Liebe

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Die Liebe (von mhd. liep „Liebes, Gutes, Angenehmes, Wertes, Freude“), als das einander wechselseitig fördernde und anerkennende Streben zueinander, bis hin zu einer das eigene Sein transzendierenden bewussten, wissenden Teilnahme am Wesen des anderen, soll auf unserer Erde zur höchsten Entfaltung gebracht werden. Sie ist damit weit mehr als ein bloßes Gefühl gesteigerter Sympathie und Zuneigung. Liebe ist vielmehr die lebendig wirkende Kraft, die den Ätherleib zu dem von dem Christus durchkrafteten Lebensgeist (Buddhi) vergeistigt. Das ist das eigentliche Entwicklungsziel der Erd- und Menschheitsentwicklung. Die Erde soll dadurch künftig zum Kosmos der Liebe werden. In diesem Sinn gilt die Liebe als die höchste der drei von Paulus genannten christlichen Tugenden (1 Kor 13,13 LUT).

Die Gegenkraft zur Liebe ist der Hass, der auf Luzifers Einfluss zurückzuführen ist (Lit.: GA 162, S. 269). In der reinen Liebe walten nur mehr die astralen Sympathiekräfte und dadurch ist jeglicher Egoismus ausgeschlossen. Im Hass ist der Egoismus im höchsten Maß gesteigert; hier walten nur mehr die Antipathiekräfte.

Intuitives Denken und Liebe

Im intuitiven Denken, das sich bewusst in den innersten Kern eines anderen Wesens zu versetzen vermag, lebt die Kraft der Liebe auf rein geistige Art. In seiner «Philosophie der Freiheit» schreibt Rudolf Steiner.

„Keine andere menschliche Seelenbetätigung wird so leicht zu verkennen sein wie das Denken. Das Wollen, das Fühlen, sie erwarmen die Menschenseele auch noch im Nacherleben ihres Ursprungszustandes. Das Denken läßt nur allzuleicht in diesem Nacherleben kalt; es scheint das Seelenleben auszutrocknen. Doch dies ist eben nur der stark sich geltend machende Schatten seiner lichtdurchwobenen, warm in die Welterscheinungen untertauchenden Wirklichkeit. Dieses Untertauchen geschieht mit einer in der Denkbetätigung selbst dahinfließenden Kraft, welche Kraft der Liebe in geistiger Art ist. Man darf nicht einwendend sagen, wer so Liebe im tätigen Denken sieht, der verlegt ein Gefühl, die Liebe, in dasselbe. Denn dieser Einwand ist in Wahrheit eine Bestätigung des hier geltend Gemachten. Wer nämlich zum wesenhaften Denken sich hinwendet, der findet in demselben sowohl Gefühl wie Willen, die letztern auch in den Tiefen ihrer Wirklichkeit; wer von dem Denken sich ab- und nur dem «bloßen» Fühlen und Wollen zuwendet, der verliert aus diesen die wahre Wirklichkeit. Wer im Denken intuitiv erleben will, der wird auch dem gefühlsmäßigen und willensartigen Erleben gerecht; nicht aber kann gerecht sein gegen die intuitiv-denkerische Durchdringung des Daseins die Gefühlsmystik und die Willensmetaphysik. Die letztern werden nur allzuleicht zu dem Urteil kommen, daß sie im Wirklichen stehen; der intuitiv Denkende aber gefühllos und wirklichkeitsfremd in «abstrakten Gedanken» ein schattenhaftes, kaltes Weltbild formt.“ (Lit.:GA 4, S. 143f)

Die Liebe als Abglanz des vorirdischen Daseins

„Was wir im vorirdischen Dasein im Zusammentun mit den Wesen der höheren Hierarchien erleben, läßt für unser Erdenleben gewissermaßen in uns eine Erbschaft zurück, einen schwachen Schatten dieses Zusammenlebens mit den Wesen der höheren Hierarchien. Hätten wir zwischen dem Tode und einer neuen Geburt dieses Zusammenleben mit den Wesen der höheren Hierarchien nicht, wir könnten hier auf der Erde nicht die Kraft der Liebe entfalten. Denn das, was wir hier auf der Erde als die Kraft der Liebe entfalten, ist allerdings nur ein schwacher Abglanz, ein Schatten des Zusammenlebens mit den Geistwesen der höheren Hierarchien zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, aber es ist doch eben ein Abglanz, ein Schatten von diesem Zusammenleben. Daß wir hier auf Erden Menschenliebe entfalten können, daß wir hier auf Erden Verständnis entfalten können für einen andern Menschen, rührt davon her, daß wir zwischen dem Tode und einer neuen Geburt in der Lage sind, mit den Wesen der höheren Hierarchien zu leben. Und man kann durch geisteswissenschaftliches Anschauen wohl sehen, wie diejenigen Menschen, die sich in früheren Erdenleben nur eine geringe Gabe erworben haben – wir werden gleich nachher darauf zu sprechen kommen, wie man sich diese Gabe erwirbt –, um nach dem Tode in der geeigneten Zeit mit den Wesen der höheren Hierarchien richtig zusammenzuleben, ganz hingegeben in gewissen Zuständen an diese Wesen der höheren Hierarchien, wie diese Menschen hier auf der Erde nur eine geringe Kraft der Liebe entfalten, namentlich der allgemeinen Menschenliebe, die sich ausdrückt im Verständnis der andern Menschen.

Unter den Göttern eignen wir uns im vorirdischen Dasein die Gabe an, hinzusehen auf den andern Menschen, aufzumerken, wie er fühlt, wie er denkt, aufzufassen mit innerem Anteil das, was er ist. Und hätten wir nicht – man kann es so nennen – den geschilderten Umgang mit den Göttern, wir würden auf der Erde niemals jenes Hineinschauen in den andern Menschen entfalten können, das allein im Grunde genommen das irdische Leben möglich macht. Sie müssen sogar, wenn ich in diesem Zusammenhange von Liebe und namentlich allgemeiner Menschenliebe spreche, an die Liebe in dieser konkreten Bedeutung denken, wie ich sie eben geschildert habe: in der Bedeutung eines wirklich innigen Verständnisses des andern Menschen. Und wenn man zu der allgemeinen Menschenliebe dieses Verständnis des andern Menschen nimmt, dann hat man zu gleicher Zeit mit dem gegeben alles das, was menschliche Moralität ist. Denn die irdische menschliche Moralität beruht, wenn sie sich nicht in bloßen Phrasen oder schönen Redereien bewegt oder in Vorsätzen, die nicht ausgeführt werden oder dergleichen, auf dem Interesse, das der eine Mensch am andern nimmt, auf der Möglichkeit, in den andern Menschen hinüberzuschauen.

Derjenige Mensch, der Menschenverständnis hat, wird aus diesem Menschenverständnis eben die sozial-moralischen Antriebe empfangen. So daß man auch sagen kann, alles moralische Leben innerhalb des Erdendaseins hat der Mensch errungen im vorirdischen Dasein, so errungen, daß ihm von dem Zusammenleben mit den Göttern der Drang bleibt, ein solches Zusammenleben wenigstens in der Seele auch auf Erden auszugestalten. Und dieses Ausgestalten eines solchen Zusammenlebens, so daß der eine Mensch mit dem andern die Erdenaufgaben, die Erdenmission vollbringt, das führt allein in Wirklichkeit zu dem moralischen Leben auf der Erde. Wir sehen also, daß Liebe und die Wirkung der Liebe, die Moralität, durchaus eine Folge, eine Konsequenz desjenigen sind, was der Mensch im vorirdischen Dasein geistig durchgemacht hat.“ (Lit.: GA 219, S. 61ff)

Die drei Stufen der Liebe bei Platon

Platon hat dargestellt, wie sich die Liebe über drei Stufen, in denen sich die seelischen Wesensglieder des Menschen widerspiegeln, bis hin zu ihrer höchsten Form steigert:

Im modernen Sprachgebrauch bedeutet der Ausdruck „platonische Liebe“ verkürzend, dass die Liebenden nur durch ihr wechselseitiges geistig-seelisches Interesse, aber nicht durch ein sexuelles Begehren miteinander verbunden sind.

Glaube, Liebe, Hoffnung

Glaube, Liebe und Hoffnung sind die drei christlichen Tugenden, von denen Paulus im Hohelied der Liebe sagt:

„1 Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. 2 Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts. 3 Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib verbrennen und hätte die Liebe nicht, so wäre mir's nichts nütze. 4 Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, 5 sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, 6 sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; 7 sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles. 8 Die Liebe hört niemals auf, wo doch das prophetische Reden aufhören wird und das Zungenreden aufhören wird und die Erkenntnis aufhören wird. 9 Denn unser Wissen ist Stückwerk und unser prophetisches Reden ist Stückwerk. 10 Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören. 11 Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind; als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war. 12 Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin. 13 Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“

Paulus von Tarsus: (1 Kor 13,13 LUT)

Liebe und Ätherleib

Die Liebe ist die eigentliche Tugend des Ätherleibs. Der Ätherleib ist zugleich der Liebeleib.

„Liebe ist nicht nur etwas, was die Menschen durch entsprechende Bande zusammenhält, sondern etwas, was auch der einzelne Mensch braucht. Der Mensch, der keine Liebekraft entwickeln kann, verödet und verdorrt auch in seinem Wesen. Man stelle sich nur einen Menschen vor, der nun wirklich so voll von Egoismus ist, daß er nicht lieben kann. Es ist im Grunde genommen – wenn es solche Menschen auch nur bis zu einem gewissen Grade gibt, und sie also doch gesehen werden können – recht traurig, solche Gestalten zu sehen, die nicht lieben können, die ihr Leben in irgendeiner Inkarnation zubringen ohne jene lebendige Wärme in sich zu erzeugen, die nur dann erzeugt wird, wenn wir nur irgend etwas, dieses oder jenes in der Welt, lieben können. Gestalten, die das nicht können, in ihrer Dürre und Trockenheit durch die Welt schreiten zu sehen, haben etwas recht Trauriges; denn die Liebekraft ist eine Lebenskraft, die etwas, was noch tiefer in unserem Wesen ruht, entfacht und wach und lebendig erhält, eine noch tiefere Kraft als selbst der Glaube.

Und so wie wir eingebettet sind in einen Glaubensleib, den wir auch von anderen Gesichtspunkten aus den Astralleib nennen, so sind wir eingebettet in einen Liebeleib, den wir von anderen Gesichtspunkten aus in der Geisteswissenschaft benennen gelernt haben den ätherischen oder Lebensleib. Denn die Kräfte, die zunächst aus den Tiefen unseres Wesens heraufwirken zu uns aus unserem Ätherleib, sind die Kräfte, die sich dadurch ausdrücken, daß der Mensch lieben kann, lieben auf allen Stufen seines Daseins. Wenn der Mensch ganz und gar die Liebekraft aus seinem Wesen entfernen könnte – das kann selbst nämlich der egoistischste Mensch nicht, denn es gehört, Gott sei Dank, zu dem, was der Mensch egoistisch erstreben kann, auch das, daß er etwas lieben kann; sagen wir, um ein naheliegendes Beispiel zu gebrauchen, wenn derjenige, der nichts anderes mehr lieben kann, oftmals noch anfängt, wenn er recht geizig wird, das Geld zu lieben und sich so eine wohltätige Liebekraft doch wenigstens noch ersetzt durch eine aus dem gründlichen Egoismus herauskommende Liebekraft – so würde diese Hülle, welche von den Liebekräften unterhalten wird, wenn gar nichts von Liebe in dem Menschen wäre, ganz zusammenschrumpfen und der Mensch würde tatsächlich an Liebeleerheit sterben müssen. Wirklich physisch sterben würde der Mensch an Liebeleerheit. Das Zusammenschrumpfen der Liebekräfte ist dasselbe, was wir nennen können das Zusammenschrumpfen der Kräfte des Ätherleibes, denn der Ätherleib ist zugleich der Liebeleib.“ (Lit.: GA 130, S. 174f)

Licht ist Liebe

„Erinnern wir uns nun, daß der Mensch auf der alten Sonne den Ätherkörper in der Anlage bekommen hat, daß dieses Feurige, Lichtvolle, Glänzende der Sonne Anlage ist des Ätherleibes. Darin ist nur eine andere Seite der Liebe gegeben, das, was die Liebe im Geiste ist: Licht ist Liebe. Im Ätherkörper ist uns also die Liebe und die Liebessehnsucht gegeben, und wir können den Ätherkörper mit Fug und Recht nennen den Liebesleib: Licht und Liebe.“ (Lit.: GA 127, S. 187)

Liebe und Egoismus

„Eine zweite Grundkraft ist die Liebe. Niemandem fehlt sie, immer ist sie da, sie kann nicht ausgerottet werden. Wer glauben würde, daß der größte Hasser, der größte Egoist keine Liebe habe, ist im Irrtum. Das zu denken ist durchaus falsch. Die Liebessehnsucht ist immer und immer hier vorhanden. Mag es sich um Geschlechtsliebe handeln oder um Liebe zum Kinde, oder zum Freunde, oder um Liebe zu irgend etwas, zu einem Werke, immer ist sie da. Sie kann nicht aus der Seele herausgerissen werden, weil sie eine Grundkraft der Seele ist. Aber so wie der Mensch die Luft zum Atmen braucht, so braucht er das Liebeswerk, die Liebebetätigung für seine Seele. Ihr Gegner, ihre Behinderung, ist der Egoismus. Was tut aber der Egoismus? Er läßt die Liebe nicht hinauswirken, er preßt sie in die Seele hinein, immer und immer. Und wie beim Atmen die Luft ausströmen muß, damit der Mensch nicht ersticke, so muß die Liebe ausströmen, damit die Seele nicht ersticke an dem, was gewaltsam in sie hineingepreßt wird. Besser gesagt: die Seele verbrennt an dem eigenen Liebesfeuer in sich selbst und geht zugrunde.“ (Lit.: GA 127, S. 187)

Liebe und Weisheit

Liebe muss mit Weisheit gepaart sein, wenn sie heilsam sein soll.

„Es ist ein wahres Wort: die Liebe ist das höchste Gut. Aber sie kann auch die unheilvollsten Folgen haben. Im alltäglichen Leben sieht man das, und ich erzähle hier ein Beispiel, das erlebt ist. Eine Mutter hat ihr Töchterchen sehr geliebt, und aus Liebe hat sie ihm alles hingehen lassen, was es auch getan hat. Sie hat es nie bestraft, hat ihm jede Laune erfüllt. Eine Giftmischerin ist das Töchterchen geworden, und aus Liebe ist es dies geworden. Liebe muß mit Weisheit gepaart sein, sie muß eine erleuchtete Liebe werden, dann erst kann sie wahrhaft gut wirken. Die theosophische Lehre ist berufen, ihr diese Weisheit zu bringen, ihr diese Erleuchtung zu geben. Und wenn der Mensch in sich aufgenommen hat, was über die Weltentwickelung, über dieses scheinbar so weit, so ferne Liegende gesagt und gelehrt wird, was über den Zusammenhang des Menschen mit dem Makrokosmos mitgeteilt wird, dann wird der Mensch so werden, daß seine erleuchtete Liebe sich dem Nebenmenschen gegenüberstellen wird, um in ihn hineinzusehen, ihn verstehen zu können, und so zur erleuchteten Menschenliebe zu werden.“ (Lit.: GA 127, S. 187)

Liebe und Entwicklung

Heinz Grill sieht einen Zusammenhang zwischen dem im menschlichen Wesen vorhandenen Drängen nach Entwicklung und der Liebe. Er kommt zu der Aussage, dass Liebe und Entwicklung „unmittelbarste Schöpferkraft“ sei, die man „tatsächlich mit dem Geiste selbst“ benennen müsse:[1]

„Die innerste Sehnsucht des menschlichen Wesens liegt in dem unausweichlichen und zunächst einmal unerklärlichen Drängen nach Entwicklung. Die Kraft, die diesem natürlichen und gegebenen Entwicklungswunsch zugrunde liegt, ist gerade diejenige, die meist mit dem Begriff Liebe eine sehr allgemeine Benennung findet.

Bevor aber dieser Begriff der Liebe noch genauer erklärt werden kann oder sorgfältiger in eine Annäherung geführt wird, sollte der allgemeine Begriff Entwicklung ebenfalls eine Benennung erhalten. Was ist oder kann der Begriff Entwicklung darstellen? Im Allgemeinen würde man ihn allegorisch deuten und über ihn aussagen, dass er ein verworrenes oder zu komplexes Gebilde in seinen Strukturen auseinander zu dividieren vermag und es schließlich dem Erkennen zugänglich macht. Jede Entwicklung, die man im Menschen benennt, sei es eine seelisch-geistige Entwicklung oder nur eine Entwicklung des Kindes im Sinne von Wachstum und allgemeinen Lernschritten, beruht auf dem Einwirken von seelischen und geistigen Kräften. Es könnte sich wohl kein Kind entfalten, wenn es keine reale Dimension einer geistigen Wirklichkeit geben würde. Alle Entwicklung, die im menschlichen Dasein stattfindet, deutet deshalb auf das Vorhandensein eines realen seelischen und geistigen Lebens. Wäre das menschliche Dasein bereits vollkommen oder würde es den instinktiven Impulsen gleich einem tierischen Organismus unterliegen, so könnte es sich nicht zu Künsten, Kulturen, Wissenschaften, Erfindungen, erlebbaren Erfahrungen und schließlich im Allgemeinen nicht zu einem Fortschritt entfalten. Die verborgene Einwirkung von unsichtbaren, jedoch real denkbaren und heute so schwer annehmbaren Geistesdimensionen trägt das Leben in eine tatsächlich vorhandene Entwicklung.

Von dieser Entwicklung, die existiert und von der so viele Ausdrucksgebungen, Stufen und Einschätzungen bestehen, gibt es noch keine exakte und definierte Wissenschaft. Lediglich existiert die Erfahrung, dass diese Entwicklung scheinbar auch mit einer Liebe zum Leben eine offensichtliche und erfahrbare Seinsexistenz in der menschlichen Natur einnimmt. Alle Entwicklung motiviert sich aus dieser Kraftquelle des Geistes und offenbart sich im Menschen durch ein mehr oder weniger deutliches Gefühl der Liebe und nimmt die verschiedensten individuellen Ausdrucksformen an. Diese Kraft, die einen Quellgrund des Lebens darstellt, kann wohl mit Sicherheit nicht zum menschlichen Anspruch oder gar zur autoritativen Bestimmung genommen werden. Die Liebe und Entwicklung ist ein Schöpferteil und bei genauer Betrachtung sogar die unmittelbarste Schöpferkraft, die man tatsächlich mit dem Geiste selbst benennen muss.“

Liebe und Ich

Die Liebe kann nur in einem Wesen walten, das über ein eigenständiges Ich verfügt. Das Ich und die damit verbundene Liebefähigkeit ist eine ursprüngliche Gabe der Elohim, der eigentlichen Schöpfergötter unserer Erde; zu ihrer vollen Höhe kann sie aber nur durch die freie Tat des Menschen heranreifen. Wirkliche Liebe ist ohne Freiheit nicht möglich. Erst durch die Freiheit wird das eigentliche Wesen der Liebe geschaffen. Freiheit und Liebe sind zwei Pole, die untrennbar zusammengehören. Beide können aber nur dadurch errungen werden, dass dem Menschen die Möglichkeit gegeben wurde, auch dem Bösen zu verfallen.

Die Liebe ist die einzige der drei Gotteseigenschaften (Weisheit-Liebe-Kraft) die nicht von den Widersachermächten beherrscht werden kann. Weisheit allein kann einen egoistisch machen und in Luzifers Reich führen und die Kraft oder Macht kann missbraucht werden von Ahriman. Nur die Liebe ist in Christus geblieben, sie bringt einem nichts ein für kommende Erdenleben sondern ist immer ein Schulden bezahlen für Vergangenes.

Ein Sinnbild der Liebe

Um sich in das Wesen der Liebe meditativ zu versenken, gibt Rudolf Steiner folgendes Sinnbild: Man stelle sich zwei Gläser vor; das eine ist leer, das andere ist zur Hälfte mit Wasser gefüllt. Indem man nun Wasser aus diesem Glas in das leere Glas gießt, wird es nicht leerer, sondern es erfüllt sich selbst immer mehr mit Wasser, je mehr man aus ihm ausgießt. So ist auch die Liebe - je mehr man sich selbstlos verschenkt, desto reicher, desto erfüllter wird man innerlich. (Lit.: GA 136, S. 58ff)

Die Bedeutung der physischen Liebe

Auf dem alten Mond gab es drei Naturreiche:

  1. ein Pflanzenmineralreich, das höher stand als das heutige Mineralreich;
  2. ein Tierpflanzenreich von empfindenden Pflanzen;
  3. ein Reich von Menschentieren, die höher standen als das jetzige Tierreich und tiefer als das jetzige Menschenreich.

Mit dem Übergang zur Erdentwicklung spalteten sich diese Reiche jeweils in ein höheres und ein niederes Naturreich. Aus dem Pflanzenmineralreich gingen die Mineralien und die niederen Pflanzen hervor. Aus dem Tierpflanzenreich bildeten sich die höheren Pflanzen und die Tiere.

„Auch das Reich der Menschentiere hat sich gespalten in zwei Reiche, und zwar in die zwei Geschlechter.* Damit entstand bei den Menschen die physische Liebe, welche wieder das Band zwischen den beiden Geschlechtern bildete und andererseits die Möglichkeit zur Höherentwicklung, zur geistigen Erkenntnis. Dadurch, daß sich das Menschenreich spaltete und die physische Liebe entstand, konnten die Götter sich höher entwickeln auf Kosten der Menschen, da für die Götter die physische Liebe der Menschen ebenso Lebensluft war, wie für den Menschen und das Tier der Sauerstoff der Pflanzen, wie für die Pflanze das vom Mineralreich zurückgestrahlte Licht. Es wird in der griechischen Sage erzählt, daß die Götter von Nektar und Ambrosia leben. Das ist die männliche und weibliche Liebe der Menschen. Zu gleicher Zeit entwickelte sich in den Menschen das Herz, die Lungen und das warme Blut – vorher atmeten die Menschen durch Kiemen. Sie lebten in einer Atmosphäre, die man nicht durch Lungen hätte einatmen können. – Nun verwandelten sich die Atmungsorgane allmählich, um den Sauerstoff der Luft einatmen zu können.

Der Aufstieg und die Fortentwicklung besteht nun darin, daß die Menschen die physische Liebe überwinden. Die Trennung in die beiden Geschlechter war notwendig, damit sich im Menschen der Intellekt entwickeln konnte. Er wurde dadurch in eine niedere und eine höhere Natur gespalten. Nun muß aber das, was die beiden Geschlechter zusammen verbindet, auch wieder überwunden werden. Es ist eine Stufe des Aufstiegs, wenn der Mensch die Kräfte der physischen Liebe opfert und in höhere Kräfte umwandelt. Dadurch, daß er diese niederen Kräfte opfert, kann das Höhere in ihm zutage treten.“ (Lit.: GA 266a, S. 151f)[2]

Liebe und Sexualität

„Denn der menschliche Organismus ist gerade in der Zeit vom Zahnwechsel bis zur Geschlechtsreife eben als Organismus auch geneigt, sich zur Liebe hin zu entwickeln. Nun, man muß in unserem heutigen Zeitalter gerade die Tugend der Liebe im richtigen Lichte sehen. Denn der Materialismus hat allmählich tatsächlich die Liebe außerordentlich stark zu einer vereinseitigten Vorstellung gebracht. Und da dieser Materialismus vielfach die Liebe nur in der Geschlechtsliebe sehen will, so führt er alle anderen Liebesäußerungen eigentlich auf versteckte Geschlechtsliebe zurück. Und wir haben ja sogar in demjenigen, was ich vorgestern bezeichnete als Dilettantismus zum Quadrat – nicht bei allen, viele lehnen das ab –, aber wir haben bei vielen Psychoanalytikern geradezu eine Zurückführung von sehr vielen Lebenserscheinungen, die damit gar nichts zu tun haben, auf das sexuelle Element. Demgegenüber muß gerade der Lehrende und Erziehende sich etwas angeeignet haben von dem Universellen der Liebe. Denn nicht nur die Geschlechtsliebe bildet sich aus in dem Zeitalter vom Zahnwechsel bis zur Geschlechtsreife, sondern überhaupt das Lieben, das Lieben für alles. Die Geschlechtsliebe ist nur ein Teil der Liebe, die sich heranbildet in diesem Lebensalter. Man kann in diesem Lebensalter sehen, wie sich die Naturliebe heranbildet, wie sich die allgemeine Menschenliebe heranbildet, und man muß eben einen starken Eindruck davon haben, wie die Geschlechtsliebe nur ein Spezialkapitel ist in diesem allgemeinen Buche des Lebens, das von der Liebe redet. Wenn man das versteht, so wird man auch die Geschlechtsliebe erst in der richtigen Weise ins Leben hinein orientieren können. Heute ist im Grunde genommen gerade für viele Theoretiker die Geschlechtsliebe der Moloch geworden, der alle Liebespflanzen eigentlich nach und nach aufgefressen hat.

Die Liebe entwickelt sich in der Seele in anderer Weise als die Dankbarkeit. Die Dankbarkeit muß wachsen mit dem Menschen; daher muß sie eingepflanzt werden in jenem Lebensalter, wo die Wachstumskräfte am stärksten sind. Die Liebe, die muß erwachen. Es ist tatsächlich in der Entwickelung der Liebe etwas wie ein Vorgang des Erwachens. Die Liebe muß auch in ihrer Entwickelung in seelischeren Regionen gehalten werden. Dasjenige, in das der Mensch hineinwächst, indem er die Liebe in sich allmählich entwickelt, ist ein langsames, allmähliches Erwachen, bis zuletzt das letzte Stadium dieses Erwachens eintritt.“ (Lit.: GA 306, S. 119ff)

Liebe, Erotik, Sexualität

ansehen im RUDOLF STEINER VERLAG

„Alles, was geistig ist, hat selbstverständlich seine äußere sinnliche Form, denn es taucht der Geist unter in die Physis. Er verkörpert sich in der Physis. Vergißt er dann seiner selbst, wird er nur die Physis gewahr, dann glaubt er, daß dasjenige, was geisterregt ist, bloß durch die Physis erregt ist. In diesem Wahn lebt unsere Zeit. Sie kennt nicht die Liebe. Sie phantasiert nur von der Liebe, ja, lügt von der Liebe. Sie kennt in der Wirklichkeit nur die Erotik, wenn gedacht wird über die Liebe. Ich will nicht sagen, daß nicht der Einsame die Liebe erlebt, denn der Mensch verleugnet in seinem unbewußten Fühlen, in seinem unbewußten Wollen viel weniger den Geist als bei seinem Denken – wenn aber die gegenwärtige Zivilisation über die Liebe denkt, dann spricht sie nur das Wort Liebe, dann redet sie eigentlich von Erotik. Und man kann schon sagen: Gehe man die gegenwärtige Literatur durch, überall, wo zum Beispiel im Deutschen Liebe steht, sollte eigentlich das Wort Erotik gesetzt werden. Denn das ist es, was das in den Materialismus getauchte Denken allein kennt von der Liebe. Es ist die Verleugnung des Geistes, welche die Liebeskraft zur erotischen Kraft macht. Auf vielen Gebieten ist nicht nur an die Stelle des Genius der Liebe, ich möchte sagen, sein niederer Diener, die Erotik getreten, sondern an vielen Stellen ist nun auch das Gegenbild, der Dämon der Liebe getreten. Der Dämon der Liebe aber entsteht, wenn das, was sonst gottgewollt im Menschen wirkt, durch das menschliche Denken in Anspruch genommen wird, durch die Intellektualität abgerissen wird von der Geistigkeit.

So daß der absteigende Weg der ist: Man erkennt den Genius der Liebe, man hat die durchgeistigte Liebe. Man erkennt den niederen Diener, die Erotik. Man fällt aber in den Dämon der Liebe. Und der Genius der Liebe hat seinen Dämon in dem Interpretieren, nicht in der wirklichen Gestalt, aber in dem Interpretieren der Sexualität durch die heutige Zivilisation. Wie wird heute schon nicht nur von der Erotik gesprochen, wenn man an die Liebe herankommen will, sondern nurmehr von der Sexualität!

In diesem Reden der Zivilisation über die Sexualität ist, man kann schon sagen, vieles von dem eingeschlossen, was als sogenannter Unterricht über die Sexualität heute angestrebt wird. In diesem heutigen intellektualisierten Reden über die Sexualität lebt die Dämonologie der Liebe. Wie auf einer anderen Stufe der Genius, dem das Zeitalter folgen soll, in seinem Dämon erscheint, weil der Dämon ja eintritt, wo man den Genius verleugnet, so ist es auch auf diesem Gebiete, wo das Geistige in seiner intimsten Form, in der Liebeform, erscheinen soll. Unser Zeitalter betet oft statt zu dem Genius der Liebe zu dem Dämon der Liebe und verwechselt dasjenige, was Geistigkeit der Liebe ist, mit der Dämonologie der Liebe in der Sexualität.

Gerade auf diesem Gebiete können natürlich die vollständigsten Mißverständnisse entstehen. Denn was in der Sexualität ursprünglich lebt, ist durchdrungen von der geistigen Liebe. Aber die Menschheit kann herunterfallen von dieser Durchgeistigung der Liebe. Und sie fällt am leichtesten herunter in dem intellektualistischen Zeitalter. Denn wenn der Intellekt diejenige Form annimmt, von der ich gestern gesprochen habe, dann wird das Geistige der Liebe vergessen, dann wird nur ihr Äußeres in Betracht gezogen.

Es ist in des Menschen Macht, möchte ich sagen, daß er sein eigenes Wesen verleugnen kann. Er verleugnet es, wenn er von dem Genius der Liebe heruntersinkt zu dem Dämon der Sexualität – wobei ich eben durchaus die Art des Fühlens über diese Dinge verstehe, wie sie zumeist in der Gegenwart vorhanden ist.“ (Lit.:GA 225, S. 181ff)

Der Stellenwert der Liebe in den Religionen und für den Menschen im allgemeinen

Das Verständnis des Wesens der Liebe und das tätige Handeln aus Liebe hat große Bedeutung für die Respektierung von Menschen, für die das Gute, das Recht, die Ideale des irdischen guten Lebens, ganz unterschiedlich ausfallen mögen, als man es selbst subjektiv gutdünkt, (vgl. Toleranz).

Die Liebe ist ein gemeinsamer Nenner von allen Menschen, auch Ungläubigen, Materialisten usw.. In allen Konflikten, wo Menschen sich um Einigung bemühen, stiftet die Liebe Frieden. Die Liebe baut auch Brücken zwischen christlichen und anderen definiert nicht christlichen Religionen (auch Ideologien wie Marxismus usw.), weil nach christlichem Verständnis das Wirken der Liebe identisch ist mit dem Wirken Jesu Christi. Überall dort, wo die Liebe da ist, oder wo um sie gebeten wird, ist nach christlichem Verständnis die Gegenwart Christi da: „Klopfet an, so wird euch aufgetan.“

Die Liebe als Ätherleib des in der Menschheitsentwicklung fortwirkenden Christus-Impulses

Seit der Jordan-Taufe lebte der Christus in den Leibeshüllen des Jesus von Nazareth, also in dessen Astralleib, Ätherleib und physischem Leib. Mit dem Kreuzestod legte er diese Hüllen ab. Von da an bis zum Ende der Erdentwicklung bilden sich seine neuen Hüllen aus dem, was die Menschen an Erstaunen, an Liebe und Mitleid und als Gewissen entwickeln. Aus dem Staunen der Menschen wird der neue Astralleib des Christus gewoben, aus Liebe und Mitleid sein neuer Ätherleib und aus den Gewissenskräften entsteht sein neuer physischer Leib.

„Aus dem, was nur aus der Erde genommen werden kann. Was sich in der Menschheitsentwickelung, die mit dem Mysterium von Golgatha begonnen hat, auf der Erde auslebt seit dem vierten nachatlantischen Kulturzeitraum an Erstaunen oder Verwunderung über die Dinge, alles was in uns leben kann als Erstaunen und Verwunderung, das geht endlich an den Christus heran und bildet mit den Astralleib des Christus-Impulses. Und alles, was in den Menschenseelen Platz greift als Liebe und Mitleid, das bildet den ätherischen Leib des Christus-Impulses, und was als Gewissen in den Menschen lebt und sie beseelt, von dem Mysterium von Golgatha bis zum Erdenziele hin, das formt den physischen Leib oder das, was ihm entspricht, für den Christus-Impuls.“ (Lit.:GA 133, S. 113f)

Siehe auch

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Einzelnachweise

  1. Heinz Grill: Kosmos und Mensch. 4. vollkommen neu überarbeitete und erweiterte Auflage. Stephan Wunderlich Verlag, 2015, ISBN 978-3-9815855-6-8, S. 13 f.
  2. In zwei anderen, sonst gleichlautenden handschriftlichen Mitschriften heißt es:
    «Damit entstand bei den Menschen die physische Liebe. Dadurch konnte sich über das Reich der Menschen noch erheben das Reich der Götter. Diese leben von der physischen Liebe der Menschen, so wie Menschen und Tiere von dem Sauerstoff, den die Pflanzen ausströmen, und wie die Pflanzen von dem aus der Mineralwelt zurückgestrahlten Lichte. Es wird in der griechischen Sage erzählt, daß die Götter von Nektar und Ambrosia leben, das ist die männliche und weibliche Liebe der Menschen.
    Der Aufstieg des Menschen vollzieht sich zunächst durch die Überwindung der physischen Liebe; zweitens durch die Regelung des Atmungsprozesses, das Verzichtleisten auf das Leben der Pflanze, den Sauerstoff; drittens durch Entwicklung des Kundalinilichtes, das Zurückgeben des vom Mineralreich zurückgestrahlten Lichtes.»