Homunculus und Gerhard Kienle: Unterschied zwischen den Seiten

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[[Bild:Cabala_mineralis_04.jpg|thumb|300px|Der geflügelte [[Mercurius]] in einem Glaskolben.<br>Von den [[Alchemist]]en wurden die in der stofflichen Natur waltenden Kräfte noch [[wesen]]haft als [[astralisch]]e Erscheinung erlebt. Auch der Homunculus ist eine derart erlebte astrale Wesenheit.]]  
'''Gerhard Kienle''' (* [[Wikipedia:22. November|22. November]] [[Wikipedia:1923|1923]] in [[Wikipedia:Madrid|Madrid]]; † [[Wikipedia:2. Juni|2. Juni]] [[Wikipedia:1983|1983]] in [[Wikipedia:Herdecke|Herdecke]]) war ein deutscher [[Anthroposophische Medizin|anthroposophischer]] [[Wikipedia:Arzt|Arzt]], [[Wikipedia:Neurologe|Neurologe]], Gesundheitspolitiker und Wissenschaftstheoretiker. Er war Hauptbegründer des [[Wikipedia:Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke|Gemeinschaftskrankenhauses Herdecke]] und der [[Wikipedia:Universität Witten/Herdecke|Universität Witten/Herdecke]].  
Der '''Homunculus''' ([[Latein|lat.]] ''Menschlein'', {{ELSalt|ἀνθρωπάριον}} ''anthroparion'') ist nach vor allem im späteren [[Mittelalter]] verbreiteten [[alchemistisch]]en Vorstellungen ein künstlich in der [[Retorte]] erzeugtes Menschlein. Das Wort selbst, als verkleinerte Form des lateinischen Wortes ''homo'' ([[Mensch]]), ist schon bei [[Cicero]], [[Wikipedia:Plautus|Plautus]] und [[Apuleius]] belegt {{Lit|Handwörterbuch, ''Homunculus''}}. In [[Goethes Faust]] ist Homunkulus ein Bild für die [[mensch]]liche [[Seele]], die zur [[Verkörperung]] drängt.  


== Historische Zeugnisse ==
== Leben ==


Erste Zeugnisse über die Herstellung von Homuculi finden sich schon in frühchristlicher Zeit. So berichtet [[Wikipedia:Clemens Romanus|Clemens Romanus]] um 250 n. Chr., dass schon [[Simon Magus]] einen Menschen geschaffen hätte, indem er zuerst [[Luft]] in [[Wasser]], dann dieses in [[Blut]] und schließlich das Blut in [[Fleisch]] verwandelt habe {{Lit|Völker, Nachwort}}. Im [[Wikipedia:4. Jahrhundert|4. Jahrhundert]] schreibt [[Zosimos aus Panopolis]], eingekleidet in [[Traum]]visionen, über den ''anthroparion''. Im ersten Buch der ''De occulta Philosophia'' berichtet [[Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim]] (1486-1535), wie sich durch magische Künste aus einem einer Bruthenne unterlegten Ei eine menschliche Gestalt erzeugen ließe, die man den wahren «[[Wikipedia:Alraune (Kulturgeschichte)|Alraun]]» nenne {{Lit|Biedermann, S 223}}. In den späteren mittalterlichen Schriften wird der Homunculus meist als Nebenprodukt bei der Herstellung des [[Stein der Weisen|Steins der Weisen]] genannt.
Der Sohn einer Diplomatenfamilie wuchs in Madrid auf und zog 1940 nach Berlin. Von 1945 bis 1948 studierte er an der [[Wikipedia:Universität Tübingen|Universität Tübingen]] Medizin und promovierte dort. 1953 wurde er Assistent an der Nervenklinik der Universität Tübingen. In den Jahren 1963 bis 1968 war er neurologischer Oberarzt unter Prof. Duus am Krankenhaus Nordwest in Frankfurt am Main. In dieser Zeit verfasste er eine freie Habilitation über den nicht-euklidischen Sehraum des Menschen. 1968 war er an der Grundsteinlegung des [[Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke|Gemeinschaftskrankenhauses Herdecke]] beteiligt, das 1969 eingeweiht wurde.  


[[Rudolf Steiner]] hat nachdrücklich betont, dass die Erzeugung des Homunculus keineswegs als materielle Urzeugung missverstanden werden darf:
In den 1970er Jahren setzte er sich für die gesetzliche Verankerung und wirtschaftliche Erstattungsfähigkeit der [[Wikipedia:Homöopathie|homöopathischen]], [[Wikipedia:Naturheilkunde|naturheilkundlichen]] und [[Wikipedia:Anthroposophische Medizin|anthroposophischen Medizin]] im deutschen Gesundheitswesen ein. In seiner Rolle als wissenschaftlicher Gutachter des Arzneimittelausschusses des Bundestages hatte er die methodenpluralistische Fassung des [[Wikipedia:Arzneimittelgesetz (Deutschland)|Arzneimittelgesetzes von 1976]] zu verantworten.


<div style="margin-left:20px">
1982 war er maßgeblicher Mitbegründer der [[Universität Witten/Herdecke]] als erste private Universität der Bundesrepublik Deutschland.
"Wenn man im Mittelalter trachtete, in der Retorte den Homunkulus darzustellen, so war dieser Gedanke der Darstellung eines Wesens aus Ingredienzien nicht als Urzeugung gedacht. Man dachte noch nicht das Weltall als Mechanismus, als Totes. Deshalb glaubte man an die Möglichkeit, aus dem allgemeinen Lebendigen ein spezielles Lebendiges herausholen zu können. Aber an eine Zusammenfügung des Unlebendigen zum Lebendigen dachte eigentlich das mittelalterliche Gemüt noch nicht." {{Lit|{{G|221|125}}}}
</div>


In dem [[Paracelsus]] zugeschriebenen Buch ''De generatione rerum naturalum'' (als erstes Buch enthalten in ''De Natura Rerum'' [http://ftp.rudolf-steiner.org/jump.php?url=http://ftp.rudolf-steiner.org/ftp/bibliothek/Alchemie/Paracelsus_De_Natura_Rerum.pdf#page=49]) ist die Erzeugung eines künstlichen Menschleins "außerthalben weiblichs Leibs" genau beschrieben: Wird der männliche Same vierzig Tage lang in ein hermetisch abgedichtetes Gefäß eingeschlossen und im [[venter equinum]], einem gelinden Wärmebad, das aus der Gärungswärme von [[Pferdemist]] gespeist wird, "[[putrefactio|putreficiert]]", so erzeugt sich aus sich selbst heraus ein menschenähnlichen Wesen, "doch durchsichtig on ein corpus". Wird dieses mit menschlichem [[Blut]], dem "arcanum sanguinis humani", 40 Wochen lang ernährt, so entsteht "ein recht lebendig menschlich kint, das von einem weib geboren wird, doch vil kleiner. Dasselbig wir ein homunculum nennen".
In seinen Büchern kritisierte Gerhard Kienle den vorherrschenden Glauben in die Übertragbarkeit von Ergebnissen aus [[Wikipedia:Tierversuch|Tierversuch]]en mit Medikamenten auf den Menschen, indem er prinzipielle Unterschiede zwischen Mensch und Tier aufzeigte und unzulässige Argumentationen zugunsten von Tierversuchen aufzudecken suchte, wiewohl er nicht prinzipiell gegen diese Versuche war.


Hier wird schon deutlich, dass der Homunculus, von dem die [[Alchemist]]en sprachen, überhaupt nicht als [[physisch]]es (''on ein corpus''), sondern als [[astralisch]]es [[Wesen]] gedacht war :
== Werke ==


<div style="margin-left:20px">
(Auswahl)
"Denen, die während des Mittelalters von dem Homunculus sprachen, war er nichts anderes als eine bestimmte Form des astralischen Leibes." {{Lit|{{G|057|347}}}}
</div>


Dieses reine [[Seele]]nwesen verfügt nicht nur über [[Seelenfähigkeiten]], die ähnlich denen des Menschen sind, sie sind sogar bis zur [[Hellsichtigkeit]] gesteigert:
*''Die optischen Wahrnehmungsstörungen und die nicht-euklidische Struktur des Sehraums'', Stuttgart 1968
*''Arzneimittelsicherheit und Gesellschaft'', Schattauer, Stuttgart 1974
*''Christentum und Medizin. Vorträge'', Urachhaus
*''Die Zulassung von Arzneimitteln und der Widerruf von Zulassungen nach dem Arzneimittelgesetz von 1976'', mit R. Burkhardt, Stuttgart 1982
*''Der Wirksamkeitsnachweis für Arzneimittel. Analyse einer Illusion'', mit R. Burkhardt, Stuttgart 1983
*''Die ungeschriebene Philosophie Jesu'', Urachhaus


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== Literatur ==
"Da schildert Paracelsus, wie man durch gewisse Vorgänge
* [[Wikipedia:Peter Selg|Peter Selg]]: ''Gerhard Kienle - Leben und Werk''. (Band 1: ''Eine Biographie''. Band 2: ''Ausgewählte Aufsätze und Vorträge'') Verlag am Goetheanum. Dornach. 2003. ISBN 3-7235-1165-1 (Biographie)
Homunkeln erzeugen kann. Es ist selbstverständlich für den heutigen
* Peter Selg: ''Anfänge anthroposophischer Heilkunst. [[Ita Wegman]], [[Friedrich Husemann]], [[Eugen Kolisko]], [[Frederik Willem Zeylmans van Emmichoven]], [[Karl König]], Gerhard Kienle.'' (Pioniere der Anthroposophie; Band 18) Philosophisch-Anthroposophischer Verlag am Goetheanum. Dornach. 2000. ISBN 3-7235-1088-4
Menschen sehr leicht, zu sagen: Nun ja, das war halt ein mittelalterliches
Vorurteil des Paracelsus. - Es ist für den heutigen Menschen leicht, zu
sagen: Kein Mensch braucht zu glauben an dasjenige, was da Paracelsus
phantasiert. - Gewiß, es braucht es ja meinetwillen auch keiner. Aber
bedenken sollte man doch, daß Paracelsus in jener Abhandlung «De generatione
rerum» ausdrücklich versichert, durch gewisse Vorgänge wäre
man imstande, etwas zu erzeugen, was zwar keinen Körper hat - bitte,
darauf zu achten! Paracelsus sagt ausdrücklich: es hat keinen Körper -,
was aber Fähigkeiten hat, die ähnlich sind den menschlichen Seelenfähigkeiten,
nur sich bis zur Hellsichtigkeit steigern. Also Paracelsus
dachte an gewisse Hantierungen, die den Menschen dahin bringen, vor
sich ein körperloses Wesen zu haben, das aber so wie der Mensch eine
Art Verstandestätigkeit, eine Art Intellektualität, ja sogar in höherer
Steigerung entfaltet." {{Lit|{{G|273|67f}}}}
</div>
 
== Philosophie ==
 
In einem veränderten Sinn spielt der „Homunkulus“ auch in der [[Philosophie]] der [[Wahrnehmung]] und der [[Philosophie des Geistes]] eine gewisse Rolle. Im meist abwertenden Sinn spricht man von „'''Homunkulus-Theorien'''“ ({{EnS|homunculus theory}}), wenn sie explizit oder implizit davon ausgehen, dass irgendwo im Körper ein ein unsichtbares bewusstes [[Wesen]], gleichsam ein [[Geist]] in der Flasche, vorhanden sei, der die von den [[Sinne]]n ans [[Gehirn]] übermittelten Daten [[Wahrnehmung|wahrnehme]], darüber [[Denken|nachdenke]] und [[Entschluss|Entschlüsse]] treffe.
 
So wusste etwa schon [[René Descartes]] (1596-1650), dass bei der [[Visuelle Wahrnehmung|visuellen Wahrnehmung]] ähnlich wie bei einer [[Wikipedia:Camera obscura|Camera obscura]] Bilder auf der [[Netzhaut]] des [[Auge]]s erzeugt werden. Er schloss daraus, dass es einen ''inneren'' Betrachter - einen '''Geist in der Maschine''' - geben müsse, der diese Bilder wahrnimmt. Er dachte sich diesen als immateriellen [[Geist]], der über die [[Epiphyse]] mit dem [[Körper]] in Wechselwirkung stehe.
 
[[John Locke]] (1632-1704) ging davon aus, dass das menschliche [[Bewusstsein]] bei der Geburt noch eine völlig unbeschriebenes Blatt, eine leere Tafel ([[Wikipedia:tabula rasa|tabula rasa]]) sei, die erst durch die [[sinnlich]]e [[Erfahrung]] beschrieben werde. Seine berühmte Grundthese lautete: ''Nihil est in intellectu quod non (prius) fuerit in sensibus'' („Nichts ist im Verstand, was nicht vorher in den Sinnen gewesen wäre“). Die ''äußeren'' Wahrnehmungen (''sensations'') würden als ''innere'' Wahrnehmungen (''reflections'') zunächst in Form einfacher [[Idee]]n widergespiegelt und durch den [[Verstand]] zu komplexeren Ideen verbunden. Dann müsse es aber auch einen ''inneren'' Betrachter geben, der diese Ideen wahrnehme.
 
Das klassische Gegenargument gegen solche „Homunkulus-Theorien“ lautet, dass man dann erst recht wieder erklären müsse, wie der innere Betrachter, der „Homunkulus“ diese inneren Bilder und Ideen wahrnehme. Man müsste dann wohl einen weiteren Honukulus postulieren, der die Bilder und Ideen des ersteren wahrnehme - und so fort in einem [[Infiniter Regress|endlosen Regress]].
 
=== Cartesianisches Theater ===
 
Der US-amerikanischer [[Philosoph]] [[Daniel Dennett]] (* 1942) unterstellt, dass zahlreiche [[Theorie]]n der [[Philosophie des Geistes]] - meist unbewusst - einen solchen inneren Homunkulus voraussetzen. Das sei nämlich immer dann der Fall, wenn man davon ausgehe, dass alle [[Information]]en, die das [[Gehirn]] verarbeite, an einem zentralen Ort - dem „Homunkulus“ - zusammengeführt werden müssten, um ins [[Bewusstsein]] zu gelangen. Er gebraucht dafür die [[Metapher]] eines „'''Cartesianischen Theaters'''“, in dem die Informationen dem inneren Betrachter präsentiert würden. Das sei aber völlig unnötig: „''Wenn eine bestimmte Beobachtung durch einen spezialisierten Teil des Gehirns gemacht wurde, ist der Informationsgehalt gegeben und muss nicht zu einer erneuten Beobachtung zu einem zentralen Beobachter geschickt werden.''“<ref>Im englichen Original:<br>„... once a particular “observation” of some feature has been
made, by a specialized, localized portion of the brain, the
information content thus fixed does not have to be sent somewhere
else to be rediscriminated by some “master” discriminator.“<br>[[Daniel C. Dennett]]: ''Consciousness Explained.  Little, Brown, Boston 1991, ISBN 0-316-18066-1 (deutsch: Daniel C. Dennett, [[Wikipedia:Franz Wuketits|Franz Wuketits]] (Übers.):''Philosophie des menschlichen Bewusstseins'', Hoffmann und Campe 1994, ISBN 978-3455084467)</ref> Denett entwickelte entsprechend ein „Modell der verschiedenen Entwürfe“ (''multiple drafts model''), dem zufolge in verschiedenen Gehirnregionen unterschiedliche Interpretationen der Informationen gebildet würden, die miteinander konkurrieren, ohne jemals an einer zentralen Stelle miteinander verglichen zu werden. Die meisten Kritiker Dennetts sind sich darüber einig, dass es zwar keinen ''räumlich Ort'' gebe, an dem alle Informationen zusammengeführt würden, dass es aber doch einen [[Prozess]] geben müsse, der alle Information zu einer einheitlichen [[Wahrnehmung]] verbinde. Dieses sog. [[Bindungsproblem]] sei durch Dennetts ''multiple drafts'' nicht gelöst.
 
== Neurowissenschaften ==
 
Als [[Metapher]] wird der Homunculs seit den 1950er Jahren auch in den [[Neurowissenschaften]] verwendet. Bemerkenswerterweise ist nämlich auf der [[Großhirnrinde]] sowohl im [[Motorischer Cortex|motorischen Cortex]] wie auch im [[Somatosensorischer Cortex|somatosensorischen Cortex]] der ganze [[Körper]] als verkleinerter, auf dem Kopf stehender und je nach funktioneller Bedeutung in seinen Dimensionen teils stark verzerrter „Homunculus“ abgebildet. Der ''motorische Homunkulus'' liegt auf dem  [[Wikipedia:Gyrus praecentralis|Gyrus praecentralis]], der ''sensorische Homunkulus'' auf dem benachbarten [[Wikipedia:Gyrus postcentralis|Gyrus postcentralis]]. Diese Zuordnung von Körperregion zu Hirnrindenarealen wird als '''Somatotopie''' (von {{ELSalt|σῶμα}} ''soma'' „lebendiger Körper, Leichnam“ und {{polytonisch|τόπος}} ''topos'' „Ort, Stelle, Landstrich, Gegend, Örtlichkeit, Raum“) bezeichnet und wurde schon im 19. Jahrhundert von [[Wikipedia:John Hughlings Jackson|John Hughlings Jackson]] (1835–1911) postuliert.
 
<center>
<gallery widths="300px" heights="300px>
Motorischer_Cortex.png|motorischer Homunkulus
Somatosensorischer Cortex.png|sensorischer Homunkulus
</gallery>
</center>
 
== Der Homunculus in Goethes Faust-Tragödie ==
[[Bild:Faust_Homunculus.jpg|thumb|300px|Die Erzeugung des Homunculus in [[Goethe]]s [[Faust-Tragödie]].]]
[[Bild:Preformation.GIF|mini|300px|Der Homunkulus des niederländischen Wissenschaftlers [[Wikipedia:Nicolas Hartsoeker|Nicolas Hartsoeker]] (1656-1725): Der Embryo ist im Spermium bereits präformiert und bildet sich durch Ausstülpung]]
 
{{GZ|Faust steigt dann hinunter in das Reich der Mütter, in die geistige
Welt; es gelingt ihm den Geist der Helena heraufzuführen. Aber er
ist noch nicht reif, diesen Geist mit seiner eigenen Seele wirklich zu verbinden.
Daher die Szene, wo in Faust die Leidenschaft sich regt, wo
er mit sinnlicher Leidenschaft umfassen will das Urbild der Helena.
Deshalb wird er da zurückgestoßen. So ergeht es jedem, der aus persönlichen,
egoistischen Gefühlen sich der geistigen Welt nähern will.
Er wird zurückgestoßen, wie Faust zurückgestoßen wird, als er vom
Reiche der Mütter herauf den Geist der Helena geholt hat. Faust muß
erst reif werden, erkennen lernen, wie sich wirklich zusammenfinden
die drei Glieder der menschlichen Natur: der unsterbliche Geist, der
von Leben zu Leben, von Verkörperung zu Verkörperung geht; der
Leib, der zwischen Geburt und Tod sich auslebt; und die Seele, die
zwischen beiden drinnen steht. Leib, Seele und Geist, wie sie sich verbinden,
wie sie zusammengehören, das soll Faust kennenlernen. Das
Urbild der Helena, das Unsterbliche, das Ewige, das von Verkörperung
zu Verkörperung, von Leben zu Leben geht, hat Faust schon gesucht,
aber unreif. Jetzt soll er heranreifen, um würdig zu werden, wirklich
in die geistige Welt einzutreten. Dazu muß Faust kennenlernen, wie
dieses Unsterbliche erst dann herantritt an den Menschen, wenn er sich
im physischen Dasein in einem neuen Leben zwischen Geburt und Tod
wiederum verkörpern kann. Deshalb muß Goethe zeigen, wie die Seele
zwischen Geist und Körper lebt, wie sie sich hineinstellt zwischen den
unsterblichen Geist und den Leib, der zwischen Geburt und Tod steht.
Das zeigt uns Goethe im zweiten Teile des «Faust».
 
Die Seele ist bei Goethe verborgen in jenem wundersamen Gebilde,
über das die Goethe-Forscher nicht viel zu sagen wissen, in dem die
Geistesforscher, die bewandert sind, erkennen das Urbild der Seele. Das
ist nichts anderes als das wunderbare Gebilde des Homunkulus, des
kleinen Menschleins. Das ist ein Bild der menschlichen Seele. Was hat
diese Seele zu tun? Sie ist der Vermittler zwischen Leib und Geist, sie
muß die Elemente des Leibes aus allen Reichen der Natur heranziehen,
um sich mit ihnen in Verbindung zu bringen. Erst dann kann sie mit
dem unsterblichen Geiste vereinigt werden. Daher sehen wir, wie Faust
von diesem Homunkulus geführt wird in die klassische Walpurgisnacht
bis zu den Naturphilosophen Anaxagoras und Thales, die nachgedacht
haben, wie die Natur und das Lebendige entstehen.
 
Da wird jene wahre Entwicklungslehre gezeigt, die zurückgeht dazu,
daß nicht nur ein Tierisches der menschlichen Entwickelung zugrunde
liegt, sondern ein Seelisches, das die Elemente aus der Natur sammelt,
um nach und nach den Leib aufzubauen. Daher wird dem Homunkulus
der Rat gegeben: Vom untersten Reich mußt du beginnen, um zu höherem
und höherem aufzusteigen. — An das mineralische Reich wird zunächst
die Seele des Menschen verwiesen. Dann wird ihm gesagt: Du
hast durch das Pflanzenreich durchzugehen. - Ein wunderbarer Ausdruck
ist da: «Es grunelt so», um den Durchgang durch die Pflanzenwelt, das
Saftig-Grüne, zu verzeichnen. Da sammelt die Seele alle Elemente der
Naturreiche, um dann heraufzusteigen. Es wird ausdrücklich gesagt:
«Und bis zum Menschen hast du Zeit.» Dann sehen wir, wie herantritt
der Geist der Liebe, Eros, nachdem die Seele aus allen Reichen der Natur
sich den Leib herangebildet hat. Da verbindet sie sich mit dem Geiste.
Leib, Seele und Geist sind vereinigt. Hier verbindet sich das, was Seele
des Homunkulus ist, was sie sich als Leib einorganisiert, mit dem Geist
der Helena. Deshalb kann uns im dritten Akte des zweiten Teiles
Helena leibhaftig entgegentreten. Die Wiederverkörperungslehre sehen
wir künstlerisch-dichterisch in den zweiten Teil des «Faust» hineingeheimnißt.
Nicht so kann man sich verbinden mit Helena, daß man
in stürmischer Leidenschaft sie an sich heranzieht, sondern so, daß man
wirklich die Geheimnisse des Daseins durchlebt, die wirkliche Wiederverkörperung
durchlebt.|272|32f}}
 
[[Goethe]], der bekanntlich das Bild des Homunculus im zweiten Teil seiner [[Faust-Tragödie]] gebraucht, war sich sehr wohl bewusst, dass es sich dabei nicht um ein physisches, sondern um ein astrales Wesen handelt. Gleich zu Beginn der ganzen Schilderung wird schon auf den Lichtcharakter des Homunculus hingewiesen und zugleich auch auf das Geheimnis des [[Kohlenstoff]]s gedeutet, der der wahre [[Stein der Weisen]] ist:
 
<table align="center"><tr><td>
Schon hellen sich die Finsternisse;<br>
Schon in der innersten Phiole<br>
Erglüht es wie lebendige Kohle,<br>
Ja, wie der herrlichste Karfunkel,<br>
Verstrahlend Blitze durch das Dunkel:<br>
Ein helles, weißes Licht erscheint!
</td></tr></table>
 
Später wird der Homunculus als ''leuchtendes Zwerglein'' beschrieben und weiter heißt es dann:


<table align="center"><tr><td>
==Weblinks ==
Er ist, wie ich von ihm vernommen,<br>
* {{PND|124715931}}
Gar wundersam nur halb zur Welt gekommen:<br>
* [http://biographien.kulturimpuls.org/personen.php Kurzbiographie, verfasst von Peter Selg]
Ihm fehlt es nicht an geistigen Eigenschaften,<br>
* [http://www.info3.de/ycms/printartikel_1266.shtml Interview mit Kienles Mitautor und Mitarbeiter Rainer Burkhardt]
Doch gar zu sehr am Greiflich-Tüchtighaften.<br>
Bis jetzt gibt ihm das Glas allein Gewicht;<br>
Doch wär er gern zunächst verkörperlicht.
</td></tr></table>


Die Szenen der [[Klassische Walpurgisnacht|Klassischen Walpurgisnacht]] zeigen, wie das Seelenflämmchen des Homunkulus durch die Naturkräfte und [[Naturwesen]] nach und nach seine Leiblichkeit erhält:
{{DEFAULTSORT:Kienle, Gerhard}}


<div style="margin-left:20px">
[[Kategorie:Biographie]]
"Das ist die Charakteristik des astralischen Leibes; und
[[Kategorie:Mann]]
Homunculus selbst sagt von sich:
[[Kategorie:Arzt]]
 
[[Kategorie:Anthroposoph]]
<center>Die weil ich bin, muß ich auch tätig sein ...,</center>
 
ein astralisches Gebilde, das nicht stille stehn kann, das in
fortwährenden Tätigkeiten sich ausleben muß. Er muß
hingeführt werden in solche Sphären, wo er wirklich Geist
und Leib miteinander vereinigen kann.
 
Und nun sehen wir das, was Faust da durchmacht, die
Menschwerdung, dargestellt in der klassischen Walpurgisnacht.
Da werden uns vorgeführt die Summen von all den
Kräften und Wesenheiten, die hinter der physisch-sinnlichen
Welt wirken; und fortwährend werden hineinverwoben
Geister aus der physischen Welt, die ihre Seele so weit ausgebildet
haben, daß ihre Seele zusammengewachsen ist mit
der geistigen Welt, daß sie gleichzeitig auch" in der geistigen
Welt bewußt sind. Solche Gestalten sind die beiden griechischen
Philosophen Anaxagoras und Thales. Von ihnen will
dieser Homunculus sich sagen lassen, wie man entstehen
kann; wie man, wenn man geistig ist, zu einer physischen
Gestaltung vordringen kann. Und mitwirken sollen alle die
Gestalten, die uns in dieser klassischen Walpurgisnacht vorgeführt
werden, die Gestalten der Verwirklichung des
astralischen Leibes, der reif ist zum Eintritt in die Sinnlichkeit,
in die physische Welt. Wenn man das alles genau verfolgen
könnte, würde selbst im einzelnen jede Wendung
beweisend sein für das, was gemeint ist. Bei Proteus und
Nereus sucht Homunculus Kundschaft, wie er hineindringen
kann in die physische Welt. Es wird ihm gezeigt, wie
er sich die Elemente der Materie herumgliedern kann, und
wie bei ihm die geistigen Eigenschaften sind, das heißt, wie
die Seele sich nach und nach hineinbegibt in die physischsinnlichen
Elemente, durch das hindurch, was sich abgespielt
hat in den Reichen der Natur. Es wird uns gezeigt, wie die
Seele wieder zu durchlaufen hat die Zustände des mineralischen,
des pflanzlichen, des tierischen Reiches, um hinauf
sich zu gestalten zum Menschen:
 
<center>Im weiten Meere mußt du anbeginnen!</center>
 
das heißt im Mineralischen. Dann mußt du durchgehen
durch das pflanzliche Reich. Goethe erfindet sogar einen
Ausdruck dafür, den es sonst nicht gibt. Er läßt den Homunculus
sagen:
 
<center>Es grunelt so, und mir behagt der Duft!</center>
 
Es wird ihm angedeutet, wie er den Weg zu machen hat bis
dahin, wo allmählich sich um ihn herum ein physischer Leib
bildet. Zuletzt tritt der Moment der Liebe ein. [[Eros]] wird
das Ganze vollenden. Thales gibt den Rat dazu:
 
<table align="center"><tr><td><poem>
Gib nach dem löblichen Verlangen,
Von vorn die Schöpfung anzufangen!
Zu raschem Wirken sei bereit!
Da regst du dich nach ewigen Normen,
Durch tausend abertausend Formen,
Und bis zum Menschen hast du Zeit.
</poem></td></tr></table>
 
Denn wenn der Homunculus in die physische Welt eingetreten
ist, verliert er seine Eigenschaften. Das Ich wird
sein Beherrscher:
 
<table align="center"><tr><td><poem>
Nur strebe nicht nach höheren Orden:
Denn bist du erst ein Mensch geworden,
Dann ist es völlig aus mit dir.
</poem></td></tr></table>
 
So sagt Proteus; das heißt, aus mit dir, dem astralischen
Leibe, der noch nicht in das Menschenreich eingedrungen ist.
Die ganze Goethesche Naturanschauung von der Verwandtschaft
aller Wesen, von ihrer metamorphosischen
Entwickelung aus dem Unvollkommenen zum Vollkommenen,
tritt hier im Bilde auf. Der Geist kann in der Welt
zunächst nur keimartig sein. Er muß sich in die Materie, in
die Elemente ausgießen, in sie untertauchen, um aus ihnen
erst höhere Gestalt anzunehmen. Homunculus zerschellt
am Muschelwagen der Galatee. Er löst sich in die Elemente
auf. Der Moment wird in wunderbarer Weise dargestellt,
wo wirklich der astralische Leib sich umgliedert hat mit
einem Leibe aus physischer Materie und nun als Mensch
leben kann.
 
Das sind Erlebnisse, die Faust durchmacht, während er
in einem andern Bewußtseinszustand, in einem dem Leibe
entrückten Zustand ist. Reif wird er nach und nach, die
Geheimnisse zu schauen, die hinter dem physisch-sinnlichen
Dasein liegen. Und jetzt kann er schauen, wie das, was in
dem Reiche des «längst nicht mehr Vorhandenen» ist, der
Geist der Helena, verkörpert vor ihm auftritt. Wir haben
den dritten Akt des zweiten Teils des «Faust», die [[Wiederverkörperung]]
der Helena. Goethe stellt geheimnisvoll, wie
er es damals mußte, die Idee der Wiederverkörperung hin:
wie aus den drei Reichen sich zusammenschließen Geist,
Seele und Leib, um einen Menschen zu bilden, und vor uns
steht die wiederverkörperte Helena." {{Lit|{{G|057|347ff}}}}
</div>
 
== Der Homunculus und das [[Phantom]] des [[Antimon]]s ==
 
<div style="margin-left:20px">
"Wenn die alten Ärzte sprachen von der Erzeugung des Homunkulus, so
ist das im Grunde genommen so, daß sie in ihrem noch vorhandenen Hellsehen so
etwas schauen konnten, wie es das «Phantom» des Antimons ist. Da erschien ihnen
in dem Bildeprozeß, den sie äußerlich in ihrem Laboratorium vollführten, während
das Antimon seine Kräfte entfaltete, hineinprojiziert aus ihrem eigenen Wesen dasjenige,
was diese Antimonkräfte als albuminisierende Kräfte bekämpft. Dasjenige,
was sonst zurückbleibt im menschlichen Organismus, das projizierten sie hinaus,
und da sahen sie den Homunkulus, der da erschien, während sich der Prozeß abspielte,
in welchem das Antimon seine verschiedenen Formen annimmt." {{Lit|{{G|312|362f}}}}
</div>
 
== Literatur ==
* Hans Biedermann: ''Lexikon der magischen Künste'', VMA-Verlag, Wiesbaden 1998, ISBN 3-928127-59-4
*Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Walter de Gruyter, 1932
*Klaus Völker (Hg.): ''Künstliche Menschen'', Suhrkamp, Phantastische Bibliothek, Frankfurt 1994, ISBN 3-518-38793-6
*Rudolf Steiner: ''Wo und wie findet man den Geist?'', [[GA 57]] (1984)
*Rudolf Steiner: ''Erdenwissen und Himmelserkenntnis'', [[GA 221]] (1998)
*Rudolf Steiner: ''Geisteswissenschaftliche Erläuterungen zu Goethes «Faust»'', Band II: Das Faust-Problem, [[GA 273]] (1981)
*Rudolf Steiner: ''Geisteswissenschaft und Medizin'', [[GA 312]] (1999)
*Rudolf Steiner: ''Gegenwärtiges und Vergangenes im Menschengeiste'', [[GA 167]] (1962), ISBN 3-7274-1670-X {{Vorträge|167}}, 12. Vortrag: Homo oeconomus, ''([[Robert Hamerling|Hamerling]]s Homunkulus als [[homo oeconomus]])''
*Rudolf Steiner: ''Geisteswissenschaftliche Erläuterungen zu Goethes «Faust»'', Band I: Faust, der strebende Mensch , [[GA 272]] (1981), ISBN 3-7274-2720-5 {{Vorträge|272}}


{{GA}}
{{Personendaten|
NAME=Kienle, Gerhard
|ALTERNATIVNAMEN=
|KURZBESCHREIBUNG= deutscher anthroposophischer Arzt, Universitätsgründer, Wissenschaftstheoretiker
|GEBURTSDATUM=22. November 1923
|GEBURTSORT=[[Wikipedia:Madrid|Madrid]]
|STERBEDATUM=2. Juni 1983
|STERBEORT=[[Wikipedia:Herdecke|Herdecke]]
}}


== Weblins ==
# [http://ftp.rudolf-steiner.org/jump.php?url=http://ftp.rudolf-steiner.org/ftp/bibliothek/Alchemie/Paracelsus_De_Natura_Rerum.pdf#page=49 Paracelsus: ''De Natura Rerum''] - deutsch


[[Kategorie:Alchemie]]
{{Wikipedia}}

Version vom 27. Juni 2014, 13:43 Uhr

Gerhard Kienle (* 22. November 1923 in Madrid; † 2. Juni 1983 in Herdecke) war ein deutscher anthroposophischer Arzt, Neurologe, Gesundheitspolitiker und Wissenschaftstheoretiker. Er war Hauptbegründer des Gemeinschaftskrankenhauses Herdecke und der Universität Witten/Herdecke.

Leben

Der Sohn einer Diplomatenfamilie wuchs in Madrid auf und zog 1940 nach Berlin. Von 1945 bis 1948 studierte er an der Universität Tübingen Medizin und promovierte dort. 1953 wurde er Assistent an der Nervenklinik der Universität Tübingen. In den Jahren 1963 bis 1968 war er neurologischer Oberarzt unter Prof. Duus am Krankenhaus Nordwest in Frankfurt am Main. In dieser Zeit verfasste er eine freie Habilitation über den nicht-euklidischen Sehraum des Menschen. 1968 war er an der Grundsteinlegung des Gemeinschaftskrankenhauses Herdecke beteiligt, das 1969 eingeweiht wurde.

In den 1970er Jahren setzte er sich für die gesetzliche Verankerung und wirtschaftliche Erstattungsfähigkeit der homöopathischen, naturheilkundlichen und anthroposophischen Medizin im deutschen Gesundheitswesen ein. In seiner Rolle als wissenschaftlicher Gutachter des Arzneimittelausschusses des Bundestages hatte er die methodenpluralistische Fassung des Arzneimittelgesetzes von 1976 zu verantworten.

1982 war er maßgeblicher Mitbegründer der Universität Witten/Herdecke als erste private Universität der Bundesrepublik Deutschland.

In seinen Büchern kritisierte Gerhard Kienle den vorherrschenden Glauben in die Übertragbarkeit von Ergebnissen aus Tierversuchen mit Medikamenten auf den Menschen, indem er prinzipielle Unterschiede zwischen Mensch und Tier aufzeigte und unzulässige Argumentationen zugunsten von Tierversuchen aufzudecken suchte, wiewohl er nicht prinzipiell gegen diese Versuche war.

Werke

(Auswahl)

  • Die optischen Wahrnehmungsstörungen und die nicht-euklidische Struktur des Sehraums, Stuttgart 1968
  • Arzneimittelsicherheit und Gesellschaft, Schattauer, Stuttgart 1974
  • Christentum und Medizin. Vorträge, Urachhaus
  • Die Zulassung von Arzneimitteln und der Widerruf von Zulassungen nach dem Arzneimittelgesetz von 1976, mit R. Burkhardt, Stuttgart 1982
  • Der Wirksamkeitsnachweis für Arzneimittel. Analyse einer Illusion, mit R. Burkhardt, Stuttgart 1983
  • Die ungeschriebene Philosophie Jesu, Urachhaus

Literatur

Weblinks


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