Sterben

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Das Sterben (ahd. stërban[1], abgeleitet von der westgerm. Wurzel *sterb-a-st „starr, steif werden“; vgl. auch altnord. stjarfi „Starrkrampf“; griech. τελευτᾷν teleutan) ist ein Prozess, der einen beseelten lebendigen Organismus dem Tod zuführt, als dessen Folge der Leib in der Regel zu zerfallen, zu verwesen beginnt. Die Sterblichkeit oder Mortalität (von lat. mortalitas „Sterblichkeit“) beschränkt sich auf Lebewesen, die neben dem physisch-materiellen und ätherischen Leib zumindest auch über einen Astralleib verfügen, wie die Tiere, oder darüber hinaus auch über ein Ich verfügen, wie der Mensch. Durch sein Ich ist der Tod des Menschen, der mit einem radikalen Wandel des Bewusstseins verbunden ist, allerdings anders zu bewerten als der des Tieres. Mineralien und Pflanzen fallen zwar der Zerstörung anheim, sind aber im eigentlichen Sinn des Wortes nicht sterblich.

Tatsächlich begleitet ein leiser Sterbeprozess den Menschen von der Geburt bzw. Zeugung an während seines gesamten irdischen Lebens. Er fällt nur deswegen nicht äußerlich ins Auge, weil etwa bis zur Lebensmitte die Aufbauprozesse überwiegen und noch bis zum Lebensende hin erfolgreich gegen den unausweichlich Verfall des Leibes ankämpfen. Diesem lebenslangen Sterbeprozess verdankt der Mensch sein Ich-Bewusstsein. So gesehen ist der Tod ein lebenslanger freundlicher Begleiter des Menschen. Erst in der allerletzten Lebensphase gewinnen die Abbauprozesse vollends die Überhand. Dann beginnt sich der Ätherleib von unten, von den Beinen her vom physischen Leib zu lösen, die Durchblutung der Extremitäten nimmt ab und die Organfunktionen erlöschen nach und nach. Auch der Astralleib lockert seine Verbindung mit dem Stoffwechsel-Gliedmaßen-System. Mit dem Tod reißt die hellsichtig wahrnehmbare Silberschnur, die den Astralleib zeitlebens, auch während des Schlafes, mit dem physischen Leib verbindet.

Sterbeprozesse und Bewusstsein

Die vom Kopf ausgehenden, durch das Ich und den Astralleib bedingten Sterbeprozesse bilden während der irdischen Inkarnation des Menschen die Grundlage seines wachen Bewusstseins. Ohne sie käme der Mensch nicht zum Ich-Erlebnis. Während des Schlafes werden die dadurch bedingten Zerstörungen zunächst großteils wieder durch die regenerierde Tätigkeit des Ätherleibs und die im restlichen Organismus aufbauend wirkenden astralen Kräfte ausgeglichen. Im weiteren Lebenslauf, besonders nach der Lebensmitte, greifen aber die zerstörerischen Sterbekräfte immer mehr auch auf den übrigen Organismus über und führen schließlich zum Tod.

„Studieren wir einmal, was eigentlich diese Dreiheit von ätherischem Organismus, astralischem Organismus und Ich-Wesenheit in ihrem Zusammenwirken im physischen Kopforganismus des Menschen zunächst bewirken. Da stellt sich nämlich heraus, daß die Tätigkeit, welche durch diese Dreiheit am menschlichen Kopforganismus ausgeübt wird, eine abbauende ist. Würde allein der menschliche ätherische Organismus den physischen Organismus durchdringen, dann würde in dem physischen Kopforganismus auch eine fortwährende aufbauende Lebenstätigkeit sein; es würde sozusagen die Kopftätigkeit von Leben ganz erfüllt sein. Aber in diesem Falle käme kein physisches Bewußtsein zustande. Ein physisches Bewußtsein kommt nur dadurch zustande, daß der astralische Organismus eingreift in die Kopforganisation. Und dieser astralische Organismus ist auf dasjenige eingestellt, hinorganisiert, das wir ja schon kennengelernt haben: er ist hinorganisiert auf das vorirdische Dasein des Menschen. Wenn ich es so ausdrücken darf, der astralische Organismus muß es gewissermaßen als seine Aufgabe betrachten, nicht diesen stofferfüllten physischen Organismus zu bearbeiten, sondern diesen physischen Organismus in seiner kosmischen Geistgestaltung mit seiner Tätigkeit zu erfüllen, wie er das im vorirdischen Dasein getan hat. Dieser astralische Organismus des Menschen ist ja ein Nachklang dessen, was die Seele getan hat aus den Geheimnissen der Planetenbewegungen, aus den Geheimnissen der Fixsternkonstellationen heraus, um dasjenige zu gestalten, was ich in den vorangehenden Betrachtungen genannt habe den kosmischen Keim des physischen Organismus. Also nicht auf die irdische Metamorphose des physischen Organismus, sondern auf die kosmische, auf die Geistmetamorphose des physischen Organismus hin ist die Tätigkeit des astralischen Organismus orientiert. Daher will der astralische Organismus, indem er im physischen Organismus tätig ist, diesen physischen Organismus, insofern dieser Gehirn- beziehungsweise Kopforganisation ist, fortwährend vergeistigen. Ja, in unserer Kopforganisation wirkt fortwährend unser astralischer Organismus, um diese Kopforganisation ins Geistige umzubilden. Es kommt nicht zu einer wirklichen, äußerlich sichtbaren Umbildung, es kommt zu dem Umbildungs-Bestreben.

Dieses Bestreben aber ist fortwährend vorhanden. Fortwährend kommen durch die Kopforganisation des astralischen Organismus zu den aufbauenden Kräften der menschlichen Kopforganisation, die frisches, sprudelndes Leben, aber unbewußtes Leben in der menschlichen Kopforganisation bewirken würden, abbauende Kräfte hinzu, die versuchen, den physischen Organismus, insofern er Kopforganisation ist, abzubauen, zu zerstören, so daß aus ihm hervorleuchten würde ein Geistorganismus, denn an den ist der astralische Leib gewöhnt vom vorirdischen Dasein her. Aber der physische Organismus leistet Widerstand. Er läßt sich nicht abbauen, und er führt diesen Widerstand dadurch aus, daß jedesmal, wenn gerade der Moment herbeigeführt würde, daß dieser physische Organismus des Kopfes durch die Tätigkeit des astralischen Organismus ins Unorganische zerfiele, ins Leblose überginge, daß jedesmal in diesem Moment der Schlaf eintreten muß, und dann müssen einzig und allein in dem Kopforganismus wieder die Kräfte des ätherischen Leibes tätig sein.

So ist das Wechselgeschehen zwischen Wachen und Schlafen auch dadurch zu charakterisieren, daß man sagt: Während des Wachens setzen die astralischen Kräfte die menschliche Kopforganisation fortwährend dem Sterben aus. In dem Moment, wo - wenn man so sagen darf - diese Tätigkeit der abbauenden astralischen Kräfte aus dem latenten Zustande in den realen Zustand übergehen würde, in diesem Moment tritt der Schlaf ein. Das imaginative Bewußtsein der modernen Initiationserkenntnis kann diesen Tatbestand an dem Aussehen des ätherischen Organismus des Menschen während des Wachens und während des Schlafens bemerken.

Während des Wachens wird der ätherische Leib, der als ein Geistgeschehen den physischen Leib des Menschen durchdringt, für die Kopforganisation immer undifferenzierter. Man hat also im wachen Menschen einen ätherischen Organismus vor sich, der stark innerlich differenziert, mit komplizierten Gestaltungen ausgerüstet in denjenigen Partien des physischen Organismus ist, wo die Lunge, die Leber, der Magen sitzen, wo die Gliedmaßen sitzen. Dort ist der ätherische Organismus innerhalb des Wachlebens vielgegliedert. In der Kopforganisation dagegen wird während des Wachlebens, je länger das wache Leben dauert, der Ätherleib immer undifferenzierter und undifferenzierter. Er wird zuletzt einfach wie eine gleichförmige Wolke im Kopfe, weil die aufbauenden Kräfte, die sonst in diesem Ätherorganismus sind, ihre Bedeutung verlieren und die abbauenden Kräfte des astralischen Organismus im Wachzustande ersterbend auf die Kopforganisation wirken. Im Schlaf zustande ist das ganz anders. Da sieht man mit dem imaginativen Bewußtsein, wie diese Differenzierung, die mannigfaltige Vielgliederung des Ätherorganismus hineinschießt in die ätherische Kopforganisation. Da wird der Ätherorganismus des Kopfes ebenso gegliedert wie während des Wachzustandes der übrige ätherische Organismus. Da wachen eben während des Schlafens die Lebenskräfte, die Gestaltungskräfte, die Bildekräfte des ätherischen Organismus für den Kopf auf, und der Kopf wird eine unbewußte, aber sehr lebendige Organisation. So sehen Sie, daß der Mensch - im Erdendasein aus einem Wachbewußtsein - in seiner Kopforganisation fortwährend den latenten Tod trägt. Die Tendenz zum Sterben ist fortwährend in der Kopforganisation vorhanden. Der astralische Organismus will die Kopforganisation fortwährend in das Geistige umsetzen. Er will sie zu einem planetarischen Bewegungsorgan machen, will sie zu einem Abbild der Sternenkonstellationen machen; er ist ein fortwährender Zerstörer der physischen Kopforganisation.

Würde man in der heutigen Wissenschaft diesen Tatbestand wissen, so würde man es überhaupt ganz unmöglich finden, in den Materialismus verfallen zu können. Denn was haben denn jene Leute zu sagen, welche die menschliche Totalorganisation materialistisch deuten wollen? Sie sagen: Die organischen Vorgänge gehen eben auch im Kopfe vor sich; sie spielen sich dort als organische Lebensprozesse ab, wie sich in der Leber oder im Magen Lebensprozesse abspielen, so eben auch im Gehirn, und dieses Abspielen der Lebensprozesse im Gehirn lebt sich als Gedanke, als Seelentätigkeit aus. - Aber dies ist ja den Tatsachen gegenüber ein völliger Unsinn. Denn wir denken nicht dadurch, wir erleben im gewöhnlichen Bewußtsein die Seele nicht dadurch, daß aufbauende Lebensprozesse stattfinden, sondern dadurch, daß unser Nervensystem fortwährend in dem Zustande ist, abgebaut zu werden, daß der Tod fortwährend in uns sitzt. Waches Seelenleben im gewöhnlichen Bewußtsein haben, heißt: organische Prozesse nicht entwickeln, sondern abtöten. Die organischen Prozesse müssen erst in sich ersterben, sie müssen Platz machen der Seele, wenn sie sich im gewöhnlichen Bewußtsein entfalten wollen. Würde man das richtig einsehen, so würde man sagen müssen: Aus den organischen Prozessen kann ganz gewiß das Seelenleben nicht hervorgehen, weil diese organischen Prozesse erst in die Situation des Ersterbens kommen müssen. Sie müssen sich erst zurückziehen aus der Kopforganisation, wenn die Seele darin tätig sein will.

Das ist eben der wahre Tatbestand in bezug auf das Zusammenwirken der menschlichen seelischen Organisation und der menschlichen physischen Organisation. Dieser wahre Tatbestand zeigt aber auch, wie der Mensch, indem er geboren wird, sogleich in seiner Kopforganisation die Anlage zum Tode, zum Sterben in sich trägt. Wir lernen durch die übersinnliche Erkenntnis verstehen, daß das Sterben fortwährend in uns geschehen will und nur durch den Schlaf fortwährend überwunden wird. Das einmalige Sterben, das Sterben im physischen Sinne, ist ja nur eine Summierung, ein stärkerer Prozess gegenüber den fortwährenden, wenn ich so sagen darf atomistisch kleinen Sterbeprozessen, die im Wachbewußtsein fortwährend stattfinden. Solange wir den physischen Organismus haben, wehrt sich dieser eben gegen sein Zerstörtwerden, das bewirkt wird durch den astralischen Organismus. Das ist so mit der Kopforganisation.“ (Lit.:GA 215, S. 145ff)

„Dieser physische Prozeß, der im menschlichen Haupte vor sich geht, der ist eine notwendige Begleiterscheinung des menschlichen Ich-Erlebnisses. Ist dieser Prozeß gestört, das heißt, überwuchert ein Vitalprozeß diesen reinen physischen Prozeß im Menschen, dann wird das Ich in einer gewissen Weise auch im Bewußtsein herabgelähmt. Und alles Außersichkommen des Menschen, alles, wo die Menschen schwachsinnig und dergleichen werden, beruht mit auf demjenigen und muß erkannt werden aus demjenigen, was als rein physische Prozesse im Menschen vorgegangen ist. Natürlich können dann außerdem auch andere organische Veranlassungen da sein.

Also dasjenige, was da vom Menschenhaupte eingeleitet wird und von da aus durch den ganzen Organismus strahlt, das ist der rein physische Prozeß, der im Moment, wo der Tod eintritt, sich in den ganzen Organismus ergießt. Dieser Moment, der ist im menschlichen Haupte, wenigstens von ihm zentralisierend ausgehend, immer vorhanden. Er wird nur paralysiert durch den Vitalisierungsprozeß vom anderen Organismus aus. Der Mensch trägt tatsächlich die Kräfte, die ihn auch zum Sterben bringen, fortwährend in sich, und er wäre kein Ich, wenn er nicht die Kräfte des Sterbens in sich tragen würde.“ (Lit.:GA 313, S. 40)

In dem Christus sterben wir

Dramensiegel zu Rudolf Steiners erstem Mysteriendrama «Die Pforte der Einweihung» mit den Initialen des Rosenkreuzerspruchs «Ex deo nascimur - In Christo morimur - Per spiritum sanctum reviviscimus»: EDN JCM PSSR.

Im mittleren Teil des Rosenkreuzerspruchs wird mit den Worten „In dem Christus sterben wir“ (lat. In Christo morimur) eine für das nachtodliche Leben höchst bedeutsame und künftig immer bedeutender werdende Wahrheit ausgesprochen:

„Dadurch, daß der Mensch mehr und mehr hinabgestiegen ist auf den physischen Plan, ihn immer mehr liebgewonnen hat, immer mehr Genuß aus ihm gesogen hat, ist ihm immer weniger wahrnehmbar geworden, was drüben, jenseits des Lebens war. Der Mensch blieb sozusagen mit einem guten Stück Erinnerung an diese Welt, wenn er drüben zwischen Tod und neuer Geburt lebte. Auch das hat sich in der Sage erhalten. Wenn uns aus der griechischen Kultur heraus erzählt wird, daß der Held Achilleus sagt[2]: Lieber ein Bettler sein in der physischen Welt, als ein König auf der anderen Seite -, so ist das ein wahrer Ausdruck für diese Zeit. Dadurch, daß der Mensch so viel von diesem physischen Plane erobert hatte, sehnte er sich zurück nach diesem physischen Plane, der ihn aber nicht viel hat mitnehmen lassen hinüber in jener Zeit. Erst dadurch, daß der Christus auf der Erde erschienen ist, daß der Mensch schon in Vorbereitung während der alttestamentlichen Zeit von einem Christus erfahren hat, erst dadurch, daß der Mensch sozusagen hier im irdischen Dasein die Gestalt des Christus in seinen Geist, in seine Vorstellung aufnahm, nahm er aus der physischen Welt in das Jenseits mit hinüber, was ihm das Licht wiederum brachte in der jenseitigen Welt. Er nahm das mit hinüber, was diese jenseitige Welt wieder hell und klar macht, was ihm dort den Christus wiedergibt, und zwar in höherem Glanze gibt als in der diesseitigen Welt. Daher sehen wir, wie sich das jenseitige Bewußtsein der Menschheit immer mehr trübt, je mehr es sich der Zeit nähert, die wir gestern beschrieben haben, und wie es sich dann aufhellt dadurch, daß der Mensch im Diesseits den Christus kennenlernt, daß er kennenlernt, was von dem Christus berichtet wird. Denn das, was er in der diesseitigen Welt von ihm aufnimmt, das geht ihm in der Zeit zwischen Tod und neuer Geburt nicht verloren, das nimmt er mit sich, und das ist es, was dem Ausdruck «sterben in den Christus hinein» entspricht.“ (Lit.:GA 105, S. 177f)

Siehe auch

Literatur

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Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
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Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
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Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Einzelnachweise

  1. Friedrich Kluge, Alfred Götze: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 20. Auflage. Hrsg. von Walther Mitzka, De Gruyter, Berlin/ New York 1967; Neudruck („21. unveränderte Auflage“) ebenda 1975, ISBN 3-11-005709-3, S. 746.
  2. Preise mir jetzt nicht tröstend den Tod, ruhmvoller Odysseus.
    Lieber möcht' ich fürwahr dem unbegüterten Meier,
    Der nur kümmerlich lebt, als Tagelöhner das Feld baun,
    Als die ganze Schar vermoderter Toten beherrschen.

    (Homer: Odyssee 11,488-491 (übersetzt von Johann Heinrich Voß))