Seelenschlaf

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Seelenschlaf (griech. Psychopannychie; von psychê = "Seele", pan = "alles, ganz" u. nyx = "Nacht") ist eine Bezeichnung für den in der christlichen Theologie schon sehr früh diskutierten und seit dem Zweiten Konzil von Lyon 1274 als häretisch verworfenen Glauben, dass die Toten bis zur Auferstehung schlafen. Dennoch taucht die Vorstellung vom Todesschlaf immer wieder auf, weshalb der Tod häufig auch als Entschlafung bezeichnet wird.

Das Bewusstsein nach dem Tod aus anthroposophischer Sicht

„Während der Verbindung des Menschen mit seinem physischen Leibe tritt die äußere Welt in Abbildern ins Bewußtsein; nach der Ablegung dieses Leibes wird wahrnehmbar, was der Astralleib erlebt, wenn er durch keine physischen Sinnesorgane mit dieser Außenwelt verbunden ist Neue Erlebnisse hat er zunächst nicht Die Verbindung mit dem Ätherleibe hindert ihn daran, etwas Neues zu erleben. Was er aber besitzt, das ist die Erinnerung an das vergangene Leben. Diese läßt der noch vorhandene Ätherleib als ein umfassendes, lebensvolles Gemälde erscheinen. Das ist das erste Erlebnis des Menschen nach dem Tode. Er nimmt das Leben zwischen Geburt und Tod als eine vor ihm ausgebreitete Reihe von Bildern wahr. Während dieses Lebens ist die Erinnerung nur im Wachzustand vorhanden, wenn der Mensch mit seinem physischen Leib verbunden ist Sie ist nur insoweit vorhanden, als dieser Leib dies zuläßt Der Seele geht nichts verloren von dem, was im Leben auf sie Eindruck macht. Wäre der physische Leib dazu ein vollkommenes Werkzeug: es müßte in jedem Augenblicke des Lebens möglich sein, dessen ganze Vergangenheit vor die Seele zu zaubern. Mit dem Tode hört dieses Hindernis auf. Solange der Ätherleib dem Menschen erhalten bleibt, besteht eine gewisse Vollkommenheit der Erinnerung. Sie schwindet aber in dem Maße dahin, in dem der Ätherleib die Form verliert, welche er während seines Aufenthaltes im physischen Leibe gehabt hat und welche dem physischen Leib ähnlich ist. Das ist ja auch der Grund, warum sich der Astralleib vom Ätherleib nach einiger Zeit trennt. Er kann nur so lange mit diesem vereint bleiben, als dessen dem physischen Leib entsprechende Form andauert.“ (Lit.:GA 13, S. 95f)

„In einem Erinnerungsgemälde zusammengefaßt erscheint in der ersten Zeit nach dem Tode die erlebte Vergangenheit. Nach der Trennung von dem Ätherleib ist nun der Astralleib für sich allein auf seiner weiteren Wanderung. Es ist unschwer einzusehen, daß in dem Astralleib alles das vorhanden bleibt, was dieser durch seine eigene Tätigkeit während seines Aufenthaltes im physischen Leibe zu seinem Besitz gemacht hat. Das Ich hat bis zu einem gewissen Grade das Geistselbst, den Lebensgeist und den Geistesmenschen herausgearbeitet Soweit diese entwickelt sind, erhalten sie ihr Dasein nicht von dem, was als Organe in den Leibern vorhanden ist, sondern vom Ich. Und dieses Ich ist ja gerade dasjenige Wesen, welches keiner äußeren Organe zu seiner Wahrnehmung bedarf. Und es braucht auch keine solchen, um im Besitze dessen zu bleiben, was es mit sich selbst vereint hat. Man könnte einwenden: Ja warum ist im Schlafe keine Wahrnehmung von diesem entwickelten Geistselbst, Lebensgeist und Geistesmenschen vorhanden? Sie ist deswegen nicht vorhanden, weil das Ich zwischen Geburt und Tod an den physischen Leib gekettet ist. Wenn es auch im Schlafe mit dem Astralleibe sich außerhalb dieses physischen Leibes befindet, so bleibt es doch mit diesem eng verbunden. Denn die Tätigkeit seines Astralleibes ist diesem physischen Leibe zugewandt Dadurch ist das Ich mit seiner Wahrnehmung an die äußere Sinnenwelt verwiesen, kann somit die Offenbarungen des Geistigen in seiner unmittelbaren Gestalt nicht empfangen. Erst durch den Tod tritt diese Offenbarung an das Ich heran, weil dieses durch ihn frei wird von seiner Verbindung mit physischem und Ätherleib. In dem Augenblicke kann für die Seele eine andere Welt aufleuchten, in dem sie herausgezogen ist aus der physischen Welt, die im Leben ihre Tätigkeit an sich fesselt.“ (S. 98f)

Mythologie

Das Bild vom «Tod als kleiner Bruder des Schlafes» findet sich schon im Gilgamesch-Epos. Nachdem Gilgameschs Freund Enkidu gestorben war, machte sich Gilgamesch voller Trauer auf den Weg, um das Geheimnis des Leben zu finden. Er hoffte, dass ihm sein Urahn Utnapischtim dabei helfen könnte. Nach langer Reise fand Gilgamesch Urschanabi, den Fährmann Utnapischtims, der ihn über das Wasser des Todes zur Insel bringen sollte, auf der Utnapischtim lebte. Aber im Streit zerschlug Gilgamesch „Die Steinernen“, die allein die für die Überfahrt nötigen Stocherstangen aus dem Holz der Zedern herzustellen wussten, die dem Wasser des Todes standhalten konnten. Der Fährmann erklärte sich dennoch bereit, Gilgamesch überzusetzen, doch musste Gilgamesch dazu hundertzwanzig Ruder aus Holz schnitzen. Nachdem Gilgamesch das getan hatte, fuhren sie los. Sie mussten aber bei jedem Ruderschlag das gerade benutzte Ruder ins Wasser gleiten lassen, da es kein spezielles Ruder aus Stein war und mit dem Wasser des Todes benetzt war. Als das letzte Ruder aufgebraucht war, waren sie aber noch nicht auf der Insel angelangt. Gilgamesch wusste sich zu helfen und zog Urschanabis Hemd aus und hängte es wie ein Segel auf und erreichte so die Insel. Nun suchte er seinen Urahnen Utnapischtim auf. Dieser erzählte ihm von der Sintflut, die die Götter geschickt und nur er und seine Familie überlebt hatten. Eindringlich schärfte ihm Utnapischtim ein, den Schlaf, den kleinen Bruder des Todes, zu bezwingen. Doch Gilgamesch konnte sich nicht wach halten und schlief sechs Tage und sechs Nächte. Nach dem er am siebten Tag aufgewacht war, sagte Utnapischtim ihm schliesslich, wo er ein Gewächs des Lebens finden würde. Gilgamesch konnte das Gewächs finden und machte sich auf den Weg in die Heimat. Als er an einem Brunnen rastete, war er unvorsichtig und eine Schlange konnte ihm das Gewächs des Lebens stehlen. Betrübt und niedergeschlagen kam er nach Uruk zurück.

Auch in der griechischen Mythologie ist das Bild bekannt. Hier gilt Hypnos (griech. Ὕπνος, „der Schlaf“), ein Sohn der Nyx (griech. Νύξ „Nacht“), als Bruder des Thanatos (griech. θάνατος „Tod“) und wohnt mit ihm gemeinsam im Hades.

Der Todesschlaf in der Bibel

Die hebräische Seelenlehre des Alten Testaments zeichnet ein differenziertes Bild der Seele, das mit der anthroposophischen Anschauung zusammenstimmt, indem sie zwischen nephesch (hebr. נפש; Empfindungsseele), ruach (hebr. רוח; Verstandesseele) und neschama (hebr. שמה‎נ; Bewusstseinsseele) unterscheidet. Die niederen Seelenglieder nephesch und ruach sind sterblich und lösen sich nach dem Tod auf. Neschama bezeichnet die Bewusstseinsseele, insbesondere in ihrer Verschmelzung mit dem Geistselbst, wodurch sie des Geistes teilhaftig wird. Derart ist sie der zwar während der irdischen Inkarnation im Leib wohnende, aber deswegen doch nicht leibgebundene, unsterbliche Teil der Seele. Nach dem, wie sich Rudolf Steiner ausdrückt, auf dem Vierten Konzil von Konstantinopel (869) der Geist „abgeschafft“ wurde, ging allmählich auch das Bewusstsein für die unsterbliche Seele verloren.

Unabhängig davon finden sich in der Bibel allerdings immer wieder Zeugnisse, die auf den Seelenschlaf der Toten zwischen Tod und Auferstehung hindeuten. So heißt es etwa im Buch Daniel, wo die apokalyptische Endzeit der Welt beschrieben wird:

„1 Zu jener Zeit wird Michael, der große Engelfürst, der für dein Volk eintritt, sich aufmachen. Denn es wird eine Zeit so großer Trübsal sein, wie sie nie gewesen ist, seitdem es Menschen gibt, bis zu jener Zeit. Aber zu jener Zeit wird dein Volk errettet werden, alle, die im Buch geschrieben stehen. 2 Und viele, die unter der Erde schlafen liegen, werden aufwachen, die einen zum ewigen Leben, die andern zu ewiger Schmach und Schande.“

Daniel: 12,1-2 LUT

„19 Aber deine Toten werden leben, deine Leichname werden auferstehen. Wachet auf und rühmet, die ihr liegt unter der Erde! Denn ein Tau der Lichter ist dein Tau, und die Erde wird die Toten herausgeben.“

Jesaja: 26,19 LUT

Zu Moses spricht der HERR:

„16 Und der HERR sprach zu Mose: Siehe, du wirst schlafen bei deinen Vätern, und dies Volk wird sich erheben und nachlaufen den fremden Göttern des Landes, in das sie kommen, und wird mich verlassen und den Bund brechen, den ich mit ihm geschlossen habe.“

5. Buch Mose: 31,16 LUT

Ähnlich spricht der HERR auch zu Samuel:

„12 Wenn nun deine Zeit um ist und du dich zu deinen Vätern schlafen legst, will ich dir einen Nachkommen erwecken, der von deinem Leibe kommen wird; dem will ich sein Königtum bestätigen.“

2. Buch Samuel: 12,LUT EU

Paulus spricht von den Entschlafenen, die auferstehen werden:

„13 Wir wollen euch aber, liebe Brüder, nicht im Ungewissen lassen über die, die entschlafen sind, damit ihr nicht traurig seid wie die andern, die keine Hoffnung haben. 14 Denn wenn wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, so wird Gott auch die, die entschlafen sind, durch Jesus mit ihm einherführen. 15 Denn das sagen wir euch mit einem Wort des Herrn, dass wir, die wir leben und übrig bleiben bis zur Ankunft des Herrn, denen nicht zuvorkommen werden, die entschlafen sind. 16 Denn er selbst, der Herr, wird, wenn der Befehl ertönt, wenn die Stimme des Erzengels und die Posaune Gottes erschallen, herabkommen vom Himmel, und zuerst werden die Toten, die in Christus gestorben sind, auferstehen. 17 Danach werden wir, die wir leben und übrig bleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden auf den Wolken in die Luft, dem Herrn entgegen; und so werden wir bei dem Herrn sein allezeit. 18 So tröstet euch mit diesen Worten untereinander.“

Kirchenväter

Schon Tertullian (* nach 150; † nach 220) hatte die Lehre vom Seelenschlaf entschieden bekämpft und darauf hingewiesen, dass die Seele schon während des Erdenlebens immer auch schon Erlebnisse habe, die völlig unabhängig vom körperlichen Dasein sind; warum also sollte die Seele im leibfreien Zustand nach dem Tod bewusstlos, also schlafend sein?

„Gut, was soll denn also in jenem Zeitraume geschehen? Werden wir schlafen? Nun schlafen aber die Seelen nicht einmal zu Lebzeiten des Menschen, denn der Schlaf ist nur Sache des Leibes, den allein der Tod angeht, so gut wie sein Abbild, der Schlaf. Oder willst du etwa, dass dort, wohin die ganze Menschheit gezogen, wo jede Hoffnung sicher gestellt wird, Nichtsthun herrsche? Meinst du, damit würde das Gericht vorweggenommen und nicht vielmehr angefangen? übereilt und nicht vielmehr vorbereitet? Wie ungerecht vollends würde in der Unterwelt ein müssiger Zustand sein, wenn dabei dem Schuldigen immer noch ganz gut zu Sinne ist und dem Unschuldigen noch nicht? Warum will man, dass es nach dem Tode noch unklare Hoffnungen, die in ungewisser Erwartung schweben, geben soll, und nicht vielmehr eine prüfende Rückschau über das Leben und die drohende Vorbereitung des Gerichts stattfinde?

Aber muss denn die Seele immer auf ihren Körper warten, um zu trauern oder zu frohlocken? Ist sie sich nicht selber genug, um beides zu erleiden? Wie oft wird die Seele gequält, ohne dass der Leib einen Schaden gelitten, von Trübsinn, Zorn und Widerwillen allein, dessen sie sehr oft sich selbst nicht einmal bewusst ist? Wie oft sucht sich dagegen, wenn der Körper geschlagen ist, die Seele eine heimliche Freude und macht sich von der Gemeinschaft mit dem Leibe, die ihr dann ungelegen ist, los? Ich will ein Lügner sein, wenn sie nicht wegen körperlicher Leiden sich sogar zu rühmen und zu freuen pflegt.“

Tertullian: Über die Seele (De anima) 58

Ein ganz andere Meinung vertritt Justin der Märtyrer (* um 100; † 165). Er betont die Auferstehung und verneint entschieden, dass die Seele schon beim Tod in die Himmlische Welt aufgenommen werden könne. Die Unsterblichkeit der Seele und die Auferstehung erscheinen ihm als unvereinbare Gegensätze:

„Wenn ihr zusammenkommen solltet mit solchen, welche sich Christen nennen ..., welche dazu aber noch sich erkühnen, den Gott Abrahams, den Gott Isaaks und den Gott Jakobs zu lästern, und ferner behaupten, es gäbe keine Auferstehung der Toten, sondern ihre Seelen würden schon beim Tode in den Himmel aufgenommen werden, dann haltet sie nicht für Christen ...“

Justin der Märtyrer: Dialog mit dem Juden Trypho (Dialogus cum Tryphone) 80

Ähnlich denkt Irenäus von Lyon (* um 135; † um 200) und betont, dass jeder wie der Herr erst auferstehen und dann in den Himmel auffahren werde:

„Einige aber von denen, die da für rechtgläubig gelten, überschreiten die Ordnung im Fortschritt der Gerechten und verkennen die Wege, auf die uns Gott zur Unverweslichkeit führt, indem sie bei sich häretisch empfinden. Denn die Häretiker verachten das Geschöpf Gottes und leugnen das Heil ihres Fleisches, verachten auch die Verheißung Gottes und erheben sich in ihrem Sinn über Gott, und behaupten, gleich nach dem Tode über die Himmel und den Demiurgen zu steigen und zu ihrer Mutter oder dem von ihnen erdichteten Vater zu gehen. Die also die ganze Auferstehung verwerfen und, so viel an ihnen liegt, aufheben, die wollen natürlich auch von einer Ordnung in der Auferstehung nichts wissen, noch einsehen, daß, wenn dem so wäre, wie sie sagen, auch der Herr, an den zu glauben sie vorgeben, auch nicht am dritten Tage erst auferstanden wäre. Wäre er dann, am Kreuze verschieden, nicht sogleich emporgestiegen, den Leib der Erde zurücklassend? Nun aber hielt er sich drei Tage dort auf, wo die Toten waren, wie von ihm der Prophet sagt: „Es gedachte der Herr seiner heiligen Toten, derer, die vorher entschlafen waren im Lande des Begrabens, und er stieg hinab zu ihnen, sie herauszuziehen und zu erlösen“. Und der Herr selber spricht: „Wie Jonas im Bauche des Walfisches drei Tage und drei Nächte blieb, so wird auch der Menschensohn in dem Herzen der Erde sein“. Aber auch der Apostel spricht: „Er stieg hinauf, was ist das, wenn er nicht auch hinabstieg in die Tiefen der Erde?“ Darauf hat auch David prophetisch mit den Worten hingewiesen: „Du hast meine Seele aus der unteren Tiefe herausgerissen“. Am dritten Tage aber auferstehend, sprach er zu der Maria, die ihn zuerst sah und anbetete: „Rühre mich nicht an, denn noch bin ich nicht zum Vater aufgestiegen. Aber gehe zu den Jüngern und sage ihnen: Ich steige empor zu meinem Vater und zu euerem Vater“.“

Irenäus von Lyon: Gegen die Häresien (Contra Haereses) 5,31,1

Calvins Nachtwache der Seele 1534

Calvins erste Schrift theologischen Inhaltes war Psychopannychia („Nachtwache der Seele“) (Orléans, 1534), in der er die Lehre vom Seelenschlaf zwischen Tod und Jüngstem Gericht verurteilte.[1][2] Später folgte eine französische Fassung; Psychopannychie – La nuit ou le sommeil de l'âme (Genf, 1558)[3][4]

Streitschriften über den Seelenschlaf Luthers

Martin Luther beschrieb häufig den Tod als eine Art Schlaf.[5][6]

„Der Tod in Christus ist wahrhaft nicht ein Tod, sondern ein feiner, süßer, kurzer Schlaf, wo wir ... einen Augenblick ruhen sollen wie in einem Ruhebettlein, bis die Zeit komme, dass er uns mit allen seinen lieben Kindern zu seiner ewigen Herrlichkeit und Freude auferwecken und rufen wird. Denn weil man den Tod einen Schlaf nennt, so wissen wir, dass wir nicht darin bleiben, sondern wieder aufwachen und leben sollen. Die Zeit, da wir schlafen, kann uns selbst nicht länger scheinen, als wären eben erst jetzt diese Stunde entschlafen. Dann werden wir ... in einem Augenblick aus dem Grab und der Verwesung lebendig, ganz gesund, frisch, mit reinem, hellem, verklärten Leib unserem Herrn und Heiland Christus in den Wolken entgegenkommen.“[7]

Im 18. und 19. Jahrhundert war es umstritten, ob Luther Seelenschlaf gelehrt hatte.[8][9] Der lutherische Historiker Gottfried Fritschel (1867) meinte, dass diese Lehre in Luthers Werken zu finden sei.[10][11]

Der Mortalismus von Milton, Hobbes, Locke und Newton

In England bekämpfte Thomas More mit denselben Argumenten wie Calvin die Lehre vom Seelenschlaf, [12] trotzdem war Mortalismus im England der Aufklärung weit verbreitet.[13] Führende Persönlichkeiten der frühen Aufklärung wie Milton,[14] Locke,[15] Hobbes und Newton[16] lehnten die Unsterblichkeit der Seele ab.[17][18][19]

Theologischer Hintergrund

Die Annahme des Seelenschlafes richtet sich vor allem gegen die Vorstellung einer leiblosen unsterblichen Seele, die nach Ansicht vieler Theologen ein heidnisch-platonisches Konzept sei, dass dem christlichen Glauben an die Auferstehung der Toten widerspräche. Tatsächlich wird die Unsterblichkeit der Seele in der Bibel nirgends ausdrücklich und unmissverständlich erwähnt. Karl Barth bring diese Anschauung auf den Punkt, wenn er sagt:

„Was bedeutet die christliche Hoffnung in diesem Leben? Ein Leben nach dem Tode? ... Ein Seelchen, das wie ein Schmetterling über dem Grab davonflattert und noch irgendwo aufbewahrt wird, um unsterblich weiterzuleben? So haben sich die Heiden das Leben nach dem Tode vorgestellt. Das ist aber nicht die christliche Hoffnung: Ich glaube an die Auferstehung des Fleisches.“[20]

Ähnlich auch der katholisch Theologe Klaus Breuning:

„Bleibt etwa eine unsterbliche Seele, die den Tod des Leibes überdauert? So haben die griechischen Philosophen das Sterben zu erklären und zu rechtfertigen gesucht. Aber wir wissen heute, dass diese Zweiteilung des Menschen in Leib und Seele nicht haltbar ist, dass der Mensch ein unteilbares Ganzes und der Tod etwas Endgültiges ist, das den ganzen Menschen trifft.“[21]

Vor diesem Hintergrund ist auch die von vielen evangelisch Theologen proklamierte Ganztodtheorie und die u.a. von Gisbert Greshake vertretene unmittelbare Auferstehung im Tod zu sehen.

In dieser Haltung drückt sich allerdings nicht die offizielle Lehrmeinung der katholischen Kirche aus, wenn es in einer von Papst Johannes Paul II. gebilligten und von Joseph Kardinal Ratzinger verfassten Darstellung der Kongregation für die Glaubenslehre aus dem Jahr 1979 heißt:

„3. Die Kirche hält an der Fortdauer und Subsistenz eines geistigen Elementes nach dem Tode fest, das mit Bewußtsein und Willen ausgestattet ist, so daß das "Ich des Menschen" weiterbesteht, wobei es freilich in der Zwischenzeit seiner vollen Körperlichkeit entbehrt. Um dieses Element zu bezeichnen, verwendet die Kirche den Ausdruck "Seele", der durch den Gebrauch in der Heiligen Schrift und in der Tradition sich fest eingebürgert hat. Obwohl sie nicht übersieht, daß dieser Ausdruck in der Heiligen Schrift verschiedene Bedeutungen hat, ist sie doch der Auffassung, daß es keinen stichhaltigen Grund dafür gibt, ihn abzulehnen, zumal ja irgendein sprachlicher Ausdruck zur Stütze des Glaubens der Christen einfach notwendig ist.“

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Die Geheimwissenschaft im Umriß, GA 13 (1989), ISBN 3-7274-0130-3 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
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Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Einzelnachweise

  1. Peter Opitz Leben und Werk Johannes Calvins 2009, S. 31: „Calvins erste Schrift theologischen Inhaltes stammt aus dieser nur sehr unzulänglich zu erhellenden Zeit zwischen der Coprede und seinem Gang ins Exil. Ihre Vorrede gibt als Entstehungsort Orléans und als Jahr 1534 an“.
  2. Archiv für Reformationsgeschichte: Beiheft, Literaturbericht: 36 Verein für Reformationsgeschichte, American Society for Reformation Research – 2007 „Hinzu kommt sodann eine französische Fassung von Calvins Psychopannychia, in der er zu der Lehre vom Seelenschlaf zwischen Tod und Jüngstem Gericht Stellung genommen hatte.“
  3. Jean Henri Merle d'Aubigné. Histoire de la réformation en Europe au temps de Calvin.
  4. Ernst Staehelin Johannes Calvin: Leben und ausgewählte Schriften, Bd. 1‎ 1863 S. 36
  5. Luther Enarrationes in Genesin 1535–1545 „sic anima post mortem intrat suum cubiculum et pacem et dormiens non sentit suum somnum“ Exegetica opera Latina Bd. 5&6 S. 120, Elsberger 1830.
  6. Hans-Georg Kemper Konfessionalismus 1987 S. 326 „Der Tod erschien Luther als ein bloßer Schlaf, der Zwischenzustand zwischen Tod und Auferstehung als eine kurze Zeit der »Geborgenheit in Christus«, bis dieser sich »leibhaftig offenbar macht«“ (ebda., S. 99).
  7. Martin Luther in: K. Aland, Lutherlexikon, Berlin 1956, S. 30f
  8. Aurelie Horovitz Beiträge zu Lessings Philosophie 1907 S. 89 „August 1755 über eine Streitschrift, ob Luther an den Seelenschlaf nach dem Tode geglaubt, sagt Lessing, dass da mit Luthers Ansehen nichts zu gewinnen sei.“
  9. Gotthold Ephraim Lessing Sämtliche Schriften: Bd. 7 Karl Lachmann, Franz Muncker – 1891 „Er führet eine ziemliche Menge Stellen aus Luthers Schriften an, in welchen allen der Seelenschlaf, den Worten nach, ... Sie werden sagen, daß Luther mit dem Worte Schlaf gar die Begriffe nicht verbinde, welche Herr R. damit verbindet.“
  10. G. Fritschel: Denn dass Luther mit den Worten „anima non sic dormit, sed vigilat et patitur visiones, loquelas Angelorum et Dei“ nicht dasjenige leugnen will, was er an allen andern Stellen seiner Schriften vortragt. Luther und offene Fragen, Zeitschrift für die gesammte lutherische Theologie und Kirche 1867 S. 657 – „Differunt tamen somnus sive quies hujus vitae et futurae. Homon enim in hac vita defatigatus diurno labore, sub noctem intrat in cubiculum suum tanquam in pace, ut ibi dormiat, et ea nocte fruitur quiete, neque quicquam scit de ullo malo sive incendii, sive caedis. Anima autem non sic dormit, sed vigilat, et patitur visiones loquelas Angelorum et Dei. Ideo somnus in futura vita profundior est quam in hac vita et tamen anima coram Deo vivit. Hac similitudine, quam habeo a somno viventia.“
  11. Irmgard Wilhelm-Schaffer Gottes Beamter und Spielmann des Teufels - Der Tod in Spätmittelalter (1999) "Aufgrund biblischer Aussagen räumt Luther die Existenz einiger weniger Ausnahmen vom Seelenschlaf ein. Es handelt sich dabei um Personen wie Moses und Elias, die Jesus erschienen waren; grundsätzlich kommt der Schlaf als Zwischenzustand ..."
  12. Judaica: 22–24 1965 „Gegen Bacon, Gassendi und Hobbes versichert er immer wieder: Die Seele ist keine tabula rasa (II, 33)17. [...] Die Lehre vom Seelenschlaf bekämpft More mit denselben Argumenten wie Calvin (III, 61–78) durch die These: animam post mortem non dormire. Er bestreitet es energisch, daß die Lehre von der Unsterblichkeit unbiblisch und vom Platonismus in die Kirchenlehre...“
  13. Gerhard Krause, Gerhard Müller Theologische Realenzyklopädie: Bd. 22 S. 758 1992 „Mortalismus war in England weit verbreitet und Sir Thomas Browne bekannte sich zu dieser Auffassung in Religio Medici als der ersten seiner jugendlichen 20 Häresien. Milton stand keinesfalls allein mit der Auffassung, daß der Mensch aufgrund der Untrennbarkeit von Leib und Seele gänzlich sterblich sei.“
  14. Jürgen Klein Radikales Denken in England: Neuzeit 1984 S. 406: „... selben Atemzug gesagt werden muß, wie eigenwillig Milton der orthodox-protestantischen Theologie gegenübergestanden hat, etwa mit seiner These des Mortalismus.“
  15. Nuvo (ed.), John Locke: Writings on Religion'’, S. xxxiii (2002)
  16. Wood, Science and dissent in England, 1688–1945, S. 50 (2004)
  17. Bryan W. Ball The Soul Sleepers: Christian Mortalism from Wycliffe to Priestley, Lutterworth 2008
  18. Norman T. Burns Christian Mortalism from Tyndale to Milton, Harvard University Press 1972
  19. Philip C. Almond Heaven and Hell in Enlightenment England, Cambridge University Press 2009
  20. Karl Barth: Dogmatik im Grundriss, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1947, S. 180
  21. Klaus Breuning: Worauf es wirklich ankommt, Patmos-Verlag, 1978, S. 68

Weblinks


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