Bibliothek:Rudolf Steiner/Werke/GA 9 Theosophie/Die drei Welten/II. Die Seele in der Seelenwelt nach dem Tode und Baruch de Spinoza: Unterschied zwischen den Seiten

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=== II. Die Seele in der Seelenwelt nach dem Tode ===
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Die Seele ist das Bindeglied zwischen dem Geiste des Menschen und seinem Leibe. Ihre Kräfte der Sympathie und Antipathie, die durch ihr gegenseitiges Verhältnis die [106] Seelenäußerungen: Begierde, Reizbarkeit, Wunsch, Lust und Unlust und so weiter bewirken, - sie sind nicht nur zwischen Seelengebilde und Seelengebilde tätig, sondern sie äußern sich auch gegenüber den Wesenheiten der anderen. Welten, der physischen und der geistigen Welt. Während die Seele im Leibe wohnt, ist sie gewissermaßen an allein beteiligt, was in diesem Leibe vorgeht. Wenn die physischen Verrichtungen des Leibes mit Regelmäßigkeit vor sich gehen, so entsteht in der Seele Lust und Behagen; wenn diese Verrichtungen gestört sind, so tritt Unlust und Schmerz ein. - Und auch an den Tätigkeiten des Geistes hat die Seele ihren Anteil: dieser Gedanke erfüllt sie mit Freude, jener mit Abscheu; ein richtiges Urteil hat den Beifall der Seele, ein falsches ihr Mißfallen. - Ja, es hängt die Entwickelungsstufe eines Menschen davon ab, ob die Neigungen seiner Seele mehr nach der einen oder der andern Richtung hin gehen. Ein Mensch ist um so vollkommener, je mehr seine Seele mit den Äußerungen des Geistes sympathisiert; er ist um so unvollkommener, je mehr ihre Neigungen durch die Verrichtungen des Leibes befriedigt werden.<br>Der Geist ist der Mittelpunkt des Menschen, der Leib der Vermittler, durch den der Geist die physische Welt betrachtet und erkennt und durch den er in ihr wirkt. Die Seele aber ist der Vermittler zwischen beiden. Sie entbindet dem physischen Eindruck, den die Luftschwingungen auf das Ohr machen, die Empfindung des Tones, sie erlebt die Lust an diesem Ton. Alles das teilt sie dem Geiste mit, der dadurch zum Verständnisse der physischen Welt gelangt. Ein Gedanke, der in dem Geiste auftritt, wird durch die Seele in den Wunsch nach Verwirklichung umgesetzt [107] und kann erst dadurch mit Hilfe des leiblichen Werkzeuges zur Tat werden. - Nun kann der Mensch nur dadurch seine Bestimmung erfüllen, daß er all seinem Wirken die Richtung durch den Geist geben läßt. Die Seele kann durch sich selbst ihre Neigungen ebensogut dem Physischen wie dem Geistigen entgegenbringen. Sie senkt gleichsam ihre Fühlfäden ebenso zum Physischen hinunter, wie sie sie zum Geistigen hinaufstreckt. Durch das Einsenken in. Die physische Welt wird ihre eigene Wesenheit von der Natur des Physischen durchdrungen und gefärbt. Da der Geist aber nur durch ihre Vermittlung in der physischen Welt wirken kann, so wird ihm selbst dadurch die Richtung auf das Physische gegeben. Seine Gebilde werden durch die Kräfte der Seele nach dem Physischen hingezogen. Man betrachte den unentwickelten Menschen. Die Neigungen seiner Seele hängen an den Verrichtungen seines Leibes. Er empfindet nur Lust bei den Eindrücken, welche die physische Welt auf seine Sinne macht. Und auch sein Geistesleben wird dadurch ganz in diese Sphäre herangezogen. Seine Gedanken dienen nur der Befriedigung seines physischen Bedürfnislebens. - Indem das geistige Selbst von Verkörperung zu Verkörperung lebt, soll es immer mehr aus dem Geistigen heraus seine Richtung erhalten. Sein Erkennen soll von dem Geiste der ewigen Wahrheit, sein Handeln von der ewigen Güte bestimmt werden.<br>Der Tod bedeutet, als Tatsache der physischen Welt betrachtet, eine Veränderung der Verrichtungen des Leibes. Dieser hört mit dem Tode auf, durch seine Einrichtung der Vermittler der Seele und des Geistes zu sein. Er zeigt fernerhin sich in seinen Verrichtungen ganz der physischen [108] Welt und ihren Gesetzen unterworfen; er geht in dieselbe über, uni sich in ihr aufzulösen. Nur diese physischen Vorgänge des Leibes können mit den physischen Sinnen nach dem Tode betrachtet werden. Was mit Seele und Geist dann geschieht, das entzieht sich diesen Sinnen. Denn sinnlich können ja auch während des Lebens Seele und Geist nur insofern beobachtet werden, als diese in physischen Vorgängen ihren äußeren Ausdruck erlangen. Nach dein Tode ist ein solcher Ausdruck nicht mehr möglich. Deshalb kommt die Beobachtung der physischen Sinne und die sich auf sie begründende Wissenschaft für das Schicksal von Seele und Geist nach dem Tode nicht in Betracht. Da tritt eben eine höhere Erkenntnis ein, die auf der Beobachtung der Vorgänge in der Seelen- und der Geisteswelt beruht.<br>Hat sich nun der Geist von dem Leibe gelöst, so ist er noch immer mit der Seele verbunden. Und wie ihn während des physischen Lebens der Leib an die physische Welt gekettet hat, so jetzt die Seele an die seelische. - Aber in dieser seelischen Welt ist nicht sein ureigenes Wesen zu finden. Sie soll ihn nur verbinden mit dem Felde seines Schaffens, mit der physischen Welt. Um in einer neuen Verkörperung mit vollkommenerer Gestalt zu erscheinen, muß er Kraft und Stärkung aus der geistigen Welt schöpfen. Er ist aber durch die Seele in die physische Welt verstrickt worden. Er ist an ein Seelenwesen gebunden, das durchdrungen und gefärbt ist von der Natur des Physischen, und er hat dadurch selbst diese Richtung erhalten. Nach dem ,Tode ist die Seele nicht mehr an den Leib, sondern nur noch an den Geist gebunden. Sie lebt nun in einer seelischen Umgebung. Nur die [109] Kräfte dieser Welt können daher noch auf sie eine Wirkung haben. Und an dieses Leben der Seele in der Seelenwelt ist zunächst auch der Geist gebunden. Er ist so an dasselbe gebunden, wie er während der physischen Verkörperung an den Leib gebunden ist. Wann der Leib stirbt, das wird durch dessen Gesetze bestimmt im allgemeinen muß ja gesagt werden: nicht die Seele und der Geist verlassen den Leib, sondern er wird von denselben entlassen, (1) wenn seine Kräfte nicht mehr im Sinne der menschlichen Organisation wirken können. Ebenso ist das Verhältnis von Seele und Geist. Die Seele wird den Geist in die höhere, in die geistige Welt entlassen, wenn ihre Kräfte nicht mehr im Sinne der menschlichen Seelenorganisation wirken können. In dem Augenblicke wird der Geist befreit sein, wenn die Seele dasjenige der Auflösung übergeben hat, was sie nur innerhalb des Leibes erleben kann, und nur das übrig behält, was mit dem Geiste weiterleben kann. Dies Übrigbehaltene, was zwar im Leibe erlebt, aber als Frucht in den Geist eingeprägt werden kann, verbindet die Seele mit dem Geist in der rein geistigen Welt. - Um das Schicksal der Seele nach dem Tode kennenzulernen, muß also ihr Auflösungsprozeß betrachtet werden. Sie hatte die Aufgabe, dem Geist die Richtung nach dem Physischen zu geben. In dem Augenblicke, wo sie diese Aufgabe erfüllt hat, nimmt sie die Richtung nach dem Geistigen. Wegen dieser Natur [110] ihrer Aufgabe müßte sie eigentlich sofort nur geistig tätig sein, wenn der Leib von ihr abfällt, wenn sie also nicht mehr Bindeglied sein kann. Und sie würde das auch sein, wenn sie nicht durch ihr Leben im Leibe von diesem beeinflußt, in ihren Neigungen zu ihm hingezogen worden wäre. Ohne diese Färbung, die sie durch die Verbindung mit dem Leiblichen erhalten hat, würde sie sogleich nach der Entkörperung den bloßen Gesetzen der geistig-seelischen Welt folgen und keine weitere Hinneigung zum Sinnlichen entwickeln. Und das wäre der Fall, wenn der Mensch beim Tode vollständig alles Interesse an der irdischen Welt verloren hätte, wenn alle Begierden, Wünsche und so weiter befriedigt wären, die sich an das Dasein knüpfen, das er verlassen hat. Sofern dies aber nicht der Fall ist, haftet das nach dieser Richtung Übriggebliebene an der Seele.<br>Man muß hier, um nicht in Verwirrung zu geraten, sorgfältig unterscheiden zwischen dem, was den Menschen an die Welt so kettet, daß es auch in einer folgenden Verkörperung ausgeglichen werden kann, und dem, was ihn an eine bestimmte, an die jeweilig letzte Verkörperung kettet. Das erstere wird durch das Schicksalsgesetz, Karma, ausgeglichen; das andere aber kann nur nach dem Tode von der Seele abgestreift werden.<br>Es folgt auf den Tod für den Menschengeist eine Zeit, in der die Seele ihre Neigungen zum physischen Dasein abstreift, um dann wieder den bloßen Gesetzen der geistig-seelischen Welt zu folgen und den Geist freizumachen. Es ist naturgemäß, daß diese Zeit um so länger dauern wird, je mehr die Seele an das Physische gebunden war. Sie wird kurz sein bei einem Menschen, der wenig [111] an dem physischen Leben gehangen hat, lang dagegen bei einem solchen, der seine Interessen ganz an dieses Leben gebunden hat, so daß beim Tode noch viele Begierden, Wünsche und so weiter in der Seele leben.<br>Am leichtesten erhält man von dem Zustande, in dem die Seele in der nächsten Zeit nach dem Tode lebt, eine Vorstellung durch folgende Überlegung. Man nehme ein ziemlich krasses Beispiel dazu: die Genüsse eines Feinschmeckers. Er hat seine Lust am Gaumenkitzel durch die Speisen. Der Genuß ist natürlich nichts Körperliches, sondern etwas Seelisches. In der Seele lebt die Lust und auch die Begierde nach der Lust. Zur Befriedigung der Begierde ist aber das entsprechende körperliche Organ, der Gaumen und so weiter, notwendig. Nach dem Tode hat nun die Seele eine solche Begierde nicht sogleich verloren, wohl aber hat sie das körperliche Organ nicht mehr, welches das Mittel ist, die Begierde zu befriedigen. Es ist nun - zwar aus einem anderen Grunde, der aber ähnlich, nur weit stärker wirkt - für den Menschen so, wie wenn er in einer Gegend, in der weit und breit kein Wasser ist, brennenden Durst litte. So leidet die Seele brennend an der Entbehrung der Lust, weil sie das körperliche Organ abgelegt hat, durch das sie die Lust haben kann. So ist es mit allem, wonach die Seele verlangt und das nur durch die körperlichen Organe befriedigt werden kann. Es dauert dieser Zustand (brennender Entbehrung) so lange, bis die Seele gelernt hat, nicht mehr nach solchem zu begehren, was nur durch den Körper befriedigt werden kann. Und die Zeit, welche in diesem Zustande verbracht wird, kann man den Ort der Begierden nennen, obgleich man es natürlich nicht mit einem «Orte» zu tun hat. [112] Betritt die Seele nach dem Tode die seelische Welt, so ist sie deren Gesetzen unterworfen. Diese wirken auf sie; und vor' dieser Wirkung hängt es ab, in welcher Art die Neigung zum Physischen in ihr getilgt wird. Die Wirkungen müssen verschieden sein, je nach den Arten der Seelenstoffe und Seelenkräfte, in deren Bereich sie nunmehr versetzt ist. Jede dieser Arten wird ihren reinigenden, läuternden Einfluß geltend machen. Der Vorgang, der hier stattfindet, ist so, daß alles Antipathische in der Seele allmählich von den Kräften der Sympathie überwunden und daß diese Sympathie selbst bis zu ihrem höchsten Gipfel geführt wird. Denn durch diesen höchsten Grad von Sympathie mit der ganzen übrigen Seelenwelt wird die Seele gleichsam in dieser zerfließen, eins mit ihr werden; dann ist ihre Eigensucht völlig erschöpft. Sie hört auf, als ein Wesen zu existieren, das dem physisch-sinnlichen Dasein zugeneigt ist: der Geist ist durch sie befreit. Daher läutert sich die Seele durch die oben beschriebenen Regionen der Seelenwelt hindurch, bis sie in der Region der vollkommenen Sympathie mit der allgemeinen Seelenwelt eins wird. Daß der Geist bis zu diesem letzten Momente der Befreiung seiner Seele selbst an diese gebunden ist, rührt davon her, daß er durch sein Leben mit ihr ganz verwandt geworden ist. Diese Verwandtschaft ist eine viel größere als die mit dem Leibe. Denn mit dem letzteren ist er mittelbar durch die Seele, mit dieser aber unmittelbar verbunden. Sie ist ja sein Eigenleben. Deshalb ist der Geist nicht an den verwesenden Leib, wohl aber an die sich allmählich befreiende Seele gebunden. - Wegen der unmittelbaren Verbindung des Geistes mit der Seele kann der erstere sich von dieser erst [113] dann frei fühlen, wenn sie selbst mit der allgemeinen Seelenwelt eins geworden ist.<br>Insofern die seelische Welt der Aufenthalt des Menschen unmittelbar nach dem Tode ist, kann sie der «Ort der Begierden» genannt werden. Die verschiedenen Religionssysteme, die ein Bewußtsein von diesen Verhältnissen in ihre Lehren aufgenommen haben, kennen diesen «Ort der Begierden» unter dem Namen «Fegefeuer», «Läuterungsfeuer» und so weiter.<br>Die niederste Region der Seelenwelt ist diejenige der Begierdenglut. Durch sie wird nach dem Tode alles das aus der Seele ausgetilgt, was sie an gröbsten, mit dem niedersten Leibesleben zusammenhängenden selbstsüchtigen Begierden hat. Denn durch solche Begierden kann sie von den Kräften dieser Seelenregion eine Wirkung erfahren. Die unbefriedigten Begierden, die aus dem physischen Leben zurückgeblieben sind, bilden den Angriffspunkt. Die Sympathie solcher Seelen erstreckt sich nur über das, was ihr eigensüchtiges Wesen nähren kann; und sie wird weit überwogen von der Antipathie, die sich über alles andere ergießt. Nun gehen aber die Begierden auf die physischen Genüsse, die in der Seelenwelt nicht befriedigt werden können. Durch diese Unmöglichkeit der Befriedigung wird die Gier aufs höchste gesteigert. Zugleich muß aber diese Unmöglichkeit die Gier allmählich verlöschen. Die brennenden Gelüste verzehren sich nach und nach; und die Seele hat erfahren, daß in der Austilgung solcher Gelüste das einzige Mittel liegt, das Leid zu verhindern, das aus ihnen kommen muß. Während des physischen Lebens tritt ja doch immer wieder und wieder Befriedigung ein. Dadurch wird der Schmerz der brennenden Gier durch [114] eine Art Illusion verdeckt. Nach dem Tode, im «Läuterungsfeuer», tritt dieser Schmerz ganz unverhüllt auf. Die entsprechenden Entbehrungserlebnisse werden durchgemacht. Ein finsterer Zustand ist es, in dem die Seelen sich dadurch befinden. Nur diejenigen Menschen können selbstverständlich diesem Zustande verfallen, deren Begierden im physischen Leben auf die gröbsten Dinge abzielten. Naturen mit wenig Gelüsten gehen, ohne daß sie es merken, durch ihn hindurch, denn sie haben zu ihm keine Verwandtschaft. Es muß gesagt werden, daß durch die Begierdenglut die Seelen um so länger beeinflußt werden, je verwandter sie durch ihr physisches Leben dieser Glut geworden sind; je mehr sie es daher nötig haben, in ihr geläutert zu werden. Man darf solche Läuterung nicht in demselben Sinne als ein Leiden bezeichnen, wie man ähnliches in der Sinnenwelt nur als Leiden empfinden müßte. Denn die Seele verlangt nach dem Tode nach ihrer Läuterung, weil nur durch diese eine in ihr bestehende Unvollkommenheit getilgt werden kann.<br>Eine zweite Art von Vorgängen der Seelenwelt ist so, daß. Sich Sympathie und Antipathie bei ihnen das Gleichgewicht halten. Insofern eine Menschenseele in dem gleichen Zustande nach dem Tode ist, wird sie eine Zeitlang von diesen Vorgängen beeinflußt. Das Aufgehen im äußeren Tand des Lebens, die Freude an den vorüberflutenden Eindrücken der Sinne bedingen diesen Zustand. Die Menschen leben in ihm, insofern er durch die angedeuteten Seelenneigungen bedingt ist Sie lassen sich von jeder Nichtigkeit des Tages beeinflussen. Da aber ihre Sympathie sich keinem Dinge in besonderem Maße zuwendet, gehen die Einflüsse rasch vorüber. Alles, was nicht diesem [115] nichtigen Reich angehört, ist solchen Personen antipathisch. Erlebt nun nach dem Tode die Seele diesen Zustand, ohne daß die sinnlich-physischen Dinge da sind, die zu seiner Befriedigung notwendig gehören, so muß er endlich verlöschen. Natürlich ist die Entbehrung, die vor dem völligen Erlöschen in der Seele herrscht, leidvoll. Diese leidvolle Lage ist die Schule zur Zerstörung der Illusion, in die der Mensch während des physischen Lebens eingehüllt ist.<br>Drittens kommen in der Seelenwelt die Vorgänge in Betracht mit vorherrschender Sympathie, diejenigen mit vorherrschender Wunschnatur. Ihre Wirkung erfahren die Seelen durch alles das, was eine Atmosphäre von Wünschen nach dem Tode erhält. Auch diese Wünsche ersterben allmählich wegen der Unmöglichkeit ihrer Befriedigung.<br>Die Region der Lust und Unlust in der Seelenwelt, die oben als die vierte bezeichnet worden ist, legt der Seele besondere Prüfungen auf. Solange diese im Leibe wohnt, nimmt sie an allem teil, was diesen Leib betrifft. Das Weben von Lust und Unlust ist an diesen geknüpft. Er verursacht ihr Wohlgefühl und Behagen, Unlust und Unbehagen. Der Mensch empfindet während des physischen Lebens seinen Körper als sein Selbst. Das, was man Selbstgefühl nennt, gründet sich auf diese Tatsache. Und je sinnlicher die Menschen veranlagt sind, desto mehr nimmt ihr Selbstgefühl diesen Charakter an. - Nach dem Tode fehlt der Leib als Gegenstand dieses Selbstgefühls. Die Seele, welcher dieses Gefühl geblieben ist, fühlt sich deshalb wie ausgehöhlt. Ein Gefühl, wie wenn sie sich selbst verloren hätte, befällt sie. Dieses hält so lange an, bis erkannt ist, [116] daß im Physischen nicht der wahre Mensch liegt. Die Einwirkungen dieser vierten Region zerstören daher die Illusion des leiblichen Selbst. Die Seele lernt diese Leiblichkeit nicht mehr als etwas Wesentliches empfinden. Sie wird geheilt und geläutert von dem Hang zu der Leiblichkeit. Dadurch hat sie überwunden, was sie vorher stark an die physische Welt kettete, und sie kann die Kräfte der Sympathie, die nach außen gehen, voll entfalten. Sie ist sozusagen von sich abgekommen und bereit, teilnahmsvoll sich in die allgemeine Seelenwelt zu ergießen.<br>Es soll nicht unerwähnt bleiben, daß die Erlebnisse dieser Region im besonderen Maße Selbstmörder durchmachen. Sie verlassen auf künstlichem Wege ihren physischen Leib, während doch alle Gefühle, die mit diesem zusammenhängen, unverändert bleiben. Beim natürlichen Tode geht mit dem Verfall des Leibes auch ein teilweises Ersterben der an ihn sich heftenden Gefühle einher. Bei Selbstmördern kommen dann noch zu der Qual, die ihnen das Gefühl der plötzlichen Aushöhlung verursacht, die unbefriedigten Begierden lind Wünsche, wegen deren sie sich entleibt haben.<br>Die fünfte Stufe der Seelenwelt ist die des Seelenlichtes. Die Sympathie mit anderem hat in ihr bereits eine hohe Geltung. Mit ihr sind die Seelen verwandt, insofern sie während des physischen Lebens nicht in der Befriedigung niederer Bedürfnisse aufgegangen sind, sondern Freude, Lust an ihrer Umwelt gehabt haben. Die Naturschwärmerei, insofern sie einen sinnlichen Charakter an sich getragen hat, unterliegt zum Beispiel hier der Läuterung. Man muß aber diese Art von Naturschwärmerei wohl unterscheiden von jenem höheren Leben in der Natur, das [117] geistiger Art ist und welches den Geist sucht, der sich in den Dingen und Vorgängen der Natur offenbart. Diese Art von Natursinn gehört zu den Dingen, die den Geist selbst entwickeln und die ein Bleibendes in diesem Geiste begründen. Von diesem Natursinn ist aber eine solche Lust an der Natur zu unterscheiden, die ihren Grund in den Sinnen hat. Dieser gegenüber bedarf die Seele ebenso der Läuterung wie gegenüber anderen Neigungen, die im bloßen physischen Dasein begründet sind. Viele Menschen sehen in Einrichtungen, die der sinnlichen Wohlfahrt dienen, in einem Erziehungssystem, das vor allem sinnliches Behagen herbeiführt, eine Art Ideal. Von ihnen kann man nicht sagen, daß sie nur ihren selbstsüchtigen Trieben dienen. Aber ihre Seele ist doch auf die Sinnenwelt gerichtet und muß durch die in der fünften Region der seelischen Welt herrschende Kraft der Sympathie, der diese äußeren Befriedigungsmittel fehlen, geheilt werden. Die Seele erkennt hier allmählich, daß diese Sympathie andere Wege nehmen muß. Und diese Wege werden gefunden in der durch die Sympathie mit der Seelenumgebung bewirkten Ausgießung der Seele in den Seelenraum. <br>- Auch diejenigen Seelen, welche von ihren religiösen Verrichtungen zunächst eine Erhöhung ihrer sinnlichen Wohlfahrt verlangen, werden hier geläutert. Sei es, daß ihre Sehnsucht auf ein irdisches, sei es, daß sie auf ein himmlisches Paradies gehe. Sie finden im «Seelenlande» dieses Paradies; aber nur zu dem Zwecke, um die Wertlosigkeit desselben zu durchschauen. Alles das sind natürlich nur einzelne Beispiele für Läuterungen, die in dieser fünften Region stattfinden. Sie könnten beliebig vermehrt werden. [118] Durch die sechste Region, diejenige der tätigen Seelenkraft, findet die Läuterung des tatendurstigen Teiles der Seele statt, der nicht einen egoistischen Charakter trägt, doch aber in der sinnlichen Befriedigung, welche die Taten bringen, seine Motive hat. Naturen, die eine solche Tatenlust entwickeln, machen äußerlich durchaus den Eindruck von Idealisten, sie zeigen sich als aufopferungsfähige Personen. Im tieferen Sinne kommt es ihnen aber doch auf die Erhöhung eines sinnlichen Lustgefühls an. Viele künstlerische Naturen und solche, welche sich wissenschaftlicher Betätigung hingeben, weil es ihnen so gefällt, gehören hierher. Was diese an die physische Welt kettet, das ist der Glaube, daß Kunst und Wissenschaft um eines solchen Gefallens willen da seien.<br>Die siebente Region, die des eigentlichen Seelenlebens, befreit den Menschen von seinen letzten Hinneigungen zur sinnlich-physischen Welt. Jede vorhergehende Region nimmt von der Seele das auf, was ihr verwandt ist. Was nun noch den Geist umgibt, das ist die Meinung, daß seine Tätigkeit der sinnlichen Welt ganz gewidmet sein soll. Es gibt hochbegabte Persönlichkeiten, die aber über nicht viel anderes nachsinnen als über die Vorgänge der physischen Welt. Man kann einen solchen Glauben einen materialistischen nennen. Dieser Glaube muß zerstört werden, und er wird es in der siebenten Region. Da sehen die Seelen, daß keine Gegenstände für materialistische Gesinnung in der wahren Wirklichkeit vorhanden sind. Wie Eis in der Sonne schmilzt dieser Glaube der Seele hier dahin. Das Seelenwesen ist nunmehr aufgesogen von seiner Welt, der Geist aller Fesseln ledig. Er schwingt sich auf in die Regionen, wo er nur in seiner eigenen Umgebung [119] lebt. - Die Seele hat ihre vorige Erdenaufgabe erfüllt, und es hat sich nach dem Tode gelöst, was von dieser Aufgabe als eine Fessel für den Geist geblieben ist. Indem die Seele den Erdenrest überwunden hat, ist sie selbst ihrem Elemente zurückgegeben.<br>Man sieht aus dieser Darstellung, daß die Erlebnisse der seelischen Welt, und damit auch die Zustände des seelischen Lebens nach dem Tode, ein immer weniger der Seele widerstrebendes Aussehen gewinnen, je mehr der Mensch von dem abgestreift hat, was ihm von der irdischen Verbindung mit der physischen Körperlichkeit an unmittelbarer Verwandtschaft mit dieser anhaftet. - Je nach den im physischen Leben geschaffenen Vorbedingungen wird die Seele länger oder kürzer der einen oder anderen Region angehören. Wo sie Verwandtschaft fühlt, bleibt sie so lange, bis diese getilgt ist. Wo keine Verwandtschaft vorhanden ist, geht sie unfühlend über die möglichen Einwirkungen hinweg. Es sollten hier nur die Grundeigenschaften der Seelenwelt geschildert und der Charakter des Lebens der Seele in dieser Welt in allgemeinen Zügen dargestellt werden. Dasselbe gilt für die folgenden Darstellungen des Geisterlandes. Es würde die Grenzen, welche dieses Buch einhalten soll, überschreiten, wenn auf weitere Eigenschaften dieser höheren Welten eingegangen werden sollte. Denn von dem, was sich mit Raumverhältnissen und dem Zeitverlauf vergleichen läßt, in bezug auf die hier alles ganz anders ist als in der physischen Welt, kann nur verständlich gesprochen werden, wenn man es in ganz ausführlicher Art darstellen will. Einiges Wichtige darüber findet man in meiner «Geheimwissenschaft». [120]
'''Baruch de Spinoza''' ({{heS|ברוך שפינוזה}}, portogiesisch ''Bento de Espinosa'', latinisiert {{lang|la|''Benedictus de Spinoza''}}; * 24. November 1632 in Amsterdam; † 21. Februar 1677 in Den Haag) war ein niederländischer [[Philosoph]] mit [[wikipedia:sephardisch|sephardisch]]en (iberisch-jüdischen) Vorfahren und Muttersprache [[wikipedia:Portugiesische Sprache|Portugiesisch]].<ref>Yves Citton. L'envers de la liberté. L'invention d'un imaginaire spinoziste dans la France des Lumières. Paris: Éditions Amsterdam, 2006, S. 17</ref> Er wird dem [[Rationalismus]] zugeordnet und gilt als einer der Begründer der modernen [[wikipedia:Historisch-kritische Methode|Bibelkritik]]. Spinoza war zudem ein entschiedener Vertreter des [[Pantheismus]], den er in die Kurzformel [[Substanz]]&nbsp;=&nbsp;[[Gott]]&nbsp;=&nbsp;[[Natur]] (''Deus sive natura,'' „Gott oder die Natur“) fasste.
 
== Rudolf Steiner über Spinoza ==
[[Rudolf Steiner]] umreißt Spinozas grundlegende Anschauungen so:
 
<div style="margin-left:20px">
"''Benedict Spinoza'' (1632—1677) frägt sich: Wie muß
dasjenige gedacht werden, von dem zur Schöpfung eines
wahren Weltbildes ausgegangen werden darf? Diesem
Ausgangspunkte liegt zugrunde die Empfindung: Mögen
sich ungezählte Gedanken als wahr in meiner Seele ankündigen,
ich gebe mich dem hin als Grundstein zu einer
Weltanschauung, dessen Eigenschaften ich erst bestimmen
muß. Spinoza findet, daß ausgegangen nur werden kann
von dem, das zu seinem Sein keines andern bedarf. Diesem
Sein gibt er den Namen [[Substanz]]. Und er findet, daß
es nur eine solche Substanz geben könne, und daß diese
[[Gott]] sei. Wenn man sich die Art ansieht, wie Spinoza zu
diesem Anfang seines Philosophierens kommt, so findet
man seinen Weg dem der [[Mathematik]] nachgebildet. Wie
der Mathematiker von allgemeinen Wahrheiten ausgeht,
die das menschliche Ich sich freischaffend bildet, so verlangt
Spinoza, daß die Weltanschauung von solchen frei
geschaffenen Vorstellungen ausgehe. - Die eine Substanz
ist so, wie das Ich sie denken muß. So gedacht, duldet sie
nichts, was, außer ihr vorhanden, ihr gleich wäre. Denn
dann wäre sie nicht alles; sie hatte zu ihrem Dasein etwas
anderes nötig. Alles andere ist also nur an der Substanz,
als eines ihrer Attribute, wie Spinoza sagt. Zwei solcher
Attribute sind dem Menschen erkennbar. Das eine erblickt
er, wenn er die Außenwelt überschaut; das andere, wenn
er sich nach innen wendet. Das erste ist die Ausdehnung,
das zweite das Denken. Der Mensch trägt in seinem Wesen
die beiden Attribute; in seiner Leiblichkeit die Ausdehnung,
in seiner Seele das Denken. Aber er ist mit beiden
ein Wesen in der einen Substanz. Wenn er denkt,
denkt die göttliche Substanz, wenn er handelt, handelt die
göttliche Substanz. Spinoza erwirbt für das menschliche
[[Ich]] das Dasein, indem er dieses Ich in der allgemeinen,
alles umfassenden göttlichen Substanz verankert. Von unbedingter
[[Freiheit]] des Menschen kann da nicht die Rede
sein. Denn der Mensch ist so wenig selbst dasjenige, das
aus sich handelt und denkt, wie es der Stein ist, der sich
bewegt; es ist in allem die eine Substanz. Von bedingter
Freiheit nur kann beim Menschen dann gesprochen werden,
wenn er sich nicht für ein selbständiges Einzelwesen
hält, sondern wenn er sich eins weiß mit der einen Substanz.
Spinozas Weltanschauung führt in ihrer konsequenten
Ausbildung in einer Persönlichkeit bei dieser zu dem
Bewußtsein: Ich denke über mich im rechten Sinne, wenn
ich mich nicht weiter berücksichtige, sondern in meinem
Erleben mich eins weiß mit dem göttlichen All. Dieses Bewußtsein
gießt dann, im Sinne Spinozas, über die ganze
menschliche Persönlichkeit den Trieb zum Rechten, das
ist gotterfülltes Handeln. Dieses ergibt sich wie selbstverständlich
für denjenigen, in dem die rechte Weltanschauung
volle Wahrheit ist. Daher nennt Spinoza die Schrift,
in der er seine Weltanschauung darstellt, [[Ethik]]. Ihm ist
Ethik, das ist sittliches Verhalten, im höchsten Sinne Ergebnis
des wahren Wissens von dem Wohnen des Menschen
in der einen Substanz. Man möchte sagen, das Privatleben
Spinozas, des Mannes, der erst von Fanatikern
verfolgt wurde, dann nach freiwilliger Hinweggabe seines
Vermögens in Ärmlichkeit als Handwerker sich seinen
Lebensunterhalt suchte, war in seltenster Art der äußere
Ausdruck seiner Philosophenseele, die ihr Ich im göttlichen
All wußte, und alles seelische Erleben, ja alles Erleben
überhaupt von diesem Bewußtsein durchleuchtet empfand.
 
Spinoza baut ein Weltanschauungsbild aus [[Gedanken]]
auf. Diese Gedanken müssen so sein, daß sie aus dem
Selbstbewußtsein heraus ihre Berechtigung zum Aufbau
des Bildes haben. Daher muß ihre Gewißheit stammen.
Was das Selbstbewußtsein so denken darf, wie es die sich
selbst tragenden mathematischen Ideen denkt, das kann
ein Weltbild gestalten, das Ausdruck ist dessen, was in
Wahrheit hinter den Welterscheinungen vorhanden ist." {{Lit|{{G|018|113ff}}}}
</div>
 
== Weitere Inkarnationen ==
 
Nach [[Rudolf Steiner]] war Spinoza zur Zeitenwende als der jüdisch-hellenistische [[Philosoph]] [[Philon von Alexandria]] (* um 15/10 v. Chr.; † nach 40 n. Chr.) verkörpert und kam später als [[Johann Gottlieb Fichte]] (1762-1814) wieder.
 
<div style="margin-left:20px">
"Als Beispiel für eine regelmäßige Entwicklung einer Individualität
können wir betrachten einen Zeitgenossen von Jesus, Philo
von Alexandrien. Seine Individualität kam wieder als Spinoza und
dann als Johann Gottlieb Fichte. Wir haben hier also eine durchgehende
Individualität in drei Persönlichkeiten. Liest man Fichte
ohne Kenntnis dieser Vorgänge, so versteht man ihn nur wenig.
Mit dieser Kenntnis aber findet man, daß seine Worte mit Feuerschrift
geschrieben sind. Alle diese großen Geister haben eine
regelmäßige Entwicklung durchgemacht." {{Lit|{{G|088|184}}}}
</div>
 
<div style="margin-left:20px">
"Denn dieselbe Individualität
ist ja Spinoza und Fichte, wie vielleicht schon einige unserer
Freunde wissen." {{Lit|{{G|158|213}}}}
</div>
 
== Siehe auch ==
 
* {{Eisler-1912|Spinoza, Benedictus de}}
 
== Einzelnachweise ==
<references/>
 
==Literatur==
*Rudolf Steiner: ''Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriß dargestellt'', [[GA 18]] (1985), ISBN 3-7274-0180-X; '''Tb 610/11''', ISBN 978-3-7274-6105-7 {{Schriften|018}}
*[[Herbert Witzenmann]]: ''Ein Dreigestirn am Horizont unserer Epoche.'' (Descartes, Spinoza, Leibniz), Gideon Spicker Verlag, 2. Aufl. 1984, ISBN 3857041943
*Rudolf Steiner: ''Faust und Hamlet'', Erstveröffentlichung in: Das Goetheanum, I. Jahrgang, Nr. 34, 2. April 1921 ([[GA 36]], S. 125-128) ''(Goethes Verhältnis zu Linné, Spinoza, und Shakespeare)''
#Rudolf Steiner: ''Über die astrale Welt und das Devachan'', [[GA 88]] (1999), ISBN 3-7274-0880-4
#Rudolf Steiner: ''Der Zusammenhang des Menschen mit der elementarischen Welt'', [[GA 158]] (1993), ISBN 3-7274-1580-0 {{Vorträge|158}}
 
{{GA}}
 
{{wikipedia}}
 
[[Kategorie:Mann]]
[[Kategorie:Philosoph der Frühen Neuzeit]]
[[Kategorie:Erkenntnistheoretiker]]
[[Kategorie:Philosophie]]

Version vom 26. August 2013, 23:58 Uhr

Porträt des Philosophen Baruch de Spinoza, Ölgemälde um 1665, im Besitz der Gemäldesammlung der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel
Das Haus von Baruch de Spinoza, Rijnsburg Spinozalaan 29. Heutzutage dient es als Museum, das seine Arbeit würdigt.
Das Studienzimmer von Baruch de Spinoza

Baruch de Spinoza (hebr. ברוך שפינוזה, portogiesisch Bento de Espinosa, latinisiert Benedictus de Spinoza; * 24. November 1632 in Amsterdam; † 21. Februar 1677 in Den Haag) war ein niederländischer Philosoph mit sephardischen (iberisch-jüdischen) Vorfahren und Muttersprache Portugiesisch.[1] Er wird dem Rationalismus zugeordnet und gilt als einer der Begründer der modernen Bibelkritik. Spinoza war zudem ein entschiedener Vertreter des Pantheismus, den er in die Kurzformel Substanz = Gott = Natur (Deus sive natura, „Gott oder die Natur“) fasste.

Rudolf Steiner über Spinoza

Rudolf Steiner umreißt Spinozas grundlegende Anschauungen so:

"Benedict Spinoza (1632—1677) frägt sich: Wie muß dasjenige gedacht werden, von dem zur Schöpfung eines wahren Weltbildes ausgegangen werden darf? Diesem Ausgangspunkte liegt zugrunde die Empfindung: Mögen sich ungezählte Gedanken als wahr in meiner Seele ankündigen, ich gebe mich dem hin als Grundstein zu einer Weltanschauung, dessen Eigenschaften ich erst bestimmen muß. Spinoza findet, daß ausgegangen nur werden kann von dem, das zu seinem Sein keines andern bedarf. Diesem Sein gibt er den Namen Substanz. Und er findet, daß es nur eine solche Substanz geben könne, und daß diese Gott sei. Wenn man sich die Art ansieht, wie Spinoza zu diesem Anfang seines Philosophierens kommt, so findet man seinen Weg dem der Mathematik nachgebildet. Wie der Mathematiker von allgemeinen Wahrheiten ausgeht, die das menschliche Ich sich freischaffend bildet, so verlangt Spinoza, daß die Weltanschauung von solchen frei geschaffenen Vorstellungen ausgehe. - Die eine Substanz ist so, wie das Ich sie denken muß. So gedacht, duldet sie nichts, was, außer ihr vorhanden, ihr gleich wäre. Denn dann wäre sie nicht alles; sie hatte zu ihrem Dasein etwas anderes nötig. Alles andere ist also nur an der Substanz, als eines ihrer Attribute, wie Spinoza sagt. Zwei solcher Attribute sind dem Menschen erkennbar. Das eine erblickt er, wenn er die Außenwelt überschaut; das andere, wenn er sich nach innen wendet. Das erste ist die Ausdehnung, das zweite das Denken. Der Mensch trägt in seinem Wesen die beiden Attribute; in seiner Leiblichkeit die Ausdehnung, in seiner Seele das Denken. Aber er ist mit beiden ein Wesen in der einen Substanz. Wenn er denkt, denkt die göttliche Substanz, wenn er handelt, handelt die göttliche Substanz. Spinoza erwirbt für das menschliche Ich das Dasein, indem er dieses Ich in der allgemeinen, alles umfassenden göttlichen Substanz verankert. Von unbedingter Freiheit des Menschen kann da nicht die Rede sein. Denn der Mensch ist so wenig selbst dasjenige, das aus sich handelt und denkt, wie es der Stein ist, der sich bewegt; es ist in allem die eine Substanz. Von bedingter Freiheit nur kann beim Menschen dann gesprochen werden, wenn er sich nicht für ein selbständiges Einzelwesen hält, sondern wenn er sich eins weiß mit der einen Substanz. Spinozas Weltanschauung führt in ihrer konsequenten Ausbildung in einer Persönlichkeit bei dieser zu dem Bewußtsein: Ich denke über mich im rechten Sinne, wenn ich mich nicht weiter berücksichtige, sondern in meinem Erleben mich eins weiß mit dem göttlichen All. Dieses Bewußtsein gießt dann, im Sinne Spinozas, über die ganze menschliche Persönlichkeit den Trieb zum Rechten, das ist gotterfülltes Handeln. Dieses ergibt sich wie selbstverständlich für denjenigen, in dem die rechte Weltanschauung volle Wahrheit ist. Daher nennt Spinoza die Schrift, in der er seine Weltanschauung darstellt, Ethik. Ihm ist Ethik, das ist sittliches Verhalten, im höchsten Sinne Ergebnis des wahren Wissens von dem Wohnen des Menschen in der einen Substanz. Man möchte sagen, das Privatleben Spinozas, des Mannes, der erst von Fanatikern verfolgt wurde, dann nach freiwilliger Hinweggabe seines Vermögens in Ärmlichkeit als Handwerker sich seinen Lebensunterhalt suchte, war in seltenster Art der äußere Ausdruck seiner Philosophenseele, die ihr Ich im göttlichen All wußte, und alles seelische Erleben, ja alles Erleben überhaupt von diesem Bewußtsein durchleuchtet empfand.

Spinoza baut ein Weltanschauungsbild aus Gedanken auf. Diese Gedanken müssen so sein, daß sie aus dem Selbstbewußtsein heraus ihre Berechtigung zum Aufbau des Bildes haben. Daher muß ihre Gewißheit stammen. Was das Selbstbewußtsein so denken darf, wie es die sich selbst tragenden mathematischen Ideen denkt, das kann ein Weltbild gestalten, das Ausdruck ist dessen, was in Wahrheit hinter den Welterscheinungen vorhanden ist." (Lit.: GA 018, S. 113ff)

Weitere Inkarnationen

Nach Rudolf Steiner war Spinoza zur Zeitenwende als der jüdisch-hellenistische Philosoph Philon von Alexandria (* um 15/10 v. Chr.; † nach 40 n. Chr.) verkörpert und kam später als Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) wieder.

"Als Beispiel für eine regelmäßige Entwicklung einer Individualität können wir betrachten einen Zeitgenossen von Jesus, Philo von Alexandrien. Seine Individualität kam wieder als Spinoza und dann als Johann Gottlieb Fichte. Wir haben hier also eine durchgehende Individualität in drei Persönlichkeiten. Liest man Fichte ohne Kenntnis dieser Vorgänge, so versteht man ihn nur wenig. Mit dieser Kenntnis aber findet man, daß seine Worte mit Feuerschrift geschrieben sind. Alle diese großen Geister haben eine regelmäßige Entwicklung durchgemacht." (Lit.: GA 088, S. 184)

"Denn dieselbe Individualität ist ja Spinoza und Fichte, wie vielleicht schon einige unserer Freunde wissen." (Lit.: GA 158, S. 213)

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Yves Citton. L'envers de la liberté. L'invention d'un imaginaire spinoziste dans la France des Lumières. Paris: Éditions Amsterdam, 2006, S. 17

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Über die astrale Welt und das Devachan, GA 88 (1999), ISBN 3-7274-0880-4
  2. Rudolf Steiner: Der Zusammenhang des Menschen mit der elementarischen Welt, GA 158 (1993), ISBN 3-7274-1580-0 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
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Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
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