Johannes Heinrichs

Aus AnthroWiki

Johannes Heinrichs (* 17. September 1942 in Rheinhausen (Duisburg), heute Duisburg) ist ein deutscher Philosoph (Sozialphilosoph) und Semiotiker. Heinrichs ist Vertreter einer Viergliederung der Gesellschaft bzw. des demokratischen Gemeinwesens.

"Die Vierstufigkeit des sozialen Systems überhaupt wurde 1975 in reflexionstheoretischer Auseinandersetzung mit Parsons entdeckt. Die spätere Rede von "Viergliederung" (öffentlich seit 1993) meint jedoch darüber hinaus die Konkretisierung der Systemebenen durch einen viergeglierten Parlamentarismus. (Der verbale Anklang an Rudolf Steiners "Dreigliederung des sozialen Organismus" war sowohl als Verbeugung vor Steiners Intuition wie als Kritik an dem handlungs- und systemtheoretisch Unzulänglichem der "Dreigliederung" gedacht, bei weitem nicht bloß bezüglich der Unterscheidung von drei und vier Ebenen. Allerdings stellt auch die Unterscheidung der unbedingten Letztwerte von den bedingten kulturellen Werten innerhalb des "Geisteslebens einen der wesentlichen Unterschiede zu Steiners "Dreigliederung" dar.) Heute sprechen Heinrichs und seine Mitarbeiter lieber von einer viergliedrigen "Wertedemokratie", um das zentrale Problem der Werterealisierung (statt einer bloß ideologischen Wertebeschwörung) als zentrale Aufgabe einer evolutionär weiterentwickelten Demokratie hervorzuheben." (Von der Webseite Johannes Heinrichs, abgerufen am 23.07.2016)

Kritik an der sozialen Dreigliederungsidee: Sozialromantik

Wie wenig, abgesehen von der Frage der Dreigliedrigkeit oder Viergliedrigkeit, Heinrichs auf der Linie der Dreigliederungsidee denkt, zeigt das folgende Zitat aus seinem Buch: Sprung aus dem Teufelskreis. Heinrich meint am Prinzip des Egoismus im Wirtschaftsleben festhalten zu müssen und kann sich ein Wirtschaften, das von christlicher Brüderlichkeit geprägt ist, nicht vorstellen:

„Das Integrationspostulat gilt auch für die höchste, die am meisten integrierende vierte Ebene. Selbst sie wäre ohne Freilassen der anderen einseitig: ideologisch schöngeistig beziehungsweise autoritär. Die Versuchung vieler Sozialisten (was immer dieses vieldeutige Wort sagen wollte und will) sowie anderer christlicher, anthroposophischer oder sonstiger Sozialromantiker besteht in der integralistischen Tendenz[64], Ganzheit ohne die notwendige Systemdifferenzierung anzustreben.

Der dialektische Witz liegt aber darin, daß ohne das harte Eigenrecht jeder System- und Handlungsebene gerade keine Ganzheit zu erreichen ist.

Rudolf Steiner wußte davon (geschult an Kant, Fichte, Hegel) trotz seiner intuitiven, aufs Ganze dringenden Geistesart. Seine Anhänger wollen sich die "Anstrengung des Begriffs" (Hegel), die notwendige Mühe der Differenzierung, allzuoft gern ersparen und begnügen sich oft mit dem im Grunde integralistischen Jargon der heilen Welt. Herrmannstorfers Polemik gegen Eigennutz als Egoismus gehört dieser sozialromantischen Tendenz an.

Sein Plädoyer für wirtschaftliche "Assoziationen" wäre zwar im Sinne der Ablösung der jetzigen Aktiengesellschaften und anderer kapitalistischer Unternehmensformen durch neue Formen genossenschaftlicher Selbstverwaltung sehr begrüßenswert, keineswegs jedoch im Sinne integralistischer Weltanschauungs-Bruderschaften anthroposophischer oder anderer Prägung:

"Die Erweiterung des Bewußtseins über den ganzen sozialen Organismus durch das Organ der Assoziation bildet die Grundlage eines Wirtschaftens aus Interesse am Heil einer Gesamtheit von Menschen. Die Erweiterung des Bewußtseins auf die geistige Mission einer Gemeinschaft gliedert diese der Menschheit ein. Dieses Bruderschaftsbewußtsein ist der Wurzelgrund der Gleichheit."[65]

Nicht daß solche Bruderschaften als Formen wirtschaftlicher Assoziationen ausgeschlossen werden sollten, so wenig wie einst und heute noch klösterliche Gemeinschaften. Doch die allgemeine Realisierung von Freiheit - Gleichheit - Brüderlichkeit in der Art, wie sie hier anklingt, würde die Französische Revolution mit allen anfänglichen demokratischen Differenzierungen der sozialen Systemebenen rückgängig machen und in ein anthroposophisch geprägtes Mittelater zurückführen. Die Unterscheidung zwischen primärer Vergemeinschaftung und sekundärer Vergesellschaftung rückgängig machen zu wollen, ist integralistische Sozialromantik.

Hier wird noch einmal sichtbar, daß Steiners Dreigliederung von seinen Schülern nicht im Sinne konkreter Systemdifferenzierung verstanden wird - und daß es zu einer solchen institutionellen Konkretisierung - als Viergliederung freilich - keine vernünftige Alternative gibt. Wirtschaftliche Assoziationen neuer Art werden entstehen müssen, - doch nicht tonangebend solche, die zugleich Lebensgemeinschaften, Kulturgemeinschaften und Weltanschauungsgemeinschaften sind.

Menschen, die den Eigennutz zugunsten des Gemeinnutzes diskreditieren, haben, ihnen selbst bewußt oder unbewußt, meist Integralismus (dem Fundamentalismus verwandt) im Sinn, nicht aber Integration, das heißt Ganzheit.

(...)

Wie unrealistisch es ist, unmittelbar mit dem Prinzip Brüderlichkeit die Wirtschaft regeln zu wollen, dürfte die Geschichte von zweitausend Jahren christlicher Liebespredigt und hundertfünfzig Jahren "Sozialismus" hinreichend bewiesen haben. Nicht die Wirtschaft allein kann brüderlich, besser geschwisterlich sein, sondern nur die Gesellschaft als ganze - von daher dann auch das an sich eigennutz- und leistungsbezogene Wirtschaftsleben! Solch realistische, umfassende Humanität (durch Regelung der Machtfragen) würde einschlußweise zu einer humanen Wirtschaft führen, nicht aber der kurzschlüssige Appell an "Brüderlichkeit" im Wirtschaften, wo es zunächst einmal um legitimen Eigennutz, Leistung und deren gerechte Vergütung geht und gehen muß.“ (Lit.: Heinrichs: Sprung aus dem Teufelskreis, S. 146ff)

[64] Gewöhnlich begegnen die Ausdrücke "Integralismus" und "integralistisch" fast nur im kirchlichen Zusammenhang. Integralismus kann nach Obigem definiert werden als der Versuch, Integration oder Ganzheit (einer Gemeinschaft bzw. eines Individuums) ohne die notwendige Differenzierung der Ebenen zu erreichen.
[65] Herrmannstorfer a.a.O. 44. [Dies ist ein Zitat aus Herrmannstorfers Aufsatz über das Soziale Hauptgesetz (Das Soziale Hauptgesetz. Der Altruismus als soziale Gestaltungskraft, 2008?, PDF)]

Zwar vermeidet es Heinrichs, Steiner selbst Sozialromantik vorzuwerfen, ihr sollen seine Schüler wie Herrmannstorfer erlegen sein. Die richtige Interpretation des sozialen Hauptgesetzes ist freilich umstritten, aber nach Steiner hat man zum Heil der Gesellschaft bzw. der zusammenlebenden Individuen, sich dem Ideal anzunähern, und das ist ein praktischer Altruismus, der durch die Einrichtung entsprechender Institutionen, eben solche wie sie sich aus der Dreigliederungsidee ergeben, gestützt, gewissermaßen nahegelegt werden soll. Gerade durch die Einrichtung, die Ordnung soll dem Individuum ein praktischer Altruismus nahegelegt sein, wie es durch die Arbeitsteilung auch schon ansatzweise der Fall ist. Statt des eigennützigen Erwerbstriebes muß es freilich eine andere starke Motivation, für andere etwas zu leisten, geben. Es besteht dabei das Problem, daß es für das assoziative Wirtschaften keine Bewährung gibt (außer im kleinen), da es bisher noch nicht im größeren Maße praktiziert werden konnte. Der Kapitalismus mit seinem Motor des Eigeninteresses hat sich freilich in gewissen Hinsichten bewährt (in anderen Hinsichten nicht, und wegen dieser Hinsichten muß das Egoismusprinzip im Wirtschaften überwunden werden) - und Heinrichs will offenbar am Kapitalismus festhalten, bzw. sieht keine Alternative. Da verwundert es aber doch, daß er meint, Steiners Dreigliederung besser verstanden zu haben als Schüler wie Herrmannstorfer, denn die Dreigliederung soll ja eine Alternative zum Kapitalismus sein (diesen als das Gesamtsystem, in dem das kapitalistische Wirtschaften Politik und Geistesleben dominiert und korrumpiert, verstanden[1]).

Nachweise, Anmerkungen

  1. Auf die spitzfindige Unterscheidung von Egoismus und Eigennutz, die Heinrich vornimmt (er verweist diesbezüglich auf Silvio Gesell), einzugehen erübrigt sich, wenn die Folgen eines Verhaltensprinzips ins Auge gefaßt werden, (und um dieses Verhaltensprinzip geht es, egal wie man es nennt): Kapitalismus ist nichts anderes als praktizierter Eigennutz in Verbindung mit Rationalität. Gegenüber diesem Faktum macht es keinen Sinn, Überlegungen anzustellen, inwiefern ein Eigennutz "berechtigt" sein könne. Weiter führt die Feststellung, daß der moralische Egoismus viel weniger verbreitet ist, als man glaubt. Schließlich stellt sich der beklagte Egoismus im Wirtschaftshandeln schon auf der untersten Ebene meist als Familienaltruismus dar. Man sorgt für die eigenen Kinder - ist das Eigennutz? Das problematische ist vielmehr der systemimmanente Zwang zum eigennützigen Verhalten als Teilnehmer am Wirtschaftsleben. Dieser resultiert aus der rechenhaften Rationalität des Systems Wirtschaft, und kann auch mit dem Wort "Geld" bezeichnet werden. Nicht ohne Grund erfährt in der sozialen Dreigliederungsidee die Frage nach der Geldordnung besondere Aufmerksamkeit. Auch Silvio Gesell setzt an dieser Quelle des Übels an, wenn auch aus Sicht der sozialen Dreigliederung auf eine unzureichende Weise. (vgl. zum Egoismuszwang auch Urzelle des Wirtschaftslebens#Urzelle und Profitwirtschaft.)

Siehe auch

Johannes Heinrichs (Philosoph) - Artikel in der deutschen Wikipedia

Werke (Auswahl)

  • Wege aus einer kranken Gesellschaft - Sozialpsychologische Überlegungen im Anschluß an Erich Fromm, in: Zeitschrift für Sozialökonomie Heft 131 (2001), S. 49-62, PDF
  • Sprung aus dem Teufelskreis, Steno-Verlag, 2005 (aktual. Neuauflage, der 1. Aufl. 1997), Nachwort von Rudolf Bahro, ISBN 954-449-200-3, VOLLTEXT

Literatur

  • Christoph Strawe: Dreigliederung und Viergliederung. Eine Antwort auf Johannes Heinrichs, 2002, PDF
  • Michael Opielka: Der Ort der Werte in der Gesellschaft. Zu einer anthroposophischen Erweiterung der Soziologie, in: Jahrbuch für anthroposophische Kritik, 2004, S. 7-31, PDF
  • Holger Niederhausen: Revolution der Demokratie – durch Viergliederung? Das Konzept des Sozialphilosophen Johannes Heinrichs, veröffentlicht im „Goetheanum“ vom 27.8.2004 (Nr. 35), Text, mit Korrespondenz bzw. Diskussion
  • Franz-Theo Gottwald: Klarstellungen. Ein Nachwort anläßlich von M. Opielkas "Gemeinschaft in Gesellschaft", in: "Logik des Sozialen: woraus Gesellschaft ensteht" von Johannes Heinrichs, 2005, Steno-Verlag, ISBN 954-449-199-6, S. 291 - 320 google-view

Weblinks