Wilhelm Meisters theatralische Sendung und Wilhelm Meisters Lehrjahre: Unterschied zwischen den Seiten

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[[Datei:Wilhelm Meisters Lehrjahre 1795.jpg|mini|300px|rechts|<center><small>Titelblatt des Erstdruckes und Buchrücken  zeitgenössischer Einbände </small></center>]]
'''Wilhelm Meisters theatralische Sendung''', der so genannte ''[[Wilhelm Meister|Urmeister]]'', ist das Fragment eines Theaterromans von [[Johann Wolfgang von Goethe]]. In den Jahren 1777 bis 1785 entstanden, verwertete Goethe diesen [[Wikipedia:Künstlerroman|Künstlerroman]] für seinen [[Wikipedia:Bildungsroman|Bildungsroman]] [[Wilhelm Meisters Lehrjahre]]. Eine von [[Wikipedia:Barbara Schulthess|Barbara Schulthess]] und ihrer Tochter gefertigte Abschrift des ''Urmeisters'' wurde 1910 gefunden und lag 1911 im Erstdruck vor.
[[Datei:Goethe 1791.jpg|mini|140px|rechts|<center><small>J. H. Lips (1791): Goethe</small></center>]]


__TOC__
'''Wilhelm Meisters Lehrjahre''' ist ein klassischer [[Wikipedia:Bildungsroman|Bildungsroman]] von [[Johann Wolfgang von Goethe]]. Der wegweisende [[Wikipedia:Entwicklungsroman|Entwicklungsroman]] erschien 1795/96. Er besteht aus acht Büchern, von denen sich die ersten fünf inhaltlich an das zu Goethes Lebzeiten unveröffentlichte Fragment [[Wilhelm Meisters theatralische Sendung]] anlehnen. Ein Vergleich beider Texte zeigt etliche wörtliche Übereinstimmungen.
== Theater ==
Im Roman wird das Verhalten des Schauspielers zum [[Wikipedia:Rolle (Theater)|Rollentext]], zum [[Wikipedia:Theater|Ensemble]] und zum [[Wikipedia:Bühnenwerk|Bühnenstück]] ausgiebig durchgespielt. Die Konfrontation des [[Wikipedia:Bühnenautor|Bühnenautor]]s mit seinem [[Wikipedia:Stoff (Literatur)|Stoff]], mit der [[Wikipedia:Schauspieler|Schauspieler]]truppe, auch mit dem [[Wikipedia:Publikum|Publikum]] und besonders mit der [[Wikipedia:Bürgertum|bürgerlichen]] und [[Wikipedia:Feudalismus|feudalen]] Gesellschaft des 18. Jahrhunderts nimmt breiten Raum im Romantext ein.


== Handlung ==
== Bildungsroman ==
<small>Zahlen verweisen auf das betreffende Kapitel.</small>
;Erstes Buch
3 Der Schuljunge Wilhelm Meister hat vier Geschwister. Seine Mutter kriegt ''noch in ihren ältern Jahren eine Leidenschaft für einen abgeschmackten Menschen''. Das Familienleben leidet unter dem Verhältnis, denn der Vater, ein ehrbarer Kaufmann, hasst schimpflichen ''Ehe- und Scheidungsprozeß''.


4 Wilhelm, der mit seinem Puppentheater Rollen für den ''[[Wikipedia:Saul|König Saul]]'' und ''[[Wikipedia:David (Israel)|David]]'' einübt und spielt, geht seinen Weg über die erste ''Freude der Überraschung und des Staunens ''zur'' Wollust des Aufmerkens und Forschens''.
''…mich selbst, ganz wie ich da bin, auszubilden, das war dunkel von Jugend auf mein Wunsch und meine Absicht''“, gesteht Wilhelm in einem Brief seinem Schwager Werner. Ziel Wilhelms ist es, durch mannigfaltige Bemühungen und ''schöpferische Kraft''“ - auf dem geistigen und auch auf dem sozialen Sektor - Ordnung aus Unordnung zu erreichen.


5 Aus der Vorratskammer stiehlt Wilhelm ''ein geschriebenes Büchelchen, darin die [[Wikipedia:Komödie|Komödie]] von [[Wikipedia:Goliath (Bibel)|David und Goliath]] aufgezeichnet'' ist. Der Junge lernt ''sein Schauspiel'' auswendig, studiert ''das Stück ganz in sich hinein'' und ergreift ''alle Rollen''.
In die Fußstapfen der Aufklärer [[Wikipedia:Denis Diderot|Diderot]] und [[Wikipedia:Voltaire|Voltaire]] tretend, verkündet Goethe das Recht des freien Bürgers auf allseitige Bildung. Mit der Ironie des auktorialen Erzählers fügt er ein buntes Lebensmosaik zusammen, dessen literarische Steinchen unter anderem auch aus lyrischen Einsprengseln und einer umfassenden Lebensbeichte (''Bekenntnisse einer schönen Seele'', 6. Buch) bestehen.


8 Über die Bücher seines Vaters kommt Wilhelm an die ''„Teutsche Schaubühne“ und verschiedene italienisch-teutsche Opern'' heran. Nun muss ''König Saul in seinem schwarzen Samtkleide den Chaumigrem, Cato und Darius spielen''. Wilhelm spielt ''meistensteil nur die fünften Akte, wos an ein Totstechen'' geht. ''Der Donner ''gelingt'' nicht immer''. Wilhelm schafft ''sich nach und nach neue Theatergarderobe. Dies oder jenes Stück ''interessiert'' ihn um irgend einer Szene willen''.
== Handlung ==
Auf Kapitel des Romans wird im Folgenden mit einem Zahlenpaar in der Form (Buch,Kapitel) verwiesen. In dieser Kurzdarstellung der Handlung wird dabei nicht auf jedes Kapitel Bezug genommen.


9 ''Besonders ''fesselt'' ihn Chlorinde, ''wirkt'' auf den keimenden Geist der Liebe, der sich in dem Knaben'' entwickelt.
; Übersicht
1. - 5. Buch: Der junge Wilhelm Meister will Theatermann werden, scheitert aber nach beachtlichen Erfolgen schließlich doch.


10 Wilhelms Schulkameraden lassen sich Rollen geben und spielen mit. Die Jungen glauben, ''es sei leichter, ein [[Wikipedia:Tragödie|Trauerspiel]] als ein Lustspiel zu machen''.
6. Buch: Ein junges Mädchen entdeckt die Liebe, emanzipiert sich, macht sich sowohl mit naturwissenschaftlichem als auch mit musischem und spirituellem Wissen vertraut, wendet sich ganz Gott zu und wird zu einer ''[[Schöne Seele|schönen Seele]]'', indem es eine ganz persönliche, natürliche Religiosität entwickelt und schließlich zur wohltätigen und gläubigen Frau reift, die unter dem Namen ''Die Schöne Seele'' auch als handelnde Person auftritt.


12 Der Vater hofft, dass sich Wilhelm ''zeitig und ganz dem Handelsgeschäfte widmen möchte''. Wilhelms schulische Leistungen sind vielversprechend. Im Laden des Vaters wird Wilhelm ''über das unendliche Wählen der Frauenzimmer nie verdrießlich; ''steht'' ihnen vielmehr mit gutem Rate'' bei. Aber ''mit großen Schmerzen'' muss der Vater schließlich bemerken, wie ''Wilhelm, der seinen Vater'' liebt, das Handelsgewerbe verachtet.
7. - 8. Buch: Wilhelm verlässt die Bretter, die die Welt bedeuten, und findet Anschluss an eine Loge, die soziale Veränderungen anstrebt und der die Vereinigten Staaten von Amerika zum Vorbild dienen: „''Hier oder nirgend ist Amerika!''


14-16 ''Wilhelm, der das Schauspiel, das etlichemal des Jahrs in ''seine'' Stadt'' kommt, besucht, lernt dort Mariane kennen. Mariane war ''eine Gewissensheurat mit einem Menschen ohne Gewissen eingegangen''. Der Gewissenlose ist verschwunden und Mariane gilt ''wechselweise für Jungfrau, Frau und Witwe''. Wilhelms ''Gutheit, Ergebenheit, Beschränktheit, Unschuld, Genügsamkeit, Verehrung und Herzlichkeit ''machen Mariane'' anfangs verlegen.'' Sie ist ''von Natur eine gute Seele'', fürchtet aber, Wilhelm ''möchte Erfahrenheit in'' ihren Augen ''lesen''. Wilhelm bemerkt die Unordnung bei Mariane, denn ''in einem feinen Bürgerhause erzogen, ''ist'' Ordnung und Reinlichkeit das Element, worin er'' atmet.
=== Bühne ===
; Erstes Buch
1: Als die junge Schauspielerin [[#Figuren|Mariane]] nach der Vorstellung nach Hause kommt, findet sie ein weißes Negligé, das Geschenk ihres abwesenden Geliebten, des begüterten Kaufmanns [[#Nebenfiguren|Norberg]]. Von Herzen liebt Mariane allerdings Wilhelm. Der tritt ein und begrüßt die Geliebte stürmisch. Der alten [[#Nebenfiguren|Barbara]] ist das nicht recht. Barbara wünscht, ihre schöne Gebieterin solle sich an den reichen Norberg halten. 2: Für Wilhelms Vater sind die häufigen Theaterbesuche des Sohnes Zeitverschwendung. 3: Wilhelm genießt seine erste Liebe mit Wonne. Mariane ist „''das lieblichste Geschöpf in seinen Armen''“. 9: Wilhelm, die „''reine Seele''“, von Kindesbeinen an mit dem Theater vertraut, hält sich für einen „''trefflichen Schauspieler'', will das Vaterhaus verlassen. 10: Freund [[#Nebenfiguren|Werner]], ganz Geschäftsmann, meint, Wilhelm werde als zukünftiger Kaufmann auf vernünftige Gedanken kommen, wenn er auf einer Geschäftsreise die Welt kennenlerne. 11: Auch der Vater möchte Wilhelm „''in Handelsangelegenheiten''“ auf Reisen schicken. Wilhelm nutzt die günstige Gelegenheit, „''sich dem Drucke seines bisherigen Lebens zu entziehen und einer neuen, edlern Bahn zu folgen.''Wilhelm will an einer Bühne Fuß fassen und Mariane „''alsdann abholen''. Er fragt die Geliebte, ob er Vater werde. Mariane trägt das verräterische neue Negligé und antwortet „''nur mit einem Seufzer, einem Kusse''“. 12: Norberg hat seinen Besuch angekündigt. Barbara bedeutet Mariane, Norberg sei es doch, der sie beide, die schwachen Frauen, aushalte. 13: Wilhelm lernt auf seiner Geschäftsreise den Schauspieler [[#Nebenfiguren|Melina]] und dessen [[#Nebenfiguren|Madame]] kennen. Er hilft beiden aus einer Verlegenheit, indem er zwischen dem Paar und den Angehörigen der Madame vermittelt. 15: Werner, kalt und berechnend, zieht Erkundigungen über Wilhelms Liebschaft ein und stellt den Freund zur Rede. 16: Wilhelm hält zu Mariane, plant aber weiter, seine Schauspielambitionen zu realisieren. Auf der nächsten Geschäftsreise beabsichtigt er, sich deswegen an den ihm bekannten Theaterdirektor [[#Nebenfiguren|Serlo]] zu wenden. 17: Noch bevor sich Wilhelm von Mariane verabschieden kann, wird er eines Nachts mit Entsetzen Zeuge, dass seine Geliebte noch einen anderen Verehrer hat, und verlässt Mariane.


17 ''Mariane ''lernt'' das Glück der Liebe, das ihr fremd war, in ''Wilhelms'' Armen erst kennen''. Als berechnende Frau erkundigt sie ''sich gar bald wie nebenher nach Wilhelms Vermögen''.
; Zweites Buch
[[Datei:Wilhelm meister harfner 225px.jpg|mini|rechts|'''Der Harfner''', Kupferstich von [[Gustav Heinrich Naeke]] (1786-1835) zu „''Wilhelm Meisters Lehrjahre''“]]


18 ''„Sie ist dein! Sie hat sich dir hingegeben!“'' jubiliert Wilhelm. Er will die Familie, seine uneinigen Eltern, verlassen. ''Dazu'' kommt, ''daß'' Werner, ''ein sehr gesetzter Mensch, um seine Schwester sich bewirbt und seine Stelle vertreten'' könnte. ''Seine Bestimmung zum Theater ''ist Wilhelm'' nunmehr klar, das hohe Ziel'' - der vollkommenste ''Schauspieler, Schöpfer eines großen Nationaltheaters''.
1: „''In einem Augenblicke ''ist Wilhelms'' ganzes Wesen zerrüttet.''“ 2: Wilhelm „''resigniert ''und widmet sich'' mit großem Eifer den Handelsgeschäften.''“ 3: Nach Jahren, auf seiner nächsten Geschäftsreise, begegnet Wilhelm Leuten, die „''Komödie spielen''“. 4: Wenig später lernt Wilhelm Mademoiselle [[#Nebenfiguren|Philine]] und „''ein paar ''andere'' Trümmer einer Schauspielergesellschaft''“ kennen. In Philines Gesellschaft befindet sich auch [[#Figuren|Mignon]], „''das wunderbare Kind''“, Mitglied einer Truppe von Zirkusleuten. Wilhelm schätzt sie auf „''zwölf bis dreizehn Jahre''“ und kauft sie dem brutalen Leiter der Zirkustruppe „''für dreißig Taler''“ ab. 5: Herr und Frau Melina stoßen auf die Schauspieler. Philine möchte die Ankömmlinge loswerden, denn Madame Melina ist eine bloße Möchtegern-Schauspielerin. 6: „''Mignons Gestalt und Wesen ''erscheinen Wilhelm'' immer reizender.''“ Sie spricht „''ein gebrochnes, mit Französisch und Italienisch durchflochtenes Deutsch''“. 7: Ein heruntergekommener Alter, den Philine kennt, taucht wieder auf. Wilhelm fragt ihn unter vier Augen vorsichtig nach Mariane aus. Der Alte nennt Mariane leichtfertig und liederlich. „''Frechheit und Undank ''seien'' die Hauptzüge ihres Charakters.''“ Dann schwenkt der Alte um. Er wollte Mariane einst vor Barbara retten und sie als Tochter annehmen, doch „''das Projekt zerschlug sich''“. Wilhelm erfährt außerdem, dass Mariane vor knapp drei Jahren wegen ihrer Schwangerschaft vom „''Direktor verstoßen''worden sei. 8: Wilhelm wünscht, Mignon „''an Kindesstatt seinem Herzen einzuverleiben''“. 10: Philine kokettiert mit Wilhelm. Er hütet „''sich vor der zusammenschlagenden Falle einer weiblichen Umarmung''“. 11: Ein alter [[#Figuren|Harfenspieler]] wird vorgelassen. Wenn er spielt und singt, blicken seine großen blauen Augen sanft. 12: Wilhelm hat alle Mühe, Philine abzuweisen. „''‚Sie sind ein rechter Stock!‘ ''sagt'' sie, indem sie von ihm ''abläßt'', und ich eine Törin, daß ich so viel Freundlichkeit an Sie verschwende.‘''“ Wilhelm greift korrigierend in Mignons Schreibübungen ein. 13: Er sucht den Harfner auf und lauscht dessen wehmütigem Gesang und Spiel. 14: Die von Wilhelm abgewiesene Philine macht nun dem Stallmeister des [[#Nebenfiguren|Grafen]] schöne Augen.- Mignon fürchtet, sie könnte Wilhelm verlieren: „''wenn du unglücklich bist, was soll aus Mignon werden?''“ Mignon schluchzt, weint und tut „''einen Schrei, der mit krampfigen Bewegungen des Körpers begleitet''“ ist. Wilhelm tröstet sie: „''mein Kind! Du bist ja mein! … Ich werde dich behalten, dich nicht verlassen!‘ ''und Mignon erwidert: ''‚Mein Vater! du willst mich. Ich bin dein Kind!‘''“
; Drittes Buch
[[Datei:Goethe, Italienische Küstenlandschaft - Aquarellierte Federzeichnung.jpg|mini|rechts|Goethe: Italienische Küstenlandschaft - Federzeichnung]]
1:„''Gehst du nach Italien, so nimm mich mit, es friert mich hier''“, sagt Mignon zu Wilhelm (das Kapitel setzt direkt mit Mignons berühmtem Lied ein „Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn ... “<ref>Die drei Strophen des Mignon-Liedes:<br /><br /><small>Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn,<br />Im dunklen Laub die Gold-Orangen glühn,<br />Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,<br />Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht &nbsp;-<br />Kennst du es wohl? Dahin! Dahin<br />möcht ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn!<br /><br />Kennst du das Haus? Auf Säulen ruht sein Dach,<br />Es glänzt der Saal, es schimmert das Gemach,<br />Und Marmorbilder stehn und sehn mich an:<br />Was hat man Dir, du armes Kind, getan?&nbsp;-<br />Kennst Du es wohl? Dahin! Dahin<br />Möcht ich mit dir, o mein Beschützer, ziehn!<br /><br />Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg?<br />Das Maultier sucht im Nebel seinen Weg.<br />In Höhlen wohnt der Drachen alte Brut,<br />Es stürzt der Fels und über ihn die Flut&nbsp;-<br />Kennst du ihn wohl? Dahin! Dahin<br />Geht unser Weg; o Vater, lass uns ziehn!<br /><br /></small></ref>). Als er Genaueres über ihre Liebe zu Italien wissen will, schweigt sie sich aus. Die Truppe trifft auf den Grafen, der seiner Gemahlin, der [[#Nebenfiguren|Gräfin]] gegenüber die Truppe beurteilt: „''Wenn es Franzosen wären, könnten wir dem Prinzen eine unerwartete Freude machen und ihm bei uns seine Lieblingsunterhaltung verschaffen.''“ Die Schauspieler wollen den gräflichen Herrschaften gefallen. Philine küsst der Gräfin die Hände. Die Geküsste bemerkt: „''Sie muß sich nur besser anziehen.''“ 2: Der [[#Nebenfiguren|Baron]], vom Grafen mit der Inspektion der Truppe beauftragt, entdeckt „''gar bald die schwache Seite des kleinen Haufens''“. 6: Wilhelm belehrt den Baron vergeblich: „''Der Liebhaber und Kenner zeigt dem Künstler an, was er wünscht, und überlässt ihm alsdann die Sorge, das Werk hervorzubringen.''“ Der Baron stellt klar: „''Der Herr Graf verläßt sich darauf, daß das Stück so und nicht anders, wie er es angegeben, aufgeführt werde.''“ 7: Auch Mignon zeigt mehr Realitätssinn als Wilhelm. Sie weigert sich, ihren hochartistischen ''Eiertanz'' vorzuführen und bittet Wilhelm: „''Lieber Vater! bleib auch du von den Brettern!''“
8: [[#Nebenfiguren|Jarno]], ein - wie es zunächst scheint - hartherziger, kalter Günstling des Prinzen, weist Wilhelm auf [[William Shakespeare|Shakespeare]] hin. 11: Wilhelm ist stark beeindruckt und kann Jarno nicht genug für den Hinweis danken; Jarno jedoch empfiehlt Wilhelm, dem Theater zu entsagen und „''in ein tätiges Leben überzugehen''“, was Wilhelm kränkt und von Jarno entfremdet. 12: Philine schmeichelt sich bei der Gräfin weiter ein. Da die Gräfin von Langeweile geplagt wird, holt Philine Wilhelm herbei. Dieser muss aus seinem Manuskript vorlesen. Als er sich nach der Lesung von der Gräfin unter vier Augen verabschiedet, liegt diese plötzlich, „''ohne zu wissen, wie es geschah in seinen Armen''“, und sie tauschen Küsse aus. Mit einem Schrei reißt sie sich von ihm los und ruft: „''Fliehen Sie mich, wenn Sie mich lieben!''“


20 Mariane sieht Mutterfreuden entgegen. Mindestens zwei Männer kommen als Vater in Frage.
; Viertes Buch
1: Zum Abschied schenkt der Baron Wilhelm einen Beutel Goldstücke. Wilhelm nimmt das Geschenk widerstrebend an. Der Harfner bittet Wilhelm, „''ihn ja sogleich zu entlassen.''“ Wilhelm will ihn weiter beschützen. Doch der Harfner sagt: „''Die Rache, die mich verfolgt, ist nicht des irdischen Richters; ich gehöre einem unerbittlichen Schicksale; ich kann nicht bleiben und ich darf nicht!… Ich bin schuldig… Meine Gegenwart verscheucht das Glück.''“ Wilhelm kann den Harfner besänftigen. 2: Die Zukunft der Truppe sieht nicht gerade rosig aus. Wilhelm ermuntert die Schauspieler zum Üben. Nur Philine ist auf Wilhelms Seite. 5: Die Truppe muss das gräfliche Schloss verlassen und weiterziehen. Unterwegs wird sie im Wald von einer Räuberbande überfallen und ausgeplündert. Wilhelm wird durch einen Schuss verletzt. 6: Rettung für Wilhelm naht in Gestalt einer „''schönen [[Wikipedia:Amazonen|Amazone]]''“. In deren Gefolge befinden sich ein „''alter Herr''“, den die schöne junge Frau mit „''lieber Oheim''“ anredet und ein „''Wundarzt''“. 7: Wilhelm, Mignon, der Harfner und Philine bekommen nach überstandenem Überfall in der Notunterkunft den Unmut der Truppe zu spüren. 8: Wilhelm, auf dem Krankenlager, verspricht der Truppe, er werde sie aus dem Elend herausführen. 11: Die Truppe zieht weiter. Philine bleibt bei Wilhelm. Auf dem Wege der Besserung schwelgt Wilhelm in „''unendlich süßer Erinnerung''“ an die Gräfin und an die schöne Amazone. Von jeder hat er eine Schriftprobe - „''ein reizendes Lied von der Hand der Gräfin in seiner Schreibtafel, und … ein Zettelchen''“, worauf „''man sich mit viel zärtlicher Sorgfalt nach dem Befinden eines Oheims''“ erkundigt. Wilhelm bewundert „''die Ähnlichkeit ihrer Handschriften''“. 13: Serlo empfängt Wilhelm in der „''lebhaften Handelsstadt mit offenen Armen''“ und schenkt ihm „''unbarmherzig''“ reinen Wein ein: Die Truppe um Melina ist für die Theaterarbeit unbrauchbar. Serlo stellt seine Schwester [[#Nebenfiguren|Aurelia]] Wilhelm vor. 14: Philine „''rekognosziert das Terrain, ''um sich'' einzunisten''“. Bald kann sie Wilhelm mit neuen Klatschgeschichten unterhalten: Aurelie hatte einen „''unglücklichen Liebeshandel''“ mit einem Baron [[#Figuren|Lothar]]. „''Es läuft da ein Knabe herum, ungefähr von drei Jahren, schön wie die Sonne''“, klatscht Philine weiter. Der Knabe heißt [[#Figuren|Felix]]. Philine gesteht Wilhelm erneut, sie sei in ihn verliebt und bittet, er möchte sich in Aurelie verlieben. 17: Da Wilhelm überwiegend im Auftrag seines Vaters unterwegs ist und dieser Bericht erwartet, beginnt Wilhelm mit Laertes' Hilfe einen erfundenen Bericht zu verfassen. 19: „''Bei der innerlichen Kälte seines Gemütes ''liebt Serlo'' eigentlich niemand; bei der Klarheit seines Blicks ''kann'' er niemand achten.''“ Trotzdem engagiert Serlo Wilhelm und bringt sogar die Truppe Melina unter. Wilhelm setzt durch, dass Mignon und der Harfner bei ihm bleiben dürfen. 20: Aurelie führt sich wie eine „''Halbwahnsinnige''“ auf. Mit ihrem Dolch bringt sie Wilhelm eine Schnittwunde an der Hand bei und verbindet ihn sogleich sorgsam. Wilhelms Kommentar: „''Beste, wie konnten Sie Ihren Freund verletzen?''“


21-23 Werner übernimmt das Handelsgeschäft und will Wilhelm auf Geschäftsreisen schicken. Mariane ist das recht, denn dann kann sie sich ungestört mit ''Norman, Wilhelms Nebenbuhler'', abgeben. Zum Abschied schreibt Wilhelm Mariane einen glühenden Liebesbrief. Darin setzt er sie auch von seinen ernsten Absichten ins Bild. Als Wilhelm von Mariane Abschied nehmen will, entdeckte er - da ist ein Nebenbuhler.
; Fünftes Buch
1: Felix trinkt „''lieber aus der Flasche als aus dem Glase''“. Diese „''unschickliche''“ Angewohnheit wird dem lebhaften Knaben am Romanende das Leben retten. Werner teilt Wilhelm „''den Tod seines Vaters''“ brieflich mit. 2: Werner erklärt Wilhelm seinen Plan, Wilhelms Erbe zu übernehmen und dessen Schwester zu heiraten. Da sich Wilhelm in seinen Briefen so vorzüglich dargestellt habe, solle dieser doch mit Werner zusammen Gutsverwalter werden. 3: In Wilhelms Antwortschreiben gesteht er den Betrug. Es stehen aber auch einige Wahrheiten darin: „''Ich habe nun einmal gerade zu jener harmonischen Ausbildung meiner Natur, die mir meine Geburt versagt, eine unwiderstehliche Neigung … da ich aber nur ein Bürger bin, so muß ich einen eigenen Weg nehmen … Nun leugne ich Dir nicht, daß mein Trieb täglich unüberwindlicher wird, eine öffentliche Person zu sein, und in einem weitern Kreise zu gefallen und zu wirken.''“ Wilhelm schließt sich Serlos als Schauspieler an. 4 - 10: Wilhelm editiert den „''[[Wikipedia:Hamlet|Hamlet]]''“ und reduziert ihn aufs Wesentliche. Die Proben schreiten voran und alle Schauspieler sind mit Enthusiasmus dabei. 11: Das „''Ensemble''“ hat mit „''[[Wikipedia:Hamlet|Hamlet]]''“ in der Inszenierung Wilhelms Erfolg. Dabei wird der „''Geist''“ von einem Unbekannten gespielt. 12: Im Anschluss an die Aufführung feiert die Truppe. Nachts schleicht sich eine schöne Unbekannte in Wilhelms Bett, mit der er schläft. 13: Das Haus, in dem die Schauspieler logieren, brennt. Mignon ruft Wilhelm zu: „''Meister! Rette deinen Felix! Der Alte (d.h. der Harfenspieler) ist rasend! der Alte bringt ihn um!''“ 14: Die Truppe wird aufgeteilt und umquartiert. Wilhelm hegt insgeheim den „''Verdacht, daß der Alte schuld an dem Brande sei''“. 15: Der Harfner zeigt „''deutliche Spuren des Wahnsinns''“. Wilhelm muss ihn „''einem Landgeistlichen''“ anvertrauen, der „''dergleichen Leute''“ behandelt. Philine distanziert sich von Wilhelm und dieser glaubt, in einer Besucherin Philinens seine Mariane zu sehen. Tags darauf ist Philine abgereist, ohne dass Wilhelm sich hätte versichern können, dass es sich wirklich um Mariane gehandelt hatte. 16: Wilhelm sucht den Harfner auf. Der Landgeistliche hat einen „''[[#Nebenfiguren|Arzt]] zu Rate''“ gezogen. Von dem Arzt bekommt Wilhelm das Manuskript „''Bekenntnisse einer schönen Seele''“ als Lektüre.- Melina - „''kalt und heimtückisch''“ - und Serlo betreiben die Entfernung Wilhelms und Aureliens von der Bühne. Neue Akteure stoßen zur Truppe, die Stimmung in der Truppe verschlechtert sich.


;Zweites Buch
Aurelie, schon immer krank gewesen, gesteht Wilhelm, „''daß das Ende ''ihres'' Lebens bald herannaht'', beauftragt ihn, einen Brief ihrem geliebten Lothar zu überbringen und stirbt, nicht ohne vorher die „''Bekenntnisse einer schönen Seele''“ gelesen zu haben. Wilhelm reist ab, um Lothar den Brief zu überbringen. Beim Abschied sagt Felix zu ihm: „''Höre! bringe mir einen Vater mit''und Mignon singt
1-5 Wilhelm ist lange krank. ''Er ''flieht'' die Menschen, ''enthält'' sich in seiner Stube. Und er wäre auch untergegangen, hätte ihn nicht die Kraft seiner Natur, die wieder zum Geraden und Reinen strebte, gerettet.'' Wilhelm liest ''mit vielem Vergnügen Theaterbücher - des [[Aristoteles]] „Poetik“ ''und'' [[Wikipedia:Pierre Corneille|Corneille]] - ''die'' Abhandlung über die drei Einheiten'' Handlung, Ort und Zeit. Werner, der inzwischen die Schwester geheiratet hat, bewundert, was Wilhelm ''so vielerlei geschrieben'' hat. Im Gespräch mit Werner definiert Wilhelm den großen Theaterdichter: ''Eine tiefe innere Selbständigkeit ist der Grund aller seiner Charaktere, Stärke des Geistes in allen Situationen ist das Liebste, was er schildert. Wer hat, ''schwärmt er weiter'', Götter gebildet, uns zu ihnen erhoben, sie zu uns hernieder gebracht, als der Dichter?'' Dann kommt Wilhelm auf das Thema Mariane und bricht ''in einen Strom von Tränen aus. Werner ''steht'' in der größten Verlegenheit dabei.'' In ellenlangen Gesprächen mit Werner favorisiert Wilhelm ''im [[Wikipedia:Drama|Drama]] die Handlung ''als'' die Hauptsache''.
: ''Heiß mich nicht reden, heiß mich schweigen,''
: ''Denn mein Geheimnis ist mir Pflicht;''
: ''Ich möchte dir mein ganzes Innre zeigen,''
: ''Allein das Schicksal will es nicht.''


6-7 Während einer Landpartie mit Werner lernt Wilhelm den jungen Schauspieler Melina und seine Madame kennen. Melina hat sich ''mit seiner jungen Braut'' gegen den Willen ihrer Eltern davongemacht. Die Madame will die Welt sehen und sich der Welt zeigen. Wilhelm möchte den beiden helfen. Melina strebt eine ''bürgerliche Bedienung'' an. Wilhelm, der möchte, dass Melina Schauspieler bleibt, hat Vorstellungen vom Schauspielerberuf, die Melina keineswegs teilen kann. Wilhelm: … ''überdies wüßte ich keine ''[Lebensart]'', die Ihnen so viele Annehmlichkeiten darbietet als die eines Schauspielers''. Melina: ''Man sieht, daß Sie keiner gewesen sind.'' Als Wilhelm dann allein ist, hält er an seinem Ideal fest: ''Nichts ist auf der Erde ohne Beschwerlichkeit, nur der innere Trieb, die Lust, die Liebe helfen uns Hindernisse überwinden.'' Wilhelm meint, ''daß in den Menschen ein besserer Funke lebt''.
=== Gott ===
; Sechstes Buch. Bekenntnisse einer schönen Seele
Die [[#Figuren|schöne Seele]] (siehe auch oben unter „Übersicht“), eine Tante Lotharios, schildert ihr religiöses Leben, insbesondere ihre Hinwendung zu den [[Wikipedia:Herrnhuter|Herrnhuter]]n. Nebenbei werden Familienverhältnisse bekannt: Baron Lothario hat eine Schwester, die Baronesse [[#Figuren|Natalie]].


8 Wilhelm wird von Werner als Schuldeneintreiber auf Reisen geschickt.
=== Turm ===
; Siebentes Buch
1: Wilhelm, mit dem Brief der verblichenen Aurelie zu Lothar unterwegs, begegnet dem [[#Nebenfiguren|Abbé]]. Er hat den Geistlichen schon einmal gesehen - im Gefolge der hilfreichen schönen Amazone nach dem Überfall im Wald. Der Abbé fragt nach der Theatertruppe. Wilhelm gesteht, „''es ist ''ihm'' nichts davon übriggeblieben''“. Im Schloss Lothars - fortan Lothario genannt - hat Wilhelm nach seiner Unterbringung „''sonderbare Traumbilder''“. Mariane begegnet ihm. „''Jene Amazone''“ hat Ähnlichkeit mit einem Bild an der Zimmerwand. 2: Lothario hat zwar den Brief Aureliens in Empfang genommen, ihn plagen aber andere Sorgen. Er duelliert sich wegen einer Liebschaft und wird verwundet. 3: Wilhelm erhält über den alten Bekannten Jarno seinen ersten Auftrag von der Turmgesellschaft. Er soll die aufdringliche [[#Nebenfiguren|Lydie]] von Lotharios Krankenbett entfernen. Jarno, gut unterrichtet, spottet über Wilhelms „''alte Grille''“, die Schauspielerei. Wilhelm möchte der schönen Amazone „''auf die Spur kommen''“. 4: Bevor Wilhelm seinen Auftrag ausführt, trifft er auf jenen Arzt, dem er das „''interessante Manuskript''“ verdankt und der den Harfner betreut. Wilhelm erfährt vom Wahn des Kranken: Der Harfner meint, ihm stehe der „''Tod durch einen unschuldigen Knaben''“ bevor.- Nach Jarno soll Wilhelms erster Auftrag ihn zu Fräulein [[#Nebenfiguren|Therese]], einer „''wahren Amazone''“, führen. Der hellhörige Wilhelm hofft, „''seine Amazone wieder zu finden, diese Gestalt aller Gestalten''“. 6: Bei Therese angekommen, muss er feststellen, dass sie seine Amazone nicht ist. Er erfährt von dem verständigen Fräulein, dass sie „''mit Lotharios trefflicher Schwester einen Bund gemacht''“. Therese meint Natalie. Wilhelm missversteht: Er glaubt, Therese spreche von der Gräfin, die er einmal geküsst hat.- Lydie fragt nach dem geheimnisvollen „''großen Turm. Wozu diese verschlossenen Zimmer? diese wunderlichen Gänge?''“ Auch Wilhelm fällt der Turm auf. 7: Lothario und Therese, die „''sich heftig liebten''“, wollten heiraten, doch es gibt Hindernisse. Wilhelm will Lothario tadeln, weil er Aurelie verließ. Der Versuch misslingt. Wilhelm erfährt von Lothario, „''Aurelie hatte keinen Sohn, am wenigsten von''“ ihm. Jarno, der zugegen ist, empfiehlt Wilhelm: „''Überhaupt dächte ich, Sie entsagten kurz und gut dem Theater, zu dem Sie doch einmal kein Talent haben.''“ Über Jarno erhält Wilhelm den nächsten Auftrag vom Turm: Er soll die Kinder holen. 8: Wilhelm findet Mignon und Felix nicht in der Obhut Frau Melinas, sondern er begegnet der alten Barbara. Von Barbara muss Wilhelm die Wahrheit erfahren: Als er glaubte, Mariane sei ihm untreu, habe sie seinerzeit in Wirklichkeit Norberg den Laufpass gegeben. Felix sei Marianens und Wilhelms Sohn. Mariane starb nach dessen Geburt. Werner hatte zuvor alle Briefe Marianens an Wilhelm „''zurückgewiesen''“. Barbaras Intrige: Sie hatte Aurelie vorgespiegelt, Felix sei ein Sohn ihres Geliebten Lothario. Aurelie nahm darauf Felix - aus Liebe zu Lothario - in ihren fürsorglichen Schutz.- Mignon will zum Harfner. Wilhelm redet ihr das aus. Wilhelm betrachtet sich und Felix vor dem Spiegel, sucht „''dort Ähnlichkeiten zwischen sich und dem Kinde''“. Er nimmt die beiden Kinder mit zum Turm. 9: Vom Abbé erhält Wilhelm seinen Lehrbrief und darf eine Frage stellen. Wilhelm fragt, „''ob Felix wirklich ''sein'' Sohn sei.''“ Die Anfrage wird von dem allwissenden Abbé bejaht. Der Geistliche setzt hinzu: „''Deine Lehrjahre sind vorüber.''“


;Drittes Buch
; Achtes Buch
1 Auf seiner Reise kommt Wilhelm ''in einsamen Gebürgen, zwischen undurchdringlichen Wäldern zu Hochdorf'' an einer ''Wachstapetenfabrik'' vorbei, deren ''Fabrikdirektor'' auf Wilhelms Liste der Schuldner steht. Der biedere Direktor zahlt anstandslos ''auf der Stelle in Golde aus'' und ist auch noch menschenfreundlich: Wenn es an Aufträgen mangelt, lässt er seine Arbeiter Komödien spielen. Eine solche Aufführung erlebt Wilhelm mit.
1: Werner, ein „''arbeitsamer [[Wikipedia:Hypochonder|Hypochondrist]]''“ geworden, kommt in geschäftlichen Angelegenheiten zum Turm. Man tauscht sich aus. Wilhelm hat andere Sorgen. Er braucht eine Mutter für Felix und hält schriftlich um die Hand des braven Fräulein Therese an. 2: Mignon geht es nicht gut. Sie ist bei Natalie zur Pflege. Lothario bittet Wilhelm, zusammen mit Felix, seine Schwester und Mignon aufzusuchen und der Schwester auch auszurichten, [[#Nebenfiguren|Marchese Cipriani]], ein Freund der Familie, komme bald. Lothario überreicht Wilhelm ein „''Billett''“ Nataliens. Wilhelm meint, die Handschrift zu erkennen und sieht der Begegnung mit Bangen entgegen: „''Um Gottes willen! … das ist nicht die Hand der Gräfin, es ist die Hand der Amazone!''“ Tatsächlich begegnet Wilhelm seiner Amazone, der Baronesse Natalie. Sie hat Mignons Herzleiden, das das Mädchen „''nach und nach aufzehrt''“, genau beobachtet und gibt ein Lied Mignons wieder:
: „''So laßt mich scheinen, bis ich werde,''
: ''Zieht mir das weiße Kleid nicht aus!''
: ''Ich eile von der schönen Erde''
: ''Hinab in jenes feste Haus…''“
3: Natalie bedeutet Wilhelm, er könne von ihrer Familie „''nicht besser unterrichtet sein als durch den Aufsatz ''ihrer'' Tante''“, der schönen Seele. Die Gräfin, eröffnet Natalie Wilhelm weiter, sei ihre Schwester und der „''lustige, leichtfertige Friedrich''“ ihr Bruder.- Mignons Arzt kommt und erzählt Wilhelm, Mignons Krankheit rühre von ihrer [[Italiensehnsucht]] und ihrer Sehnsucht nach Wilhelm. Mignon sei „''in sehr früher Jugend durch eine Gesellschaft von Seiltänzern ihren Eltern entführt worden.''“ Der Arzt habe sich dies aus Mignons Liedern zusammengereimt. Dann erwähnt er noch Mignons Fiasko nach der „''Hamlet''“-Aufführung, als sie sich zu Wilhelm ins Bett schleichen wollte und eine Nebenbuhlerin ihr zuvorkam. 4: Therese antwortet auf Wilhelms Werbung: „''Ich bin die Ihre''“. Kaum ist das heraus, kommt „''Überraschung gegen Überraschung''“. Das Ehehindernis zwischen Lothario und Therese ist fort, denn „''Therese ist nicht die Tochter ihrer Mutter''“. Lothario bereitet die Ehe mit dem „''edlen Mädchen''“ vor.- Natalie, „''lächelnd, ''mit'' ihrer ruhigen, sanften, unbeschreiblichen Hoheit'', gesteht Wilhelm, sie habe noch nie geliebt. 5: Therese reist - in Unkenntnis von Lotharios Hochzeitsvorbereitungen - bei Natalie und Wilhelm an. Mignons Herz pocht „''gewaltsam''“ angesichts der glücklichen Braut. Als sich das Brautpaar „''unter den lebhaftesten Küssen''“ umarmt, fällt Mignon „''mit einem Schrei zu Nataliens Füßen für tot nieder''“. 6: Wilhelm wurde vom Turm stets observiert: Friedrich teilt dem erstaunten Wilhelm mit, Philine bekomme von ihm, Friedrich, ein Kind. Zuerst sei sich Friedrich unsicher gewesen, denn Philine war es ja, die nach der „''Hamlet''“-Aufführung mit Wilhelm geschlafen habe, aber die Zeit treffe zu. 7: Jarno will Lydie heiraten. 8: Mignon wird beerdigt. 9: Der Marchese Cipriani kommt aus Italien. Er ist der Bruder des Harfners und Mignons Onkel. Der Harfner, Augustin ist sein Name, liebte in jungen Jahren das Mädchen [[#Nebenfiguren|Sperata]]. Als Sperata ein Kind von ihm erwartete, stellte sich heraus: Sperata und der Harfner sind natürliche Geschwister, es handelte sich also um [[Wikipedia:Inzest|Inzest]]. Man trennte das Paar und nahm Sperata ihr Kind - Mignon - weg. Mignon lebte bis zu ihrer Entführung bei „''guten Leuten''“ am [[Wikipedia:Lago Maggiore|Lago Maggiore]]. Der Harfner, in einem Kloster festgehalten, „''behauptete, daß bei seinem Erwachen ein schöner Knabe unten an seinem Bette stehe und ihm mit einem blanken Messer drohe.''“ Er konnte nach Deutschland entfliehen. Speratas „''Geist machte sich nach und nach von den Banden des Körpers los''“ und sie starb. Nach ihrem Tode wurde sie vom Volk als Heilige verehrt. 10: Therese reitet öfter mit Lothario allein aus. Der Harfner Augustin erscheint wieder, doch leider zeigt er die alte Furcht vor Felix. Am Ende überrascht der Harfner die Gesellschaft mit dem Ausruf: „''Felix ist vergiftet!''“ Zum Glück hat Felix - nach seiner Gewohnheit - aus der Flasche getrunken und das Gift im Glas stehen lassen. Der Harfner begeht einen Selbstmordversuch, wird gerettet, bringt sich jedoch beim zweiten Versuch um.- Als sich die Gräfin verabschiedet, legt sie Wilhelms Hände in Natalies. Lothario spricht sich im gleichen Sinne Wilhelm gegenüber für eine Doppelhochzeit aus. Geld von Werner trifft für Wilhelm ein. Auch Friedrich ist (mit dem Turm) der Meinung, Wilhelm solle Natalie ehelichen und darauf mit Felix der Einladung des Marchese Cipriani nach Italien folgen. Wilhelm hat nichts dagegen einzuwenden.


2 ''Nach einigen Tagereisen'' treibt Wilhelm weitere Schulden ein und trifft auf ''eine große Gesellschaft von Seiltänzern, Springern, Gauklern''. Wilhelm macht sich Gedanken über das Trauerspiel - ''daß es die Leidenschaften reinige'' - findet aber niemanden, ''dem er diese Betrachtungen hätte mitteilen können''.
== Figuren ==
* '''Felix''' ist der Sohn Marianes und Wilhelms. Nach dem zeitigen Tod der Mutter bringt die listige alte Barbara Felix bei Aurelie unter. Der Harfner glaubt im Wahn, Felix sei sein künftiger Mörder. Eine „schlechte Tischsitte“ rettet Felix das Leben.


3 ''Zu Hochstädt'' dann schwillt Wilhelms eingetriebenes Kapital auf ''beinahe fünfzehnhundert Taler'' an. Einige ''Handelsleute'' machen sogar noch ''Bestellungen'' bei ihm. Wilhelm kann sich wenden, wohin er will - er trifft auf eine ''Truppe Komödianten. Muß denn das Schicksal'', sagt er sich, ''immer zu diesen Leuten führen, mit denen ich doch keine Gemeinschaft haben will noch soll. Herr und Frau Melina'' sind mit von der Partie.
* Der '''Harfner''' (Harfenspieler, Augustin) ist der Vater Mignons und der Bruder des Marchese Cipriani sowie der heiligen Sperata.


4-6 Wilhelm begegnet bei der Truppe, die von der Direktrice Madame de Retti zusammengehalten wird, dem Mädchen [[Mignon (Figur)|Mignon]]. Wilhelm schätzt Mignon ''zwölf bis dreizehn Jahre. Ihr Körper ''ist'' gut gebaut, ihre Gesichtsfarbe bräunlich.'' Mignon antwortet Wilhelm ''in einem gebrochenen Deutsch und mit einer Art, die Wilhelmen in Verwirrung'' setzt. Madame de Retti hat Mignon dem Herrn einer Seiltänzertruppe für ''hundert Dukaten'' abgekauft, weil dieser das Kind auspeitschte. Nach Madame Melinas Ansicht ist Mignon ''zu gar nichts nütze. Auswendig lernt sie sehr geschwind, spielt aber erbärmlich.'' Mignon will hundert Dukaten sparen. ''Mignons Gestalt und Wesen ''wird Wilhelm'' immer reizender.''
* Baron '''Lothario''' (Lothar) ist Mitglied der Turmgesellschaft. Seine Geschwister sind Natalie, die Gräfin und Friedrich. Er heiratet Therese.


7 Wilhelm bleibt bei der Truppe der Direktrice Madame de Retti. ''Madame Melina ''zieht'' ihn an, indem sie von ihm zu lernen und sich nach ihm zu bilden ''sucht''. Man ''lässt'' ihn merken, daß er sowohl Kenner als Liebhaber und Beschützer des Theaters'' ist. Wilhelm borgt der Direktrice größere Summen einkassierten Geldes. Die Direktrice wird bei anderen Gläubigern wieder kreditwürdig. Man isst und trinkt, man lebt in Freuden.
* Die junge Schauspielerin '''Mariane''' ist die Mutter von Felix. Wilhelm verlässt die schwangere Mariane, weil er nicht weiß, dass sie dem Nebenbuhler Norberg den Laufpass gegeben hat.


8 ''Am allerlustigen'' feiert die Truppe auf Wilhelms Kosten. Als Mignon von einem Unbekannten geküsst wird und ihn dafür ins Gesicht schlägt, dass ''die Ohren sumsen und der Backen brennt'', setzt sich Wilhelm für sie ein. Darauf kommt Mignon zu ihm und sagt ''Herr, ich bin dein Sklave, kaufe mich von meiner Frau, daß ich dir allein zuhöre.''
* '''[[Mignon (Figur)|Mignon]]''' ist die Tochter der heiligen Sperata und des Harfners Augustin. Wilhelm kauft Mignon von rohen Gauklern los und nimmt sie wie eine Tochter auf. Mignon bedankt sich durch ihre Anhänglichkeit. Das herzkranke Mädchen stirbt vor Herzeleid, als sich Therese und Wilhelm in Liebe küssen.


9 Wilhelm arbeitet an seinem ''Trauerspiel „[[Wikipedia:Belsazar|Belsazar]]“''. Der ''medische [[Wikipedia:Darius (Medien)|König Darius]]'' hat darin einen ''Anschlag auf [[Wikipedia:Babylon|Babylon]]'' vor. Die Truppe ist sich einig - das Stück muss gespielt werden.
* Baronesse '''Natalie''', Wilhelms schöne Amazone, ist die Schwester Lotharios, der Gräfin und Friedrichs. Natalie pflegt Mignon und wird schließlich Wilhelms Braut.


10 Herr Bendel, der Geliebte der Direktrice, ''eine ungeschickte, breite Figur ohne den mindesten Anstand, ohne Gefühl'', soll den Darius spielen. Der Trinker Bendel hat ''alle Fehler, die einen Schauspieler verwerflich machen''.
* '''Wilhelm''', siehe [[#Handlung|Handlung]]
: (8,4) Therese vergleicht Wilhelm mit Natalie und schreibt an sie über ihn: „''… er hat von dir das edle Suchen und Streben nach dem Bessern, wodurch wir das Gute, das wir zu finden glauben, selbst hervorbringen.''“ Therese setzt hinzu: „''… seine Lebensbeschreibung ist ein ewiges Suchen und Nicht finden.''“


11 Wilhelm freundet sich mit Herrn von C. an. ''Dieses Stück, ''schätzt der neue Freund Wilhelms Trauerspiel ein'', ist nur von innen heraus geschrieben, es ist ein einziger Mensch, der fühlt und handelt. Man sieht, daß der Autor sein eignes Herz kennt, aber er kennt die Menschen nicht.''
== Nebenfiguren ==
: Der '''[[Wikipedia:Abt|Abbé]] ''' lenkt im Hintergrund die Geschicke Wilhelms.
: Der '''Arzt''' steht in Diensten der Familie Lotharios.
: Die Schauspielerin '''Aurelie''' (Aurelia) ist die Schwester Serlos.
: Die alte '''Barbara''' ist die Haushälterin Marianes.
: Der '''[[Wikipedia:Baron|Baron]]''' befasst sich im Auftrag des Grafen mit der Theatertruppe Melina.
: Der '''Marchese''' (ital. Markgraf) '''Cipriani''' aus Italien ist der Bruder des Harfners und der Onkel Mignons.
: '''Friedrich''' ist Mitglied der Turmgesellschaft sowie der Bruder Nataliens, Lotharios und der Gräfin.
: Der '''[[Wikipedia:Graf|Graf]]''' nimmt die Schauspielertruppe Melina in seinem Schloss auf.
: Die '''Gräfin''' ist die Schwester Nataliens, Lotharios und Friedrichs.
: '''Jarno''' ist Mitglied der Turmgesellschaft und Bräutigam Lydies.
: Als Lothario '''Lydia''' (Lydie) nicht mehr als Geliebte will, nimmt Jarno sie zur Frau.
: Der Schauspieler '''Melina''' leitet die Theatertruppe. Wilhelm unterstützt ihn.
: '''Madame Melina''' ist die Frau des Herrn Melina.
: Der begüterte Kaufmann '''Norberg''' ist ein Liebhaber Marianes.
: Die verführerische Schauspielerin '''Philine''' schmeichelt sich gern bei den Herrschaften ein, möchte Wilhelms Geliebte sein und wird schließlich von Friedrich schwanger.
: Der Theaterdirektor '''Serlo''' ist Wilhelms Freund und Förderer. Schließlich will er Wilhelm nicht mehr an der Bühne.
: Eine '''schöne Seele''' ist die Tante Nataliens, Lotharios, Friedrichs und der Gräfin. (8,3) Natalie erzählt Wilhelm von ihrer Tante, der schönen Seele: „''Ich bin ihr so viel schuldig. Eine sehr schwache Gesundheit, vielleicht zu viel Beschäftigung mit sich selbst, und dabei eine sittliche und religiöse Ängstlichkeit ließen sie das der Welt nicht sein, was sie unter andern Umständen hätte werden können.''“ Wilhelm, der die Bekenntnisse der Tante Nataliens (6. Buch) las, bringt zum Ausdruck, dass diese Lektüre sein weiteres Leben beeinflusst hat und fügt bei: „''Was mir am meisten aus dieser Schrift entgegenleuchtete, war, ich möchte so sagen, die Reinlichkeit des Daseins, nicht allein ihrer selbst, sondern auch alles dessen, was sie umgab, diese Selbständigkeit ihrer Natur und die Unmöglichkeit, etwas in sich aufzunehmen, was mit der edlen, liebevollen Stimmung nicht harmonisch war.''“
: Die heilige '''Sperata''' ist die Schwester des Harfners und Mignons Mutter.
: Fräulein '''Therese''' wird schließlich die Braut Lotharios.
: Der Kaufmann '''Werner''' ist Wilhelms Schwager.


12 Die Direktrice nutzt Wilhelm aus. Nach und nach gibt er sein ganzes Geld für Bühnenhandwerker et cetera hin. Am Tage der Uraufführung des ''Belsazar'' hat Herr ''Bendel wieder einen neuen, schweren Anfall seiner Krankheit.'' ''Das ganze Haus ''ist'' angefüllt, das Publikum ''wird'' unruhig und ''pocht'' schon eine Viertelstunde''. Von der Direktrice und Madame Melina überredet, spielt Wilhelm unvorbereitet den Darius und hat Erfolg.
== Zitate ==
* (5,1) Serlo: „''Man sollte alle Tage wenigstens ein kleines Lied hören, ein gutes Gedicht lesen, ein treffliches Gemälde sehen und, wenn es möglich zu machen wäre, einige vernünftige Worte sprechen.''“
* (5,7) Serlo und Wilhelm: „''Im Roman sollen vorzüglich Gesinnungen und Begebenheiten vorgestellt werden; im Drama Charaktere und Taten. Der Roman muß langsam gehen, und die Gesinnungen der Hauptfigur müssen, auf welche Weise es wolle, das Vordringen des Ganzen zur Entwicklung aufhalten. Das Drama soll eilen, und der Charakter der Hauptfigur muß sich nach dem Ende drängen.''
* (7,1) Der Abbé: „''Das Sicherste bleibt immer, nur das Nächste zu tun, was vor uns liegt.''
* (7,3) Jarno: „''Alle Fehler des Menschen verzeih ich dem Schauspieler, keine Fehler des Schauspielers verzeih ich dem Menschen.''
* (8,3) Wilhelm: „''Ist doch wahre Kunst wie gute Gesellschaft: sie nötigt uns auf die angenehmste Weise, das Maß zu erkennen, nach dem und zu dem unser Innerstes gebildet ist.''
* (8,4) Therese zitiert Natalie: „''Wenn wir die Menschen nur nehmen, wie sie sind, so machen wir sie schlechter; wenn wir sie behandeln, als wären sie, was sie sein sollten, so bringen wir sie dahin, wohin sie zu bringen sind.''
* (8,5) Wilhelm über die Turmgesellschaft: „''Soviel ich diese heiligen Männer kenne, scheint es jederzeit ihre löbliche Absicht, das Verbundene zu trennen und das Getrennte zu verbinden.''“
* (8,9) Der Harfner: „''Wenn die Natur verabscheut, so spricht sie es laut aus; das Geschöpf, das nicht sein soll, kann nicht werden, das Geschöpf, das falsch lebt, wird früh zerstört.''
* (8,9) Der Harfner: „''Wer gelitten hat wie ich, hat das Recht, frei zu sein.''“


;Viertes Buch
== Rezeption ==
1 ''Gehst du nach Italien'', sagt Mignon zu Wilhelm, ''so nimm mich mit, es friert mich hier''. Mignon singt:
[[Datei:Schlegel1790.jpg|mini|Friedrich von Schlegel (1772 - 1829)]]
[[Datei:Goethe, Die Solfatara von Pozzuoli, 1787.jpg|miniatur|hochkant=1.3|Am Golf von Neapel – Zeichnung von Goethe anno 1787]]
* [[Wikipedia:Friedrich Schlegel|Friedrich Schlegel]] schreibt ''Über Goethes Meister'' im Jahre [[Wikipedia:1798|1798]]: „Wir sehen auch, daß diese ''Lehrjahre'' eher jeden andern zum tüchtigen Künstler oder zum tüchtigen Mann bilden wollen und bilden können, als Wilhelmen selbst. Nicht dieser oder jener Mensch sollte erzogen, sondern die Natur, die Bildung selbst sollte in mannichfachen Beispielen dargestellt, und in einfache Grundsätze zusammengedrängt werden.“
:''Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn,''
[[Datei:Madame de Staël.jpg|mini|rechts|180px|Germaine de Staël (1766 - 1817)]]
:''Im dunkeln Laub die Goldorangen glühn,''
* Nach [[Wikipedia:Anne Louise Germaine de Staël|Germaine de Staël]] hat Goethe seine ''Lehrjahre'' mit „geistreichen Erörterungen“ überfrachtet.
:''Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,''
* [[Novalis]] bezeichnete im Februar 1800 die ''Lehrjahre'' als „ein fatales und albernes Buch. Die Freude, daß es nun aus ist, empfindet man am Schlusse im vollen Maße. Das ganze ist ein nobilitierter Roman. ''Wilhelm Meisters Lehrjahre'', oder die Wallfahrt nach dem Adelsdiplom.“ Der „Geist des Buches“ sei „künstlerischer Atheismus“, da es „das Wunderbare“ darin als bloße „Poesie und Schwärmerei“ abtue. Novalis hat seine privaten Aufzeichnungen zu ''Wilhelm Meister'' allerdings nie veröffentlicht. Er ließ seinen Freund Friedrich Schlegel den Roman überschwänglich loben, dachte sich selbst insgeheim seinen Teil und schrieb seinen Gegenentwurf, den Roman ''[[Wikipedia:Heinrich von Ofterdingen|Heinrich von Ofterdingen]]''.
:''Die Myrte still und froh der Lorbeer steht,''
:''Kennst du es wohl?''
:''Dahin! Dahin''
:''Möcht ich mit dir, o mein Gebieter, ziehn.''
:
:''Kennst du das Haus? Auf Säulen ruht sein Dach,''
:''Es glänzt der Saal, es schimmert das Gemach,''
:''Und Marmorbilder stehn und sehn mich an:''
:''Was hat man dir, du armes Kind, getan?''
:''Kennst du es wohl?''
:''Dahin! Dahin''
:''Möcht ich mit dir, o mein Gebieter, ziehn.''
:
:''Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg?''
:''Das Maultier sucht im Nebel seinen Weg,''
:''In Höhlen wohnt der Drachen alte Brut,''
:''Es stürzt der Fels und über ihn die Flut:''
:''Kennst du ihn wohl?''
:''Dahin! Dahin''
:''Geht unser Weg! Gebieter, laß uns ziehn!''
2 Herr Melina überredet Wilhelm, er solle bei der Direktrice wenigstens einen Teil des verborgten Geldes eintreiben. Widerwillig begibt sich Wilhelm zu Madame de Retti. Die speist ihn mit einem Bruchteil des Geldes ab. Den Löwenanteil hat Herr Bendel.


3 Wilhelm will ''nie das Theater wieder betreten''. Mignon führt Wilhelm einen Eiertanz vor. Wilhelm möchte ''dieses verlassene Wesen an Kindesstatt seinem Herzen'' einverleiben.
* [[Wikipedia:Adam Heinrich Müller|Adam Müller]] stellt in seinen ''Vorlesungen über die deutsche Wissenschaft und Literatur 1806/1807'' Goethe auf eine Stufe mit [[Wikipedia:Miguel de Cervantes|Cervantes]], wenn er hervorhebt, dass es „in der ganzen Geschichte der Literatur nur im [[Wikipedia:Don Quijote|Don Quixote]] einen einzigen weltumfassenden [[Wikipedia:Pendant|Pendant]]“ gibt.
* Der große Goethe-Verehrer [[Friedrich Nietzsche|Nietzsche]] notiert anno 1884 (Nachgelassene Fragmente): „In Allem, was Goethe gemacht hat, sagt [[Prosper Mérimée|Mérimée]], giebt es eine Mischung von Genie und von deutscher niaiserie (gut! das ist deutsch!) ‚moquirt er sich über sich selber oder über die Anderen?‘ — ''Wilhelm Meister'': die schönsten Dinge von der Welt abwechselnd mit den lächerlichsten Kindereien.“
* [[Wikipedia:Richard Friedenthal|Friedenthal]] geht darauf ein, weshalb sich Goethe auch im wirklichen Leben in zwei Logen aufnehmen ließ.
* Gerhard Schulz macht in seiner ausgewogenen Würdigung die Verbindungen zwischen der''Theatralischen Sendung'', den ''Lehrjahren'' und den ''Wanderjahren'' sichtbar.
* Boyle beleuchtet die Lenker-Rollen kritisch, die Jarno und andere Herren vom Turm in Wilhelms Vita spielen.
* Nach [[Wikipedia:Gero von Wilpert|Wilpert]] gehen die ''Bekenntnisse einer schönen Seele'' (6. Buch) auf [[Susanne von Klettenberg|Susanna Catharina Klettenberg]] (1723 - 1774) - eine Freundin von [[Catharina Elisabeth Goethe|Goethes Mutter]] - zurück.
* [[Wikipedia:Karl Otto Conrady|Conrady]] thematisiert das Missverhältnis Feudaladel - Bürgertum und seine 'Behandlung' durch Goethe.
* Die 1866 uraufgeführte Oper ''Mignon'' von [[Ambroise Thomas]] ist eine freie Adaption von Wilhelm Meisters Lehrjahren.
* [[Wikipedia:Hannelore Schlaffer|Hannelore Schlaffer]] nennt Arbeiten von
** Hans-Egon Hass: ''Wilhelm Meisters Lehrjahre''. Düsseldorf 1965.
** [[Wikipedia:Georg Lukács|Georg Lukács]]: ''Wilhelm Meisters Lehrjahre''. Reinbek 1967,
** Rolf-Peter Janz: ''Zum sozialen Gehalt der »Lehrjahre«.'' Berlin 1975.


5-8 Während der zweiten Aufführung des ''Belsazar'' wird der Herr Bendel in der Rolle des Darius von Pomeranzen aus dem Parkett getroffen. Das Ensemble zieht sich hinter die Kulisse zurück. Herr Bendel kämpft allein gegen das Publikum, indem er zurückwirft und trifft. ''Eine große Anzahl mit Stecken bewaffneter Zuschauer'' ersteigt die Bühne und verwüstet sie. In dem Getümmel verschwindet die Kasse mit den Tageseinnahmen. In der Nacht macht sich die Direktrice mit ihrem Herrn Bendel davon.
== Selbstzeugnisse ==


9 Zwar hat Wilhelm sein Geld verloren, glaubt ''aber, daß es doch am Ende wohl angewendet sei, weil er dafür teure Erfahrungen gemacht, welche ihm auf sein ganzes Leben nützlich sein würden.''
{{Zitat|Durch Aufmunterung der Herzogin Mutter habe ich, in diesen letzten Tagen, ''Wilhelm Meister'' wieder vorgenommen, vielleicht ruckt in diesem neuen Jahre auch dieses alte Werck seiner Vollendung näher.|Quelle=Brief Goethes vom 1. Januar 1791 an [[Wikipedia:Karl Ludwig von Knebel|Karl Ludwig von Knebel]]}}
{{Zitat|Die Fragen wegen ''Wilhelm Meisters'' möchte ich am liebsten einmal mündlich beantworten. Bey solchen Werken mag der Künstler sich vornehmen was er will, so giebt es immer eine Art von Confession und zwar auf eine Weise, von der er sich kaum selbst Rechenschaft zu geben versteht. Die Form behält immer etwas Unreines und man kann Gott danken, wenn man im Stand war so viel Gehalt hinein zu legen, daß fühlende und denkende Menschen sich beschäftigen mögen, ihn wieder daraus zu entwickeln.|Quelle=Brief Goethes vom 29. März 1801 an [[Wikipedia:Johann Friedrich Rochlitz|Johann Friedrich Rochlitz]]}}


10 Die Direktrice ist ''abgegangen'', hat aber Mignon nicht mitgenommen. ''Mademoiselle Philine, eine junge, muntere Aktrice, ''die'' wir bisher gar nicht erwähnt haben, ''kommt zu Wilhelm'' aufs Zimmer''. Die ''leichtfertige'' Philine beträgt sich ''so artig, so schmeichelnd, so eifrig,'' dass Wilhelm sie nicht abweist.
{{Zitat|… kamen wir auch auf ''Wilhelm Meisters Lehrjahre'' zu sprechen, wobei ich mir zu bemerken erlaubte, daß ich bei der seligsten Wonne, in die mich dieser Roman, so oft ich ihn las, stets versetzte, dennoch nicht ins Reine damit gekommen sei, ob die Capitel darin dem Romane ihr Dasein verdanken, oder ob der Roman aus dessen Fragmenten entstand. Goethe schmunzelte und stellte die Frage an mich, wie ich auf die Idee gekommen? Ich rechtfertigte sie durch die lockere Haltung der Capitel untereinander, vorzüglich wies ich auf das sechste Buch hin mit der Ueberschrift ''Bekenntnisse einer schönen Seele'', das mit dem übrigen in gar keiner Verbindung zu stehen scheint, worauf Goethe mir entgegnete: ‚Da ich Sie mit Ihrer Idee am rechten Wege finde, will ich Sie vollends zum Ziele führen. Ich hatte die Capitel oder Fragmente, wie Sie es nennen, allerdings einzeln geschrieben und sie auch einzeln nach und nach durch Zeitschriften veröffentlicht.‘|Quelle=Gespräch Goethes am 6. August 1822 mit [[Wikipedia:Johann Wenzel Tomaschek|Johann Wenzel Tomaschek]] in [[Wikipedia:Eger (Böhmen)|Eger]]}}


12 Weiter geht die Reise. ''Wilhelm ''sitzt'' in einem Wagen mit Mignon, Frau Melina und ihrem Manne. Nach einer Reise von etlichen Tagen'' in einem Wirtshause, weist Wilhelm die Annäherungsversuche von Madame Melina ab. Seit dem Fiasko mit Mariane hat Wilhelm ''ein Gelübde getan, das treulose Geschlecht zu meiden''. Da meldet sich ein alter Harfenspieler bei Wilhelm an. Nach dem Harfenspiel fühlt sich Wilhelm ''wie neugeboren'' und ruft aus: ''Nimm meine Verehrung und meinen Dank, fühle, daß wir alle dich bewundern, und vertraue uns, wenn du etwas bedarfst!'' Zur Antwort singt der Harfner:
== Verfilmung ==
:''Was hör ich draußen vor dem Tor,''
* ''[[Wikipedia:Falsche Bewegung|Falsche Bewegung]]'' - Freie Adaption des Romans, BR Deutschland 1974/1975, Spielfilm, 103 Min., Regie: [[Wikipedia:Wim Wenders|Wim Wenders]], Drehbuch: [[Wikipedia:Peter Handke|Peter Handke]], Kamera: [[Wikipedia:Robby Müller|Robby Müller]], Musik: [[Wikipedia:Jürgen Knieper|Jürgen Knieper]], Produktion: [[Wikipedia:Westdeutscher Rundfunk|WDR]], Solaris, München, Erstsendung: 25. Juni 1976, Darsteller u.a: [[Wikipedia:Rüdiger Vogler|Rüdiger Vogler]] als Wilhelm Meister, [[Wikipedia:Hans-Christian Blech|Hans-Christian Blech]] Laertes, [[Wikipedia:Hanna Schygulla|Hanna Schygulla]] als Therese Farner, [[Wikipedia:Nastassja Kinski|Nastassja Kinski]] als Mignon, [http://www.filmportal.de/df/a8/Credits,,,,,,,,2F566A7795174BFA9A87691A660DD9AFcredits,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,.html Inhaltsangabe] von Filmportal.de
:''Was schallet auf der Brücken?''…
* [[Wikipedia:Michael Mrakitsch|Michael Mrakitsch]] verfilmte den Roman 1978 für das Fernsehen (mit [[Wikipedia:Christine Buchegger|Christine Buchegger]], [[Wikipedia:Gertraud Jesserer|Gertraud Jesserer]], Johanna Martinz und [[Wikipedia:Hanns Zischler|Hanns Zischler]]).<ref>[http://www.imdb.com/title/tt0210388/ Wilhelm Meisters Lehrjahre] in der IMDb</ref>
:''Der König sprachs, der Page lief,''
:''Der Knabe kam, der König rief:''
:''Laßt ihn herein den Alten!''
:
:''Ich singe, wie der Vogel singt,''
:''Der in den Zweigen wohnet…''
13 Philine liebkost Wilhelm auf offener Straße wie ihren Ehemann. Wilhelm, der, ''wenn eine Laube sie mit Einsamkeit umgeben'', die Liebkosung sogar erwidert hätte, weist sie ab. Philine hat noch einen anderen Verehrer - den gräflichen Herrn Stallmeister, der hoch zu Ross daherkommt. Wilhelm, unruhevoll, sucht Ruhe bei dem alten Harfner. Er sucht und findet den Alten ''in einem entfernten Winkel des Städtchens.'' Wilhelm horcht an der Tür des Alten und vernimmt dessen ''wehmütige Klage'':
:''Wer nie sein Brot mit Tränen aß,''
:''Wer nie die kummervollen Nächte''
:''Auf seinem Bette weinend saß,''
:''Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte.''
:
:''Ihr führt ins Leben uns hinein,''
:''Ihr laßt den Armen schuldig werden,''
:''Dann überlaßt ihr ihn der Pein;''
:''Denn alle Schuld rächt sich auf Erden.''
14 Der kunstsinnige Herr Graf erscheint, und Herr Melina stellt ihm seine Truppe vor. Die Frau Gräfin bemängelt Philines Garderobe. Die Truppe hofft ''auf einige Wochen glückliche Aussichten''.


16 Wilhelm ist hin und her gerissen. ''Die flüchtige Neigung zu Philinen ''regt'' seine Lebensgeister. Mit Harfenspiel und Gesang ''erhebt'' ihn der Alte zu den höchsten Gefühlen.'' Aber Wilhelm befindet sich bei den Schauspielern in schlechter Gesellschaft. Dabei ist ''sein altes bürgerliches Verhältnis schon wie durch eine Kluft von ihm getrennt. Sein gepreßtes Herz ''strebt'' nach Erleichterung''. Die findet Wilhelm bei Mignon. ''„Mein Kind!“'' ruft Wilhelm aus, ''„mein Kind! du bist ja mein! ich werde dich behalten! dich nicht verlassen!“'' Tränen fließen. ''Sanft ''fängt'' vor der Türe die Harfe an zu klingen.''
== Vertonungen ==


;Fünftes Buch
[[Wikipedia:Franz Schubert|Franz Schubert]] vertonte im Jahr 1816 Teile aus dem zweiten Buch (''Wer sich der Einsamkeit ergibt - Wer nie sein Brot mit Tränen aß - An die Türen will ich schleichen'') in ''Gesänge des Harfners'' (''D 478-480'').<ref>Peter Gülke: ''Franz Schubert und seine Zeit.'' 3. Auflage. Laaber-Verlag, 2002, ISBN 3-89007-266-6, S. 129–137.</ref> Von Mignons Lied ''Kennst du das Land ...'' (Beginn des dritten Buches) gibt es zahlreiche Vertonungen, u.a. von Franz Schubert, [[Wikipedia:Robert Schumann|Robert Schumann]] und [[Wikipedia:Hugo Wolf|Hugo Wolf]]. Auf die Oper [[Wikipedia:Mignon (Oper)|Mignon]] von [[Wikipedia:Ambroise Thomas|Ambroise Thomas]] wurde bereits hingewiesen.
1-2 Geht nun Wilhelm mit der Truppe ''auf das gräfliche Schloß'' oder macht er als Werners Schuldeneintreiber weiter? Die Truppe isst und trinkt bereits ''auf Rechnung des Grafen'' und lernt Rollen. Die gräflichen ''Herrschaften haben große Liebe für die Literatur, besonders für die deutsche''. Wilhelm zieht ''Szenen zusammen, ''richtet'' Rollen nach dem Geschicke des Akteurs mehr ein''. Die Truppe hofft beim Grafen auf ''Glück, Ehre und Wohlstand'', wird aber ganz schäbig und äußerst mangelhaft untergebracht.


3 Nur Philine hat den Vogel abgeschossen - sie darf aufs gräfliche Schloss. Wilhelm, obwohl geladen, bleibt in der Absteige bei der Truppe.
== Literatur ==
'''Quelle'''
* Johann Wolfgang von Goethe: ''Poetische Werke.'' Band 7. Phaidon, Essen 1999, ISBN 3-89350-448-6, S. 5–386.


4 In der gräflichen Umgebung lernt Wilhelm Jarno kennen. Wilhelm empfindet ''gegen Jarno, ob er gleich etwas Kaltes und Abstoßendes ''hat'', eine gewisse Neigung.'' Herr Melina befiehlt der Truppe ''sehr strenge, sie ''sollen'' sich nunmehro ordentlich halten, ein jeder seine Rollen auf das beste lernen.'' Aber man lebt zügellos. ''Das Theatergerüste ''wird'' aufgeschlagen, ausgezieret, was man von Dekorationen in dem Gepäcke'' hat. Wilhelm wird von der Gräfin empfangen. Er soll vorlesen, kommt aber gar nicht dazu. Die Gräfin widmet ihre Aufmerksamkeit lieber einem Galanteriehändler und beschäftigt sich mit ihrer Toilette. Wilhelm wird mit einem Geschenk abgespeist.
'''Erstausgabe'''
* ''Goethes neue Schriften.'' Mit Kurfürstl. Sächs. Privilegium. Bei [[Wikipedia:Johann Friedrich Unger (Verleger)|Johann Friedrich Unger]]. Dritter bis Sechster Band. ''Wilhelm Meisters Lehrjahre. Ein Roman.'' Herausgegeben von Goethe. Berlin 1795–1796.
** Erster Band. Unger, Berlin 1795. ({{DTAW|goethe_lehrjahre01_1795}})
** Zweyter Band. Unger, Berlin 1795. ({{DTAW|goethe_lehrjahre02_1795}})
** Dritter Band. Unger, Berlin 1795. ({{DTAW|goethe_lehrjahre03_1795}})
** Vierter Band. Unger, Berlin 1796. ({{DTAW|goethe_lehrjahre04_1796}})


6 Der Graf und Jarno bereiten akribisch eine fragwürdige Szene zur Begrüßung des Prinzen vor. Wilhelm studiert die Lobeshymne ein. Philine, die Favoritin des Stallmeisters, probt freudig und ausgelassen mit. Mignon verweigert den Eiertanz-Auftritt.
'''Sekundärliteratur'''


7-11 Der Prinz kommt an. Jarno, der ''gefühllose Weltmann'', sagt Wilhelm ''mit hartherziger Kälte'' die Wahrheit: ''Es ist schade, daß Sie mit hohlen Nüssen um hohle Nüsse spielen.'' Wilhelm wird angehalten, [[Wikipedia:Jean Racine|Racine]], den Lieblingsautor des Prinzen, ''gelegentlich ''zu'' loben''. Jarno gibt Wilhelm ''auf eine unfreundliche Art neue Ideen''. Er muss von Wilhelm erfahren, dass dieser [[Wikipedia:William Shakespeare|Shakespeare]] nicht kennt. ''Wilhelm ''fängt'' an zu wittern, daß es in der Welt anders zugehe, als er sichs gedacht.'' Er schließt sich ein. Nur Mignon und der Harfner haben Zutritt zu Wilhelms ''Shakespearischer Welt''. Wilhelm ''glaubt, vor den aufgeschlagenen ungeheuern Büchern des Schicksals zu stehen.'' Philine schmeichelt sich bei den vornehmen und großen Damen ein. Der Prinz reist ab. Auch die Truppe darf nicht länger bleiben.
<small>Geordnet nach dem Erscheinungsjahr</small>
 
* Richard Friedenthal: ''Goethe – sein Leben und seine Zeit.'' R. Piper, München 1963, S. 476–480.
14-15 Vor Räubern auf der nächsten Wegstrecke der Truppe wird gewarnt. Wilhelm und einige der Theaterleute bewaffnen sich. Wilhelm ermutigt die Furchtsamen. Auf einem Waldplatz wird die Truppe dann tatsächlich überfallen und ''ausgeplündert''. Wilhelm wird ''von einem Schuß, der ihn zwischen der Brust und Schulter ''trifft'', verwundet.''
* [[Wikipedia:Friedrich Kittler|Friedrich A. Kittler]]: ''Über die Sozialisation Wilhelm Meisters.'' In: Gerhard Kaiser, Friedrich A. Kittler: ''Dichtung als Sozialisationsspiel. Studien zu Goethe und Gottfried Keller.'' Göttingen 1978, S. 13–124.
 
* [[Wikipedia:Gerhard Schulz (Literaturwissenschaftler)|Gerhard Schulz]]: ''Die deutsche Literatur zwischen Französischer Revolution und Restauration.'' Teil 1: ''Das Zeitalter der Französischen Revolution: 1789 –1806.'' München 1983, ISBN 3-406-00727-9, S. 302–319.
;Sechstes Buch
*{{Literatur
1 Auf dem Waldplatz erscheint eine ''schöne [[Wikipedia:Amazonen|Amazone]]. Ein weiter Mannsüberrock, der ihr nicht ''passt, verbirgt'' ihre Gestalt.'' Ein ''Wundarzt'' in ihrem Gefolge erledigt bei Wilhelm die chirurgische Erstversorgung. Die ''gnädige Dame'' deckt den Verwundeten mit ihrem Überrock zu. Als Wilhelm ''wieder zu sich ''kommt, sind'' Reuter und Wagen, die Schöne samt ihrer Begleitung verschwunden''.
| Autor=[[Wikipedia:Hannelore Schlaffer|Hannelore Schlaffer]]
 
| Titel=Wilhelm Meister. Das Ende der Kunst und die Wiederkehr des Mythos
2-3 Die Truppe findet Notunterkunft. Philine und Wilhelm werden ''für das Ehepaar'' gehalten. ''Jedermann ''wirft'' nun die Schuld eines so üblen Ausgangs auf'' Wilhelm. Er fühlt sich unschuldig und ist entsetzt, weil er von der Truppe so behandelt wird, ''das erstemal, da ''er'' Hülfe erwarten könnte''. Trotzdem verspricht er der Truppe, sie aus dem Elend herauszuführen. Mehr noch - ''ein jeder soll doppelt und dreifach so viel ''erwerben'', als er verloren.''
| Verlag=Metzler
 
| Ort=Stuttgart
4 Es stellt sich heraus, die ''schöne Amazone'' sollte wahrscheinlich statt der Truppe überfallen werden. Aus Dankbarkeit habe die ''gnädige Dame'' für die Truppe gesorgt, als Wilhelm ohnmächtig wurde. Und sie sorgt im Hintergrund weiter. Wilhelm bekommt den nächsten ''Chirurgus''.
| Jahr=1989
 
| ISBN=3-476-00655-7
7 Auf dem Krankenlager studiert Wilhelm ''die Shakespearischen Schriften, ''besonders'' [[Wikipedia:Hamlet|Hamlet]]''. ''Das Bild der hülfreichen Schönen ''schwebt'' vor seinem Gemüte'' und im Nebenzimmer singt Mignon zur Harfe:
}}
:''Nur wer die Sehnsucht kennt,''
* Benedikt Jeßing: ''Johann Wolfgang Goethe.'' Stuttgart/ Weimar 1995, ISBN 3-476-10288-2, S. 123–137, 149–158.
:''Weiß, was ich leide!''
* Gero von Wilpert: ''Goethe-Lexikon.'' Stuttgart 1998, ISBN 3-520-40701-9, S. 1182–1186.
:''Allein und abgetrennt''
* Karl Otto Conrady: ''Goethe – Leben und Werk.'' Düsseldorf und Zürich 1999, ISBN 3-538-06638-8, S. 623–649.
:''Von aller Freude,''
* Nicholas Boyle: ''Goethe. Der Dichter in seiner Zeit.'' Band 2: ''1790–1803.'' Frankfurt a. M. 2004, ISBN 3-458-34750-X, S. 292–315, 416–427, 452–483.
:''Seh ich ans Firmament''
:''Nach jener Seite.''
:
:''Ach, der mich liebt und kennt,''
:''Ist in der Weite!''
:''Es schwindelt mir, es brennt.''
:''Mein Eingeweide.''
:''Ach wer die Sehnsucht kennt,''
:''Nur wer die Sehnsucht kennt,''
:''Weiß, was ich leide!''
Mignon spricht ''noch immer sehr gebrochen deutsch, und nur wenn sie den Mund zum Singen ''auftut, scheint'' sie sich des einzigen Organs zu bedienen, wodurch sie ihr Inneres aufschließen und mitteilen'' kann.
 
8 In H. angekommen, trifft Wilhelm den Theaterdirektor Serlo, dessen Schwester, die junge Witwe Aurelia und die vorausgeeilte Truppe Melina. Wilhelm empfiehlt Serlo die Truppe.
 
9 Philine setzt Wilhelm ins Bild. Aurelia hat einen dreijährigen unehelichen Sohn von Lothar.
 
11 Aurelia durchschaut Wilhelm: ''Mit Verwunderung bemerkte ich an Ihnen den großen und richtigen Blick, mit dem Sie Dichtung und besonders dramatische Dichtung beurteilen … Ohne die Gegenstände in der Natur gekannt zu haben, erkennen Sie solche im Bilde; es scheint eine Vorempfindung der ganzen Welt in Ihnen zu liegen … von außen kommt nichts in Sie hinein! Ich habe nicht leicht jemanden gesehen, der die Menschen, mit denen er lebt, so von Grund aus verkennt wie Sie.'' Wilhelm, der Introvertierte, erkennt, ''niemand ''hat'' ihn so mit sich selbst bekannt gemacht'' und bestätigt: ''Ich habe von Jugend auf mehr einwärts als auswärts gesehen, und da ist es sehr natürlich, daß ich den Menschen bis auf einen gewissen Grad habe kennen lernen, ohne mich auf die Menschen im geringsten zu verstehen.'' Aurelia sieht in Wilhelm den jungen Dichter und Künstler. Seine Unschuld sei ''wie jene Hülle, die eine Knospe einschließt und nährt.'' Unerbittlich wirft Aurelia Wilhelm vor: ''Was ist Ihre ganze Gesellschaft, die Sie meinem Bruder empfohlen, für ein erbärmliches Volk!''
 
Mignon versetzt Wilhelm in Verlegenheit. ''Bei einer Guten Nacht ''schließt'' sie ihn so fest in ihre Arme und ''küsst'' ihn mit solcher Inbrunst, daß es ihm vor der Heftigkeit dieser aufkeimenden Natur oft angst und bange'' wird.
 
12 Wilhelm empfindet keine Zärtlichkeit für Aurelia und bezeichnet sich als ihren Freund. ''Ihr leidenschaftlicher Verstand ''leitet'' ihn aus der idealischen Welt in die wahre herüber.'' Wilhelm gesteht Aurelia seine unglückliche Liebe zu Mariane. Aurelia nennt sich eine Halbwahnsinnige und benimmt sich mitunter auch so. Serlo wird Wilhelms ''Lehrer und Führer in seiner Lieblingskunst''.


13 Serlo will Wilhelm an seiner Bühne haben. Wilhelm zögert: ''Bei Serlo wollte ich unterzukommen suchen, er sucht nun mich''. Serlo will schließlich Wilhelm und die ganze Truppe Melina dazu. Nun muss Wilhelm ''Ja denn'' sagen. ''Melina soll Garderobemeister werden, um den Motten zu wehren.''
'''Deutungsgeschichte'''


== Zitat ==
<small>Das Werk ist seit der ersten Rezeption durch eine kontroverse Deutungsgeschichte gekennzeichnet.</small>
*''Sie sah ihn mit einer wilden Gleichgültigkeit an…''<ref>Quelle S.680, 6. Z.v.o.</ref>.
* [[Wikipedia:Hans-Jürgen Schings|Hans-Jürgen Schings]]: ''Agathon – Anton Reiser – Wilhelm Meister. Zur Pathogenese des modernen Subjekts im Bildungsroman.'' In: Wolfgang Wittkowski (Hrsg.): ''Goethe im Kontext. Kunst und Humanität, Naturwissenschaft und Politik von der Aufklärung bis zur Restauration. Ein Symposion.'' Tübingen 1984.
* [[Wikipedia:Heinz Schlaffer|Heinz Schlaffer]]: ''Exoterik und Esoterik in Goethes Romanen.'' In: ''Goethe-Jahrbuch.'' 95 (1978), S. 212–226.
* [[Wikipedia:Ulrich Schödlbauer|Ulrich Schödlbauer]]: ''Kunsterfahrung als Weltverstehen. Die ästhetische Form von „Wilhelm Meisters Lehrjahre“.'' Heidelberg 1984, ISBN 3-533-03522-0 und ISBN 3-533-03523-9.
* [[Wikipedia:Manfred Engel|Manfred Engel]]: ''Der Roman der Goethezeit''. Band 1: ''Anfänge in Klassik und Frühromantik: Transzendentale Geschichten''. Metzler, Stuttgart/ Weimar 1993, S. 227–320.
* [[Wikipedia:Klaus Gerth (Germanist)|Klaus Gerth]]: ''„Das Wechselspiel des Lebens“. Ein Versuch, Wilhelm Meisters Lehrjahre (wieder) einmal anders zu lesen.'' In: ''Goethe-Jahrbuch.'' 113 (1996), S. 105–120.
* [[Wikipedia:Lothar Bluhm|Lothar Bluhm]]: ''„Du kommst mir vor wie Saul, der Sohn Kis’ …“. Wilhelm Meisters Lehrjahre zwischen ‚Heilung‘ und ‚Zerstörung‘.'' In: L. Bluhm, A. Hölter (Hrsg.): ''„daß gepfleget werde der feste Buchstab“.'' Trier 2001, S. 122–140. (Neupublikation in: Goethezeitportal: [http://www.goethezeitportal.de/db/wiss/goethe/meisterslehrjahre_bluhm.pdf Bluhm (eingestellt am 12. Januar 2004)] (PDF; 204&nbsp;kB))
* Hee-Ju Kim: ''Der Schein des Seins. Zur Symbolik des Schleiers in Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“''. Niemeyer, Tübingen 2005, ISBN 3-484-15106-4.


== Mignon ==
== Weblinks ==
[[Wikipedia:Mignon (Figur)|Mignon]] wird im Fragment durchweg als Mädchen beschrieben. Nur im 3. Kapitel des 4. Buches<ref>Quelle S.584</ref> ist fünfmal hintereinander - bezogen auf Mignon - von ''er'' die Rede. Nach [[Wikipedia:Richard Friedenthal|Friedenthal]]<ref>Friedenthal S. 474</ref> wird unter Mignon in der [[Wikipedia:Goethezeit|Goethezeit]] ''homosexueller Liebling'' verstanden. Wilhelm wird von Frauen geradezu umschwärmt. Nach dem Fiasko mit Mariane wendet er sich aber keiner zweiten Frau zu, obwohl es - wie gesagt - an „Angeboten“ keineswegs mangelt. Wilhelm behält durch alle Fährnisse hindurch sein ''allerliebstes Schoßkind'' Mignon bei sich.
* [http://gutenberg.spiegel.de/buch/3669/1 Der Text] bei [[Wikipedia:Projekt Gutenberg-DE|Projekt Gutenberg-DE]]
 
* [http://www.zeno.org/Literatur/M/Goethe,+Johann+Wolfgang/Romane/Wilhelm+Meisters+Lehrjahre Der Text] bei Zeno.org
== Rezeption ==
* ''Wilhelm Meisters Lehrjahre'' bei [[Wikipedia:Project Gutenberg|Project Gutenberg]]: [http://www.gutenberg.org/ebooks/2335 Band 1], [http://www.gutenberg.org/ebooks/2336 Band 2], [http://www.gutenberg.org/ebooks/2337 Band 3], [http://www.gutenberg.org/ebooks/2338 Band 4], [http://www.gutenberg.org/ebooks/2339 Band 5], [http://www.gutenberg.org/ebooks/2340 Band 6], [http://www.gutenberg.org/ebooks/2341 Band 7], [http://www.gutenberg.org/ebooks/2342 Band 8]
*[[Wikipedia:Hermann Hesse|Hermann Hesse]] bewundert das Werk. Der Anlass von Hesses kleiner Notiz dürfte ein Aufsehen erregender Fund aus dem Jahre 1910 in Zürich sein. Eine Kopie des ''Urmeisters'' aus den Jahren 1777 bis 1785 wurde entdeckt und ein Jahr darauf veröffentlicht. Welche Fassung ist ''schöner und wertvoller'', fragt Hesse, dieser ''Künstlerroman'', der ''Urmeister'' oder der, der aus ihm hervorgegangen ist - ''Wilhelm Meisters Lehrjahre'' - ''der Roman des Menschen''? Hesse findet ein wundervolles Gleichnis: Die Frage ist vergleichbar mit der: Ist der Frühling schöner als der Sommer? Folgerichtig stellt Hesse den kostbaren Fund als ''unersetzliches, prächtiges Stück Goethescher Jugendprosa'' heraus<ref>Michels S. 158-159</ref>.
* [http://librivox.org/wilhelm-meisters-lehrjahre-by-johann-wolfgang-von-goethe/ gemeinfreies Hörbuch Wilhelm Meisters Lehrjahre von Goethe bei LibriVox]
*Nach Friedenthal hat Goethe mit der Madame de Retti die [[Wikipedia:Friederike Caroline Neuber|Neuberin]] porträtiert. Als Figuren durchgestaltet seien außer Wilhelm besonders Mignon und Philine. Unbedingt zutreffend ist Friedenthals Beobachtung, nach der Wilhelm ''Bildungsgepäck aufgeladen wird''<ref>Friedenthal S. 472</ref>. Der Roman ist gleichsam mit „Lehrstoff“ zur Theaterpraxis überfrachtet.
* Friedrich Schlegel: [http://www.zeno.org/Literatur/M/Schlegel,+Friedrich/%C3%84sthetische+und+politische+Schriften/%C3%9Cber+Goethes+Meister ''Über Goethes Meister'' bei zeno.org]
*Jørgensen, Bohnen und Øhrgaard vergleichen die ''Theatralische Sendung'' mit den ''Lehrjahren''.
* W. Fischer: [http://www.goethezeitportal.de/fileadmin/Images/db/wiss/goethe/wilhelm_meisters_lehrjahre/Mignon_1379__500x785_.jpg Abb.: Der Harfner und Mignon]
*Boyle geht ausführlich und sehr treffend auf das Geschehen in jedem der sechs Bücher des Romans ein. Wilhelm, der den Vornamen Shakespeares trägt, hat eine Sendung. Diese ist nichts Geringeres als ''die literarische Veränderung Deutschlands''<ref>Boyle S. 419</ref>. Die Aversion Goethes gegen das fahrende Volk der Schauspieler zeige sich insbesondere in der Abwendung Wilhelms von Philine und in der Hinwendung zu Mignon und zum Harfner. In Verbindung damit wird die erstaunliche lyrische „Unterlage“ (Gedichte) des Prosatextes beleuchtet.
* Katrin Fischer: [http://www.goethezeitportal.de/fileadmin/PDF/db/wiss/goethe/meisterslehrjahre_fischer.pdf Die Turmgesellschaft] (PDF; 425&nbsp;kB)
*[[Wikipedia:Gero von Wilpert|Wilpert]] betont Goethes lebendigen Erzählstil in der ''Theatralischen Sendung''.
* Jutta Assel und Georg Jäger: [http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=3673 Der Lehrbrief aus Goethes „Wilhelm Meister“ in typografischer Gestaltung]
*[[Wikipedia:Karl Otto Conrady|Conrady]] hebt den autobiographischen Charakter der ''Theatralischen Sendung'' und ihre Ausforschung durch die [[Psychoanalyse|Psychoanalytiker]] hervor.
* Julia Wagner: [http://www.goethezeitportal.de/fileadmin/PDF/db/wiss/goethe/meisterslehrjahre_wagner.pdf Die Turmgesellschaft] (PDF; 632&nbsp;kB)
 
== Briefe ==
 
{{Zitat|Meine ersten Capitel von ''Wilhelm Meister'' sind nun bald in der Ordnung und dann hoff ich soll die Lust kommen fortzufahren.|Quelle=Brief Goethes vom 21. Juni 1782 an [[Charlotte von Stein]]}}
{{Zitat|Das zweyte Buch von ''Wilhelm Meister'' erhälst<!-- Sic--> du bald ich habe es mitten in dem Taumel geschrieben.|Quelle=Brief Goethes vom 27. Juli 1782 an [[Karl Ludwig von Knebel]]}}
{{Zitat|Das fünfte Buch von ''Wilhelm Meister'' habe ich indessen geendigt und muß nun abwarten wie es aufgenommen wird.|Quelle=Brief Goethes vom 28. Oktober 1784 an [[Carl August (Sachsen-Weimar-Eisenach)|Herzog Carl August]]}}


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<div class="references-small" style="-moz-column-count:5; column-count:5;">
<references />
<references/></div>
 
== Literatur ==
;Quelle
*Johann Wolfgang von Goethe: ''Poetische Werke, Band 6''. S. 473-684. Phaidon Verlag Essen 1999, ISBN 3-89350-448-6
;Sekundärliteratur
<small>Geordnet nach dem Erscheinungsjahr</small>
*Richard Friedenthal: ''Goethe – sein Leben und seine Zeit.'' S. 468-475. R. Piper Verlag München 1963
*[[Wikipedia:Volker Michels|Volker Michels]] (Hrsg.): ''Hermann Hesse: Eine Literaturgeschichte in Rezensionen und Aufsätzen.'' suhrkamp taschenbuch 252. Frankfurt a. M. 1975, ISBN 3-518-36752-8
*Sven Aage Jørgensen, Klaus Bohnen, Per Øhrgaard: ''Aufklärung, Sturm und Drang, frühe Klassik 1740-1789''. In Helmut de Boor (Hrsg.), Richard Newald (Hrsg.): ''Geschichte der deutschen Literatur, Band VI''. S. 504-506. München 1990, ISBN 3-406-34573-5
*Nicholas Boyle: ''Goethe. Der Dichter in seiner Zeit. Bd. 1: 1749–1790.'' S. 418-431. München 1995, ISBN 3-406-39801-4
*Gero von Wilpert: ''Goethe-Lexikon.'' S. 1186-1187. Stuttgart 1998, ISBN 3-520-40701-9
*Karl Otto Conrady: ''Goethe - Leben und Werk.'' S. 631-641. Düsseldorf und Zürich 1999, ISBN 3-538-06638-8


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Version vom 1. Juli 2015, 11:48 Uhr

Titelblatt des Erstdruckes und Buchrücken zeitgenössischer Einbände
J. H. Lips (1791): Goethe

Wilhelm Meisters Lehrjahre ist ein klassischer Bildungsroman von Johann Wolfgang von Goethe. Der wegweisende Entwicklungsroman erschien 1795/96. Er besteht aus acht Büchern, von denen sich die ersten fünf inhaltlich an das zu Goethes Lebzeiten unveröffentlichte Fragment Wilhelm Meisters theatralische Sendung anlehnen. Ein Vergleich beider Texte zeigt etliche wörtliche Übereinstimmungen.

Bildungsroman

…mich selbst, ganz wie ich da bin, auszubilden, das war dunkel von Jugend auf mein Wunsch und meine Absicht“, gesteht Wilhelm in einem Brief seinem Schwager Werner. Ziel Wilhelms ist es, durch mannigfaltige Bemühungen und „schöpferische Kraft“ - auf dem geistigen und auch auf dem sozialen Sektor - Ordnung aus Unordnung zu erreichen.

In die Fußstapfen der Aufklärer Diderot und Voltaire tretend, verkündet Goethe das Recht des freien Bürgers auf allseitige Bildung. Mit der Ironie des auktorialen Erzählers fügt er ein buntes Lebensmosaik zusammen, dessen literarische Steinchen unter anderem auch aus lyrischen Einsprengseln und einer umfassenden Lebensbeichte (Bekenntnisse einer schönen Seele, 6. Buch) bestehen.

Handlung

Auf Kapitel des Romans wird im Folgenden mit einem Zahlenpaar in der Form (Buch,Kapitel) verwiesen. In dieser Kurzdarstellung der Handlung wird dabei nicht auf jedes Kapitel Bezug genommen.

Übersicht

1. - 5. Buch: Der junge Wilhelm Meister will Theatermann werden, scheitert aber nach beachtlichen Erfolgen schließlich doch.

6. Buch: Ein junges Mädchen entdeckt die Liebe, emanzipiert sich, macht sich sowohl mit naturwissenschaftlichem als auch mit musischem und spirituellem Wissen vertraut, wendet sich ganz Gott zu und wird zu einer schönen Seele, indem es eine ganz persönliche, natürliche Religiosität entwickelt und schließlich zur wohltätigen und gläubigen Frau reift, die unter dem Namen Die Schöne Seele auch als handelnde Person auftritt.

7. - 8. Buch: Wilhelm verlässt die Bretter, die die Welt bedeuten, und findet Anschluss an eine Loge, die soziale Veränderungen anstrebt und der die Vereinigten Staaten von Amerika zum Vorbild dienen: „Hier oder nirgend ist Amerika!

Bühne

Erstes Buch

1: Als die junge Schauspielerin Mariane nach der Vorstellung nach Hause kommt, findet sie ein weißes Negligé, das Geschenk ihres abwesenden Geliebten, des begüterten Kaufmanns Norberg. Von Herzen liebt Mariane allerdings Wilhelm. Der tritt ein und begrüßt die Geliebte stürmisch. Der alten Barbara ist das nicht recht. Barbara wünscht, ihre schöne Gebieterin solle sich an den reichen Norberg halten. 2: Für Wilhelms Vater sind die häufigen Theaterbesuche des Sohnes Zeitverschwendung. 3: Wilhelm genießt seine erste Liebe mit Wonne. Mariane ist „das lieblichste Geschöpf in seinen Armen“. 9: Wilhelm, die „reine Seele“, von Kindesbeinen an mit dem Theater vertraut, hält sich für einen „trefflichen Schauspieler“, will das Vaterhaus verlassen. 10: Freund Werner, ganz Geschäftsmann, meint, Wilhelm werde als zukünftiger Kaufmann auf vernünftige Gedanken kommen, wenn er auf einer Geschäftsreise die Welt kennenlerne. 11: Auch der Vater möchte Wilhelm „in Handelsangelegenheiten“ auf Reisen schicken. Wilhelm nutzt die günstige Gelegenheit, „sich dem Drucke seines bisherigen Lebens zu entziehen und einer neuen, edlern Bahn zu folgen.“ Wilhelm will an einer Bühne Fuß fassen und Mariane „alsdann abholen“. Er fragt die Geliebte, ob er Vater werde. Mariane trägt das verräterische neue Negligé und antwortet „nur mit einem Seufzer, einem Kusse“. 12: Norberg hat seinen Besuch angekündigt. Barbara bedeutet Mariane, Norberg sei es doch, der sie beide, die schwachen Frauen, aushalte. 13: Wilhelm lernt auf seiner Geschäftsreise den Schauspieler Melina und dessen Madame kennen. Er hilft beiden aus einer Verlegenheit, indem er zwischen dem Paar und den Angehörigen der Madame vermittelt. 15: Werner, kalt und berechnend, zieht Erkundigungen über Wilhelms Liebschaft ein und stellt den Freund zur Rede. 16: Wilhelm hält zu Mariane, plant aber weiter, seine Schauspielambitionen zu realisieren. Auf der nächsten Geschäftsreise beabsichtigt er, sich deswegen an den ihm bekannten Theaterdirektor Serlo zu wenden. 17: Noch bevor sich Wilhelm von Mariane verabschieden kann, wird er eines Nachts mit Entsetzen Zeuge, dass seine Geliebte noch einen anderen Verehrer hat, und verlässt Mariane.

Zweites Buch
Der Harfner, Kupferstich von Gustav Heinrich Naeke (1786-1835) zu „Wilhelm Meisters Lehrjahre

1: „In einem Augenblicke ist Wilhelms ganzes Wesen zerrüttet.“ 2: Wilhelm „resigniert und widmet sich mit großem Eifer den Handelsgeschäften.“ 3: Nach Jahren, auf seiner nächsten Geschäftsreise, begegnet Wilhelm Leuten, die „Komödie spielen“. 4: Wenig später lernt Wilhelm Mademoiselle Philine und „ein paar andere Trümmer einer Schauspielergesellschaft“ kennen. In Philines Gesellschaft befindet sich auch Mignon, „das wunderbare Kind“, Mitglied einer Truppe von Zirkusleuten. Wilhelm schätzt sie auf „zwölf bis dreizehn Jahre“ und kauft sie dem brutalen Leiter der Zirkustruppe „für dreißig Taler“ ab. 5: Herr und Frau Melina stoßen auf die Schauspieler. Philine möchte die Ankömmlinge loswerden, denn Madame Melina ist eine bloße Möchtegern-Schauspielerin. 6: „Mignons Gestalt und Wesen erscheinen Wilhelm immer reizender.“ Sie spricht „ein gebrochnes, mit Französisch und Italienisch durchflochtenes Deutsch“. 7: Ein heruntergekommener Alter, den Philine kennt, taucht wieder auf. Wilhelm fragt ihn unter vier Augen vorsichtig nach Mariane aus. Der Alte nennt Mariane leichtfertig und liederlich. „Frechheit und Undank seien die Hauptzüge ihres Charakters.“ Dann schwenkt der Alte um. Er wollte Mariane einst vor Barbara retten und sie als Tochter annehmen, doch „das Projekt zerschlug sich“. Wilhelm erfährt außerdem, dass Mariane vor knapp drei Jahren wegen ihrer Schwangerschaft vom „Direktor verstoßen“ worden sei. 8: Wilhelm wünscht, Mignon „an Kindesstatt seinem Herzen einzuverleiben“. 10: Philine kokettiert mit Wilhelm. Er hütet „sich vor der zusammenschlagenden Falle einer weiblichen Umarmung“. 11: Ein alter Harfenspieler wird vorgelassen. Wenn er spielt und singt, blicken seine großen blauen Augen sanft. 12: Wilhelm hat alle Mühe, Philine abzuweisen. „‚Sie sind ein rechter Stock!‘ sagt sie, indem sie von ihm abläßt, und ich eine Törin, daß ich so viel Freundlichkeit an Sie verschwende.‘“ Wilhelm greift korrigierend in Mignons Schreibübungen ein. 13: Er sucht den Harfner auf und lauscht dessen wehmütigem Gesang und Spiel. 14: Die von Wilhelm abgewiesene Philine macht nun dem Stallmeister des Grafen schöne Augen.- Mignon fürchtet, sie könnte Wilhelm verlieren: „wenn du unglücklich bist, was soll aus Mignon werden?“ Mignon schluchzt, weint und tut „einen Schrei, der mit krampfigen Bewegungen des Körpers begleitet“ ist. Wilhelm tröstet sie: „mein Kind! Du bist ja mein! … Ich werde dich behalten, dich nicht verlassen!‘ und Mignon erwidert: ‚Mein Vater! du willst mich. Ich bin dein Kind!‘

Drittes Buch
Goethe: Italienische Küstenlandschaft - Federzeichnung

1:„Gehst du nach Italien, so nimm mich mit, es friert mich hier“, sagt Mignon zu Wilhelm (das Kapitel setzt direkt mit Mignons berühmtem Lied ein „Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn ... “[1]). Als er Genaueres über ihre Liebe zu Italien wissen will, schweigt sie sich aus. Die Truppe trifft auf den Grafen, der seiner Gemahlin, der Gräfin gegenüber die Truppe beurteilt: „Wenn es Franzosen wären, könnten wir dem Prinzen eine unerwartete Freude machen und ihm bei uns seine Lieblingsunterhaltung verschaffen.“ Die Schauspieler wollen den gräflichen Herrschaften gefallen. Philine küsst der Gräfin die Hände. Die Geküsste bemerkt: „Sie muß sich nur besser anziehen.“ 2: Der Baron, vom Grafen mit der Inspektion der Truppe beauftragt, entdeckt „gar bald die schwache Seite des kleinen Haufens“. 6: Wilhelm belehrt den Baron vergeblich: „Der Liebhaber und Kenner zeigt dem Künstler an, was er wünscht, und überlässt ihm alsdann die Sorge, das Werk hervorzubringen.“ Der Baron stellt klar: „Der Herr Graf verläßt sich darauf, daß das Stück so und nicht anders, wie er es angegeben, aufgeführt werde.“ 7: Auch Mignon zeigt mehr Realitätssinn als Wilhelm. Sie weigert sich, ihren hochartistischen Eiertanz vorzuführen und bittet Wilhelm: „Lieber Vater! bleib auch du von den Brettern!“ 8: Jarno, ein - wie es zunächst scheint - hartherziger, kalter Günstling des Prinzen, weist Wilhelm auf Shakespeare hin. 11: Wilhelm ist stark beeindruckt und kann Jarno nicht genug für den Hinweis danken; Jarno jedoch empfiehlt Wilhelm, dem Theater zu entsagen und „in ein tätiges Leben überzugehen“, was Wilhelm kränkt und von Jarno entfremdet. 12: Philine schmeichelt sich bei der Gräfin weiter ein. Da die Gräfin von Langeweile geplagt wird, holt Philine Wilhelm herbei. Dieser muss aus seinem Manuskript vorlesen. Als er sich nach der Lesung von der Gräfin unter vier Augen verabschiedet, liegt diese plötzlich, „ohne zu wissen, wie es geschah in seinen Armen“, und sie tauschen Küsse aus. Mit einem Schrei reißt sie sich von ihm los und ruft: „Fliehen Sie mich, wenn Sie mich lieben!

Viertes Buch

1: Zum Abschied schenkt der Baron Wilhelm einen Beutel Goldstücke. Wilhelm nimmt das Geschenk widerstrebend an. Der Harfner bittet Wilhelm, „ihn ja sogleich zu entlassen.“ Wilhelm will ihn weiter beschützen. Doch der Harfner sagt: „Die Rache, die mich verfolgt, ist nicht des irdischen Richters; ich gehöre einem unerbittlichen Schicksale; ich kann nicht bleiben und ich darf nicht!… Ich bin schuldig… Meine Gegenwart verscheucht das Glück.“ Wilhelm kann den Harfner besänftigen. 2: Die Zukunft der Truppe sieht nicht gerade rosig aus. Wilhelm ermuntert die Schauspieler zum Üben. Nur Philine ist auf Wilhelms Seite. 5: Die Truppe muss das gräfliche Schloss verlassen und weiterziehen. Unterwegs wird sie im Wald von einer Räuberbande überfallen und ausgeplündert. Wilhelm wird durch einen Schuss verletzt. 6: Rettung für Wilhelm naht in Gestalt einer „schönen Amazone“. In deren Gefolge befinden sich ein „alter Herr“, den die schöne junge Frau mit „lieber Oheim“ anredet und ein „Wundarzt“. 7: Wilhelm, Mignon, der Harfner und Philine bekommen nach überstandenem Überfall in der Notunterkunft den Unmut der Truppe zu spüren. 8: Wilhelm, auf dem Krankenlager, verspricht der Truppe, er werde sie aus dem Elend herausführen. 11: Die Truppe zieht weiter. Philine bleibt bei Wilhelm. Auf dem Wege der Besserung schwelgt Wilhelm in „unendlich süßer Erinnerung“ an die Gräfin und an die schöne Amazone. Von jeder hat er eine Schriftprobe - „ein reizendes Lied von der Hand der Gräfin in seiner Schreibtafel, und … ein Zettelchen“, worauf „man sich mit viel zärtlicher Sorgfalt nach dem Befinden eines Oheims“ erkundigt. Wilhelm bewundert „die Ähnlichkeit ihrer Handschriften“. 13: Serlo empfängt Wilhelm in der „lebhaften Handelsstadt mit offenen Armen“ und schenkt ihm „unbarmherzig“ reinen Wein ein: Die Truppe um Melina ist für die Theaterarbeit unbrauchbar. Serlo stellt seine Schwester Aurelia Wilhelm vor. 14: Philine „rekognosziert das Terrain, um sich einzunisten“. Bald kann sie Wilhelm mit neuen Klatschgeschichten unterhalten: Aurelie hatte einen „unglücklichen Liebeshandel“ mit einem Baron Lothar. „Es läuft da ein Knabe herum, ungefähr von drei Jahren, schön wie die Sonne“, klatscht Philine weiter. Der Knabe heißt Felix. Philine gesteht Wilhelm erneut, sie sei in ihn verliebt und bittet, er möchte sich in Aurelie verlieben. 17: Da Wilhelm überwiegend im Auftrag seines Vaters unterwegs ist und dieser Bericht erwartet, beginnt Wilhelm mit Laertes' Hilfe einen erfundenen Bericht zu verfassen. 19: „Bei der innerlichen Kälte seines Gemütes liebt Serlo eigentlich niemand; bei der Klarheit seines Blicks kann er niemand achten.“ Trotzdem engagiert Serlo Wilhelm und bringt sogar die Truppe Melina unter. Wilhelm setzt durch, dass Mignon und der Harfner bei ihm bleiben dürfen. 20: Aurelie führt sich wie eine „Halbwahnsinnige“ auf. Mit ihrem Dolch bringt sie Wilhelm eine Schnittwunde an der Hand bei und verbindet ihn sogleich sorgsam. Wilhelms Kommentar: „Beste, wie konnten Sie Ihren Freund verletzen?

Fünftes Buch

1: Felix trinkt „lieber aus der Flasche als aus dem Glase“. Diese „unschickliche“ Angewohnheit wird dem lebhaften Knaben am Romanende das Leben retten. Werner teilt Wilhelm „den Tod seines Vaters“ brieflich mit. 2: Werner erklärt Wilhelm seinen Plan, Wilhelms Erbe zu übernehmen und dessen Schwester zu heiraten. Da sich Wilhelm in seinen Briefen so vorzüglich dargestellt habe, solle dieser doch mit Werner zusammen Gutsverwalter werden. 3: In Wilhelms Antwortschreiben gesteht er den Betrug. Es stehen aber auch einige Wahrheiten darin: „Ich habe nun einmal gerade zu jener harmonischen Ausbildung meiner Natur, die mir meine Geburt versagt, eine unwiderstehliche Neigung … da ich aber nur ein Bürger bin, so muß ich einen eigenen Weg nehmen … Nun leugne ich Dir nicht, daß mein Trieb täglich unüberwindlicher wird, eine öffentliche Person zu sein, und in einem weitern Kreise zu gefallen und zu wirken.“ Wilhelm schließt sich Serlos als Schauspieler an. 4 - 10: Wilhelm editiert den „Hamlet“ und reduziert ihn aufs Wesentliche. Die Proben schreiten voran und alle Schauspieler sind mit Enthusiasmus dabei. 11: Das „Ensemble“ hat mit „Hamlet“ in der Inszenierung Wilhelms Erfolg. Dabei wird der „Geist“ von einem Unbekannten gespielt. 12: Im Anschluss an die Aufführung feiert die Truppe. Nachts schleicht sich eine schöne Unbekannte in Wilhelms Bett, mit der er schläft. 13: Das Haus, in dem die Schauspieler logieren, brennt. Mignon ruft Wilhelm zu: „Meister! Rette deinen Felix! Der Alte (d.h. der Harfenspieler) ist rasend! der Alte bringt ihn um!“ 14: Die Truppe wird aufgeteilt und umquartiert. Wilhelm hegt insgeheim den „Verdacht, daß der Alte schuld an dem Brande sei“. 15: Der Harfner zeigt „deutliche Spuren des Wahnsinns“. Wilhelm muss ihn „einem Landgeistlichen“ anvertrauen, der „dergleichen Leute“ behandelt. Philine distanziert sich von Wilhelm und dieser glaubt, in einer Besucherin Philinens seine Mariane zu sehen. Tags darauf ist Philine abgereist, ohne dass Wilhelm sich hätte versichern können, dass es sich wirklich um Mariane gehandelt hatte. 16: Wilhelm sucht den Harfner auf. Der Landgeistliche hat einen „Arzt zu Rate“ gezogen. Von dem Arzt bekommt Wilhelm das Manuskript „Bekenntnisse einer schönen Seele“ als Lektüre.- Melina - „kalt und heimtückisch“ - und Serlo betreiben die Entfernung Wilhelms und Aureliens von der Bühne. Neue Akteure stoßen zur Truppe, die Stimmung in der Truppe verschlechtert sich.

Aurelie, schon immer krank gewesen, gesteht Wilhelm, „daß das Ende ihres Lebens bald herannaht“, beauftragt ihn, einen Brief ihrem geliebten Lothar zu überbringen und stirbt, nicht ohne vorher die „Bekenntnisse einer schönen Seele“ gelesen zu haben. Wilhelm reist ab, um Lothar den Brief zu überbringen. Beim Abschied sagt Felix zu ihm: „Höre! bringe mir einen Vater mit“ und Mignon singt

Heiß mich nicht reden, heiß mich schweigen,
Denn mein Geheimnis ist mir Pflicht;
Ich möchte dir mein ganzes Innre zeigen,
Allein das Schicksal will es nicht.

Gott

Sechstes Buch. Bekenntnisse einer schönen Seele

Die schöne Seele (siehe auch oben unter „Übersicht“), eine Tante Lotharios, schildert ihr religiöses Leben, insbesondere ihre Hinwendung zu den Herrnhutern. Nebenbei werden Familienverhältnisse bekannt: Baron Lothario hat eine Schwester, die Baronesse Natalie.

Turm

Siebentes Buch

1: Wilhelm, mit dem Brief der verblichenen Aurelie zu Lothar unterwegs, begegnet dem Abbé. Er hat den Geistlichen schon einmal gesehen - im Gefolge der hilfreichen schönen Amazone nach dem Überfall im Wald. Der Abbé fragt nach der Theatertruppe. Wilhelm gesteht, „es ist ihm nichts davon übriggeblieben“. Im Schloss Lothars - fortan Lothario genannt - hat Wilhelm nach seiner Unterbringung „sonderbare Traumbilder“. Mariane begegnet ihm. „Jene Amazone“ hat Ähnlichkeit mit einem Bild an der Zimmerwand. 2: Lothario hat zwar den Brief Aureliens in Empfang genommen, ihn plagen aber andere Sorgen. Er duelliert sich wegen einer Liebschaft und wird verwundet. 3: Wilhelm erhält über den alten Bekannten Jarno seinen ersten Auftrag von der Turmgesellschaft. Er soll die aufdringliche Lydie von Lotharios Krankenbett entfernen. Jarno, gut unterrichtet, spottet über Wilhelms „alte Grille“, die Schauspielerei. Wilhelm möchte der schönen Amazone „auf die Spur kommen“. 4: Bevor Wilhelm seinen Auftrag ausführt, trifft er auf jenen Arzt, dem er das „interessante Manuskript“ verdankt und der den Harfner betreut. Wilhelm erfährt vom Wahn des Kranken: Der Harfner meint, ihm stehe der „Tod durch einen unschuldigen Knaben“ bevor.- Nach Jarno soll Wilhelms erster Auftrag ihn zu Fräulein Therese, einer „wahren Amazone“, führen. Der hellhörige Wilhelm hofft, „seine Amazone wieder zu finden, diese Gestalt aller Gestalten“. 6: Bei Therese angekommen, muss er feststellen, dass sie seine Amazone nicht ist. Er erfährt von dem verständigen Fräulein, dass sie „mit Lotharios trefflicher Schwester einen Bund gemacht“. Therese meint Natalie. Wilhelm missversteht: Er glaubt, Therese spreche von der Gräfin, die er einmal geküsst hat.- Lydie fragt nach dem geheimnisvollen „großen Turm. Wozu diese verschlossenen Zimmer? diese wunderlichen Gänge?“ Auch Wilhelm fällt der Turm auf. 7: Lothario und Therese, die „sich heftig liebten“, wollten heiraten, doch es gibt Hindernisse. Wilhelm will Lothario tadeln, weil er Aurelie verließ. Der Versuch misslingt. Wilhelm erfährt von Lothario, „Aurelie hatte keinen Sohn, am wenigsten von“ ihm. Jarno, der zugegen ist, empfiehlt Wilhelm: „Überhaupt dächte ich, Sie entsagten kurz und gut dem Theater, zu dem Sie doch einmal kein Talent haben.“ Über Jarno erhält Wilhelm den nächsten Auftrag vom Turm: Er soll die Kinder holen. 8: Wilhelm findet Mignon und Felix nicht in der Obhut Frau Melinas, sondern er begegnet der alten Barbara. Von Barbara muss Wilhelm die Wahrheit erfahren: Als er glaubte, Mariane sei ihm untreu, habe sie seinerzeit in Wirklichkeit Norberg den Laufpass gegeben. Felix sei Marianens und Wilhelms Sohn. Mariane starb nach dessen Geburt. Werner hatte zuvor alle Briefe Marianens an Wilhelm „zurückgewiesen“. Barbaras Intrige: Sie hatte Aurelie vorgespiegelt, Felix sei ein Sohn ihres Geliebten Lothario. Aurelie nahm darauf Felix - aus Liebe zu Lothario - in ihren fürsorglichen Schutz.- Mignon will zum Harfner. Wilhelm redet ihr das aus. Wilhelm betrachtet sich und Felix vor dem Spiegel, sucht „dort Ähnlichkeiten zwischen sich und dem Kinde“. Er nimmt die beiden Kinder mit zum Turm. 9: Vom Abbé erhält Wilhelm seinen Lehrbrief und darf eine Frage stellen. Wilhelm fragt, „ob Felix wirklich sein Sohn sei.“ Die Anfrage wird von dem allwissenden Abbé bejaht. Der Geistliche setzt hinzu: „Deine Lehrjahre sind vorüber.

Achtes Buch

1: Werner, ein „arbeitsamer Hypochondrist“ geworden, kommt in geschäftlichen Angelegenheiten zum Turm. Man tauscht sich aus. Wilhelm hat andere Sorgen. Er braucht eine Mutter für Felix und hält schriftlich um die Hand des braven Fräulein Therese an. 2: Mignon geht es nicht gut. Sie ist bei Natalie zur Pflege. Lothario bittet Wilhelm, zusammen mit Felix, seine Schwester und Mignon aufzusuchen und der Schwester auch auszurichten, Marchese Cipriani, ein Freund der Familie, komme bald. Lothario überreicht Wilhelm ein „Billett“ Nataliens. Wilhelm meint, die Handschrift zu erkennen und sieht der Begegnung mit Bangen entgegen: „Um Gottes willen! … das ist nicht die Hand der Gräfin, es ist die Hand der Amazone!“ Tatsächlich begegnet Wilhelm seiner Amazone, der Baronesse Natalie. Sie hat Mignons Herzleiden, das das Mädchen „nach und nach aufzehrt“, genau beobachtet und gibt ein Lied Mignons wieder:

So laßt mich scheinen, bis ich werde,
Zieht mir das weiße Kleid nicht aus!
Ich eile von der schönen Erde
Hinab in jenes feste Haus…

3: Natalie bedeutet Wilhelm, er könne von ihrer Familie „nicht besser unterrichtet sein als durch den Aufsatz ihrer Tante“, der schönen Seele. Die Gräfin, eröffnet Natalie Wilhelm weiter, sei ihre Schwester und der „lustige, leichtfertige Friedrich“ ihr Bruder.- Mignons Arzt kommt und erzählt Wilhelm, Mignons Krankheit rühre von ihrer Italiensehnsucht und ihrer Sehnsucht nach Wilhelm. Mignon sei „in sehr früher Jugend durch eine Gesellschaft von Seiltänzern ihren Eltern entführt worden.“ Der Arzt habe sich dies aus Mignons Liedern zusammengereimt. Dann erwähnt er noch Mignons Fiasko nach der „Hamlet“-Aufführung, als sie sich zu Wilhelm ins Bett schleichen wollte und eine Nebenbuhlerin ihr zuvorkam. 4: Therese antwortet auf Wilhelms Werbung: „Ich bin die Ihre“. Kaum ist das heraus, kommt „Überraschung gegen Überraschung“. Das Ehehindernis zwischen Lothario und Therese ist fort, denn „Therese ist nicht die Tochter ihrer Mutter“. Lothario bereitet die Ehe mit dem „edlen Mädchen“ vor.- Natalie, „lächelnd, mit ihrer ruhigen, sanften, unbeschreiblichen Hoheit“, gesteht Wilhelm, sie habe noch nie geliebt. 5: Therese reist - in Unkenntnis von Lotharios Hochzeitsvorbereitungen - bei Natalie und Wilhelm an. Mignons Herz pocht „gewaltsam“ angesichts der glücklichen Braut. Als sich das Brautpaar „unter den lebhaftesten Küssen“ umarmt, fällt Mignon „mit einem Schrei zu Nataliens Füßen für tot nieder“. 6: Wilhelm wurde vom Turm stets observiert: Friedrich teilt dem erstaunten Wilhelm mit, Philine bekomme von ihm, Friedrich, ein Kind. Zuerst sei sich Friedrich unsicher gewesen, denn Philine war es ja, die nach der „Hamlet“-Aufführung mit Wilhelm geschlafen habe, aber die Zeit treffe zu. 7: Jarno will Lydie heiraten. 8: Mignon wird beerdigt. 9: Der Marchese Cipriani kommt aus Italien. Er ist der Bruder des Harfners und Mignons Onkel. Der Harfner, Augustin ist sein Name, liebte in jungen Jahren das Mädchen Sperata. Als Sperata ein Kind von ihm erwartete, stellte sich heraus: Sperata und der Harfner sind natürliche Geschwister, es handelte sich also um Inzest. Man trennte das Paar und nahm Sperata ihr Kind - Mignon - weg. Mignon lebte bis zu ihrer Entführung bei „guten Leuten“ am Lago Maggiore. Der Harfner, in einem Kloster festgehalten, „behauptete, daß bei seinem Erwachen ein schöner Knabe unten an seinem Bette stehe und ihm mit einem blanken Messer drohe.“ Er konnte nach Deutschland entfliehen. Speratas „Geist machte sich nach und nach von den Banden des Körpers los“ und sie starb. Nach ihrem Tode wurde sie vom Volk als Heilige verehrt. 10: Therese reitet öfter mit Lothario allein aus. Der Harfner Augustin erscheint wieder, doch leider zeigt er die alte Furcht vor Felix. Am Ende überrascht der Harfner die Gesellschaft mit dem Ausruf: „Felix ist vergiftet!“ Zum Glück hat Felix - nach seiner Gewohnheit - aus der Flasche getrunken und das Gift im Glas stehen lassen. Der Harfner begeht einen Selbstmordversuch, wird gerettet, bringt sich jedoch beim zweiten Versuch um.- Als sich die Gräfin verabschiedet, legt sie Wilhelms Hände in Natalies. Lothario spricht sich im gleichen Sinne Wilhelm gegenüber für eine Doppelhochzeit aus. Geld von Werner trifft für Wilhelm ein. Auch Friedrich ist (mit dem Turm) der Meinung, Wilhelm solle Natalie ehelichen und darauf mit Felix der Einladung des Marchese Cipriani nach Italien folgen. Wilhelm hat nichts dagegen einzuwenden.

Figuren

  • Felix ist der Sohn Marianes und Wilhelms. Nach dem zeitigen Tod der Mutter bringt die listige alte Barbara Felix bei Aurelie unter. Der Harfner glaubt im Wahn, Felix sei sein künftiger Mörder. Eine „schlechte Tischsitte“ rettet Felix das Leben.
  • Der Harfner (Harfenspieler, Augustin) ist der Vater Mignons und der Bruder des Marchese Cipriani sowie der heiligen Sperata.
  • Baron Lothario (Lothar) ist Mitglied der Turmgesellschaft. Seine Geschwister sind Natalie, die Gräfin und Friedrich. Er heiratet Therese.
  • Die junge Schauspielerin Mariane ist die Mutter von Felix. Wilhelm verlässt die schwangere Mariane, weil er nicht weiß, dass sie dem Nebenbuhler Norberg den Laufpass gegeben hat.
  • Mignon ist die Tochter der heiligen Sperata und des Harfners Augustin. Wilhelm kauft Mignon von rohen Gauklern los und nimmt sie wie eine Tochter auf. Mignon bedankt sich durch ihre Anhänglichkeit. Das herzkranke Mädchen stirbt vor Herzeleid, als sich Therese und Wilhelm in Liebe küssen.
  • Baronesse Natalie, Wilhelms schöne Amazone, ist die Schwester Lotharios, der Gräfin und Friedrichs. Natalie pflegt Mignon und wird schließlich Wilhelms Braut.
(8,4) Therese vergleicht Wilhelm mit Natalie und schreibt an sie über ihn: „… er hat von dir das edle Suchen und Streben nach dem Bessern, wodurch wir das Gute, das wir zu finden glauben, selbst hervorbringen.“ Therese setzt hinzu: „… seine Lebensbeschreibung ist ein ewiges Suchen und Nicht finden.

Nebenfiguren

Der Abbé lenkt im Hintergrund die Geschicke Wilhelms.
Der Arzt steht in Diensten der Familie Lotharios.
Die Schauspielerin Aurelie (Aurelia) ist die Schwester Serlos.
Die alte Barbara ist die Haushälterin Marianes.
Der Baron befasst sich im Auftrag des Grafen mit der Theatertruppe Melina.
Der Marchese (ital. Markgraf) Cipriani aus Italien ist der Bruder des Harfners und der Onkel Mignons.
Friedrich ist Mitglied der Turmgesellschaft sowie der Bruder Nataliens, Lotharios und der Gräfin.
Der Graf nimmt die Schauspielertruppe Melina in seinem Schloss auf.
Die Gräfin ist die Schwester Nataliens, Lotharios und Friedrichs.
Jarno ist Mitglied der Turmgesellschaft und Bräutigam Lydies.
Als Lothario Lydia (Lydie) nicht mehr als Geliebte will, nimmt Jarno sie zur Frau.
Der Schauspieler Melina leitet die Theatertruppe. Wilhelm unterstützt ihn.
Madame Melina ist die Frau des Herrn Melina.
Der begüterte Kaufmann Norberg ist ein Liebhaber Marianes.
Die verführerische Schauspielerin Philine schmeichelt sich gern bei den Herrschaften ein, möchte Wilhelms Geliebte sein und wird schließlich von Friedrich schwanger.
Der Theaterdirektor Serlo ist Wilhelms Freund und Förderer. Schließlich will er Wilhelm nicht mehr an der Bühne.
Eine schöne Seele ist die Tante Nataliens, Lotharios, Friedrichs und der Gräfin. (8,3) Natalie erzählt Wilhelm von ihrer Tante, der schönen Seele: „Ich bin ihr so viel schuldig. Eine sehr schwache Gesundheit, vielleicht zu viel Beschäftigung mit sich selbst, und dabei eine sittliche und religiöse Ängstlichkeit ließen sie das der Welt nicht sein, was sie unter andern Umständen hätte werden können.“ Wilhelm, der die Bekenntnisse der Tante Nataliens (6. Buch) las, bringt zum Ausdruck, dass diese Lektüre sein weiteres Leben beeinflusst hat und fügt bei: „Was mir am meisten aus dieser Schrift entgegenleuchtete, war, ich möchte so sagen, die Reinlichkeit des Daseins, nicht allein ihrer selbst, sondern auch alles dessen, was sie umgab, diese Selbständigkeit ihrer Natur und die Unmöglichkeit, etwas in sich aufzunehmen, was mit der edlen, liebevollen Stimmung nicht harmonisch war.
Die heilige Sperata ist die Schwester des Harfners und Mignons Mutter.
Fräulein Therese wird schließlich die Braut Lotharios.
Der Kaufmann Werner ist Wilhelms Schwager.

Zitate

  • (5,1) Serlo: „Man sollte alle Tage wenigstens ein kleines Lied hören, ein gutes Gedicht lesen, ein treffliches Gemälde sehen und, wenn es möglich zu machen wäre, einige vernünftige Worte sprechen.
  • (5,7) Serlo und Wilhelm: „Im Roman sollen vorzüglich Gesinnungen und Begebenheiten vorgestellt werden; im Drama Charaktere und Taten. Der Roman muß langsam gehen, und die Gesinnungen der Hauptfigur müssen, auf welche Weise es wolle, das Vordringen des Ganzen zur Entwicklung aufhalten. Das Drama soll eilen, und der Charakter der Hauptfigur muß sich nach dem Ende drängen.
  • (7,1) Der Abbé: „Das Sicherste bleibt immer, nur das Nächste zu tun, was vor uns liegt.
  • (7,3) Jarno: „Alle Fehler des Menschen verzeih ich dem Schauspieler, keine Fehler des Schauspielers verzeih ich dem Menschen.
  • (8,3) Wilhelm: „Ist doch wahre Kunst wie gute Gesellschaft: sie nötigt uns auf die angenehmste Weise, das Maß zu erkennen, nach dem und zu dem unser Innerstes gebildet ist.
  • (8,4) Therese zitiert Natalie: „Wenn wir die Menschen nur nehmen, wie sie sind, so machen wir sie schlechter; wenn wir sie behandeln, als wären sie, was sie sein sollten, so bringen wir sie dahin, wohin sie zu bringen sind.
  • (8,5) Wilhelm über die Turmgesellschaft: „Soviel ich diese heiligen Männer kenne, scheint es jederzeit ihre löbliche Absicht, das Verbundene zu trennen und das Getrennte zu verbinden.
  • (8,9) Der Harfner: „Wenn die Natur verabscheut, so spricht sie es laut aus; das Geschöpf, das nicht sein soll, kann nicht werden, das Geschöpf, das falsch lebt, wird früh zerstört.
  • (8,9) Der Harfner: „Wer gelitten hat wie ich, hat das Recht, frei zu sein.

Rezeption

Friedrich von Schlegel (1772 - 1829)
  • Friedrich Schlegel schreibt Über Goethes Meister im Jahre 1798: „Wir sehen auch, daß diese Lehrjahre eher jeden andern zum tüchtigen Künstler oder zum tüchtigen Mann bilden wollen und bilden können, als Wilhelmen selbst. Nicht dieser oder jener Mensch sollte erzogen, sondern die Natur, die Bildung selbst sollte in mannichfachen Beispielen dargestellt, und in einfache Grundsätze zusammengedrängt werden.“
Germaine de Staël (1766 - 1817)
  • Nach Germaine de Staël hat Goethe seine Lehrjahre mit „geistreichen Erörterungen“ überfrachtet.
  • Novalis bezeichnete im Februar 1800 die Lehrjahre als „ein fatales und albernes Buch. Die Freude, daß es nun aus ist, empfindet man am Schlusse im vollen Maße. Das ganze ist ein nobilitierter Roman. Wilhelm Meisters Lehrjahre, oder die Wallfahrt nach dem Adelsdiplom.“ Der „Geist des Buches“ sei „künstlerischer Atheismus“, da es „das Wunderbare“ darin als bloße „Poesie und Schwärmerei“ abtue. Novalis hat seine privaten Aufzeichnungen zu Wilhelm Meister allerdings nie veröffentlicht. Er ließ seinen Freund Friedrich Schlegel den Roman überschwänglich loben, dachte sich selbst insgeheim seinen Teil und schrieb seinen Gegenentwurf, den Roman Heinrich von Ofterdingen.
  • Adam Müller stellt in seinen Vorlesungen über die deutsche Wissenschaft und Literatur 1806/1807 Goethe auf eine Stufe mit Cervantes, wenn er hervorhebt, dass es „in der ganzen Geschichte der Literatur nur im Don Quixote einen einzigen weltumfassenden Pendant“ gibt.
  • Der große Goethe-Verehrer Nietzsche notiert anno 1884 (Nachgelassene Fragmente): „In Allem, was Goethe gemacht hat, sagt Mérimée, giebt es eine Mischung von Genie und von deutscher niaiserie (gut! das ist deutsch!) ‚moquirt er sich über sich selber oder über die Anderen?‘ — Wilhelm Meister: die schönsten Dinge von der Welt abwechselnd mit den lächerlichsten Kindereien.“
  • Friedenthal geht darauf ein, weshalb sich Goethe auch im wirklichen Leben in zwei Logen aufnehmen ließ.
  • Gerhard Schulz macht in seiner ausgewogenen Würdigung die Verbindungen zwischen derTheatralischen Sendung, den Lehrjahren und den Wanderjahren sichtbar.
  • Boyle beleuchtet die Lenker-Rollen kritisch, die Jarno und andere Herren vom Turm in Wilhelms Vita spielen.
  • Nach Wilpert gehen die Bekenntnisse einer schönen Seele (6. Buch) auf Susanna Catharina Klettenberg (1723 - 1774) - eine Freundin von Goethes Mutter - zurück.
  • Conrady thematisiert das Missverhältnis Feudaladel - Bürgertum und seine 'Behandlung' durch Goethe.
  • Die 1866 uraufgeführte Oper Mignon von Ambroise Thomas ist eine freie Adaption von Wilhelm Meisters Lehrjahren.
  • Hannelore Schlaffer nennt Arbeiten von
    • Hans-Egon Hass: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Düsseldorf 1965.
    • Georg Lukács: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Reinbek 1967,
    • Rolf-Peter Janz: Zum sozialen Gehalt der »Lehrjahre«. Berlin 1975.

Selbstzeugnisse

„Durch Aufmunterung der Herzogin Mutter habe ich, in diesen letzten Tagen, Wilhelm Meister wieder vorgenommen, vielleicht ruckt in diesem neuen Jahre auch dieses alte Werck seiner Vollendung näher.“

– Brief Goethes vom 1. Januar 1791 an Karl Ludwig von Knebel

„Die Fragen wegen Wilhelm Meisters möchte ich am liebsten einmal mündlich beantworten. Bey solchen Werken mag der Künstler sich vornehmen was er will, so giebt es immer eine Art von Confession und zwar auf eine Weise, von der er sich kaum selbst Rechenschaft zu geben versteht. Die Form behält immer etwas Unreines und man kann Gott danken, wenn man im Stand war so viel Gehalt hinein zu legen, daß fühlende und denkende Menschen sich beschäftigen mögen, ihn wieder daraus zu entwickeln.“

– Brief Goethes vom 29. März 1801 an Johann Friedrich Rochlitz

„… kamen wir auch auf Wilhelm Meisters Lehrjahre zu sprechen, wobei ich mir zu bemerken erlaubte, daß ich bei der seligsten Wonne, in die mich dieser Roman, so oft ich ihn las, stets versetzte, dennoch nicht ins Reine damit gekommen sei, ob die Capitel darin dem Romane ihr Dasein verdanken, oder ob der Roman aus dessen Fragmenten entstand. Goethe schmunzelte und stellte die Frage an mich, wie ich auf die Idee gekommen? Ich rechtfertigte sie durch die lockere Haltung der Capitel untereinander, vorzüglich wies ich auf das sechste Buch hin mit der Ueberschrift Bekenntnisse einer schönen Seele, das mit dem übrigen in gar keiner Verbindung zu stehen scheint, worauf Goethe mir entgegnete: ‚Da ich Sie mit Ihrer Idee am rechten Wege finde, will ich Sie vollends zum Ziele führen. Ich hatte die Capitel oder Fragmente, wie Sie es nennen, allerdings einzeln geschrieben und sie auch einzeln nach und nach durch Zeitschriften veröffentlicht.‘“

– Gespräch Goethes am 6. August 1822 mit Johann Wenzel Tomaschek in Eger

Verfilmung

Vertonungen

Franz Schubert vertonte im Jahr 1816 Teile aus dem zweiten Buch (Wer sich der Einsamkeit ergibt - Wer nie sein Brot mit Tränen aß - An die Türen will ich schleichen) in Gesänge des Harfners (D 478-480).[3] Von Mignons Lied Kennst du das Land ... (Beginn des dritten Buches) gibt es zahlreiche Vertonungen, u.a. von Franz Schubert, Robert Schumann und Hugo Wolf. Auf die Oper Mignon von Ambroise Thomas wurde bereits hingewiesen.

Literatur

Quelle

  • Johann Wolfgang von Goethe: Poetische Werke. Band 7. Phaidon, Essen 1999, ISBN 3-89350-448-6, S. 5–386.

Erstausgabe

Sekundärliteratur

Geordnet nach dem Erscheinungsjahr

  • Richard Friedenthal: Goethe – sein Leben und seine Zeit. R. Piper, München 1963, S. 476–480.
  • Friedrich A. Kittler: Über die Sozialisation Wilhelm Meisters. In: Gerhard Kaiser, Friedrich A. Kittler: Dichtung als Sozialisationsspiel. Studien zu Goethe und Gottfried Keller. Göttingen 1978, S. 13–124.
  • Gerhard Schulz: Die deutsche Literatur zwischen Französischer Revolution und Restauration. Teil 1: Das Zeitalter der Französischen Revolution: 1789 –1806. München 1983, ISBN 3-406-00727-9, S. 302–319.
  •  Hannelore Schlaffer: Wilhelm Meister. Das Ende der Kunst und die Wiederkehr des Mythos. Metzler, Stuttgart 1989, ISBN 3-476-00655-7.
  • Benedikt Jeßing: Johann Wolfgang Goethe. Stuttgart/ Weimar 1995, ISBN 3-476-10288-2, S. 123–137, 149–158.
  • Gero von Wilpert: Goethe-Lexikon. Stuttgart 1998, ISBN 3-520-40701-9, S. 1182–1186.
  • Karl Otto Conrady: Goethe – Leben und Werk. Düsseldorf und Zürich 1999, ISBN 3-538-06638-8, S. 623–649.
  • Nicholas Boyle: Goethe. Der Dichter in seiner Zeit. Band 2: 1790–1803. Frankfurt a. M. 2004, ISBN 3-458-34750-X, S. 292–315, 416–427, 452–483.

Deutungsgeschichte

Das Werk ist seit der ersten Rezeption durch eine kontroverse Deutungsgeschichte gekennzeichnet.

  • Hans-Jürgen Schings: Agathon – Anton Reiser – Wilhelm Meister. Zur Pathogenese des modernen Subjekts im Bildungsroman. In: Wolfgang Wittkowski (Hrsg.): Goethe im Kontext. Kunst und Humanität, Naturwissenschaft und Politik von der Aufklärung bis zur Restauration. Ein Symposion. Tübingen 1984.
  • Heinz Schlaffer: Exoterik und Esoterik in Goethes Romanen. In: Goethe-Jahrbuch. 95 (1978), S. 212–226.
  • Ulrich Schödlbauer: Kunsterfahrung als Weltverstehen. Die ästhetische Form von „Wilhelm Meisters Lehrjahre“. Heidelberg 1984, ISBN 3-533-03522-0 und ISBN 3-533-03523-9.
  • Manfred Engel: Der Roman der Goethezeit. Band 1: Anfänge in Klassik und Frühromantik: Transzendentale Geschichten. Metzler, Stuttgart/ Weimar 1993, S. 227–320.
  • Klaus Gerth: „Das Wechselspiel des Lebens“. Ein Versuch, Wilhelm Meisters Lehrjahre (wieder) einmal anders zu lesen. In: Goethe-Jahrbuch. 113 (1996), S. 105–120.
  • Lothar Bluhm: „Du kommst mir vor wie Saul, der Sohn Kis’ …“. Wilhelm Meisters Lehrjahre zwischen ‚Heilung‘ und ‚Zerstörung‘. In: L. Bluhm, A. Hölter (Hrsg.): „daß gepfleget werde der feste Buchstab“. Trier 2001, S. 122–140. (Neupublikation in: Goethezeitportal: Bluhm (eingestellt am 12. Januar 2004) (PDF; 204 kB))
  • Hee-Ju Kim: Der Schein des Seins. Zur Symbolik des Schleiers in Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“. Niemeyer, Tübingen 2005, ISBN 3-484-15106-4.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Die drei Strophen des Mignon-Liedes:

    Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn,
    Im dunklen Laub die Gold-Orangen glühn,
    Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
    Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht  -
    Kennst du es wohl? Dahin! Dahin
    möcht ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn!

    Kennst du das Haus? Auf Säulen ruht sein Dach,
    Es glänzt der Saal, es schimmert das Gemach,
    Und Marmorbilder stehn und sehn mich an:
    Was hat man Dir, du armes Kind, getan? -
    Kennst Du es wohl? Dahin! Dahin
    Möcht ich mit dir, o mein Beschützer, ziehn!

    Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg?
    Das Maultier sucht im Nebel seinen Weg.
    In Höhlen wohnt der Drachen alte Brut,
    Es stürzt der Fels und über ihn die Flut -
    Kennst du ihn wohl? Dahin! Dahin
    Geht unser Weg; o Vater, lass uns ziehn!

  2. Wilhelm Meisters Lehrjahre in der IMDb
  3. Peter Gülke: Franz Schubert und seine Zeit. 3. Auflage. Laaber-Verlag, 2002, ISBN 3-89007-266-6, S. 129–137.


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