Goethes Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie

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Illustration zu Goethes Märchen von Gustav Wolf (1922)

Goethes Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie ist als letzte Erzählung in dem Novellenzyklus Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten enthalten, der erstmals 1795 in der von Friedrich Schiller herausgegeben Zeitschrift Die Horen erschienen ist. Das Märchen zeigt in bildhafter Form, wie sich der Mensch in einer dem Bewusstseinsseelenzeitalter gemäßen Form in ein bewusstes, freies Verhältnis zur übersinnlichen Welt setzen kann.


Personen

  • Der Fährmann
  • Zwei Irrlichter
  • Die grüne Schlange
  • Der Riese
  • Der Alte mit der Lampe
  • Seine Frau
  • Der Mops
  • Der goldene König
  • Der silberne König
  • Der gemischte König
  • Der Jüngling
  • Die schöne Lilie
  • Ihre drei Dienerinnen
  • Ihr Kanarienvogel
  • Der Habicht

Goethes Märchen und die Anthroposophie

Rudolf Steiner ist den Weg, den Goethe durch sein Märchen bezeichnet hat, konsequent weiter gegangen und hat auf der Grundlage des Märchens nicht nur seine Mysteriendramen geschrieben, sondern die ganze Anthroposophie ist, nach Steiners eigenen Worten, aus der "Urzelle" jenes Vortrages über Goethes geheime Offenbarung hervorgegangen, den er am 29. September 1900 in der Theosophischen Bibliothek in Berlin gehalten hatte (Lit.: Lindenberg, S 298). Grundlage dieses Vortrags war der gleichnamige Aufsatz, den Steiner am 26. August 1899 anläßlich Goethes 150. Geburtstages über dessen Märchen veröffentlicht hatte (Lit.: GA 30, S 86ff). In "Mein Lebensgang" schreibt Steiner:

"Der Wille, das Esoterische, das in mir lebte, zur öffentlichen Darstellung zu bringen, drängte mich dazu, zum 28. August 1899, als zu Goethes hundertfünfzigstem Geburtstag, im «Magazin» einen Aufsatz über Goethes Märchen von der «grünen Schlange und der schönen Lilie» unter dem Titel «Goethes geheime Offenbarung» zu schreiben. — Dieser Aufsatz ist ja allerdings noch wenig esoterisch. Aber mehr, als ich gab, konnte ich meinem Publikum nicht zumuten. - In meiner Seele lebte der Inhalt des Märchens als ein durchaus esoterischer. Und aus einer esoterischen Stimmung sind die Ausführungen geschrieben.

Seit den achtziger Jahren beschäftigten mich Imaginationen, die sich bei mir an dieses Märchen geknüpft haben. Goethes Weg von der Betrachtung der äußeren Natur zum Innern der menschlichen Seele, wie er ihn sich nicht in Begriffen, sondern in Bildern vor den Geist stellte, sah ich in dem Märchen dargestellt. Begriffe schienen Goethe viel zu arm, zu tot, um das Leben und Wirken der Seelenkräfte darstellen zu können.

Nun war ihm in Schillers «Briefen über ästhetische Erziehung» ein Versuch entgegengetreten, dieses Leben und Wirken in Begriffe zu fassen. Schiller versuchte zu zeigen, wie das Leben des Menschen durch seine Leiblichkeit der Naturnotwendigkeit und durch seine Vernunft der Geistnotwendigkeit unterliege. Und er meint, zwischen beiden müsse das Seelische ein inneres Gleichgewicht herstellen. In diesem Gleichgewicht lebe dann der Mensch in Freiheit ein wirklich menschenwürdiges Dasein.

Das ist geistvoll; aber für das wirkliche Seelenleben viel zu einfach. Dieses läßt seine Kräfte, die in den Tiefen wurzeln, im Bewußtsein aufleuchten; aber im Aufleuchten, nachdem sie andere ebenso flüchtige beeinflußt haben, wieder verschwinden. Das sind Vorgänge, die im Entstehen schon vergehen; abstrakte Begriffe aber sind nur an mehr oder weniger lang Bleibendes zu knüpfen.

Das alles wußte Goethe empfindend; er setzte sein Bildwissen im Märchen dem Schiller'schen Begriffswissen gegenüber.

Man ist mit einem Erleben dieser Goethe'schen Schöpfung im Vorhof der Esoterik.

Es war dies die Zeit, in der ich durch Gräfin und Graf Brockdorff aufgefordert wurde, an einer ihrer allwöchentlichen Veranstaltungen einen Vortrag zu halten. Bei diesen Veranstaltungen kamen Besucher aus allen Kreisen zusammen. Die Vorträge, die gehalten wurden, gehörten allen Gebieten des Lebens und der Erkenntnis an. Ich wußte von alledem nichts, bis ich zu einem Vortrage eingeladen wurde, kannte auch die Brockdorffs nicht, sondern hörte von ihnen zum ersten Male. Als Thema schlug man mir eine Ausführung über Nietzsche vor. Diesen Vortrag hielt ich. Nun bemerkte ich, daß innerhalb der Zuhörerschaft Persönlichkeiten mit großem Interesse für die Geistwelt waren. Ich schlug daher, als man mich aufforderte, einen zweiten Vortrag zu halten, das Thema vor: «Goethes geheime Offenbarung». Und in diesem Vortrag wurde ich in Anknüpfung an das Märchen ganz esoterisch. Es war ein wichtiges Erlebnis für mich, in Worten, die aus der Geistwelt heraus geprägt waren, sprechen zu können, nachdem ich bisher in meiner Berliner Zeit durch die Verhältnisse gezwungen war, das Geistige nur durch meine Darstellungen durchleuchten zu lassen." (Lit.: GA 28, S 292f)

Tatsächlich hängt, wie Rudolf Steiner später ausführte, Goethes Märchen eng mit dem Karma der Anthroposophischen Gesellschaft und mit himmlischen Kultus zusammen, der von Michael Ende des 18. und bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts in der geistigen Welt eingerichtet wurde. Dieser himmlische Kultus war ein Ergebnis jener im Geistigen im 15. Jahrhundert begründeten Michael-Schule, mit der das 1879 beginnende Michael-Zeitalter vorbereitet werden sollte.

"Was mit dem 20. Jahrhundert hier auf der Erde sich vollzieht als das Zusammenströmen einer Anzahl von Persönlichkeiten zu der Anthroposophischen Gesellschaft, das hat sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts dadurch vorbereitet, daß die Seelen dieser heute verkörperten Menschen, die da in großer Anzahl zusammenströmen, im Geistigen vereinigt waren, als sie noch nicht in die physisch-sinnliche Welt herabgestiegen waren. Und es ist dazumal in den geistigen Welten von einer Anzahl von Seelen, zusammen wirkend, eine Art von Kultus gepflegt worden, ein Kultus, der die Vorbereitung für diejenigen Sehnsuchten war, die in den Seelen aufgetreten sind, welche in Leibern jetzt zur Anthroposophischen Gesellschaft zusammenströmen. Und wer die Gabe hat, die Seelen in ihren Leibern wiederzuerkennen, der erkennt sie, wie sie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit ihm zusammen gewirkt haben, als in der übersinnlichen Welt hingestellt worden sind mächtige kosmische Imaginationen, welche dasjenige darstellen, was ich nennen könnte: das neue Christentum." (Lit.: GA 240, S 145)

Die mächtigen kosmischen Imaginationen, in denen der himmlische Kultus Michaels lebte, und die später zum eigentlichen Inhalt der Anthroposophie werden sollten, spiegeln sich in gedämpfter Form in Goethes Märchen wider.

"Davon sickerte so manches durch. Oben in der geistigen Welt spielte sich ab in mächtigen kosmischen Imaginationen die Vorbereitung für jene intelligente, aber durchaus spirituelle Erschaffung, die dann als Anthroposophie erscheinen sollte. Was da durchsickerte: auf Goethe machte es einen bestimmten Eindruck. Ich möchte sagen, es kam in Miniaturbildern bei ihm durch. Die großen, gewaltigen Bilder, die sich da oben abspielten, kannte Goethe nicht; er verarbeitete diese Miniaturbildchen in seinem «Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie». Eine wunderbare Erscheinung! Wir haben die ganzen Strömungen, die ich geschildert habe, so sich fortsetzend, daß sie zu jenen mächtigen Imaginationen führen, die oben in der geistigen Welt unter der Führung des Alanus ab Insulis und der anderen sich abspielen; wir haben das Mächtige, daß da Dinge durchsickern und Goethe an der Wende des 18. und 19. Jahrhunderts begeistern zu seinem spirituellen Märchen «Von der grünen Schlange und der schönen Lilie». Es war sozusagen ein erstes Herauskommen desjenigen, was zunächst in mächtigen Imaginationen im Beginne des 19., sogar schon am Ende des 18. Jahrhunderts sich in der geistigen Welt abspielte. Sie werden es daher nicht wunderbar finden, daß im Hinblick auf diesen übersinnlichen Kultus, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stattfand, mein erstes Mysteriendrama, «Die Pforte der Einweihung», das ja in einer gewissen Weise in dramatischer Form wiedergeben wollte, was sich da im Beginne des 19. Jahrhunderts abspielte, äußerlich in der Struktur etwas ähnlich wurde dem, was Goethe in seinem Märchen «Von der grünen Schlange und der schönen Lilie» dargestellt hat. Denn die Anthroposophie sollte von der Art, wie sie imaginativ in den ersten Zeiten in überirdischen Regionen gelebt hat, heruntersteigen in die irdische Region." (Lit.: GA 240, S 178)

Literatur

  1. Christoph Lindenberg: Rudolf Steiner. Eine Biographie, Band 1: 1861-1910, Band 2: 1911-1925, Stuttgart: Freies Geistesleben 1997, ISBN 3-7725-1551-7
  2. Rudolf Steiner: Mein Lebensgang, GA 28 (2000)
  3. Rudolf Steiner: Methodische Grundlagen der Anthroposophie, GA 30 (1989)
  4. Rudolf Steiner: Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge. Sechster Band, GA 240 (1992)
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Weblinks

  1. Goethe: Das Märchen - der ganze Text im Projekt Gutenberg-DE
  2. Goethe: Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten - der ganze Text auf http://www.Wissen-im-Netz.info
  3. Goethe: Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten
  4. Goethe: Das Märchen
  5. Goethe: Das Märchen illustriert von Gustav Wolf (1922)
  6. Rudolf Steiner: Goethes geheime Offenbarung