Vergegenständlichung

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Vergegenständlichung bzw. Verdinglichung ist ein philosophischer Terminus für den Prozess, durch den etwas zu einem Gegenstand gemacht wird. Der Begriff spielt in dialektischen Philosophien, insbesondere bei Hegel und Karl Marx, eine wichtige Rolle.

Reifikation, Hypostasierung, Substanzialisierung

Die Vergegenständlichung eines Begriffs bzw. einer Vorstellung wird auch als Reifikation oder Reifizierung (lat. res „Sache“ und facere „machen“) bzw. als Hypostasierung oder Substanzialisierung bezeichnet.

„Reifikation ist mehr als eine metaphysische Sünde, es ist eine logische Sünde. Es ist der Fehler, eine Notationshilfe zu behandeln, als sei es ein substantivischer Begriff, was ich Konstrukt genannt habe, als sei es beobachtbar, einen theoretischen Ausdruck, als sei es ein Konstrukt oder indirekt beobachtbar.“

Abraham Kaplan: The Conduct of Inquiry, S. 61[1]

Ein entsprechender Vorwurf wird häufig von antimetaphysisch orientierten nominalistischen philosophischen Strömungen erhoben, welche die eigenständige Wirklichkeit der [[Ideen] bestreiten. So heißt es etwa in der 1929 von Hans Hahn, Otto Neurath und Rudolf Carnapveröffentlichten Programmschrift des Wiener Kreises:

„In den metaphysischen Theorien und schon in den Fragestellungen stecken zwei logische Grundfehler: eine zu enge Bindung an die Form der traditionellen Sprachen und eine Unklarheit über die logische Leistung des Denkens. Die gewöhnliche Sprache verwendet zum Beispiel dieselbe Wortform, das Substantiv, sowohl für Dinge (»Apfel«) wie für Eigenschaften (»Härte«), Beziehungen (»Freundschaft«), Vorgänge (»Schlaf«); dadurch verleitet sie zu einer dinghaften Auffassung funktionaler Begriffe (Hypostasierung, Substanzialisierung). Es lassen sich zahlreiche ähnliche Beispiele von Irreführungen durch die Sprache angeben, die für die Philosophie ebenso verhängnisvoll geworden sind.“

H. Hahn, O. Neurath, R. Carnap: Wissenschaftliche Weltauffassung. Der Wiener Kreis[2]

Vergegenständlichung bei Hegel und Marx

In Hegels dialektischem Dreischritt (These–Antithese–Synthese) vergegenständlicht sich der Geist im zweiten Schritt, indem es den Produkten seiner geistigen Tätigkeit in Form fertiger Gestalten gegenübertritt. Das Für-sich-Sein schafft sich ein äußeres Dasein (Entäußerung), wodurch es sich zugleich von sich selbst entzweit und entfremdet.

Karl Marx kritisiert an diesem Modell, dass es die Tätigkeit des Menschen rein abstrakt als Tätigkeit des Geistes fasse, nicht aber als konkrete Tätigkeit bzw. Arbeit. Im Gegensatz zu Hegels Idealismus fasst Marx in seinem Konzept eines dialektischen Materialismus die Vergegenständlichung als gesellschaftlich-historische Tätigkeit des Menschen, als „vergegenständlichte Arbeit“ auf. Dabei unterscheidet er zwischen der bloßen Vergegenständlichung der gesellschaftlichen Arbeitstätigkeit (die sowohl unausweichlich als auch positiv ist) und ihrer Entfremdung durch die kapitalistischen Produktionsverhältnisse.

Dialogische Anthropologie

In der dialogischen Anthropologie (Kuno Lorenz) wird die Vergegenständlichung als Semiotisierung gefasst.

Einzelnachweise

  1. „Reification is more than a metaphysical sin, it is a logical one. It is the mistake of treating a notational device as though it were a substantive term, what I have called a construct as though it were observational, a theoretical term as though it were a construct or indirect observable.“
    Abraham Kaplan: The Conduct of Inquiry: Methodology for Behavioral Science, Chandler 1964 (Neuausgabe: Transaction Publishers 1998, ISBN 978-0765804488), p.61
  2. Otto Neurath, Rudolf Carnap, Hans Hahn: Wissenschaftliche Weltauffassung - der Wiener Kreis. Veröffentlichungen des Vereins Ernst Mach, Wien 1929 [1] [2]


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