Trägheit

Aus AnthroWiki

Trägheit, auch Beharrungsvermögen, ist das Bestreben von physikalischen Körpern, in ihrem Bewegungszustand zu verharren, solange keine Kräfte oder Drehmomente auf sie einwirken. Eine Bewegung, die nur unter dem Einfluss der Trägheit erfolgt, wird Trägheitsbewegung genannt. Ein Beispiel hierfür ist die Rotation der Erde. Die Alltagserfahrung, der zufolge es dennoch einer Kraft bedarf, einen Bewegungszustand aufrechtzuerhalten, hat ihre Ursache in den Reibungskräften.

Das Maß für die Trägheit eines Körpers gegenüber geradlinigen Beschleunigungen ist seine Masse. In Bezug auf die Beschleunigung von Drehbewegungen ist es sein Trägheitsmoment.

Geschichte

Antike Theorien zur Bewegung

Vor der Renaissance im 15. Jahrhundert war im europäischen Raum die Theorie der Bewegung von Aristoteles, die dieser im 3. Jahrhundert v. u. Z. formuliert hatte, allgemein anerkannt. Dieser Theorie zufolge wird ein bewegtes Objekt ohne Krafteinwirkung sich verlangsamen und schließlich zur Ruhe kommen, so dass eine fortwährende Krafteinwirkung nötig ist, um ein Objekt in Bewegung zu halten. Aristoteles erklärte die Fortbewegung eines geworfenen Gegenstandes durch eine Kraft, die das umgebende Medium auf ihn ausübe.[1][2] Daher kam Aristoteles zu dem Schluss, dass eine solche gewaltsame Fortbewegung im Vakuum unmöglich sei, da kein Medium vorhanden sei, das den Körper gegen den Widerstand seiner Schwere in Bewegung halte.[3] Ein Körper, der sich in nicht-gewaltsamer Bewegung im Vakuum befinde, müsse sich dagegen für immer unbeeinflusst fortbewegen. „Darüber hinaus gibt es niemanden, der sagen kann, warum ein Objekt in Bewegung irgendwo stehen bleibt; Warum sollte es vorziehen, hier oder hier aufzuhören? Also: Ein Objekt wird entweder in Ruhe oder in Bewegung im Grenzenlosen sein, es sei denn, etwas mit mehr Kraft steht dem im Weg.“ [4]

Trotz ihres Erfolges und der allgemeinen Akzeptanz wurde Aristoteles’ Lehre der Bewegung wiederholt von Philosophen infrage gestellt. Lukrez behauptete beispielsweise, der Grundzustand eines Körpers sei die Bewegung, nicht die Ruhe.[5] Im 6. Jahrhundert n. Chr. vertrat Johannes Philoponos die Ansicht, Aristoteles’ Erklärung der nicht-gewaltsamen Bewegung im Vakuum habe zur Folge, dass ein Medium einen solchen Körper abbremse, was im Widerspruch zur These stehe, dass das Medium die Bewegung eines Körpers aufrechterhalte. Er schlug daher vor, dass die Bewegung nicht durch das Medium aufrechterhalten werde, sondern durch eine Eigenschaft des Körpers, die erzeugt werde, wenn er in Bewegung versetzt wird.[6] Averroes und viele scholastische Philosophen wandten sich gegen diese Sicht und unterstützten die Sichtweise Aristoteles’. In der islamischen Welt fand Philoponus’ Ansicht jedoch zahlreiche Unterstützer, die seine Thesen weiterentwickelten.

Impetustheorie

Im 14. Jahrhundert postulierte Johannes Buridan eine bewegungsverursachende Eigenschaft, die er Impetus nannte und nahm an, dass der Impetus nicht von allein verringert werde. Stattdessen vermutete er, dass der Luftwiderstand und das Gewicht eines Körpers seinem Impetus entgegenwirke.[7] Buridan postulierte weiter, dass der Impetus mit der Geschwindigkeit zunehme; seine Vorstellung vom Impetus war also dem modernen Begriff des Impulses ähnlich. Er sah seine Theorie allerdings nur als Modifikation von Aristoteles’ Philosophie und hielt an anderen Lehren der Peripatos fest. So ging er weiterhin davon aus, dass ein fundamentaler Unterschied zwischen einem ruhenden und einem bewegten Körper existiere. Neben einem gewöhnlichen geradlinigen Impetus postulierte er auch einen Kreisimpetus, der bewirke, dass sich Himmelskörper auf Kreisbahnen bewegen.

Buridans Schüler Albert von Rickmersdorf (1316–1390) und eine philosophische Schule in Oxford verfolgten die Impetustheorie weiter und führten einige Experimente durch, deren Ergebnisse im Widerspruch zu Aristoteles’ Lehre standen. Nikolaus von Oresme arbeitete die Impetustheorie weiter aus und stellte erstmals die Bewegungsgesetze und Zusammenhänge anderer Größen in grafischer Form dar.

Kurz bevor Galilei seine Theorie der Trägheit aufstellte, modifizierte Giovanni Battista Benedetti die Impetustheorie derart, dass sie nur geradlinige Bewegung beinhaltete.[8] Er nennt die Bewegung eines Steins an einer Schnur als Beispiel für eine geradlinige Bewegung, die durch äußeren Zwang in eine Kreisbewegung umgewandelt wird. Außerdem widersprach Benedetti erstmals der Lehre Aristoteles’, dass Körper umso schneller fallen, je schwerer sie sind, mit einem Gedankenexperiment: Werden zwei fallende Kugeln mit einer (masselosen) Stange verbunden, ändert sich nichts an der Fallgeschwindigkeit, obwohl die Masse des Gesamtkörpers sich vergrößert.

Europäische Renaissance

Das Gesetz von der Trägheit der Masse löste die auf Aristoteles zurückgehende Vorstellung ab, nach der zur Aufrechterhaltung einer Bewegung eine ständige Kraft nötig sei. Das Konzept der Trägheit wurde während des 17. Jahrhunderts von vielen Physikern entwickelt.

So findet sich in den Schriften Galileo Galileis eine erste Formulierung des verwandten Relativitätsprinzips. Galileis Fall- und Pendelexperimente waren jedoch ungeeignet, die träge Masse von Körpern festzustellen, da deren Einfluss auf das Messergebnis durch den der schweren Masse genau kompensiert wird, denn beide sind proportional zueinander. Diese erst später festgestellte Äquivalenz wird als Äquivalenzprinzip bezeichnet. Ein Zeitgenosse und Briefpartner Galileis, Giovanni Battista Baliani, mutmaßte allerdings bereits, dass die Massenunabhängigkeit der Fallzeiten daher rühre, dass die Masse sowohl als „agens“, als auch als „passum“ wirke, was den später eingeführten Konzepten von träger und schwerer Masse entspricht.

Eine der ersten Formulierungen des Trägheitsprinzips findet sich in den Principia philosophiae von René Descartes. Christiaan Huygens erhob das Trägheitsprinzip ebenso wie eine klare Formulierung des Relativitätsprinzips zu Axiomen, die insbesondere seiner Behandlung von Stoßprozessen zugrunde liegen.

Die erstmalige Formulierung des Trägheitsgesetzes in der heutigen Form geht auf Isaac Newton zurück, der 1687 in seinem ersten Axiom postuliert:

„Ein Körper verharrt in seinem Zustand der Ruhe oder der gleichförmigen geradlinigen Bewegung, solange die Summe aller auf ihn einwirkenden Kräfte Null ist.“

Newton sah die Quelle der Trägheit in einem Dreibund aus absoluter Masse, Zeit und Raum und entwarf das Wassereimer-Gedankenexperiment: Im absolut leeren Raum rotiert ein Eimer Wasser um seine Symmetrieachse. Die Trägheitskräfte sorgen nun dafür, dass sich das Wasser an den Rand des Eimers drängt und eine parabolisch gewölbte Oberfläche entsteht.

Nach Newtons Interpretation spielt hier also der absolute Raum eine zentrale Rolle. Ohne ihn könnte man keine Kreisbeschleunigung (vom Eimer aus betrachtet ist das ganze System ja in Ruhe) feststellen, gegen die sich die Teilchen mit ihrer Trägheit sträuben. Der Raum wird unabhängig vom rotierenden Eimer als real existierendes, absolutes Bezugsystem angenommen.

Einen anderen Ansatz verfolgte Ernst Mach. Er vermutete, dass die Trägheit von allen Massen gegenseitig ausgeübt wird. Ein einzelnes Teilchen in einem leeren Universum hätte demnach keine Trägheit. Diese Sichtweise wurde unter anderem von Albert Einstein als machsches Prinzip bezeichnet.

Einsteins spezielle Relativitätstheorie bedeutete das Ende der von Newton postulierten Absolutheit von Masse, Zeit und Raum. Im Raum-Zeit-Kontinuum der speziellen Relativitätstheorie sind nur die Raumzeit-Abstände absolut. Räumliche und zeitliche Abstände sowie die Trägheit sind vom Bewegungszustand abhängig. Insbesondere wächst die Trägheit bei Annäherung an die Lichtgeschwindigkeit so schnell an, dass diese nicht überschritten werden kann.

In der newtonschen Theorie ist die Gleichheit von träger und schwerer Masse ein nicht weiter erklärbarer „Zufall“, während sie in der allgemeinen Relativitätstheorie als Äquivalenzprinzip postuliert wird. Aus der Äquivalenz von Masse und Energie folgt, dass jede Form von Energie Trägheit besitzt.

Literatur

Einzelnachweise

  1.  Aristoteles: Physics. In: The Complete Works of Aristotle. I, 1991 (https://sites.unimi.it/zucchi/NuoviFile/Barnes%20%20-%20Physics.pdf).
  2. Aristotle: Physics. Abgerufen am 27. Oktober 2022 (english, Buch 8, Abschnitt 10; übersetzt von R. P. Hardie und R. K. Gaye).
  3.  Aristoteles: Physics. In: The Complete Works of Aristotle. I, 1991 (https://sites.unimi.it/zucchi/NuoviFile/Barnes%20%20-%20Physics.pdf).
  4.  Aristoteles: Physics. In: The Complete Works of Aristotle. I, 1991 (https://sites.unimi.it/zucchi/NuoviFile/Barnes%20%20-%20Physics.pdf).
  5. Lucretius, On the Nature of Things (London: Penguin, 1988), pp, 60–65
  6. Richard Sorabji: Matter, Space, and Motion: Theories in Antiquity and their Sequel. Duckworth, London 1988; S. 227–228; Stanford Encyclopedia of Philosophy: John Philoponus.
  7. Jean Buridan: Quaestiones on Aristotle’s Physics. Zitiert im Archiv der Vanderbilt University.
  8. Any “portion of corporeal matter which moves by itself when an impetus has been impressed on it by any external motive force has a natural tendency to move on a rectilinear, not a curved, path.” Giovanni Benedetti: Selection from Speculationum; in: Stillman Drake, I. E. Drabkin: Mechanics in Sixteenth Century Italy; University of Wisconsin Press, 1969, S. 156.
Dieser Artikel basiert (teilweise) auf dem Artikel Trägheit aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Lizenz Creative Commons Attribution/Share Alike. In Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.