Alfred Schütz und Simon Magus: Unterschied zwischen den Seiten

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'''Alfred Schütz''' (* 13. April 1899 in Wien; † 20. Mai 1959 in New York City) war ein aus Österreich stammender Jurist, [[Philosoph]] und [[wikipedia:Soziologe|Soziologe]], der als Begründer der  
[[File:Nucci, Avanzino - Petrus' Auseinandersetzung mit Simon Magus - 1620.jpg|mini|300px|Avanzino Nucci: '' Petrus' Auseinandersetzung mit Simon Magus'' (1620)]]
[[wikipedia:Phänomenologische Soziologie|phänomenologischen Soziologie]] gilt und sich – ausgehend von [[Edmund Husserl]], [[wikipedia:Henri Bergson|Henri Bergson]] und [[Max Weber]] – der Frage der [[wikipedia:Intersubjekivität|Intersubjektivität]] widmete.  
[[File:Nuremberg chronicles f 262v (septima aetas).jpg|mini|300px|Der Sturz des Simon Magus - Abbildung aus der [[Wikipedia:Schedelsche Weltchronik|Schedelschen Weltchronik]] (lateinische Ausgabe in Sao Paulo)]]
[[File:Bourdon, Sébastien - La Chute de Simon le Magicien - 1657.jpg|mini|300px|Sébastien Bourdon: ''Der Fall des Simon Magus'' (1657)]]
[[File:Leighton Helen of Troy.jpg|mini|300px|[[Wikipedia:Frederic Leighton|Frederic Leighton]]: ''Helena von Troja'' (1865)]]
[[Datei:St.Peter und Paul in Söll - Deckenfresko Apostelgeschichte 4.jpg|mini|300px|Sturz des Simon Magus, Fresko (1768) in Söll (Tirol)]]
[[Datei:Fall des Simon Magus.gif|mini|300px| Der Fall des Simon Magus (unbekannter Künstler), Hildesheim, 1170]]
'''Simon Magus''' (auch ''Simon der Magier'', ''Simon von Samarien'' oder ''Simon von Gitta''; † 65, Rom) gilt als erster [[Häretiker]] der [[Wikipedia:Ekklesiologie|Kirche]]. Das Wenige, das über ihn bekannt ist, stammt aus christlichen Quellen, meist Polemiken gegen [[Gnostizismus|Gnostiker]]. Demzufolge war er ein [[Wikipedia:Samaritaner|Samaritaner]], der von seinen Anhängern als „die große Kraft Gottes“ oder Gott in menschlicher Gestalt (''[[theios aner]]'') verehrt wurde. Von seinem Namen ist der Begriff [[Wikipedia:Simonie|Simonie]] für Ämterkauf abgeleitet. Die gnostische Sekte der [[Simonianer]] berief sich auf ihn als Gründer und Lehrmeister.


== Biographischer Hintergrund ==
== Die Quellen ==
Alfred Schütz war als Rechtsberater für Reitler & Co. in Wien, Paris und später New York tätig und widmete sich der phänomenologischen [[wikipedia:Soziologie|Soziologie]] anfangs nur in seiner Freizeit. Schütz hatte Rechtswissenschaften, Ökonomie und [[Philosophie]] studiert und sein Denken war u. a. von der „[[wikipedia:Österreichische Schule|Österreichischen Schule]] der Nationalökonomie“ geprägt, die Ende des 19. Jahrhunderts von [[wikipedia:CarlMenger|Carl Menger]] gegründet worden war. Die Menger-Schüler [[wikipedia:Friedrich von Wieser|Friedrich von Wieser]] und [[wikipedia:Ludwig von Mises|Ludwig von Mises]] waren Lehrer Schütz’ in Wien, ebenso wie der Rechtsphilosoph [[wikipedia:Hans Kelsen|Hans Kelsen]] und der dem [[wikipedia:Wiener Kreis|Wiener Kreis]] nahestehende [[wikipedia:Felix Kaufmann|Felix Kaufmann]]. Auch seine Freunde [[wikipedia:Fritz Machlup|Fritz Machlup]] und Erich Vögelin (in den USA: [[wikipedia:Eric Voegelin|Eric Voegelin]]) übten intellektuellen Einfluss auf Schütz aus, letzterer regte ihn zu der Lektüre von [[wikipedia:Henri Bergson|Henri Bergson]], einem bedeutenden Vertreter der [[wikipedia:Lebensphilosophie|Lebensphilosophie]] des 19. Jahrhunderts, und von [[Edmund Husserl]], dem Begründer der [[Phänomenologie]], an. 1932 erschien Schütz’ erste und zu Lebzeiten einzige Monographie ''Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt. Eine Einleitung in die verstehende Soziologie'' (1932), die die Sozialwissenschaften nachhaltig beeinflusst hat. In den Jahren 1938–1939 emigrierte Schütz über Frankreich in die USA. Durch die Freundschaft mit [[wikipedia:Aron Gurwitsch|Aron Gurwitsch]], einem aus Litauen stammenden Philosophen, den Schütz in Paris kennenlernte, intensivierte sich seine Beschäftigung mit Husserls Phänomenologie.
Fast alle erhaltenen Quellen über Leben und Gedanken des Simon Magus stammen aus christlichen Werken, der Apostelgeschichte, den Kirchenvätern ([[Wikipedia:Irenäus von Lyon|Irenäus]], [[Wikipedia:Justin der Märtyrer|Justin der Märtyrer]], [[Wikipedia:Hippolyt von Rom|Hippolyt von Rom]], [[Wikipedia:Epiphanius von Salamis|Epiphanius von Salamis]]) den apokryphen [[Petrusakten]] und den [[Pseudo-Klementinen]]. Die Quellen über Simon entwerfen sehr unterschiedliche Bilder über seine Person, so dass fraglich ist, ob alle dieselbe Person meinen, oder ob sein Name nur die Projektionsfläche für die Verurteilung abweichender theologischer Richtungen bildet. Da die großkirchliche Reaktion den simonianischen [[Wikipedia:Synkretismus|Synkretismus]] ausschloss, sind die Quellen weniger an Verständnis, als an Abgrenzung interessiert, ihre Darstellung ist daher oft verzeichnend und im Ton scharfer [[Wikipedia:Polemik|Polemik]]. Viele antike literarische Quellen – einige unecht, einige echt – bestätigen, dass sowohl Simon Magus, als auch [[Simon Petrus]] in Rom gestorben sind.


Schütz knüpfte an die Phänomenologie Husserls und dessen Vorstellung der Lebenswelt als intersubjektiv sinnvoller Welt an. Vor diesem Hintergrund fragte er nach den Prozessen der sozialen Konstitution von Sinn. In ''Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt'' versuchte Schütz die „Verstehende Soziologie“ [[Max Weber]]s phänomenologisch zu fundieren. Ausgehend von Husserls Philosophie der [[Lebenswelt]] konzipierte Schütz eine Soziologie des Alltags.  
=== Apostelgeschichte ===
Der früheste Hinweis auf Simon findet sich in der wohl nach 70 entstandenen [[Wikipedia:Apostelgeschichte|Apostelgeschichte]], die von Simon Magus in [[Wikipedia:Samaria (Antike Stadt)|Sebaste]] in [[Wikipedia:Samarien|Samaria]] berichtet. Er soll demnach [[ekstatisch]]e Wirkungen ausgelöst haben. Simon, den seine Anhänger als eine „Kraft Gottes, die … große“ verehren, ist von den Heilungen durch die Samariamissionare beeindruckt und lässt sich vom Diakon [[Wikipedia:Philippus (Diakon)|Philippus]] taufen. Er wirkt als Missionar (Pseudoapostel?) und versucht erfolglos, die [[Gaben des Heiligen Geistes]] von [[Simon Petrus|Petrus]] und [[Johannes (Apostel)|Johannes]] gegen Geld zu erhalten, woher das Wort Simonie stammt.


Im amerikanischen Exil fand Schütz nur schwer Anschluss an die wissenschaftliche Gemeinschaft, die zu dieser Zeit von [[Talcott Parsons]] und dessen [[wikipedia:Strukturfunktionalismus|Strukturfunktionalismus]] dominiert war. Der Austausch zwischen Schütz und Parsons, den ihr Briefwechsel dokumentiert, scheiterte schließlich. Schütz fand auf andere Weise Zugang zur amerikanischen Sozialwissenschaft; einerseits wurde er Vorstandsmitglied der ''International Society of Phenomenology'' und 1941 Mitherausgeber der von [[wikipedia:Marvin Farber|Marvin Farber]] gegründeten Zeitschrift ''Philosophy and Phenomenological Research'', andererseits begann er 1943 an der ''[[wikipedia:New School for Social Research|New School for Social Research]]'' in New York zu lehren. Diese außergewöhnliche Hochschule hatte sich zum Ziel gesetzt, europäisch-stämmige, in die USA emigrierte Sozialwissenschaftler zu unterstützen. 1952 wurde Schütz zum ''Full Professor'' an der ''New School'' berufen. Er starb sieben Jahre später, 1959. Sein geplantes und bereits begonnenes Hauptwerk ''Strukturen der Lebenswelt'' wurde posthum von seinem Schüler [[wikipedia:Thomas Luckmann|Thomas Luckmann]] vollendet. Ebenso erschien ein Großteil seiner Artikel erst posthum, gesammelt in ''Collected Papers I-III'' (1962, 1964, 1966), (deutsch: ''Gesammelte Schriften I-III'', 1971).  
{{Zitat|9 Es war aber ein Mann mit Namen Simon, der zuvor in der Stadt Zauberei trieb und das Volk von Samaria in seinen Bann zog, weil er vorgab, er wäre etwas Großes.
10 Und alle hingen ihm an, Klein und Groß, und sprachen: Dieser ist die Kraft Gottes, die die Große genannt wird.
11 Sie hingen ihm aber an, weil er sie lange Zeit mit seiner Zauberei in seinen Bann gezogen hatte.
12 Als sie aber den Predigten des Philippus von dem Reich Gottes und von dem Namen Jesu Christi glaubten, ließen sich taufen Männer und Frauen.
13 Da wurde auch Simon gläubig und ließ sich taufen und hielt sich zu Philippus. Und als er die Zeichen und großen Taten sah, die geschahen, geriet er außer sich vor Staunen.
14 Als aber die Apostel in Jerusalem hörten, dass Samarien das Wort Gottes angenommen hatte, sandten sie zu ihnen Petrus und Johannes.
15 Die kamen hinab und beteten für sie, dass sie den Heiligen Geist empfingen.
16 Denn er war noch auf keinen von ihnen gefallen, sondern sie waren allein getauft auf den Namen des Herrn Jesus.
17 Da legten sie die Hände auf sie und sie empfingen den Heiligen Geist.
18 Als aber Simon sah, dass der Geist gegeben wurde, wenn die Apostel die Hände auflegten, bot er ihnen Geld an
19 und sprach: Gebt auch mir die Macht, damit jeder, dem ich die Hände auflege, den Heiligen Geist empfange.
20 Petrus aber sprach zu ihm: Dass du verdammt werdest mitsamt deinem Geld, weil du meinst, Gottes Gabe werde durch Geld erlangt.
21 Du hast weder Anteil noch Anrecht an dieser Sache; denn dein Herz ist nicht rechtschaffen vor Gott.
22 Darum tu Buße für diese deine Bosheit und flehe zum Herrn, ob dir das Trachten deines Herzens vergeben werden könne.
23 Denn ich sehe, dass du voll bitterer Galle bist und verstrickt in Ungerechtigkeit.
24 Da antwortete Simon und sprach: Bittet ihr den Herrn für mich, dass nichts von dem über mich komme, was ihr gesagt habt.
25 Als sie nun das Wort des Herrn bezeugt und geredet hatten, kehrten sie wieder um nach Jerusalem und predigten das Evangelium in vielen Dörfern der Samariter.|Apostelgeschichte|{{B|Apg|8|9–25|LUT}}}}


Im Folgenden soll die theoretische Position dargestellt werden, die Schütz in ''Der sinnhaften Aufbau der sozialen Welt'' (1932), in ''Reflections on the Problem of Relevance'' (1970) (deutsch: ''Das Problem der Relevanz'' 1971) und in den Aufsätzen entwickelt hat, die sich in den ''Collected Papers I-III'' (1962, 1964, 1966) bzw. ''Gesammelten Aufsätzen I-III'' (1971) finden.
=== Justin ===
[[Wikipedia:Justin der Märtyrer|Justin der Märtyrer]] († 165) schildert Simon als einen von seinen Anhängern religiös verehrten Mann zur Zeit des [[Wikipedia:Claudius|Claudius]] (41–54). Er sei mit einer gewissen ''Helena'' unterwegs gewesen, die er aus einem Bordell befreit habe, und die von den Simonianern als göttliche Teilinstanz „erster Gedanke“ verehrt werde. Justin berichtet von einer hauptsächlich aus Samaritanern bestehenden römischen Gemeinde Simons. Darüber hinaus weiß er von einer Simon geweihten Statue auf der Tiberinsel. 1574 wurde eine Statue auf der Insel entdeckt, diese war jedoch dem römischen Schwurgott [[Wikipedia:Sancus|Semo Sancus]] geweiht, welcher wahrscheinlich mit [[Wikipedia:Jupiter (Mythologie)|Jupiter]] identifiziert wurde. Es könnte sich dabei durchaus um das von Justin erwähnte Bild des Simon handeln.


== Die phänomenologische Begründung der Soziologie ==
{{Zitat|Auch nach der Auffahrt Christi zum Himmel haben die Dämonen einzelne Menschen veranlaßt, sich für Götter auszugeben, die nicht nur nicht von euch verfolgt, sondern mannigfacher Ehren gewürdigt wurden. So einen gewissen Samaritaner Simon aus dem Flecken Gittä, der unter Kaiser Klaudius durch die Macht der in ihm tätigen Dämonen in eurer Kaiserstadt Rom Zauberkünste [S. 92] ausgeübt hat, für einen Gott gehalten und wie ein Gott von euch durch eine Bildsäule geehrt wurde. Diese Bildsäule steht im Tiberflusse mitten zwischen zwei Brücken und trägt diese lateinische Aufschrift: Simoni deo sancto. Und fast alle Samaritaner, auch einzelne unter anderen Völkern, erkennen und verehren ihn als den höchsten Gott und eine gewisse Helena, die in jener Zeit mit ihm umherzog, nachdem sie früher in einem Hurenhause sich preisgegeben hatte, nennen sie seinen ersten Gedanken. Von einem gewissen Menander aber, der auch Samariter war aus dem Flecken Kapparetäa, einem Schüler des Simon, wissen wir, daß auch er, unter dem Einfluß der Dämonen stehend, in Antiochien auftrat und durch seine Zauberkunst viele berückte, der sogar seine Anhänger zu dem Glauben brachte, daß sie nicht sterben würden. Und noch jetzt gibt es einige von seinen Anhängern, die dies glauben. Dahin gehört ein gewisser Markion aus dem Pontus, der noch gegenwärtig seine Gläubigen anleitet, einen andern für größer zu halten als Gott den Weltschöpfer; dieser hat mit Hilfe der Dämonen bei allen Volksstämmen viele dazu gebracht, Lästerungen auszusprechen, Gott den Schöpfer dieses Weltalls zu leugnen und sich zu einem anderen zu bekennen, der, weil er höher stehe, Größeres als jener gewirkt habe. Alle, welche ihrer Richtung angehören, heißen, wie schon gesagt, Christen, wie denn auch unter den Philosophen diejenigen, welche nicht die gleichen Lehrsätze haben, doch den ihnen [S. 93] beigelegten Namen der Philosophie gemeinsam haben.|Justin der Märtyrer|''Erste Apologie'', 26 [http://www.unifr.ch/bkv/kapitel77-25.htm] }}
In seiner Bemühung, eine philosophische Grundlegung der [[wikipedia:Sozialwissenschaften|Sozialwissenschaften]] und dabei insbesondere der [[wikipedia:Soziologie|Soziologie]] zu erarbeiten, folgt Alfred Schütz dem Vorhaben [[Max Weber]]s, Soziologie als strenge Wissenschaft auf handlungstheoretischer Basis zu begründen. Schütz kritisiert dabei an Weber, dass dieser zwar die Werkzeuge zum Verstehen des sozialen Sinns von Handlungen geschaffen hat, eine philosophische Begründung des Sinnverstehens aber unterlässt. Für Weber besteht [[wikipedia:Soziales Handeln|soziales Handeln]] [orig. Weber-Definition einfügen]. In seiner „Verstehenden Soziologie“ geht es vor allem auch darum, zu klären, wie ein wissenschaftlicher Beobachter den subjektiven Sinn, den ein [[wikipedia:Akteur|Akteur]] mit seinem Handeln verbindet, objektiv erfassen kann. Schütz setzt hingegen beim Handelnden selbst an und fragt nach der Konstitution subjektiven Sinns, d. h. wie der Akteur selbst Sinn erzeugt und erfährt. Dem wissenschaftlichen Beobachter ist der subjektive Sinn einer Handlung, wie ihn der Handelnde selbst erfährt, nicht zugänglich und sein Verständnis kann nie identisch mit dem des Akteurs sein.  


Dieses Problem des Fremdverstehens betrifft nicht nur das Verhältnis zwischen Wissenschaftler und handelndem Subjekt. Wenn der Sinn einer Handlung nämlich nur demjenigen verständlich ist, der sie ausführt, nicht aber dem jeweils „Anderen“, stellt sich die Frage, wie unsere alltägliche [[wikipedia:Kommunikation|Kommunikation]] als funktionierend empfunden werden kann. Wie ist gesellschaftliches Zusammenleben möglich, ohne den subjektiven Sinn zu kennen, den Andere mit ihren Handlungen verbinden? Schütz zufolge greifen Akteure im Alltag auf bestimmte Methoden zurück, die es ihnen ermöglichen, von einem intersubjektiv geteilten Sinn auszugehen. Er untersucht die Bedingungen und Prinzipien, die diese Erzeugung von intersubjektivem Sinn leiten.
=== Origenes ===


=== Soziale Handlung, Sinn und Subjektivität ===
[[Origenes]] gibt an, dass sich laut [[Celsus]] einige Anhänger Simons auch als '''Helenianer''' bezeichnet hätten:
Vorerst geht die Analyse Schütz’ aber vom Ego, dem Erleben des einsamen Ichs aus. Bergson folgend, ergibt sich für Schütz sinnhaftes Handeln erst in der Reflexion des Ichs auf bereits vergangene Erlebnisse. Während des Vollzugs einer Handlung, also während des Handelns selbst, kann ihr vom Akteur kein Sinn beigelegt werden. Erst durch den Rückgriff auf den Entwurf oder Plan, der zu der Handlung führte, kann diese einen subjektiven Sinn entfalten. „''Nur das Erlebte ist sinnvoll, nicht aber das Erleben''“ (''Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt'': S. 49). Schütz unterscheidet strikt zwischen dem Handeln als Tätigkeit (lateinisch ''actio'') und der Handlung als gedanklichen Entwurf (''actum''), wobei das ''Handeln'' das Sinnhafte in der ''Handlung'' (im „Handlungsentwurf“) findet. Diese Trennung zwischen Handeln und Handlung hebt Schütz’ Zugangsweise von der [[Max Weber|Webers]] ab, an dieser kritisiert Schütz:  


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{{Zitat|Darauf schüttet er über uns einen Haufen von Namen aus und sagt, ''"er kenne auch einige Simonianer, die die Helena oder als Lehrer den Helenos verehrten und deshalb Helenianer genannt würden"''. Es ist aber dem Celsus unbekannt, dass "die Simonianer" Jesus durchaus nicht als Sohn Gottes anerkennen, sondern den Simon die Kraft Gottes nennen<ref>{{B|Apg|8|10}}</ref>. Sie erzählen einige wunderbare Geschichten von ihm, der sich eingebildet hatte, er werde denselben Einfluß bei den Menschen erlangen, den Jesus bei der Menge besaß, wenn er ebensolche Scheinwunder verrichtete, wie Jesus nach seiner Meinung vollbracht hatte<ref>{{B|Apg|8|18-19}}</ref>|Origenes|''Contra Celsum'' V,62 [http://www.unifr.ch/bkv/kapitel142-61.htm]}}
„Weber macht zwischen Handeln als Ablauf und vollzogener Handlung, zwischen dem Sinn des Erzeugens und dem Sinn des Erzeugnisses, zwischen dem Sinn eigenen und fremden Handelns, bzw. eigener und fremder Erlebnisse, zwischen Selbstverstehen und Fremdverstehen keinen Unterschied. Er fragt nicht nach der besonderen Konstitutionsweise des Sinnes für den Handelnden, nicht nach den Modifikationen, die dieser Sinn für den Partner in der Sozialwelt oder für den außenstehenden Beobachter erfährt, nicht nach dem eigenartigen Fundierungszusammenhang zwischen Eigenpsychischem und Fremdpsychischem, dessen Aufklärung für eine präzise Erfassung des Phänomens ‚Fremdverstehen‘ unerläßlich ist“ (''Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt'': S. 5).  
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In der Auseinandersetzung mit Webers Sinnbegriff stellt Schütz fünf Sinnschichten dar. Auf der Ebene der ersten Schicht ist Sinn unabhängig von einem konkreten Anderen, er wird vielmehr Dingen der Umwelt zugeschrieben (z.&nbsp;B. eine Tür lässt sich öffnen). Der zweite Sinnbegriff richtet sich auf die Existenz eines Anderen (z.&nbsp;B. weil jemand klopft, öffne ich die Tür), während der dritte schon das Verhalten des Anderen antizipiert (ich öffne die Tür und grüße). In der vierten Sinnschicht kommt es zu einer wechselseitigen Verhaltensorientierung, in der sich die Handlungen des Akteurs an dem erwarteten Verhalten des Anderen orientieren (ich überlege, ob ich ihn empfangen soll oder nicht). Aus diesen vier Schichten ergibt sich ein konstitutiver Sinnzusammenhang für den Handelnden selbst, d.&nbsp;h. für sein eigenes Verständnis der Handlung. Davon unterscheidet Schütz aber die fünfte Sinnstufe, die der Sinndeutung durch Andere. Die Aufgabe der Soziologen als möglicher „Anderer“ ist es, diese vierschichtige Sinnkonstitution des Handelnden zu verstehen.  
=== Irenäus von Lyon ===
Während die Apostelgeschichte nur vom Magier Simon, aber keinem Lehrsystem weiß, hat nach Irenäus die „fälschlich so genannte“ [[Gnosis]] mit Simon begonnen. Nach [[Wikipedia:Irenäus von Lyon|Irenäus von Lyon]] (''Gegen die Häretiker'', Buch 1, 23, 1-5) habe Simon den Anspruch erhoben, ein [[Messias]] (Christus) zu sein, und sei gekommen, um den (weiblichen) „ersten Gedanken" [[Ennoia]] aus der Materie zu erlösen. Dies könnte zu Justins Nachricht über Helena passen. Dieser „erste Gedanke" stieg in die niedrigeren Regionen ab und erschuf Engel und Mächte. Die Engel lehnten sich aus Neid gegen Ennoia-Helena auf und schufen die Welt als ihr Gefängnis, in dem sie in einem weiblichen Leib gefangen lag. So zog sie von Leib zu Leib wie von Gefängnis zu Gefängnis. Sie nahm u.a. in [[Helena (Mythologie)|Helena von Troja]] Gestalt an, bis sie als Prostituierte in der [[Wikipedia:Phönikien|phönizischen]] Stadt [[Wikipedia:Tyros|Tyrus]] durch Gott, der in Gestalt des Simon Magus abgestiegen war, erlöst wurde. Diese von den Engeln geschaffene Welt wäre dem Verderben preisgegeben. Nur die an Simon und an Helena glaubten, könnten mit ihnen in die höheren Regionen zurückkehren.


Zusammenfassend lässt sich Schütz' Ansatz als eine Theorie der sozialen ''Handlung'', nicht des sozialen ''Handelns'' bezeichnen. Über die Beschränkung auf abgeschlossene Handlungen hinaus, geht Schütz auch nur auf jene Bewusstseinserlebnisse ein, die auf ein ''alter ego'' (d.&nbsp;h. anderes Ich) bezogen sind, womit er den Anderen als ein Bewusstsein habendes Wesen meint, nicht nur den bloßen Leib. Ein wesentliches Element der Handlung, zu dessen Berücksichtigung Schütz durch die Theorien [[wikipedia:William James|William James]] angeregt wurde, stellt der Wille zu ihrer Ausführung, der Entschluss, den Handlungsentwurf umzusetzen, dar.  
{{Zitat|Dieser Simon von Samaria, von dem sämtliche Sekten abstammen, trägt folgende Irrlehre vor: Mit einer gewissen Helena, die er zu Tyrus in Phönizien als Lohndirne erstand, zog er herum und sagte, dies sei die erste Vorstellung seines Geistes, die Mutter aller, durch die er im Anfang gedachte, Engel und Erzengel zu erschaffen. Indem diese Ennoia von ihm ausging und erkannte, was der Vater wollte, stieg sie in die unteren Regionen hinab und zeugte die Engel und Mächte, von denen diese Welt gemacht worden sein soll. Dann aber wurde sie aus Neid von ihren eigenen Kindern zurückgehalten, da diese nicht für die Kinder irgend jemandes gehalten werden wollten. Er selbst blieb ihnen gänzlich unbekannt, die Ennoia aber hielten die Engel und Mächte zurück, die sie selbst geboren hatte, und jegliche Schmach mußte sie von ihnen erleiden, so daß sie nicht zu ihrem Vater zurückkehren konnte und sogar in menschlichem Körper eingeschlossen, in Ewigkeit wie von einem Gefäß in das andere in weibliche Körper überging. So war sie auch in dem Leib der Helena, deretwegen der trojanische Krieg unternommen wurde. Stesichorus, der auf sie Schmählieder dichtete, wurde deswegen geblendet, und erst als er reuevoll durch Gegenlieder Abbitte leistete, bekam er das Augenlicht wieder. Bei ihrer Wanderung von Körper zu Körper erlitt sie in jedem immer neue Schmach und landete zuletzt in einem öffentlichen Hause — sie ist das verlorene Schaf.|Irenäus|''Gegen die Häretiker'' I, 23, 1-5 [http://www.unifr.ch/bkv/kapitel603-1.htm] }}


Die Differenz zwischen den Perspektiven von ''ego'' und ''alter'' ist von grundlegender Bedeutung für Schütz und wird auch an seinem Konzept des ''[[wikipedia:Motiv (Psychologie)|Motivs]]'' deutlich. In seiner [[wikipedia:Konstitutionsanalyse|Konstitutionsanalyse]], in der er nicht die Dinge analysiert, also das [[wikipedia:Sozial|Sozial]]e an sich, sondern wie diese auf uns wirken und wie sie von uns wahrgenommen werden, trifft er die Unterscheidung zwischen „Um-zu“-Motiven und „Weil“-Motiven. Dabei bilden erstere den Handlungsentwurf, der auf die zukünftige Realisierung der Handlung gerichtet ist, während letztere die (in der biographischen Vergangenheit des Handelnden liegenden) Gründe für dessen Entstehung angeben. ''Beispiel'' für ein „Um-zu“-Motiv: Der Täter beging den Überfall, um an das Geld des Opfers zu kommen. Zuerst findet der Handlungsentwurf statt, danach erfolgt das eigentliche Handeln – hier wird beschrieben, wie es zum Handeln kommt.
=== Die apokryphen Petrusakten ===
''Beispiel'' für ein „Weil“-Motiv: Der Täter beging den Überfall, weil er aus schlechten Verhältnissen stammte. In diesem Motiv wird dargestellt, wie es zum Handlungsentwurf kommt.
Diese Vorgehensweise ermöglicht eine personale (subjektive) [[wikipedia:Idealtypus|Idealtypus]]-Konstruktion, die durch den Vergleich mit alltäglichen sozialweltlichen Situationselementen das Verstehen von Handeln ermöglicht (und sei es durch Post-hoc-Erklärungen). Der hier erwähnte Idealtypus ist als Messeinheit zu sehen, nicht aber als ein Wert, den es anzustreben gilt. Bei der Frage nach dem Motiv einer Handlung ist die Perspektive maßgeblich: Das Um-zu-Motiv stellt den Sinn der Handlung dar, wie er vom Handelnden selbst unmittelbar verstanden wird. Der Beobachter muss danach fragen, was der Akteur beabsichtigt, welchen Sinn er selbst seiner Handlung gibt, um das Um-zu-Motiv zu erschließen. Bezüglich des Weil-Motivs befinden sich Beobachter und Handelnder in einer ähnlichen Situation. Da die Hintergründe für die Entstehung des Handlungsentwurfs in der Vergangenheit liegen und mit der Handlung nicht unmittelbar zu tun haben, muss sich auch der Handelnde zu sich selbst als Beobachter verhalten, um seine Weil-Motive zu erforschen. Er hat keinen privilegierten Zugang zu ihnen.


=== Lebenswelt und Soziologie des Alltags ===
Die vermutlich Ende des zweiten Jahrhunderts in Kleinasien entstandenen apokryphen [[Petrusakten]] schildern eine Legende über den Tod des Simon Magus. Simon übt auf dem Forum Zauberei vor dem römischen Kaiser Claudius. Um seine Göttlichkeit zu beweisen, erhebt sich Simon in die Luft. Der Apostel Petrus betet, Gott solle dem Geschehen Einhalt gebieten:
Der von [[Edmund Husserl|Husserl]] stammende Begriff der [[Lebenswelt]], die Schütz als „''Gesamtzusammenhang der Lebenssphäre''“ (''Gesammelte Aufsätze I'': S. 284) begreift, meint die intersubjektiv sinnhafte Welt, an der Menschen durch ihre alltäglichen Handlungen, durch ihre natürliche (d.&nbsp;h. vorwissenschaftliche) Erfahrung teilhaben. In den frühen 40er Jahren vollzieht sich im Werk Schütz’ eine Wende zur Soziologie des Alltags, die auf ebendieser lebensweltlichen Fassung beruht. Grund für Schütz’ Distanzierung von der phänomenologischen [[Epoché|Reduktion]] und für seine Hinwendung zu Phänomenen der Lebenswelt und zu der mundanen [[wikipedia:Intersubjektivität|Intersubjektivität]], ist seine Enttäuschung über Husserls Fünfte ''Cartesianische Meditation''. In ihr findet Schütz nicht die erhoffte Lösung des Intersubjektivitätsproblems; seiner Meinung nach gelingt es Husserl nicht, „die Intersubjektivität alles Erkennens und Denkens transzendental abzuleiten“, wie es Schütz noch im 'Sinnhaften Aufbau' erwartet hatte (''Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt'': S. 30). Er wendet sich stattdessen im Zusammenhang mit der Möglichkeit von Intersubjektivität [[Max Scheler]] zu. Dessen Annahme, dass die Erfahrung der Gemeinschaft, des Wir, jeder Erfahrung vom Ich vorausgeht und diese fundiert, belegt für Schütz die Wichtigkeit der alltagsweltlichen Phänomene. Der Sozialität als lebensweltlichem Sachverhalt, nicht als phänomenologisch-transzendentalem, gilt folglich Schütz’ Interesse. Die Soziologie habe sich als eine Soziologie des Alltags der Erforschung der mundanen Intersubjektivität zu widmen, insbesondere solle sie die „''invarianten eigenwesentlichen Strukturen[…] einer Gemeinschaft''“ (''Gesammelte Aufsätze I'': S. 138) untersuchen. Dieses Ziel Schütz’ drückt sich auch im Titel seines von Thomas Luckmann fertiggestellten Hauptwerkes ''Strukturen der Lebenswelt'' aus.  
{{Zitat
| Text=Doch möge er nicht sterben, sondern bloß unschädlich gemacht werden und sich den Schenkel an drei Stellen brechen. Und Simon stürzte vom Himmel und brach sich den Schenkel an drei Stellen. Da warfen alle Steine auf ihn und gingen heim und vertrauten von nun an Petrus.
| Quelle=Petrusakten 32}}


Geprägt ist die Struktur der Lebenswelt durch die „natürliche Einstellung“, die dem Menschen die Existenz seiner alltäglichen Welt, die Erfahrungen, die er in ihr macht, und die Bedeutungen, die die Dinge in ihr haben, natürlich und unhinterfragbar erscheinen lassen. Als Ganzes kann diese Lebenswelt nicht in Zweifel gezogen werden, höchstens einzelne Aspekte sind hinterfragbar. Der Mensch orientiert sich in ihr, indem er pragmatischen Maximen folgt und Handlungsroutinen etabliert. Ihre Stabilität bezieht die Lebenswelt folglich auch aus der Zuversicht des Handelnden, dass sich Erlebnisse und Situationen gleichförmig gestalten und er selbst, auf seine Erfahrungen aufbauend, auch in Zukunft bestimmte Fähigkeiten einsetzen und Handlungen ausführen kann, die sich schon in der Vergangenheit bewährt haben.
Offenbar war es den Autoren der Petrusakten nicht bekannt, dass der im antiken Griechenland und im alten Israel praktizierte Brauch der [[Wikipedia:Steinigung|Steinigung]] in Rom unvorstellbar gewesen wäre. Das dramatische Bild des [[Levitation (Parapsychologie)|levitierenden]] und über Rom abstürzenden Simon entfaltete jedoch eine große Wirkung und wurde in mittelalterlicher Kunst häufig dargestellt.


Die Lebenswelt ist immer schon eine soziale Welt, die dem Einzelnen vorausgeht und von früheren Generationen erfahren und interpretiert wurde. In dem Sinne, dass sie mit anderen Menschen geteilt und gemeinsam gedeutet und kommuniziert wird, ist sie eine intersubjektive Welt und alles Wissen von und in ihr ist intersubjektiv. Der Wissensvorrat, auf den ein Mensch zurückgreift ist nur zu einem sehr geringen Teil persönlicher Natur; ein Großteil des Wissens ist sozial abgeleitet, indem es gesellschaftlich entwickelt und weitergegeben wird. Wissen ist in der Auffassung Schütz' die Summe aller Fertigkeiten, Erwartungen und Überzeugungen, aller Wahrnehmungsmuster und Handlungsrezepte, unabhängig ob sie im wissenschaftlichen Sinne als wahr gelten würden, sofern sie von einer gesellschaftlichen Gruppe als Wissen angesehen werden.  
=== Hippolyt von Rom ===
[[Wikipedia:Hippolyt von Rom|Hippolyt von Rom]] ([[Philosophumena]]) liefert eine komplexe Darlegung der in der «Großen Offenbarung» festgehaltenen Lehren des [[Simonianismus]], einschließlich des Systems göttlicher [[Emanation (Philosophie)|Emanationen]] und Deutungen des Alten Testaments. Wahrscheinlich liegt dieser Darstellung eine spätere Gestalt des Simonianismus zugrunde, während ihre ursprünglichen Lehren schlichter und der Darstellung des Justin und Irenäus ähnlicher waren.


In seinem Aufsatz ''On Multiple Realities'' (1945), von William James deutlich beeinflusst, manifestiert sich Schütz’ Interesse an der Lebenswelt und deren Sinnzusammenhang, der sich in alltäglichen Sozialbeziehungen herausbildet, als eine Untersuchung von Merkmalen wie Bewusstseinsspannung und Aufmerksamkeitsstruktur, Relevanzsystem und kognitivem Stil. Er entwickelt die Theorie, dass es innerhalb der menschlichen Erfahrung vielfältige Sinnprovinzen (wie z.&nbsp;B. die Alltagswelt, die Welt des Traumes, des Spiels, der Wissenschaft, der Religion, der Kunst usw.) gibt, an denen der Mensch teilhaben kann. Eine herausragende Stellung nimmt dabei die Welt des Alltag ein, die als „paramount reality“ den „''Archetyp unserer Erfahrung der Wirklichkeit''“ darstellt (''Gesammelte Aufsätze I'': S. 267). Diese privilegierte Position der Alltagswelt und des alltäglichen Wissens beeinflusst auch Schütz’ Konzeption der Beziehung zwischen Wissenschaft und Alltag. Die Welt des Alltags unterscheidet sich von anderen Sinnprovinzen durch den spezifischen kognitiven Stil, wie die Wirklichkeit erlebt wird. Beispielsweise hebt sich das Erleben im Alltag bezüglich der Bewusstseinsspannung durch den Zustand der Wachheit, durch die völlige Aufmerksamkeit auf die Wirklichkeit von der Welt des Traumes ab, in der keinerlei Interesse an der Realität besteht. Des Weiteren zeichnet sich die Welt des Alltags dadurch aus, dass an ihr nicht gezweifelt wird und sich die Menschen in ihr als Handelnde erfahren, während der Träumer weder handelt noch auf äußere Sachverhalte einwirken kann. Ein wesentliches Merkmal der Alltagswelt ist ihre Sozialität; alltägliche Erfahrung ist grundlegend auf Kommunikation und soziales Handeln ausgerichtet. Und schließlich stellen auch die spezifische Selbsterfahrung und Zeitperspektive Merkmale dar, die die Welt des Alltags von anderen Sinnbereichen und Formen der Welterfahrung unterscheidet. In The ''Stranger: An Essay in Social Psychology'' (1944) und ''The Homecomer'' (1945) beschäftigt sich Schütz eingehender mit den Problemen, vor allem mit der Infragestellung der Identität des Menschen, die der Übergang von einer Sinnprovinz in eine andere nach sich ziehen kann.  
{{Zitat|Es erscheint also angebracht, die Meinungen des Simon aus Gitta, einem Dorf in Samaria, auseinanderzusetzen; er hatte auch Nachfolger, wie wir noch zeigen werden, die unter anderer Flagge ähnlich verfuhren. Dieser Simon, der Magie kundig, täuschte viele durch die Kunst des Thrasymedes, wie wir es oben1 auseinandergesetzt haben, und verübte Schlimmes mit Hilfe von Dämonen; er ging daran, sich selbst zum Gott zu machen; ein Schwindler, voller Narrheiten, den nach den Acta die Apostel überführten.|Hippolyt von Rom|''Widerlegung aller Häresien'' VI,7 [http://www.unifr.ch/bkv/kapitel1767-2.htm] }}


Wie die Struktur unserer Erfahrung von der jeweiligen Sinnprovinz abhängt, ist auch die alltägliche Sozialwelt nach der Art unterteilbar, in der das Handeln der Anderen dem Akteur zugänglich ist. Schütz unterscheidet zwischen ''sozialer Umwelt, Mitwelt'' und ''Vorwelt'' und beschreibt die verschiedenen Ausprägungen, die das Problem intersubjektiven Verstehens in den jeweiligen sozialen Sphären annimmt. ''Face-to-face''-Interaktionen vollziehen sich in der sozialen Umwelt; diese zeichnet sich folglich durch die unmittelbare Präsenz ''alters'' für das ''ego'' an einem gemeinsamen Ort aus und ermöglicht eine direkte reziproke Reaktion auf Gesagtes und soziale Handlungen. Das Gelingen intersubjektiven Verstehens ist bei dieser Art des sozialen Kontaktes am wahrscheinlichsten, da sich die Interaktionspartner wechselseitig versichern können, ob ihre Deutungsschemata, ihre Sichtweisen der „Welt“ übereinstimmen und die Möglichkeit der kommunikativen Rückkopplung gegeben ist. Die soziale Mitwelt grenzt an den engen Kern der Umwelt und stellt alle Akteure dar, die für das ''ego'' prinzipiell erreichbar sind, weil sie zur gleichen Zeit leben, sich aber nicht am gleichen Ort aufhalten. Wissen über den Anderen, seine Motive und Sinnzusammenhänge kann nicht unmittelbar erworben werden. ''Ego'' muss sich an [[wikipedia:Deutungsmuster|typisierten]] Erwartungen und Motiven orientieren, die oft starken sozialen Standardisierungen und Normierungen unterworfen sind (z.&nbsp;B. formale Anreden in Briefen an Unbekannte). Die soziale Vorwelt ist weder unmittelbar noch mittelbar für den Akteur zu erreichen, da sie nicht seiner Gegenwart angehören. Er kann keinerlei Kontakt aufnehmen und ist auf eine einseitige Interpretation angewiesen. Dementsprechend gering ist die Wahrscheinlichkeit intersubjektiven Verstehens.
=== Epiphanius von Salamis ===


=== Typik und Relevanz ===
[[Wikipedia:Epiphanios von Salamis|Epiphanios von Salamis]] kommentiert in seinem Panárion (der „Hausapotheke gegen die Schlangenbisse der Häresie“, auch als ''Adversus haereses'' bekannt und meist als ''Haereses'' zitiert, geschrieben 374–377) Leben und Lehre des Simon Magus. Im zweiten Abschnitt des ersten Buches bespricht er 13 häretische Sekten.
Die Hindernisse, die intersubjektivem Verstehen, zumindest einem vollständigen Verstehen, entgegenstehen, differieren abhängig von der sozialen Sphäre. Wie ist Fremdverstehen dann aber überhaupt denkbar? Schütz’ ''Generalthese der Existenz des alter ego'' darf als grundlegende Voraussetzung dafür gelten, denn nur wenn davon ausgegangen wird, dass der Andere wirklich und prinzipiell gleichartig ist, besteht die Möglichkeit zu Intersubjektivität. Der spezifische Sinn, den der Andere als ein in gleicher Weise bewusstes, denkendes und erinnerndes Wesen seinen Handlungen zugrunde legt, ist erschließbar, indem das Ich die eigenen Bewusstseinsleistungen und Sinnkonstitutionen untersucht. Um die Sichtweise ''alters'' einzunehmen muss ''ego'' also von der Annahme ausgehen, dass auch der Andere Interpretationsschemata verwendet, Handlungsmotive verfolgt und strukturidentische Gedankenströme besitzt, wenngleich diese von denen ''egos'' in ihrer spezifischen Ausgestaltung abweichen. Neben dem Vertrauen darauf, dass der Andere auf ähnliche Weise Wissen über die Welt generiert, ist das Handeln im Alltag im weiteren von der zumeist unbewussten Annahme geleitet, dass die Verschiedenartigkeit unseres Wissens über die Welt darauf beruht, dass der Andere aufgrund seiner biographischen Situation und seiner Position im Raum eine Perspektive einnimmt, die sich von der ''egos'' unterscheidet. Auch wenn sich die Differenz der Perspektiven nie vollständig aufheben lässt, kann sie doch für spezifische Interaktionssituationen ''neutralisiert'' werden. Dazu bedient sich der Mensch laut Schütz der ''Generalthese der Reziprozität der Perspektiven'', die auf zwei Idealisierungen beruht, nämlich der ''Idealisierung der Austauschbarkeit der Standpunkte'' und der ''Idealisierung der Übereinstimmung der Relevanzsysteme''.  


Auf der ''Idealisierung der Austauschbarkeit der Standpunkte'' gründet sich die Sicherheit, dass ich das gleiche wahrnehmen würde wie mein Gegenüber, wäre ich an seiner Stelle und dass ich die Dinge in gleicher Perspektive, Distanz und Reichweite erfahren würde wie er. Darüber hinaus erwarte ich von ihm, dass er die gleiche Idealisierung vollzieht. Die ''Idealisierung der Übereinstimmung der Relevanzsysteme'' leugnet nicht, dass ich abhängig von meiner biographisch bestimmten Situation spezifische Interessen und Ziele habe und potentiell andere Dinge als relevant empfinde als mein Gesprächspartner, sie besagt vielmehr, dass beim Versuch einer Verständigung diese Unterschiede der Relevanzsysteme unbeachtet bleiben können. Für den momentanen Zweck, den der Andere und ich verfolgen, sind sie irrelevant. Vollziehen die Gesprächspartner diese Idealisierung wechselseitig ergibt sich im Alltag zumeist zwar keine vollständige – weil diese unmöglich ist –, aber eine für die Kommunikation ''ausreichende'' Übereinstimmung der Relevanzsysteme.  
{{Zitat|Die erste davon ist die des Simon Magus, welcher unmittelbar nach Christus noch zu den Zeiten der Apostel auftauchte. Seine Anhänger heißen nach ihm Simonianer. Er war aus einem Dorfe Samariens, Gitthis, geboren und nur dem Namen nach ein Schüler Christi. Er lehrte schändliches Treiben und predigte freie Liebe. Er leugnete die Auferstehung der Leiber und die Erschaffung der Welt durch Gott. Sein und seiner Dirne Helena Bild gab er als Darstellung des Zeus und der Athene seinen Jüngern zur Anbetung. Bei den Samaritern gab er sich für Gott Vater aus; zu den Juden sagte er, er sei der Christus.|Epiphanius von Salamis|''Haereses'' I 2,21 [http://www.unifr.ch/bkv/kapitel2316-2.htm] }}


Um Schütz’ Herangehensweise an die Lösung des Intersubjektivitätsproblems nachzuvollziehen, ist es nötig, die Begriffe ''Typik'' und ''[[wikipedia:Bedeutsamkeit|Relevanz]]'' zu erläutern. Unter Typik versteht Schütz jenes Phänomen der Alltagswelt, das uns Personen (und Gegenstände) nur in sehr spezifischen Situationen als konkret und einzigartig erfahren lässt, in den meisten Fällen greifen wir hingegen auf ein Verständnis anderer Akteure als typische Vertreter einer sozialen Rolle zurück. Aufgrund der sprachlichen Vermittlung einer Welt bereits etablierter Typisierungen, in die wir hineingeboren werden, lernen wir Hunde, Freunde usw. stets schon als typische Hunde, typische Freunde usw. kennen. Typisierungen blenden also das Besondere einer Person (oder eines Gegenstandes), die Vielfalt ihrer Persönlichkeit aus, indem sie auf Vorerfahrungen verweisen. Durch diese Abstraktion erleichtern sie uns Verständigungsprozesse. Wir müssen in Interaktionen nicht „von Null“ anfangen, sondern können uns darauf verlassen, dass die typisierte Wahrnehmung des Anderen und das Unterstellen typischer Motive und Sinnstrukturen ausreicht, um vor dem praktischen Hintergrund der Situation eine Verständigung zu erzielen. In diesem Sinne sind sowohl ''ego'' wie ''alter'' Träger sozialer Rollen, die sich als Bündel typischer Motive und Handlungsmuster darstellen. Typisierungen werden dabei wechselseitig von den Gesprächspartnern verwendet und antizipiert.  
=== Pseudoklementinen ===
In dem etwa im 4. Jahrhundert entstandenen anti-gnostischen [[Pseudo-Klementinen|pseudoklementinischen]] Roman ist Simon Magus als Gegenspieler des Petrus und dessen jugendlichen Schülers Klemens die Verkörperung der gnostischen Irrlehre und der „falsche [[Prophet]]“.


„''Konstruiere ich den anderen als nur partielles Selbst, als Darsteller typischer Rollen oder Funktionen, so findet dies eine Entsprechung im Prozeß der Selbsttypisierung, der einsetzt, sobald ich mit dem Anderen in soziale Wirkensbeziehungen eintrete. Ich nehme an einer solchen Beziehung auch nicht als ganze Persönlichkeit, sondern nur mit bestimmten Persönlichkeitsschichten teil. Indem ich die Rolle des Anderen definiere, nehme ich selbst eine Rolle an''“ (''Gesammelte Aufsätze I'': S. 21). Um das mit einem Beispiel zu illustrieren: Betrete ich einen Supermarkt und frage dort einen Angestellten, in welchen Regal französischer Rotwein zu finden ist, lege ich nicht nur seine Rolle als typischer Supermarkt-Angestellter fest, der mir die gewünschte Auskunft – mehr oder weniger freundlich – erteilen wird, sondern auch meine als typischer Käufer. Für das Gelingen der Kommunikation spielt es weder eine Rolle, warum ich französischen Rotwein und nicht Weißwein kaufen will und warum gerade in diesem Supermarkt, noch warum er für diesen Supermarkt arbeitet o.ä.  
Über Simon wird berichtet, dass er aus [[Wikipedia:Samarien|Samarien]] stammte und sich in [[Wikipedia:Alexandria|Alexandria]] griechische Bildung und Zauberkunst aneignete, nachdem er Schüler des Täufers [[Johannes der Täufer|Johannes]] gewesen war. Helena begleitete ihn als „[[Sophia]]“, d. h. als personifizierte [[Weisheit]].
Simons Disputationen mit Petrus bestimmen über weite Teile die Handlung. In ihnen vertritt Simon die in der Gnosis vorherrschende dualistische Lehre von dem „Inneren Licht“ sowie der von einem bösen und ungerechten Gott geschaffenen Welt als deren Gefängnis, aus der nur er, die „oberste Kraft Gottes“, befreien könne. Petrus hält dagegen, dass die Schöpfung, weil vom guten, gerechten Gott geschaffen, sehr wohl gut sei, und der Mensch als Ebenbild Gottes sich frei entscheiden könne. Mit Zitaten aus der Bibel überführt er Simon als falschen Propheten. Als Simon merkt, dass er Petrus nicht besiegen kann, flieht er.


Obwohl die alltäglichen Typisierungen auf einem persönlichen, wenn auch gesellschaftlich beeinflussten Relevanzsystem beruhen, wird ihm selbst kaum Beachtung geschenkt. Relevanz ist vor allem dann feststellbar, wenn alltägliche Typisierungen zu einem Problem werden. In seinem Aufsatz ''Strukturen der Lebenswelt'' (''Gesammelte Aufsätze III'': S. 154) umreißt Schütz sein Forschungsinteresse hinsichtlich des Problems der Relevanz anhand dreier Fragen: „''Wie kommt es überhaupt zur Stellung eines Problems, nämlich dazu, daß uns das fraglich gewordene auch des Fragens würdig erscheint? Was ist für die Lösung eines Problems relevant? Wann erscheint es uns als für unsere Zwecke ‚hinreichend‘ gelöst, so daß wir weitere Untersuchungen abbrechen?''“
Bei der Figur des Simon in den Pseudoklementinen handelt es sich weniger um eine historische Person, als vielmehr um das Klischee eines [[Ketzer]]s. Seine Geschichte ist als Gegenbild zum wahren Propheten [[Jesus Christus]] und seines Jüngers Petrus konstruiert, passend zur Theologie des Buches, dass alles seine „Syzygie“, also sein Gegenteil, besitzt.


Schütz unterscheidet drei Problemdimensionen. Die ''thematische Relevanz'' ist als Aufmerksamkeit oder Interesse für einen bestimmten Ausschnitt der Wirklichkeit gekennzeichnet; dieser Gegenstand wird für mich zum Thema. Vor dem Hintergrund meiner typischen Erfahrungen kann das Problem ''Auslegungs- oder Interpretationsrelevanz'' erfahren, wenn ich nämlich aus dem mir zur Verfügung stehenden Wissensvorrat bestimmte Typisierungen und Interpretationsschemata zur Lösung des Problems auswähle. Von ''motivationaler Relevanz'' spricht Schütz schließlich, wenn die Handlungsentwürfe, das System von Um-zu- und Weil-Motiven problematisiert werden. [[wikipedia:Soziales Handeln|Soziales Handeln]] im Alltag ist in den Relevanzstrukturen begründet. Da es durch wechselseitige Motivverkettung zu intersubjektiven Verstehen führen soll, ist soziales Handeln laut Schütz im Wesentlichen als Problemlösungssituation einer Face-to-face-Interaktion gekennzeichnet. Aus solchen konkreten „Wir-Beziehungen“ leitet sich jede Typik ab.  
== Der historische Simon Magus und der Simonianismus ==
[[File:Simonian Aeonology.jpg|mini|450px|Die Simonianische Äonologie ([[G.R.S. Mead]])]]
Sowohl über den historischen Simon als auch über seine Lehre und Anhänger ist so gut wie nichts bekannt. Den Quellen kann man entnehmen, dass es sich bei ihm um einen Magier der [[Gnosis]] handelte. Die früheste Quelle, die Apostelgeschichte, berichtet allerdings nichts von seinem gnostischen Anspruch eines [[Erlösung|Erlösers]], der die in Knechtschaft geratene Weltseele (bei Simon die »Mutter des Alls«) durch seinen „Ruf“ zu befreien vermochte und mit Befreiung der Helena unter Beweis stellt.


Die fundamentale Erfahrung des „Wir“ in der Unmittelbarkeit einer Face-to-face-Interaktion begründet die Fähigkeit zu intersubjektiven Verstehen. Da sich jede Typik aus einer konkreten „Wir-Beziehung“ ableitet, ist das auch für das typische Verstehen der Fall. Diese Typik bestimmt das mittelbare Erleben von mitweltlichen, d.&nbsp;h. abwesenden Anderen. Aber auch die Unmittelbarkeit einer umweltlichen Beziehung weist einen Bezug zu anderen Alltagswelten, zur Mitwelt und Vorwelt auf; und dieser Bezug hat eine Typik, er verweist auf Akte eines mittelbaren Erlebens, und damit auf Abgeleitetes, Appräsentes (d.&nbsp;h. nicht wahrgenommenes „Mitbewusstes“, das assoziativ mit einem präsenten Gegenstand o. ä. verbunden ist, z.&nbsp;B. appräsentiert der Leib ''alters'' seine Innerlichkeit, die für ''ego'' nicht unmittelbar gegeben ist). Indem Schütz auch in der unmittelbaren Präsenz, die die „Wir-Beziehung“ kennzeichnet, eine Verbindung zu den appräsenten Momenten anderer Sinnprovinzen feststellt, schafft er eine Theorie situativer Transzendenz. Der Alltag, konkrete Interaktionssituationen und umweltliche Beziehungen werden durch die Typik transzendiert und mit sozial, historisch, mythisch oder wissenschaftlich Appräsenten in Beziehung gesetzt.
Das System [[Simonianer|simonianischer Gnosis]], wie es am Ende des 2. Jahrhunderts belegt ist, zeigt sich als Konkurrenzbildung zum beginnenden Christentum, was zum in der Apostelgeschichte berichteten Ausschluss und Nachrichten über Simons Aufenthalt in Rom passt. Es richtete sich an Christen und Nichtchristen, nahm Einflüsse des [[Platonismus|Vulgärplatonismus]] (gefangene, wandernde Weltseele) auf, integrierte römische religiöse Bräuche (Verehrung einer Statue der – dem Haupt des [[Zeus]] entsprungenen – [[Athene|Athena]] als Helena) und enthält die Vorstellung göttlich personifizierter weiblicher Weisheit des hellenistischen Judentums ([[Wikipedia:Buch der Weisheit|Buch der Weisheit]], AT).


=== Wissenschaft und Alltagswelt ===
Als geflügeltes Wort hat sich das schillernde Delikt der [[Wikipedia:Simonie|Simonie]] erhalten.
Aus den bisherigen Ausführungen ist hervorgegangen, dass Schütz die [[Wissenschaft]] als eine Sinnprovinz auffasst, die keineswegs über die des alltäglichen Lebens zu stellen ist. Diese Einordnung der Wissenschaft als einen Sinnbereich unter vielen, von denen nur die Alltagswelt der Beschreibung als „paramount reality“, als ausgezeichnete Wirklichkeit gerecht wird, stellt eine besondere Leistung des Schütz’schen Werkes dar. Hinsichtlich wissenschaftlicher Theorien trennt er strikt zwischen ihrem Entstehungs- und ihrem Verwendungszusammenhang und sieht ihren Zweck nicht in einem konkreten Verwertungsinteresse. „''Die Bildung wissenschaftlicher Theorie [...] dient keinem praktischen Zweck. Ihr Ziel ist es nicht, die Welt zu beherrschen, sondern sie zu beobachten und sie nach Möglichkeit zu verstehen''“ (''Gesammelte Aufsätze I'': S. 282). Für eine handlungsverstehende Soziologie gilt, die Prozesse der Sinnkonstitution und –interpretation der lebensweltlichen Akteure nachzuvollziehen. Damit unterscheiden sich die [[wikipedia:Sozialwissenschaften|Sozialwissenschaften]] wesentlich von den [[Naturwissenschaft]]en, deren Objektbereich keine bewusste Selbstdefinition und Deutung für sich beansprucht. „''Das Beobachtungsfeld des Sozialwissenschaftlers, also die [[wikipedia:soziale Wirklichkeit|soziale Wirklichkeit]], hat dagegen eine besondere Bedeutung und Relevanzstruktur für die in ihr lebenden, handelnden und denkenden menschlichen Wesen. Sie haben diese Welt, in der sie die Wirklichkeit ihres täglichen Lebens erfahren, in einer Folge von Konstruktionen des Alltagsverstandes bereits vorher ausgesucht und interpretiert''“ (''Gesammelte Aufsätze I:'' S. 68). Der Sozialwissenschaftler kann die Tatsache, dass Menschen ein Selbstverständnis ihrer subjektiv sinnhaften Handlungen entwickeln, nicht ignorieren, vielmehr muss er auf diesen Interpretationen und Konstruktionen aufbauen. „''Daher sind die Konstruktionen der Sozialwissenschaften sozusagen Konstruktionen zweiten Grades, das heißt Konstruktionen von Konstruktionen jener Handelnden im Sozialfeld, deren Verhalten der Sozialwissenschaftler beobachten und erklären muß [...]''“ (''Gesammelte Aufsätze I'': S. 68).  


Schütz betont damit den – in ihrer spezifischen Art der Welterfassung begründeten – konstruktiven Charakter der Sozialwissenschaften. Er formuliert Anforderungen, denen die Wissenschaft in ihrer Bemühung Wirklichkeit in modellhafter und [[wikipedia:Idealtypus|idealtypischer]] Weise ''verstehend'' nachzuzeichnen, gerecht werden muss. Das ''Postulat der logischen Konsistenz'' fordert, dass die vom Wissenschaftler konstruierten Typisierungen und Idealtypen mit Grundsätzen der [[wikipedia:Formale Logik|formalen Logik]] vereinbar sind und ihre Formulierung möglichst klar und deutlich ist. Das ''Postulat der [[Rationalität]]'' soll die potentielle Verifizierung wissenschaftlicher Annahmen und die Konstruktion eines validen Modells sozialer Wirklichkeit sicherstellen. Dem ''Postulat der subjektiven Auslegung'' entsprechend, müssen die wissenschaftlichen Idealtypen auf den subjektiven Sinn, den sie in der Lebenswelt entfalten, rückführbar sein. Und schließlich sollen die Begriffe, denen sich der Wissenschaftler bedient, dem Postulat der Adäquanz folgend, auch für den alltagsweltlichen Akteur selbst verstehbar und vernünftig sein.
== Siehe auch ==
 
* [[Wikipedia:Neues Testament|Neues Testament]]
== Bedeutung des Schütz’schen Werkes für die Sozialwissenschaften ==
* [[Wikipedia:Mog Ruith|Mog Ruith]]
Gleichwohl sich das Werk von Schütz hervorragend für philosophisch orientiertes Arbeiten eignet, blieben doch Möglichkeiten für empirisch forschende Ansätze nur schwach ausgebildet. Das änderte sich erst mit [[Harold Garfinkel]]s [[Ethnomethodologie]], die das Schütz'sche Werk als theoretische Vorarbeit nutzt.
 
Dass es einige Zeit in Anspruch nahm, bis Schütz’ phänomenologischer Ansatz in den Sozialwissenschaften rezipiert wurde, mag vielerlei Gründe haben. Schließlich war er lange gezwungen, seiner theoretischen Arbeit nur in den Nächten und Urlauben, außerhalb seiner Tätigkeit als Bankier, nachzugehen. Als er fast vierzigjährig emigrieren musste, war sein auf Deutsch erschienenes Erstlingswerk ''Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt'' in den USA kaum bekannt. Dort wurde das akademische Leben einerseits von der Idee spezifisch empirischer Forschung, vertreten von [[Robert K. Merton]] und [[Paul Lazarsfeld]] ([[Columbia University]]), dominiert, andererseits hatte [[Talcott Parsons]] ([[Harvard University]]) [[Strukturfunktionalismus]] enormen Einfluss auf die amerikanische Soziologie. Die positivistisch-quantitative Forschungsweise des ''department of sociology'' der [[Columbia University]] unterschied sich stark von der humanistischen Orientierung der ''New School'', an der Schütz lehrte, und setzte sich im wissenschaftlichen Klima der 1950er Jahre, das angewandter Soziologie den Vorzug gab, durch. Eine Annäherung der theoretischen Positionen Schütz’ und Parsons schlug fehl, wie ihr Briefwechsel dokumentiert. Darüber hinaus waren viele von Schütz’ Artikeln, oft in philosophischen Fachzeitschriften veröffentlicht, der Allgemeinheit nur schwer zugänglich.


So ist es kaum verwunderlich, dass Schütz zu Lebenszeiten in akademischen Kreisen kaum wahrgenommen wurde. Umso bedeutsamer war aber sein Einfluss auf Sozialwissenschaftler, die bei Schütz an der ''New School'' studierten. [[Maurice Natanson]] befasste sich vor dem Hintergrund der existentialistischen Tradition mit einer philosophischen Grundlegung der Rollentheorie, während sich [[Richard Zaner]] der Frage der Intersubjektivität und der Relevanz widmete. Schütz übte starken Einfluss auf den Soziologen [[Helmut Wagner (Politikwissenschaftler)|Helmut Wagner]] aus, der die Richtung und Inhalte seiner Forschungstätigkeit über seine Schütz-Anhängerschaft definierte. Zwei andere Studenten Schütz’, die es zu großer Bekanntheit gebracht haben, sind [[Peter L. Berger]] und [[Thomas Luckmann]]. Vor allem in ihrem gemeinsamen Werk ''[[Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit]]'' führten sie die Gedanken ihres Lehrers weiter und trugen wesentlich zur Verbreitung von ihm angeregter Überlegungen bei. Sie brachten eine sozial-konstruktivistische, [[Wissenssoziologie|wissenssoziologische Theorie]] zur Entfaltung, die sich auf Schütz beruft, aber wesentlich über ihn hinausgeht. Über Berger und Luckmann fanden auf Schütz zurückgehende theoretische Annahmen auch Einzug in die [[Organisationstheorie]], insbesondere in die Grundannahmen des [[soziologischer Neoinstitutionalismus|Neoinstitutionalismus]].
== Anmerkungen ==


Die stärkste Modifikation haben Schütz’ Gedanken in ihrer Beeinflussung Harold Garfinkels erfahren, der als der Begründer der Ethnomethodologie gilt. In seinen frühen Untersuchungen benutzte Garfinkel Schütz theoretische Einsichten in der Absicht, Parsons Annahmen zur sozialen Ordnung empirisch zu überprüfen. Er kam schließlich zu der Ansicht, dass Parsons hinsichtlich einer gesellschaftlich geteilten Kultur und der Zweckrationalität als bestimmend für gelingende Interaktion irrt. Garfinkel wendete sich der Untersuchung der Methoden zu, die Alltagsakteure verwenden, um ihr Wissen und ihre Auffassungen zu kommunizieren. Rationalität, Sinn und gelingende Verständigung stellen als Ergebnis sozialen Handelns die Leistung von Akteuren dar. Wenn auch nicht davon gesprochen werden kann, dass Garfinkel an Schütz’ Gedanken und Arbeit anschließt und diese fortsetzt, so wären die Anfänge der Ethnomethodologie doch undenkbar ohne die theoretische und methodische Vorarbeit von Schütz.
<references/>
 
== Schriften ==
 
'''Einzelausgaben'''
* ''Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt. Eine Einleitung in die verstehende Soziologie.'' Springer, Wien 1932.
* mit [[Thomas Luckmann]]: ''[[Strukturen der Lebenswelt]]'' (Soziologische Texte; Bd. 82). Luchterhand, Neuwied 1975, ISBN 3-472-72582-6.
* ''Gesammelte Aufsätze.'' Nijhoff, Den Haag, 1971–1972 (Aus dem Amerikanischen übersetzt und mit einem „Nachwort zur Übersetzung“ von [[Benita Luckmann]] und [[Richard Grathoff]].)
# ''Das Problem der sozialen Wirklichkeit''. Mit einer Einführung von [[Aron Gurwitsch]]. 1971, ISBN 90-247-5116-0.
# ''Studien zur soziologischen Theorie''. Arvid Brodersen (Hrsg.). 1972, ISBN 90-247-1498-2.
# ''Studien zur phänomenologischen Philosophie''. Ilse Schütz (Hrsg.). 1971, ISBN 90-247-1169-X.
* ''Das Problem der Relevanz''. Hrsg. und erläutert von Richard M. Zaner. Mit einer Einleitung von [[Thomas Luckmann]]. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1982, ISBN 3-518-27971-8.
* ''Zur Theorie sozialen Handelns. Ein Briefwechsel'' („The theory of social action. The correspondence of Alfred Schutz and [[Talcott Parsons]]“). Suhrkamp, Frankfurt am Main 1977, ISBN 3-518-07802-X.
* ''Theorie der Lebensformen. Frühe Manuskripte aus der [[Henri Bergson|Bergson]]-Periode'' (stw; Bd. 350). Herausgegeben und eingeleitet von [[Ilja Srubar]]. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1981, ISBN 3-518-07950-6.
 
'''Werkausgabe'''
* Richard Grathoff, Hans-Georg Soeffner und [[Ilja Srubar]] (Hrsg.): ''Alfred Schütz-Werkausgabe''. UVK-Verlag, Konstanz 2003 ff.


== Literatur ==
== Literatur ==
 
* A. H. B. Logan: ''Simon Magus.'' In: ''[[Wikipedia:Theologische Realenzyklopädie|Theologische Realenzyklopädie]].'' Band 31, De Gruyter, Berlin, 1999, Seiten 272 bis 276, ISBN 3-11-002218-4
'''Lexikonartikel'''´
* Karlmann Beyschlag: ''Simon Magus und die christliche Gnosis''. Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. Bd 16. Mohr, Tübingen 1974. ISBN 3-16-135872-4
* {{SEP|http://plato.stanford.edu/entries/schutz/||Michael Barber}}
* [[Wikipedia:Gerd Lüdemann|Gerd Lüdemann]]: ''Untersuchungen zur simonianischen Gnosis''. Göttinger theologische Arbeiten, Band 1, Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen, 1975, ISBN 3-525-87351-4
* {{NDB|23|658|660|Schütz (Schutz), Alfred|Dirk Kaesler|118611135}}
* H. M. Enzensberger (Herausgeber): ''Die Andere Bibel.'' Apokryphen AT, NT. Frankfurt am Main, Eichborn, 1990, ISBN 3-8218-4068-4
* {{BBKL|s/s1/schuetz_al|band=9|spalten=1054-1056|autor=Kay-Volker Koschel|artikel=SCHÜTZ, Alfred}}
* {{BBKL|s/simon_magus|band=10|autor=Christoph Schmitt|spalten=410-413}}
 
* Florent Heintz: ''Simon "le magicien". Actes 8, 5–25 et l'accusation de magie contre les prophètes thaumaturges dans l'antiquité''. Cahiers de la [[Wikipedia:Revue Biblique|Revue Biblique]], Band 39, Gabalda, Paris, 1997, ISBN 2-85021-104-4
'''Aufsätze'''
* [[Wikipedia:Gerd Theißen|Gerd Theißen]]: ''Simon Magus. Die Entwicklung seines Bildes vom Charismatiker zum gnostischen Erlöser.'' Ein Beitrag zur Frühgeschichte der Gnosis. In: Axel von Dobbeler (Herausgeber): ''Religionsgeschichte des Neuen Testaments. Festschrift für Klaus Berger zum 60. Geburtstag''. Francke, Tübingen u.a., 2000, Seiten 407 bis 433, ISBN 3-7720-2756-3
* Jochen Dreher: ''Alfred Schutz'' In: George Ritzer, Jeff Stepnisky (Hrsg.): ''The Wiley-Blackwell Companion to Major Social Theorists, Vol. I'' Wiley-Blackwell, Oxford 2011, ISBN 978-1-4443-3078-6, S. 489-510.
* Jürgen Zangenberg: ''Dynamis tou theou. Das religionsgeschichtliche Profil des Simon Magus aus Sebaste.'' In: Axel von Dobbeler (Hrsg.): ''Religionsgeschichte des Neuen Testaments. Festschrift für Klaus Berger zum 60. Geburtstag''. Francke, Tübingen u.a., 2000, Seiten 519 bis 541, ISBN 3-7720-2756-3
* Thomas S. Eberle: ''Schütz' Lebensweltanalyse. Soziologie oder Protosoziologie?'' In: Angelica Bäumer, [[Michael Benedikt (Philosoph)|Michael Benedikt]] (Hrsg.): ''Gelehrtenrepublik – Lebenswelt. [[Edmund Husserl]] und Alfred Schütz in der Krisis der phänomenologischen Bewegung.'' Passagen, Wien 1993, ISBN 3-900767-77-7, S. 293–320.
* Roland Bergmeier: ''Die Gestalt des Simon Magus in Act 8 und in der simeonianischen Gnosis. Aporien einer Gesamtdeutung.'' In: Roland Bergmeier: ''Das Gesetz im Römerbrief und andere Studien zum Neuen Testament'', [[Wikipedia:WUNT|WUNT]], Band 121, Mohr Siebeck, Tübingen, 2000, ISBN 3-16-147196-2
* [[Martin Endreß]]: ''Alfred Schütz. Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt.'' In: [[Dirk Kaesler]], [[Ludgera Vogt]] (Hrsg.): ''Hauptwerke der Soziologie.'' 2. Auflage. Kröner, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-520-39602-0, S. 371–377.
* Dominique Côté: ''Le thème de l'opposition entre Pierre et Simon dans les Pseudo-Clémentines''. Collection des Études Augustiniennes. Série Antiquité, Band 167, Institut d'Études Augustiniennes, Paris, 2001, ISBN 2-85121-188-9
* Martin Endreß: ''Alfred Schütz.'' In: Dirk Kaesler (Hrsg.): ''Von [[Auguste Comte]] bis Alfred Schütz'' (Klassiker der Soziologie; Band 1). 5. Auflage. Beck, München 2006, ISBN 3-406-54749-4, S. 338–357.
* Stephen Haar: ''Simon Magus – The First Gnostic?''. Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche, Band 119, de Gruyter, Berlin u.a., 2003, ISBN 3-11-017689-0
* [[Hubert Knoblauch]]: ''Diskurs, Kommunikation und Wissenssoziologie.'' In: [[Reiner Keller]] u.a. (Hrsg.): ''Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse.'' Band 1: ''Theorien und Methoden.'' VS, Wiesbaden 2001, ISBN 3-8100-2851-7, S. 207–223.
* Alberto Ferreiro: ''Simon Magus in Patristic, Medieval and Early Modern Traditions''. Studies in the History of Christian Traditions. Bd 125. Brill, Leiden u.a., 2005, ISBN 90-04-14495-1
* Hubert Knoblauch, Thomas Luckmann: ''Gattungsanalysw.'' In: Uwe Flick u.a. (Hrsg.): ''Qualitative Forschung.'' Rowohlt, Reinbek 2000, ISBN 3-499-55628-6, S. 538–546 (früherer Titel ''Handbuch qualitative Sozialforschung'').
* George Psathas: ''Alfred Schutz's Influence on American Sociologists and Sociology.'' In: ''Human Studies'', Band 27, 2004, S. 1–35.
* Steven Vaitkus: ''Phenomenology and Sociology.'' In: Bryan S. Turner (Hrsg.): ''The Blackwell Companion to Social Theory.'' Blackwell Publ., London 2000, ISBN 0-631-21366-X, S. 270–298.  
 
'''Bücher'''
* Martin Endreß: ''Alfred Schütz'' (Klassiker der Wissenssoziologie; Band 3). UVK, Konstanz 2006, ISBN 978-3-89669-547-5.
* [[Richard Grathoff]]: ''Alfred Schütz.'' In: Dirk Kaesler (Hrsg.): ''Von [[Max Weber|Weber]] bis [[Karl Mannheim|Mannheim]]'' (Klassiker des soziologischen Denkens; Band 2). Beck, München 1978, ISBN 3-406-06457-4.
* Richard Grathoff (Hrsg.): ''Briefwechsel 1939–1959. (Alfred Schütz und Aron Gurwitsch)'' (Übergänge; Band 4.). Fink, München 1985, ISBN 3-7705-2260-5 (mit einer Einleitung von [[Ludwig Landgrebe]]).
* Michael Hanke: ''Alfred Schütz. Einführung.'' Passagen, Wien 2002, ISBN 3-85165-434-X.
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* Wolfgang L. Schneider: ''[[Max Weber|Weber]], [[Talcott Parsons|Parsons]], [[Margaret Mead|Mead]], Schütz'' (Grundlagen der soziologischen Theorie; Band 1). VS, Wiesbaden 2002, ISBN 978-3531-15829-7.  
* Ilja Srubar: ''Kosmion. Die Genese der pragmatischen Lebenswelttheorie von Alfred Schütz und ihr anthropologischer Hintergrund.'' Suhrkamp, Frankfurt am Main 1988, ISBN 3-518-57891-X.
 
== Siehe auch ==
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== Weblinks ==
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* {{DNB-Portal|118611135}}
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* [http://www.waseda.jp/Schutz/AlfredEng.htm Alfred Schutz Archive] des Department of Sociology der [[Waseda-Universität]]; mit umfangreicher Bibliographie
* [http://www.jewishencyclopedia.com/view.jsp?artid=798&letter=S Simon Magus] JewishEncyclopedia.com
* {{IEP|http://www.iep.utm.edu/s/schutz.htm||Lester Embree}}
* [http://www.historicum.net/themen/hexenforschung/lexikon/alphabethisch/p-z/art/Simon_Magus/html/artikel/7306/ca/8870032838/ Alberto Ferreiro: Simon Magus] (Übersetzung von Johannes Peisker, historicum.net)
* [http://www.soziologie.phil.uni-erlangen.de/research/alfred-schuetz-werkausgabe Editionsprojekt der Alfred Schütz Werkausgabe] an der [[Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg]]
* [http://www.uvk.de/asw/index.html Alfred Schütz Werkausgabe (UVK)]
* [http://www.kfunigraz.ac.at/sozwww/agsoe/lexikon/klassiker/schutz/41bib.htm Bibliografie von Alfred Schütz] an der [[Karl-Franzens-Universität Graz]]
* [http://cms.uni-konstanz.de/soz-archiv/aktuelles/ Alfred-Schütz-Gedächtnis–Archiv] im Sozialwissenschaftlichen Archiv Konstanz der [[Universität Konstanz]]
* Alfred Schütz im [http://koloss3.mykowi.net/index.php?option=com_content&view=article&id=9&Itemid=10 kommunikationswissenschaftlichen Lern-Online-Software-System (KOLOSS)] auf [http://www.mykowi.net myKoWi.net] (Universität Duisburg-Essen); mit Foto
* [http://de.wikibooks.org/wiki/Soziologische_Klassiker/_Sch%C3%BCtz,_Alfred  wikibooks Alfred Schütz]


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Version vom 13. August 2014, 21:38 Uhr

Avanzino Nucci: Petrus' Auseinandersetzung mit Simon Magus (1620)
Der Sturz des Simon Magus - Abbildung aus der Schedelschen Weltchronik (lateinische Ausgabe in Sao Paulo)
Sébastien Bourdon: Der Fall des Simon Magus (1657)
Frederic Leighton: Helena von Troja (1865)
Sturz des Simon Magus, Fresko (1768) in Söll (Tirol)
Der Fall des Simon Magus (unbekannter Künstler), Hildesheim, 1170

Simon Magus (auch Simon der Magier, Simon von Samarien oder Simon von Gitta; † 65, Rom) gilt als erster Häretiker der Kirche. Das Wenige, das über ihn bekannt ist, stammt aus christlichen Quellen, meist Polemiken gegen Gnostiker. Demzufolge war er ein Samaritaner, der von seinen Anhängern als „die große Kraft Gottes“ oder Gott in menschlicher Gestalt (theios aner) verehrt wurde. Von seinem Namen ist der Begriff Simonie für Ämterkauf abgeleitet. Die gnostische Sekte der Simonianer berief sich auf ihn als Gründer und Lehrmeister.

Die Quellen

Fast alle erhaltenen Quellen über Leben und Gedanken des Simon Magus stammen aus christlichen Werken, der Apostelgeschichte, den Kirchenvätern (Irenäus, Justin der Märtyrer, Hippolyt von Rom, Epiphanius von Salamis) den apokryphen Petrusakten und den Pseudo-Klementinen. Die Quellen über Simon entwerfen sehr unterschiedliche Bilder über seine Person, so dass fraglich ist, ob alle dieselbe Person meinen, oder ob sein Name nur die Projektionsfläche für die Verurteilung abweichender theologischer Richtungen bildet. Da die großkirchliche Reaktion den simonianischen Synkretismus ausschloss, sind die Quellen weniger an Verständnis, als an Abgrenzung interessiert, ihre Darstellung ist daher oft verzeichnend und im Ton scharfer Polemik. Viele antike literarische Quellen – einige unecht, einige echt – bestätigen, dass sowohl Simon Magus, als auch Simon Petrus in Rom gestorben sind.

Apostelgeschichte

Der früheste Hinweis auf Simon findet sich in der wohl nach 70 entstandenen Apostelgeschichte, die von Simon Magus in Sebaste in Samaria berichtet. Er soll demnach ekstatische Wirkungen ausgelöst haben. Simon, den seine Anhänger als eine „Kraft Gottes, die … große“ verehren, ist von den Heilungen durch die Samariamissionare beeindruckt und lässt sich vom Diakon Philippus taufen. Er wirkt als Missionar (Pseudoapostel?) und versucht erfolglos, die Gaben des Heiligen Geistes von Petrus und Johannes gegen Geld zu erhalten, woher das Wort Simonie stammt.

„9 Es war aber ein Mann mit Namen Simon, der zuvor in der Stadt Zauberei trieb und das Volk von Samaria in seinen Bann zog, weil er vorgab, er wäre etwas Großes. 10 Und alle hingen ihm an, Klein und Groß, und sprachen: Dieser ist die Kraft Gottes, die die Große genannt wird. 11 Sie hingen ihm aber an, weil er sie lange Zeit mit seiner Zauberei in seinen Bann gezogen hatte. 12 Als sie aber den Predigten des Philippus von dem Reich Gottes und von dem Namen Jesu Christi glaubten, ließen sich taufen Männer und Frauen. 13 Da wurde auch Simon gläubig und ließ sich taufen und hielt sich zu Philippus. Und als er die Zeichen und großen Taten sah, die geschahen, geriet er außer sich vor Staunen. 14 Als aber die Apostel in Jerusalem hörten, dass Samarien das Wort Gottes angenommen hatte, sandten sie zu ihnen Petrus und Johannes. 15 Die kamen hinab und beteten für sie, dass sie den Heiligen Geist empfingen. 16 Denn er war noch auf keinen von ihnen gefallen, sondern sie waren allein getauft auf den Namen des Herrn Jesus. 17 Da legten sie die Hände auf sie und sie empfingen den Heiligen Geist. 18 Als aber Simon sah, dass der Geist gegeben wurde, wenn die Apostel die Hände auflegten, bot er ihnen Geld an 19 und sprach: Gebt auch mir die Macht, damit jeder, dem ich die Hände auflege, den Heiligen Geist empfange. 20 Petrus aber sprach zu ihm: Dass du verdammt werdest mitsamt deinem Geld, weil du meinst, Gottes Gabe werde durch Geld erlangt. 21 Du hast weder Anteil noch Anrecht an dieser Sache; denn dein Herz ist nicht rechtschaffen vor Gott. 22 Darum tu Buße für diese deine Bosheit und flehe zum Herrn, ob dir das Trachten deines Herzens vergeben werden könne. 23 Denn ich sehe, dass du voll bitterer Galle bist und verstrickt in Ungerechtigkeit. 24 Da antwortete Simon und sprach: Bittet ihr den Herrn für mich, dass nichts von dem über mich komme, was ihr gesagt habt. 25 Als sie nun das Wort des Herrn bezeugt und geredet hatten, kehrten sie wieder um nach Jerusalem und predigten das Evangelium in vielen Dörfern der Samariter.“

Apostelgeschichte: Apg 8,9–25 LUT

Justin

Justin der Märtyrer († 165) schildert Simon als einen von seinen Anhängern religiös verehrten Mann zur Zeit des Claudius (41–54). Er sei mit einer gewissen Helena unterwegs gewesen, die er aus einem Bordell befreit habe, und die von den Simonianern als göttliche Teilinstanz „erster Gedanke“ verehrt werde. Justin berichtet von einer hauptsächlich aus Samaritanern bestehenden römischen Gemeinde Simons. Darüber hinaus weiß er von einer Simon geweihten Statue auf der Tiberinsel. 1574 wurde eine Statue auf der Insel entdeckt, diese war jedoch dem römischen Schwurgott Semo Sancus geweiht, welcher wahrscheinlich mit Jupiter identifiziert wurde. Es könnte sich dabei durchaus um das von Justin erwähnte Bild des Simon handeln.

„Auch nach der Auffahrt Christi zum Himmel haben die Dämonen einzelne Menschen veranlaßt, sich für Götter auszugeben, die nicht nur nicht von euch verfolgt, sondern mannigfacher Ehren gewürdigt wurden. So einen gewissen Samaritaner Simon aus dem Flecken Gittä, der unter Kaiser Klaudius durch die Macht der in ihm tätigen Dämonen in eurer Kaiserstadt Rom Zauberkünste [S. 92] ausgeübt hat, für einen Gott gehalten und wie ein Gott von euch durch eine Bildsäule geehrt wurde. Diese Bildsäule steht im Tiberflusse mitten zwischen zwei Brücken und trägt diese lateinische Aufschrift: Simoni deo sancto. Und fast alle Samaritaner, auch einzelne unter anderen Völkern, erkennen und verehren ihn als den höchsten Gott und eine gewisse Helena, die in jener Zeit mit ihm umherzog, nachdem sie früher in einem Hurenhause sich preisgegeben hatte, nennen sie seinen ersten Gedanken. Von einem gewissen Menander aber, der auch Samariter war aus dem Flecken Kapparetäa, einem Schüler des Simon, wissen wir, daß auch er, unter dem Einfluß der Dämonen stehend, in Antiochien auftrat und durch seine Zauberkunst viele berückte, der sogar seine Anhänger zu dem Glauben brachte, daß sie nicht sterben würden. Und noch jetzt gibt es einige von seinen Anhängern, die dies glauben. Dahin gehört ein gewisser Markion aus dem Pontus, der noch gegenwärtig seine Gläubigen anleitet, einen andern für größer zu halten als Gott den Weltschöpfer; dieser hat mit Hilfe der Dämonen bei allen Volksstämmen viele dazu gebracht, Lästerungen auszusprechen, Gott den Schöpfer dieses Weltalls zu leugnen und sich zu einem anderen zu bekennen, der, weil er höher stehe, Größeres als jener gewirkt habe. Alle, welche ihrer Richtung angehören, heißen, wie schon gesagt, Christen, wie denn auch unter den Philosophen diejenigen, welche nicht die gleichen Lehrsätze haben, doch den ihnen [S. 93] beigelegten Namen der Philosophie gemeinsam haben.“

Justin der Märtyrer: Erste Apologie, 26 [1]

Origenes

Origenes gibt an, dass sich laut Celsus einige Anhänger Simons auch als Helenianer bezeichnet hätten:

„Darauf schüttet er über uns einen Haufen von Namen aus und sagt, "er kenne auch einige Simonianer, die die Helena oder als Lehrer den Helenos verehrten und deshalb Helenianer genannt würden". Es ist aber dem Celsus unbekannt, dass "die Simonianer" Jesus durchaus nicht als Sohn Gottes anerkennen, sondern den Simon die Kraft Gottes nennen[1]. Sie erzählen einige wunderbare Geschichten von ihm, der sich eingebildet hatte, er werde denselben Einfluß bei den Menschen erlangen, den Jesus bei der Menge besaß, wenn er ebensolche Scheinwunder verrichtete, wie Jesus nach seiner Meinung vollbracht hatte[2]

Origenes: Contra Celsum V,62 [2]

Irenäus von Lyon

Während die Apostelgeschichte nur vom Magier Simon, aber keinem Lehrsystem weiß, hat nach Irenäus die „fälschlich so genannte“ Gnosis mit Simon begonnen. Nach Irenäus von Lyon (Gegen die Häretiker, Buch 1, 23, 1-5) habe Simon den Anspruch erhoben, ein Messias (Christus) zu sein, und sei gekommen, um den (weiblichen) „ersten Gedanken" Ennoia aus der Materie zu erlösen. Dies könnte zu Justins Nachricht über Helena passen. Dieser „erste Gedanke" stieg in die niedrigeren Regionen ab und erschuf Engel und Mächte. Die Engel lehnten sich aus Neid gegen Ennoia-Helena auf und schufen die Welt als ihr Gefängnis, in dem sie in einem weiblichen Leib gefangen lag. So zog sie von Leib zu Leib wie von Gefängnis zu Gefängnis. Sie nahm u.a. in Helena von Troja Gestalt an, bis sie als Prostituierte in der phönizischen Stadt Tyrus durch Gott, der in Gestalt des Simon Magus abgestiegen war, erlöst wurde. Diese von den Engeln geschaffene Welt wäre dem Verderben preisgegeben. Nur die an Simon und an Helena glaubten, könnten mit ihnen in die höheren Regionen zurückkehren.

„Dieser Simon von Samaria, von dem sämtliche Sekten abstammen, trägt folgende Irrlehre vor: Mit einer gewissen Helena, die er zu Tyrus in Phönizien als Lohndirne erstand, zog er herum und sagte, dies sei die erste Vorstellung seines Geistes, die Mutter aller, durch die er im Anfang gedachte, Engel und Erzengel zu erschaffen. Indem diese Ennoia von ihm ausging und erkannte, was der Vater wollte, stieg sie in die unteren Regionen hinab und zeugte die Engel und Mächte, von denen diese Welt gemacht worden sein soll. Dann aber wurde sie aus Neid von ihren eigenen Kindern zurückgehalten, da diese nicht für die Kinder irgend jemandes gehalten werden wollten. Er selbst blieb ihnen gänzlich unbekannt, die Ennoia aber hielten die Engel und Mächte zurück, die sie selbst geboren hatte, und jegliche Schmach mußte sie von ihnen erleiden, so daß sie nicht zu ihrem Vater zurückkehren konnte und sogar in menschlichem Körper eingeschlossen, in Ewigkeit wie von einem Gefäß in das andere in weibliche Körper überging. So war sie auch in dem Leib der Helena, deretwegen der trojanische Krieg unternommen wurde. Stesichorus, der auf sie Schmählieder dichtete, wurde deswegen geblendet, und erst als er reuevoll durch Gegenlieder Abbitte leistete, bekam er das Augenlicht wieder. Bei ihrer Wanderung von Körper zu Körper erlitt sie in jedem immer neue Schmach und landete zuletzt in einem öffentlichen Hause — sie ist das verlorene Schaf.“

Irenäus: Gegen die Häretiker I, 23, 1-5 [3]

Die apokryphen Petrusakten

Die vermutlich Ende des zweiten Jahrhunderts in Kleinasien entstandenen apokryphen Petrusakten schildern eine Legende über den Tod des Simon Magus. Simon übt auf dem Forum Zauberei vor dem römischen Kaiser Claudius. Um seine Göttlichkeit zu beweisen, erhebt sich Simon in die Luft. Der Apostel Petrus betet, Gott solle dem Geschehen Einhalt gebieten:

„Doch möge er nicht sterben, sondern bloß unschädlich gemacht werden und sich den Schenkel an drei Stellen brechen. Und Simon stürzte vom Himmel und brach sich den Schenkel an drei Stellen. Da warfen alle Steine auf ihn und gingen heim und vertrauten von nun an Petrus.“

– Petrusakten 32

Offenbar war es den Autoren der Petrusakten nicht bekannt, dass der im antiken Griechenland und im alten Israel praktizierte Brauch der Steinigung in Rom unvorstellbar gewesen wäre. Das dramatische Bild des levitierenden und über Rom abstürzenden Simon entfaltete jedoch eine große Wirkung und wurde in mittelalterlicher Kunst häufig dargestellt.

Hippolyt von Rom

Hippolyt von Rom (Philosophumena) liefert eine komplexe Darlegung der in der «Großen Offenbarung» festgehaltenen Lehren des Simonianismus, einschließlich des Systems göttlicher Emanationen und Deutungen des Alten Testaments. Wahrscheinlich liegt dieser Darstellung eine spätere Gestalt des Simonianismus zugrunde, während ihre ursprünglichen Lehren schlichter und der Darstellung des Justin und Irenäus ähnlicher waren.

„Es erscheint also angebracht, die Meinungen des Simon aus Gitta, einem Dorf in Samaria, auseinanderzusetzen; er hatte auch Nachfolger, wie wir noch zeigen werden, die unter anderer Flagge ähnlich verfuhren. Dieser Simon, der Magie kundig, täuschte viele durch die Kunst des Thrasymedes, wie wir es oben1 auseinandergesetzt haben, und verübte Schlimmes mit Hilfe von Dämonen; er ging daran, sich selbst zum Gott zu machen; ein Schwindler, voller Narrheiten, den nach den Acta die Apostel überführten.“

Hippolyt von Rom: Widerlegung aller Häresien VI,7 [4]

Epiphanius von Salamis

Epiphanios von Salamis kommentiert in seinem Panárion (der „Hausapotheke gegen die Schlangenbisse der Häresie“, auch als Adversus haereses bekannt und meist als Haereses zitiert, geschrieben 374–377) Leben und Lehre des Simon Magus. Im zweiten Abschnitt des ersten Buches bespricht er 13 häretische Sekten.

„Die erste davon ist die des Simon Magus, welcher unmittelbar nach Christus noch zu den Zeiten der Apostel auftauchte. Seine Anhänger heißen nach ihm Simonianer. Er war aus einem Dorfe Samariens, Gitthis, geboren und nur dem Namen nach ein Schüler Christi. Er lehrte schändliches Treiben und predigte freie Liebe. Er leugnete die Auferstehung der Leiber und die Erschaffung der Welt durch Gott. Sein und seiner Dirne Helena Bild gab er als Darstellung des Zeus und der Athene seinen Jüngern zur Anbetung. Bei den Samaritern gab er sich für Gott Vater aus; zu den Juden sagte er, er sei der Christus.“

Epiphanius von Salamis: Haereses I 2,21 [5]

Pseudoklementinen

In dem etwa im 4. Jahrhundert entstandenen anti-gnostischen pseudoklementinischen Roman ist Simon Magus als Gegenspieler des Petrus und dessen jugendlichen Schülers Klemens die Verkörperung der gnostischen Irrlehre und der „falsche Prophet“.

Über Simon wird berichtet, dass er aus Samarien stammte und sich in Alexandria griechische Bildung und Zauberkunst aneignete, nachdem er Schüler des Täufers Johannes gewesen war. Helena begleitete ihn als „Sophia“, d. h. als personifizierte Weisheit. Simons Disputationen mit Petrus bestimmen über weite Teile die Handlung. In ihnen vertritt Simon die in der Gnosis vorherrschende dualistische Lehre von dem „Inneren Licht“ sowie der von einem bösen und ungerechten Gott geschaffenen Welt als deren Gefängnis, aus der nur er, die „oberste Kraft Gottes“, befreien könne. Petrus hält dagegen, dass die Schöpfung, weil vom guten, gerechten Gott geschaffen, sehr wohl gut sei, und der Mensch als Ebenbild Gottes sich frei entscheiden könne. Mit Zitaten aus der Bibel überführt er Simon als falschen Propheten. Als Simon merkt, dass er Petrus nicht besiegen kann, flieht er.

Bei der Figur des Simon in den Pseudoklementinen handelt es sich weniger um eine historische Person, als vielmehr um das Klischee eines Ketzers. Seine Geschichte ist als Gegenbild zum wahren Propheten Jesus Christus und seines Jüngers Petrus konstruiert, passend zur Theologie des Buches, dass alles seine „Syzygie“, also sein Gegenteil, besitzt.

Der historische Simon Magus und der Simonianismus

Die Simonianische Äonologie (G.R.S. Mead)

Sowohl über den historischen Simon als auch über seine Lehre und Anhänger ist so gut wie nichts bekannt. Den Quellen kann man entnehmen, dass es sich bei ihm um einen Magier der Gnosis handelte. Die früheste Quelle, die Apostelgeschichte, berichtet allerdings nichts von seinem gnostischen Anspruch eines Erlösers, der die in Knechtschaft geratene Weltseele (bei Simon die »Mutter des Alls«) durch seinen „Ruf“ zu befreien vermochte und mit Befreiung der Helena unter Beweis stellt.

Das System simonianischer Gnosis, wie es am Ende des 2. Jahrhunderts belegt ist, zeigt sich als Konkurrenzbildung zum beginnenden Christentum, was zum in der Apostelgeschichte berichteten Ausschluss und Nachrichten über Simons Aufenthalt in Rom passt. Es richtete sich an Christen und Nichtchristen, nahm Einflüsse des Vulgärplatonismus (gefangene, wandernde Weltseele) auf, integrierte römische religiöse Bräuche (Verehrung einer Statue der – dem Haupt des Zeus entsprungenen – Athena als Helena) und enthält die Vorstellung göttlich personifizierter weiblicher Weisheit des hellenistischen Judentums (Buch der Weisheit, AT).

Als geflügeltes Wort hat sich das schillernde Delikt der Simonie erhalten.

Siehe auch

Anmerkungen

  1. Apg 8,10 EU
  2. Apg 8,18-19 EU

Literatur

  • A. H. B. Logan: Simon Magus. In: Theologische Realenzyklopädie. Band 31, De Gruyter, Berlin, 1999, Seiten 272 bis 276, ISBN 3-11-002218-4
  • Karlmann Beyschlag: Simon Magus und die christliche Gnosis. Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. Bd 16. Mohr, Tübingen 1974. ISBN 3-16-135872-4
  • Gerd Lüdemann: Untersuchungen zur simonianischen Gnosis. Göttinger theologische Arbeiten, Band 1, Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen, 1975, ISBN 3-525-87351-4
  • H. M. Enzensberger (Herausgeber): Die Andere Bibel. Apokryphen AT, NT. Frankfurt am Main, Eichborn, 1990, ISBN 3-8218-4068-4
  • Christoph Schmitt: Simon Magus In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 10, Bautz, Herzberg 1995, ISBN 3-88309-062-X, Sp. 410–413.
  • Florent Heintz: Simon "le magicien". Actes 8, 5–25 et l'accusation de magie contre les prophètes thaumaturges dans l'antiquité. Cahiers de la Revue Biblique, Band 39, Gabalda, Paris, 1997, ISBN 2-85021-104-4
  • Gerd Theißen: Simon Magus. Die Entwicklung seines Bildes vom Charismatiker zum gnostischen Erlöser. Ein Beitrag zur Frühgeschichte der Gnosis. In: Axel von Dobbeler (Herausgeber): Religionsgeschichte des Neuen Testaments. Festschrift für Klaus Berger zum 60. Geburtstag. Francke, Tübingen u.a., 2000, Seiten 407 bis 433, ISBN 3-7720-2756-3
  • Jürgen Zangenberg: Dynamis tou theou. Das religionsgeschichtliche Profil des Simon Magus aus Sebaste. In: Axel von Dobbeler (Hrsg.): Religionsgeschichte des Neuen Testaments. Festschrift für Klaus Berger zum 60. Geburtstag. Francke, Tübingen u.a., 2000, Seiten 519 bis 541, ISBN 3-7720-2756-3
  • Roland Bergmeier: Die Gestalt des Simon Magus in Act 8 und in der simeonianischen Gnosis. Aporien einer Gesamtdeutung. In: Roland Bergmeier: Das Gesetz im Römerbrief und andere Studien zum Neuen Testament, WUNT, Band 121, Mohr Siebeck, Tübingen, 2000, ISBN 3-16-147196-2
  • Dominique Côté: Le thème de l'opposition entre Pierre et Simon dans les Pseudo-Clémentines. Collection des Études Augustiniennes. Série Antiquité, Band 167, Institut d'Études Augustiniennes, Paris, 2001, ISBN 2-85121-188-9
  • Stephen Haar: Simon Magus – The First Gnostic?. Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche, Band 119, de Gruyter, Berlin u.a., 2003, ISBN 3-11-017689-0
  • Alberto Ferreiro: Simon Magus in Patristic, Medieval and Early Modern Traditions. Studies in the History of Christian Traditions. Bd 125. Brill, Leiden u.a., 2005, ISBN 90-04-14495-1

Weblinks

Commons: Simon Magus - Weitere Bilder oder Audiodateien zum Thema


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