Feuerprobe

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Simeon Solomon: Schadrach, Meschach und Abed-Nego (1863)

Die Feuerprobe ist die erste Probe, die der Geistesschüler auf dem geistigen Schulungsweg bestehen muss. Das geistige Feuer "verbrennt" nun den Schleier der sinnlichen Welt und die geistigen Urbilder der äußeren Welt leuchten für den imaginativen Blick auf. Das ist eben nur möglich, wenn zuvor durch die Katharsis auch die letzten Reste der sinnlichen Begierden abgestreift wurden – denn eben diese weben den Sinnesschleier.

"Die erste «Probe» besteht darinnen, daß er eine wahrere Anschauung erlangt von den leiblichen Eigenschaften der leblosen Körper, dann der Pflanzen, der Tiere und des Menschen, als sie der Durchschnittsmensch besitzt. Damit ist aber nicht das gemeint, was man heute wissenschaftliche Erkenntnis nennt. Denn nicht um Wissenschaft, sondern um Anschauung handelt es sich. - In der Regel ist der Vorgang so, daß der Einzuweihende erkennen lernt, wie sich die Naturdinge und Lebewesen für das geistige Ohr und geistige Auge kundgeben. In einer gewissen Weise stehen diese Dinge dann unverhüllt - nackt - vor dem Beschauer. Dem sinnlichen Auge und dem sinnlichen Ohre verbergen sich die Eigenschaften, die man da hört und sieht. Sie sind für dieses sinnliche Anschauen wie mit einem Schleier verhüllt. Daß dieser Schleier für den Einzuweihenden wegfällt, beruht auf einem Vorgang, den man als «geistigen Verbrennungsprozeß» bezeichnet. Deshalb wird diese erste Probe die «Feuerprobe» genannt.

Für manche Menschen ist das gewöhnliche Leben selbst schon ein mehr oder weniger unbewußter Einweihungsprozeß durch die Feuerprobe. Es sind das diejenigen, welche durch reiche Erfahrungen von solcher Art durchgehen, daß ihr Selbstvertrauen, ihr Mut und ihre Standhaftigkeit in gesunder Weise groß werden und daß sie Leid, Enttäuschung, Mißlingen von Unternehmungen mit Seelengröße und namentlich mit Ruhe und in ungebrochener Kraft ertragen lernen. Wer Erfahrungen in dieser Art durchgemacht hat, der ist oft schon, ohne daß er es deutlich weiß, ein Eingeweihter; und es bedarf dann nur eines wenigen, um ihm geistige Ohren und Augen zu öffnen, so daß er ein Hellsehender wird. Denn das ist festzuhalten: es handelt sich bei einer wahren «Feuerprobe» nicht darum, daß die Neugierde des Kandidaten befriedigt werde. Gewiß, er lernt außergewöhnliche Tatsachen kennen, von denen andere Menschen keine Ahnung haben. Aber dieses Kennenlernen ist nicht das Ziel, sondern nur das Mittel zum Ziel. Das Ziel aber ist, daß sich der Kandidat durch die Erkenntnis der höheren Welten größeres und wahreres Selbstvertrauen, höheren Mut und eine ganz andere Seelengröße und Ausdauer erwerbe, als sie in der Regel innerhalb der niederen Welt erlangt werden können.

Nach der «Feuerprobe» kann jeder Kandidat noch umkehren. Er wird gestärkt in physischer und seelischer Beziehung dann sein Leben fortsetzen und wohl erst in einer nächsten Verkörperung die Einweihung fortsetzen. In seiner gegenwärtigen aber wird er ein brauchbareres Glied der menschlichen Gesellschaft sein, als er vorher war. In welcher Lage er sich auch befinden mag: seine Festigkeit, seine Umsicht, sein günstiger Einfluß auf seine Mitmenschen, seine Entschlossenheit werden zugenommen haben." (Lit.: GA 10, S. 76ff)

Nach bestandener Feuerprobe muss der Geistesschüler das Lesen der Okkulte Schrift erlernen. Er steigt dadurch zur Erkenntnisstufe der Inspiration auf und lernt dadurch das geistig Geschaute zu verstehen. Er wird dadurch reif, sich der nachfolgenden Wasserprobe zu stellen.

Die Jünglinge im Feuerofen (Dan 3,1-97 LUT), Wandmalerei in den Priscilla-Katakomben, Rom (2. Jh.)

Eine alttestamentarische Schilderung der Feuerprobe ist die Geschichte der Jünglinge im Feuerofen im Buch Daniel 3,1-97 LUT. Der König neubabylonische Nebukadnezar (* um 640 v. Chr.; † 562 v. Chr.) ließ ein goldenes Standbild errichten, das alle Amtsträger seines Reiches anbeten sollten. Nachdem auf Befehl des Königs eine Musik zu spielen begonnen hatte, sollten sich alle vor dem Götzenbild niederwerfen. Doch Daniels Gefährten Hananja, Mischaël und Asarja, denen die Babylonier die Namen Schadrach (hebr. שׁדרך „Gebot Akus“), Meschach (hebr. מישׁך „Wer ist wie Aku“) und Abed-Nego (hebr. עבד נגוא „Diener Nabus) gegeben hatten, weigerten sich, da sie JHWH treu bleiben wollten. Da ließ sie der König zur Strafe in den glühenden Feuerofen werfen. Doch die drei Jünglinge werden durch einen Engel errettet, den auch Nebukadnezar als vierte Gestalt im Feuer erkennt. Die Jünglinge singen einen Hymnus zu Gottes Lob und entsteigen unversehrt dem Feuerofen. Erschüttert durch dieses Erlebnis gebietet Nebukadnezar die Anbetung JHWHs als einzigen Gott.

Auch Dante Alighieri (1265-1321) schildert die Feuerprobe in seiner «Göttlichen Komödie». Nachdem er auf dem Läuterungsberg bis zum 7. Kreis aufgestiegen ist, wo die Wollüstigen im Feuer büßen, soll er selbst durch die Flammen schreiten, um in das irdische Paradies, den Garten Eden, zu gelangen. Außerhalb der Flammen naht ein Engel mit den Worten „Beati mundo corde“ („Selig, die reinen Herzens sind.“ Mt 5,8) und fordert die Wanderer auf, die Feuerwand zu durchschreiten. Starr vor Schauer bleibt Dante stehen. Erst als ihm Vergil erzürnt klarmacht, dass nur der Weg durch die Flammen zu Beatrice führt, tritt Dante mit Statius und Vergil ein. Die Stimme des Engels ertönt aus dem hellen Licht: „O benedicti Patris mei, venite!“ („Kommet her, ihr Gesegneten meines Vaters.“ Mt 25,34 EU).

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?, GA 10 (1993), ISBN 3-7274-0100-1; Tb 600, ISBN 978-3-7274-6001-2 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
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