Seelenleben

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Das Seelenleben, das sich als mehr oder weniger bewusstes Innenleben als eigenständige mentale Innenwelt in der Seele des heutigen Menschen entfaltet, gliedert sich in die drei grundlegende Seelenkräfte des Denkens, Fühlens und Wollens. Diese Dreigliederung des Seelenlebens wurde erstmals von Johannes Nikolaus Tetens (1736-1807) klar beschrieben, der eine „psychologische Analyse der Seele“ nach naturwissenschaftlicher Methode anstrebte.

Dreigliederung des Seelenlebens

Die Dreigliederung des Seelenlebens hat sich erst allmählich herausgebildet. Ursprünglich waren die drei Seelenkräfte sehr eng miteinander verbunden, aber sie haben sich im Zuge der Menschheitsentwicklung immer deutlicher voneinander differenziert und diese Entwicklung wird weitergehen, so dass Denken, Fühlen und Wollen künftig völlig unabhängig voneinander werden und nur durch die freie Tat des Ich zusammengehalten werden können. Erst dann wird das menschliche Ich die vollständige Herrschaft über das Seelenleben gewonnen haben. Durch entsprechende geistige Schulung wird etwas von dieser künftigen Entwicklung vorweggenommen.

Das hängt auch zusammen mit der Entwicklung der drei seelischen Wesensglieder des Menschen. In der Empfindungsseele sind Denken, Fühlen und Wollen noch sehr stark ineinander verwoben. In der Verstandes- oder Gemütsseele setzt sich das Wollen bereits deutlich ab, während Denken und Fühlen noch eng miteinander verbunden sind. Erst mit der Bewusstseinsseele beginnt die vollständige Trennung aller drei Seelenkräfte.

Dieser Dreigliederung des Seelenlebens muss heute im sozialen Leben durch eine entsprechende Dreigliederung des sozialen Organismus Rechnung getragen werden. Dem Denken entspricht dabei die Organisation des Wirtschaftsleben, dem Fühlen das Rechtsleben und dem freien schöpferischen Wollen das Geistesleben:

„In vieler Beziehung ist der ganze Lebensgang der Menschheitsentwickelung ähnlich dem Lebensgange des einzelnen Menschen. Nur verschoben sind die Dinge. Was der Mensch bewußt durchmacht, wenn er in der geistigen "Welt zum Schauen kommen will, das Überschreiten der Schwelle, das muß in diesem fünften nachatlantischen Zeitraum die ganze Menschheit unbewußt durchmachen. Sie hat darin keine Wahl, sie macht es unbewußt durch. Nicht der einzelne Mensch, sondern die Menschheit und der einzelne Mensch mit der Menschheit. Was heißt das?

Was im Menschen zusammenwirkt im Denken, Fühlen und Wollen, das nimmt in der Zukunft einen getrennten Charakter an, macht sich auf verschiedenen Feldern geltend. Wir sind eben dabei, daß die Menschheit ein bedeutungsvolles Tor unbewußt durchschreitet, was die Seherkraft sehr gut wahrnehmen kann. Die Menschheit macht dieses Überschreiten der Schwelle so durch, daß die Gebiete des Denkens, Fühlens und Wollens auseinandergehen. Das aber legt uns Verpflichtungen auf, die Verpflichtung, das äußere Leben so zu gestalten, daß der Mensch diesen Umschwung seines Inneren auch im äußeren Leben durchmachen kann. Indem das Denken im Leben der Menschheit selbständiger wird, müssen wir einen Boden begründen, auf dem das Denken zu gesunderer Auswirkung kommen kann, müssen weiter einen Boden schaffen, auf dem das Fühlen selbständig zur Ausbildung kommen kann, und auch einen Boden, auf dem das Wollen zur besonderen Ausbildung kommen kann. Was bisher chaotisch im öffentlichen Leben durcheinanderwirkte, müssen wir jetzt in drei Gebiete gliedern. Diese drei Gebiete im öffentlichen Leben sind: das Wirtschaftsleben, das staatliche oder Rechtsleben und das Kulturleben oder geistige Leben. Diese Forderung der Dreigliederung hängt mit dem Geheimnis der Menschheitswerdung in diesem Zeitalter zusammen.“ (Lit.:GA 193, S. 118)

Das Seelenleben der Toten

In anderem Sinn verwendet Rudolf Steiner gelegentlich die Bezeichnungen «Seelenleben» bzw. gleichbedeutend «Lebensseele» für das zweite der höheren Wesensglieder der Toten. Es bildet sich aus, nachdem sich zuvor schon die im vergangenen Erdenleben unbewusst gebliebenen Erlebnisse in reichen imaginativen Bildern in Form des sog. Seelenmenschen entrollt haben und nun durch Inspiration gleichsam „sprechend“ werden (Lit.:GA 181, S. 190f).

Die unterschiedlichen Bewusstseingrade von Denken, Fühlen und Wollen

Die mentale Innenwelt, so wie wir sie ohne geistige Schulung im Tagesbewusstsein erleben, hat keine eigenständige Realität, sondern ist nur ein durch den Leib bedingtes schattenhaftes Spiegelbild unserer eigentlichen Seelenlebens, d.h. unserer wirklichen seelischen und geistigen Tätigkeit.

„Und was ich mein Innenleben in obigem Sinne nenne, ist gar nicht, im höheren Sinne, mein Geist. Dieses Innenleben ist nur das Ergebnis rein sinnlicher Vorgänge, gehört mir nur als ganz individuelle Persönlichkeit an, die nichts ist als das Ergebnis ihrer physischen Organisation... Mein persönliches Seelenleben, meine Gedanken, Erinnerungen und Gefühle sind in mir, weil ich ein so und so organisiertes Naturwesen bin, mit einem ganz bestimmten Sinnesapparat, mit einem ganz bestimmten Nervensystem.“ (Lit.:GA 7, S. 44f)

Mit dem Tod löst sich dieses leibliche Spiegelbild schrittweise auf. Die Sinneswahrnehmung hört in dem Moment auf, in dem der physische Leib endgültig abgelegt wird. Für etwa 3½ Tage tritt dann die im Ätherleib lebende Erinnerung an das vergangene Erdenleben in Form des Lebenspanoramas hervor. Auch dieses verschwindet, wenn sich der Ätherleib bis auf einen kleinen Extrakt im allgemeinen Weltenäther auflöst. Im Kamaloka löst sich auch ein großer Teil des Astralleibs auf und damit auch alle sinnlichen Empfindungen und Begierden. Was zuletzt übrig bleibt, ist das in seinem Wesenskern, seinem Ich, beschlossene eigentliche Seelisch-Geistige des Menschen.

Tafel 1 aus GA 317.

Das wirkliche Seelenleben ist nicht jenes, das wir im Alltagsbewusstsein erleben, sondern vielmehr jenes, das mit der Inkarnation in den Körper herabgestiegen ist und dessen vererbte Anlage individuell bis in die einzelnen Organe so durchformt, dass der Organismus zu einem geeigneten Spiegelungsinstrument werden kann. Gelingt dies nicht, wie es bei einer Entwicklungsstörung der Fall ist, wird der leibliche Spiegel beeinträchtigt und liefert nur verzerrter Bilder. Primär treten dadurch Willensdefekte auf, die mit den nicht richtig ausgebildeten Organen zusammenhängen. Rudolf Steiner sagt dazu in seinem «Heilpädagogischen Kurs» (GA 317):

„Wenn also dieses Seelenleben so geartet ist, daß es eine kranke Leber konstituiert, wenn es die Lebersubstanz ergreift, oder vererbungsgemäß im physischen und Ätherleib Krankhaftes findet und daher eine Krankheitsempfindung entsteht, dann liegt eben eine Erkrankung vor. Ebenso kann jedes andere Organ oder jeder andere Organkomplex falsch eingeschaltet sein in dasjenige, was aus dem seelisch-geistigen Kosmos heruntersteigt. Und erst wenn nun diese Verbindung hier da ist, diese Verbindung zwischen dem, was heruntersteigt und dem, was vererbt ist, wenn dieses Seelisch-Körperliche sich gebildet hat, dann entsteht - mehr aber nur als Spiegelbild - dasjenige, was unser Seelenleben ist und was gewöhnlich beobachtet wird als Denken, Fühlen und Wollen (violett). Dieses Denken, Fühlen und Wollen ist überhaupt nur da wie Spiegelbilder, richtig wie Spiegelbilder, löscht aus, wenn wir einschlafen. Das eigentlich dauernde Seelenleben ist dahinter, steigt herunter, das geht durch die wiederholten Erdenleben und sitzt in der Organisation des Leibes darinnen.“ (Lit.:GA 317, S. 13f)

Die drei Seelenkräfte sind mit sehr unterschiedlichen Bewusstseinsgraden verbunden. Nur im Denken sind wir gegenwärtig vollständig wach und nur im Denken können wir daher gegenwärtig wirklich völlige Freiheit erringen, denn die freie Herrschaft des Ich ist an das Wachbewusstsein gebunden. Im Gefühlsleben träumen wir hingegen beständig und was unser eigentliches Wollen ausmacht, hat keinen helleren Bewusstseinsgrad als unser Tiefschlafbewusstsein. Schon im Träumen verliert das Ich erfahrungsgemäß weitgehend die Herrschaft über das Seelenleben und die eigentliche Willensfreiheit des Menschen ist heute entgegen einer weitverbreiteten Meinung erst sehr wenig ausgebildet. Tatsächlich ist der menschliche Wille heute nur insofern indirekt frei, als er sich durch das bewusste Denken bestimmen lässt. Dadurch schöpfen wir aber nur den aller geringsten Teil unseres Willenspotentials aus.

„So daß unser Bewußtsein stets ein dreifaches im Wachzustande ist: oben, auf der Oberfläche gleichsam, das wache Tagesbewußtsein, unten, im Unterbewußten, ein Unterstrom des fortdauernden Träumens, und tiefer ein Fortschlafen.

Und wir können auch angeben, in bezug auf was wir träumen, in bezug auf was wir schlafen! Wir träumen nämlich mit Bezug auf alles dasjenige, was nicht in Vorstellungen, in deutlich zu machenden Begriffen in unsere Seele herauftaucht, sondern was sich entlädt in uns als Gefühl. Die Gefühle steigen in uns nicht auf aus irgendeinem vollbewußten, wachbewußten Zustande, sie steigen auf aus einer Welt in uns, die nur geträumt wird. Es ist nicht richtig, wenn gemeint wird, wie manche Herbartschen Philosophen meinen, daß sich die Gefühle aus Zusammenwirkung von Vorstellungen ergeben. Nein, im Gegenteil, die Vorstellungen werden durchsetzt mit demjenigen, was aufsteigt aus einem tieferen Seelenleben, das in einem Fortträumen während des Wachzustandes besteht. Auch die Leidenschaften, die Affekte, steigen aus einem Leben des wachen Träumens, das nur übertönt wird von dem vollbewußten Seelenleben, herauf. Und unsere Willensimpulse, sie bleiben, ich möchte sagen, so rätselhaft in ihrem Hervorquellen aus dem Seelenleben, weil sie aus dem Seelengrunde heraufkommen, in dem wir auch im wachen Zustande schlafend sind.

So daß unsere vollbewußten Vorstellungen sich oben entwickeln im Wachbewußtsein, unsere Gefühle heraufschlagen wie Wogen aus einem unterbewußten Zustande, aus einem Traumes-Tagesleben, und die Willensimpulse gar heraufschlagen aus einem Schlafesleben.“ (Lit.:GA 73, S. 73)

Zusammenhang mit der Dreigliederung des Organismus

Die dreifaltige Struktur des menschlichen Seelenlebens spiegelt sich äußerlich wider in der Dreigliederung des menschlichen Organismus, indem das Nerven-Sinnessystem das physische Werkzeug des Denkens ist, das Fühlen sich auf das rhythmische System stützt und das Wollen auf das Stoffwechsel-Gliedmaßensystem gründet ist. Somit bildet nicht nur das Nervensystem, sondern der gesamte differenzierte Organismus die Grundlage für das Seelenleben, zu dem auch u.a. Fähigkeiten wie Phantasie, Vorstellungsvermögen und Gedächtnis zählen.

„Nur die Vorstellungswelt ist dem Nerven-Sinnesapparat beigeordnet, die Gefühlswelt schon nicht mehr. Die Gefühlswelt ist direkt dem rhythmischen Organismus beigeordnet, und die Willenswelt ist dem Stoffwechsel- Gliedmaßenorganismus beigeordnet. Wenn ich etwas will, so muß in meinem Stoffwechsel-Gliedmaßenorganismus etwas vor sich gehen. Das Nervensystem ist nur dazu da, daß man Vorstellungen haben kann von dem, was im Willen eigentlich geschieht. Es gibt keine Willensnerven, ich habe das oftmals ausgesprochen; die Einteilung der Nerven in sensitive und in Willensnerven ist ein Unsinn. Die Nerven sind einerlei Art, und die sogenannten Willensnerven sind zu nichts anderem da, als die Vorgänge des Willens innerlich wahrzunehmen; sie sind auch sensitive Nerven.

Wenn wir dies durchstudieren, so kommen wir zuletzt dazu, die menschliche Organisation in ihrer Ganzheit zu nehmen. Nehmen Sie die Lungenorganisation, Leberorganisation und so weiter, Sie kommen dazu, nach dem Inneren schauend, gewissermaßen die Oberfläche der einzelnen Organe zu überblicken, natürlich durch geistigen Blick nach innen. Was ist diese Oberfläche der Organe? Diese Oberfläche der Organe ist nämlich nichts anderes als ein Spiegelungsapparat für das seelische Leben. Was wir wahrnehmen und auch was wir gedanklich verarbeiten, das spiegelt sich an der Oberfläche unserer sämtlichen inneren Organe, und diese Spiegelung bedeutet unsere Erinnerungen, unser Gedächtnis während des Lebens. Also was sich da, nachdem wir es wahrgenommen und verarbeitet haben, an der Außenfläche unseres Herzens, unserer Lunge, unserer Milz und so weiter spiegelt, was da zurückgeworfen wird, das ist dasjenige, was die Erinnerungen abgibt. Und bei einer gar nicht sehr weitgehenden Trainierung können Sie schon bemerken, wie gewisse Gedanken auf den ganzen Organismus zurückstrahlen in der Erinnerung. Da sind die verschiedensten Organe beteiligt. Wenn es sich zum Beispiel handelt um die Erinnerung, sagen wir sehr abstrakter Gedanken, da ist außerordentlich stark beteiligt daran die Lunge, die Lungenoberfläche. Wenn es sich mehr um gefühlsgefärbte Gedanken handelt, um Gedanken also, die eine Gefühlsnuance haben, da ist sehr stark die Leberoberfläche daran beteiligt. So daß wir wirklich im einzelnen gut beschreiben können, wie die einzelnen Organe des Menschen beteiligt sind an dieser Rückstrahlung, die dann als Gedächtnis, als Erinnerungsvermögen auftritt. Wir dürfen nicht, wenn wir das Seelische ins Auge fassen, sagen: Im Nervensystem allein liegt der Parallelorganismus für das seelische Leben; im ganzen menschlichen Organismus liegt diese Parallelorganisation für das menschliche Seelenleben.“ (Lit.:GA 205, S. 100f)

Denken, Fühlen und Wollen werden mit ganz unterschiedlichen Bewusstseinsgraden erlebt. Nur im Denken sind wir vollkommen wach, im Fühlen träumen wir bloß und im Wollen schlafen wir.

„Die körperlichen Gegenstücke zum Seelischen des Vorstellens hat man in den Vorgängen des Nervensystems mit ihrem Auslaufen in die Sinnesorgane einerseits und in die leibliche Innenorganisation andrerseits zu sehen. So sehr man vom anthroposophischen Gesichtspunkte aus manches wird anders zu denken haben, als es die gegenwärtige Wissenschaft tut: eine Grundlage vorzüglicher Art ist in dieser Wissenschaft vorhanden. Nicht so steht es, wenn man die leiblichen Gegenstücke für das Fühlen und Wollen bestimmen will. In bezug darauf muß man sich innerhalb der Ergebnisse gegenwärtiger Physiologie erst den richtigen Weg bahnen. Ist man auf denselben gelangt, so findet man, daß man wie das Vorstellen zur Nerventätigkeit so das Fühlen in Beziehung bringen muß zu demjenigen Lebensrhythmus, der in der Atmungstätigkeit seine Mitte hat und mit ihr zusammenhängt. Man hat dabei zu berücksichtigen, daß man zu dem angestrebten Ziele den Atmungsrhythmus mit allem, was mit ihm zusammenhängt, bis in die äußersten peripherischen Teile der Organisation verfolgen muß. Um auf diesem Gebiete zu konkreten Ergebnissen zu gelangen, müssen die Erfahrungen der physiologischen Forschung in einer Richtung verfolgt werden, welche heute noch vielfach ungewohnt ist. Erst wenn man dies vollbringt, werden alle Widersprüche verschwinden, die sich zunächst ergeben, wenn Fühlen und Atmungsrhythmus zusammengebracht werden. Was zunächst zum Widerspruch herausfordert, wird bei näherem Eingehen zum Beweise für diese Beziehung. Aus dem weiten Gebiet, das hier verfolgt werden muß, sei nur ein einziges Beispiel herausgehoben. Das Erleben des Musikalischen beruht auf einem Fühlen. Der Inhalt des musikalischen Gebildes aber lebt in dem Vorstellen, das durch die Wahrnehmungen des Gehörs vermittelt wird. Wodurch entsteht das musikalische Gefühls-Erlebnis? Die Vorstellung des Tongebildes, die auf Gehörorgan und Nervenvorgang beruht, ist noch nicht dieses musikalische Erlebnis. Das letztere entsteht, indem im Gehirn der Atmungsrhythmus in seiner Fortsetzung bis in dieses Organ hinein, sich begegnet mit dem, was durch Ohr und Nervensystem vollbracht wird. Und die Seele lebt nun nicht in dem bloß Gehörten und Vorgestellten, sondern sie lebt in dem Atmungsrhythmus; sie erlebt dasjenige, was im Atmungsrhythmus ausgelöst wird dadurch, daß gewissermaßen das im Nervensystem Vorgehende heranstößt an dieses rhythmische Leben. Man muß nur die Physiologie des Atmungsrhythmus im rechten Lichte sehen, so wird man umfänglich zur Anerkennung des Satzes kommen: die Seele erlebt fühlend, indem sie sich dabei ähnlich auf den Atmungsrhythmus stützt wie im Vorstellen auf die Nervenvorgänge. - Und bezüglich des Wollens findet man, daß dieses sich in ähnlicher Art stützt auf Stoffwechsel Vorgänge. Wieder muß da in Betracht gezogen werden, was alles an Verzweigungen und Ausläufern der StofFwechselvorgänge im ganzen Organismus in Betracht kommt. Wie dann, wenn etwas «vorgestellt » wird, sich ein Nervenvorgang abspielt, auf Grund dessen die Seele sich ihres Vorgestellten bewußt wird, wie ferner dann, wenn etwas «gefühlt» wird, eine Modifikation des Atmungsrhythmus verläuft, durch die der Seele ein Gefühl auflebt: so geht, wenn etwas «gewollt» wird, ein StoffWechselvorgang vor sich, der die leibliche Grundlage ist für das als Wollen in der Seele Erlebte. - Nun ist in der Seele ein vollbewußtes waches Erleben nur für das vom Nervensystem vermittelte Vorstellen vorhanden. Was durch den Atmungsrhythmus vermittelt wird, das lebt im gewöhnlichen Bewußtsein in jener Stärke, welche die Traumvorstellungen haben. Dazu gehört alles Gefühlsartige, auch alle Affekte, alle Leidenschaften und so weiter. Das Wollen, das auf StofTwechselvorgänge gestützt ist, wird in keinem höheren Grade bewußt erlebt als in jenem ganz dumpfen, der im Schlafe vorhanden ist. Man wird bei genauer Betrachtung des hier in Frage Kommenden bemerken, daß man das Wollen ganz anders erlebt als das Vorstellen. Das letztere erlebt man wie man etwa eine von Farbe bestrichene Fläche sieht; das Wollen so, wie eine schwarze Fläche innerhalb eines farbigen Feldes. Man «sieht» innerhalb der Fläche, auf der keine Farbe ist, eben deshalb etwas, weil im Gegensatz zu der Umgebung, von der Farben-Eindrücke ausgehen, von dieser Fläche keine solchen Eindrücke kommen: man «stellt das Wollen vor», weil innerhalb der Vorstellungs-Erlebnisse der Seele an gewissen Stellen sich ein Nicht-Vorstellen einfügt, das sich in das vollbewußte Erleben hineinstellt ähnlich wie die im Schlafe zugebrachten Unterbrechungen des Bewußtseins in den bewußten Lebenslauf. Aus diesen verschiedenen Arten des bewußten Erlebens ergibt sich die Mannigfaltigkeit des seelischen Erfahrens in Vorstellen, Fühlen und Wollen.“ (Lit.:GA 21, S. 151ff)

Die fälschliche Unterscheidung sensorischer und motorischer Nerven

Schädlich für das Verständnis dieser Zusammenhänge ist die bis heute in den Neurowissenschaften als selbstverständlich angesehene Unterscheidung sensorischer und motorischer Nerven, von denen letztere für die „Steuerung“ der Bewegungen, also für die Willenstätigkeit zuständig sein sollen. Diese Annahme ist laut Rudolf Steiner völlig falsch. In Wahrheit gibt es nur sensorische Nerven. Die sogenannten „motorischen“ Nerven dienen nur der Wahrnehmung der Bewegung.

„Wenn ich noch einmal zurückgreife auf den dreigliedrigen Menschen, wie ich ihn gestern charakterisiert habe, so ist zu sagen, daß nur die eigentliche Fähigkeit des Vorstellens mit dem Nervensystem des Menschen zusammenhängt; das Gefühlsleben nur indirekt. Dagegen hängt das Gefühlsleben direkt mit dem rhythmischen System zusammen. Und hier haben wir schon einen der Punkte, wo sich notwendigerweise gerade wegen ihrer Bewunderungswürdigkeit auf anderen Gebieten die heutige Naturwissenschaft den Weg vollständig versperrt, von der physischen Organisation des Menschen vorzudringen zu seiner geistigen Organisation.

In Wahrheit liegt die Sache so, daß die gesamte Gefühlswelt unmittelbar in die rhythmische Organisation eingreift, in jene rhythmische Organisation im weiteren Sinne, wie ich sie gestern charakterisiert habe. Und das Nervensystem dient nur dazu, der Vermittler zu sein, daß wir über unsere Gefühle Vorstellungen und Gedanken haben können. So daß also in Atmung und Blutzirkulation die Gefühlsimpulse unmittelbar eingreifen. Nur für das, was wir als Vorstellungen haben über die Gefühle, sind die organischen Vermittler die Nerven. Und ebenso wie in das rhythmische System die Gefühlswelt des Menschen eingreift, ebenso greift in das Stoffwechsel-Bewegungssystem der Wille unmittelbar ganz ein. Und dasjenige, was wir in den Nerven oder durch die Nerven haben, das sind nur die Vorstellungen des Gewollten, die Vorstellungen von dem Gewollten.

Nun werden Sie sagen: das braucht ja den Mediziner nicht weiter zu interessieren. Es ist eine Theorie über den Menschen, und man könnte im Medizinischen davon absehen. Das ist aber ganz und gar nicht der Fall. Das ist in dem Augenblicke nicht der Fall, wenn man die Folgen für die heutige medizinische Anschauung sieht, die aus diesem Vorurteil erwachsen, daß das Nervensystem dem gesamten Seelenleben direkt zugeordnet ist.

Man unterscheidet heute, wie ja genugsam bekannt ist, zwischen den sogenannten sensitiven Nerven, die vom Zentrum zu den Sinnen gehen sollen und die sinnlichen Wahrnehmungen vermitteln, und den sogenannten motorischen Nerven, welche etwas zu tun haben sollen mit dem Willen.

Es gibt in Wahrheit zwar anatomisch-physiologisch metamorphosierte Nerven, aber es gibt nur einerlei Art von Nerven. Jeder Nerv ist nur physischer Vorstellungsvermittler. Und diejenigen Nerven, die wir heute motorische Nerven nennen, die sind in ihrer Funktion nicht anders als die sogenannten sensitiven Nerven. Während der sensitive Nerv zu den Sinnen geht, um die Außenwelt wahrzunehmen, geht der sogenannte motorische Nerv, der auch nichts anderes ist als ein innerlicher sensitiver Nerv, in das Innere und vermittelt die Wahrnehmungen, die ich zum Beispiel habe, wenn ich ein Glied bewege, die ich habe, wenn ich irgendwie eine innerliche unbewußte Bewegung auszuführen habe. Der Nerv ist nur der Vermittler der Wahrnehmung für irgend etwas Äußeres oder Inneres. Es gibt nicht zwei Arten von Nerven, nicht sensitive und motorische Nerven. Meinetwillen, die Terminologie ist mir dann einerlei, ob man sie dann sensitive oder motorische nennt, das ist gleichgültig, aber nur einerlei Art und anatomisch- physiologisch etwas metamorphosiert, nur einerlei Art von Nerven gibt es.“ (Lit.:GA 319, S. 56)

Zusammenhang mit den Hierarchien

In seinen anthroposophischen Leitsätzen hat Rudolf Steiner den Zusammenhang von Denken, Fühlen und Wollen mit den geistigen Hierarchien knapp und übersichtlich dargestellt. Im Denken spiegelt sich die dritte Hierarchie, im Fühlen die zweite Hierarchie und im Wollen die erste Hierarchie:

„59. Eine unbefangene Betrachtung des Denkens zeigt, daß die Gedanken des gewöhnlichen Bewußtseins kein eigenes Dasein haben, daß sie nur wie Spiegelbilder von etwas auftreten. Aber der Mensch fühlt sich als lebendig in den Gedanken. Die Gedanken leben nicht; er aber lebt in den Gedanken. Dieses Leben urständet in Geist-Wesen, die man (im Sinne meiner «Geheimwissenschaft») als die der dritten Hierarchie, als eines Geist-Reiches, ansprechen kann.

60. Die Ausdehnung dieser unbefangenen Betrachtung auf das Fühlen zeigt, daß die Gefühle aus dem Organismus aufsteigen, daß sie aber nicht von diesem erzeugt sein können. Denn ihr Leben trägt ein vom Organismus unabhängiges Wesen in sich. Der Mensch kann sich mit seinem Organismus in der Naturwelt fühlen. Er wird aber gerade dann, wenn er dies, sich selbst verstehend tut, sich mit seiner Gefühlswelt in einem geistigen Reiche fühlen. Das ist dasjenige der zweiten Hierarchie.

61. Als Willenswesen wendet sich der Mensch nicht an seinen Organismus, sondern an die Außenwelt. Er fragt nicht, wenn er gehen will, was empfinde ich in meinen Füßen, sondern, was ist dort draußen für ein Ziel, zu dem ich kommen will. Er vergißt seinen Organismus, indem er will. In seinem Willen gehört er seiner Natur nicht an. Er gehört da dem Geist-Reich der ersten Hierarchie an.“ (Lit.:GA 26, S. 41)

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.