Rudolf Steiner. Schriften. Kritische Ausgabe (SKA)

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Die Kritische Ausgabe ausgewählter Schriften Rudolf Steiners (SKA) erscheint im frommann-holzboog Verlag und wird von Christian Clement herausgegeben und kommentiert. Die SKA umfasst derzeit 8 Bände, weitere 8 Bände sind in Vorbereitung. Der Vertrieb erfolgt in Kooperation mit dem Rudolf Steiner Verlag. Die SKA bietet erstmals eine textkritische Ausgabe, die den Werdeprozess der grundlegenden Schriften Steiners in ihrer Textentwicklung durch die verschiedenen im Druck erschienenen Neubearbeitungen hindurch verfolgt und damit die Basis für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Anthroposophie schafft und das Fundament für eine künftige umfassende historisch-kritische Ausgabe bilden kann, die auch alle Notizen und unveröffentlichten Entwürfe mit umfasst, deren Herausgabe sich aber der Rudolf Steiner Verlag selbst vorbehält.

„Christian Clement ist in der Tat an unser Archiv herangetreten mit dem Wunsch nach Archiveinsicht und editorischer Nutzung der Archivalien für seine Ausgabe. Wir haben diese Einsicht und Nutzung nicht gewährt, weil wir uns die Verwendung der Archivalien für unsere eigenen textkritischen Editionspläne vorbehalten wollten.“

David Marc Hoffmann: DAS GOETHEANUM Nr. 50 · 11. Dezember 2015, S. 7

Das «genetisch-morphologische» Editionskonzept der SKA

Rudolf Steiner hatte selbst einen textkritischen Vergleich der aufeinanderfolgenden Auflagen seiner Schriften angeregt, wodurch sein beständiges Ringen um eine klar verständliche und auch anerkannten äußeren wissenschaftlichen Anforderungen genügende Darstellung geistiger Erkenntnisse deutlich werden könne. So schreibt er etwa bezüglich der Ausführungen über die «wiederholten Erdenleben» in seiner «Theosophie»:

„Und wer sich die Mühe nehmen wollte, nachzusehen, wie ich in aufeinanderfolgenden Auflagen meiner «Theosophie» das Kapitel über die wiederholten Erdenleben immer wieder umgearbeitet habe, gerade um dessen Wahrheiten an die Ideen heranzuführen, die von der Beobachtung in der Sinneswelt genommen sind, der wird finden, wie ich bemüht war, der anerkannten Wissenschaftsmethode gerecht zu werden.“

Rudolf Steiner: Mein Lebensgang (Lit.: GA 28, S. 434)

Christian Clement hat sich als Herausgeber dieser Mühe unterzogen. In der Einleitung und in den Kommentaren der textkritischen Ausgabe versucht er dem Werden und der Wandlung von Steiners Werk durch die von ihm so genannte «genetisch-morphologische» Methode gerecht zu werden. Er wirft dadurch zugleich ein erhellendes Licht auf die ungebrochene Kontinuität in der Entwicklung von Steiners Denken und dessen organischem Zusammenhang mit der abendländischen Geistesgeschichte.

„«Genetisch» ist unsere Herangehensweise, weil sie die steinerschen Denkformen in ihrem Werden betrachtet, von jenen Texten, die Steiner anregten, zur Erstausgabe, durch die verschiedenen Neuauflagen und unterschiedlichen Werkstufen bis hin zur Rezeptionsgeschichte. «Morphologisch» ist sie, insofern die einzelnen Gedankengestaltungen wie auch das Gesamtwerk in besonderer Weise unter dem Gesichtspunkt der gedanklichen Formbildung und -Verwandlung betrachtet werden. Der Herausgeber bemüht sich generell, sowenig wie möglich deutend und bewertend einzugreifen und sieht seine zentrale Funktion darin, Quellen und Materialien bereitzustellen und auf Bezüge und Reibungen zwischen einzelnen Aussagen hinzuweisen, welche Licht auf Werden und Wesen der steinersehen Gedankenformen werfen können. Stets ist das Augenmerk darauf gerichtet, die verschiedenen Inhalte einer Schrift in den Kontext der Gesamtschrift zu stellen, die Schriften selbst in den Kontext ihrer Textentwicklung, die Textentwicklung der Einzelschrift in den Kontext der Genese des Gesamtwerks und dieses in den Zusammenhang der allgemeinen abendländischen Geistesgeschichte. Ähnlichkeiten und Bezüge, aber auch Wandlungen, Reibungen und Widersprüche werden nicht bewertet, sondern lediglich konstatiert und von verschiedenen Seiten beleuchtet, um die Deutung und Bewertung dem Leser zu überlassen. Nur da greift der Herausgeber selbst interpretierend ein, wo er selbst Bezüge, Spannungen oder Eigentümlichkeiten bemerkt, die dem mit dem Gesamtwerk weniger vertrauten Leser vielleicht nicht auf den ersten Blick ins Auge springen bzw. in der bisherigen Forschung weniger gesehen worden sind.“

Christian Clement: Die bewusstseinsphilosophische Grundlegung der Anthroposophie: Rudolf Steiners Schriften zur «Mystik» und zum «Christentum» in textkritischer Beleuchtung

Clements Betrachtungsweise entspricht jenem „mitfühlenden Empirismus“ (eng. sympathetic empiricism), wie ihn Arthur Versluis (* 1959) von der Michigan State University, der sich intensiv mit Esoterikforschung auf wissenschaftlichem Niveau beschäftigt, vorgeschlagen hat und eine mitfühlende Insider-Perspektive (emisch) mit der neutralen objektiven Außenperspektive (etisch) vereinigt.

Die "Kritische Ausgabe" im Überblick

BAND 1 - Schriften zur Goethe-Deutung
Einleitungen zu Goethes naturwissenschaftlichen Schriften (1884–1897), Grundlinien einer Erkenntnistheorie der goetheschen Weltanschauung (1886). (2021)
ISBN 978 3 7728 2631 3.

BAND 2 - Philosophische Schriften
Wahrheit und Wissenschaft (1892), Die Philosophie der Freiheit (1894). (2015)
ISBN 978 3 7728 2632 0.
Leseprobe

BAND 3 - Intellektuelle Biographien
Friedrich Nietzsche (1895), Goethes Weltanschauung (1897). (2019)
ISBN 978 3 7728 2633 7.

BAND 4 - Schriften zur Geschichte der Philosophie
Welt- und Lebensanschauungen im 19. Jahrhundert (1900/01), Die Rätsel der Philosophie (1914). 2 Bände. (2020)
ISBN 978 3 7728 2634 4.

BAND 5 - Schriften über Mystik, Mysterienwesen und Religionsgeschichte
Die Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens (1901), Das Christentum als mystische Tatsache (1902). (2013)
ISBN 978 3 7728 2635 1.
Leseprobe Steiners mystisches Grundpostulat und der Gott der Religionen - Auszug aus der Einleitung zu Band 5, in: INFO 3 (Oktober 2013) S. 58-60
www.libreka.de/9783772826351 Vorwort und Einleitung zu SKA 5 online bei libreka!

BAND 6 - Schriften zur Anthropologie
Theosophie (1904), Anthroposophie. Ein Fragment (1910). (2016)
ISBN 978 3 7728 2636 8.
Leseprobe - Vorwort zu Band 6 von Egil Asprem

BAND 7 - Schriften zur Erkenntnisschulung
Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten (1904–1905), Die Stufen der höheren Erkenntnis (1905–1908). (2014)
ISBN 978 3 7728 2637 5.
Schulungsweg und Psychotherapie - Grundzüge einer anthroposophisch orientierten Psychologie - Vorabdruck eines Auszugs aus der Einleitung zu SKA 7, in: INFO 3 (Juni 2014) S. 38-41

BAND 8 - Schriften zur Anthropogenese und Kosmogenese
Aus der Akasha-Chronik (1904–1908), Die Geheimwissenschaft im Umriss (1910). 2 Bände (Dezember 2017).
ISBN 978 3 7728 2638 2.

Zustimmung und Kritik

Die kritische Ausgabe hat mittlerweile viel Zustimmung, aber auch leidenschaftliche Kritik hervorgerufen.

„Eine Sorge der Kritiker besteht darin, dass mit der Akademisierung anthroposophischer Gedankeninhalte eine Verflachung und Sterilisierung derselben bewirkt werden könnte. Denn die begriffsrealistisch gebildeten Inhalte werden in die Form eines nominalistischen Wissenschaftsverständnisses gebracht. Eine nominalistische Auffassung würde aber nur dann zum Problem, wenn sie einseitig ihr Wissenschaftsverständnis als einzig legitime Form der Auseinandersetzung verstehen wollte. Aber auch der Realismus, der von anthroposophischer Seite angestrebt wird, ist nur dann wahrhaft, wenn die Gedankeninhalte tatsächlich real in der Aktualität des Denkens erlebt werden. In dem Moment, wo sie zur bloßen Form gerinnen, droht die Ausbildung eines dogmatischen Gedankengebäudes, mit dem die Welt belehrt werden soll. Die Rettung für beide Gefahren ist, die Sache immer wieder neu in Fluss zu bringen. Dafür bedarf es der engagierten Debatte.“

Christoph Hueck / Stephan Eisenhut: die Drei 11/2015, S. 29f

„Das Erscheinen einer ersten kritischen Ausgabe von Werken Rudolf Steiners in einem nicht anthroposophisch orientierten, bekannten Wissenschaftsverlag und die Vielfalt der Reaktionen darauf in der anthroposophischen Gesprächslandschaft beleuchten symptomatisch, wie gegenwärtig eine neue Phase des Umgangs mit Leben und Werk des Begründers der Anthroposophie in Gang kommt.“

Johannes Kiersch: Das Goetheanum Nr. 41 - 12. Oktober 2013

„Clement mag mit seinen Deutungen und Ansätzen für gewisse Interpreten bisweilen am Ziel vorbei oder über das Ziel hinausschießen, aber seine Herangehensweise ist offen und undogmatisch und – was viel wichtiger ist – seine editionsphilologische Dokumentation der Werkentwicklung ist eine zuverlässige zukünftige Forschungsgrundlage.“

David Marc Hoffmann: Eine zuverlässige Forschungsgrundlage in die Drei 10/2013

„Mit der neuen „SKA“, der ersten wissenschaftlichen Gesamtausgabe Steiners, wird sein Werk künftig stärker Zutritt auch in die akademische Welt erhalten – verlegt im gleichen Haus, das auch Ausgaben von Böhme, Kant, Fichte, Schelling, Hegel und anderen herausgibt. Wer immer den jetzt erschienenen ersten Band künftig in Universitätsbibliotheken oder in Forschungszusammenhängen in die Hand nimmt, wird darin nicht nur eine akribisch recherchierte, sondern auch eine äußerst verständnisvoll geschriebene Einführung in die Anthroposophie vorfinden. Ein Glücksfall.“

Jens Heisterkamp: info 3 August 2013

„Dass die Publikation der »Kritischen Ausgabe« in den Reihen derer, die sich als die legitimen Erben des esoterischen Charismas betrachten, für hysterische Reaktionen sorgt, war zu erwarten. Denn sie haben einen nicht geringen Teil ihres Sendungsbewusstseins aus dem Anspruch geschöpft, das Deutungsmonopol über die »Geisteswissenschaft« zu besitzen. Indem die Akademie ihnen dieses Monopol entwindet, stellt sie zugleich ihre bisherige soziale Funktion in Frage. Rudolf Steiners Werk ist noch heute Dynamit. Es vermag jegliche Art von dogmatischen Bastionen zu sprengen, hüben wie drüben.“

Lorenzo Ravagli: Dynamit, das dogmatische Bastionen sprengt, November 2013

„Der Herausgeber ist im hiesigen akademischen Betrieb indessen so gut wie unbekannt. Er heißt Christian Clement, war einmal Lehrer an einer Waldorfschule in Würzburg und arbeitet heute als Assistenzprofessor für Germanistik an der Brigham Young University in Utah, einer konfessionellen Einrichtung, die der Kirche der Mormonen gehört. Ein Außenseiter also hat die Aufgabe übernommen, die Schriften einer der bekanntesten Figuren der deutschsprachigen Kultur im frühen zwanzigsten Jahrhundert zu edieren. Das spricht nicht gegen ihn, sondern gegen eine Wissenschaft, die meint, sich ihre Gegenstände weniger nach Sachlage denn nach Interesse oder Sympathie aussuchen zu dürfen.“

Thomas Steinfeld: Wie fotografiert man den Allgeist? in Süddeutsche Zeitung, 10.1.2014

„Clement spricht von der originalen Leistung Steiners gegenüber der theosophischen Tradition, etwa wenn Steiner ein Konzept der Charakterschulung entwickelt, die direkt auf die Entwicklung konkreter «höherer» Erkenntnisorgane Einfluss haben soll. Und er verliert nie den «ganzen» Steiner aus seinem Blick, sondern trägt auch dem frühen philosophischen Schaffen Rechnung. So bemerkt er beispielsweise, dass Steiner die Antworten auf seine Fragen «nicht in einem ausserhalb der menschlichen Erfahrung hypostasierten Jenseits, sondern in den halb- und unbewussten Schichten der menschlichen Psyche» gesucht habe.
Steiner wandelte sich also, gemäss Clement, nicht plötzlich vom Philosophen zum okkultistischen Metaphysiker, sondern er hat seinen monistischen Ansatz der Frühzeit beibehalten und den Immanenz-Gedanken auf die Erforschung innermenschlicher Dimensionen angewandt.“

David Marc Hoffmann: Die Freiheit des Erkenntniswegs in Neue Züricher Zeitung, 11.3.2015 [1]

„Bis in den anthroposophischen Bereich hinein wird immer wieder darzustellen versucht, es habe einen Wechsel in der Biographie von Rudolf Steiner gegeben [...] Auch gegnerische Schriften wollen einen oder mehrere Brüche immer wieder gern ausmachen.

Rudolf Steiner selber pochte auf eine Kontinuität seines Lebensweges. Und eben das wird in den Erläuterungen zum genannten Band 5 der Kritischen Ausgabe herausgearbeitet [...]

Christian Clement weist immer wieder darauf hin, wie das, was Rudolf Steiner in seinen früheren Schriften anlegt, dann in späteren geisteswissenschaftlichen Ausführungen zur weiteren Entfaltung kommt.“

Anton Kimpfler: GEGENWART Nr.1/2014

Einige Kritiker sind dennoch der Meinung, dass die Kommentare des Herausgebers den Intentionen und dem Wesen von Steiners Werk nicht gerecht werden. So schreibt etwa Frank Linde zum Erscheinen von SKA 7:

„In der Einleitung zu seinem Werk vertritt Clement die Auffassung, dass die von Steiner geschilderten »imaginativen und inspirativen Phänomene, als solche, nichts als ›Halluzinationen, Visionen und Illusionen‹« seien. Der Erkenntnisweg der Anthroposophie führe nicht zur Wahrnehmung wirklicher geistiger Tatsachen und Wesen, die außerhalb des sich in der Meditation selbst erlebenden Ich existieren. Clement deutet das Wort Imagination offensichtlich anders als das, wofür es bei Steiner steht. So behauptet er, dass Steiner die »Chakren« als »imaginative Illustrationen« seelischer und geistiger Prozesse gefasst habe, und der »sogenannte Astralleib und Ätherleib« usw. für ihn »bloße Visualisierungen bzw. Imaginationen« seien, um seelische und geistige Phänomene durch »sinnliche Bilder« vorstellbar zu machen. Anthroposophie als Visualisierung und Illustration? – In der Konsequenz erweist sich nach Clement die »anthroposophische Esoterik« nur als »Verbildlichung philosophischer Konzeptionen«.“

Kritisch äußerte sich auch schon Thomas Meyer nach dem Erscheinen von SKA 5:

„Clement vertritt gegenüber den von ihm bisher herausgegebenen Schriften Rudolf Steiners (Die Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens und ihr Verhältnis zur modernen Weltanschauung und Das Christentum als mystische Tatsache und die Mysterien des Altertums) zwei Hauptthesen, die sich ebenso durch seine Einleitung, wie auch durch sämtliche Stellenkommentare gleich einer Konstante hindurch ziehen:

Zum ersten meint er nachweisen zu können, dass und wie Rudolf Steiner plagiierend und von anderen Autoren abschreibend seine beiden Bücher verfasst hat, und zum zweiten behauptet er, dass dieser im Grunde nicht die von ihm angegebenen Mystiker oder Philosophen behandelt habe, sondern sie lediglich dazu benutzte, um seine eigene «philosophische» Position darzustellen, die er allerdings auch zum großen Teil von anderen übernommen habe.

Damit zeichnet Clement das Bild eines Rudolf Steiner, der, um seine eigenen Ideen «an den Mann zu bringen» – deren Originalität allerdings fraglich sei – auf die damals gängige Literatur und Philosophie zurückgreift und aus dieser abschreibt. Stärker kann Rudolf Steiner und sein Werk nicht in Frage gestellt werden.“

Thomas Meyer: Der Europäer Jg. 18 / Nr. 1 / November 2013

„Doch was tun die meisten Mitglieder der AAG und viele Freunde der Anthroposophie heute? Sie lassen es zu, «dass Rudolf Steiner angegriffen wird, ohne es zu merken», um Marie Steiners Wort situationsgemäß abzuwandeln. Sie schlagen sogar Purzelbäume vor Begeisterung, fabulieren von «Nobilitierung» von Steiners Werk und dergleichen – offenbar in maßloser Eitelkeit darüber dankbar, dass die große Welt der «Wissenschaft» ihre bislang kleine Außenseiterwelt endlich einmal ernst zu nehmen scheint.“

Thomas Meyer: Der Europäer Jg. 18 / Nr. 4 / Februar 2014

In den vom Lochmann Verlag herausgegebenen Symptomatologischen Illustrationen heißt es:

„Clements Haltung gegenüber der Anthroposophie ist vergleichbar derjenigen von Helmut Zanders, auch wenn uns das Herr Hoffmann ausreden will. Beide stehen auf dem Standpunkt, dass Rudolf Steiner lediglich alte geheime Traditionen erforscht hat und nun neu aufleben lässt, „übersinnliche Forschung“ lediglich „eine Theorie“ sei.“

Willy Lochmann: Symptomatologische Illustrationen XVI. Jahrgang, Nummer 94 – August/September 2013

Kritisch äußert sich auch Pietro Archiati:

„Wissenschaftlich wäre es, wenn Clement seine stillschweigende Grundannahme thematisiert hätte – die Annahme, dass die ihm bekannte Erkenntnisart die einzig mögliche ist, dass es eine objektiv-wissenschaftliche Erkenntnis des Geistigen durch Weiterentwicklung des Denkens, wie sie Steiner für sich in Anspruch nimmt, nicht geben kann –, und dann versucht hätte, Steiners Anspruch auf Geisteswissenschaft als auf einem Irrtum oder einer Selbsttäuschung beruhend zu widerlegen. Unwissenschaftlich ist es aber, sich die eigene Grundannahme nicht zum Bewusstsein zu bringen, sie stillschweigend als unumstößliches Dogma gelten zu lassen und Steiners Geisteswissenschaft zu verkennen, indem man sie als Ergebnis der üblichen Vorstellungs- und Theoriebildung darstellt. Und wissenschaftsfeindlich ist: Das eigene Dogma als Machtspruch walten zu lassen, der jeden der Unwissenschaftlichkeit zeiht und wirkungsvoll ausgrenzt, der sich wie Steiner nicht fügt. So kann man mit akademischer Vollmacht versuchen, das Entstehen einer wissenschaftlichen Erkenntnis des Geistigen in der Menschheit zu verhindern.“

Pietro Archiati: Geisteswissenschaft im 3. Jahrtausend

Anderseits gibt es auch Stimmen, die Clements Editionskonzept als zu einseitig von der anthroposophischen Denkweise geprägt sehen.

„Schliesslich: Wie «anthroposophisch» ist Clements Einleitung? Der Herausgeber folgt nicht nur Steiners autobiografischer Leseanweisung, wonach die Theosophie eine bloss «gewisse äusserliche Verbindung» in seinem Leben gewesen sei, sondern auch Steinerschen Denkformen, die sich in typisch anthroposophischen Begriffen niederschlagen: etwa wenn er Steiners Texte mit Konzepten von «Mysterienweisheit» und «Erkenntniserlebnissen» deutet oder von der «bewusstseinsevolutiven Urgestalt» oder vom «sich darlebenden Wesenhaften» spricht. Natürlich ist es legitim, Steiner auch mit anthroposophischen Konzepten zu deuten – aber würde eine Aussenperspektive nicht doch helfen, Steiner besser in seinen geistesgeschichtlichen Kontexten zu begreifen? Dass Frommann-Holzboog die Plattform für eine sichtlich anthroposophisch eingefärbte Deutung der präsentierten Schriften bereitstellt, zeugt jedenfalls von beträchtlicher verlegerischer Liberalität.
All das schmälert die editorische Leistung nicht. Und auch die Einleitung hilft, trotz ihren weltanschaulichen Prämissen, Steiners Mystik-Schriften besser zu verstehen. Sie wirft allerdings, wie angedeutet, die Frage auf, ob die komplexen historischen Kontexte von Steiners Werken sich durch eine Kooperation mit der inzwischen ausgesprochen dichten wissenschaftlichen Forschung zur Religions- und Weltanschauungsgeschichte der Jahrzehnte um 1900 nicht besser erschliessen lassen.“

Helmut Zander: Zeitenwende - Auftakt einer kritischen Rudolf-Steiner-Ausgabe in NZZ, 26.11.2013

„... auch an problematischen Stellen ist, ganz anders als bei Zander, keine Absicht zu verspüren, Steiner in eine bestimmte Ecke zu stellen oder ihn gar zu disqualiizieren. Sein Ansatz ist vielmehr ein phänomenologischer. Er schreibt nicht als Anthroposoph, doch wird sein Anliegen, Steiner zu verstehen deutlich. Insofern laufen meines Erachtens auch die Vorwürfe seiner Kritiker ins Leere.“

Stephan Stockmar: Zur Auseinandersetzung um die kritische Steiner-Ausgabe von Christian Clement in die Drei 12/2013

Siehe auch

Literatur

  • Pietro Archiati: Geisteswissenschaft im 3. Jahrtausend. Anlässlich der Erscheinung von SKA Band 5, Rudolf Steiner Ausgaben, Bad Liebenzell 2013 [2] (Neuauflage unter dem Titel: Der Intellektualismus und die Anthroposophie. Eine Einführung in die Geisteswissenschaft Rudolf Steiners, Rudolf Steiner Ausgaben, Bad Liebenzell, 4. erweiterte Auflage 2014)
  • Rudolf Steiner: Mein Lebensgang, GA 28 (2000), ISBN 3-7274-0280-6 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Weblinks

Kritik