Gebet und Gnade: Unterschied zwischen den Seiten

Aus AnthroWiki
(Unterschied zwischen Seiten)
imported>Odyssee
 
imported>Odyssee
Keine Bearbeitungszusammenfassung
 
Zeile 1: Zeile 1:
[[Datei:Ancient praying.jpg|thumb|200px|Die frühen Christen beteten in der [[Orantenhaltung]].]]
Der göttlichen '''Gnade''' ([[Wikipedia:Mittelhochdeutsch|mhd.]] ''genade''; [[Wikipedia:Latein|lat.]] ''gratia''; {{ELSalt|χάρις}}, ''charis'') wird die [[Menschheit]] durch die freiwillige und bedingungslose Zuwendung des [[Christus]] teilhaftig<ref name="Gnade1">In der katholischen Theologie wird unterschieden zwischen der ''gratia Dei'', der Gnade, durch die Gott die Welt erschaffen hat und der ''gratia Christi'', die sich auf die Erlösung des durch den Sündenfall gegangenen Menschen bezieht. Bei der ''Gnade Christi'' wird wiederum unterschieden die ''gratia habitualis'', die ''heiligmachende Gnade'', die sich auf das ganze Sein, und die ''gratia actualis'', die ''helfende Gnade'', die sich auf das aktuelle Handeln des Menschenbezieht.</ref>, der sich durch das [[Mysterium von Golgatha]] mit der [[Erdentwicklung|Erd]]- und [[Menschheitsentwicklung]] verbunden und dadurch die "Sünden der Welt", d.h. die dem [[Weltenkarma]] eingeschriebenen objektiven Folgen unserer [[Sünden]], auf sich genommen hat. Durch den ''übermenschlichen'' Einfluss [[Luzifer]]s wurde die Menschheit in den [[Sündenfall]] getrieben und dadurch mit der [[Erbsünde]] beladen. Das kann nur durch die ebenfalls übermenschliche Tat des Christus ausgeglichen werden. Die dadurch geschehene [[Sündenvergebung]] und die damit verbundene [[Erlösung]] durch den Christus enthebt den Menschen allerdings nicht davon, sein [[individuell]]es [[Karma]], also die subjektiven Folgen seiner Sünden, im Laufe seiner [[Reinkarnation|wiederholten Erdenleben]] selbst zu tilgen.  
[[Bild:Albrecht Duerer Betende Haende.jpg|thumb|200px|[[Wikipedia:Albrecht Dürer|Albrecht Dürer]], Betende Hände (um 1508)]]
[[Datei:AdorationMagi.jpg|thumb|200px|''[[Wikipedia:Anbetung der Heiligen drei Könige (Botticelli)|Anbetung der Heiligen Drei Könige]]'' oder auch ''Zanobi-Altar'' (1475), Tempera auf Holz, von Alessandro [[Wikipedia:Botticelli|Botticelli]]]]
Das '''Gebet''' (von [[Wikipedia:Deutsche Sprache|dt.]] ''bitten'') ist eine bittende, aber nicht [[egoistisch]]e, nur innerlich oder auch äußerlich ''[[Sprache|sprechende]]'' Hinwendung zu [[Gott]] oder anderen höheren [[Geistige Wesen|geistigen Wesen]] und zugleich eine Vorstufe der [[Mystik|mystischen]] Versenkung, bei der das [[Ich-Bewusstsein]] nicht ausgelöscht, sondern gestärkt wird.  


Bei der '''Anbetung''' ({{laS|''adoratio''}}, {{enS|''worship''}}) tritt die Bitte als solche zurück und die reine ''Verehrung'' und ''Lobpreisung'' des Gottes in den Vordergrund. Die Grenzen zwischen ''Gebet'' und ''Anbetung'' sind jedoch fließend und jedes ''echte'' Gebet, muss von der Stimmung echter Anbetung getragen sein.
Aus [[christlich]]-[[Wikipedia:Theologie|theologischer]] Sicht ist die Gnade ein vielschichtiges Phänomen<ref name="Gnade1"></ref><ref name="Gnade2">Unterschieden wird etwa auch die ''gratia gratum faciens'', die ''Gnade, die gerecht macht'', die sich also an dem Gnadeempfänger unmittelbar selbst auswirkt, was für die ''gratia habitualis'' und die ''gratia acualis'' gleichermaßen der Fall ist, von der ''gratia gratis data'', der ''Gnade, die umsonst („gratis“) gegeben wird'', d.h. ohne Vorleistung, die aber nicht zum eigenen Heil, sondern zum Nutzen anderer Menschen geschenkt wird.</ref>, wobei streng unterschieden wird zwischen dem, was der [[Mensch]] aus seiner eigenen [[Natur]], d.h. seinem eigenen [[Wesen]], vermag und was ihm durch Gnade gegeben werden muss.  


Die frühen Christen beteten noch vornehmlich in der aus dem [[Wikipedia:Orient|Orient]] übernommenen [[Orantenhaltung]], selbstbewusst mit in Schulterhöhe ausgebreiteten Armen vor Gott stehend, den Blick bittend zum Himmel erhoben oder auch demütig gesenkt. Seltener wurde auch mit vor der Brust gekreuzten Händen gebetet. Das Falten der Hände mit aneinandergelegten offenen Handflächen (gotische Gebetshaltung), wie es auch bei Huldigung des [[Wikipedia:Lehnsherr|Lehnsherr]]en im [[Wikipedia:Mittelalter|mittelalterlichen]] [[Wikipedia:Feudalsystem|Feudalwesen]] üblich war, verbreitete sich etwa ab dem [[Wikipedia:11. Jahrhundert|11. Jahrhundert]]. Mit dabei verschränkten Fingern wurde erst seit der [[Wikipedia:Reformation|Reformation]] gebetet. Die Berührung der beiden Hände aneinander fördert das [[Selbstbewusstsein]] {{Lit|{{G|158|113ff}}}}.
Für [[Augustinus]] beruhte alles auf der Gnade; von sich aus vermöge der sündige Mensch gar nichts. Augustinus leugnete zwar nicht den [[Freier Wille|freien Willen]] des Menschen, doch sei er ohne Gnade völlig unfähig, [[Das Gute|Gutes]] zu tun. Er stand damit im schroffen Gegensatz zur Lehre des [[Wikipedia:Pelagius|Pelagius]], der darauf baute, dass die  menschliche Natur, da sie von [[Gott]] geschaffen sei, letztlich gut sein müsse und der Mensch es daher aus eigener Kraft durch seinen freien Willen gemäß der von ihm geprägten Formel ''„velle in arbitrio, posse in natura“'' (''das Wollen unterliegt dem freien Willen, das Können der Natur'') erreichen würde, ohne [[Sünde]] sein zu können (''„posse sine peccato esse“''). Der [[Pelagianismus]], der später als [[häretisch]] verurteilt wurde, baute damit auf die weitgehende [[Selbsterlösung]] des Menschen. Von [[Kirche|kirchlicher]] Seite wird oft scharf kritisiert, dass in der heutigen modernen [[Zivilisation]] ein stark einseitiger Hang zum reinen Selbsterlösungsprinzip vorliege, der namentlich auch durch die [[Esoterik]]szene geschürt würde.
 
[[Rudolf Steiner]] weist auf zwei Grundstimmungen hin, die die Voraussetzung für wirkliches Beten sind, nämlich eine erwärmenden Andacht und Gottinnigkeit, die aus dem Gefühl der Unzulänglichkeit und des Versagens in der Vergangenheit hervorgeht, und zweitens die erleuchtende Ergebenheit in das Zukünftige, hervorgegangen aus einer Überwindung von Furcht und Angst {{Lit|{{G|059|103f}}}}.
 
Seelenstimmungen drücken sich in [[Farben]] aus. Wenn die [[Seele]] in rechter Weise andächtig in das Gebet versunken ist, lebt sie in einer [[violett]]en Farbstimmung {{Lit|{{G|282|290f}}}}.
 
In den alten Sprache, die noch einen viel stärker [[Mantra|mantrischen]] Charakter hatten, wirkten die Gebete stärker. Durch die Übersetzung in die modernen Sprachen verlieren sie an Kraft. Das [[christlich]]e Urgebet, das [[VATERUNSER| Vaterunser]], hatte seine größte Kraft in der [[Wikipedia:Aramäisch|aramäischen Sprache]] {{Lit|{{G|097|99}}}}.


<div style="margin-left:20px">
<div style="margin-left:20px">
"Wenn man von Gebet spricht im christlichen Sinne, muß man sich
"Der westliche Mensch liebt das Machertum, durch die neuzeitlichen Erfolge in
vor allen Dingen klarmachen, daß die Form des Gebetes kaum etwas
Medizin und Technik ist er in eine Mentalität des hemdsärmeligen: „Ich werde mir die
anderes darstellt als die Versenkung, die Hingabe an das Göttliche.
Welt schon richten!“ hineingeraten. Diese Haltung überträgt sich auch oft auf die
In denjenigen großen Religionen, die diese Hingabe mehr in
Religion: „Ich werde es mir mit Gott schon richten!“ Der Boom der Esoterik rührt ja
gedanklicher Versenkung zu erreichen suchen, spricht man von Meditation;
daher, dass man es immer mehr liebt, Religiosität selbst zu fabrizieren. Und wie
bei denjenigen Religionen, wo die Hingabe mehr vom
schwer tun sich viele Katholiken, eine göttliche Autorität anzunehmen, die sich ihnen
Herzen als vom Kopfe ausgeht, mehr von der Persönlichkeit ausgeht,
durch das Instrument der kirchlichen Autorität vermittelt werden soll und dabei an
nennt man diese Hingabe Gebet. In der christlichen Religion
einigen Punkten in krassem Gegensatz zum Zeitgeist steht! Die heutige Mentalität ist
hat diese Hingabe einen persönlichen Charakter bekommen; in den
eine Mentalität der Selbsterlösung: „Ich werde es mir mit Gott schon richten!“
alten Religionen war sie viel mehr Unbewußtes, Unpersönliches.
Der Mensch hat vor Jahrtausenden schon gewußt, daß es ein Ewiges,
ein Göttliches gibt. Beispiel vom Sklaven, der sich sagt: Ein Leben
unter vielen. - Lebenshoffnung, Mut, Kraft und Sicherheit lebten
darum damals in den Menschen. Eine Art Hinausblicken vom Zeitlichen
ins Ewige war es. Es mußte aber für die Menschheit ein Zeitalter
kommen, wo der Mensch persönlich zu seinem Gotte aufsieht.
Das exoterische Christentum sagt: Von der Persönlichkeit, die von
der Geburt bis zum Tode geht, hängt ungemein viel ab. So nahm
darum die Meditation auch diesen persönlichen Charakter des Gebets
an. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß es im Christentum ein
Urgebet gibt: «Mein Vater, ist's möglich, so gehe dieser Kelch von
mir; doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe.»
 
Wenn Sie diese Stimmung erzeugen, dann haben Sie ein christliches
Gebet. Dasjenige Gebet, das für seine Persönlichkeit, für seine
Angelegenheiten bittet, ist kein christliches Gebet. Da sind zum
Beispiel zwei Heere, die zur Schlacht gerüstet sind, beide beten um
Sieg. - Zwei Bauern, der eine bittet um Regen, der andere um Sonnenschein.
Was soll der Gott tun? Mit solchen persönlichen Wünschen
und Begehren hat das wahre christliche Gebet nichts zu tun.
Das persönliche Gebet, das wahre Gebet, kann auch bei persönlicher
Bitte da sein, aber der oberste Grundsatz muß dabei sein:
«Nicht mein, sondern dein Wille geschehe!» Damit ist aus dem
christlichen Urgebet des Christus Jesus, des Herrn, heraus die Stimmung
angegeben, die das Gebet haben soll. Es gibt viele christliche
Gebete, aber das Vaterunser, das christliche Urgebet, ist dasjenige,
von dem man sagen kann, daß es kaum etwas gibt auf der Welt, was
so viel und so wichtiges enthält, wie dieses Vaterunser. Und dann
erinnern wir uns daran, wie der Christus Jesus dieses Gebet einsetzt.
«Wenn du betest, so gehe in dein Kämmerlein», sagt er.


Überall, in allen Religionen finden Sie Meditationsformeln, Zauberformeln.
Der christliche Glaube hingegen hat eine klare Vorstellung vom Menschen und seinen
Diese Zauberformeln haben meditativ sogar die gleiche
Fähigkeiten, die sich in der Lehre über „Natur und Gnade“ ausdrückt. Natur
Bedeutung wie die Meditationen. Der Mensch hat sich seinem
bezeichnet die allgemeine, geschöpfliche Seite am Menschen, also die natürlichen
Gotte damit meditativ hingeben wollen, auch durch Zauberüben
Fähigkeiten, die jeder Mensch hat; Gnade hingegen bezeichnet die Dimension dessen,
hat er sich seinem Gotte hingeben wollen. Der Christus Jesus aber
was durch Jesus Christus am Menschen geschieht, sofern er es sein lässt. Von Natur
mahnt: «Ihr sollt nicht beten um das, was auf der Straße geschieht,
aus ist der Mensch offen auf Gott, angelegt auf das Gute hin; eine Veranlagung, die
ihr sollt tief, tief in euer Inneres gehen, wenn ihr betet.» Es lebt in
auch die Ursünde nicht zerstört hat. Die katholische Theologie ist hoffnungslos
dem Menschen etwas von der göttlichen Wesenheit, ein Tropfen
optimistisch, was die natürlichen Fähigkeiten des erbsündlichen Menschen betrifft und
der göttlichen Wesenheit lebt im Menschen, der von demselben
schätzt daher alles Gute, das außerhalb des christlichen Glaubens durch ungläubige
Stoffe ist wie die Gottheit. - Das ganze Meer und der Tropfen Wasser
oder andersgläubige Menschen geleistet wird. Zugleich aber ist sie geradezu
sind auch vom selben Stoffe." {{Lit|{{G|097|118f}}}}
unverschämt optimistisch, was die Macht der göttlichen Gnade betrifft: ohne diese
geht gar nichts." {{Lit|Wallner, S 4}}
</div>
</div>


== Beten für andere Menschen ==
Schon [[Thomas von Aquin]] prägte in diesem Zusammenhang den Satz: ''«gratia supponit naturam et perficit eam»''<ref>STh I, 1,8 ad 2 ; I-II,99, 2 ad 2.</ref> (''„Gnade setzt die Natur voraus und vollendet sie“''). Die [[Wikipedia:katholisch|katholisch]]e [[Wikipedia:Theologie|Theologie]] vertritt also einen gemäßigten Standpunkt, der die Prinzipen von Gande und Selbsterlösung miteinander in Einklang zu bringen sucht - ein Standpunkt, der für [[Wikipedia:Martin Luther|Martin Luther]] ein viel zu großes Zugeständnis an den [[Pelagianismus]] bedeutete.  
Obwohl das Beten für andere Menschen ([[Wikipedia:Fürbittengebet|Fürbittengebet]]) eine weithin geübte Praxis ist, gibt es darüber nur sehr wenige einschlägige Äußerungen Rudolf Steiners, z.B. im Zusammenhang der Thematisierung des Betens für die im Felde stehenden Soldaten, und für die gefallenen Soldaten (1.Weltkrieg), in [[GA 157]], und an anderen Orten, im Zusammenhang der Thematisierung des Betens für Verstorbene. Einige mantrische Sprüche oder Meditationen Rudolf Steiners für andere Menschen sind z.B. in [[GA 268]] Seite 191ff. "Zur Hilfe für Andere" aufgezeichnet.


Zwei Aspekte des Betens für andere scheinen in den folgenden Zitaten im Zusammenhang mit dem gesamten Wortlaut der Vorträge und der Gebete, die gesprochen wurden, angedeutet: Einmal kann der Betende mit seinem Gebet den- oder diejenigen Menschen, für die gebetet wird, direkt unterstützen (Gedanken sind Kräfte), zum anderen kann sich der Betende an die Schutzgeister dieser Menschen wenden:
Dem von [[Kirche|kirchlichen Stellen]] immer wieder erhobenen Vorwurf, dass auch die [[Anthroposophie]] zur reinen [[Selbsterlösung]] anleiten wolle, die der [[Mensch]] auch ohne göttliche Gnade erlangen könne, ist [[Rudolf Steiner]] energisch entgegengetreten. Eigenes geistiges Streben und Gnadewirkung sind nicht nur miteinander vereinbar, sondern beide bedingen einander und stehen damit in vollem Einklang mit dem in der [[Wikipedia:katholisch|katholisch]]en [[Wikipedia:Dogmatik|Dogmatik]] seit [[Thomas von Aquin]] und [[Wikipedia:Johannes vom Kreuz|Johannes vom Kreuz]] verankerten Begriff der «'''gratiae sanctificantes'''», die grundsätzlich jedem Menschen, der sich dazu durch seine innere seelische Arbeit aufschwingt, zuteil werden kann. Eben das ist auch kennzeichnend für den [[anthroposophisch]]en [[Schulungsweg]].


<div style="margin-left:20px">
<div style="margin-left:20px">
"Und wenn es wirklich möglich ist, dass sich in unserer harten, schicksalschweren Zeit bewährt, dass die Seelen, die durch Geisteswissenschaft gegangen sind, in der Lage sind, geistbefruchtende Gedanken in die geistige Welt hinaufzusenden, dann wird die rechte Frucht hervorgehen aus dem, was in so schweren Kämpfen und mit so harten Opfern geschieht ..." (Es folgt der Text eines Gebetes) ({{G|157|50}}, Ende des 2. Vortrages)
"... wer die katholisch-philosophische
 
Lehre kennt, weiß, daß innerhalb ihrer der Unterschied
"Unsere ersten Gedanken sollen auch diesmal wieder hin zu den schützenden Geistern gerichtet sein, welche diejenigen bewahren, die draußen auf den Feldern der Ereignisse unserer Tage stehen; an die schützenden Geister derjenigen richten wir uns, die mit uns innerhalb unserer Bewegung stehen, jetzt aber draußen sind und mit ihrem Leben und mit ihrem ganzen physischen Sein einzutreten haben für das, was die Zeit von ihnen fordert. Und im weiteren Sinne wenden wir uns auch an die schützenden Geister aller derjenigen, die, auch ohne dass sie unserer Gemeinschaft angehören, draußen auf diesen Feldern Leben und Leib darzubringen haben ..." (Es folgt der Text eines Gebetes)  ({{G|157|51}}, Anfang des 3. Vortrages)
gemacht wird zwischen zweierlei Arten innerer Fähigkeiten. Die
</div>
eine Art der inneren Fähigkeiten, zu der kann sich jeder Mensch,
wenn er sein Leben entsprechend einrichtet, aufschwingen. Selbstverständlich
wird es im Sinne der katholischen Lehre als eine
Gnade bezeichnet, wenn der betreffende Mensch sich zu so etwas
aufschwingt. Aber dasjenige, wozu sich ein Mensch aufschwingen
kann, um sich hineinzuleben in eine geistige Welt, bis zu dem
Zusammenleben mit der Gottheit - ich erwähne das letztere
ausdrücklich -, das nennt die katholische Lehre die «gratiae
sanctificantes». Von diesen «gratiae sanctificantes» als Gnadenwirkungen
innerhalb der Seele des Menschen, die jedem Menschen,
der sich durch Arbeit zu ihnen aufschwingt, zuteil werden
können, unterscheidet die katholische Kirche sorgfältig die «gratiae
gratis datae». Es sind diejenigen Gnadenwirkungen, zu denen
nur einzelne Menschen durch einen besonderen Einfluß der
geistigen Welt sich aufschwingen können. So ist der Sinn der
Sache in den Schriften der katholischen Lehrer alter Zeit. Ich
bemerke dies zunächst, ganz gleichgültig, ob, weil ja ein Fortschritt
stattgefunden hat, heute die Dinge anders geschildert
werden müssen. Nach den Schriften solcher katholischer Lehrer
wie Johannes vom Kreuz oder Thomas von Aquino, also nach der
allerrechtgläubigsten katholischen Theologie, muß für den Katholiken
selber, wenn er nicht in Widerspruch gerät mit seiner
katholischen Lehrmethode, dasjenige, was in meinem Buche «Wie
erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» dargestellt wird,
als ein besonderer Fall der «gratiae sanctificantes» dargestellt
werden, nicht der «gratiae gratis datae», so daß vom katholischen
Standpunkte aus die Sache absolut unanfechtbar ist in bezug auf
das Methodische. Sie können lesen bei Johannes vom Kreuz, bei
Thomas von Aquino, und Sie werden finden, daß gemeint wird,
derjenige, der geistig forschen will, komme dazu, in eine geistige
Welt sich zu erheben, so daß er da etwas erlebt, was nicht bloß
als ein blauer Dunst aus seinem Inneren aufsteigt, sondern daß
das so objektiv außen in der Welt eine Wirklichkeit ist, wie die
sinnliche Welt in ihrer Art. Daher charakterisiert Thomas von
Aquino dasjenige, was dem Menschen auf diese Weise zuteil wird,
durch die Worte: «Inspiratio significat quandam motionem ab
exteriori.» Also nicht von innen kommen diese Inspirationen,
sondern von außen kommen sie. Damit ist kein anderer Tatbestand
gegeben als derjenige, der nur in entsprechender Weise
fortgeschritten für das 20. Jahrhundert gegeben worden ist in
meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?
» Was liegt da vor?


Das [[Vaterunser]] enthält in der Wortverwendung von "unser", "uns" schon ein Beten für andere. Im [[hohepriesterliches Gebet | hohepriesterlichen Gebet]] (Joh. 17) bittet Jesus Christus für seine Jünger, für die Menschen, die ihm schon nachfolgen:
Einfach das liegt vor, meine sehr verehrten Anwesenden, daß
der, welcher heute nach demjenigen hinarbeitet, was Thomas von
Aquino definiert als «inspiratio», zu den Ketzern gerechnet wird.
Lesen Sie meine «Theosophie». Sie werden sie so abgefaßt finden,
daß niemand, der nicht mit seiner eigenen katholischen Lehrmethode
in Mißklang kommt, anfechten kann dasjenige, was dort als
Methode dargestellt wird. Dort ist als Methode das im Sinne der
Gegenwart hingestellt, was von den katholischen Theologen entsprechend
für frühere Jahrhunderte anerkannt und «Beschauung»
genannt worden ist. Auf diese Art gelangt man zu den Ergebnissen,
die in diesem Buche «Theosophie» dargestellt worden sind. Und so
genau entspricht das der recht verstandenen alten Darstellung, daß
in dem ganzen Buche von dem göttlichen Wesen nicht so gesprochen
worden ist, daß eine Theorie über das Göttliche gegeben
wird. Und nun lesen Sie die Definitionen, die bei kanonisierten
katholischen Theologen zu finden sind, und Sie werden sehen:
Nicht zu einer Definition, aber zu einem Zusammenleben mit der
Gottheit kann man nach deren Anschauung kommen, wenn man
dasjenige, was jedem Menschen zuteil werden kann, wirklich übt.
Das heißt, es hat einmal jemand gewagt, dasjenige, was von der
katholischen Kirche so lange gepredigt worden ist, bis diese katholische
Kirche ein anderes Gepräge angenommen hat, das für die
heutige Zeit wahrzumachen. Nichts anderes ist geschehen. Und
derjenige, der heute nicht zugeben will, daß durch die besondere
Methode der Beschauung der Mensch heute zu den Ergebnissen
kommt, die ja vielleicht in den Einzelheiten irrtümlich sind, die
aber im Ganzen so stimmen werden, wie ich sie in meinen Büchern
dargestellt habe, der muß verbieten die Methode der katholischen
Beschauung; er muß durch Gewaltmaßregeln seinen Gläubigen
verbieten, dasjenige zu tun, was die Väter und die Theologen früherer
Jahrhunderte als etwas durchaus im Sinne der katholischen
Kirche Gelegenes dargestellt haben.


<div style="margin-left:20px">
Hätte ich jemals einen Wert darauf zu legen gebraucht - selbstverständlich
"Heiliger Vater, bewahre sie, die durch dich zu mir kamen, in der Kraft deines Wesens, damit sie eine Einheit seien, so wie wir eine Einheit sind." (Joh. 17,11 Übersetzung Emil Bock)
tue ich es auch heute nicht - mit irgend jemandem
übereinzustimmen, dann würde ich beweisen können, daß zum
Beispiel nicht der Lehre des Thomas von Aquino und auch nicht
der Lehre des Johannes vom Kreuz irgendwie widerspricht, was
auf die heutige Zeit hin orientiert von mir als ''Methode'' charakterisiert
wird. Die Methoden sind es nicht, welche die katholische
Kirche anfechten darf, denn diese Methoden sind nichts anderes als
eine Weiterbildung desjenigen, was die katholische Kirche einstmals
selbst als etwas Richtiges vertreten hat. Daß man durch diese
Methode, richtig angewendet, heute zu anderen Ergebnissen
kommt, als die der Scholastiker sind, das erregt Anstoß. Dann aber
sollte man nicht behaupten, man vertrete die Scholastik, sondern
man habe sie innerhalb der Kirche verlassen.<ref>[Fußnote von Rudolf Steiner im Erstdruck:]<br>Das muß eben zugestanden werden, daß die Methode der älteren Kirchenlehrer, heute von Menschen angewendet, nicht zu den Ergebnissen führt, die diejenigen als Dogmen behaupten, welche die Anthroposophie als Ketzerei erklären. Aber eine wirklich logische Denkweise kann nicht anders, als diesen Schlag ins Gesicht der Logik ablehnen.</ref>" {{Lit|{{G|255b|109ff}}}}
</div>
</div>


Und er bittet für diejenigen, die durch das Evangelium, das die Jünger in die Welt tragen, in Zukunft zu ihm finden werden.
== Anmerkungen ==


<div style="margin-left:20px">
"Und nicht nur für sie bitte ich bei dir, sondern auch für die, die sich durch ihre Verkündigung mit mir verbinden werden, damit sie alle eine Einheit seien; so wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen sie in uns sein, damit die Welt zum Glauben komme, daß du mich gesandt hast. (...) damit die Welt erkennt, daß du mich gesandt hast ..." (Joh. 17,20-21, sowie 23, Übersetzung Emil Bock)
</div>
Unter Fürbitte ist jedoch lt. Bibellexikon www.bibilex.de nicht nur das Beten für andere Menschen zu verstehen:
<div style="margin-left:20px">
"''Ein'' Aspekt der Fürbitte, der im Deutschen hinter dem Verständnis des Betens ''für andere'' zurücktritt, ist das Beten ''anstelle von anderen''. Häufig sind beide Aspekte – das ''Beten zugunsten von'' und das ''Beten anstelle von'' – nicht voneinander abzuheben."<ref> Bibellexikon www.bibilex.de [http://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/details/quelle/WIBI/referenz/48879/cache/36baaa4d9ef2d6d5c0b6e98476334430/]</ref>
</div>
== Einzelnachweise ==
<references/>
<references/>


== Literatur ==
== Literatur ==
#Rudolf Steiner: ''Metamorphosen des Seelenlebens – Pfade der Seelenerlebnisse. Zweiter Teil'', [[GA 59]] (1984)
#P. Dr. Karl WALLNER: ''Gnade und Natur'', Skriptum zum Wochenendkurs THEO 3, Stift Heiligenkreuz 7.-9. Juni 2002 [http://www.univie.ac.at/knowledge/duc-in-altum/DOCUMENTS/Scripts2001_2003/THEO3_Script_2002_06_07.pdf]
#Rudolf Steiner: ''Das christliche Mysterium'', [[GA 97]] (1998)
#Rudolf Steiner: ''Die Anthroposophie und ihre Gegner 1919 – 1921'', [[GA 255b]] (2003), ISBN 3-7274-2555-5 {{Geschichte|255b}}
#Rudolf Steiner: ''Der Zusammenhang des Menschen mit der elementarischen Welt'', [[GA 158]] (1993)
#Rudolf Steiner: ''Sprachgestaltung und Dramatische Kunst'', [[GA 282]] (1981)
#Rudolf Steiner: ''Ausgewählte Gebete, Meditationen und mantrische Sprüche'', BOD, Norderstedt 2012
#Hans-Werner Schroeder: ''Das Gebet. Übung und Erfahrung'', Fischer TB, Frankfurt a.M. 1986
#Flensburger Hefte Nr. 43: ''Gebet heute'', Flensburger Hefte Vlg., Flensburg 1993


{{GA}}
{{GA}}


[[Kategorie:Religion]]
[[Kategorie:Christologie]] [[Kategorie:Anthroposophie]]
[[Kategorie:Gebet]]

Version vom 8. Juli 2013, 19:54 Uhr

Der göttlichen Gnade (mhd. genade; lat. gratia; griech. χάρις, charis) wird die Menschheit durch die freiwillige und bedingungslose Zuwendung des Christus teilhaftig[1], der sich durch das Mysterium von Golgatha mit der Erd- und Menschheitsentwicklung verbunden und dadurch die "Sünden der Welt", d.h. die dem Weltenkarma eingeschriebenen objektiven Folgen unserer Sünden, auf sich genommen hat. Durch den übermenschlichen Einfluss Luzifers wurde die Menschheit in den Sündenfall getrieben und dadurch mit der Erbsünde beladen. Das kann nur durch die ebenfalls übermenschliche Tat des Christus ausgeglichen werden. Die dadurch geschehene Sündenvergebung und die damit verbundene Erlösung durch den Christus enthebt den Menschen allerdings nicht davon, sein individuelles Karma, also die subjektiven Folgen seiner Sünden, im Laufe seiner wiederholten Erdenleben selbst zu tilgen.

Aus christlich-theologischer Sicht ist die Gnade ein vielschichtiges Phänomen[1][2], wobei streng unterschieden wird zwischen dem, was der Mensch aus seiner eigenen Natur, d.h. seinem eigenen Wesen, vermag und was ihm durch Gnade gegeben werden muss.

Für Augustinus beruhte alles auf der Gnade; von sich aus vermöge der sündige Mensch gar nichts. Augustinus leugnete zwar nicht den freien Willen des Menschen, doch sei er ohne Gnade völlig unfähig, Gutes zu tun. Er stand damit im schroffen Gegensatz zur Lehre des Pelagius, der darauf baute, dass die menschliche Natur, da sie von Gott geschaffen sei, letztlich gut sein müsse und der Mensch es daher aus eigener Kraft durch seinen freien Willen gemäß der von ihm geprägten Formel „velle in arbitrio, posse in natura“ (das Wollen unterliegt dem freien Willen, das Können der Natur) erreichen würde, ohne Sünde sein zu können („posse sine peccato esse“). Der Pelagianismus, der später als häretisch verurteilt wurde, baute damit auf die weitgehende Selbsterlösung des Menschen. Von kirchlicher Seite wird oft scharf kritisiert, dass in der heutigen modernen Zivilisation ein stark einseitiger Hang zum reinen Selbsterlösungsprinzip vorliege, der namentlich auch durch die Esoterikszene geschürt würde.

"Der westliche Mensch liebt das Machertum, durch die neuzeitlichen Erfolge in Medizin und Technik ist er in eine Mentalität des hemdsärmeligen: „Ich werde mir die Welt schon richten!“ hineingeraten. Diese Haltung überträgt sich auch oft auf die Religion: „Ich werde es mir mit Gott schon richten!“ Der Boom der Esoterik rührt ja daher, dass man es immer mehr liebt, Religiosität selbst zu fabrizieren. Und wie schwer tun sich viele Katholiken, eine göttliche Autorität anzunehmen, die sich ihnen durch das Instrument der kirchlichen Autorität vermittelt werden soll und dabei an einigen Punkten in krassem Gegensatz zum Zeitgeist steht! Die heutige Mentalität ist eine Mentalität der Selbsterlösung: „Ich werde es mir mit Gott schon richten!“

Der christliche Glaube hingegen hat eine klare Vorstellung vom Menschen und seinen Fähigkeiten, die sich in der Lehre über „Natur und Gnade“ ausdrückt. Natur bezeichnet die allgemeine, geschöpfliche Seite am Menschen, also die natürlichen Fähigkeiten, die jeder Mensch hat; Gnade hingegen bezeichnet die Dimension dessen, was durch Jesus Christus am Menschen geschieht, sofern er es sein lässt. Von Natur aus ist der Mensch offen auf Gott, angelegt auf das Gute hin; eine Veranlagung, die auch die Ursünde nicht zerstört hat. Die katholische Theologie ist hoffnungslos optimistisch, was die natürlichen Fähigkeiten des erbsündlichen Menschen betrifft und schätzt daher alles Gute, das außerhalb des christlichen Glaubens durch ungläubige oder andersgläubige Menschen geleistet wird. Zugleich aber ist sie geradezu unverschämt optimistisch, was die Macht der göttlichen Gnade betrifft: ohne diese geht gar nichts." (Lit.: Wallner, S 4)

Schon Thomas von Aquin prägte in diesem Zusammenhang den Satz: «gratia supponit naturam et perficit eam»[3] („Gnade setzt die Natur voraus und vollendet sie“). Die katholische Theologie vertritt also einen gemäßigten Standpunkt, der die Prinzipen von Gande und Selbsterlösung miteinander in Einklang zu bringen sucht - ein Standpunkt, der für Martin Luther ein viel zu großes Zugeständnis an den Pelagianismus bedeutete.

Dem von kirchlichen Stellen immer wieder erhobenen Vorwurf, dass auch die Anthroposophie zur reinen Selbsterlösung anleiten wolle, die der Mensch auch ohne göttliche Gnade erlangen könne, ist Rudolf Steiner energisch entgegengetreten. Eigenes geistiges Streben und Gnadewirkung sind nicht nur miteinander vereinbar, sondern beide bedingen einander und stehen damit in vollem Einklang mit dem in der katholischen Dogmatik seit Thomas von Aquin und Johannes vom Kreuz verankerten Begriff der «gratiae sanctificantes», die grundsätzlich jedem Menschen, der sich dazu durch seine innere seelische Arbeit aufschwingt, zuteil werden kann. Eben das ist auch kennzeichnend für den anthroposophischen Schulungsweg.

"... wer die katholisch-philosophische Lehre kennt, weiß, daß innerhalb ihrer der Unterschied gemacht wird zwischen zweierlei Arten innerer Fähigkeiten. Die eine Art der inneren Fähigkeiten, zu der kann sich jeder Mensch, wenn er sein Leben entsprechend einrichtet, aufschwingen. Selbstverständlich wird es im Sinne der katholischen Lehre als eine Gnade bezeichnet, wenn der betreffende Mensch sich zu so etwas aufschwingt. Aber dasjenige, wozu sich ein Mensch aufschwingen kann, um sich hineinzuleben in eine geistige Welt, bis zu dem Zusammenleben mit der Gottheit - ich erwähne das letztere ausdrücklich -, das nennt die katholische Lehre die «gratiae sanctificantes». Von diesen «gratiae sanctificantes» als Gnadenwirkungen innerhalb der Seele des Menschen, die jedem Menschen, der sich durch Arbeit zu ihnen aufschwingt, zuteil werden können, unterscheidet die katholische Kirche sorgfältig die «gratiae gratis datae». Es sind diejenigen Gnadenwirkungen, zu denen nur einzelne Menschen durch einen besonderen Einfluß der geistigen Welt sich aufschwingen können. So ist der Sinn der Sache in den Schriften der katholischen Lehrer alter Zeit. Ich bemerke dies zunächst, ganz gleichgültig, ob, weil ja ein Fortschritt stattgefunden hat, heute die Dinge anders geschildert werden müssen. Nach den Schriften solcher katholischer Lehrer wie Johannes vom Kreuz oder Thomas von Aquino, also nach der allerrechtgläubigsten katholischen Theologie, muß für den Katholiken selber, wenn er nicht in Widerspruch gerät mit seiner katholischen Lehrmethode, dasjenige, was in meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» dargestellt wird, als ein besonderer Fall der «gratiae sanctificantes» dargestellt werden, nicht der «gratiae gratis datae», so daß vom katholischen Standpunkte aus die Sache absolut unanfechtbar ist in bezug auf das Methodische. Sie können lesen bei Johannes vom Kreuz, bei Thomas von Aquino, und Sie werden finden, daß gemeint wird, derjenige, der geistig forschen will, komme dazu, in eine geistige Welt sich zu erheben, so daß er da etwas erlebt, was nicht bloß als ein blauer Dunst aus seinem Inneren aufsteigt, sondern daß das so objektiv außen in der Welt eine Wirklichkeit ist, wie die sinnliche Welt in ihrer Art. Daher charakterisiert Thomas von Aquino dasjenige, was dem Menschen auf diese Weise zuteil wird, durch die Worte: «Inspiratio significat quandam motionem ab exteriori.» Also nicht von innen kommen diese Inspirationen, sondern von außen kommen sie. Damit ist kein anderer Tatbestand gegeben als derjenige, der nur in entsprechender Weise fortgeschritten für das 20. Jahrhundert gegeben worden ist in meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten? » Was liegt da vor?

Einfach das liegt vor, meine sehr verehrten Anwesenden, daß der, welcher heute nach demjenigen hinarbeitet, was Thomas von Aquino definiert als «inspiratio», zu den Ketzern gerechnet wird. Lesen Sie meine «Theosophie». Sie werden sie so abgefaßt finden, daß niemand, der nicht mit seiner eigenen katholischen Lehrmethode in Mißklang kommt, anfechten kann dasjenige, was dort als Methode dargestellt wird. Dort ist als Methode das im Sinne der Gegenwart hingestellt, was von den katholischen Theologen entsprechend für frühere Jahrhunderte anerkannt und «Beschauung» genannt worden ist. Auf diese Art gelangt man zu den Ergebnissen, die in diesem Buche «Theosophie» dargestellt worden sind. Und so genau entspricht das der recht verstandenen alten Darstellung, daß in dem ganzen Buche von dem göttlichen Wesen nicht so gesprochen worden ist, daß eine Theorie über das Göttliche gegeben wird. Und nun lesen Sie die Definitionen, die bei kanonisierten katholischen Theologen zu finden sind, und Sie werden sehen: Nicht zu einer Definition, aber zu einem Zusammenleben mit der Gottheit kann man nach deren Anschauung kommen, wenn man dasjenige, was jedem Menschen zuteil werden kann, wirklich übt. Das heißt, es hat einmal jemand gewagt, dasjenige, was von der katholischen Kirche so lange gepredigt worden ist, bis diese katholische Kirche ein anderes Gepräge angenommen hat, das für die heutige Zeit wahrzumachen. Nichts anderes ist geschehen. Und derjenige, der heute nicht zugeben will, daß durch die besondere Methode der Beschauung der Mensch heute zu den Ergebnissen kommt, die ja vielleicht in den Einzelheiten irrtümlich sind, die aber im Ganzen so stimmen werden, wie ich sie in meinen Büchern dargestellt habe, der muß verbieten die Methode der katholischen Beschauung; er muß durch Gewaltmaßregeln seinen Gläubigen verbieten, dasjenige zu tun, was die Väter und die Theologen früherer Jahrhunderte als etwas durchaus im Sinne der katholischen Kirche Gelegenes dargestellt haben.

Hätte ich jemals einen Wert darauf zu legen gebraucht - selbstverständlich tue ich es auch heute nicht - mit irgend jemandem übereinzustimmen, dann würde ich beweisen können, daß zum Beispiel nicht der Lehre des Thomas von Aquino und auch nicht der Lehre des Johannes vom Kreuz irgendwie widerspricht, was auf die heutige Zeit hin orientiert von mir als Methode charakterisiert wird. Die Methoden sind es nicht, welche die katholische Kirche anfechten darf, denn diese Methoden sind nichts anderes als eine Weiterbildung desjenigen, was die katholische Kirche einstmals selbst als etwas Richtiges vertreten hat. Daß man durch diese Methode, richtig angewendet, heute zu anderen Ergebnissen kommt, als die der Scholastiker sind, das erregt Anstoß. Dann aber sollte man nicht behaupten, man vertrete die Scholastik, sondern man habe sie innerhalb der Kirche verlassen.[4]" (Lit.: GA 255b, S. 109ff)

Anmerkungen

  1. 1,0 1,1 In der katholischen Theologie wird unterschieden zwischen der gratia Dei, der Gnade, durch die Gott die Welt erschaffen hat und der gratia Christi, die sich auf die Erlösung des durch den Sündenfall gegangenen Menschen bezieht. Bei der Gnade Christi wird wiederum unterschieden die gratia habitualis, die heiligmachende Gnade, die sich auf das ganze Sein, und die gratia actualis, die helfende Gnade, die sich auf das aktuelle Handeln des Menschenbezieht.
  2. Unterschieden wird etwa auch die gratia gratum faciens, die Gnade, die gerecht macht, die sich also an dem Gnadeempfänger unmittelbar selbst auswirkt, was für die gratia habitualis und die gratia acualis gleichermaßen der Fall ist, von der gratia gratis data, der Gnade, die umsonst („gratis“) gegeben wird, d.h. ohne Vorleistung, die aber nicht zum eigenen Heil, sondern zum Nutzen anderer Menschen geschenkt wird.
  3. STh I, 1,8 ad 2 ; I-II,99, 2 ad 2.
  4. [Fußnote von Rudolf Steiner im Erstdruck:]
    Das muß eben zugestanden werden, daß die Methode der älteren Kirchenlehrer, heute von Menschen angewendet, nicht zu den Ergebnissen führt, die diejenigen als Dogmen behaupten, welche die Anthroposophie als Ketzerei erklären. Aber eine wirklich logische Denkweise kann nicht anders, als diesen Schlag ins Gesicht der Logik ablehnen.

Literatur

  1. P. Dr. Karl WALLNER: Gnade und Natur, Skriptum zum Wochenendkurs THEO 3, Stift Heiligenkreuz 7.-9. Juni 2002 [1]
  2. Rudolf Steiner: Die Anthroposophie und ihre Gegner 1919 – 1921, GA 255b (2003), ISBN 3-7274-2555-5 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.