Beatrice

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Beatrice bei den Engeln; Illustration von Gustave Doré zu Dantes Göttlicher Komödie.
Ary Scheffer - Dante and Beatrice (1851, Boston Museum)
Carl Wilhelm Friederich Oesterly: Dante und Beatrice

Beatrice (aus dem Okzitanischen: „die Seligmachende“) ist eine Gestalt aus Werken Dante Alighieris (1265-1321).

Erstmals erwähnt er in Vita Nuova („Das neue Leben“) eine früh verstorbene Beatrice, die er in Florenz kennen gelernt habe. Die Vorlage seiner literarischen Beatrice war Beatrice Portinari, eine Tochter des Bankiers Folco Portinari, der der neunjährige Dante erstmals bei einem Frühlingsfest begegnete. Beatrice war damals gerade am Beginn ihres neunten Lebensjahrs. Von Anfang an bezauberte ihn ihre engelsgleiche reine Gestalt. Neun Jahre später traf er sie zum zweites Mal bei einem Jugendfest, wo sie ihm einen Blütenkranz überreichte. Im Alter von 20 Jahren heiratete Beatrice in Anwesenheit Dantes den Bankier und Ritter Simone dei Bardi, starb aber schon bald darauf im 24. Lebensjahr im Zuge einer Epidemie.

„Neunmal schon nach meiner Geburt war der Himmel des Lichtes gemäß dem ihm eigenen Kreislauf beinahe zu derselben Stelle zurückgekehrt, als meine Augen zum ersten Male die glorreiche Fraue meiner Seele erschien, die von vielen, die sie nicht anders zu nennen wußten, Beatrice genannt ward. Sie war so lange schon in diesem Leben, daß seit ihrer Geburt der Sternenhimmel um ein Zwölfteil eines Grades gegen Morgen vorgerückt war, also daß sie mir gegen den Anfang ihres neunten Jahres erschien, und ich sie fast am Ende meines neunten erblickte. Und sie erschien mir angetan mit einem Kleide von herrlicher, demütig-ehrbarlicher, blutroter Farbe, umgürtet und geschmückt, so wie es ihrem kindlichen Alter geziemte. Im selben Augenblick – also sag’ ich der Wahrheit gemäß – geschah es, daß der Geist des Lebens, der in der verborgenen Kammer des Herzens wohnt, so heftig zu erzittern begann, daß er sich in kleinsten Pulsen schrecklich offenbarte; und zitternd sprach er die Worte: Ecce deus fortior me; veniens dominabitur mihi (Siehe ein Gott, stärker denn ich; er kommt und wird über mich herrschen). Zu gleicher Zeit begann der empfindende Geist, der in derjenigen Kammer wohnt, wo alle sinnlichen Geister ihre Wahrnehmungen zutragen, sich sehr zu verwundern, und indem er sich insbesondere an die Geister des Gesichtes wandte, sprach er folgende Worte: Apparuit jam Beatitudo nostra (Unsere Seligkeit ist jetzt erschienen). Zur selben Zeit hub auch der natürliche Geist, der in jenem Teile seinen Sitz hat, wo unsere Nahrung bereitet wird, zu weinen an und sagte tränenüberströmt also: Heu miser! quia frequenter impeditus ero deinceps (Ach ich Armer! Denn häufig werde ich hinfort behindert sein)! Von Stund’ an, sage ich, war Frau Minne Herrin meiner Seele. Und so schnell war diese ihr zu eigen, so völlig gewann jene durch die Macht, die meine Einbildungskraft ihr verlieh, sichere Herrschaft über mich, daß ich ganz und gar alles tun mußte, was ihr genehm war. Sie befahl mir zu vielen Malen, daß ich suchen sollte, dies jugendliche Englein zu sehen; deshalb ging ich oftmals in meinem Knabenalter aus, sie zu suchen, und ich sah sie so wohlgeartet, fand ihr Gebaren so löblich, daß man fürwahr jenes Wort des Dichters Homer von ihr sagen konnte: „Nicht von sterblichen Menschen, von einem Gotte geboren schien sie.“ Und obschon durch ihr Bild, das immerdar mit mir war, Frau Minne sich erkühnte, mich zu beherrschen, so war es doch so edler Art, daß es jener niemals gestattete, mich ohne den getreuen Rat der Vernunft in Dingen zu leiten, in denen es heilsam ist, auf deren Rat zu hören. Doch da der Sieg über Leidenschaften und Handlungen in so früher Jugend ein Märlein scheint (was ich aus dem Buch, daraus das Obige genommen ist, entlehnen könnte), so wende ich mich zu jenen Worten, die in meinen Erinnerungen unter höheren Paragraphen verzeichnet sind.“

Dante Alighieri: Das neue Leben, Kapitel 2 [1]
Lajos Gulácsy: Dante trifft Beatrice (1907)

Dante schildert seine Liebe zu Beatrice von der ersten Begegnung bis zu ihrem Tod, den er aber nicht ausspricht, sondern wortreich umschreibt, wobei er wie schon bei ihrer ersten Begegnung auf die mystische Zahl Neun Bezug nimmt, die ihren Ursprung in der Dreifaltigkeit hat und die neun Kreise des Himmels bzw. die neun Hierarchien repräsentiert.

Dantes Traum von Dante Gabriel Rossetti, Seite 48

Zunächst kündigt sich der Tod Beatrices in einem Traumgesicht an, das Dante während einer Krankheit erlebt.

„Wenige Tage nach diesem ereignete es sich, daß ich an einem Teile meines Körpers von einer schmerzhaften Krankheit befallen ward, von der ich viele Tage unausgesetzt die bittersten Qualen erlitt, die mich so von Kräften brachten, daß ich erliegen mußte, wie einer, dem die Bewegung seiner Glieder versagt ist. Aber am neunten Tage, als ich eben einen fast unerträglichen Schmerz empfand, kam mir ein Gedanke, und es war der an meine Fraue. Und als ich eine Zeitlang ihrer gedacht hatte und dann in Gedanken zurückkehrte auf mein hinfälliges Leben und erkannte, wie flüchtig seine Dauer sei, auch bei guter Gesundheit, begann ich über solches Elend in mir zu weinen und sagte tiefaufseufzend zu mir selber: „Auch die holdselige Beatrice muß notwendig einst sterben!“ Und also außer mich geriet ich darob, daß ich die Augen schloß und, einem Wahnsinnigen gleich, mich zu zerarbeiten begann. Da hatte ich folgendes Gesicht: Zuerst, zu Anfange der Verirrung, in die meine Phantasie geraten war, erschienen mir Frauenbilder mit zerrauften Haaren, die zu mir sprachen: „Du wirst auch sterben!“ Und nach diesen erschienen mir andere Frauenbilder, erschrecklich und grauenvoll anzuschauen, welche zu mir sagten: „Du bist gestorben.“ Also begann das Irrsal meiner Phantasie, und bald war es dahin mit mir gekommen, daß ich nicht mehr wußte, wo ich war. Und mich dünkte, ich sähe Frauen, die mit aufgelösten Locken, weinend und zum Verwundern betrübt, des Weges wandelten, und es verdunkele sich, weil die Erde in ihren Tiefen erbebte, die Sonne, also daß die Sterne in einer Farbe sichtbar wurden, die mich glauben ließ, sie weineten. Und indem ich über solches Gesicht mich verwunderte und entsetzte, bildete ich mir ein, einen Freund zu sehen, welcher käme und zu mir sagte: „Nun, weißt du nicht? Deine bewunderungswürdige Fraue ist aus dieser Zeitlichkeit hinweggegangen!“ Da hob ich gar jämmerlich an zu weinen, und weinte nicht bloß in der Einbildung, sondern weinte mit den Augen, sie in wahrhaften Tränen badend. Alsdann blickte ich, wie ich mir einbildete, gen Himmel, und es war mir, als sähe ich eine Schar von Engeln, die nach oben zurückkehrten und vor sich ein lichtweißes Wölkchen hätten. Und der Gesang dieser Engel dünkte mich überherrlich, und ich glaubte die Worte zu vernehmen, die wie „Osanna in excelsis“ (Hosianna in der Höhe) klangen; sonst aber vernahm ich nichts weiter. Darauf schien es mir, als ob das Herz, in dem so große Minne wohnte, zu mir spräche: „Wahr ist es, unsere Fraue liegt gestorben!“ und es war mir, als ging’ ich deshalb, den Leib zu sehen, in welchem diese hohe und selige Seele einst gewohnt hatte. Und so groß war die Macht meiner irren Phantasie, daß sie mich die tote Herrin sehen ließ und daß es mir vorkam, als ob Frauen sie, daß heißt, ihr Haupt mit einem weißem Schleier bedeckten. Und eine also große Demut lag über das Gesicht der Toten verbreitet, daß es war, als ob sie sagte: „Ich bin daran, den Anbeginn des Friedens zu schauen.“ Unter diesen Gesichten und bei solchem Anblicke ward ich so demütig gestimmt, daß ich dem Tode rief und sprach: „O süßester Tod, komm zu mir und sei mir nicht grausam; denn du mußt adligen Wesens sein, da du an solcher Stätte gewesen. Nun denn, komm zu mir, denn sehr begehre ich dein. Und du siehest es; denn ich trage bereits deine Farbe.“ – Und als ich alle die schmerzlichen Gebräuche, die den Leichnamen Verstorbener zu geschehen pflegen, erfüllt sah, war es mir, als kehrte ich heim in meine Kammer und als schaute ich hier empor zum Himmel. Und also lebhaft war meine Einbildung, daß ich weinend und mit wahrhaftiger Stimme ausrief: „O schöne Seele, wie selig ist, wer dich siehet.““

Dante Alighieri: Das neue Leben, Kapitel 30 [2]

Als Beatrice nun tatsächlich stirbt, ist wieder die Neunzahl von entscheidender Bedeutung. Beatrice sei am neunten Tag nach der in Arabien üblichen Zeitrechnung, nach syrischer Zeitrechnung im neunten Monat des Jahres und nach unserer Zeitrechnung in dem Jahr, in dem die vollkommene Zahl Zehn neunmal vollendet wurde, hinweg gegangen. Daraus wurde je nach Rechenweg Beatrices Todesdatum als der 8. oder 17. Juni 1290 ermittelt, stellenweise auch, aber ohne Angabe der Rechenweise, als der 9. oder 12. Juni 1290.

„Ich sage denn dieses: Nach italienischer Zählung war es in der ersten Stunde des neunten Monatstages, daß ihre herrliche Seele von hinnen ging, und nach syrischer Zeitrechnung schied sie im neunten Monde des Jahres, indem der erste Mond, Theschrin, den Syrern das ist, was uns der Oktober; nach unserer Zeitrechnung endlich starb sie in dem Jahre des Herrn, mit welchem in dem Jahrhunderte, worin sie der Welt gegeben wurde, die vollkommene Zahl neunmal erfüllt war. Sie war aber eine Christin des dreizehnten Jahrhunderts. Daß dies alles nun bei ihr zusammentraf, davon könnte ein Grund dieses sein: da es nach Ptolemäus und dem wahren christlichen Glauben neun bewegliche Himmel gibt, und da diese Himmel nach astrologischer Bestimmung, jeder seiner Beschaffenheit gemäß, gemeinsam auf die Erde einwirken, so war jene Zahl ihr freundlich, indem durch sie angezeigt ward, daß bei ihrer Zeugung alle neun Himmel zusammenstimmten. Dies ist der eine Grund. Aber scharfsinniger erwogen und nach der untrüglichen Wahrheit, war diese Zahl sie selbst. Ich spreche gleichnisweise und verstehe dies so: Die Zahl Drei ist die Wurzel der Neun, weil sie, ohne eine andere Zahl, durch sich selbst vervielfältigt, neun gibt, wie wir leichtlich sehen; denn dreimal drei ist neun. Wenn demnach die Drei allein für sich der Grund der Neun ist, der Urgrund aller Wunder aber für sich selber drei ist, nämlich Vater, Sohn und Heiliger Geist, welche drei sind und eins, so erhält diese Herrin die Zahl Neun zur Begleiterin, um zu verstehen zu geben, daß sie selbst eine Neun sei, das heißt ein Wunder, dessen Wurzel einzig und allein die wundervolle Dreieinigkeit ist. Scharfsinnigere würden vielleicht noch scharfsinnigere Gründe entdecken; dieses aber ist der, den ich entdeckt habe, und der mir am meisten gefällt.“

Dante Alighieri: Das neue Leben, Kapitel 30 [3]

In der Göttlichen Komödie bittet Beatrice gleich zu Beginn den römischen Dichter Vergil, Dante aus dem dunklen Wald zu führen, in dem er sich verirrt hatte. Vergil geleitet Dante dann durch das Inferno und das Purgatorio. Am Ende dieses Weges empfängt ihn Beatrice und geleitet ihn durch das Paradiso.

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