Kentaur

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Der Kentaur Cacus in DantesGöttlicher Komödie“, Inferno, Canto XXV, 12-33. Illustration von William Blake.
Kampf eines Kentauren gegen einen Lapithen am Parthenon in Athen (um 435 v. Chr.)
Der Kentaur Cheiron unterrichtet den jungen Achilleus (römisches Fresko aus Herculaneum, Archäologisches Nationalmuseum Neapel)
Kentaur, Malerei an der Nordseite der kleinen Kuppel des ersten Goetheanums.

Der Kentaur (griech. Κένταυρος Kentauros, plural Κένταυροι Kentauroi; latinisiert Centaurus, Centauri; deutsch auch Zentaur) ist gemäß der griechischen Mythologie ein Wesen halb Mensch, halb Pferd. In der Astronomie wurden nach ihnen die sog. Zentauren benannt, eine Gruppe von Asteroiden zwischen Jupiter und Neptun, wie etwa Chiron (entdeckt 1977), Pholus (1992) und Nessus (1993), die vermutlich „erloschene“ Kometen sind, die ihre flüchtigen Bestandteile, die sonst den typischen Kometenschweif bilden, bereits weitgehend durch Sublimation verloren haben.

Mythologischer Hintergrund

Die Kentauren sollen von Ixion, dem thessalischen König der sagenumwobenen Lapithen, abstammen, der von Zeus in den Himmel erhoben und mit der Unsterblichkeit begabt worden war. Als der betrunkene Ixion bei einem Göttergelage Hera erblickte und zur Liebe begehrte, schuf Zeus aus einer Nebelwolke ein Abbild seiner Gattin. Ixion umarmte im Liebesrausch die Wolke, die wie Hera gestaltet war, und zeugte mit ihr den Kentauros, der sich später mit den Stuten des Magnesias paarte und so das Geschlecht der Kentauren zeugte. Über den Frevel des Ixion erzürnt, ließ Zeus diesen zur Strafe an ein feuriges Rad binden, das seit dem in ewigem Wirbel durch die Luft umhergetrieben wird.

Die Kentauren gelten allgemein als ein lüsternes, unbeherrschtes Volk, voll der niederen Triebe - ganz im Gegensatz zu den edlen Lapithen, die nach ältesten Überlieferungen als riesenhafte Sturmdämonen beziehungsweise Personifikation des Sturmes selbst galten. Die Kentauren waren die Erzfeinde der Lapithen und wurden von diesen aus Thessalien auf den Peloponnes vertrieben, als sich die Kentauren bei der Hochzeit des edlen Königs der Lapithen, Peirithoos „vom Wein erhitzt“ über deren Frauen hermachten.

Als edelster aller Kentauren ist Chiron bekannt, der sich auf die Heilkunde verstand und der weisheitsvolle Erzieher vieler griechischer Helden war. Als solcher war er auch der Lehrer des Asklepios.

„Äskulap, der Sohn des Apollo, ist sozusagen der Vater der griechischen Ärzte. Und was wird uns von ihm im griechischen Mythos erzählt? Der Vater bringt ihn schon in der Jugend auf jenes Gebirge, wo er der Schüler werden kann des Kentauren Chiron. Und der Kentaur Chiron ist es, der Äskulap, den Vater der Arzneikunde, unterrichtet in dem, was in den Pflanzen an Heilkräften ist und sonst an Heilkräften auf der Erde sich findet. Chiron, der Kentaur, was ist er für ein Wesen? Er ist ein Wesen, das uns da charakterisiert wird als ein solches, wie sie da waren vor dem Herabstieg des Menschen vor der lemurischen Zeit: ein Wesen, halb Mensch, halb Tier. In diesem Mythos verbirgt sich das, daß dem Äskulap in dem entsprechenden Mysterium gezeigt werden jene Kräfte, die die großen Gesundheitskräfte waren, die Gesundheit hervorbringen konnten, bevor der Mensch in die erste Inkarnation hineingetreten ist.“ (Lit.:GA 107, S. 234f)

Die geistige Realität des Kentauren

Jeder Mensch trägt in sich einen ätherischen Kentauren, der eng mit dem Atemrhythmus zusammenhängt und ihn sehr nahe mit der übersinnlichen Welt der Toten verbindet.

Die Welt der Toten ist eigentlich beständig um uns, aber der Sinnesschleier verbirgt sie uns. Mit den Sinnen können wir sie nicht wahrnehmen, aber sie sprechen aus der Tiefe des Gefühls und Willens zu uns, nur verschlafen wir das zumeist. Der Atem, die Lunge sind Werkzeuge des Gefühls und namentlich die ätherische Lunge wäre ein Wahrnehmungsorgan für die astrale Region in der auch die Toten lange Zeit leben. Diese ätherische Lunge ist eigentlich so etwas wie ein sehr weisheitsvoller ätherischer Kopf, allerdings nur sehr schattenhaft sichtbar, und zu diesem Kopf gehört auch ein Körper, ein sehr deutlich hellsichtig sichtbarer Körper, der allerdings ein häßlicher tierischer ätherischer Körper ist, angefüllt mit ganz starken Trieb- und Begierdekräften, in denen der Egoismus als luziferische Gabe wurzelt. Diesen ätherischen Kentauren müssen wir als Toter in den physischen Leib der nächsten Inkarnation verwandeln. Aus dessen Ätherkopf, also aus der ätherischen Lunge der jetzigen Inkarnation, wird der physische Kopf des nächsten Lebens. Dieser Ätherkopf ist ungeheuer weise und er ist vor allem der Arzt, der Heiler in uns, der uns über den Umweg des Atemrhythmus heilt. Nicht umsonst soll Chiron sogar den Sohn des Apoll, Asklepios, in der Heilkunde unterwiesen haben. Chiron erscheint so als der edelste aller Kentauren, bei dem die untere Triebnatur am stärksten gezügelt ist:

„Die Eindrücke der Sinne, man kann sie sich vorstellen, als ob sie sich wie ein Teppich vor uns ausbreiteten. Natürlich, diesen Teppich müssen wir uns besetzt denken auch mit den Gehörseindrücken, mit allen Eindrücken der zwölf Sinne, wie wir sie ja aus anthroposophischen Betrachtungen kennen. Sie wissen, daß die wirkliche Zahl der Sinne zwölf ist. Dieser Sinnesteppich deckt gewissermaßen eine hinter ihm liegende Wirklichkeit zu. Diese hinter den Sinneswahrnehmungen liegende Wirklichkeit dürfen wir uns nicht so vorstellen, wie etwa der Naturforscher sich die Atomwelt vorstellt, oder wie eine gewisse philosophische Richtung vom Ding an sich spricht. Denn ich habe sogar in den öffentlichen Vorträgen betont: Suchen nach einem Ding an sich, wie es die heutige Philosophie tut, wie es der Kantianismus tut, das hieße ungefähr dasselbe als, die Wesen, die man in einem Spiegel sieht, ihrer Wirklichkeit nach dadurch suchen zu wollen, daß man den Spiegel zerbricht, um zu sehen, was dahinter ist. - In diesem Sinne rede ich nicht von etwas, was hinter den Sinneswahrnehmungen liegt, sondern ich rede von etwas, was hinter den Sinneswahrnehmungen liegt als einem Geistigen, in dem wir selber eingebettet sind, an das aber des Menschen gewöhnliches Bewußtsein, das er zwischen der Geburt und dem Tode trägt, nicht reicht. In dem Augenblicke, wo wir den Sinnesteppich gewissermaßen enträtseln würden auf einer ersten Stufe, so daß wir nach außen hin mehr sehen würden als die Mannigfaltigkeit der Sinnesimpulse - was würden wir da auf dieser ersten Stufe der spirituellen Enträtselung des Sinnesteppichs sehen? Diese Frage wollen wir uns einmal vorlegen.

Es kann zunächst überraschen, was als dasjenige genannt werden muß, das man zunächst sieht. Was man da zunächst sieht, ist eine Summe von Kräften, die alle darauf ausgehen, unser gesamtes Leben zu impulsieren von der Geburt, oder sagen wir von der Empfängnis bis zum Tode. Nicht in den einzelnen Ereignissen würden wir unser Leben sehen, wenn wir den Sinnesteppich enträtseln, aber in seiner ganzen Artung. Nicht irgend etwas ganz Fremdartiges würden wir zunächst finden, uns selbst würden wir finden auf der ersten Stufe der Enträtselung der Sinneswahrnehmungen - aber uns selbst nicht, wie wir in diesem Augenblicke sind, sondern uns selbst so, wie wir geartet sind dieses ganze Leben zwischen der Geburt und dem Tode. Dieses Leben, das nicht in unseren physischen Leib hereinspielt, daher auch nicht mit physischen Sinnen wahrgenommen werden kann, dieses Leben spielt in unseren Ätherleib, in unseren Bildekräfteleib herein. Und unser Bildekräfteleib ist im wesentlichen ein Ausdruck dieses Lebens, das wir überblicken würden, wenn wir die Sinne, die Sinneswahrnehmungen ausschalten würden. Würde gewissermaßen der Sinnesteppich zerreißen - und er zerreißt, wenn der Mensch zum Schauen aufsteigt -, so findet sich der Mensch selbst, so wie er geartet ist für diese Erdeninkarnation, in der er die betreffende Beobachtung macht. Aber wie gesagt, die Sinne sind nicht geeignet, dies wahrzunehmen.

Was ist geeignet, dies wahrzunehmen? Der Mensch hat es schon, was geeignet ist, dies wahrzunehmen; aber er hat es in einer solchen Entwickelungsstufe, daß von einem wirklichen Wahrnehmen gegenwärtig noch nicht die Rede sein kann. Was da wahrgenommen würde, das dringt in kein Auge, kein Ohr, dringt nicht in Sinnesorgane, sondern wird - ich bitte Sie, das wohl zu verstehen - eingeatmet, mit dem Atem eingesogen. Und das, was unserer Lunge ätherisch zugrunde liegt - von der physischen Lunge kann ja dabei gar nicht die Rede sein, denn die Lunge ist, so wie sie ist, kein unmittelbares Wahrnehmungsorgan -, was ätherisch unserer Lunge zugrunde liegt, das ist eigentlich Wahrnehmungsorgan, aber für den Menschen zwischen Geburt und Tod nicht brauchbares Wahrnehmungsorgan desjenigen, was da eingeatmet wird. In der Atemluft, die wir einsaugen, liegt eigentlich in bezug auf jeden Atemzug, wie er sich einfügt in den Gesamtrhythmus des Lebens von der Geburt bis zum Tode, unsere tiefere Wirklichkeit. Es ist nur so eingerichtet, daß das, was dem ganzen Lungensystem zugrunde liegt, beim Menschen auf dem physischen Plan unausgebildet ist, nicht vorgeschritten ist bis zu der Fähigkeit, wahrzunehmen. Würde das, was eigentlich unser Lungensystem aufbaut, was da ätherisch zugrunde liegt, untersucht und richtig erkannt, dann stellte es sich im Grunde genommen als ganz dasselbe dar, was physisch, für die physische Welt, unser Gehirn mit den Sinnesorganen ist. In dem, was unserem Lungensystem zugrunde liegt, haben wir ein Gehirn auf einer früheren Entwickelungsstufe, auf einer, man möchte sagen, noch kindlichen Entwickelungsstufe. Auch in dieser Beziehung tragen wir gewissermaßen - ich sage ausdrücklich: gewissermaßen - einen zweiten Menschen in uns. Und Sie stellen nicht falsch vor,wenn Sie sich denken, daß außer dem physischen Kopf, den der Mensch trägt, noch ein ätherischer Kopf vorhanden ist, der nur noch nicht als Wahrnehmungsorgan im gewöhnlichen Leben brauchbar ist, der aber in der Anlage Wahrnehmungsvermögen hat für das, was hinter dem Bildekräfteleib, als diesen Bildekräfteleib schaffend, liegt. Dies aber, was da hinter dem Bildekräfteleib schaffend liegt, das ist dasjenige, in das wir eintreten, wenn wir durch die Pforte des Todes gehen. Den Bildekräfteleib selbst legen wir dann ab, aber was ihn schafft, was ihn produziert, in das treten wir ein. Es ist vielleicht eine schwierige Vorstellung; allein es ist gut, wenn Sie versuchen, diese Vorstellung wirklich zu Ende zu denken. Schematisch könnten wir uns die Sache doch noch verdeutlichen.

Ätherlunge

Wir stellen uns das physische System des Kopfes vor, und wir stellen uns das physische System der Lunge vor (siehe Zeichnung, rot), hereinwirkend aus dem Kosmos die Impulse des Kosmos (blaue Pfeile), die sich rhythmisch ausdrücken in den Lungenbewegungen (rot schraffiert). Durch unsere Lunge stehen wir mit dem ganzen Kosmos in Beziehung, und der ganze Kosmos schafft an unserem Ätherleib. Den Ätherleib selbst legen wir ab, wenn wir durch die Pforte des Todes treten, aber wir treten ein in dasjenige, was hineinspielt in unser Lungensystem; das steht mit dem ganzen Kosmos in Verbindung. Daher jene merkwürdige Übereinstimmung im Rhythmus des Menschenlebens und im Rhythmus der Atmung. Sie wissen ja - ich habe das schon einmal hier ausgeführt -, wenn Sie die 18 Atemzüge, die der Mensch in der Minute hat, ausrechnen, so daß Sie die Zahl der Atemzüge in einem Tage bekommen, so sind es also 18 mal 60 in der Stunde, für den Tag mal 24 sind 25 920 Atemzüge in einem Tage. Der Mensch atmet ein und atmet aus; das gibt seinen Rhythmus, seinen kleinsten Rhythmus zunächst. Dann aber ist ein anderer Rhythmus in unserem Leben da, wie ich Ihnen schon einmal angedeutet habe: der besteht darinnen, daß wir unser Seelisches, das Ich und den astralischen Leib, an jedem Morgen beim Aufwachen in unser physisches System gewissermaßen einatmen, beim Einschlafen wiederum ausatmen. Das machen wir durch unser ganzes physisches Leben hindurch. Nehmen wir ein Durchschnittsmaß des menschlichen Lebens an, so haben wir das so zu berechnen, daß wir sagen: 365mal während eines Jahres atmen wir uns selbst aus und uns selbst ein. Das gibt, wenn wir das menschliche Leben, sagen wir durchschnittsmäßig auf 71 Jahre annehmen, 25 915. Sie sehen, im wesentlichen dieselbe Zahl - das Leben ist ja nicht gleich bei den einzelnen Menschen -, wiederum 25 920mal während eines Lebens zwischen Geburt und Tod wird aus- und eingeatmet dasjenige, was wir unser eigentliches Selbst nennen. So daß wir sagen können: Wie wir uns mit einem Atemzug verhalten zu den Elementen ringsherum, so verhalten wir uns zu der Welt, der wir selbst angehören. In demselben Rhythmus zum Kosmos leben wir während des Lebens, in welchem wir durch unser Atmen während des Tages stehen. Und wiederum, wenn wir unser Leben nehmen, sagen wir also ungefähr 71 Jahre, und wir betrachten dieses Leben des Menschen als einen kosmischen Tag - nennen wir einmal ein Menschenleben einen kosmischen Tag -, so würde ein kosmisches Jahr 365 mal soviel sein, 25 920, also annähernd wiederum ein Jahr. Das aber ist die Zeit, in welcher die Sonne wiederum zurückkehrt zu demselben Sternbilde: 25 920 Jahre [siehe -> Platonisches Weltenjahr]. Wenn in einem bestimmten Jahre die Sonne im Widder erscheint, nach 25 920 Jahren erscheint sie wiederum im Widder im Aufgang, denn die Sonne bewegt sich durch den ganzen Tierkreis im Laufe von 25 920 Jahren. So also ist ein ganzes Menschenleben herausgeatmet aus dem Kosmos, ein Atemzug des Kosmos, der sich genau zum kosmischen Werden, zum kosmischen Umschwung der Sonne im Tierkreis verhält, wie ein Atemzug zum Tagesleben. Eine tiefe innerliche Gesetzmäßigkeit! Sie sehen, alles ist auf Rhythmus aufgebaut. Wir atmen dreifach oder wenigstens stehen dreifach in einem Atmungsprozeß drinnen. Wir atmen zunächst durch unsere Lunge in den Elementen - in einem Rhythmus, der durch die Zahl 25 920 angegeben wird. Wir atmen im ganzen Sonnensystem, wenn wir Auf- und Untergang der Sonne als parallellaufend zählen unserem Einschlafen und Aufwachen. Wir atmen durch unser ganzes Leben hindurch in einem Rhythmus, der wiederum durch die Zahl 25 920 bestimmt ist. Und endlich, das Weltenall atmet uns aus, atmet uns wieder ein in einem Rhythmus, der wiederum durch die Zahl 25 920 bestimmt ist, bestimmt durch den Umlauf der Sonne um den Tierkreis.

So sind wir hineingestellt in den ganzen sichtbaren Kosmos, dem nun der unsichtbare Kosmos zugrunde liegt. In diesen unsichtbaren Kosmos treten wir ein, wenn wir durch die Pforte des Todes treten. Rhythmisches Leben ist dasjenige Leben, das unserem Gefühlsleben zugrunde liegt. In das rhythmische Leben des Kosmos treten wir ein in der Zeit, die wir durchleben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Dieses rhythmische Leben liegt als unser ätherisches Leben bestimmend hinter dem Sinnesteppich ausgebreitet. Sehen würde man in dem Augenblicke, wo man zum schauenden Bewußtsein kommt, diesen Weltenrhythmus, der gewissermaßen ein rhythmisch wogendes Weltenmeer ist, jetzt astralisch geartet. Und in diesem rhythmisch wogenden astra-lischen Meere sind auch die sogenannten Toten vorhanden, sind die Wesenheiten der höheren Hierarchien vorhanden, ist dasjenige vorhanden, was zu uns gehört, was aber unter der Schwelle liegt, aus der nur die Gefühle heraufwogen, die verträumt werden, die Willensimpulse heraufwogen, die in ihrer eigenen Wirklichkeit verschlafen werden.

Die Frage kann aufgeworfen werden - wir dürfen die Sache vergleichsweise, ohne in Teleologie zu verfallen, so sagen: Warum hat es die weisheitsvolle Weltenlenkung eingerichtet, daß der Mensch, so wie er nun einmal ist zwischen Geburt und Tod, nicht wahrnimmt, was da als rhythmisches Leben hinter dem Sinnesteppich liegt? Warum ist der Kopf des Menschen, der verborgene Kopf des Menschen, dem das Lungensystem entspricht, nicht geeignet zu einem entsprechenden Wahrnehmen? Ja, das führt auf eine Wahrheit, welche, man kann sagen, bis in unser Zeitalter von den entsprechenden okkulten Schulen als ein Geheimnis bewahrt worden ist, weil allerdings mit diesem Geheimnis andere Geheimnisse in Verbindung stehen, die nicht enthüllt werden sollen, sollten, bisher. Allein in unserer Zeit ist eben auch die Epoche gekommen, in der solche Dinge zum Bewußtsein der Menschheit gebracht werden müssen.

Die okkulten Schulen, die da oder dort eingerichtet sind, bewahren solche Dinge aus Gründen, die jetzt nicht erörtert werden sollen, vielfach heute noch, obwohl die Dinge heute notwendigerweise an das Menschenbewußtsein herangebracht werden sollen. Aber seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts sind Mittel und Wege gegeben, durch die dasjenige überholt werden kann, was die okkulten Schulen eigentlich vielfach unrechtmäßigerweise zurückhalten. Das hängt zusammen mit dem Ereignis, von dem ich Ihnen gesprochen habe als fallend in den Herbst des Jahres 1879. Wir können nur den äußersten Saum dieses Geheimnisses für diesmal berühren. Allein schon dieser äußerste Saum dieses Geheimnisses gehört zu den bedeutsamsten Erkenntnissen des menschlichen Wesens. Ein Kopf ist es allerdings, den wir da in uns tragen als den Kopf eines zweiten Menschen, ein Kopf ist es - aber was zu diesem Kopf gehört, ist auch ein Leib, und der Leib, der dazugehört, der ist zunächst ein Tierleib. Der Mensch trägt also einen zweiten Menschen in sich: dieser zweite Mensch hat einen richtig ausgebildeten Kopf, aber einen Tierleib daran, einen richtigen Kentaur. Der Kentaur ist schon eine Wahrheit. Er ist eben eine ätherische Wahrheit. Das Bedeutsame ist das, daß in dieser Wesenheit eine verhältnismäßig große Weisheit spielt, eine Weisheit, die sich auf den ganzen kosmischen Rhythmus bezieht. Was der Kopf sieht, der diesem Kentaur angehört, das ist der kosmische Rhythmus, in dem auch der Mensch als Wesen, das zwischen Tod und neuer Geburt lebt, eingebettet ist. Es ist jener Weltenrhythmus, der hier in dreifacher Weise selbst zahlenmäßig gezeigt worden ist, jener Rhythmus, auf dem viele Geheimnisse des Kosmos beruhen. Dieser Kopf ist viel weiser als unser physischer Kopf. Alle Menschen tragen einen sehr weisen andern Menschen, eben den Kentaur, in sich. Aber zugleich ist dieser Kentaur, trotz seiner Weisheit, ausgerüstet mit allen wilden Instinkten der Tierheit.

Jetzt werden Sie die weise Weltenlenkung verstehen. Sie konnte nicht dem Menschen ein Bewußtsein geben, das auf der einen Seite mächtig ist und den Weltenrhythmus durchschaut, aber auf der ändern Seite ungebändigt ist, in wilden Trieben lebend. Aber was in der einen Inkarnation tierisch ist an diesem Kentaur, das wird - halten Sie das, was ich jetzt sage, mit andern Vorträgen zusammen, in denen ich das Thema von einem ändern Gesichtspunkte aus beleuchtet habe -, das wird in der nächsten Inkarnation gebändigt, indem er durch die Welt des Weltenrhythmus durchgeht zwischen Tod und neuer Geburt. Was unserem Lungensystem in der gegenwärtigen Inkarnation zugrunde liegt, was da verborgen wird, das erscheint als Ihr physischer Kopf, der dann allerdings herabgedämpft ist zu seinem beschränkten sinnlichen Wissen, und es erscheint in der nächsten Inkarnation als der ganze Mensch nun auch den wilden Trieben nach gebändigt. Was Kentaur in dieser Inkarnation ist, ist der sinnlich wahrnehmende Mensch in der nächsten Inkarnation.

Und jetzt werden Sie ein anderes begreifen. Jetzt werden Sie begreifen, warum ich gesagt habe, daß der Mensch zwischen dem Tod und einer neuen Geburt als unterstes Reich das tierische Reich hat, in dessen Kräften er Meister werden muß. Was muß er denn tun? Woran muß er denn teilnehmen zwischen zwei Inkarnationen? Er muß daran teilnehmen, den Kentauren, das Tierische in ihm für die nächste Inkarnation ins Menschliche umzuwandeln. Dazu sind wirklich Kenntnisse notwendig, welche über die Impulse des ganzen tierischen Reiches sich erstrecken müssen, welche in ihrer Abschwächung atavistisch eigen gewesen sind den Menschen jenes Zeitalters, in dem der Chiron gelebt hat. Wenn auch die Erkenntnisse, von denen der Chiron spricht, Abschwächungen sind dieser Inkarnation, von dieser Art sind sie. Aber Sie sehen den Zusammenhang. Sie sehen, wozu der Mensch zwischen dem Tod und einer neuen Geburt dieses untere Reich braucht, in dem er Meister werden muß: er braucht es, weil er den Kentauren in einen Menschen umwandeln muß.

Was die anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft darbietet, war bis jetzt eigentlich nur in einzelnen Lichtblitzen außerhalb der okkulten Schulen erlangt worden. Aber einzelne Menschen hat es immer gegeben, die auf solche Dinge wie durch Lichtblitze des Lebens gekommen sind. Besonders im 19. Jahrhundert kamen, ich möchte sagen vorahnend, einzelne Geister darauf, daß im Menschen drinnen so etwas mit wildgebändigten Trieben steckt. Es gibt Schriftsteller, die davon sprechen. Und aus der Art, wie sie davon sprechen, sieht man, wie sie erschrocken sind über diese Erkenntnis. Ja, so bequem geistig zu verdauen wie die heutigen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, so bequem sind die hohen Wahrheiten nicht. Diese hohen Wahrheiten haben schon zuweilen die Eigenschaft, daß man vor ihrer Wirklichkeit erschrecken kann. Und es hat Geister im 19. Jahrhundert gegeben, die erschrocken sind, die furchtbar berührt gewesen sind, als sie wahrnahmen, was eigentlich aus dem manchmal verwirrt blickenden Auge des Menschen oder aus sonstigem am Menschen spricht. Einer der Schriftsteller des 19. Jahrhunderts hat sich drastisch ausgedrückt, indem er sagte: Jeder Mensch trägt eigentlich einen Mörder in sich. - Er meinte diesen Kentauren, der ihm unklar zum Bewußtsein gekommen ist.“ (Lit.:GA 179, S. 71ff)

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
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Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.