahl: Isländisch: Sprachplanung und Sprachpurismus. Winter, Heidelberg 2008, ISBN 978-3-8253-5513-5.

Weblinks

 Wiktionary: Isländisch – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
 Wiktionary: Kategorie:Isländisch – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
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Einzelnachweise

  1. Ethnologue.com
  2. Andreas Heusler: Altisländisches Elementarbuch (= Germanistische Bibliothek. Erste Reihe: Sprachwissenschaftliche Lehr- und Elementarbücher). 5., unveränderte Auflage. Carl Winter, Heidelberg 1962, S. 7.
  3. Vgl. Klaus-Christian Küspert: Vokalsysteme im Westnordischen: Isländisch, Färöisch, Westnorwegisch. Prinzipien der Differenzierung (= Linguistische Arbeiten. 198). Niemeyer, Tübingen 1988.
  4. Kurt Braunmüller: Die skandinavischen Sprachen im Überblick. Francke, Tübingen/Basel 1991, ISBN 3-7720-1694-4. Abschnitte: Isländisch, Kurzcharakteristik und Färöisch, Kurzcharakteristik.
  5. Magnús Pétursson: Drög að hljóðkerfisfræði. Iðunn, Reykjavík 1978, S. 35 f.
  6. 6,0 6,1 Das Folgende nach Halldór Hermannsson: Modern Icelandic (= Islandica. XII). Cornell, New York 1919, Nachdruck Kraus, New York 1966, passim.
  7. Über die Entwicklung der Sprachpflege in Island und ihre gegenwärtigen Tendenzen informiert der Aufsatz von Betty Wahl: Kann man eine Sprache »reinhalten«? Das Beispiel des Isländischen. In: Der Sprachdienst, 54, Heft 2, 2010, S. 42–54.
  8. Kurt Braunmüller: Die skandinavischen Sprachen im Überblick. Tübingen und Basel: A. Francke Verlag, 1991, ISBN 3-7720-1694-4, S. 224