Gottessohn und Alfred Schütz: Unterschied zwischen den Seiten

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Mit den Begriffen '''Gottessohn''' und '''Menschensohn''' sind zwei [[Mensch]]en bezeichnet, die wir alle in uns tragen. Etwa während der ersten drei Lebensjahren, wenn das [[Ichbewusstsein]] noch nicht erwacht ist, lebt der [[Mensch]] noch als reiner Gottessohn; erst danach, wenn sein [[Ich]] allmählich zum [[Bewusstsein]] seiner selbst erwacht, wird er zum Menschensohn. In den [[christlich]]en [[Konfession]]en wird die Bezeichnung '''Sohn Gottes''' exklusiv auf die [[Menschwerdung Gottes]] in dem [[Jesus Christus]] bezogen.
'''Alfred Schütz''' (* [[13. April]] [[1899]] in [[Wien]]; † [[20. Mai]] [[1959]] in [[New York City]]) war ein aus [[Österreich]] stammender Jurist, [[Philosoph]] und [[Soziologe]], der als Begründer der [[Phänomenologische Soziologie|phänomenologischen Soziologie]] gilt und sich – ausgehend von [[Edmund Husserl]], [[Henri Bergson]] und [[Max Weber]] – der Frage der [[Intersubjektivität]] widmete.  


{{GZ|Wenn wir zurückgehen in ältere Zeiten - die äußere Geschichte zeigt nur noch Spuren davon, man muß da schon geisteswissenschaftlich durch die Methoden, die wir ja kennengelernt haben, in die Sache eindringen, um das einzusehen -, wenn wir zurückgehen zu dem Menschen der vorgriechischen Zeit, etwa zur ägyptischen Kultur, zur babylonisch-chaldäischen Kultur oder gar zur urpersischen Kultur, finden wir überall, daß beim Menschen die Empfindung vorliegt, er sei aus einem vorgeburtlichen, aus einem vorirdischen Leben auf die Erde heruntergestiegen. Und was Götter in ihn verpflanzt hatten im vorirdischen Leben, das trägt er noch als eine Nachwirkung in sich.
== Biographischer Hintergrund ==
Alfred Schütz war als Rechtsberater für Reitler & Co. in [[Wien]], [[Paris]] und später [[New York City|New York]] tätig und widmete sich der phänomenologischen [[Soziologie]] anfangs nur in seiner Freizeit. Schütz hatte [[Rechtswissenschaft]]en, [[Ökonomie]] und [[Philosophie]] studiert und sein Denken war u. a. von der „[[Österreichische Schule|Österreichischen Schule]] der Nationalökonomie“ geprägt, die Ende des 19. Jahrhunderts von [[Carl Menger]] gegründet worden war. Die Menger-Schüler [[Friedrich von Wieser]] und [[Ludwig von Mises]] waren Lehrer Schütz’ in Wien, ebenso wie der Rechtsphilosoph [[Hans Kelsen]] und der dem [[Wiener Kreis]] nahestehende [[Felix Kaufmann]]. Auch seine Freunde [[Fritz Machlup]] und Erich Vögelin (in den USA: [[Eric Voegelin]]) übten intellektuellen Einfluss auf Schütz aus, letzterer regte ihn zu der Lektüre von [[Henri Bergson]], einem bedeutenden Vertreter der [[Lebensphilosophie]] des 19. Jahrhunderts, und von [[Edmund Husserl]], dem Begründer der [[Phänomenologie]], an. 1932 erschien Schütz’ erste und zu Lebzeiten einzige Monographie ''Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt. Eine Einleitung in die verstehende Soziologie'' (1932), die die Sozialwissenschaften nachhaltig beeinflusst hat. In den Jahren 1938–1939 emigrierte Schütz über [[Frankreich]] in die [[USA]]. Durch die Freundschaft mit [[Aron Gurwitsch]], einem aus [[Litauen]] stammenden Philosophen, den Schütz in [[Paris]] kennenlernte, intensivierte sich seine Beschäftigung mit Husserls Phänomenologie.


Der Mensch fühlte sich damals eigentlich so auf der Erde, daß er sich sagte: Hier auf der Erde stehe ich. Bevor ich auf der Erde stand, war ich in einer geistig-seelischen Welt, bildhaft gesprochen in einer Lichtwelt. In meinem Innern leuchtet geheimnisvoll noch jenes Licht fort. Ich bin gewissermaßen als Mensch die Umhüllung des göttlichen Lichtes, das noch in mir fortlebt. - Und so war sich der Mensch bewußt, daß ein Göttliches mit ihm selber auf die Erde heruntergestiegen war. Er sagte eigentlich nicht — das ist selbst philosophisch nachzuweisen —: Ich stehe hier auf der Erde, sondern er sagte eigentlich: Ich Mensch umhülle den Gott, der sich auf die Erde gestellt hat. - Das war eigentlich sein Bewußtsein. Und je weiter wir zurückgehen in der Menschheitsentwickelung, desto mehr finden wir dieses Bewußtsein: Ich Mensch auf der Erde umhülle den Gott, der herabgestiegen ist. - Denn das Göttliche war ein Vielfältiges. Und man möchte sagen: Die letzten Götter in der Götterhierarchie, die bis zur Erde herabreichten, waren für das alte Bewußtsein die Menschen selbst [...]
Der Begriff [[Phänomenologie]] wurde von [[Edmund Husserl]] geprägt und beschreibt jene Dinge, die uns als Phänomene gegeben sind („Ich bin, alles Nicht-Ich ist bloß Phänomen“). Husserl hatte den Versuch unternommen, neuropsychologische Erkenntnisse auszuschließen, da der Sinn seiner Meinung nach auf einer Ebene liegt, die nicht zugänglich ist. Damit der wahre Wesensgehalt einer Sache erkannt werden könne, müssten wir eine (phänomenologische) Reduktion vornehmen, die uns einen neutralen Blick auf die Dinge des Lebens erlaube (siehe dazu auch „[[Lebenswelt]]“). Auch war für Husserl das Denken selbst nicht existent, da wir stets nur von etwas „denken“ könnten. Schütz knüpfte an die Phänomenologie Husserls und dessen Vorstellung der Lebenswelt als intersubjektiv sinnvoller Welt an. Vor diesem Hintergrund fragte er nach den Prozessen der sozialen Konstitution von Sinn. In ''Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt'' versuchte Schütz die „Verstehende Soziologie“ [[Max Weber]]s phänomenologisch zu fundieren. Ausgehend von Husserls Philosophie der Lebenswelt konzipierte Schütz eine Soziologie des Alltags.  


Daraus aber entwickelte sich dasjenige Bewußtsein, welches im Menschen gegenüber dem göttlichen Vater, dem Vatergotte, vorhanden war. Der Mensch selber fühlte sich als eine Art Göttersohn. Nicht das am Menschen fühlte er so, was in Fleisch und Blut dastand, aber dasjenige, was Fleisch und Blut umhüllte, was ja nach der Anschauung verschiedener Menschen der alten Zeit allerdings sich nicht würdig machte, den Gott zu umhüllen. Nicht diesen Menschen in Fleisch und Blut betrachtete er als ein Göttliches, aber dasjenige, was hereinragte aus einer geistigen Welt in diesen physisch-irdischen Menschen, in den Menschen aus Fleisch und Blut.|221|127f}}
Im amerikanischen Exil fand Schütz nur schwer Anschluss an die wissenschaftliche Gemeinschaft, die zu dieser Zeit von [[Talcott Parsons]] und dessen [[Strukturfunktionalismus]] dominiert war. Der Austausch zwischen Schütz und Parsons, den ihr Briefwechsel dokumentiert, scheiterte schließlich. Schütz fand auf andere Weise Zugang zur amerikanischen Sozialwissenschaft; einerseits wurde er Vorstandsmitglied der ''International Society of Phenomenology'' und 1941 Mitherausgeber der von [[Marvin Farber]] gegründeten Zeitschrift ''Philosophy and Phenomenological Research'', andererseits begann er 1943 an der ''[[New School for Social Research]]'' in New York zu lehren. Diese außergewöhnliche Hochschule hatte sich zum Ziel gesetzt, europäisch-stämmige, in die USA emigrierte Sozialwissenschaftler zu unterstützen. 1952 wurde Schütz zum ''Full Professor'' an der ''New School'' berufen. Er starb sieben Jahre später, 1959. Sein geplantes und bereits begonnenes Hauptwerk ''Strukturen der Lebenswelt'' wurde posthum von seinem Schüler [[Thomas Luckmann]] vollendet. Ebenso erschien ein Großteil seiner Artikel erst posthum, gesammelt in ''Collected Papers I-III'' (1962, 1964, 1966), (deutsch: ''Gesammelte Schriften I-III'', 1971).  


{{GZ|Es ist keineswegs dasselbe Verhältnis zwischen Ätherleib und Astralleib und Ich für die erste Kindheit und für das spätere Alter des Menschen. Auch beim Menschen selber, bei der einzelnen menschlichen Entwickelung müssen wir darauf Rücksicht nehmen, daß das Verhältnis sich ändert. Wir haben namentlich als eine sehr wichtige Zeit im Verlauf des menschlichen Einzellebens jene Zeit, welche die drei ersten Lebensjahre ungefähr umfaßt. Im Grunde ist jeder Mensch da ein ganz anderes Wesen als später. Wir wissen, daß diese drei ersten Jahre und die spätere Zeit scharf voneinander abgegrenzt sind durch zwei Tatsachen. Die eine ist diese, daß der Mensch erst nach Verlauf dieser Zeit lernt, das Ich zu erfassen, zu sich Ich zu sagen, seine Ichheit zu verstehen. Das andere ist, daß der Mensch, wenn er sich später zurückerinnert, sich nur bis an diesen Zeitpunkt höchstens zurückerinnert, der diesen Zeitraum von dem späteren Leben trennt. Kein Mensch weiß im normalen Zustand irgend etwas, was diesem Zeitpunkt vorangeht. Der Mensch ist da ein ganz anderes Wesen in einer gewissen Beziehung. Und wenn auch wiederum heutige Psychologen die unglaublichsten Kindereien sagen, müssen wir dennoch an dieser Erkenntnis festhalten, daß in der Tat der Mensch zu einem Bewußtsein seiner Ichheit erst nach Verlauf dieser Zeit kommt. Es gibt heute schon sogar Psychologien, in denen man lesen kann, der Mensch lernte zuerst denken und dann sprechen. Nun, solches Blech, wie es heute geschrieben wird in populären psychologischen Schriften, ist nur möglich in einem Zeitalter, in dem diejenigen Menschen, die heute an den offiziellen Stellen Psychologie treiben, als ernsthafte Wissenschafter angesehen werden. Diese Tatsache gehört zu den wichtigsten, daß wir die Scheidung dieser ersten Lebensjahre von den späteren ins Auge fassen und sozusagen die ersten Lebensjahre hindurch den Menschen als ein ganz anderes Wesen ansehen als später. Später erst tritt das Ich des Menschen, dasjenige, woran alles gebunden ist, auf. Aber kein Mensch sollte behaupten, daß dieses Ich vorher untätig war. Es war natürlich nicht untätig. Es wird nicht erst geboren im dritten Jahre; es war da, es hatte nur eine andere Aufgabe als in die Tätigkeit des Bewußtseins einzugreifen.
Im Folgenden soll die theoretische Position dargestellt werden, die Schütz in ''Der sinnhaften Aufbau der sozialen Welt'' (1932), in ''Reflections on the Problem of Relevance'' (1970) (deutsch: ''Das Problem der Relevanz'' 1971) und in den Aufsätzen entwickelt hat, die sich in den ''Collected Papers I-III'' (1962, 1964, 1966) bzw. ''Gesammelten Aufsätzen I-III'' (1971) finden.


Was hatte es für eine Aufgabe? Es ist der wichtigste spirituelle Faktor bei der Bildung der drei Hüllen des Kindes, des Astralleibes, Ätherleibes und physischen Leibes. Die physische Hülle des Gehirns wird fortwährend umgebildet. Da haben wir fortwährend das Ich an der Arbeit. Es kann nicht bewußt werden, weil es eine ganz andere Aufgabe hat: es muß erst das Werkzeug des Bewußtseins formen. Dasselbe, was uns später bewußt wird, arbeitet erst an unserem physischen Gehirn in den ersten Lebensjahren. Es ist sozusagen nur eine Änderung der Aufgabe des Ich. Erst arbeitet es an uns, dann in uns. Es ist wirklich ein Plastiker zuerst, dieses Ich, und es ist unsagbar, was dieses Ich an der Formung selbst dieses physischen Gehirns leistet. Ein gewaltiger Künstler ist dieses Ich. Aber wer gibt ihm die Kraft? Diese Kraft hat es aus dem Grunde, weil in das Ich in den ersten drei Lebensjahren die Kräfte der nächsthöheren Hierarchie, der Engel einströmen. In der Tat arbeitet - das ist kein Bild, das ist kein Gleichnis, sondern tatsächlich eine Wahrheit - im Menschen durch das Ich des Menschen Engel, das heißt eine Wesenheit der nächsthöheren Hierarchie. Diese Wesenheit arbeitet in dem Ich und durch das Ich an dem Menschen, ihn plastisch ausgestaltend. Es ist, wie wenn der Mensch den ganzen Strom des spirituellen Lebens hätte, als ob er zu den höheren Hierarchien hinaufflösse und da die Kräfte der höheren Hierarchien auf ihn hereinströmten. Und in dem Augenblick, wo er lernt Ich zu sagen, ist es so, als ob etwas von der Kraft abgetrennt würde, wie wenn er dazu berufen würde, etwas zu tun von dem, was der Engel vorher tat.
== Die phänomenologische Begründung der Soziologie ==
In seiner Bemühung, eine philosophische Grundlegung der [[Sozialwissenschaften]] und dabei insbesondere der [[Soziologie]] zu erarbeiten, folgt Alfred Schütz dem Vorhaben [[Max Weber]]s, Soziologie als strenge Wissenschaft auf handlungstheoretischer Basis zu begründen. Schütz kritisiert dabei an Weber, dass dieser zwar die Werkzeuge zum Verstehen des sozialen Sinns von Handlungen geschaffen hat, eine philosophische Begründung des Sinnverstehens aber unterlässt. Für Weber besteht [[soziales Handeln]] in der Verknüpfung von Verhalten und subjektivem Sinn. In seiner „Verstehenden Soziologie“ geht es vor allem darum, zu klären, wie ein wissenschaftlicher Beobachter den subjektiven Sinn, den ein [[Akteur]] mit seinem Handeln verbindet, erfassen kann. Er bestreitet dabei, dass dieser Sinn dem Akteur selbst unverfälschter oder zuverlässiger zugänglich ist als dem wissenschaftlichen Beobachter. Schütz setzt hingegen beim Handelnden selbst an und fragt nach der Konstitution subjektiven Sinns, d. h. wie der Akteur selbst Sinn erzeugt und erfährt. Dem wissenschaftlichen Beobachter ist der subjektive Sinn einer Handlung, wie ihn der Handelnde selbst erfährt, nicht zugänglich und sein Verständnis kann nie identisch mit dem des Akteurs sein.  


Damit aber haben wir in den ersten Lebensjahren tatsächlich etwas gegeben, was uns wie ein letzter Nachklang dessen erscheint, was durch das ganze menschliche Leben auch noch in einem gewissen Grade da war in der ersten nachatlantischen Zeit. So wie der Mensch ungefähr in den ersten Lebensjahren ist, so war der Mensch fast sein ganzes Leben hindurch, mindestens die erste Hälfte seines Lebens, unmittelbar nach der großen atlantischen Katastrophe. Das können wir uns deutlich an der ersten indischen Kultur vergegenwärtigen. Die kindlichsten Menschen in der ersten indischen Kultur waren die großen Lehrer des indischen Volkes, die heiligen Rishis. Ich habe öfter auf sie aufmerksam gemacht. Wenn man sie sich vorstellen würde nach dem Muster eines heutigen Gelehrten, würde man sehr fehl gehen. Wenn ein heutiger Mensch sie treffen würde, würde er sie überhaupt nicht für erhebliche Menschen betrachten. Sie würden ihm einfach kindlich naive Bauern sein. Es gibt vielleicht heute solche Kindlichkeit gar nicht mehr, wie sie bei den Rishis vorhanden war. Dann aber, wenn sie ihre Zeiten hatten, sprach durch sie das, was als Strom der Inspiration hereinströmte, dann sagten sie Dinge, welche die Geheimnisse der höheren Welten waren, weil sie ihr ganzes Leben hindurch eigentlich niemals das Wort Ich im Sinne der heutigen Menschen über ihre Lippen brachten. Sie haben nie Ich gesagt. Sie unterschieden sich also von dem Kind dadurch, daß das Kind das primitive Vorstellen hat. Aber in dieselbe Form des Seelenlebens flössen herein die höchsten Weisheitsschätze, wie wenn heute ein Kind in den ersten drei Jahren die größte Weisheit sagen würde. Die sagt es im Grunde nicht - aber vielleicht doch nur für einen Teil der Menschen nicht. Vielleicht darf ich Sie daran erinnern, daß ich öfter den Satz ausgesprochen habe: Der Weiseste kann vielleicht am meisten von dem Kinde lernen. - Und wenn tatsächlich derjenige, der selber in die geistigen Welten hineinschauen kann, das Kind vor sich hat mit dem Strom, der in die geistige Welt hinaufgeht, dann ist das so - verzeihen Sie den trivialen Ausdruck -, dann hat derjenige, der in die geistigen Welten hineinzusehen vermag, in dem Kinde etwas wie einen Telephonanschluß in die geistigen Welten. Durch das Kind spricht die geistige Welt. Die Menschen wissen es nur nicht. Der Weiseste kann am meisten von dem Kinde lernen. Das Kind spricht nicht, sondern der Engel aus dem Kinde.
Dieses Problem des Fremdverstehens betrifft nicht nur das Verhältnis zwischen Wissenschaftler und handelndem Subjekt. Wenn der Sinn einer Handlung nämlich nur demjenigen verständlich ist, der sie ausführt, nicht aber dem jeweils „Anderen“, stellt sich die Frage, wie unsere alltägliche [[Kommunikation]] als funktionierend empfunden werden kann. Wie ist gesellschaftliches Zusammenleben möglich, ohne den subjektiven Sinn zu kennen, den Andere mit ihren Handlungen verbinden? Schütz zufolge greifen Akteure im Alltag auf bestimmte Methoden zurück, die es ihnen ermöglichen, von einem intersubjektiv geteilten Sinn auszugehen. Er untersucht die Bedingungen und Prinzipien, die diese Erzeugung von intersubjektivem Sinn leiten.


Nun ist die Frage diese: Wie verhält sich zum späteren Leben die ganze Konstitution des Menschen dann, wenn sein Ich nicht bloß das vierte Glied ist, sondern zugleich das unterste Glied eines Engels ist? Wir könnten geradezu die Glieder des Engels für diese Zeit anführen, das Kindes-Ich als das unterste Glied des Engels aufzählen. Die Beziehungen sind ganz anders als später zwischen den Wesensgliedern. Es fragt sich also, wie verwandelt sich das später beim Menschen? Was geht da später vor? - Es wird so etwas wie die lebendige Strömung abgeschnürt, der Mensch verliert den lebendigen Zusammenhang mit der geistigen Welt. Daher sind auch in diesen ersten Lebensjahren am Menschen am intensivsten bemerkbar diejenigen Kräfte, die er aus seinen früheren Inkarnationen mitbringt. Da arbeitet am intensivsten der Wesenskern der geistigen Teile, so die Körperlichkeit herauszugestalten, daß sie geeignet ist für die Inkarnation. Wie verhält sich das spätere normale Bewußtsein dazu? So, daß der Mensch heute eben nicht mehr jenen Leib hat, jenen Ätherleib und seine Beziehungen zum physischen Leib, wie sie bei den heiligen Rishis vorhanden waren. Da blieb das ganze Leben hindurch jenes Vererbungsverhältnis für den Ätherleib und Astralleib, welches möglich machte, daß dieses Ich plastisch arbeiten konnte an der äußeren Hülle des Menschen. Heute erben wir schon mit der Geburt einen so dichten und anspruchsvollen physischen Leib, daß nur ein geringer Teil der Arbeit von dem Ich geleistet werden kann, der früher geleistet worden ist. Unser physischer Leib ist nicht mehr geeignet für das, was wir in den ersten drei Jahren sind. Wir erben jenen physischen Leib, den wir für die späteren Lebensjahre brauchen, und der ist nicht geeignet, das Auge hinaufzurichten in die geistigen Welten. Das Kind weiß nicht, was herunterströmt, und die Umstehenden erst recht nicht, denn es hat sich der physische Leib geändert, er ist dichter, trockener geworden. Wir werden geboren mit einer Seele, die noch in den ersten drei Jahren in die geistigen Welten hinaufragt, aber wir werden mit einem Leib geboren, der dazu berufen ist, das Bewußtsein, in dem das Ich lebt, unser ganzes übriges Leben hindurch zu entwickeln. Hätten wir nicht diesen dichten physischen Leib, so würden wir allerdings kindlich bleiben vermöge des heutigen Menschheitszyklus. Aber weil wir ihn haben, kann das Zusammenleben mit der spirituellen Welt während der drei ersten Jahre nicht zum vollen Bewußtsein kommen.
=== Soziale Handlung, Sinn und Subjektivität ===
Vorerst geht die Analyse Schütz’ aber vom Ego, dem Erleben des einsamen Ichs aus. [[Bergson]] folgend, ergibt sich für Schütz sinnhaftes Handeln erst in der Reflexion des Ichs auf bereits vergangene Erlebnisse. Während des Vollzugs einer Handlung, also während des Handelns selbst, kann ihr vom Akteur kein Sinn beigelegt werden. Erst durch den Rückgriff auf den Entwurf oder Plan, der zu der Handlung führte, kann diese einen subjektiven Sinn entfalten. „''Nur das Erlebte ist sinnvoll, nicht aber das Erleben''“ (''Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt'': S. 49). Schütz unterscheidet strikt zwischen dem Handeln als Tätigkeit (lateinisch ''actio'') und der Handlung als gedanklichen Entwurf (''actum''), wobei das [[Soziales Handeln|Handeln]] das Sinnhafte in der Handlung (im „Handlungsentwurf“) findet. Diese Trennung zwischen Handeln und Handlung hebt Schütz’ Zugangsweise von der [[Max Weber|Webers]] ab, an dieser kritisiert Schütz:


Was muß jetzt eintreten im Laufe der Menschheitsentwickelung? Was ist das einzig Gesunde? Wir können am leichtesten dieses Gesunde aussprechen, wenn wir die beiden Begriffe der alten Zeit gebrauchen für diese zwei Menschen, die in uns leben. Der eine Mensch ist der geistig-seelische in den ersten drei Kindheitsjahren, der nicht mehr recht zum äußeren Menschen paßt, aber kein Ich-Bewußtsein entwickeln kann. Diesen Menschen nannte man in alten Zeiten den Gottessohn. Und den, der heute seinen physischen Leib so hat, daß das Ich-Bewußtsein darin leben kann, nannte man den Menschensohn. So daß der Gottessohn im Menschensohn lebt. Heute ist es so, daß der Gottessohn sich nicht mehr bewußt werden kann im Menschensohn, sondern erst abgeschnürt werden soll, wenn das heutige Ich-Bewußtsein auftreten soll. Aber des Menschen Aufgabe ist es, den Menschensohn, die äußeren Hüllen, durch bewußte Aufnahme der spirituellen Welt so umzugestalten, so zu überwinden, so sich über das zum Herrn zu machen, daß nach und nach der Menschensohn wiederum ganz durchdrungen wird vom Gottessohn. Wenn die Erde am Ende ihrer Entwickelung angelangt sein wird, muß der Mensch bewußt gemacht haben, was er unbewußt von der Kindheit herauf nicht mehr machen kann. Mit seinem göttlichen Teil muß er seinen Menschensohn ganz durchdrungen haben. Was muß den Menschen ganz durchdringen und durchgießen, was muß sich in alle Glieder des physischen, Äther- und Astralleibes hineingießen, damit der Mensch seinen ganzen Menschensohn mit dem ganzen Gottessohn durchdringt? Da muß - vom Ich durchdrungen, vollbewußt -, was in den drei ersten Lebensjahren lebt, den ganzen Menschen durchdringen, das muß sich ergießen.|127|61ff}}
„''Weber macht zwischen Handeln als Ablauf und vollzogener Handlung, zwischen dem Sinn des Erzeugens und dem Sinn des Erzeugnisses, zwischen dem Sinn eigenen und fremden Handelns, bzw. eigener und fremder Erlebnisse, zwischen Selbstverstehen und Fremdverstehen keinen Unterschied. Er fragt nicht nach der besonderen Konstitutionsweise des Sinnes für den Handelnden, nicht nach den Modifikationen, die dieser Sinn für den Partner in der Sozialwelt oder für den außenstehenden Beobachter erfährt, nicht nach dem eigenartigen Fundierungszusammenhang zwischen Eigenpsychischem und Fremdpsychischem, dessen Aufklärung für eine präzise Erfassung des Phänomens ‚Fremdverstehen‘ unerläßlich ist''“ (''Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt'': S. 5).  


Die Bezeichnung '''Gottessohn''' oder '''Sohn Gottes''' wird auch in der [[Bibel]], insbesondere im [[Neues Testament|Neuen Testament]] verwendet und dort auf den [[Christus]] bezogen, der ab der [[Jordan-Taufe]] für drei Jahre im [[Leib]] des [[Jesus von Nazareth]] auf [[Erde (Planet)|Erden]] lebte.
In der Auseinandersetzung mit [[Max Weber|Webers]] Sinnbegriff stellt Schütz fünf Sinnschichten dar. Auf der Ebene der ersten Schicht ist Sinn unabhängig von einem konkreten Anderen, er wird vielmehr Dingen der Umwelt zugeschrieben (z. B. eine Tür lässt sich öffnen). Der zweite Sinnbegriff richtet sich auf die Existenz eines Anderen (z. B. weil jemand klopft, öffne ich die Tür), während der dritte schon das Verhalten des Anderen antizipiert (ich öffne die Tür und grüße). In der vierten Sinnschicht kommt es zu einer wechselseitigen Verhaltensorientierung, in der sich die Handlungen des Akteurs an dem erwarteten Verhalten des Anderen orientieren (ich überlege, ob ich ihn empfangen soll oder nicht). Aus diesen vier Schichten ergibt sich ein konstitutiver Sinnzusammenhang für den Handelnden selbst, d. h. für sein eigenes Verständnis der Handlung. Davon unterscheidet Schütz aber die fünfte Sinnstufe, die der Sinndeutung durch Andere. Die Aufgabe der Soziologen als möglicher „Anderer“ ist es, diese vierschichtige Sinnkonstitution des Handelnden zu verstehen.  


{{GZ|Nehmen wir an, es sollte vor uns auftreten wie ein Muster dessen, was der Mensch werden soll, ein Wesen wie ein Ideal. Was muß sich bei diesem Wesen erfüllen? Dasjenige, was als Seele in diesem Wesen drinnen sitzt, kann man nicht brauchen, das kann die äußeren Hüllen nicht durchdringen. Ein gewöhnlicher Mensch der heutigen Entwickelung würde nicht das menschliche Erdenideal verwirklichen können, würde es nicht darstellen können. Wir müßten die Seele herausreißen, sozusagen ihn vor uns stehen haben wie er als Menschensohn die Seele herausreißt, und eine solche Seele in diesen Menschen hineinsenken, die wie die Seele in den drei ersten Lebensjahren ist, nur von vollem Ich-Bewußtsein durchdrungen. Auf keine andere Weise könnten wir ein Ideal der Erdenentwickelung vor uns hinstellen als einen Menschen, dem wir ausreißen seine Seele und dem wir eine Seele einpflanzen wie in den drei ersten Jahren, und diese kindliche Seele müßte das volle Ich-Bewußtsein haben. Die müßten wir einpflanzen. Und wie lange würde dann in einem physischen Menschenleben es eine solche Seele aushalten können? Der physische Leib kann nur drei Jahre hindurch eine solche Seele tragen, dann muß er eine solche Seele unterjochen. Also bei einem solchen Menschen muß der physische Leib nach drei Jahren zerbrechen. Es müßte das ganze Karma der Erde so eingerichtet sein, daß der physische Leib nach drei Jahren zerbricht. Denn beim Menschen, wie er heute ist, ist es so, daß das, was in drei Jahren lebt, unterjocht wird. Bleibt es aber, so müßte es umgekehrt den physischen Leib unterjochen und zersprengen. Also ein Ideal dessen, was die Menschen-Erdenmission ist, würde sich nur erfüllen, wenn in einem Menschen physischer Leib, Ätherleib und Astralleib für sich blieben, die gewöhnliche Seelenhaftigkeit herausgerissen würde, die Seelen-haftigkeit der drei ersten Jahre mit vollem Ich-Bewußtsein hineingesenkt würde. Dann würde die Seele den Menschenleib zersprengen, aber während dieser Jahre würde es darleben ein volles Musterbild dessen, was der Mensch erreichen kann.
Zusammenfassend lässt sich Schütz' Ansatz als eine Theorie der sozialen Handlung, nicht des sozialen Handelns bezeichnen. Über die Beschränkung auf abgeschlossene Handlungen hinaus, geht Schütz auch nur auf jene Bewusstseinserlebnisse ein, die auf ein ''alter ego'' (d. h. anderes Ich) bezogen sind, womit er den Anderen als ein Bewusstsein habendes Wesen meint, nicht nur den bloßen Leib. Ein wesentliches Element der Handlung, zu dessen Berücksichtigung Schütz durch die Theorien William James angeregt wurde, stellt der Wille zu ihrer Ausführung, der Entschluss, den Handlungsentwurf umzusetzen, dar.  


Dieses Ideal ist das Christus-Ideal, und was in der Jordan-Taufe geschehen ist, ist die Realität dessen, was geschildert worden ist. Es wurde tatsächlich dieses vor die Erdenmenschheit hingestellt, was wir als das menschliche Ideal begreifen müssen. Es kann gar nicht anders sein. Was wir da einsehen, ist geschehen. Es ist geschehen, daß durch die Jordan-Taufe die Seele, an die wir gebannt werden während unserer drei ersten Kindheitsjahre, aber nun voll durchdrungen vom menschlichen Ich, in vollem Zusammenhang mit der spirituellen Welt nach oben, in einen menschlichen Leib, aus dem die frühere Seele herausging, hineinversetzt worden ist, und daß nach drei Jahren diese Seele aus den spirituellen Welten die Leiber zersprengt hat. So haben wir in den drei ersten Lebensjahren ein schwaches Abbild dessen vor uns, gleichsam ein ganz entblößtes Abbild dessen, was als Christus-Wesenheit drei Jahre lang im Leib des Jesus auf der Erde gelebt hat. Und wenn wir eine solche Menschenwesenheit in uns selber auszubilden versuchen, die wie die Kindheitsseele ist, aber voll durchdrungen von allem Inhalt der spirituellen Welt, dann haben wir eine Vorstellung jener Ichheit, jener Christusheit, von der Paulus spricht, als er die Forderung an die Menschen stellt: Nicht ich, sondern der Christus in mir -: die mit der vollen Ichheit erfüllte kindliche Seele. Dadurch wird der Mensch so, daß er seinen Menschensohn durchdringen kann mit seinem Gottessohn und imstande sein wird, sein Erdenideal zu erfüllen, zu überwinden alle äußere Wesenheit und den Zusammenhang wieder zu finden mit der spirituellen Welt.
Die Differenz zwischen den Perspektiven von ''ego'' und ''alter'' ist von grundlegender Bedeutung für Schütz und wird auch an seinem Konzept des ''[[Motiv (Psychologie)|Motivs]]'' deutlich. In seiner [[Konstitutionsanalyse]], in der er nicht die Dinge analysiert, also das [[Sozial]]e an sich, sondern wie diese auf uns wirken und wie sie von uns wahrgenommen werden, trifft er die Unterscheidung zwischen „Um-zu“-Motiven und „Weil“-Motiven. Dabei bilden erstere den Handlungsentwurf, der auf die zukünftige Realisierung der Handlung gerichtet ist, während letztere die (in der biographischen Vergangenheit des Handelnden liegenden) Gründe für dessen Entstehung angeben. ''Beispiel'' für ein „Um-zu“-Motiv: Der Täter beging den Überfall, um an das Geld des Opfers zu kommen. Zuerst findet der Handlungsentwurf statt, danach erfolgt das eigentliche Handeln – hier wird beschrieben, wie es zum Handeln kommt.  
''Beispiel'' für ein „Weil“-Motiv: Der Täter beging den Überfall, weil er aus schlechten Verhältnissen stammte. In diesem Motiv wird dargestellt, wie es zum Handlungsentwurf kommt.  
Diese Vorgehensweise ermöglicht eine personale (subjektive) [[Idealtypus]]-Konstruktion, die durch den Vergleich mit alltäglichen sozialweltlichen Situationselementen das Verstehen von Handeln ermöglicht (und sei es durch Post-hoc-Erklärungen). Der hier erwähnte [[Idealtypus]] ist als Messeinheit zu sehen, nicht aber als ein [[Wert]], den es anzustreben gilt. Bei der Frage nach dem Motiv einer Handlung ist die Perspektive maßgeblich: Das Um-zu-Motiv stellt den Sinn der Handlung dar, wie er vom Handelnden selbst unmittelbar verstanden wird. Der Beobachter muss danach fragen, was der Akteur beabsichtigt, welchen Sinn er selbst seiner Handlung gibt, um das Um-zu-Motiv zu erschließen. Bezüglich des Weil-Motivs befinden sich Beobachter und Handelnder in einer ähnlichen Situation. Da die Hintergründe für die Entstehung des Handlungsentwurfs in der Vergangenheit liegen und mit der Handlung nicht unmittelbar zu tun haben, muss sich auch der Handelnde zu sich selbst als Beobachter verhalten, um seine Weil-Motive zu erforschen. Er hat keinen privilegierten Zugang zu ihnen.


Wie müssen wir aber werden? Jeder Ausspruch hat einen mehrfachen Sinn in den religiösen Urkunden. Wir müssen werden wie die Kinder, wenn wir hineinschauen wollen in die Reiche der Himmel, aber mit der vollen Reife des Ich. Das steht uns in Aussicht bis zur Zeit, wo die Erde ihre Mission erfüllt haben wird.|127|66ff}}
=== Lebenswelt und Soziologie des Alltags ===
Der von [[Edmund Husserl|Husserl]] stammende Begriff der [[Lebenswelt]], die Schütz als „''Gesamtzusammenhang der Lebenssphäre''“ (''Gesammelte Aufsätze I'': S. 284) begreift, meint die intersubjektiv sinnhafte Welt, an der Menschen durch ihre alltäglichen Handlungen, durch ihre natürliche (d. h. vorwissenschaftliche) Erfahrung teilhaben. In den frühen 40er Jahren vollzieht sich im Werk Schütz’ eine Wende zur Soziologie des Alltags, die auf ebendieser lebensweltlichen Fassung beruht. Grund für Schütz’ Distanzierung von der phänomenologischen Reduktion und für seine Hinwendung zu Phänomenen der Lebenswelt und zu der mundanen Intersubjektivität, ist seine Enttäuschung über Husserls Fünfte ''Cartesianische Meditation''. In ihr findet Schütz nicht die erhoffte Lösung des Intersubjektivitätsproblems; seiner Meinung nach gelingt es Husserl nicht, „''die Intersubjektivität alles Erkennens und Denkens transzendental abzuleiten''“, wie es Schütz noch im Sinnhaften Aufbau erwartet hatte (''Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt'': S. 30). Er wendet sich stattdessen im Zusammenhang mit der Möglichkeit von Intersubjektivität [[Max Scheler]] zu. Dessen Annahme, dass die Erfahrung der Gemeinschaft, des Wir, jeder Erfahrung vom Ich vorausgeht und diese fundiert, belegt für Schütz die Wichtigkeit der alltagsweltlichen Phänomene. Der Sozialität als lebensweltlichem Sachverhalt, nicht als phänomenologisch-transzendentalem, gilt folglich Schütz’ Interesse. Die Soziologie habe sich als eine Soziologie des Alltags der Erforschung der mundanen Intersubjektivität zu widmen, insbesondere solle sie die „''invarianten eigenwesentlichen Strukturen[…] einer Gemeinschaft''“ (''Gesammelte Aufsätze I'': S. 138) untersuchen. Dieses Ziel Schütz’ drückt sich auch im Titel seines von [[Thomas Luckmann]] fertiggestellten Hauptwerkes ''Strukturen der Lebenswelt'' aus.  


{{GZ|Das müssen Sie sich einmal als einen Begriff aneignen: der Menschensohn, der sich im Menschen findet von dem Zeitpunkt ab, bis zu dem sich der Mensch heute zurückerinnert, mit alledem, was sich der Mensch von der Kultur aneignen kann. Fassen Sie diesen Menschen ins Auge und denken Sie sich nun alles, was der Mensch sein könnte durch den Zusammenhang mit dem Makrokosmos, wenn hinzukäme, was in den ersten Kindheitsjahren hereindringt vom Makrokosmos. In den ersten Kindheitsjahren kann es nichts anderes sein als eine Grundlage, weil das entwickelte menschliche Ich noch nicht da ist. Wenn es aber in das entwickelte menschliche Ich hereinfiele, dann würde geschehen, was zuerst geschehen ist in dem Augenblick, als dem Jesus von Nazareth der Geist von oben herunterkam durch die Jordan-Taufe: Die drei unschuldigen Kindheits-Entwickelungsstadien mischten sich mit dem übrigen Menschentum zusammen. Das ist das Nächste. Und was war die Folge davon? Die Folge war, daß dieses unschuldige
Geprägt ist die Struktur der Lebenswelt durch die „natürliche Einstellung“, die dem Menschen die Existenz seiner alltäglichen Welt, die Erfahrungen, die er in ihr macht, und die Bedeutungen, die die Dinge in ihr haben, natürlich und unhinterfragbar erscheinen lassen. Als Ganzes kann diese Lebenswelt nicht in Zweifel gezogen werden, höchstens einzelne Aspekte sind hinterfragbar. Der Mensch orientiert sich in ihr, indem er pragmatischen Maximen folgt und Handlungsroutinen etabliert. Ihre Stabilität bezieht die Lebenswelt folglich auch aus der Zuversicht des Handelnden, dass sich Erlebnisse und Situationen gleichförmig gestalten und er selbst, auf seine Erfahrungen aufbauend, auch in Zukunft bestimmte Fähigkeiten einsetzen und Handlungen ausführen kann, die sich schon in der Vergangenheit bewährt haben.
Kindheitsleben, als es sich entwickeln wollte auf der physischen Erde, sich nur drei Jahre entwickeln konnte — wie es sich überall nur drei Jahre entwickelt - und dann auf Golgatha sein Ende fand, das heißt, sich nicht vermischen konnte mit dem, was der Mensch wird in dem Zeitpunkt, bis zu dem er sich dann normalerweise zurückerinnert.


Wenn Sie dies durchdenken: was es bedeuten würde, wenn sich herein mischte in einen Menschen all der Zusammenhang mit dem Makrokosmos, der dumpf und dämmerhaft in den ersten Kindheitsjahren aufkommt, der aber, weil das Kind noch nicht das Ich-Bewußtsein hat, noch nicht wirklich leuchten kann; und wenn Sie weiter denken, wie, wenn er aufdämmerte im späteren Bewußtsein, etwas sich bilden würde, etwas hereinfiele in uns, was nicht aus dem Menschen in uns stammt, sondern aus der ganzen Weltentiefe, aus der wir herausgeboren werden - dann haben Sie die Interpretation der Worte, die da gesprochen worden sind in bezug auf das, was dargestellt ist in dem Herunterkommen der Taube: «Dies ist mein viel geliebter Sohn; heute habe ich ihn gezeuget!» Das heißt: es ist hier der Christus in dem Jesus von Nazareth inkarniert worden, «gezeuget» worden, der Christus, der in der Tat geboren wurde in den Jesus von Nazareth in dem Augenblick der Johannes-Taufe und der auf der Höhe jenes Bewußtseins stand, das sonst die Menschen nur in den ersten Kindheitsjahren haben, aber mit allem kosmischen Zusammengehörigkeitsgefühl, welches das Kind haben müßte, wenn es wissen würde, was es fühlt in den ersten drei Jahren. Dann würden allerdings auch jene Worte eine ganz andere Bedeutung bekommen: «Ich und der Vater» - der kosmische Vater - «sind eins.»
Die Lebenswelt ist immer schon eine soziale Welt, die dem Einzelnen vorausgeht und von früheren Generationen erfahren und interpretiert wurde. In dem Sinne, dass sie mit anderen Menschen geteilt und gemeinsam gedeutet und kommuniziert wird, ist sie eine intersubjektive Welt und alles Wissen von und in ihr ist intersubjektiv. Der Wissensvorrat, auf den ein Mensch zurückgreift ist nur zu einem sehr geringen Teil persönlicher Natur; ein Großteil des Wissens ist sozial abgeleitet, indem es gesellschaftlich entwickelt und weitergegeben wird. Wissen ist in der Auffassung Schütz die Summe aller Fertigkeiten, Erwartungen und Überzeugungen, aller Wahrnehmungsmuster und Handlungsrezepte, unabhängig ob sie im wissenschaftlichen Sinne als wahr gelten würden, sofern sie von einer gesellschaftlichen Gruppe als Wissen angesehen werden.  


Wenn Sie dies auf Ihre Seele wirken lassen, dann werden Sie ein wenig von dem nachfühlen, was sozusagen als ein erstes Grundelement in der Offenbarung von Damaskus für Paulus eingetreten ist, und was in dem schönen Worte zum Ausdruck kommt: «Wenn ihr nicht werdet wie die Kindlein, könnt ihr nicht in die Reiche der Himmel kommen!» Dieses Wort hat eine vielfache Bedeutung, aber auch diese. Paulus sagte: «Nicht ich, sondern der Christus in mir!» - das heißt die Wesenheit, die ein solches makrokosmisches Bewußtsein hat, wie es das Kind haben würde, wenn es das Bewußtsein der ersten drei Jahre durchdringen könnte mit dem Bewußtsein der späteren Zeit. Beim heutigen normalen Menschen sind diese beiden Arten getrennt, müssen getrennt sein; denn sie würden sich sonst nicht vertragen können. Sie haben sich auch nicht im Christus Jesus vertragen. Denn nach jenen drei Jahren mußte notwendigerweise der Tod eintreten, und zwar unter den Verhältnissen, wie sie sich in Palästina abgespielt haben. Nicht zufällig haben sie sich so dargestellt, sondern durch das Ineinanderleben dieser zwei Faktoren: des Gottessohnes, der der Mensch ist von dem Zeitpunkt der Geburt bis zur Entwickelung des Ich-Bewußtseins, und des Menschensohnes, der der Mensch ist nach dem Zeitpunkt der Erringung des Ich-Bewußtseins. Durch das Zusammenleben des Menschensohnes und des Gottessohnes wurden hervorgerufen die Ereignisse, die dann zu den Ereignissen von Palästina geführt haben.|124|127ff}}
In seinem Aufsatz ''On Multiple Realities'' (1945), von [[William James]] deutlich beeinflusst, manifestiert sich Schütz’ Interesse an der Lebenswelt und deren Sinnzusammenhang, der sich in alltäglichen Sozialbeziehungen herausbildet, als eine Untersuchung von Merkmalen wie Bewusstseinsspannung und Aufmerksamkeitsstruktur, Relevanzsystem und kognitiven Stil. Er entwickelt die Theorie, dass es innerhalb der menschlichen Erfahrung vielfältige Sinnprovinzen (wie z. B. die Alltagswelt, die Welt des Traumes, des Spiels, der Wissenschaft, der Religion, der Kunst usw.) gibt, an denen der Mensch teilhaben kann. Eine herausragende Stellung nimmt dabei die Welt des Alltag ein, die als „paramount reality“ den „''Archetyp unserer Erfahrung der Wirklichkeit''“ darstellt (''Gesammelte Aufsätze I'': S. 267). Diese privilegierte Position der Alltagswelt und des alltäglichen Wissens beeinflusst auch Schütz’ Konzeption der Beziehung zwischen Wissenschaft und Alltag. Die Welt des Alltags unterscheidet sich von anderen Sinnprovinzen durch den spezifischen kognitiven Stil, wie die Wirklichkeit erlebt wird. Beispielsweise hebt sich das Erleben im Alltag bezüglich der Bewusstseinsspannung durch den Zustand der Wachheit, durch die völlige Aufmerksamkeit auf die Wirklichkeit von der Welt des Traumes ab, in der keinerlei Interesse an der Realität besteht. Des Weiteren zeichnet sich die Welt des Alltags dadurch aus, dass an ihr nicht gezweifelt wird und sich die Menschen in ihr als Handelnde erfahren, während der Träumer weder handelt noch auf äußere Sachverhalte einwirken kann. Ein wesentliches Merkmal der Alltagswelt ist ihre Sozialität; alltägliche Erfahrung ist grundlegend auf Kommunikation und soziales Handeln ausgerichtet. Und schließlich stellen auch die spezifische Selbsterfahrung und Zeitperspektive Merkmale dar, die die Welt des Alltags von anderen Sinnbereichen und Formen der Welterfahrung unterscheidet. In The ''Stranger: An Essay in Social Psychology'' (1944) und ''The Homecomer'' (1945) beschäftigt sich Schütz eingehender mit den Problemen, vor allem mit der Infragestellung der Identität des Menschen, die der Übergang von einer Sinnprovinz in eine andere nach sich ziehen kann.  


Der Gottessohn in uns ist die Quelle aller belebenden, aufbauenden Kräfte, die in dieser Form nur in den ersten drei Jahren unseres Lebens wirken können. Dennoch bleibt der Gottessohn auch später noch in uns erhalten, nur kann er dann den bereits verhärteten [[Physischer Leib|physischen Leib]] nicht mehr voll ergreifen. Wer die Kräfte des Gottessohnes in späteren Lebensjahren noch in sich regsam machen kann, bei dem fließt diese Kraft durch die Fingerspitzen, und er bekommt
Wie die Struktur unserer Erfahrung von der jeweiligen Sinnprovinz abhängt, ist auch die alltägliche Sozialwelt nach der Art unterteilbar, in der das Handeln der Anderen dem Akteur zugänglich ist. Schütz unterscheidet zwischen ''sozialer Umwelt, Mitwelt'' und ''Vorwelt'' und beschreibt die verschiedenen Ausprägungen, die das Problem intersubjektiven Verstehens in den jeweiligen sozialen Sphären annimmt. ''Face-to-face''-Interaktionen vollziehen sich in der sozialen Umwelt; diese zeichnet sich folglich durch die unmittelbare Präsenz ''alters'' für das ''ego'' an einem gemeinsamen Ort aus und ermöglicht eine direkte reziproke Reaktion auf Gesagtes und soziale Handlungen. Das Gelingen intersubjektiven Verstehens ist bei dieser Art des sozialen Kontaktes am wahrscheinlichsten, da sich die Interaktionspartner wechselseitig versichern können, ob ihre Deutungsschemata, ihre Sichtweisen der „Welt“ übereinstimmen und die Möglichkeit der kommunikativen Rückkopplung gegeben ist. Die soziale Mitwelt grenzt an den engen Kern der Umwelt und stellt alle Akteure dar, die für das ''ego'' prinzipiell erreichbar sind, weil sie zur gleichen Zeit leben, sich aber nicht am gleichen Ort aufhalten. Wissen über den Anderen, seine Motive und Sinnzusammenhänge kann nicht unmittelbar erworben werden. ''Ego'' muss sich an typisierten Erwartungen und Motiven orientieren, die oft starken sozialen Standardisierungen und Normierungen unterworfen sind (z. B. formale Anreden in Briefen an Unbekannte). Die soziale Vorwelt ist weder unmittelbar noch mittelbar für den Akteur zu erreichen, da sie nicht seiner Gegenwart angehören. Er kann keinerlei Kontakt aufnehmen und ist auf eine einseitige Interpretation angewiesen. Dementsprechend gering ist die Wahrscheinlichkeit intersubjektiven Verstehens.
die besondere Gabe der Heilung, der Gesundung durch Handauflegen.


{{GZ|Die besten Kräfte sind in diesen ersten drei bis dreieinhalb Jahren enthalten; wir zehren das ganze Leben davon. Sie werden verdunkelt, aber sie sind in den späteren Jahren doch in der verschiedensten Art vorhanden. Es ist so, wie wenn wir von diesen Kräften durchsetzt würden und sie nur nicht unmittelbar ausleben lassen könnten. Wenn wir durch die Geisteswissenschaft Begriffe von den höheren Welten aufnehmen wollen, so können wir dies um so besser, je mehr wir von dem in uns haben, was in den ersten drei Jahren in uns war, wo das Ich selbstlos in uns war. Je frischer, je biegsamer diese Kräfte sind, je weniger greisenhaft sie bis ins hohe Alter geworden sind, desto mehr eignen wir uns dazu, uns durch diese Kräfte des Geistes umzugestalten. Es ist der Menschheit bestes Teil, was wir in diesen drei Jahren um uns haben. Nur der dichte physische Leib hindert uns leider, diese Kräfte voll zu gebrauchen. Wenn sie jemand in späteren Jahren besonders entwickeln kann, so kann er dadurch nicht mehr seinen physischen Körper umändern, er ist nicht mehr so weich wie Wachs. Aber wenn er sie voll gebrauchen kann durch esoterische Weisheit, dann fließt diese Kraft aus durch die Fingerspitzen, und er bekommt die besondere Gabe der Heilung, der Gesundung durch Handauflegen - wenn sie noch wirksam sind, jene geistigen Kräfte, die nicht mehr den eigenen Körper umgestalten, die aber, wenn sie ausfließen, segensreich wirken.
=== Typik und Relevanz ===
Die Hindernisse, die intersubjektivem Verstehen, zumindest einem vollständigen Verstehen, entgegenstehen, differieren abhängig von der sozialen Sphäre. Wie ist Fremdverstehen dann aber überhaupt denkbar? Schütz’ ''Generalthese der Existenz des alter ego'' darf als grundlegende Voraussetzung dafür gelten, denn nur wenn davon ausgegangen wird, dass der Andere wirklich und prinzipiell gleichartig ist, besteht die Möglichkeit zu Intersubjektivität. Der spezifische Sinn, den der Andere als ein in gleicher Weise bewusstes, denkendes und erinnerndes Wesen seinen Handlungen zugrunde legt, ist erschließbar, indem das Ich die eigenen Bewusstseinsleistungen und Sinnkonstitutionen untersucht. Um die Sichtweise ''alters'' einzunehmen muss ''ego'' also von der Annahme ausgehen, dass auch der Andere Interpretationsschemata verwendet, Handlungsmotive verfolgt und strukturidentische Gedankenströme besitzt, wenngleich diese von denen ''egos'' in ihrer spezifischen Ausgestaltung abweichen. Neben dem Vertrauen darauf, dass der Andere auf ähnliche Weise Wissen über die Welt generiert, ist das Handeln im Alltag im weiteren von der zumeist unbewussten Annahme geleitet, dass die Verschiedenartigkeit unseres Wissens über die Welt darauf beruht, dass der Andere aufgrund seiner biographischen Situation und seiner Position im Raum eine Perspektive einnimmt, die sich von der ''egos'' unterscheidet. Auch wenn sich die Differenz der Perspektiven nie vollständig aufheben lässt, kann sie doch für spezifische Interaktionssituationen ''neutralisiert'' werden. Dazu bedient sich der Mensch laut Schütz der ''Generalthese der Reziprozität der Perspektiven'', die auf zwei Idealisierungen beruht, nämlich der ''Idealisierung der Austauschbarkeit der Standpunkte'' und der ''Idealisierung der Übereinstimmung der Relevanzsysteme''.  
 
Auf der ''Idealisierung der Austauschbarkeit der Standpunkte'' gründet sich die Sicherheit, dass ich das gleiche wahrnehmen würde wie mein Gegenüber, wäre ich an seiner Stelle und dass ich die Dinge in gleicher Perspektive, Distanz und Reichweite erfahren würde wie er. Darüber hinaus erwarte ich von ihm, dass er die gleiche Idealisierung vollzieht. Die ''Idealisierung der Übereinstimmung der Relevanzsysteme'' leugnet nicht, dass ich abhängig von meiner biographisch bestimmten Situation spezifische Interessen und Ziele habe und potentiell andere Dinge als relevant empfinde als mein Gesprächspartner, sie besagt vielmehr, dass beim Versuch einer Verständigung diese Unterschiede der Relevanzsysteme unbeachtet bleiben können. Für den momentanen Zweck, den der Andere und ich verfolgen, sind sie irrelevant. Vollziehen die Gesprächspartner diese Idealisierung wechselseitig ergibt sich im Alltag zumeist zwar keine vollständige – weil diese unmöglich ist –, aber eine für die Kommunikation ''ausreichende'' Übereinstimmung der Relevanzsysteme.
 
Um Schütz’ Herangehensweise an die Lösung des Intersubjektivitätsproblems nachzuvollziehen, ist es nötig, die Begriffe ''Typik'' und ''[[Bedeutsamkeit|Relevanz]]'' zu erläutern. Unter Typik versteht Schütz jenes Phänomen der Alltagswelt, das uns Personen (und Gegenstände) nur in sehr spezifischen Situationen als konkret und einzigartig erfahren lässt, in den meisten Fällen greifen wir hingegen auf ein Verständnis anderer Akteure als typische Vertreter einer sozialen Rolle zurück. Aufgrund der sprachlichen Vermittlung einer Welt bereits etablierter Typisierungen, in die wir hineingeboren werden, lernen wir Hunde, Freunde usw. stets schon als typische Hunde, typische Freunde usw. kennen. Typisierungen blenden also das Besondere einer Person (oder eines Gegenstandes), die Vielfalt ihrer Persönlichkeit aus, indem sie auf Vorerfahrungen verweisen. Durch diese Abstraktion erleichtern sie uns Verständigungsprozesse. Wir müssen in Interaktionen nicht „von Null“ anfangen, sondern können uns darauf verlassen, dass die typisierte Wahrnehmung des Anderen und das Unterstellen typischer Motive und Sinnstrukturen ausreicht, um vor dem praktischen Hintergrund der Situation eine Verständigung zu erzielen. In diesem Sinne sind sowohl ''ego'' wie ''alter'' Träger sozialer Rollen, die sich als Bündel typischer Motive und Handlungsmuster darstellen. Typisierungen werden dabei wechselseitig von den Gesprächspartnern verwendet und antizipiert.
 
„''Konstruiere ich den anderen als nur partielles Selbst, als Darsteller typischer Rollen oder Funktionen, so findet dies eine Entsprechung im Prozeß der Selbsttypisierung, der einsetzt, sobald ich mit dem Anderen in soziale Wirkensbeziehungen eintrete. Ich nehme an einer solchen Beziehung auch nicht als ganze Persönlichkeit, sondern nur mit bestimmten Persönlichkeitsschichten teil. Indem ich die Rolle des Anderen definiere, nehme ich selbst eine Rolle an''“ (''Gesammelte Aufsätze I'': S. 21). Um das mit einem Beispiel zu illustrieren: Betrete ich einen Supermarkt und frage dort einen Angestellten, in welchen Regal französischer Rotwein zu finden ist, lege ich nicht nur seine Rolle als typischer Supermarkt-Angestellter fest, der mir die gewünschte Auskunft – mehr oder weniger freundlich – erteilen wird, sondern auch meine als typischer Käufer. Für das Gelingen der Kommunikation spielt es weder eine Rolle, warum ich französischen Rotwein und nicht Weißwein kaufen will und warum gerade in diesem Supermarkt, noch warum er für diesen Supermarkt arbeitet o.ä.  
 
Obwohl die alltäglichen Typisierungen auf einem persönlichen, wenn auch gesellschaftlich beeinflussten Relevanzsystem beruhen, wird ihm selbst kaum Beachtung geschenkt. Relevanz ist vor allem dann feststellbar, wenn alltägliche Typisierungen zu einem Problem werden. In seinem Aufsatz ''Strukturen der Lebenswelt'' (''Gesammelte Aufsätze III'': S. 154) umreißt Schütz sein Forschungsinteresse hinsichtlich des Problems der Relevanz anhand dreier Fragen: „''Wie kommt es überhaupt zur Stellung eines Problems, nämlich dazu, daß uns das fraglich gewordene auch des Fragens würdig erscheint? Was ist für die Lösung eines Problems relevant? Wann erscheint es uns als für unsere Zwecke ‚hinreichend‘ gelöst, so daß wir weitere Untersuchungen abbrechen?''“
 
Schütz unterscheidet drei Problemdimensionen. Die ''thematische Relevanz'' ist als Aufmerksamkeit oder Interesse für einen bestimmten Ausschnitt der Wirklichkeit gekennzeichnet; dieser Gegenstand wird für mich zum Thema. Vor dem Hintergrund meiner typischen Erfahrungen kann das Problem ''Auslegungs- oder Interpretationsrelevanz'' erfahren, wenn ich nämlich aus dem mir zur Verfügung stehenden Wissensvorrat bestimmte Typisierungen und Interpretationsschemata zur Lösung des Problems auswähle. Von ''motivationaler Relevanz'' spricht Schütz schließlich, wenn die Handlungsentwürfe, das System von Um-zu- und Weil-Motiven problematisiert werden. [[Soziales Handeln]] im Alltag ist in den Relevanzstrukturen begründet. Da es durch wechselseitige Motivverkettung zu intersubjektiven Verstehen führen soll, ist soziales Handeln laut Schütz im Wesentlichen als Problemlösungssituation einer Face-to-face-Interaktion gekennzeichnet. Aus solchen konkreten „Wir-Beziehungen“ leitet sich jede Typik ab.
 
Die fundamentale Erfahrung des „Wir“ in der Unmittelbarkeit einer Face-to-face-Interaktion begründet die Fähigkeit zu intersubjektiven Verstehen. Da sich jede Typik aus einer konkreten „Wir-Beziehung“ ableitet, ist das auch für das typische Verstehen der Fall. Diese Typik bestimmt das mittelbare Erleben von mitweltlichen, d. h. abwesenden Anderen. Aber auch die Unmittelbarkeit einer umweltlichen Beziehung weist einen Bezug zu anderen Alltagswelten, zur Mitwelt und Vorwelt auf; und dieser Bezug hat eine Typik, er verweist auf Akte eines mittelbaren Erlebens, und damit auf Abgeleitetes, Appräsentes (d. h. nicht wahrgenommenes „Mitbewusstes“, das assoziativ mit einem präsenten Gegenstand o. ä. verbunden ist, z. B. appräsentiert der Leib ''alters'' seine Innerlichkeit, die für ''ego'' nicht unmittelbar gegeben ist). Indem Schütz auch in der unmittelbaren Präsenz, die die „Wir-Beziehung“ kennzeichnet, eine Verbindung zu den appräsenten Momenten anderer Sinnprovinzen feststellt, schafft er eine Theorie situativer Transzendenz. Der Alltag, konkrete Interaktionssituationen und umweltliche Beziehungen werden durch die Typik transzendiert und mit sozial, historisch, mythisch oder wissenschaftlich Appräsenten in Beziehung gesetzt.
 
=== Wissenschaft und Alltagswelt ===
Aus den bisherigen Ausführungen ist hervorgegangen, dass Schütz die [[Wissenschaft]] als eine Sinnprovinz auffasst, die keineswegs über die des alltäglichen Lebens zu stellen ist. Diese Einordnung der Wissenschaft als einen Sinnbereich unter vielen, von denen nur die Alltagswelt der Beschreibung als „paramount reality“, als ausgezeichnete Wirklichkeit gerecht wird, stellt eine besondere Leistung des Schütz’schen Werkes dar. Hinsichtlich wissenschaftlicher Theorien trennt er strikt zwischen ihrem Entstehungs- und ihrem Verwendungszusammenhang und sieht ihren Zweck nicht in einem konkreten Verwertungsinteresse. „''Die Bildung wissenschaftlicher Theorie [...] dient keinem praktischen Zweck. Ihr Ziel ist es nicht, die Welt zu beherrschen, sondern sie zu beobachten und sie nach Möglichkeit zu verstehen''“ (''Gesammelte Aufsätze I'': S. 282). Für eine handlungsverstehende Soziologie gilt, die Prozesse der Sinnkonstitution und –interpretation der lebensweltlichen Akteure nachzuvollziehen. Damit unterscheiden sich die [[Sozialwissenschaften]] wesentlich von den [[Naturwissenschaft]]en, deren Objektbereich keine bewusste Selbstdefinition und Deutung für sich beansprucht. „''Das Beobachtungsfeld des Sozialwissenschaftlers, also die [[soziale Wirklichkeit]], hat dagegen eine besondere Bedeutung und Relevanzstruktur für die in ihr lebenden, handelnden und denkenden menschlichen Wesen. Sie haben diese Welt, in der sie die Wirklichkeit ihres täglichen Lebens erfahren, in einer Folge von Konstruktionen des Alltagsverstandes bereits vorher ausgesucht und interpretiert''“ (''Gesammelte Aufsätze I:'' S. 68). Der Sozialwissenschaftler kann die Tatsache, dass Menschen ein Selbstverständnis ihrer subjektiv sinnhaften Handlungen entwickeln, nicht ignorieren, vielmehr muss er auf diesen Interpretationen und Konstruktionen aufbauen. „''Daher sind die Konstruktionen der Sozialwissenschaften sozusagen Konstruktionen zweiten Grades, das heißt Konstruktionen von Konstruktionen jener Handelnden im Sozialfeld, deren Verhalten der Sozialwissenschaftler beobachten und erklären muß [...]''“ (''Gesammelte Aufsätze I'': S. 68).
 
Schütz betont damit den – in ihrer spezifischen Art der Welterfassung begründeten – konstruktiven Charakter der Sozialwissenschaften. Er formuliert Anforderungen, denen die Wissenschaft in ihrer Bemühung Wirklichkeit in modellhafter und [[Idealtypus|idealtypischer]] Weise ''verstehend'' nachzuzeichnen, gerecht werden muss. Das ''Postulat der logischen Konsistenz'' fordert, dass die vom Wissenschaftler konstruierten Typisierungen und Idealtypen mit Grundsätzen der [[Formale Logik|formalen Logik]] vereinbar sind und ihre Formulierung möglichst klar und deutlich ist. Das ''Postulat der [[Rationalität]]'' soll die potentielle Verifizierung wissenschaftlicher Annahmen und die Konstruktion eines validen Modells sozialer Wirklichkeit sicherstellen. Dem ''Postulat der subjektiven Auslegung'' entsprechend, müssen die wissenschaftlichen Idealtypen auf den subjektiven Sinn, den sie in der Lebenswelt entfalten, rückführbar sein. Und schließlich sollen die Begriffe, denen sich der Wissenschaftler bedient, dem Postulat der Adäquanz folgend, auch für den alltagsweltlichen Akteur selbst verstehbar und vernünftig sein.
 
== Bedeutung des Schütz’schen Werkes für die Sozialwissenschaften ==
Gleichwohl sich das Werk von Schütz hervorragend für philosophisch orientiertes Arbeiten eignet, blieben doch Möglichkeiten für empirisch forschende Ansätze nur schwach ausgebildet. Das änderte sich erst mit [[Harold Garfinkel]]s [[Ethnomethodologie]], die das Schütz'sche Werk als theoretische Vorarbeit nutzt.
 
Dass es einige Zeit in Anspruch nahm, bis Schütz’ phänomenologischer Ansatz in den Sozialwissenschaften rezipiert wurde, mag vielerlei Gründe haben. Schließlich war er lange gezwungen, seiner theoretischen Arbeit nur in den Nächten und Urlauben, außerhalb seiner Tätigkeit als Bankier, nachzugehen. Als er fast vierzigjährig emigrieren musste, war sein auf Deutsch erschienenes Erstlingswerk ''Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt'' in den USA kaum bekannt. Dort wurde das akademische Leben einerseits von der Idee spezifisch empirischer Forschung, vertreten von [[Robert K. Merton]] und [[Paul Lazarsfeld]] ([[Columbia University]]), dominiert, andererseits hatte [[Talcott Parsons]] ([[Harvard University]]) [[Strukturfunktionalismus]] enormen Einfluss auf die amerikanische Soziologie. Die positivistisch-quantitative Forschungsweise des ''department of sociology'' der [[Columbia University]] unterschied sich stark von der humanistischen Orientierung der ''New School'', an der Schütz lehrte, und setzte sich im wissenschaftlichen Klima der 1950er Jahre, das angewandter Soziologie den Vorzug gab, durch. Eine Annäherung der theoretischen Positionen Schütz’ und Parsons schlug fehl, wie ihr Briefwechsel dokumentiert. Darüber hinaus waren viele von Schütz’ Artikeln, oft in philosophischen Fachzeitschriften veröffentlicht, der Allgemeinheit nur schwer zugänglich.
 
So ist es kaum verwunderlich, dass Schütz zu Lebenszeiten in akademischen Kreisen kaum wahrgenommen wurde. Umso bedeutsamer war aber sein Einfluss auf Sozialwissenschaftler, die bei Schütz an der ''New School'' studierten. [[Maurice Natanson]] befasste sich vor dem Hintergrund der existentialistischen Tradition mit einer philosophischen Grundlegung der Rollentheorie, während sich [[Richard Zaner]] der Frage der Intersubjektivität und der Relevanz widmete. Schütz übte starken Einfluss auf den Soziologen [[Helmut Wagner (Politikwissenschaftler)|Helmut Wagner]] aus, der die Richtung und Inhalte seiner Forschungstätigkeit über seine Schütz-Anhängerschaft definierte. Zwei andere Studenten Schütz’, die es zu großer Bekanntheit gebracht haben, sind [[Peter L. Berger]] und [[Thomas Luckmann]]. Vor allem in ihrem gemeinsamen Werk ''[[Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit]]'' führten sie die Gedanken ihres Lehrers weiter und trugen wesentlich zur Verbreitung von ihm angeregter Überlegungen bei. Sie brachten eine sozial-konstruktivistische, [[Wissenssoziologie|wissenssoziologische Theorie]] zur Entfaltung, die sich auf Schütz beruft, aber wesentlich über ihn hinausgeht. Über Berger und Luckmann fanden auf Schütz zurückgehende theoretische Annahmen auch Einzug in die [[Organisationstheorie]], insbesondere in die Grundannahmen des [[soziologischer Neoinstitutionalismus|Neoinstitutionalismus]].
 
Die stärkste Modifikation haben Schütz’ Gedanken in ihrer Beeinflussung Harold Garfinkels erfahren, der als der Begründer der Ethnomethodologie gilt. In seinen frühen Untersuchungen benutzte Garfinkel Schütz theoretische Einsichten in der Absicht, Parsons Annahmen zur sozialen Ordnung empirisch zu überprüfen. Er kam schließlich zu der Ansicht, dass Parsons hinsichtlich einer gesellschaftlich geteilten Kultur und der Zweckrationalität als bestimmend für gelingende Interaktion irrt. Garfinkel wendete sich der Untersuchung der Methoden zu, die Alltagsakteure verwenden, um ihr Wissen und ihre Auffassungen zu kommunizieren. Rationalität, Sinn und gelingende Verständigung stellen als Ergebnis sozialen Handelns die Leistung von Akteuren dar. Wenn auch nicht davon gesprochen werden kann, dass Garfinkel an Schütz’ Gedanken und Arbeit anschließt und diese fortsetzt, so wären die Anfänge der Ethnomethodologie doch undenkbar ohne die theoretische und methodische Vorarbeit von Schütz.
 
== Schriften ==
 
'''Einzelausgaben'''
* ''Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt. Eine Einleitung in die verstehende Soziologie.'' Springer, Wien 1932.
* mit [[Thomas Luckmann]]: ''[[Strukturen der Lebenswelt]]'' (Soziologische Texte; Bd. 82). Luchterhand, Neuwied 1975, ISBN 3-472-72582-6.
* ''Gesammelte Aufsätze.'' Nijhoff, Den Haag, 1971–1972 (Aus dem Amerikanischen übersetzt und mit einem „Nachwort zur Übersetzung“ von [[Benita Luckmann]] und [[Richard Grathoff]].)
# ''Das Problem der sozialen Wirklichkeit''. Mit einer Einführung von [[Aron Gurwitsch]]. 1971, ISBN 90-247-5116-0.
# ''Studien zur soziologischen Theorie''. Arvid Brodersen (Hrsg.). 1972, ISBN 90-247-1498-2.
# ''Studien zur phänomenologischen Philosophie''. Ilse Schütz (Hrsg.). 1971, ISBN 90-247-1169-X.
* ''Das Problem der Relevanz''. Hrsg. und erläutert von Richard M. Zaner. Mit einer Einleitung von [[Thomas Luckmann]]. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1982, ISBN 3-518-27971-8.
* ''Zur Theorie sozialen Handelns. Ein Briefwechsel'' („The theory of social action. The correspondence of Alfred Schutz and [[Talcott Parsons]]“). Suhrkamp, Frankfurt am Main 1977, ISBN 3-518-07802-X.
* ''Theorie der Lebensformen. Frühe Manuskripte aus der [[Henri Bergson|Bergson]]-Periode'' (stw; Bd. 350). Herausgegeben und eingeleitet von [[Ilja Srubar]]. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1981, ISBN 3-518-07950-6.
 
'''Werkausgabe'''
* Richard Grathoff, Hans-Georg Soeffner und [[Ilja Srubar]] (Hrsg.): ''Alfred Schütz-Werkausgabe''. UVK-Verlag, Konstanz 2003 ff.


Das Ziel der Erdenentwickelung ist, diese besten Kräfte in uns nach und nach zur Geltung zu bringen. Wenn die Erdenentwickelung zu Ende sein wird und wir durch die vielen Inkarnationen durchgegangen sein werden, werden wir uns ganz durchdrungen haben müssen bewußt mit dem, was wir unbewußt haben in den ersten Kindheitsjahren. Es ist ein Unterschied, ob wir diese Kräfte unbewußt haben oder bewußt. Die Menschen werden dann ganz durchdrungen sein müssen von einem solchen kindhaften Bewußtsein. Und es wird dann, weil es nur langsam ausdehnen wird seinen Körper, ihn auch nicht zersprengen.|127|91}}
== Literatur ==
== Literatur ==
* [[Rudolf Steiner]]: ''Exkurse in das Gebiet des Markus-Evangeliums'', [[GA 124]] (1995), 6. Vortrag (16. Januar 1911, Berlin) {{Vorträge|124}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Die Mission der neuen Geistesoffenbarung'', [[GA 127]] (1989), 4. Vortrag (11. Februar 1911, München) und 6. Vortrag (25. Februar 1911, Zürich) {{Vorträge|127}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Erdenwissen und Himmelserkenntnis'', [[GA 221]] (1998), ISBN 3-7274-2210-6 {{Vorträge|221}}


{{GA}}
'''Lexikonartikel'''´
* {{SEP|http://plato.stanford.edu/entries/schutz/||Michael Barber}}
* {{NDB|23|658|660|Schütz (Schutz), Alfred|Dirk Kaesler|118611135}}
* {{BBKL|s/s1/schuetz_al|band=9|spalten=1054-1056|autor=Kay-Volker Koschel|artikel=SCHÜTZ, Alfred}}
 
'''Aufsätze'''
* Jochen Dreher: ''Alfred Schutz'' In: George Ritzer, Jeff Stepnisky (Hrsg.): ''The Wiley-Blackwell Companion to Major Social Theorists, Vol. I'' Wiley-Blackwell, Oxford 2011, ISBN 978-1-4443-3078-6, S. 489-510.
* Thomas S. Eberle: ''Schütz' Lebensweltanalyse. Soziologie oder Protosoziologie?'' In: Angelica Bäumer, [[Michael Benedikt (Philosoph)|Michael Benedikt]] (Hrsg.): ''Gelehrtenrepublik – Lebenswelt. [[Edmund Husserl]] und Alfred Schütz in der Krisis der phänomenologischen Bewegung.'' Passagen, Wien 1993, ISBN 3-900767-77-7, S. 293–320.
* [[Martin Endreß]]: ''Alfred Schütz. Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt.'' In: [[Dirk Kaesler]], [[Ludgera Vogt]] (Hrsg.): ''Hauptwerke der Soziologie.'' 2. Auflage. Kröner, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-520-39602-0, S. 371–377.
* Martin Endreß: ''Alfred Schütz.'' In: Dirk Kaesler (Hrsg.): ''Von [[Auguste Comte]] bis Alfred Schütz'' (Klassiker der Soziologie; Band 1). 5. Auflage. Beck, München 2006, ISBN 3-406-54749-4, S. 338–357.
* [[Hubert Knoblauch]]: ''Diskurs, Kommunikation und Wissenssoziologie.'' In: [[Reiner Keller]] u.a. (Hrsg.): ''Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse.'' Band 1: ''Theorien und Methoden.'' VS, Wiesbaden 2001, ISBN 3-8100-2851-7, S. 207–223.
* Hubert Knoblauch, Thomas Luckmann: ''Gattungsanalysw.'' In: Uwe Flick u.a. (Hrsg.): ''Qualitative Forschung.'' Rowohlt, Reinbek 2000, ISBN 3-499-55628-6, S. 538–546 (früherer Titel ''Handbuch qualitative Sozialforschung'').
* George Psathas: ''Alfred Schutz's Influence on American Sociologists and Sociology.'' In: ''Human Studies'', Band 27, 2004, S. 1–35.
* Steven Vaitkus: ''Phenomenology and Sociology.'' In: Bryan S. Turner (Hrsg.): ''The Blackwell Companion to Social Theory.'' Blackwell Publ., London 2000, ISBN 0-631-21366-X, S. 270–298.
 
'''Bücher'''
* Martin Endreß: ''Alfred Schütz'' (Klassiker der Wissenssoziologie; Band 3). UVK, Konstanz 2006, ISBN 978-3-89669-547-5.
* [[Richard Grathoff]]: ''Alfred Schütz.'' In: Dirk Kaesler (Hrsg.): ''Von [[Max Weber|Weber]] bis [[Karl Mannheim|Mannheim]]'' (Klassiker des soziologischen Denkens; Band 2). Beck, München 1978, ISBN 3-406-06457-4.
* Richard Grathoff (Hrsg.): ''Briefwechsel 1939–1959. (Alfred Schütz und Aron Gurwitsch)'' (Übergänge; Band 4.). Fink, München 1985, ISBN 3-7705-2260-5 (mit einer Einleitung von [[Ludwig Landgrebe]]).
* Michael Hanke: ''Alfred Schütz. Einführung.'' Passagen, Wien 2002, ISBN 3-85165-434-X.
* Peter J. Opitz (Hrsg.): ''Briefwechsel über „Die neue Wissenschaft der Politik“. (Alfred Schütz mit [[Eric Voegelin]] & [[Leo Strauss]] & Aron Gurwitsch).'' Alber, Freiburg i. Br. 1993, ISBN 3-495-47757-8 (Alber-Reihe praktische Philosophie; 46.).
* Wolfgang L. Schneider: ''[[Max Weber|Weber]], [[Talcott Parsons|Parsons]], [[Margaret Mead|Mead]], Schütz'' (Grundlagen der soziologischen Theorie; Band 1). VS, Wiesbaden 2002, ISBN 978-3531-15829-7.
* Ilja Srubar: ''Kosmion. Die Genese der pragmatischen Lebenswelttheorie von Alfred Schütz und ihr anthropologischer Hintergrund.'' Suhrkamp, Frankfurt am Main 1988, ISBN 3-518-57891-X.
 
== Siehe auch ==
* [[Appräsentation]]
* [[Phänomenologische Soziologie]]
 
== Weblinks ==
* {{DNB-Portal|118611135}}
* [http://www.waseda.jp/Schutz/AlfredEng.htm Alfred Schutz Archive] des Department of Sociology der [[Waseda-Universität]]; mit umfangreicher Bibliographie
* {{IEP|http://www.iep.utm.edu/s/schutz.htm||Lester Embree}}
* [http://www.soziologie.phil.uni-erlangen.de/research/alfred-schuetz-werkausgabe Editionsprojekt der Alfred Schütz Werkausgabe] an der [[Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg]]
* [http://www.uvk.de/asw/index.html Alfred Schütz Werkausgabe (UVK)]
* [http://www.kfunigraz.ac.at/sozwww/agsoe/lexikon/klassiker/schutz/41bib.htm Bibliografie von Alfred Schütz] an der [[Karl-Franzens-Universität Graz]]
* [http://cms.uni-konstanz.de/soz-archiv/aktuelles/ Alfred-Schütz-Gedächtnis–Archiv] im Sozialwissenschaftlichen Archiv Konstanz der [[Universität Konstanz]]
* Alfred Schütz im [http://koloss3.mykowi.net/index.php?option=com_content&view=article&id=9&Itemid=10 kommunikationswissenschaftlichen Lern-Online-Software-System (KOLOSS)] auf [http://www.mykowi.net myKoWi.net] (Universität Duisburg-Essen); mit Foto
* [http://de.wikibooks.org/wiki/Soziologische_Klassiker/_Sch%C3%BCtz,_Alfred  wikibooks Alfred Schütz]
 
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Version vom 5. April 2013, 02:20 Uhr

Alfred Schütz (* 13. April 1899 in Wien; † 20. Mai 1959 in New York City) war ein aus Österreich stammender Jurist, Philosoph und Soziologe, der als Begründer der phänomenologischen Soziologie gilt und sich – ausgehend von Edmund Husserl, Henri Bergson und Max Weber – der Frage der Intersubjektivität widmete.

Biographischer Hintergrund

Alfred Schütz war als Rechtsberater für Reitler & Co. in Wien, Paris und später New York tätig und widmete sich der phänomenologischen Soziologie anfangs nur in seiner Freizeit. Schütz hatte Rechtswissenschaften, Ökonomie und Philosophie studiert und sein Denken war u. a. von der „Österreichischen Schule der Nationalökonomie“ geprägt, die Ende des 19. Jahrhunderts von Carl Menger gegründet worden war. Die Menger-Schüler Friedrich von Wieser und Ludwig von Mises waren Lehrer Schütz’ in Wien, ebenso wie der Rechtsphilosoph Hans Kelsen und der dem Wiener Kreis nahestehende Felix Kaufmann. Auch seine Freunde Fritz Machlup und Erich Vögelin (in den USA: Eric Voegelin) übten intellektuellen Einfluss auf Schütz aus, letzterer regte ihn zu der Lektüre von Henri Bergson, einem bedeutenden Vertreter der Lebensphilosophie des 19. Jahrhunderts, und von Edmund Husserl, dem Begründer der Phänomenologie, an. 1932 erschien Schütz’ erste und zu Lebzeiten einzige Monographie Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt. Eine Einleitung in die verstehende Soziologie (1932), die die Sozialwissenschaften nachhaltig beeinflusst hat. In den Jahren 1938–1939 emigrierte Schütz über Frankreich in die USA. Durch die Freundschaft mit Aron Gurwitsch, einem aus Litauen stammenden Philosophen, den Schütz in Paris kennenlernte, intensivierte sich seine Beschäftigung mit Husserls Phänomenologie.

Der Begriff Phänomenologie wurde von Edmund Husserl geprägt und beschreibt jene Dinge, die uns als Phänomene gegeben sind („Ich bin, alles Nicht-Ich ist bloß Phänomen“). Husserl hatte den Versuch unternommen, neuropsychologische Erkenntnisse auszuschließen, da der Sinn seiner Meinung nach auf einer Ebene liegt, die nicht zugänglich ist. Damit der wahre Wesensgehalt einer Sache erkannt werden könne, müssten wir eine (phänomenologische) Reduktion vornehmen, die uns einen neutralen Blick auf die Dinge des Lebens erlaube (siehe dazu auch „Lebenswelt“). Auch war für Husserl das Denken selbst nicht existent, da wir stets nur von etwas „denken“ könnten. Schütz knüpfte an die Phänomenologie Husserls und dessen Vorstellung der Lebenswelt als intersubjektiv sinnvoller Welt an. Vor diesem Hintergrund fragte er nach den Prozessen der sozialen Konstitution von Sinn. In Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt versuchte Schütz die „Verstehende Soziologie“ Max Webers phänomenologisch zu fundieren. Ausgehend von Husserls Philosophie der Lebenswelt konzipierte Schütz eine Soziologie des Alltags.

Im amerikanischen Exil fand Schütz nur schwer Anschluss an die wissenschaftliche Gemeinschaft, die zu dieser Zeit von Talcott Parsons und dessen Strukturfunktionalismus dominiert war. Der Austausch zwischen Schütz und Parsons, den ihr Briefwechsel dokumentiert, scheiterte schließlich. Schütz fand auf andere Weise Zugang zur amerikanischen Sozialwissenschaft; einerseits wurde er Vorstandsmitglied der International Society of Phenomenology und 1941 Mitherausgeber der von Marvin Farber gegründeten Zeitschrift Philosophy and Phenomenological Research, andererseits begann er 1943 an der New School for Social Research in New York zu lehren. Diese außergewöhnliche Hochschule hatte sich zum Ziel gesetzt, europäisch-stämmige, in die USA emigrierte Sozialwissenschaftler zu unterstützen. 1952 wurde Schütz zum Full Professor an der New School berufen. Er starb sieben Jahre später, 1959. Sein geplantes und bereits begonnenes Hauptwerk Strukturen der Lebenswelt wurde posthum von seinem Schüler Thomas Luckmann vollendet. Ebenso erschien ein Großteil seiner Artikel erst posthum, gesammelt in Collected Papers I-III (1962, 1964, 1966), (deutsch: Gesammelte Schriften I-III, 1971).

Im Folgenden soll die theoretische Position dargestellt werden, die Schütz in Der sinnhaften Aufbau der sozialen Welt (1932), in Reflections on the Problem of Relevance (1970) (deutsch: Das Problem der Relevanz 1971) und in den Aufsätzen entwickelt hat, die sich in den Collected Papers I-III (1962, 1964, 1966) bzw. Gesammelten Aufsätzen I-III (1971) finden.

Die phänomenologische Begründung der Soziologie

In seiner Bemühung, eine philosophische Grundlegung der Sozialwissenschaften und dabei insbesondere der Soziologie zu erarbeiten, folgt Alfred Schütz dem Vorhaben Max Webers, Soziologie als strenge Wissenschaft auf handlungstheoretischer Basis zu begründen. Schütz kritisiert dabei an Weber, dass dieser zwar die Werkzeuge zum Verstehen des sozialen Sinns von Handlungen geschaffen hat, eine philosophische Begründung des Sinnverstehens aber unterlässt. Für Weber besteht soziales Handeln in der Verknüpfung von Verhalten und subjektivem Sinn. In seiner „Verstehenden Soziologie“ geht es vor allem darum, zu klären, wie ein wissenschaftlicher Beobachter den subjektiven Sinn, den ein Akteur mit seinem Handeln verbindet, erfassen kann. Er bestreitet dabei, dass dieser Sinn dem Akteur selbst unverfälschter oder zuverlässiger zugänglich ist als dem wissenschaftlichen Beobachter. Schütz setzt hingegen beim Handelnden selbst an und fragt nach der Konstitution subjektiven Sinns, d. h. wie der Akteur selbst Sinn erzeugt und erfährt. Dem wissenschaftlichen Beobachter ist der subjektive Sinn einer Handlung, wie ihn der Handelnde selbst erfährt, nicht zugänglich und sein Verständnis kann nie identisch mit dem des Akteurs sein.

Dieses Problem des Fremdverstehens betrifft nicht nur das Verhältnis zwischen Wissenschaftler und handelndem Subjekt. Wenn der Sinn einer Handlung nämlich nur demjenigen verständlich ist, der sie ausführt, nicht aber dem jeweils „Anderen“, stellt sich die Frage, wie unsere alltägliche Kommunikation als funktionierend empfunden werden kann. Wie ist gesellschaftliches Zusammenleben möglich, ohne den subjektiven Sinn zu kennen, den Andere mit ihren Handlungen verbinden? Schütz zufolge greifen Akteure im Alltag auf bestimmte Methoden zurück, die es ihnen ermöglichen, von einem intersubjektiv geteilten Sinn auszugehen. Er untersucht die Bedingungen und Prinzipien, die diese Erzeugung von intersubjektivem Sinn leiten.

Soziale Handlung, Sinn und Subjektivität

Vorerst geht die Analyse Schütz’ aber vom Ego, dem Erleben des einsamen Ichs aus. Bergson folgend, ergibt sich für Schütz sinnhaftes Handeln erst in der Reflexion des Ichs auf bereits vergangene Erlebnisse. Während des Vollzugs einer Handlung, also während des Handelns selbst, kann ihr vom Akteur kein Sinn beigelegt werden. Erst durch den Rückgriff auf den Entwurf oder Plan, der zu der Handlung führte, kann diese einen subjektiven Sinn entfalten. „Nur das Erlebte ist sinnvoll, nicht aber das Erleben“ (Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt: S. 49). Schütz unterscheidet strikt zwischen dem Handeln als Tätigkeit (lateinisch actio) und der Handlung als gedanklichen Entwurf (actum), wobei das Handeln das Sinnhafte in der Handlung (im „Handlungsentwurf“) findet. Diese Trennung zwischen Handeln und Handlung hebt Schütz’ Zugangsweise von der Webers ab, an dieser kritisiert Schütz:

Weber macht zwischen Handeln als Ablauf und vollzogener Handlung, zwischen dem Sinn des Erzeugens und dem Sinn des Erzeugnisses, zwischen dem Sinn eigenen und fremden Handelns, bzw. eigener und fremder Erlebnisse, zwischen Selbstverstehen und Fremdverstehen keinen Unterschied. Er fragt nicht nach der besonderen Konstitutionsweise des Sinnes für den Handelnden, nicht nach den Modifikationen, die dieser Sinn für den Partner in der Sozialwelt oder für den außenstehenden Beobachter erfährt, nicht nach dem eigenartigen Fundierungszusammenhang zwischen Eigenpsychischem und Fremdpsychischem, dessen Aufklärung für eine präzise Erfassung des Phänomens ‚Fremdverstehen‘ unerläßlich ist“ (Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt: S. 5).

In der Auseinandersetzung mit Webers Sinnbegriff stellt Schütz fünf Sinnschichten dar. Auf der Ebene der ersten Schicht ist Sinn unabhängig von einem konkreten Anderen, er wird vielmehr Dingen der Umwelt zugeschrieben (z. B. eine Tür lässt sich öffnen). Der zweite Sinnbegriff richtet sich auf die Existenz eines Anderen (z. B. weil jemand klopft, öffne ich die Tür), während der dritte schon das Verhalten des Anderen antizipiert (ich öffne die Tür und grüße). In der vierten Sinnschicht kommt es zu einer wechselseitigen Verhaltensorientierung, in der sich die Handlungen des Akteurs an dem erwarteten Verhalten des Anderen orientieren (ich überlege, ob ich ihn empfangen soll oder nicht). Aus diesen vier Schichten ergibt sich ein konstitutiver Sinnzusammenhang für den Handelnden selbst, d. h. für sein eigenes Verständnis der Handlung. Davon unterscheidet Schütz aber die fünfte Sinnstufe, die der Sinndeutung durch Andere. Die Aufgabe der Soziologen als möglicher „Anderer“ ist es, diese vierschichtige Sinnkonstitution des Handelnden zu verstehen.

Zusammenfassend lässt sich Schütz' Ansatz als eine Theorie der sozialen Handlung, nicht des sozialen Handelns bezeichnen. Über die Beschränkung auf abgeschlossene Handlungen hinaus, geht Schütz auch nur auf jene Bewusstseinserlebnisse ein, die auf ein alter ego (d. h. anderes Ich) bezogen sind, womit er den Anderen als ein Bewusstsein habendes Wesen meint, nicht nur den bloßen Leib. Ein wesentliches Element der Handlung, zu dessen Berücksichtigung Schütz durch die Theorien William James angeregt wurde, stellt der Wille zu ihrer Ausführung, der Entschluss, den Handlungsentwurf umzusetzen, dar.

Die Differenz zwischen den Perspektiven von ego und alter ist von grundlegender Bedeutung für Schütz und wird auch an seinem Konzept des Motivs deutlich. In seiner Konstitutionsanalyse, in der er nicht die Dinge analysiert, also das Soziale an sich, sondern wie diese auf uns wirken und wie sie von uns wahrgenommen werden, trifft er die Unterscheidung zwischen „Um-zu“-Motiven und „Weil“-Motiven. Dabei bilden erstere den Handlungsentwurf, der auf die zukünftige Realisierung der Handlung gerichtet ist, während letztere die (in der biographischen Vergangenheit des Handelnden liegenden) Gründe für dessen Entstehung angeben. Beispiel für ein „Um-zu“-Motiv: Der Täter beging den Überfall, um an das Geld des Opfers zu kommen. Zuerst findet der Handlungsentwurf statt, danach erfolgt das eigentliche Handeln – hier wird beschrieben, wie es zum Handeln kommt. Beispiel für ein „Weil“-Motiv: Der Täter beging den Überfall, weil er aus schlechten Verhältnissen stammte. In diesem Motiv wird dargestellt, wie es zum Handlungsentwurf kommt. Diese Vorgehensweise ermöglicht eine personale (subjektive) Idealtypus-Konstruktion, die durch den Vergleich mit alltäglichen sozialweltlichen Situationselementen das Verstehen von Handeln ermöglicht (und sei es durch Post-hoc-Erklärungen). Der hier erwähnte Idealtypus ist als Messeinheit zu sehen, nicht aber als ein Wert, den es anzustreben gilt. Bei der Frage nach dem Motiv einer Handlung ist die Perspektive maßgeblich: Das Um-zu-Motiv stellt den Sinn der Handlung dar, wie er vom Handelnden selbst unmittelbar verstanden wird. Der Beobachter muss danach fragen, was der Akteur beabsichtigt, welchen Sinn er selbst seiner Handlung gibt, um das Um-zu-Motiv zu erschließen. Bezüglich des Weil-Motivs befinden sich Beobachter und Handelnder in einer ähnlichen Situation. Da die Hintergründe für die Entstehung des Handlungsentwurfs in der Vergangenheit liegen und mit der Handlung nicht unmittelbar zu tun haben, muss sich auch der Handelnde zu sich selbst als Beobachter verhalten, um seine Weil-Motive zu erforschen. Er hat keinen privilegierten Zugang zu ihnen.

Lebenswelt und Soziologie des Alltags

Der von Husserl stammende Begriff der Lebenswelt, die Schütz als „Gesamtzusammenhang der Lebenssphäre“ (Gesammelte Aufsätze I: S. 284) begreift, meint die intersubjektiv sinnhafte Welt, an der Menschen durch ihre alltäglichen Handlungen, durch ihre natürliche (d. h. vorwissenschaftliche) Erfahrung teilhaben. In den frühen 40er Jahren vollzieht sich im Werk Schütz’ eine Wende zur Soziologie des Alltags, die auf ebendieser lebensweltlichen Fassung beruht. Grund für Schütz’ Distanzierung von der phänomenologischen Reduktion und für seine Hinwendung zu Phänomenen der Lebenswelt und zu der mundanen Intersubjektivität, ist seine Enttäuschung über Husserls Fünfte Cartesianische Meditation. In ihr findet Schütz nicht die erhoffte Lösung des Intersubjektivitätsproblems; seiner Meinung nach gelingt es Husserl nicht, „die Intersubjektivität alles Erkennens und Denkens transzendental abzuleiten“, wie es Schütz noch im Sinnhaften Aufbau erwartet hatte (Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt: S. 30). Er wendet sich stattdessen im Zusammenhang mit der Möglichkeit von Intersubjektivität Max Scheler zu. Dessen Annahme, dass die Erfahrung der Gemeinschaft, des Wir, jeder Erfahrung vom Ich vorausgeht und diese fundiert, belegt für Schütz die Wichtigkeit der alltagsweltlichen Phänomene. Der Sozialität als lebensweltlichem Sachverhalt, nicht als phänomenologisch-transzendentalem, gilt folglich Schütz’ Interesse. Die Soziologie habe sich als eine Soziologie des Alltags der Erforschung der mundanen Intersubjektivität zu widmen, insbesondere solle sie die „invarianten eigenwesentlichen Strukturen[…] einer Gemeinschaft“ (Gesammelte Aufsätze I: S. 138) untersuchen. Dieses Ziel Schütz’ drückt sich auch im Titel seines von Thomas Luckmann fertiggestellten Hauptwerkes Strukturen der Lebenswelt aus.

Geprägt ist die Struktur der Lebenswelt durch die „natürliche Einstellung“, die dem Menschen die Existenz seiner alltäglichen Welt, die Erfahrungen, die er in ihr macht, und die Bedeutungen, die die Dinge in ihr haben, natürlich und unhinterfragbar erscheinen lassen. Als Ganzes kann diese Lebenswelt nicht in Zweifel gezogen werden, höchstens einzelne Aspekte sind hinterfragbar. Der Mensch orientiert sich in ihr, indem er pragmatischen Maximen folgt und Handlungsroutinen etabliert. Ihre Stabilität bezieht die Lebenswelt folglich auch aus der Zuversicht des Handelnden, dass sich Erlebnisse und Situationen gleichförmig gestalten und er selbst, auf seine Erfahrungen aufbauend, auch in Zukunft bestimmte Fähigkeiten einsetzen und Handlungen ausführen kann, die sich schon in der Vergangenheit bewährt haben.

Die Lebenswelt ist immer schon eine soziale Welt, die dem Einzelnen vorausgeht und von früheren Generationen erfahren und interpretiert wurde. In dem Sinne, dass sie mit anderen Menschen geteilt und gemeinsam gedeutet und kommuniziert wird, ist sie eine intersubjektive Welt und alles Wissen von und in ihr ist intersubjektiv. Der Wissensvorrat, auf den ein Mensch zurückgreift ist nur zu einem sehr geringen Teil persönlicher Natur; ein Großteil des Wissens ist sozial abgeleitet, indem es gesellschaftlich entwickelt und weitergegeben wird. Wissen ist in der Auffassung Schütz die Summe aller Fertigkeiten, Erwartungen und Überzeugungen, aller Wahrnehmungsmuster und Handlungsrezepte, unabhängig ob sie im wissenschaftlichen Sinne als wahr gelten würden, sofern sie von einer gesellschaftlichen Gruppe als Wissen angesehen werden.

In seinem Aufsatz On Multiple Realities (1945), von William James deutlich beeinflusst, manifestiert sich Schütz’ Interesse an der Lebenswelt und deren Sinnzusammenhang, der sich in alltäglichen Sozialbeziehungen herausbildet, als eine Untersuchung von Merkmalen wie Bewusstseinsspannung und Aufmerksamkeitsstruktur, Relevanzsystem und kognitiven Stil. Er entwickelt die Theorie, dass es innerhalb der menschlichen Erfahrung vielfältige Sinnprovinzen (wie z. B. die Alltagswelt, die Welt des Traumes, des Spiels, der Wissenschaft, der Religion, der Kunst usw.) gibt, an denen der Mensch teilhaben kann. Eine herausragende Stellung nimmt dabei die Welt des Alltag ein, die als „paramount reality“ den „Archetyp unserer Erfahrung der Wirklichkeit“ darstellt (Gesammelte Aufsätze I: S. 267). Diese privilegierte Position der Alltagswelt und des alltäglichen Wissens beeinflusst auch Schütz’ Konzeption der Beziehung zwischen Wissenschaft und Alltag. Die Welt des Alltags unterscheidet sich von anderen Sinnprovinzen durch den spezifischen kognitiven Stil, wie die Wirklichkeit erlebt wird. Beispielsweise hebt sich das Erleben im Alltag bezüglich der Bewusstseinsspannung durch den Zustand der Wachheit, durch die völlige Aufmerksamkeit auf die Wirklichkeit von der Welt des Traumes ab, in der keinerlei Interesse an der Realität besteht. Des Weiteren zeichnet sich die Welt des Alltags dadurch aus, dass an ihr nicht gezweifelt wird und sich die Menschen in ihr als Handelnde erfahren, während der Träumer weder handelt noch auf äußere Sachverhalte einwirken kann. Ein wesentliches Merkmal der Alltagswelt ist ihre Sozialität; alltägliche Erfahrung ist grundlegend auf Kommunikation und soziales Handeln ausgerichtet. Und schließlich stellen auch die spezifische Selbsterfahrung und Zeitperspektive Merkmale dar, die die Welt des Alltags von anderen Sinnbereichen und Formen der Welterfahrung unterscheidet. In The Stranger: An Essay in Social Psychology (1944) und The Homecomer (1945) beschäftigt sich Schütz eingehender mit den Problemen, vor allem mit der Infragestellung der Identität des Menschen, die der Übergang von einer Sinnprovinz in eine andere nach sich ziehen kann.

Wie die Struktur unserer Erfahrung von der jeweiligen Sinnprovinz abhängt, ist auch die alltägliche Sozialwelt nach der Art unterteilbar, in der das Handeln der Anderen dem Akteur zugänglich ist. Schütz unterscheidet zwischen sozialer Umwelt, Mitwelt und Vorwelt und beschreibt die verschiedenen Ausprägungen, die das Problem intersubjektiven Verstehens in den jeweiligen sozialen Sphären annimmt. Face-to-face-Interaktionen vollziehen sich in der sozialen Umwelt; diese zeichnet sich folglich durch die unmittelbare Präsenz alters für das ego an einem gemeinsamen Ort aus und ermöglicht eine direkte reziproke Reaktion auf Gesagtes und soziale Handlungen. Das Gelingen intersubjektiven Verstehens ist bei dieser Art des sozialen Kontaktes am wahrscheinlichsten, da sich die Interaktionspartner wechselseitig versichern können, ob ihre Deutungsschemata, ihre Sichtweisen der „Welt“ übereinstimmen und die Möglichkeit der kommunikativen Rückkopplung gegeben ist. Die soziale Mitwelt grenzt an den engen Kern der Umwelt und stellt alle Akteure dar, die für das ego prinzipiell erreichbar sind, weil sie zur gleichen Zeit leben, sich aber nicht am gleichen Ort aufhalten. Wissen über den Anderen, seine Motive und Sinnzusammenhänge kann nicht unmittelbar erworben werden. Ego muss sich an typisierten Erwartungen und Motiven orientieren, die oft starken sozialen Standardisierungen und Normierungen unterworfen sind (z. B. formale Anreden in Briefen an Unbekannte). Die soziale Vorwelt ist weder unmittelbar noch mittelbar für den Akteur zu erreichen, da sie nicht seiner Gegenwart angehören. Er kann keinerlei Kontakt aufnehmen und ist auf eine einseitige Interpretation angewiesen. Dementsprechend gering ist die Wahrscheinlichkeit intersubjektiven Verstehens.

Typik und Relevanz

Die Hindernisse, die intersubjektivem Verstehen, zumindest einem vollständigen Verstehen, entgegenstehen, differieren abhängig von der sozialen Sphäre. Wie ist Fremdverstehen dann aber überhaupt denkbar? Schütz’ Generalthese der Existenz des alter ego darf als grundlegende Voraussetzung dafür gelten, denn nur wenn davon ausgegangen wird, dass der Andere wirklich und prinzipiell gleichartig ist, besteht die Möglichkeit zu Intersubjektivität. Der spezifische Sinn, den der Andere als ein in gleicher Weise bewusstes, denkendes und erinnerndes Wesen seinen Handlungen zugrunde legt, ist erschließbar, indem das Ich die eigenen Bewusstseinsleistungen und Sinnkonstitutionen untersucht. Um die Sichtweise alters einzunehmen muss ego also von der Annahme ausgehen, dass auch der Andere Interpretationsschemata verwendet, Handlungsmotive verfolgt und strukturidentische Gedankenströme besitzt, wenngleich diese von denen egos in ihrer spezifischen Ausgestaltung abweichen. Neben dem Vertrauen darauf, dass der Andere auf ähnliche Weise Wissen über die Welt generiert, ist das Handeln im Alltag im weiteren von der zumeist unbewussten Annahme geleitet, dass die Verschiedenartigkeit unseres Wissens über die Welt darauf beruht, dass der Andere aufgrund seiner biographischen Situation und seiner Position im Raum eine Perspektive einnimmt, die sich von der egos unterscheidet. Auch wenn sich die Differenz der Perspektiven nie vollständig aufheben lässt, kann sie doch für spezifische Interaktionssituationen neutralisiert werden. Dazu bedient sich der Mensch laut Schütz der Generalthese der Reziprozität der Perspektiven, die auf zwei Idealisierungen beruht, nämlich der Idealisierung der Austauschbarkeit der Standpunkte und der Idealisierung der Übereinstimmung der Relevanzsysteme.

Auf der Idealisierung der Austauschbarkeit der Standpunkte gründet sich die Sicherheit, dass ich das gleiche wahrnehmen würde wie mein Gegenüber, wäre ich an seiner Stelle und dass ich die Dinge in gleicher Perspektive, Distanz und Reichweite erfahren würde wie er. Darüber hinaus erwarte ich von ihm, dass er die gleiche Idealisierung vollzieht. Die Idealisierung der Übereinstimmung der Relevanzsysteme leugnet nicht, dass ich abhängig von meiner biographisch bestimmten Situation spezifische Interessen und Ziele habe und potentiell andere Dinge als relevant empfinde als mein Gesprächspartner, sie besagt vielmehr, dass beim Versuch einer Verständigung diese Unterschiede der Relevanzsysteme unbeachtet bleiben können. Für den momentanen Zweck, den der Andere und ich verfolgen, sind sie irrelevant. Vollziehen die Gesprächspartner diese Idealisierung wechselseitig ergibt sich im Alltag zumeist zwar keine vollständige – weil diese unmöglich ist –, aber eine für die Kommunikation ausreichende Übereinstimmung der Relevanzsysteme.

Um Schütz’ Herangehensweise an die Lösung des Intersubjektivitätsproblems nachzuvollziehen, ist es nötig, die Begriffe Typik und Relevanz zu erläutern. Unter Typik versteht Schütz jenes Phänomen der Alltagswelt, das uns Personen (und Gegenstände) nur in sehr spezifischen Situationen als konkret und einzigartig erfahren lässt, in den meisten Fällen greifen wir hingegen auf ein Verständnis anderer Akteure als typische Vertreter einer sozialen Rolle zurück. Aufgrund der sprachlichen Vermittlung einer Welt bereits etablierter Typisierungen, in die wir hineingeboren werden, lernen wir Hunde, Freunde usw. stets schon als typische Hunde, typische Freunde usw. kennen. Typisierungen blenden also das Besondere einer Person (oder eines Gegenstandes), die Vielfalt ihrer Persönlichkeit aus, indem sie auf Vorerfahrungen verweisen. Durch diese Abstraktion erleichtern sie uns Verständigungsprozesse. Wir müssen in Interaktionen nicht „von Null“ anfangen, sondern können uns darauf verlassen, dass die typisierte Wahrnehmung des Anderen und das Unterstellen typischer Motive und Sinnstrukturen ausreicht, um vor dem praktischen Hintergrund der Situation eine Verständigung zu erzielen. In diesem Sinne sind sowohl ego wie alter Träger sozialer Rollen, die sich als Bündel typischer Motive und Handlungsmuster darstellen. Typisierungen werden dabei wechselseitig von den Gesprächspartnern verwendet und antizipiert.

Konstruiere ich den anderen als nur partielles Selbst, als Darsteller typischer Rollen oder Funktionen, so findet dies eine Entsprechung im Prozeß der Selbsttypisierung, der einsetzt, sobald ich mit dem Anderen in soziale Wirkensbeziehungen eintrete. Ich nehme an einer solchen Beziehung auch nicht als ganze Persönlichkeit, sondern nur mit bestimmten Persönlichkeitsschichten teil. Indem ich die Rolle des Anderen definiere, nehme ich selbst eine Rolle an“ (Gesammelte Aufsätze I: S. 21). Um das mit einem Beispiel zu illustrieren: Betrete ich einen Supermarkt und frage dort einen Angestellten, in welchen Regal französischer Rotwein zu finden ist, lege ich nicht nur seine Rolle als typischer Supermarkt-Angestellter fest, der mir die gewünschte Auskunft – mehr oder weniger freundlich – erteilen wird, sondern auch meine als typischer Käufer. Für das Gelingen der Kommunikation spielt es weder eine Rolle, warum ich französischen Rotwein und nicht Weißwein kaufen will und warum gerade in diesem Supermarkt, noch warum er für diesen Supermarkt arbeitet o.ä.

Obwohl die alltäglichen Typisierungen auf einem persönlichen, wenn auch gesellschaftlich beeinflussten Relevanzsystem beruhen, wird ihm selbst kaum Beachtung geschenkt. Relevanz ist vor allem dann feststellbar, wenn alltägliche Typisierungen zu einem Problem werden. In seinem Aufsatz Strukturen der Lebenswelt (Gesammelte Aufsätze III: S. 154) umreißt Schütz sein Forschungsinteresse hinsichtlich des Problems der Relevanz anhand dreier Fragen: „Wie kommt es überhaupt zur Stellung eines Problems, nämlich dazu, daß uns das fraglich gewordene auch des Fragens würdig erscheint? Was ist für die Lösung eines Problems relevant? Wann erscheint es uns als für unsere Zwecke ‚hinreichend‘ gelöst, so daß wir weitere Untersuchungen abbrechen?

Schütz unterscheidet drei Problemdimensionen. Die thematische Relevanz ist als Aufmerksamkeit oder Interesse für einen bestimmten Ausschnitt der Wirklichkeit gekennzeichnet; dieser Gegenstand wird für mich zum Thema. Vor dem Hintergrund meiner typischen Erfahrungen kann das Problem Auslegungs- oder Interpretationsrelevanz erfahren, wenn ich nämlich aus dem mir zur Verfügung stehenden Wissensvorrat bestimmte Typisierungen und Interpretationsschemata zur Lösung des Problems auswähle. Von motivationaler Relevanz spricht Schütz schließlich, wenn die Handlungsentwürfe, das System von Um-zu- und Weil-Motiven problematisiert werden. Soziales Handeln im Alltag ist in den Relevanzstrukturen begründet. Da es durch wechselseitige Motivverkettung zu intersubjektiven Verstehen führen soll, ist soziales Handeln laut Schütz im Wesentlichen als Problemlösungssituation einer Face-to-face-Interaktion gekennzeichnet. Aus solchen konkreten „Wir-Beziehungen“ leitet sich jede Typik ab.

Die fundamentale Erfahrung des „Wir“ in der Unmittelbarkeit einer Face-to-face-Interaktion begründet die Fähigkeit zu intersubjektiven Verstehen. Da sich jede Typik aus einer konkreten „Wir-Beziehung“ ableitet, ist das auch für das typische Verstehen der Fall. Diese Typik bestimmt das mittelbare Erleben von mitweltlichen, d. h. abwesenden Anderen. Aber auch die Unmittelbarkeit einer umweltlichen Beziehung weist einen Bezug zu anderen Alltagswelten, zur Mitwelt und Vorwelt auf; und dieser Bezug hat eine Typik, er verweist auf Akte eines mittelbaren Erlebens, und damit auf Abgeleitetes, Appräsentes (d. h. nicht wahrgenommenes „Mitbewusstes“, das assoziativ mit einem präsenten Gegenstand o. ä. verbunden ist, z. B. appräsentiert der Leib alters seine Innerlichkeit, die für ego nicht unmittelbar gegeben ist). Indem Schütz auch in der unmittelbaren Präsenz, die die „Wir-Beziehung“ kennzeichnet, eine Verbindung zu den appräsenten Momenten anderer Sinnprovinzen feststellt, schafft er eine Theorie situativer Transzendenz. Der Alltag, konkrete Interaktionssituationen und umweltliche Beziehungen werden durch die Typik transzendiert und mit sozial, historisch, mythisch oder wissenschaftlich Appräsenten in Beziehung gesetzt.

Wissenschaft und Alltagswelt

Aus den bisherigen Ausführungen ist hervorgegangen, dass Schütz die Wissenschaft als eine Sinnprovinz auffasst, die keineswegs über die des alltäglichen Lebens zu stellen ist. Diese Einordnung der Wissenschaft als einen Sinnbereich unter vielen, von denen nur die Alltagswelt der Beschreibung als „paramount reality“, als ausgezeichnete Wirklichkeit gerecht wird, stellt eine besondere Leistung des Schütz’schen Werkes dar. Hinsichtlich wissenschaftlicher Theorien trennt er strikt zwischen ihrem Entstehungs- und ihrem Verwendungszusammenhang und sieht ihren Zweck nicht in einem konkreten Verwertungsinteresse. „Die Bildung wissenschaftlicher Theorie [...] dient keinem praktischen Zweck. Ihr Ziel ist es nicht, die Welt zu beherrschen, sondern sie zu beobachten und sie nach Möglichkeit zu verstehen“ (Gesammelte Aufsätze I: S. 282). Für eine handlungsverstehende Soziologie gilt, die Prozesse der Sinnkonstitution und –interpretation der lebensweltlichen Akteure nachzuvollziehen. Damit unterscheiden sich die Sozialwissenschaften wesentlich von den Naturwissenschaften, deren Objektbereich keine bewusste Selbstdefinition und Deutung für sich beansprucht. „Das Beobachtungsfeld des Sozialwissenschaftlers, also die soziale Wirklichkeit, hat dagegen eine besondere Bedeutung und Relevanzstruktur für die in ihr lebenden, handelnden und denkenden menschlichen Wesen. Sie haben diese Welt, in der sie die Wirklichkeit ihres täglichen Lebens erfahren, in einer Folge von Konstruktionen des Alltagsverstandes bereits vorher ausgesucht und interpretiert“ (Gesammelte Aufsätze I: S. 68). Der Sozialwissenschaftler kann die Tatsache, dass Menschen ein Selbstverständnis ihrer subjektiv sinnhaften Handlungen entwickeln, nicht ignorieren, vielmehr muss er auf diesen Interpretationen und Konstruktionen aufbauen. „Daher sind die Konstruktionen der Sozialwissenschaften sozusagen Konstruktionen zweiten Grades, das heißt Konstruktionen von Konstruktionen jener Handelnden im Sozialfeld, deren Verhalten der Sozialwissenschaftler beobachten und erklären muß [...]“ (Gesammelte Aufsätze I: S. 68).

Schütz betont damit den – in ihrer spezifischen Art der Welterfassung begründeten – konstruktiven Charakter der Sozialwissenschaften. Er formuliert Anforderungen, denen die Wissenschaft in ihrer Bemühung Wirklichkeit in modellhafter und idealtypischer Weise verstehend nachzuzeichnen, gerecht werden muss. Das Postulat der logischen Konsistenz fordert, dass die vom Wissenschaftler konstruierten Typisierungen und Idealtypen mit Grundsätzen der formalen Logik vereinbar sind und ihre Formulierung möglichst klar und deutlich ist. Das Postulat der Rationalität soll die potentielle Verifizierung wissenschaftlicher Annahmen und die Konstruktion eines validen Modells sozialer Wirklichkeit sicherstellen. Dem Postulat der subjektiven Auslegung entsprechend, müssen die wissenschaftlichen Idealtypen auf den subjektiven Sinn, den sie in der Lebenswelt entfalten, rückführbar sein. Und schließlich sollen die Begriffe, denen sich der Wissenschaftler bedient, dem Postulat der Adäquanz folgend, auch für den alltagsweltlichen Akteur selbst verstehbar und vernünftig sein.

Bedeutung des Schütz’schen Werkes für die Sozialwissenschaften

Gleichwohl sich das Werk von Schütz hervorragend für philosophisch orientiertes Arbeiten eignet, blieben doch Möglichkeiten für empirisch forschende Ansätze nur schwach ausgebildet. Das änderte sich erst mit Harold Garfinkels Ethnomethodologie, die das Schütz'sche Werk als theoretische Vorarbeit nutzt.

Dass es einige Zeit in Anspruch nahm, bis Schütz’ phänomenologischer Ansatz in den Sozialwissenschaften rezipiert wurde, mag vielerlei Gründe haben. Schließlich war er lange gezwungen, seiner theoretischen Arbeit nur in den Nächten und Urlauben, außerhalb seiner Tätigkeit als Bankier, nachzugehen. Als er fast vierzigjährig emigrieren musste, war sein auf Deutsch erschienenes Erstlingswerk Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt in den USA kaum bekannt. Dort wurde das akademische Leben einerseits von der Idee spezifisch empirischer Forschung, vertreten von Robert K. Merton und Paul Lazarsfeld (Columbia University), dominiert, andererseits hatte Talcott Parsons (Harvard University) Strukturfunktionalismus enormen Einfluss auf die amerikanische Soziologie. Die positivistisch-quantitative Forschungsweise des department of sociology der Columbia University unterschied sich stark von der humanistischen Orientierung der New School, an der Schütz lehrte, und setzte sich im wissenschaftlichen Klima der 1950er Jahre, das angewandter Soziologie den Vorzug gab, durch. Eine Annäherung der theoretischen Positionen Schütz’ und Parsons schlug fehl, wie ihr Briefwechsel dokumentiert. Darüber hinaus waren viele von Schütz’ Artikeln, oft in philosophischen Fachzeitschriften veröffentlicht, der Allgemeinheit nur schwer zugänglich.

So ist es kaum verwunderlich, dass Schütz zu Lebenszeiten in akademischen Kreisen kaum wahrgenommen wurde. Umso bedeutsamer war aber sein Einfluss auf Sozialwissenschaftler, die bei Schütz an der New School studierten. Maurice Natanson befasste sich vor dem Hintergrund der existentialistischen Tradition mit einer philosophischen Grundlegung der Rollentheorie, während sich Richard Zaner der Frage der Intersubjektivität und der Relevanz widmete. Schütz übte starken Einfluss auf den Soziologen Helmut Wagner aus, der die Richtung und Inhalte seiner Forschungstätigkeit über seine Schütz-Anhängerschaft definierte. Zwei andere Studenten Schütz’, die es zu großer Bekanntheit gebracht haben, sind Peter L. Berger und Thomas Luckmann. Vor allem in ihrem gemeinsamen Werk Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit führten sie die Gedanken ihres Lehrers weiter und trugen wesentlich zur Verbreitung von ihm angeregter Überlegungen bei. Sie brachten eine sozial-konstruktivistische, wissenssoziologische Theorie zur Entfaltung, die sich auf Schütz beruft, aber wesentlich über ihn hinausgeht. Über Berger und Luckmann fanden auf Schütz zurückgehende theoretische Annahmen auch Einzug in die Organisationstheorie, insbesondere in die Grundannahmen des Neoinstitutionalismus.

Die stärkste Modifikation haben Schütz’ Gedanken in ihrer Beeinflussung Harold Garfinkels erfahren, der als der Begründer der Ethnomethodologie gilt. In seinen frühen Untersuchungen benutzte Garfinkel Schütz theoretische Einsichten in der Absicht, Parsons Annahmen zur sozialen Ordnung empirisch zu überprüfen. Er kam schließlich zu der Ansicht, dass Parsons hinsichtlich einer gesellschaftlich geteilten Kultur und der Zweckrationalität als bestimmend für gelingende Interaktion irrt. Garfinkel wendete sich der Untersuchung der Methoden zu, die Alltagsakteure verwenden, um ihr Wissen und ihre Auffassungen zu kommunizieren. Rationalität, Sinn und gelingende Verständigung stellen als Ergebnis sozialen Handelns die Leistung von Akteuren dar. Wenn auch nicht davon gesprochen werden kann, dass Garfinkel an Schütz’ Gedanken und Arbeit anschließt und diese fortsetzt, so wären die Anfänge der Ethnomethodologie doch undenkbar ohne die theoretische und methodische Vorarbeit von Schütz.

Schriften

Einzelausgaben

  1. Das Problem der sozialen Wirklichkeit. Mit einer Einführung von Aron Gurwitsch. 1971, ISBN 90-247-5116-0.
  2. Studien zur soziologischen Theorie. Arvid Brodersen (Hrsg.). 1972, ISBN 90-247-1498-2.
  3. Studien zur phänomenologischen Philosophie. Ilse Schütz (Hrsg.). 1971, ISBN 90-247-1169-X.
  • Das Problem der Relevanz. Hrsg. und erläutert von Richard M. Zaner. Mit einer Einleitung von Thomas Luckmann. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1982, ISBN 3-518-27971-8.
  • Zur Theorie sozialen Handelns. Ein Briefwechsel („The theory of social action. The correspondence of Alfred Schutz and Talcott Parsons“). Suhrkamp, Frankfurt am Main 1977, ISBN 3-518-07802-X.
  • Theorie der Lebensformen. Frühe Manuskripte aus der Bergson-Periode (stw; Bd. 350). Herausgegeben und eingeleitet von Ilja Srubar. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1981, ISBN 3-518-07950-6.

Werkausgabe

  • Richard Grathoff, Hans-Georg Soeffner und Ilja Srubar (Hrsg.): Alfred Schütz-Werkausgabe. UVK-Verlag, Konstanz 2003 ff.

Literatur

Lexikonartikel´

Aufsätze

  • Jochen Dreher: Alfred Schutz In: George Ritzer, Jeff Stepnisky (Hrsg.): The Wiley-Blackwell Companion to Major Social Theorists, Vol. I Wiley-Blackwell, Oxford 2011, ISBN 978-1-4443-3078-6, S. 489-510.
  • Thomas S. Eberle: Schütz' Lebensweltanalyse. Soziologie oder Protosoziologie? In: Angelica Bäumer, Michael Benedikt (Hrsg.): Gelehrtenrepublik – Lebenswelt. Edmund Husserl und Alfred Schütz in der Krisis der phänomenologischen Bewegung. Passagen, Wien 1993, ISBN 3-900767-77-7, S. 293–320.
  • Martin Endreß: Alfred Schütz. Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt. In: Dirk Kaesler, Ludgera Vogt (Hrsg.): Hauptwerke der Soziologie. 2. Auflage. Kröner, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-520-39602-0, S. 371–377.
  • Martin Endreß: Alfred Schütz. In: Dirk Kaesler (Hrsg.): Von Auguste Comte bis Alfred Schütz (Klassiker der Soziologie; Band 1). 5. Auflage. Beck, München 2006, ISBN 3-406-54749-4, S. 338–357.
  • Hubert Knoblauch: Diskurs, Kommunikation und Wissenssoziologie. In: Reiner Keller u.a. (Hrsg.): Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse. Band 1: Theorien und Methoden. VS, Wiesbaden 2001, ISBN 3-8100-2851-7, S. 207–223.
  • Hubert Knoblauch, Thomas Luckmann: Gattungsanalysw. In: Uwe Flick u.a. (Hrsg.): Qualitative Forschung. Rowohlt, Reinbek 2000, ISBN 3-499-55628-6, S. 538–546 (früherer Titel Handbuch qualitative Sozialforschung).
  • George Psathas: Alfred Schutz's Influence on American Sociologists and Sociology. In: Human Studies, Band 27, 2004, S. 1–35.
  • Steven Vaitkus: Phenomenology and Sociology. In: Bryan S. Turner (Hrsg.): The Blackwell Companion to Social Theory. Blackwell Publ., London 2000, ISBN 0-631-21366-X, S. 270–298.

Bücher

  • Martin Endreß: Alfred Schütz (Klassiker der Wissenssoziologie; Band 3). UVK, Konstanz 2006, ISBN 978-3-89669-547-5.
  • Richard Grathoff: Alfred Schütz. In: Dirk Kaesler (Hrsg.): Von Weber bis Mannheim (Klassiker des soziologischen Denkens; Band 2). Beck, München 1978, ISBN 3-406-06457-4.
  • Richard Grathoff (Hrsg.): Briefwechsel 1939–1959. (Alfred Schütz und Aron Gurwitsch) (Übergänge; Band 4.). Fink, München 1985, ISBN 3-7705-2260-5 (mit einer Einleitung von Ludwig Landgrebe).
  • Michael Hanke: Alfred Schütz. Einführung. Passagen, Wien 2002, ISBN 3-85165-434-X.
  • Peter J. Opitz (Hrsg.): Briefwechsel über „Die neue Wissenschaft der Politik“. (Alfred Schütz mit Eric Voegelin & Leo Strauss & Aron Gurwitsch). Alber, Freiburg i. Br. 1993, ISBN 3-495-47757-8 (Alber-Reihe praktische Philosophie; 46.).
  • Wolfgang L. Schneider: Weber, Parsons, Mead, Schütz (Grundlagen der soziologischen Theorie; Band 1). VS, Wiesbaden 2002, ISBN 978-3531-15829-7.
  • Ilja Srubar: Kosmion. Die Genese der pragmatischen Lebenswelttheorie von Alfred Schütz und ihr anthropologischer Hintergrund. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1988, ISBN 3-518-57891-X.

Siehe auch

Weblinks

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