Vier Temperamente und Transzendental: Unterschied zwischen den Seiten

Aus AnthroWiki
(Unterschied zwischen Seiten)
imported>Michael.heinen-anders
 
imported>Joachim Stiller
 
Zeile 1: Zeile 1:
Die '''vier Temperamente''' ([[Latein|lat.]] ''temperamentum'' „das richtige Maß, die richtige Mischung“, von [[Latein|lat.]] ''temperare'' „mäßigen, mischen“; im 16. Jahrhundert im Sinne von „ausgeglichenes Mischungsverhältnis“ in der Pharmazie verwendet), bestimmen die die mehr oder weniger ''dauerhafte'' Grundgestimmtheit oder [[Gemüt]]sart des [[Mensch]]en. Grundsätzlich verfügt ''jeder'' Mensch über ''alle vier'' Temperamente, die ganz individuell auf die vielfältigste Weise gemischt sind. Im Idealfall sind alle vier Temperamente im harmonischen Gleichgewicht, in der Regel gibt es aber Akzentverschiebungen, durch die meist ein Temperamente stärker hervorsticht, die zwei benachbarten mitschwingen und das vierte, gegensätzliche in den Hintergrund tritt.
Das Adjektiv '''transzendental''' (von {{laS|transcendere}}, „überschreiten“) wird in [[Erkenntnistheorie|erkenntnistheoretischen]] Zusammenhängen mit Bezug auf die Erfahrung verwendet. Es bezeichnet Vorstellungen oder Erkenntnisfunktionen, die nicht durch [[Empirie|empirische]] Erfahrung erworben werden können, deren Gültigkeit aber angenommen werden muss, damit die Erfahrung einen Wahrheitsgehalt hat und folglich Erkenntnis und Wissen möglich sind. Da sie also eine jede mögliche empirische Erfahrung überschreiten, aber von dieser nicht losgelöst ([[Transzendenz|transzendent]]) sind, bezeichnet Kant diese Eigenschaft transzendental. Als ''transzendental'' wird daher auch die Untersuchung der allgemein-notwendigen Bedingungen bezeichnet, die Erkenntnis ermöglichen und wahre Überzeugungen als Wissen rechtfertigen – diese ist das Programm der [[Transzendentalphilosophie]], wie es [[Immanuel Kant]] in der [[w:Kritik der reinen Vernunft|Kritik der reinen Vernunft]]<ref>{{"|Der Ausdruck ‚transzendental‘ bezeichnet genau genommen nicht die Methode der Kritischen Philosophie, sondern den Charakter der sie leitenden Fragestellung; in der Transzendentalphilosophie wird nach Bedingungen gefragt, unter denen sich die objektive Gültigkeit von Begriffen und Sätzen a priori als möglich begreifen lässt.|Autor=Wolfgang Röd|Quelle=''Die Philosophie der Neuzeit 3. Teil 1: Kritische Philosophie von Kant bis Schopenhauer.'' München 2006, S. 33}}</ref> formulierte:
{{"|''Ich nenne alle Erkenntnis transzendental, die sich ''[…]'' mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen, so fern diese [[a priori]] möglich sein soll, überhaupt beschäftigt.''|{{Kant|3|43||||KrV B 25}}}}


== Temperamente und Ätherleib ==
Die Eigenschaft „transzendental“ meint einen Zusammenhang mit der empirischen Erkenntnis von [[Gegenstand|Gegenständen]] im Allgemeinen und in Absehung von den besonderen Erkenntnisvoraussetzungen eines spezifischen Gegenstands. Entlang dieser Linie bestimmt Kant die [[Transzendentale Ästhetik]] als Lehre von den Bedingungen der Wahrnehmung von etwas überhaupt, und die [[Transzendentale Logik]] als die Lehre von gedanklichen Anteil der Gegenstandserkenntnis – im Unterschied zur allgemeinen formalen Logik, die ihm zufolge mit [[Urteil (Logik)|Urteilen]] und [[Begriff (Philosophie)|Begriffen]] unabhängig von jedem Gegenstandsbezug operieren und den Gesetzen einer spezifischen Wissenschaft, die einzelne Gegenstände und Eigenschaften betreffen.


Anders als augenblickliche [[Emotion]]en oder [[Gefühl]]e, haben die Temperamente ihren Sitz im [[Ätherleib]]. Von hier aus wirken sie aber teilweise bis in die ''äußere'' [[Gestalt]]ung des [[Physischer Leib|physischen Leibes]] hinein, anderseits spiegeln sie sich in ''inneren'' Erlebnissen des [[Astralleib]]s bzw. der [[Seelische Wesensglieder|seelischen Wesensglieder]] wider.
Kants Programm führte im [[Deutscher Idealismus|deutschen Idealismus]] zum Anspruch, dass Transzendentales, weil ''a priori'' gültig, Erfahrung und Wissen [[Letztbegründung|abschließend begründen]] kann. Dieser Anspruch wurde in transzendentalen Konzepten – z. B. in denen von [[Friedrich Wilhelm Joseph Schelling|Schelling]] und [[Johann Gottlieb Fichte|Fichte]] – zur Konstruktion [[Idealismus|idealistischer]] Philosophien und [[Romantik|romantischer]] Kunsttheorien verwendet. Damit einher geht aber –&nbsp;entgegen Kants Ansicht –&nbsp;der Anspruch oder doch zumindest die Sehnsucht, [[Transzendenz|Transzendentes]] zu erfassen. Auch an diese wiederhergestellte Einheit von [[Kosmologie]] und [[Erkenntnistheorie]] knüpft Ende des 19. Jahrhunderts der amerikanische [[Transzendentalismus]] an.


{{GZ|Diese vier Temperamente drücken sich im Ätherleib aus. Es gibt also vier verschiedene Hauptarten von Ätherleibern. Diese haben wiederum verschiedene Strömungen und Bewegungen, die sich in einer bestimmten Grundfarbe im [[Astralleib]] ausdrücken. Das ist nicht etwa vom Astralleib abhängig, es zeigt sich nur darin.|95|64}}
== Begriffsgeschichte ==
In der [[Scholastik|scholastischen]] Philosophie wird auf dem Gebiet der [[Ontologie]] der Begriff der [[Transzendentalien]] benutzt. Er bestimmt die unveränderlichen und allgemeinen Bestimmungen des Seins und der Seienden Dinge, die jede spezifische Kategorie übersteigen und also dem [[Sein (Philosophie)|Sein]] als solchem, „τὸ ὂν ᾗ ὄν“, zukommt. Alle Dinge und alles Handeln sind je nach Grad ihrer Teilhabe an den Transzendentalien Sein – dem Einen, dem Wahren und dem Guten wertvoll oder weniger wertvoll bestimmbar. Die Vorstellung der Teilhabe wurde schon bei [[Platon]] und [[Augustinus]] thematisiert. 


== Temperamente und Elemente ==
Im 15. Jahrhundert wurden diese Vorstellungen und die dazugehörigen Termini „transzendental“ bzw. „Transzendentalien“ im Rahmen von Übersetzungen und Kommentierungen neu zugänglicher griechischer, lateinischer und arabischer Texte verwendet. [[w:Pedro da Fonseca|Pedro da Fonseca]] und [[w:Francisco Suárez|Francisco Suárez]] gehörten zu den ersten, die im 16. Jahrhundert dazu eigene Darstellungen verfassten. Auch [[Avicenna]]s Metaphysik gehört dazu. 
[[Datei:Bild 268xyz.jpg||mini|hochkant=1.6|Die anthroposophische-galensche Lehre der vier Elemente und der vier Temperamente]]


Nach [[Hippokrates von Kós]] (460-375 v. Chr.), der die ''Temperamentenlehre'' erstmals ''exoterisch'' formuliert hat, werden vier Temperamente unterschieden, die den [[Elemente|vier Elementen]] entsprechen:
„Transzendentalien“ bzw. „transzendental“ wurden in vielen weiteren theologischen und philosophischen Abhandlungen (v. a. bei [[Thomas von Aquin]]) zur Metaphysik und in dialektischen Disputen verwendet und verändert. Sie erweiterten stets die Terminologie, mit der sowohl theoretisch als auch empirisch Gottes Wirken und menschliches Denken erklärt werden sollten. Sie waren durch die folgenden Jahrhunderte und sind bis in die gegenwärtige Neuscholastik in Gebrauch. Kant waren sie durch die Schriften von [[Christian Wolff (Philosoph)|Christian Wolff]] und [[Alexander Gottlieb Baumgarten|Alexander Baumgarten]] bekannt, die sie für ihre Metaphysiken benutzt haben.


<div style="margin-left:50px">
Kant setzt sich in §12 der ''Kritik der reinen Vernunft'' mit dem scholastischen Satz {{"|''quodlibet ens est unum, verum, bonum''}} auseinander, den er als aus der „Transscendentalphilosophie der Alten“ stammend bezeichnet ({{Kant|3|97||||{{"|''Es findet sich aber in der Transscendentalphilosophie der Alten noch ein Hauptstück vor, welches reine Verstandesbegriffe enthält, die, ''[]'' als Begriffe a priori von Gegenständen gelten sollten, ''[]'' Ob nun zwar der Gebrauch dieses Prinzips in Absicht auf die Folgerungen (die lauter tautologische Sätze gaben) sehr kümmerlich ausfiel, ''[]'' so verdient doch ein Gedanke, der sich so lange Zeit erhalten hat, so leer er auch zu sein scheint, immer eine Untersuchung seines Ursprunges, und berechtigt zur Vermutung, daß er in irgend einer Verstandesregel seinen Grund habe, der nur, wie es oft geschieht, falsch gedolmetscht worden.''|}}}}).<ref>Vgl. zu diesem Abschnitt auch Karl Bärthlein: ''Die Transzendentalienlehre der alten Ontologie'', S. 1–5.</ref>
* [[Choleriker]] ([[Feuer]])
Nach Kant müssen diese metaphysischen Lehrsätze über Transzendentalien als Eigenschaften des Daseins jedoch in erkenntnistheoretische Grundsätze einer möglichen Erfahrung übersetzt werden, um an ihren wahren Kern zu gelangen. Die allgemeinsten Bestimmungen des Seins werden zu den allgemeinsten Formen der Erkenntnis.
* [[Sanguiniker]] ([[Luft]])
* [[Phlegmatiker]] ([[Wasser]])
* [[Melancholiker]] ([[Erde (Element)|Erde]])
</div>


{{GZ|Es steht nun in einer geheimnisvollen Verwandtschaft mit den vier Elementen der elementarischen
== Kant und Hume ==
Welt dasjenige im Menschen, was man seine Temperamente nennt,
Kants und [[David Hume|Humes]] Programme für eine Begründung der Wissenschaften unterscheiden sich prinzipiell. Für Hume ergibt sich aus seinen Beobachtungen und Schlussfolgerungen, dass wissenschaftliche Kenntnisse keine absolute Gewissheit haben. Sie müssen kontinuierlich überprüft und an empirische Erfahrungen angepasst werden.<ref>Vgl. Hume: ''Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand''. VIII,4.</ref> Für Hume gibt es annähernde Gewissheit nur in der [[Mathematik]], deren Erkenntnisse a priori gültig sind, weil Mathematik ein geschlossenes System darstellt. Philosophie kann als offenes System einer „Wissenschaft vom Menschen“ nichts abschließend beweisen, sondern nur durch Beschreibung von Beobachtungen Inhalte plausibel, bzw. nachvollziehbar machen.<ref>Vgl. Hume: ''Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand''. VII,1.</ref> ''„Das Gegenteil einer sogenannten Tatsache bleibt immer möglich ''[...]'' Es ist deshalb von wissenschaftlichem Interesse, die Natur der Gewissheit zu untersuchen, welche uns von der wirklichen Existenz und von Tatsachen überzeugt.“''<ref>Hume, ''ebd. IV,2''.</ref>   
und zwar so, daß eine Verwandtschaft besteht zwischen dem melancholischen Temperament
und dem Elemente der Erde, zwischen dem phlegmatischen Temperament
und dem Elemente des Wassers, zwischen dem sanguinischen Temperament
und dem Elemente der Luft, und zwischen dem cholerischen Temperament und
dem Elemente des Feuers. Diese Verwandtschaft kommt im Erleben der elementarischen
Welt so zum Ausdruck, daß in der Tat zum Beispiel der cholerische Mensch
mehr Neigung hat, mit den im Feuer in der elementarischen Welt lebenden Wesenheiten
und Tatsachen zusammenzuwachsen als mit den in den anderen Elementen
lebenden Wesenheiten. Der Sanguiniker hat wiederum mehr die Neigung, mit den
im Element der Luft auftretenden Wesenheiten zusammenzuwachsen, der Phlegmatiker
mit den im Wasser und der Melancholiker mit den in der Erde auftretenden Tatsachen
und Wesenheiten. So kommt man in eine gewisse Abhängigkeit in dem Augenblicke,
in dem man durch wirkliches Erleben die elementarische Welt betritt.
Und Sie können sich daraus leicht die Vorstellung bilden, daß die verschiedensten
Menschen Ihnen im Grunde genommen das Verschiedenste erzählen können von
der elementarischen Welt und daß eigentlich keiner so ganz unrecht zu haben
braucht, wenn er verschieden von einem andern seine eigenen Erlebnisse in dieser
Welt schildert. Daher brauchen Sie sich gar nicht zu verwundern, wenn die Schilderungen
gewisser niederer [[Hellseher]] in bezug auf die elementarische Welt sehr voneinander
abweichend sind, denn beurteilen kann man diese Welt doch erst dann,
wenn man eine genaue Erkenntnis von sich selber hat.|119|163f}}


== Die Temperamente und die Viersäftelehre ==
Für Kant, der auf eine geschlossene, systematische Ethik hinarbeitet, ist  dabei vor allem das [[Induktionsproblem]] Stein des Anstoßes, das Hume nicht löse. Hume stelle lediglich fest, dass [[Kausalität|Kausalzusammenhänge]] nicht unmittelbar beobachtbar sind. Wie die Ursächlichkeit bewirkt werde, könne  – so Hume  – weder durch Erfahrung noch durch logische Analyse beantwortet werden. Dass der Begriff „Kausalität“, bzw. bestimmte Ursache-Wirkungszusammenhänge in alltäglichen und wissenschaftlichen Aussagen verwendet werden, die wir für gültig halten, erklärt er mangels Alternativen mit „Gewohnheit“. Die Gültigkeit des Begriffes „Kausalität“ entstehe durch wiederholtes Beobachten zweier aufeinander folgender Ereignisse. Dass Kausalität ein gültiges Prinzip menschlichen Vermutens und Denkens ist, so formuliert Hume allgemein, ''„ergibt sich nur nach einer langen Reihe gleichförmiger Vorgänge“'', die Gewissheit für den Einzelfall schaffen.<ref>Hume: ''Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand'' IV, 20.</ref> Dieser Reihe [[Notwendigkeit]] zuzuordnen, wie es ein naturwissenschaftliches Gesetz erfordert, ist nach Hume ein Irrtum bzw. eine Hypothese.


Erst [[Galenos von Pergamon]] ([[dt.]] Galēn; * um 129 n. Chr. in [[Wikipedia:Pergamon|Pergamon]]; † um 216 n. Chr. in [[Rom]]) verband die Temperamentenlehre mit der ebenfalls schon von Hippokrates aufgestellten [[Viersäftelehre|Viersäftelehre]] ([[Humoralpathologie|Humoralpathologie]]), in dem er den ''humores'', den vier hauptsächlichen Körperflüssigkeiten, jeweils ein Temperament zuordnete:
Kant erklärt, im Unterschied zu Hume, die Tatsache, dass Menschen Kausalität feststellen, dadurch, dass er Kausalität zu einem reinen Verstandesbegriff, einer apriorischen Idee erhebt, die im transzendentalen Gebrauch der Einheit dem Zusammenhalt der empirischen Erfahrung überhaupt zugrunde liegt. So kann er behaupten, dass es kausale Verknüpfungen geben muss, die er als [[Synthetisches Urteil a priori|synthetische Urteile a priori]] charakterisiert, die allgemein gültig und notwendig sind. Erst mit dieser Lösung wird für Kant die Frage beantwortbar, ob trotz Humes Angriff eine [[Metaphysik]] der Natur und der Moral überhaupt noch möglich ist. Kant fährt fort:  


<div style="margin-left:50px">
{{Zitat
*[[Blut]] ([[lat.]] sanguis, {{ELSalt|αἷμα}} ''háima''): [[Sanguiniker]] ({{polytonisch|αἱματώδης}} ''háimatodes'')
|Da es mir nun mit der Auflösung des [[Induktionsproblem|Humeschen Problems]] nicht bloß in einem besonderen Falle, sondern in Absicht auf das ganze [[Vermögen (Fähigkeit)|Vermögen]] der reinen Vernunft gelungen war: so konnte ich sichere, obgleich immer nur langsame Schritte tun, um endlich den ganzen Umfang der reinen Vernunft, in seinen Grenzen sowohl, als in seinem Inhalt, vollständig und nach allgemeinen Prinzipien zu bestimmen, welches dann dasjenige war, was Metaphysik bedarf, um ihr System nach einem sicheren Plane aufzuführen.| Autor = {{Kant|4|260|||||261}}
*[[Schleim]] ({{ELSalt|φλέγμα}} ''phlégma''): [[Phlegmatiker]] ({{polytonisch|φλεγματικός}} ''phlegmatikós'')
| Quelle =
*[[Schwarze Galle]]nflüssigkeit ({{ELSalt|μέλαινα χολή}} ''mélaina cholḗ'' bzw. {{polytonisch|χυμός μελαγχολικός}} ''chymós melagcholikós''): [[Melancholiker]] ({{polytonisch|μελαγχολικός}} ''melagcholikós'')
| ref =
*[[Gelbe Galle]]nflüssigkeit ({{ELSalt|χολή}} ''cholḗ''): [[Choleriker]] ({{polytonisch|χολερικός}} ''cholerikós'')
}}
</div>


== Die Bildung der Temperamente bei der Inkarnation ==
== Neukantianismus und 20. Jahrhundert ==
Laut [[Friedrich Albert Lange|Lange]] handelt es sich dabei um „den Grund aller Irrtümer unsres Reformators der Philosophie“: ''„''[die]'' Verwechslung der methodischen und kunstgerechten Handhabung der Denkgesetze mit der sogenannten Spekulation, welche aus allgemeinen Begriffen deduziert.“''<ref>Vgl. für diesen Abschnitt und Zitate: Friedrich Albert Lange: ''Geschichte des Materialismus und Kritik seiner Bedeutung in der Gegenwart''. Frankfurt am Main 1974, S. 488–492. [http://www.zeno.org/nid/20009204091 zeno.org]</ref> Solche „Deduktionen aus Begriffen“ machten für Kant den Kern seiner transzendentalen Methode aus.


Wenn der [[Mensch]] zu einer neuen [[irdisch]]en [[Inkarnation]] heruntersteigt, muss sich seine [[geist]]ige [[Individualität]], sein [[ewig]]er [[Wesenskern]], der durch [[Reinkarnation|wiederholte Erdenleben]] schreitet, mit dem durch die [[Vererbung]]sströmung bereitgestellten vergänglichen [[Leib]] verbinden und es muss ein richtiger Ausgleich dieser beiden Strömungen gesucht werden. Dieser Ausgleich spiegelt sich im Temperament wieder:
Hinter Kants Entscheidung für die transzendentale Methode stehe – so der Neukantianer [[Wilhelm Windelband|Windelband]] – die fundamentale Einsicht, dass  ''„die Geltung der Vernunftprinzipien von der Art und Weise wie sie im empirischen Bewusstsein zustande kommen, völlig unabhängig ist.“''<ref>Wilhelm Windelband: ''Lehrbuch der Geschichte der Philosophie''. Tübingen 6. Aufl. 1912, S. 447. [http://www.zeno.org/nid/2000927796X zeno.org]</ref>


{{GZ|Nun entsteht die
Ferner charakterisiert er die Transzendentalphilosophie als „neu und absolut originell“. Man finde „ganz neue Probleme“ und ein „ganz neues Begriffsmaterial“, um sie zu lösen. Sie sei
große Frage: Wie kann dasjenige, was aus ganz anderen Welten stammt, was sich Vater
{{Zitat|...die systematische Besinnung auf die unumstößlichen und unumgänglichen, jedem normal denkenden Menschen von selbst einleuchtenden, Voraussetzungen und Grundsätze, ohne welche es überhaupt keine Verständigung der Denkenden untereinander und keinen Versuch wissenschaftlicher Constatierung irgend welcher Thatsachen, keine Verarbeitung derselben zu Erkenntnissen giebt.<ref>Wilhelm Windelband: ''Immanuel Kant. Zur Säcularfeier seiner Philosophie''. S. 114 u. 122f. In: Ders.: ''Präludien: Aufsätze und Reden zur Einleitung in die Philosophie''. Freiburg i. B. [u.a.] 1884, S.112-145.[http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/windelband1884 Digisat Universität Heidelberg]</ref>}}[[Leonard Nelson]] griff sogar die Möglichkeit einer Erkenntnistheorie überhaupt an, da diese immer auf allgemein bestehenden Erkenntnissen beruhe und somit ad-hoc und Vermutung bleiben müsse. Daraus folgt für [[Hans Albert]] nicht die Unmöglichkeit von ''Erkenntnistheorie'' als solcher, sondern lediglich die Unmöglichkeit einer ''reinen'' Erkenntnistheorie.<ref>{{Literatur|Autor=Hans Albert|Titel=Kritik der reinen Erkenntnislehre|Verlag=Mohr|Ort=Tübingen|Jahr=1987|Seiten=29|ISBN=3-16-945229-0}}</ref> Er deutet Kants Lösung als [[Begründung|Rechtfertigungsstrategie]]. Diese könne durch Anwendung des [[Fallibilismus]] und des [[Kritischer Realismus|kritischen Realismus]] ersetzt werden. Kants eigene Ansätze müssten dann zu ...
und Mutter suchen muß, sich vereinen mit dem Leiblich-Physischen, wie kann es
# einer empirischen Theorie, die das Erkennen erklärt;
sich umkleiden mit dem, was die körperlichen Merkmale sind, durch die der Mensch
# einer Erkenntnistheorie, die Ziele und Normen aufgrund der faktischen Möglichkeiten festsetzt und die (1) aufweist;
hineingestellt wird in die Vererbungslinie? Wie geschieht die Vereinigung der beiden
# einer Methodologie wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts, die als eine rationale Heuristik aufgefasst werden sollte,
Strömungen, der geistig-seelischen Strömung, in die der Mensch hineingestellt ist
transformiert werden.
durch die Wiederverkörperung, und der leiblichen Strömung der Vererbungslinie? Es
muß ein Ausgleich geschaffen werden. Indem die beiden Strömungen sich vereinigen,
färbt die eine Strömung die andere. Sie färben sich gegenseitig. So wie sich die
blaue und die gelbe Farbe etwa vereinigen in dem Grün, so vereinigen sich die beiden
Strömungen im Menschen zu dem, was man sein Temperament nennt. Das
Temperament gleicht das Ewige mit dem Vergänglichen aus. Dieser Ausgleich geschieht
dadurch, daß dasjenige, was wir als die Glieder der menschlichen Natur kennengelernt
haben, in ganz bestimmter Art und Weise miteinander ins Verhältnis tritt.|57|277f}}


== Temperamente und Wesensglieder ==
Auch [[Karl Popper]] beanspruchte, mit dem [[Kritischer Realismus]] die Kritische Transzendentalphilosophie Kants fortzusetzen. Dabei wandte er sich ausdrücklich gegen die Kantianer der ersten Generation, vor allem  [[Jakob Friedrich Fries]] und seine einflussreiche Schule. Er unterstellte ihnen einen [[Psychologismus]], also eine Vermischung von (empirischer) Psychologie und Erkenntnistheorie, der auch für Kant selbst nicht immer auszuschließen sei. Für Popper bleibt vom transzendentalen Erkenntnisapparat der Anschauungsformen und Begriffe lediglich eine „transzendentale Methode“, die Begriffe und Thesen einer Erkenntnistheorie an den tatsächlichen Verfahren der Wissenschaften kritisch zu messen.<ref>{{Literatur |Autor=Karl R. Popper |Titel=Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie|Seiten=7 }} [https://books.google.de/books?hl=de&lr=&id=1_1lljVGo-UC&oi=fnd&pg=PR17&dq=grundprobleme+der+erkenntnistheorie&ots=iOHezPVYwE&sig=B9776Ljq4-WGImYlmhIRY7fKbGU#v=onepage&q=grundprobleme%20der%20erkenntnistheorie&f=false Online]</ref>
[[Bild:Vier Apostel (Albrecht Duerer).jpg|thumb|[[Wikipedia:Die vier Apostel|Die vier Apostel]] von [[Wikipedia:Albrecht Dürer|Albrecht Dürer]], eine Darstellung der vier Temperamente: [[Johannes (Apostel)|Johannes]] ([[Sanguiniker]]), [[Simon Petrus|Petrus]] ([[Phlegmatiker]]), [[Markus (Evangelist)|Markus]] ([[Choleriker]]) und [[Paulus von Tarsus|Paulus]] ([[Melancholiker]])]]


Die vier Temperamente hängen eng mit den vier grundlegenden [[Wesensglieder]]n des [[Mensch]]en zusammen. Dominiert eines der Wesensglieder die anderen, so drückt sich das in den im [[Ätherleib]] wirkenden Temperamenten folgendermaßen aus, wobei zugleich auch ganz bestimmte Organsysteme besonders hervortreten. Für den Erwachsenen ergibt sich dabei folgender Zusammenhang:
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|transzendental}}
* [[Transzendentalphilosophie]]


<div style="margin-left:50px">
== Literatur ==
*[[Ich]] - [[Blut]]kreislauf<ref name="Blut">Es ist kein Widerspruch, dass hier das Blut, als einer der vier Körper''säfte'', dem Sanguiniker zugeordnet wird, anderseits der [[Blut]]kreislauf, als Organsystem, dem Choleriker entspricht.</ref> - [[Choleriker]]
Zur Begriffsgeschichte:
*[[Astralleib]] - [[Nervensystem]] - [[Sanguiniker]]
* Jan A. Aertsen, ''Medieval Philosophy as Transcendental Thought. From Philip the Chancellor (ca. 1225) to Francisco Suárez'', Leiden, Brill, 2012.
*[[Ätherleib]] - [[Drüsen]]system - [[Phlegmatiker]]
* Karl Bärthlein: ''Die Transzendentalienlehre der alten Ontologie''. Teil I. Berlin/New York 1972. [https://books.google.de/books?id=h_9CgeDIFCIC&pg=PA5&lpg=PA5&dq=welche+Rolle+transzendentalien+scholastik&source=bl&ots=r07l4XZeJi&sig=ra1OfV82GQKFEAmIGjWbXwngLks&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwj4v42Rq43UAhUCC8AKHcECA78Q6AEIQTAE#v=onepage&q=welche%20Rolle%20transzendentalien%20scholastik&f=false Google-Books]
*[[Physischer Leib]] - [[Knochen]]system - [[Melancholiker]]
* Hinrich Knittermeyer: ''Der Terminus transszendental in seiner historischen Entwickelung bis zu Kant''. Marburg, Hamel 1920. {{IA|derterminustrans00knit}}
</div>
* G. Schulemann: ''Die Lehre von den Transzendentalien in der scholastischen Philosophie''. Leipzig 1929.
 
* Max von Zynda: ''Kant – Reinhold – Fichte. Studien zur Geschichte des Transzendentalbegriffs.'' Vaduz/Liechtenstein 1980.
{{GZ|Beherrscht der Ich-Träger die übrigen Glieder des Menschen, so herrscht das cholerische Temperament vor. Herrscht
der Astralleib über die anderen Glieder, so sprechen wir dem Menschen ein sanguinisches
Temperament zu. Herrscht vor der Ätherleib, so sprechen wir vom phlegmatischen
Temperament. Und ist vorherrschend der physische Leib, so handelt es sich
um ein melancholisches Temperament. Das Ich drückt sich in der Zirkulation des
Blutes aus. Deshalb ist beim Choleriker vorherrschend das Blutsystem. Der Astralleib
findet seinen physischen Ausdruck im Nervensystem; wir haben deshalb beim
Sanguiniker im physischen Leibe tonangebend das Nervensystem. Der Ätherleib
drückt sich physisch aus im Drüsensystem; deshalb ist beim Phlegmatiker im physischen
Leibe tonangebend das Drüsensystem. Der physische Leib als solcher kommt
nur im physischen Leibe zum Ausdruck; deshalb ist der physische Leib beim Melancholiker
das äußerlich Tonangebende.|57|278f}}
 
Beim [[Kind]] ist die Beziehung der Temperamente zu den Wesensgliedern bis etwa zum 9./10. Lebensjahr noch anders gelagert {{Lit|vgl. Eltz, S. 84}}:
 
<div style="margin-left:50px">
*[[Ich]] - [[Melancholiker]]
*[[Astralleib]] - [[Choleriker]]
*[[Ätherleib]] - [[Sanguiniker]]
*[[Physischer Leib]] - [[Phlegmatiker]]
</div>


== Charakteristik der vier Temperamente ==
Zur Methode der Transzendentalphilosophie bei Kant:
 
* {{Literatur|Autor=Hans Albert|Titel=Kritik der reinen Erkenntnislehre|Ort=Tübingen|Jahr=1987}}
Reine Temperamente in ihrer vollen Einseitigkeit sind im Leben kaum zu finden. Im Grunde hat jeder Mensch alle vier Temperamente, aber oft sticht eines besonders hervor. Oft sind auch zwei Temperamente sehr stark ausgebildet, ein drittes spielt noch leise mit, während das vierte nur sehr, sehr schwach hervortritt. Das cholerische Temperament ist häufig mit dem melancholischen verbunden, ebenso das sanguinische mit dem phlegmatischen, wobei sich in dem jeweils ersteren die aktive, im zweiten die mehr passive Seite des Charakters ausdrückt. Problematischer ist die enge Verbindung der beiden aktiven Temperamente, also Cholerik und Sanguinik, was einen hyperaktiven Charakter ergibt, oder die Verbindung der beiden passiven Temperamente, Phlegmatik und Melancholie, was dem Menschen einen passiv verzweifelnden Charakter verleiht. Die Temperamente bilden auch Gegensatzpaare, von denen dann das eine sehr stark, das andere kaum ausgeprägt ist. Dem cholerischen Temperament steht das phlegmatische als schroffer Gegensatz gegenüber, ebenso dem sanguinischen das melancholische, so wie [[Feuer]] und [[Wasser]] Gegensätze sind und auch [[Luft]] und [[Erde]].
* {{Literatur|Autor=Ernst Cassirer|Titel=Determinismus und Indeterminismus in der modernen Physik. Historische und systematische Studien zum Kausalproblem|Ort=Hamburg|Jahr=2004}}
 
* Nikolaus Knoepffler: ''Der Begriff „transzendental“ bei Kant''. München 2001.
Es gibt kein ''gutes'' und kein ''schlechtes'' Temperament. Jedes hat positive, das Eigenwohl und das soziale Miteinander gleichermaßen fördernde, wie auch negative, lebenshemmende Eigenschaften. Durch Erziehung und später durch Selbsterziehung sollen die Temperamente keineswegs geschwächt oder nivelliert, sondern in ihrer positven Kraft gestärkt werden. Im Idealfall kommt der Mensch dazu, über die positiven Kräfte aller vier Temperamente in voller Stärke und im ausgewogenen Gleichmaß frei zu verfügen - aber das ist in der Regel ein fernes Entwicklungsziel, das nur durch die energische Arbeit am [[Ätherleib]] erreicht werden kann.
* Michael Nerurkar: ''Amphibolie der Reflexionsbegriffe und transzendentale Reflexion in Kants Kritik der reinen Vernunft.'' Würzburg 2012.
 
* {{Literatur|Autor=Karl R. Popper|Titel=Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie|Ort=Tübingen|Jahr=1994}}
=== Physiognomie ===
* Armando Rigobello: ''Die Grenzen des Transzendentalen bei Kant.'' München 1968.
<gallery class="center centered" perrow="4">
* {{Literatur|Autor=Wolfgang Röd|Titel=Dialektische Philosophie der Neuzeit|Band=Bd. 1|Ort=München|Jahr=1974|Seiten=30ff.}}
Bild:Sanguiniker.jpg|Sanguiniker
Bild:Choleriker.jpg|Choleriker
Bild:Melancholiker.jpg|Melancholiker
Bild:Phlegmatiker.jpg|Phlegmatiker
</gallery>
 
=== Die vier Grundtypen ===
Die reinen [[Typen (Psychologie)|Grundtypen]], um sie recht anschaulich zu machen, charakterisiert [[Rudolf Steiner]] so:
 
{{GZ|Beim Choleriker ist vorzugsweise das Ich und das Blutsystem vorherrschend. Dadurch tritt er auf als der Mensch, der sein Ich unter allen Umständen durchsetzen will. Von der Zirkulation des Blutes schreibt sich alles Aggressive des Cholerikers her, alles was mit der starken Willensnatur des Cholerikers zusammenhängt. Im Nervensystem und Astralleib sind die auf- und abwogenden Empfindungen und Gefühle. Nur dadurch, daß diese durch das Ich gebändigt werden, kommt Harmonie und Ordnung hinein. Würde er sie nicht durch sein Ich bändigen, so würden sie auf- und abfluten, ohne daß man bemerken könnte, der Mensch übt irgendeine Herrschaft über sie aus. Der Mensch würde hingegeben sein allem Wogen von Empfindung zu Empfindung, von Bild zu Bild, von Vorstellung zu Vorstellung und so weiter.
 
Etwas von dem tritt ein, wenn der astralische Leib vorherrscht, also beim Sanguiniker, der in gewisser Weise den auf- und abwogenden Bildern, Empfindungen und Vorstellungen hingegeben ist, da bei ihm der Astralleib und das Nervensystem vorherrschen. Das, was des Menschen Blutzirkulation ist, ist der Bändiger des Nervenlebens. Was tritt ein, wenn ein Mensch blutarm, bleichsüchtig ist, wenn der Bändiger nicht da ist? Dann tritt ein zügelloses Auf- und Abfluten der Bilder; Illusionen, Halluzinationen treten auf. Einen kleinen Anflug davon haben wir beim Sanguiniker. Der Sanguiniker kann nicht bei einem Eindruck verweilen, er kann nicht festhalten an einem Bilde, er haftet nicht mit seinem Interesse an einem Eindruck. Er eilt von Lebenseindruck zu Lebenseindruck, von Wahrnehmung zu Wahrnehmung. Das kann man besonders beim sanguinischen Kinde beobachten; da kann es einem Sorge machen. Leicht ist Interesse da, ein Bild fängt leicht an zu wirken, macht bald einen Eindruck, aber der Eindruck ist bald wieder verschwunden.
 
Gehen wir jetzt zum phlegmatischen Temperament über! Wir sahen, daß das phlegmatische Temperament dadurch entsteht, daß vorherrschend gemacht ist das, was wir Äther- oder Lebensleib nennen, das, was des Menschen Wachstums- und Lebensvorgänge im Innern regelt. Es kommt das in innerer Behaglichkeit zum Ausdruck. Je mehr der Mensch in seinem Ätherleib lebt, desto mehr ist er in sich selber beschäftigt, und läßt die äußeren Dinge laufen. Er ist in seinem Innern beschäftigt.
 
Beim Melancholiker haben wir gesehen, daß der physische Leib, also das dichteste Glied der menschlichen Wesenheit, der Herr wird über die anderen. Immer, wenn der dichteste Teil Herr wird, dann fühlt das der Mensch so, daß er nicht Herr ist darüber, daß er ihn nicht handhaben kann. Denn der physische Leib ist das Instrument, das er durch seine höheren Glieder überall beherrschen soll; jetzt aber herrscht dieser physische Leib, setzt dem anderen Widerstand entgegen. Das empfindet der Mensch als Schmerz, Unlust, als die trübselige Stimmung des Melancholikers. Es ist immer ein Aufsteigen von Schmerzen da. Von nichts anderem rührt diese Stimmung her, als daß der physische Leib der innern Behaglichkeit des Ätherleibes, der Beweglichkeit des Astralleibes und der Zielsicherheit des Ichs Widerstände entgegenstellt.
 
Was wir da sehen als die Mischung der vier Wesensglieder des Menschen, das tritt uns im äußeren Bilde klar und deutlich entgegen. Wenn das Ich vorherrscht, will der Mensch sich gegen alle äußeren Widerstände durchsetzen, will in Erscheinung treten. Es hält dann förmlich die anderen Glieder des Menschen im Wachstum zurück, den Astralleib und den Ätherleib, läßt sie nicht zu ihrem Rechte kommen. Rein äußerlich tritt das einem schon entgegen. Johann Gottlieb Fichte zum Beispiel, der deutsche Choleriker, ist schon äußerlich als solcher kenntlich. Er verriet schon äußerlich deutlich im Wuchs, daß die anderen Wesensglieder zurückgehalten worden sind. Oder ein klassisches Beispiel eines Cholerikers ist Napoleon, der so klein geblieben ist, weil das Ich die anderen Wesensglieder zurückgehalten hat. Es handelt sich nun natürlich nicht darum, daß behauptet wird, der Choleriker sei klein und der Sanguiniker groß. Wir dürfen die Gestalt des Menschen nur mit seinem eignen Wuchs vergleichen. Es kommt darauf an, in welchem Verhältnis zur ganzen Gestalt der Wuchs steht. Beim Sanguiniker herrscht das Nervensystem, der Astralleib vor. Er wird in seinem in sich beweglichen Leben an den Gliedern arbeiten; er wird auch das äußere Abbild des Menschen so beweglich wie möglich machen. Haben wir beim Choleriker scharf geschnittene Gesichtszüge, so beim Sanguiniker bewegliche, ausdrucksvolle, sich verändernde Gesichtszüge. Sogar in der schlanken Gestalt, im Knochenbau, sehen wir die innere Beweglichkeit des Astralleibes am ganzen Menschen. In den schlanken Muskeln zum Beispiel kommt sie zum Ausdruck. Das ist auch zu sehen in dem, was der Mensch äußerlich darlebt. Auch wer nicht hellsehend ist, kann dem Menschen schon von hinten ansehen, ob er Sanguiniker oder Choleriker ist. Dazu braucht man nicht Geisteswissenschaftler zu sein. Sieht man einen Choleriker gehen, so kann man beobachten, wie er jeden Fuß so setzt, als ob er bei jedem Schritt nicht nur den Boden berühren wolle, sondern als ob der Fuß noch ein Stück in den Boden hineingehen sollte. Beim Sanguiniker dagegen haben wir einen hüpfenden, springenden Gang. Auch feinere Merkmale finden sich in der äußeren Gestalt. Die Innerlichkeit der Ich-Natur, die geschlossene Innerlichkeit des Cholerikers tritt uns entgegen in dem schwarzen Auge des Cholerikers. Sehen Sie sich den Sanguiniker an, bei dem die Ich-Natur nicht so tief gewurzelt ist, bei dem der astralische Leib seine ganze Beweglichkeit ausgießt, da ist das blaue Auge vorherrschend. So könnten viele Merkmale angeführt werden, die das Temperament in der äußeren Erscheinung zeigen.
 
Das phlegmatische Temperament tritt einem entgegen in der unbeweglichen, teilnahmslosen Physiognomie, in der Fülle des Körpers, besonders in der Ausarbeitung der Fettpartien; denn das ist das, was besonders der Ätherleib ausarbeitet. In alledem tritt uns die innere Behaglichkeit des Phlegmatikers entgegen. Er hat einen schlotternden Gang. Er tritt sozusagen nicht ordentlich auf, setzt sich nicht in Beziehung zu den Dingen. - Und sehen Sie sich den Melancholiker an, wie er zumeist einen vorhängenden Kopf hat, nicht aus sich heraus die Kraft hat, den Nacken zu steifen. Das Auge ist trübe; da ist nicht der Glanz des schwarzen Cholerikerauges. Der Gang ist zwar fest, aber es ist nicht der Gang des Cholerikers, das feste Auftreten des Cholerikers, sondern es ist etwas Schleppend-Festes.|57|279f}}
 
== Die karmischen Ursachen des Temperaments ==
 
Wiederholte Erlebnisse, die in einem früheren Erdenleben von ''außen'' an den Menschen herangekommen sind, drücken sich in der nächsten [[Inkarnation]] in der Temperamentsanlage aus, wobei auch eine wesentliche Rolle spielt, wie wir im damaligen Erdenleben, mit diesen sich wiederholenden Erfahrungen umgegangen sind:
 
{{GZ|Was Sie in diesem Leben wiederholt erleben, das kommt in Ihrem folgenden Leben
als Grundcharakter. Ein melancholisches Temperament kommt daher, daß der
Mensch im vorigen Leben viele traurige Eindrücke gehabt hat, die ihn immer wieder
in eine traurige Stimmung versetzt haben; dadurch hat eben der nächste Ätherleib
eine Neigung für eine traurige Stimmung. Umgekehrt ist es bei denen, die allem im
Leben eine gute Seite abgewinnen, die dadurch in ihrem Astralleib Lust und Freude,
frohe Erhebung erzeugt haben; das gibt im nächsten Leben eine bleibende Charaktereigenschaft
des Ätherleibes und bewirkt ein heiteres Temperament. Wenn der
Mensch aber, trotzdem ihn das Leben in eine harte Schule nimmt, all das Traurige
kraftvoll überwindet, dann wird im nächsten Leben sein Ätherleib geboren mit einem
cholerischen Temperament. Man kann also, wenn man all das weiß, geradezu
sich seinen Ätherleib für das nächste Leben vorbereiten.|100|85}}
 
Man kann dadurch bis zu einem gewissen Grad vorhersehen bzw. sogar beeinflussen, wie sich das Temperament in der nächsten Inkarnation gestalten wird, wobei allerdings, wie schon oben besprochen, die durch Vererbung erworbenen Leibesglieder, auf die man zunächst keinen direkten Einfluss hat, auch eine nicht unwesentliche Rolle spielen.
 
{{GZ|Das melancholische Temperament wird karmisch
besonders dann hervorgerufen, wenn ein Mensch im vorhergehenden Leben
gezwungen war, im kleinsten, engsten Kreise zu leben, viel für sich allein zu sein, immer
nur sich mit sich selbst zu beschäftigen, so daß er kein Interesse für anderes in
sich wecken konnte. Wer dagegen viel kennengelernt hat, wer mit vielen Dingen zusammengekommen
ist und sie nicht bloß angeschaut hat, mit dem das vorige Leben
hart umgegangen ist, der wird ein Choleriker. Wenn man ein angenehmes Leben ohne
viel Kämpfe und Mühsale hatte, oder auch wenn man viel gesehen hat, an vielem vorbeigekommen ist, es aber nur angesehen hat, so geht das alles karmisch immer im nächsten Leben im Grundwesen auf den nächtstdichteren Leib über. Man wird
ein Phlegmatiker oder Sanguiniker.|95|64}}
 
== Psychopathologie der Temperamente ==
 
{{GZ|Bei der Erziehung handelt es sich nicht darum, die Temperamente auszugleichen, zu nivellieren, sondern es handelt sich darum, sie in die richtigen Geleise zu bringen. Aber in jedem Temperamente liegt eine kleine und eine große Gefahr der Ausartung. Beim cholerischen Menschen liegt in der Jugend die Gefahr vor, daß ein solcher Mensch durch Zornwütigkeit, ohne daß er sich beherrschen kann, sein Ich eingeprägt erhält. Das ist die kleine Gefahr. Die große Gefahr ist die Narrheit, die aus ihrem Ich heraus irgendein einzelnes Ziel verfolgen will. Beim sanguinischen Temperamente ist die kleine Gefahr die, daß der Mensch in Flatterhaftigkeit verfällt. Die große Gefahr ist, daß das Auf- und Abwogen der Empfindungen in Irrsinn einmündet. Die kleine Gefahr des Phlegmatikers ist die Interesselosigkeit gegenüber der äußeren Welt; die große Gefahr ist die Idiotie, der Stumpfsinn. Die kleine Gefahr beim melancholischen Temperament ist der Trübsinn, die Möglichkeit, daß der Mensch nicht herauskommt über das, was im eignen Innern aufsteigt. Die große Gefahr ist der Wahnsinn.|57|291}}
 
== Temperamente und Pädagogik ==
[[Datei:GA295 028.gif|center|500px|Die vier Temperamente]]
{{GZ|Was ist das? Das ist auch eine Charakterisierung der vier Temperamente.
Die melancholischen Kinder sind in der Regel schlank und
dünn; die sanguinischen sind die normalsten; die, welche die Schultern
mehr heraus haben, sind die phlegmatischen Kinder; die den untersetzten
Bau haben, so daß der Kopf beinah untersinkt im Körper, sind
die cholerischen Kinder.
 
Bei Michelangelo und Beethoven haben Sie eine Mischung von melancholischem
und cholerischem Temperament.
 
Nun bitte ich, durchaus zu berücksichtigen, daß wir, wenn es sich
um das Temperament beim Kinde handelt, als Lehrer durchaus nicht
berufen sind, die betreffenden Temperamente von vornherein als «Fehler
» anzusehen und bekämpfen zu wollen. Wir müssen das Temperament
erkennen und uns die Frage stellen: Wie haben wir es zu behandeln,
um ein wünschbares Lebensziel mit ihm zu erreichen, so daß aus
dem Temperament das Allerbeste wird und die Kinder mit Hilfe des
Temperaments das Lebensziel erreichen?|295|28}}
 
=== Die Erziehung des Kindes ===
 
{{GZ|Wenn wir uns das alles vorhalten, so werden wir sehen, daß in dem Lenken und Leiten der Temperamente eine bedeutsame Aufgabe der Lebenspraxis liegt. Aber um die Temperamente zu leiten, ist der Grundsatz zu beachten, daß immer mit dem gerechnet werden muß, was da ist, nicht mit dem, was nicht da ist. Hat ein Kind ein sanguinisches Temperament, so können wir ihm nicht dadurch in der Entwicklung weiterhelfen, daß wir Interesse hineinprügeln wollen; man kann nicht ihm einbleuen etwas anderes, als was eben sein sanguinisches Temperament ist. Wir sollen nicht fragen: Was fehlt dem Kinde, was sollen wir ihm einprügeln? - sondern wir sollen fragen: Was hat ein sanguinisches Kind in der Regel? Und damit müssen wir rechnen. In der Regel werden wir eines finden, ein Interesse kann immer erregt werden; das Interesse für irgendeine Persönlichkeit, wenn das Kind auch noch so flatterhaft ist. Wenn wir die richtige Persönlichkeit nur sind, oder wenn wir ihm die richtige Persönlichkeit beigesellen können, so tritt das Interesse schon auf. Nur auf dem Umwege der Liebe zu einer Persönlichkeit kann beim sanguinischen Kinde Interesse auftreten. Mehr als jedes andere Temperament braucht das sanguinische Kind Liebe zu einer Persönlichkeit. Alles muß getan werden, daß bei einem solchen Kinde die Liebe erwache. Liebe ist das Zauberwort. Wir müssen sehen, was da ist. Wir müssen sehen, allerlei Dinge in die Umgebung des Kindes zu bringen, von denen man doch bemerkt hat, daß es tieferes Interesse daran hat. Diese Dinge muß man zum Sanguiniker sprechen lassen, muß sie auf das Kind wirken lassen, muß sie ihm dann wieder entziehen, damit das Kind sie wieder begehrt, und sie ihm von neuem geben. Man muß sie so auf das Kind wirken lassen, wie die Gegenstände der gewöhnlichen Welt auf das sanguinische Temperament wirken.
 
Beim cholerischen Kinde gibt es auch einen Umweg, durch den die Entwicklung immer zu leiten ist. Hier heißt das, was die Erziehung sicher leitet: Achtung und Schätzung einer Autorität. Hier handelt es sich nicht um ein Beliebt¬machen durch die persönlichen Eigenschaften, wie beim sanguinischen Kinde, sondern es kommt darauf an, daß das cholerische Kind immer den Glauben hat, daß der Erzieher die Sache versteht. Man muß zeigen, daß man in den Dingen Bescheid weiß, die um das Kind vorgehen. Man darf sich nicht eine Blöße geben. Das Kind muß immer den Glauben erhalten, daß der Erzieher die Sache kann, sonst hat er sofort verspielt. Ist Liebe zur Persönlichkeit das Zaubermittel beim sanguinischen Kinde, so Achtung und Schätzung des Wertes einer Person das Zauberwort beim cholerischen Kinde. Ihm müssen besonders solche Gegenstände in den Weg geführt werden, die ihm Widerstand entgegensetzen. Widerstände, Schwierigkeiten müssen ihm in den Weg gelegt werden. Man muß versuchen, ihm das Leben nicht so leicht zu machen.
 
Das melancholische Kind ist nicht leicht zu leiten. Hier aber gibt es wieder ein Zaubermittel. Wie beim sanguinischen Kinde Liebe zur Persönlichkeit, beim cholerischen Schätzung und Achtung des Wertes des Erziehers die Zauberworte sind, so ist beim melancholischen Kinde das, worauf es ankommt, daß die Erzieher Persönlichkeiten sind, die im Leben in einer gewissen Weise geprüft sind, die aus einem geprüften Leben heraus handeln und sprechen. Das Kind muß fühlen, daß der Erzieher wirkliche Schmerzen durchgemacht habe. Lassen Sie das Kind merken an allen den hunderterlei Dingen des Lebens die eigenen Lebensschicksale. Das Mitfühlen mit dem Schicksale dessen, der um einen ist, wirkt hier erziehend. Auch hier beim Melancholiker muß man rechnen mit dem, was er hat. Er hat Schmerzfähigkeit, Unlustfähigkeit; die sitzen in seinem Innern, die können wir nicht ausprügeln. Aber wir können sie ablenken. Lassen wir ihn gerade im Außenleben berechtigten Schmerz, berechtigtes Leid erfahren, damit er kennenlernt, daß es Dinge gibt, an denen er Schmerz erleben kann. Das ist es, worauf es ankommt. Nicht soll man ihn zerstreuen: dadurch verhärten Sie seine Trübsinnigkeit, seinen Schmerz im Innern. Er soll sehen, daß es Dinge im Leben gibt, an denen man Schmerz erfahren kann. Wenn man es auch nicht zu weit treiben darf, so kommt es doch darauf an, daß an den äußeren Dingen Schmerz erregt wird, der ihn ablenkt.
 
Der Phlegmatiker darf nicht einsam aufwachsen. Wenn es bei den anderen schon gut ist, Gespielen zu haben, so ist das besonders beim Phlegmatiker der Fall. Er muß Gespielen haben mit den mannigfaltigsten Interessen. Er kann erzogen werden durch das Miterleben der Interessen und möglichst vieler Interessen der anderen Persönlichkeiten. Wenn er sich gleichgültig verhält gegen das, was in der Umgebung ist, so kann sein Interesse angefacht werden dadurch, daß die Interessen der Gespielen, der Gesellen auf ihn wirken. Kommt es beim melancholischen Kinde auf das Miterleben des Schicksals einer anderen Persönlichkeit an, so beim phlegmatischen auf das Miterleben der Interessen seiner Gespielen. Nicht Dinge als solche wirken auf den Phlegmatiker; aber wenn sich die Dinge in anderen Menschen spiegeln, dann spiegeln sich diese Interessen in der Seele des phlegmatischen Kindes. Dann sollen wir beson¬ders darauf sehen, daß wir Gegenstände in seine Umgebung bringen, Ereignisse in seiner Nähe geschehen lassen, wo das Phlegma am Platze ist. Man muß das Phlegma auf die richtigen Gegenstände lenken, denen gegenüber man phlegmatisch sein darf.|57|292ff}}
 
==== Wie kann man auf die Temperamente durch die Farben wirken ? ====
 
{{GZ|Nehmen wir also an, ein Kind tritt einem im frühen Lebensalter als ein cholerisches Kind gegenüber. Es wird nicht erst ein
Frage- und Antwortspiel brauchen, um darauf zu kommen, daß es
sich um ein cholerisches Kind handelt, sondern es wird sich
vielleicht dadurch schon zeigen, daß es furchtbar strampelt bei
jeder Gelegenheit, daß es sich auf den Boden wirft, um sich
schlägt. Alle diese Äußerungen sind die entsprechenden bei dem
cholerischen Kinde.
 
Nun wird man, wenn man Laie ist, wahrscheinlich glauben,
daß man ein solches Kind bändigen kann, indem man es möglichst
in eine beruhigende farbige Umgebung bringt. Das ist aber nicht
wahr. Wenn Sie das cholerische Kind mit Blau umgeben oder mit
blauen Kleidern anziehen, dann wird es gerade dadurch, daß es
diese beruhigende blaue Farbe um sich hat, die es nicht stößt, sein
cholerisches Temperament da hinein ausleben; es wird gerade
noch z'widerer, polternder werden. Dagegen in einer Umgebung,
in der es überall mit roter, mit der aufregenden roten Farbe
umgeben sein wird — Sie wissen ja aus anderen Vorträgen, daß die Gegenfarbe die grüne ist, daß die grün-bläuliche Gegenfarbe hervorgerufen wird —, da muß sich das Kind innerlich, indem es
fortwährend mit Rot umgeben wird, anstrengen, um innerlich die
Gegenfarbe zu erleben und wird gerade nicht äußerlich aufgeregt.
Also das Gleiche, das ist dasjenige, was bändigend auf ein aufgeregtes Kind wirkt.
 
Auf der anderen Seite wird man auf ein melancholisches Kind
gut wirken, wenn man es gerade veranlaßt, indem man es in eine
blaue, grünlich-blaue Umgebung bringt, aus sich herauszugehen,
also nicht etwa sich davor fürchtet, daß wenn man ihm eine
beruhigende, eine zur Verehrung herausfordernde blaue oder
blaugrüne Umgebung gibt, daß man es dadurch noch melancholischer macht. Hier handelt es sich darum, wirklich einzusehen, wie
aus der Wesenheit des Menschen es folgt, daß man Gleiches mit
Gleichem bekämpft. Sie sehen, es handelt sich überall darum, von
der Wesenheit des Menschen auszugehen und mit der Erkenntnis,
die man da gewinnt, ans Leben heranzukommen.
 
Ich möchte aber ausdrücklich bemerken, daß es im allgemeinen
nicht zu einer Schematisierung kommen soll, wenn man das Erziehungswesen als Kunst betrachtet, und daß daher schon diese
Denkweise, die da auftritt, wenn man sagt: Wie kann man die
Temperamente durch Farben beeinflussen und dergleichen - daß
das schon wiederum so eine intellektuelle Systematisiererei zeigt.
Wird das Erziehungswesen zur Kunst, dann kommt man nicht zu
solchem intellektualistischen Schematisieren. Da wird man nicht,
wenn es sich um die Farbe handelt, auf die Temperamente blicken,
sondern da wird man im allgemeinen mehr darauf bedacht sein, ob
das Kind ein aufgeregtes oder ein abgeregtes Kind ist. Es kann
zum Beispiel auch vorkommen, daß ein unter Umständen phlegmatisches Kind auch in derselben Weise wie ein melancholisches
Kind mit den Farben und dergleichen behandelt werden muß.
Kurz, es wird sich darum handeln, daß man aus einer lebendigen
Erziehungswissenschaft auch eine lebendige Erziehungskunst entwickle.|291a|443f}}
 
=== Selbsterziehung des Erwachsenen ===
 
Der [[Verstand]] kann bei der [[Selbsterziehung]] direkt nur wenig helfen. Es genügt nicht, das Richtige zu ''wissen'', sondern es muss ''getan'', d.h. regelmäßig ''geübt'' werden. Nur durch rhythmisch wiederholtes Üben kann der [[Ätherleib]] allmählich verwandelt werden:
 
{{GZ|Auch die Selbsterziehung kann der Mensch hier in die Hand nehmen. Nicht dadurch kommt zum Beispiel der Sanguiniker zum Ziele, daß er sich sagt: Du hast ein sanguinisches Temperament, das mußt du dir abgewöhnen. - Der Verstand, direkt angewandt, ist auf diesem Gebiete oft ein Hindernis. Indirekt vermag er dagegen viel. Der Verstand ist hier die allerschwächste Seelenkraft. Bei stärkeren Seelenkräften, wie es die Temperamente sind, vermag der Verstand direkt sehr wenig, kann nur indirekt wirken. Der Mensch muß mit seinem Sanguinismus rechnen; Selbstermahnungen fruchten nicht. Es kommt darauf an, den Sanguinismus am rechten Orte zu zeigen. Wir können uns durch den Verstand Erlebnisse schaffen, für die das kurze Interesse des Sanguinikers berechtigt ist. Wenn wir also solche Verhältnisse auch noch so sehr im Kleinen herbeiführen, bei denen das kurze Interesse am Platze ist, so wird es schon hervorrufen, was nötig ist. Beim cholerischen Temperament, da ist es gut, solche Gegenstände zu wählen, durch den Verstand solche Verhältnisse herbeizuführen, bei denen es uns nichts hilft, daß wir toben, wo wir durch unser Toben uns selbst ad absurdum führen. Das melancholische Temperament soll nicht an den Schmerzen und Leiden des Lebens vorbeigehen, sondern soll sie gerade aufsuchen, soll mitleiden, damit sein Schmerz abgelenkt werde an die richtigen Gegenstände und Ereignisse. Sind wir Phlegmatiker, die keine Interessen haben, so ist es gut, daß wir uns möglichst viel mit recht uninteressanten Gegenständen beschäftigen, uns mit recht viel Quellen der Langweile umgeben, daß wir uns gründlich langweilen. Dann werden wir uns gründlich kurieren von unserem Phlegma, es uns gründlich abgewöhnen. So rechnet man mit dem, was da ist, und nicht mit dem, was nicht da ist.|57|294}}
 
== Tabelle ==
<table cellspacing="0" cellpadding="5" width="99%" border="1">
  <tr style="background:#800080; color:white">
    <td colspan="2"><strong>Temperament</strong></td>
    <td><strong><center>Choleriker</center></strong></td>
    <td><strong><center>Sanguiniker</center></strong></td>
    <td><strong><center>Phlegmatiker</center></strong></td>
    <td><strong><center>Melancholiker</center></strong></td>
  </tr>
  <tr>
    <td colspan="2"><strong>Wesensglied</strong></td>
    <td>[[Ich]]</td>
    <td>[[Astralleib]]</td>
    <td>[[Ätherleib]]</td>
    <td>[[Physischer Leib]]</td>
  </tr>
 
  <tr>
    <td colspan="2"><strong>Körpersäfte</strong></td>
    <td>[[Gelbe Galle]] (Chole)</td>
    <td>[[Blut]]<ref name="Blut"> </ref> (Sanguis)</td>
    <td>[[Schleim]] (Phlegma)</td>
    <td>[[Schwarze Galle]] (Melas Chole)</td>
  </tr>
  <tr>
    <td colspan="2"><strong>Eigenschaften</strong></td>
    <td>warm und trocken</td>
    <td>warm und feucht</td>
    <td>kalt und feucht</td>
    <td>kalt und trocken</td>
  </tr>
  <tr>
    <td colspan="2"><strong>Element</strong></td>
    <td>[[Feuer]]</td>
    <td>[[Luft]]</td>
    <td>[[Wasser]]</td>
    <td>[[Erde (Element)|Erde]]</td>
  </tr>
  <tr>
    <td colspan="2"><strong>Altersstufe</strong></td>
    <td>[[Jugend]]</td>
    <td>[[Kindheit]]</td>
    <td>[[Alter]]</td>
    <td>[[Erwachsenenalter]]</td>
  </tr>
  <tr>
    <td colspan="2"><strong>Richtung</strong></td>
    <td>[[Süden]]</td>
    <td>[[Osten]]</td>
    <td>[[Westen]]</td>
    <td>[[Norden]]</td>
  </tr>
  <tr>
    <td colspan="2"><strong>Jahreszeit</strong></td>
    <td>[[Sommer]]</td>
    <td>[[Frühling]]</td>
    <td>[[Herbst]]</td>
    <td>[[Winter]]</td>
  </tr>
  <tr>
    <td colspan="2"><strong>Tageszeit</strong></td>
    <td>[[Mittag]]</td>
    <td>[[Morgen]]</td>
    <td>[[Abend]]</td>
    <td>[[Nacht]]</td>
  </tr>
  <tr>
    <td colspan="2"><strong>Bewusstsein</strong></td>
    <td>Wachen</td>
    <td>Träumen</td>
    <td>Schlafen</td>
    <td>Sterben, Kranksein, Tod</td>
  </tr>
  <tr>
    <td colspan="2"><strong>Organsystem</strong></td>
    <td>Blutkreislauf<ref name="Blut"> </ref>, Galle</td>
    <td>Nervensystem, Lunge</td>
    <td>Drüsensystem, Verdauung</td>
    <td>Knochensystem, Gelenke, Sehnen</td>
  </tr>
  <tr>
    <td colspan="2"><strong>Mimik</strong></td>
    <td>Nasenwurzel zusammengezogen (Wutfalte), Mund gepresst</td>
    <td>gehobene Brauen und Mundwinkel</td>
    <td>Augenlider und Kiefer locker hängend</td>
    <td>in der Mitte hochgezogene Brauen und Mittelfalte, Mundwinkel gesenkt</td>
  </tr>
  <tr>
    <td colspan="2"><strong>Gestik</strong></td>
    <td>kraftvoll abwärts</td>
    <td>mit Leichtigkeit rhythmisch aufstrebend</td>
    <td>bequem sinkenlassend</td>
    <td>vergebens mühsam aufstrebend</td>
  </tr>
  <tr>
    <td colspan="2"><strong>Gang</strong></td>
    <td>stampfend (Ferse), O-beinig</td>
    <td>hüpfend, tänzelnd</td>
    <td>schlurfend</td>
    <td>X-beinig</td>
  </tr>
  <tr>
    <td colspan="2"><strong>Tugend</strong></td>
    <td>Mut</td>
    <td>Liebe, Interesse</td>
    <td>Geduld</td>
    <td>Mitleid</td>
  </tr>
  <tr>
    <td colspan="2"><strong>Untugend</strong></td>
    <td>Wut</td>
    <td>Triebhaftigkeit</td>
    <td>Trägheit</td>
    <td>Wehleidigkeit</td>
  </tr>
  <tr>
    <td colspan="2"><strong>Bosheit</strong><br>
:tätig<br>
:erleidend</td>
    <td><br>
Gewalttätigkeit<br>
Angst</td>
    <td><br>
Lügenhaftigkeit<br>
Leichtsinnigkeit</td>
    <td><br>
Hartherzigkeit<br>
Antriebslosigkeit</td>
  <td><br>
Grausamkeit<br>
Masochismus</td>
  </tr>
  <tr>
    <td colspan="2"><strong>Geisteskrankheit</strong></td>
    <td>Tobsucht</td>
    <td>Irrsinn, Narrheit</td>
    <td>Stumpfsinn</td>
    <td>Trübsinn, Wahnsinn</td>
  </tr>
  <tr>
    <td colspan="2"><strong>Wappentier<ref name="Wappentier>Die Wappentiere entsprechen den vier [[Sphinx]]-Tieren bzw. den Evangelisten-Symbolen und auch den entsprechenden [[Tierkreiszeichen]]. Dabei ergibt sich allerdings eine andere Zuordnung der [[Elemente]] zu den Tierkreiszeichen, als sie heute in der [[Astrologie]] üblich ist, indem die Luft- und Wasserzeichen vertauscht sind. Der Adler, der dem Skorpion entspricht, ist hier dem Luftelement zugeordnet und der Wassermann oder Engel dem Wasserelement.</ref></strong></td>
    <td>Löwe</td>
    <td>Adler</td>
    <td>Wassermann (Mensch/Engel)</td>
    <td>Stier</td>
  </tr>   
</table>
 
== Literatur ==
{{Glomer-Suche|Temperamente}}
* Rudolf Steiner: ''Wo und wie findet man den Geist?'', [[GA 57]] (1984) {{Vorträge|57}}
* Rudolf Steiner: ''Vor dem Tore der Theosophie'', [[GA 95]] (1990) {{Vorträge|95}}
* Rudolf Steiner: ''Menschheitsentwickelung und Christus-Erkenntnis'', [[GA 100]] (1981) {{Vorträge|100}}
* Rudolf Steiner: ''Makrokosmos und Mikrokosmos'', [[GA 119]] (1988) {{Vorträge|119}}
* Rudolf Steiner: ''Farbenerkenntnis'', [[GA 291a]] (1990) {{Vorträge|291a}}
* Rudolf Steiner: ''Das Geheimnis der menschlichen Temperamente'', Vortragsstellen von R. Steiner, ausgewählt und zusammengestellt von C. Englert-Faye, Zbinden Vlg., Basel 1985
* Heinrich Eltz: ''Die menschlichen Temperamente'', 3. Auflage, Verlag Paul Haupt, Bern - Stuttgart - Wien 2000, ISBN 978-3258049540
* [[Karl Rössel-Majdan]]: ''Vom Wunder der menschlichen Stimme. Sprachgestaltung''. Troxler, Wien 1975


{{GA}}
Zum Charakter und zur Brauchbarkeit sog. transzendentaler Argumente:
* {{Literatur|Autor=Roderick Chisholm|Titel={{lang|en|What is a Transcendental Argument?}}|Sammelwerk=Neue Hefte für Philosophie|Nummer=14|Jahr=1978}}
* {{Literatur|Autor=Moltke S. Gram|Titel={{lang|en|Do Transcendental Arguments have a Future?}}|Sammelwerk=Neue Hefte für Philosophie|Nummer=14|Jahr=1978}}


== Weblinks ==
== Weblinks ==
* [http://www.anthrowiki.info/jump.php?url=http://www.anthrowiki.info/ftp/anthroposophie/Rudolf_Steiner/Das_Geheimnis_der_menschlichen_Temperamente.pdf Das Geheimnis der menschlichen Temperamente] - Vortrag gehalten von Dr. Rudolf Steiner in Berlin am 4. März 1909
* [http://www.textlog.de/5253.html Eintrag im Wörterbuch der Philosophischen Begriffe von Rudolf Eisler] (1904)
* [http://www.rosejourn.com/index.php/rose/article/view/9/52 Christian Rittelmeyer: ''Die Temperamente in der Waldorfpädagogik. Ein Modell zur Überprüfung ihrer Wissenschaftlichkeit''] ([http://projektart-berne.de/Downloads/Rittelemeyer_Temperamente.pdf alternativer Download])
* [http://www.textlog.de/32695.html Eintrag im Kant-Lexikon von Rudolf Eisler] (1930)
* [http://www.philosophie.tu-darmstadt.de/media/institut_fuer_philosophie/diesunddas/nerurkar/kant/Was_heisst_transzendental_bei_Kant.pdf Michael Nerurkar: Was heißt ‘transzendental’ bei Kant?] (2012; PDF; 227&nbsp;kB)
* {{UTB-Philosophie|Thomas Zwenger|899|Transzendental}}


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<references/>
<references/>


{{Navigationsleiste Temperamente}}
[[Kategorie:Kritik der reinen Vernunft]]
[[Kategorie:Wissenschaftstheorie]]
[[Kategorie:Erkenntnistheorie]]
[[Kategorie:Kantianismus]]
[[Kategorie:Philosophie]]


[[Kategorie:Temperamente|!101]]
{{Wikipedia}}
[[Kategorie:Psychologie]]
[[Kategorie:Elemente]]
[[Kategorie:Typen (Psychologie)]]
[[Kategorie:Pädagogik]]
[[Kategorie:Waldorfpädagogik]]
[[Kategorie:Naturphilosophie]]
[[Kategorie:Christliche Kabbala]]
[[Kategorie:Zahlenmystik]]
[[Kategorie:Vierheit]]
[[Kategorie:Erziehung]]
[[Kategorie:Metaphysik]]

Aktuelle Version vom 23. November 2019, 12:09 Uhr

Das Adjektiv transzendental (von lat. transcendere, „überschreiten“) wird in erkenntnistheoretischen Zusammenhängen mit Bezug auf die Erfahrung verwendet. Es bezeichnet Vorstellungen oder Erkenntnisfunktionen, die nicht durch empirische Erfahrung erworben werden können, deren Gültigkeit aber angenommen werden muss, damit die Erfahrung einen Wahrheitsgehalt hat und folglich Erkenntnis und Wissen möglich sind. Da sie also eine jede mögliche empirische Erfahrung überschreiten, aber von dieser nicht losgelöst (transzendent) sind, bezeichnet Kant diese Eigenschaft transzendental. Als transzendental wird daher auch die Untersuchung der allgemein-notwendigen Bedingungen bezeichnet, die Erkenntnis ermöglichen und wahre Überzeugungen als Wissen rechtfertigen – diese ist das Programm der Transzendentalphilosophie, wie es Immanuel Kant in der Kritik der reinen Vernunft[1] formulierte: „Ich nenne alle Erkenntnis transzendental, die sich […] mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen, so fern diese a priori möglich sein soll, überhaupt beschäftigt.“ (Immanuel Kant: AA III, 43[2])

Die Eigenschaft „transzendental“ meint einen Zusammenhang mit der empirischen Erkenntnis von Gegenständen im Allgemeinen und in Absehung von den besonderen Erkenntnisvoraussetzungen eines spezifischen Gegenstands. Entlang dieser Linie bestimmt Kant die Transzendentale Ästhetik als Lehre von den Bedingungen der Wahrnehmung von etwas überhaupt, und die Transzendentale Logik als die Lehre von gedanklichen Anteil der Gegenstandserkenntnis – im Unterschied zur allgemeinen formalen Logik, die ihm zufolge mit Urteilen und Begriffen unabhängig von jedem Gegenstandsbezug operieren und den Gesetzen einer spezifischen Wissenschaft, die einzelne Gegenstände und Eigenschaften betreffen.

Kants Programm führte im deutschen Idealismus zum Anspruch, dass Transzendentales, weil a priori gültig, Erfahrung und Wissen abschließend begründen kann. Dieser Anspruch wurde in transzendentalen Konzepten – z. B. in denen von Schelling und Fichte – zur Konstruktion idealistischer Philosophien und romantischer Kunsttheorien verwendet. Damit einher geht aber – entgegen Kants Ansicht – der Anspruch oder doch zumindest die Sehnsucht, Transzendentes zu erfassen. Auch an diese wiederhergestellte Einheit von Kosmologie und Erkenntnistheorie knüpft Ende des 19. Jahrhunderts der amerikanische Transzendentalismus an.

Begriffsgeschichte

In der scholastischen Philosophie wird auf dem Gebiet der Ontologie der Begriff der Transzendentalien benutzt. Er bestimmt die unveränderlichen und allgemeinen Bestimmungen des Seins und der Seienden Dinge, die jede spezifische Kategorie übersteigen und also dem Sein als solchem, „τὸ ὂν ᾗ ὄν“, zukommt. Alle Dinge und alles Handeln sind je nach Grad ihrer Teilhabe an den Transzendentalien Sein – dem Einen, dem Wahren und dem Guten wertvoll oder weniger wertvoll bestimmbar. Die Vorstellung der Teilhabe wurde schon bei Platon und Augustinus thematisiert.

Im 15. Jahrhundert wurden diese Vorstellungen und die dazugehörigen Termini „transzendental“ bzw. „Transzendentalien“ im Rahmen von Übersetzungen und Kommentierungen neu zugänglicher griechischer, lateinischer und arabischer Texte verwendet. Pedro da Fonseca und Francisco Suárez gehörten zu den ersten, die im 16. Jahrhundert dazu eigene Darstellungen verfassten. Auch Avicennas Metaphysik gehört dazu.

„Transzendentalien“ bzw. „transzendental“ wurden in vielen weiteren theologischen und philosophischen Abhandlungen (v. a. bei Thomas von Aquin) zur Metaphysik und in dialektischen Disputen verwendet und verändert. Sie erweiterten stets die Terminologie, mit der sowohl theoretisch als auch empirisch Gottes Wirken und menschliches Denken erklärt werden sollten. Sie waren durch die folgenden Jahrhunderte und sind bis in die gegenwärtige Neuscholastik in Gebrauch. Kant waren sie durch die Schriften von Christian Wolff und Alexander Baumgarten bekannt, die sie für ihre Metaphysiken benutzt haben.

Kant setzt sich in §12 der Kritik der reinen Vernunft mit dem scholastischen Satz „quodlibet ens est unum, verum, bonum“ auseinander, den er als aus der „Transscendentalphilosophie der Alten“ stammend bezeichnet (Immanuel Kant: AA III, 97[3]).[4] Nach Kant müssen diese metaphysischen Lehrsätze über Transzendentalien als Eigenschaften des Daseins jedoch in erkenntnistheoretische Grundsätze einer möglichen Erfahrung übersetzt werden, um an ihren wahren Kern zu gelangen. Die allgemeinsten Bestimmungen des Seins werden zu den allgemeinsten Formen der Erkenntnis.

Kant und Hume

Kants und Humes Programme für eine Begründung der Wissenschaften unterscheiden sich prinzipiell. Für Hume ergibt sich aus seinen Beobachtungen und Schlussfolgerungen, dass wissenschaftliche Kenntnisse keine absolute Gewissheit haben. Sie müssen kontinuierlich überprüft und an empirische Erfahrungen angepasst werden.[5] Für Hume gibt es annähernde Gewissheit nur in der Mathematik, deren Erkenntnisse a priori gültig sind, weil Mathematik ein geschlossenes System darstellt. Philosophie kann als offenes System einer „Wissenschaft vom Menschen“ nichts abschließend beweisen, sondern nur durch Beschreibung von Beobachtungen Inhalte plausibel, bzw. nachvollziehbar machen.[6] „Das Gegenteil einer sogenannten Tatsache bleibt immer möglich [...] Es ist deshalb von wissenschaftlichem Interesse, die Natur der Gewissheit zu untersuchen, welche uns von der wirklichen Existenz und von Tatsachen überzeugt.“[7]

Für Kant, der auf eine geschlossene, systematische Ethik hinarbeitet, ist dabei vor allem das Induktionsproblem Stein des Anstoßes, das Hume nicht löse. Hume stelle lediglich fest, dass Kausalzusammenhänge nicht unmittelbar beobachtbar sind. Wie die Ursächlichkeit bewirkt werde, könne – so Hume – weder durch Erfahrung noch durch logische Analyse beantwortet werden. Dass der Begriff „Kausalität“, bzw. bestimmte Ursache-Wirkungszusammenhänge in alltäglichen und wissenschaftlichen Aussagen verwendet werden, die wir für gültig halten, erklärt er mangels Alternativen mit „Gewohnheit“. Die Gültigkeit des Begriffes „Kausalität“ entstehe durch wiederholtes Beobachten zweier aufeinander folgender Ereignisse. Dass Kausalität ein gültiges Prinzip menschlichen Vermutens und Denkens ist, so formuliert Hume allgemein, „ergibt sich nur nach einer langen Reihe gleichförmiger Vorgänge“, die Gewissheit für den Einzelfall schaffen.[8] Dieser Reihe Notwendigkeit zuzuordnen, wie es ein naturwissenschaftliches Gesetz erfordert, ist nach Hume ein Irrtum bzw. eine Hypothese.

Kant erklärt, im Unterschied zu Hume, die Tatsache, dass Menschen Kausalität feststellen, dadurch, dass er Kausalität zu einem reinen Verstandesbegriff, einer apriorischen Idee erhebt, die im transzendentalen Gebrauch der Einheit dem Zusammenhalt der empirischen Erfahrung überhaupt zugrunde liegt. So kann er behaupten, dass es kausale Verknüpfungen geben muss, die er als synthetische Urteile a priori charakterisiert, die allgemein gültig und notwendig sind. Erst mit dieser Lösung wird für Kant die Frage beantwortbar, ob trotz Humes Angriff eine Metaphysik der Natur und der Moral überhaupt noch möglich ist. Kant fährt fort:

„Da es mir nun mit der Auflösung des Humeschen Problems nicht bloß in einem besonderen Falle, sondern in Absicht auf das ganze Vermögen der reinen Vernunft gelungen war: so konnte ich sichere, obgleich immer nur langsame Schritte tun, um endlich den ganzen Umfang der reinen Vernunft, in seinen Grenzen sowohl, als in seinem Inhalt, vollständig und nach allgemeinen Prinzipien zu bestimmen, welches dann dasjenige war, was Metaphysik bedarf, um ihr System nach einem sicheren Plane aufzuführen.“

Immanuel Kant: AA IV, 260–261[9]

Neukantianismus und 20. Jahrhundert

Laut Lange handelt es sich dabei um „den Grund aller Irrtümer unsres Reformators der Philosophie“: [die] Verwechslung der methodischen und kunstgerechten Handhabung der Denkgesetze mit der sogenannten Spekulation, welche aus allgemeinen Begriffen deduziert.“[10] Solche „Deduktionen aus Begriffen“ machten für Kant den Kern seiner transzendentalen Methode aus.

Hinter Kants Entscheidung für die transzendentale Methode stehe – so der Neukantianer Windelband – die fundamentale Einsicht, dass „die Geltung der Vernunftprinzipien von der Art und Weise wie sie im empirischen Bewusstsein zustande kommen, völlig unabhängig ist.“[11]

Ferner charakterisiert er die Transzendentalphilosophie als „neu und absolut originell“. Man finde „ganz neue Probleme“ und ein „ganz neues Begriffsmaterial“, um sie zu lösen. Sie sei

„...die systematische Besinnung auf die unumstößlichen und unumgänglichen, jedem normal denkenden Menschen von selbst einleuchtenden, Voraussetzungen und Grundsätze, ohne welche es überhaupt keine Verständigung der Denkenden untereinander und keinen Versuch wissenschaftlicher Constatierung irgend welcher Thatsachen, keine Verarbeitung derselben zu Erkenntnissen giebt.[12]

Leonard Nelson griff sogar die Möglichkeit einer Erkenntnistheorie überhaupt an, da diese immer auf allgemein bestehenden Erkenntnissen beruhe und somit ad-hoc und Vermutung bleiben müsse. Daraus folgt für Hans Albert nicht die Unmöglichkeit von Erkenntnistheorie als solcher, sondern lediglich die Unmöglichkeit einer reinen Erkenntnistheorie.[13] Er deutet Kants Lösung als Rechtfertigungsstrategie. Diese könne durch Anwendung des Fallibilismus und des kritischen Realismus ersetzt werden. Kants eigene Ansätze müssten dann zu ...

  1. einer empirischen Theorie, die das Erkennen erklärt;
  2. einer Erkenntnistheorie, die Ziele und Normen aufgrund der faktischen Möglichkeiten festsetzt und die (1) aufweist;
  3. einer Methodologie wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts, die als eine rationale Heuristik aufgefasst werden sollte,

transformiert werden.

Auch Karl Popper beanspruchte, mit dem Kritischer Realismus die Kritische Transzendentalphilosophie Kants fortzusetzen. Dabei wandte er sich ausdrücklich gegen die Kantianer der ersten Generation, vor allem Jakob Friedrich Fries und seine einflussreiche Schule. Er unterstellte ihnen einen Psychologismus, also eine Vermischung von (empirischer) Psychologie und Erkenntnistheorie, der auch für Kant selbst nicht immer auszuschließen sei. Für Popper bleibt vom transzendentalen Erkenntnisapparat der Anschauungsformen und Begriffe lediglich eine „transzendentale Methode“, die Begriffe und Thesen einer Erkenntnistheorie an den tatsächlichen Verfahren der Wissenschaften kritisch zu messen.[14]

Siehe auch

Literatur

Zur Begriffsgeschichte:

  • Jan A. Aertsen, Medieval Philosophy as Transcendental Thought. From Philip the Chancellor (ca. 1225) to Francisco Suárez, Leiden, Brill, 2012.
  • Karl Bärthlein: Die Transzendentalienlehre der alten Ontologie. Teil I. Berlin/New York 1972. Google-Books
  • Hinrich Knittermeyer: Der Terminus transszendental in seiner historischen Entwickelung bis zu Kant. Marburg, Hamel 1920. Internet Archive
  • G. Schulemann: Die Lehre von den Transzendentalien in der scholastischen Philosophie. Leipzig 1929.
  • Max von Zynda: Kant – Reinhold – Fichte. Studien zur Geschichte des Transzendentalbegriffs. Vaduz/Liechtenstein 1980.

Zur Methode der Transzendentalphilosophie bei Kant:

  •  Hans Albert: Kritik der reinen Erkenntnislehre. Tübingen 1987.
  •  Ernst Cassirer: Determinismus und Indeterminismus in der modernen Physik. Historische und systematische Studien zum Kausalproblem. Hamburg 2004.
  • Nikolaus Knoepffler: Der Begriff „transzendental“ bei Kant. München 2001.
  • Michael Nerurkar: Amphibolie der Reflexionsbegriffe und transzendentale Reflexion in Kants Kritik der reinen Vernunft. Würzburg 2012.
  •  Karl R. Popper: Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie. Tübingen 1994.
  • Armando Rigobello: Die Grenzen des Transzendentalen bei Kant. München 1968.
  •  Wolfgang Röd: Dialektische Philosophie der Neuzeit. Bd. 1, München 1974, S. 30ff..

Zum Charakter und zur Brauchbarkeit sog. transzendentaler Argumente:

  •  Roderick Chisholm: What is a Transcendental Argument?. In: Neue Hefte für Philosophie. Nr. 14, 1978.
  •  Moltke S. Gram: Do Transcendental Arguments have a Future?. In: Neue Hefte für Philosophie. Nr. 14, 1978.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. „Der Ausdruck ‚transzendental‘ bezeichnet genau genommen nicht die Methode der Kritischen Philosophie, sondern den Charakter der sie leitenden Fragestellung; in der Transzendentalphilosophie wird nach Bedingungen gefragt, unter denen sich die objektive Gültigkeit von Begriffen und Sätzen a priori als möglich begreifen lässt.“ (Wolfgang Röd: Die Philosophie der Neuzeit 3. Teil 1: Kritische Philosophie von Kant bis Schopenhauer. München 2006, S. 33)
  2. Kant, Ausgabe der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1900ff, AA III, 43 / KrV B 25.
  3. Kant, Ausgabe der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1900ff, AA III, 97 / „Es findet sich aber in der Transscendentalphilosophie der Alten noch ein Hauptstück vor, welches reine Verstandesbegriffe enthält, die, […] als Begriffe a priori von Gegenständen gelten sollten, […] Ob nun zwar der Gebrauch dieses Prinzips in Absicht auf die Folgerungen (die lauter tautologische Sätze gaben) sehr kümmerlich ausfiel, […] so verdient doch ein Gedanke, der sich so lange Zeit erhalten hat, so leer er auch zu sein scheint, immer eine Untersuchung seines Ursprunges, und berechtigt zur Vermutung, daß er in irgend einer Verstandesregel seinen Grund habe, der nur, wie es oft geschieht, falsch gedolmetscht worden.“.
  4. Vgl. zu diesem Abschnitt auch Karl Bärthlein: Die Transzendentalienlehre der alten Ontologie, S. 1–5.
  5. Vgl. Hume: Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand. VIII,4.
  6. Vgl. Hume: Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand. VII,1.
  7. Hume, ebd. IV,2.
  8. Hume: Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand IV, 20.
  9. Kant, Ausgabe der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1900ff, AA IV, 260–261.
  10. Vgl. für diesen Abschnitt und Zitate: Friedrich Albert Lange: Geschichte des Materialismus und Kritik seiner Bedeutung in der Gegenwart. Frankfurt am Main 1974, S. 488–492. zeno.org
  11. Wilhelm Windelband: Lehrbuch der Geschichte der Philosophie. Tübingen 6. Aufl. 1912, S. 447. zeno.org
  12. Wilhelm Windelband: Immanuel Kant. Zur Säcularfeier seiner Philosophie. S. 114 u. 122f. In: Ders.: Präludien: Aufsätze und Reden zur Einleitung in die Philosophie. Freiburg i. B. [u.a.] 1884, S.112-145.Digisat Universität Heidelberg
  13.  Hans Albert: Kritik der reinen Erkenntnislehre. Mohr, Tübingen 1987, ISBN 3-16-945229-0, S. 29.
  14.  Karl R. Popper: Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie. S. 7. Online


Dieser Artikel basiert (teilweise) auf dem Artikel Transzendental aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Lizenz Creative Commons Attribution/Share Alike. In Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.