Matelda

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Matelda (in deutschen Übersetzungen auch Mathilda oder Mathilde genannt) ist eine Gestalt aus Dantes «Göttlicher Komödie». Dante begegnet ihr erstmals im 28. Gesang des Purgatorio, als er sich auf der Spitze des Läuterungsberges dem irdischen Paradies, dem Garten Eden naht:

Die Göttin Natura

Der Forscher sucht die Spuren der Göttin Natura. Aus: Michael Maier. Atalanta Fugiens. 1618. Emblem XLII. S.177; vgl. Michael Maier. Chymisches Cabinet. 1708. S. 124

Matelda entspricht der Göttin Natura, die in noch viel umfangreicherer Form von den großen Lehrern der Schule von Chartres besungen wurde, und ist eng verbunden mit den aus dem Weltenäther strömenden Lebenskräften und auch mit dem Ätherleib des Menschen, der der eigentliche Gedächtnis-Träger ist. Sie steht darum auch in enger Beziehung zum Ätherleib des Menschen, wohingegen Beatrice, die Dante durch das Paradiso führt, mit dem geläuterten und zum Geistselbst verwandelten Astralleib zusammenhängt, der in der christlichen esoterischen Terminologie auch als Jungfrau Sophia bezeichnet wird. In der Göttin Natura lebte in christlich erneuerter Form der Persephone-Mythos fort.

37 Und mir erschien – so stellt dem Blick zu Zeiten
Sich unversehn Erstaunenswerthes dar,
Den Geist von allem Andern abzuleiten –
40 Ein einsam wandelnd Weib, das wunderbar[1]
Im Gehen sang, aufsammelnd Blüth’ um Blüthe,
Womit vor ihr bemalt der Boden war.
43 „„O Schöne, die du, zeigt sich das Gemüthe,
Wie’s pflegt, im Aeußern, mich zu glauben zwingst,
Daß an der Liebe Strahl dein Herz entglühte,
46 O käme Lust dir, daß du näher gingst,““
Ich sprach’s zu ihr, den Fuß zum Bache lenkend,
„„Daß ich verstehen könne, was du singst.
49 Dich seh’ ich jetzt, Proserpinens gedenkend,[2]
Des Orts auch, wo die Mutter sie verlor,
Und Sie den Lenz, sich in die Nacht versenkend.““
                                           (Purgatorio 28,37-51 )

Der Lethe-Trunk

Gustave Doré: Purgatorio 31. Gesang; Dante wird von Matelda in die Fluten der Lethe getaucht.

Der Trunk des Vergessens aus den Fluten der Lethe befreit Dante von den leidvollen Erinnerungen an seine Sünden im vorangegangenen Erdenleben nachdem er zuvor Beatrice seine tiefe Reue bekundet hat (31. Gesang).

88 So nagte Selbstbewußtsein meine Brust,
Daß ich hinsank – mit welchem inn’ren Beben,
Ihr, die es mir erregt, ihr ist’s bewußt.
91 Als äuß’re Kraft das Herz mir neu gegeben,
Sprach über mir sie, die mir einst allein
Erschienen war: „Mich fass’, um dich zu heben! – (Matilde –.)
94 Sie zog mich bis zum Hals den Fluß hinein,
Glitt, wie ein Webschiff, ohne sich zu senken,
Auf seiner Fläch’ und zog mich hinterdrein,
97 Um mich zum sel’gen Ufer hinzulenken.
Dort klang’s: „Entsünd’ge mich!“ so süß – ich kann[3]
Es nicht beschreiben, ja, nicht wieder denken.
100 Die schöne Frau erschloß die Arme dann,
Umschlang mein Haupt und taucht es in die Wogen,
Drob ich vom Wasser trank, das mich umrann.
103 Drauf, als sie mich gebadet vorgezogen,
Bot sie zum Tanze mich den schönen Vier,
Die hold um meinen Hals die Arme bogen.
106 „Wir sind am Himmel Sterne, Nymphen hier.
Noch eh’ zur Welt Beatrix kam, so gingen[4]
Wir aus, bestimmt zu Dienerinnen ihr.
109 Wir werden dich ihr vor die Augen bringen;
Dir schärfen dann, für’s heitre Licht darin
Den Blick die Drei, die schauend tiefer dringen.“
                                        (Purgatorio 31,88-111)

Die vier irdischen Gefährtinnen Beatrices, die Dante nach dem Lethebad umfangen, entsprechen den vier Kardinaltugenden bzw. den vier unteren, leiblichen Wesensglieder des Menschen: physischer Leib, Ätherleib, Astralleib und Ich-Träger. Die Drei, die schauend tiefer dringen, bilden das goldene Dreieck der höheren geistigen Wesensglieder: Geistselbst, Lebensgeist und Geistesmensch; sie entsprechen zugleich auch den drei christlichen Tugenden Glaube, Liebe und Hoffnung.

Der Eunoe-Trunk

Gustave Doré: Purgatorio 33. Gesang; Dante trinkt aus den Fluten des Eunoë.

Dann trinkt Dante aus der Eunoë (33. Gesang), die ihm das geistige Leben, das ihm im irdischen Dasein wie erstorben schien, neu belebt, wie es auch der dritte Teil des Rosenkreuzerspruches andeutet: „Per spiritum sanctum reviviscimus“ (Durch den Heiligen Geist werden wir neu belebt). Beide Tränke erhält Dante bezeichnenderweise von Matelda.

106 Da standen still, wie, wer als Führer zieht
Vor einer Schaar, sich schickt zum Stillestande,
Wenn er auf seinem Wege Neues sieht,
109 Die sieben Frau’n an dichten Schattens Rande,[5]
Wie grünbelaubt schwarz-ästig Waldgeheg
Auf kalte Flüss’ ihn wirft im Alpenlande.
112 Euphrat und Tigris schien vor ihrem Weg[6]
Sich aus derselben Quelle zu ergießen,
Sich dann, wie Freunde, trennend, still und träg.
115 „„O Licht, der Menschheit Ruhm, welch’ Wasser sprießen
Seh ich aus Einem Ursprung hier und dann,
Sich von sich selbst entfernend, weiter fließen?““
118 Auf diese Bitte hob Beatrix an:
„Mathilden bitt’,“ – und diese sprach dagegen,
Wie wer vom Vorwurf leicht sich lösen kann:
121 „Dies und noch Anderes ihm auszulegen[7]
Versäumt ich nicht, was, deß bin ich gewiß,
Der Lethe Wässer nicht zu tilgen pflegen.“
124 Beatrix drauf: „Die größ’re Sorg’ entriß,[8]
Wie’s oft geschieht, dies seinem Angedenken,
Und ließ sein Auge hier in Finsterniß.
127 Doch Eunoe sieh – eil’ ihn dahin zu lenken,
Und, wie du immer pflegst, ihm durch die Flut
Mit Leben die erstorbne Kraft zu tränken.“
                                      (Purgatorio 33,106-129 )

"Lesen Sie die Partien der «Göttlichen Komödie», in denen Dante schildert die Matelda, die Partie, die wirklich wie ein Ei dem andern dem Proserpinamythus gleicht, was auch schon die äußere Wissenschaft bemerkt hat, so werden Sie sich ein Bewußtsein davon aneignen - aus Bernardus Silvestris, aus Alanus ab Insulis, aus Brunetto Latini und aus Dante können Sie sich ein Bewußtsein aneignen, aus vielem andern auch -, wie bis in die Zeiten, wo die neue Epoche aufgegangen ist, bei den Menschen ein Bewußtsein vorhanden war von jener andern Welt des Zusammenlebens des Menschen als Mikrokosmos mit dem Makrokosmos.

Man unterschied auf der einen Seite die Natur, das Miterleben des Menschen mit dem Kosmos, was das Mittelalter Natura nannte, was das Altertum Proserpina nannte. Man personifizierte, unterschied dieses wiederum von der Urania, welche ebenso die Himmelssphäre beherrscht, wie die Natur dasjenige beherrscht, was der Mensch miterlebt vom Einschlafen bis zum Aufwachen. Und ein tiefes Geheimnis glaubten diese mittelalterlichen Menschen zu sehen, wenn sie sprachen von der Vermählung der Natur im Menschen mit dem Nus, mit dem Verstande, mit dem Intellekt im Menschen. Und in richtiger und unrichtiger Weise wurde von diesen Menschen versucht, zu erleben im Menschen die Vermählung der Natur mit dem Nus, mit dem Verstande oder Intellekt, als mystische Hochzeit, der gegenüberstand die alchimistische Hochzeit, so wie ich das in dem Aufsatze beschrieben habe, der der erste ist über den Christian Rosenkreutz." (Lit.: GA 180, S. 106)

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Mysterienwahrheiten und Weihnachtsimpulse. Alte Mythen und ihre Bedeutung, GA 180 (1980), ISBN 3-7274-1800-1 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
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Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
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Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.
  1. [40. Diese schöne Frau, die in der Folge Matilde (Matelda) genannt wird, fassen wir am Einfachsten als eine Wiederholung der Idee der Lea in Ges. 27, 97 ff. Wie dort jener die Rahel, so würde [356] hier dieser die bald erscheinende Beatrix als Gegenbild entsprechen. Und was dort im Traum ahnungsvoll sich vorbildet, das würde hier sich real vollziehen und zur Wirklichkeit werden, nemlich, daß Dante, daß der geläuterte Gläubige, nun wirklich am Ziel jener christlichen Vollkommenheit anlangt, welche in Ges. 27 definirt worden ist. Damit ist die Function ganz übereinstimmend, welche wir Matilden hier und in der Folge zugewiesen sehen. Sie ist die Hüterin, gleichsam der Eingang des irdischen Paradieses, d. h. des vollkommenen Zustandes; sie führt, belehrt den Dante, weist ihn auf Beatrix, und diese wieder weist ihn zu ihr, damit sie ihn in Lethe’s Fluten tauche. Also offenbar ein sich ergänzendes Wechselverhältniß, bei welchem der einen der beiden Frauen die thätige, der andern die rein innerliche, beseligende Seite zugewiesen ist. – Nicht so sicher zu bestimmen ist, wer diese Matelda ursprünglich gewesen, welche die ihr zu Grunde liegende historische Person sei? Denn, obwohl stets Allegorie, so hat doch Dante niemals solche ohne geschichtliche Unterlage. Man muß sich nun hier bescheiden zu sagen, daß es möglich ist, Dante habe zunächst die berühmte Markgräfin von Toskana, die Freundin Gregors VII. im Auge gehabt, so wenig deren Wirksamkeit für die weltliche Macht des Papstthums in Dante’s Sinn gewesen sein kann. Mit mehr Recht aber scheint uns Notter auf die individuell warme Schilderung der Matilde in 28, 46–60; 64–66; 73–75: 29, 1 aufmerksam zu machen und zu folgern, daß eine persönliche nach V. 49 ff. früh verstorbene Geliebte des Dichters, die im neuen Leben genannte „schöne Mitleidige“ – aber nicht die des Convito! – die Farbe zu dem reizenden Bild hergegeben habe, während vielleicht der Name absichtlich von der Markgräfin oder der Nonne Mechtild zu Eisleben entlehnt sein möge. – Sei dem wie ihm wolle, jedenfalls müssen wir dem Dichter für eine – neben der allegorischen Bedeutung – so poesie- und lebensvoll gezeichnete Gestalt höchlich Dank wissen, da sie den Gang der Entwicklung auf’s Anmuthigste belebt.]
  2. 49. Proserpina, der Ceres Tochter, wurde, Blumen auf einer Wiese pflückend, vom Pluto geraubt und zur Unterwelt entführt.
  3. 98. Ps. 51, V. 9
  4. [107. Vgl. 29, 121 ff. Die vier natürlichen („weltlichen“) Tugenden waren auf Erden und bestimmt, ihr zu Bahnbrechern zu dienen, ehe Beatrix, die Gnade in Christo, und mit ihr die drei geistlichen Tugenden, durch’s Christenthum auf die Welt kamen. – Derselbe Stufengang von der natürlichen-, durch die Gnade, zur geistlichen Tugend, in welcher erst die Gnade recht erkannt und besessen wird [379] V. 110, 111, muß daher auch bei der sittlichen Vollendung des einzelnen Menschen statt haben.]
  5. [109. Sie verlassen also jetzt den Wald, in den sie Ges. 28 eingetreten, in dem Ges. 29, 35 auch der Zug der Kirche erschienen war.]
  6. [112. Dante glaubt vor den Strömen des 1. Buchs Mosis Cap. 2 zu stehen. Es sind aber Lethe und Eunoë.]
  7. [121 ff. Ges. 28, 124 ff.]
  8. [124. „Die größere Sorge“, die Hauptsorge, Beatrix nicht aus dem Auge zu verlieren, ließ seinen Blick nur flüchtig und halb gedankenlos zur Erde vor sich niedersinken – ein, wie uns dünkt, schönes Bild des ganz auf’s Höchste concentrirten Menschen.]