Exegese über die Seele und Grund: Unterschied zwischen den Seiten

Aus AnthroWiki
(Unterschied zwischen Seiten)
imported>Odyssee
(Änderung 64981 von Odyssee (Diskussion) rückgängig gemacht.)
 
imported>Odyssee
 
Zeile 1: Zeile 1:
Die als '''Exegese über die Seele''' oder '''Exegese der Seele'''<ref>Mögliche erklärende Übersetzungen: ''Erzählung über die Seele'' (so Schenke u.a., 264; Kasser 1997, 71) oder ''Auslegung der heiligen Schriften hinsichtlich der Seele'' (so Lüdemann/Janßen in ihrer Texteinleitung).</ref> bekannte Schrift ist ein [[Gnostizismus|gnostischer]] Text, der in der als [[Nag-Hammadi-Schriften]] bekannten Sammlung überliefert ist. Dort erscheint sie als sechste Schrift des 2. Kodex (NHC II,6) und umfasst Blatt 127, Zeile 18 bis Blatt 137, Zeile 28.
Der '''Grund''' ({{ELSalt|ἀρχή}}, ''[[arché]]'', „Anfang, Prinzip, Ursprung“; [[Latein|lat.]] ''principium'' oder ''ratio'') ist gemäß der [[Logik]] ein [[Urteil]], das den Ausgangspunkt für weitere [[Schlussfolgerung]]en bildet und damit nur schwer abzugrenzen ist von verwandten [[Begriff]]en wie «[[Ursache]]» und «[[Prinzip]]», wobei erstere im traditionellen Sinn auch als ''Realgrund'', letzteres als ''Erkenntnisgrund'' aufgefasst werden kann. Real- und Erkenntnisgründe müssen nicht notwendigerweise zusammenfallen. So ist etwa in dem [[Satz]]: „Die Störche kommen, also wird es Frühling“, die Ankunft der Störche ein Erkenntnisgrund für den kommenden Frühling; der Realgrund, d.h. die tatsächliche Ursache für das Kommen der Störche ist aber gerade umgekehrt der beginnende Frühling. Ziel des [[philosophisch]]en [[Denken]]s ist es, alle Erscheinung auf letzte Gründe zurückzuführen, die unmittelbar einsichtig, d.h. [[evident]] sind.  


==Inhalt und Einordnung==
== Letzbegründung ==


Der Text beschreibt den Fall und die Rettung der Seele:
In diesem Sinn wird von verschiedenen Philosophen für [[Wissenschaft|wissenschaftlich]]-[[Philosophie|philosophische]] [[These]]n auch eine '''Letztbegründung''' gefordert, die keines weiteren Beweises mehr bedarf. Eine Letztbegründung wurde insbesondere von [[Wikipedia:Anselm von Canterbury|Anselm von Canterbury]], [[René Descartes]], [[Wikipedia:Karl Leonhard Reinhold|Karl Leonhard Reinhold]], [[Wikipedia:Jakob Friedrich Fries|Jakob Friedrich Fries]], im [[Deutscher Idealismus|Deutschen Idealismus]] und von [[Edmund Husserl]] in seiner Spätphilosophie angestrebt; moderne Vertreter sind [[Wikipedia:Hugo Dingler|Hugo Dingler]], [[Wikipedia:Karl-Otto Apel|Karl-Otto Apel]], [[Vittorio Hösle]], [[Wikipedia:Wolfgang Kuhlmann|Wolfgang Kuhlmann]] und [[Wikipedia:Harald Holz|Harald Holz]].  
:Die Weisen, die vor uns lebten, gaben der Seele einen weiblichen Namen. Tatsächlich ist sie auch  eine Frau von Natur aus. Wie andere Frauen hat auch sie einen Mutterschoß. (127,18; Übers. M. Janßen)


Die Seele wird als ursprünglich männlich-weiblich und jungfräulich-rein beschrieben. Doch nur der weibliche Teil stürzt in die körperliche Welt von Sünde und Hurerei, die unter Verwendung vieler alttestamentlicher Zitate und Wendungen kräftig ausgemalt wird. Jede irdische Geschlechtlichkeit wird so als Treulosigkeit gegenüber dem im Himmel verweilenden männlichen Teil, dem vorbestimmten Bruder und Bräutigam interpretiert.
Namentlich Vertreter des [[Kritischer Rationalismus|Kritischen Rationalismus]] kritisieren die Letzbegründung scharf und fordern für alle Thesen und [[Theorie]]n das Prinzip der [[Falsifizierbarkeit]] ein.


Schließlich führt irdisches Leid und Elend die Seele zu Umkehr und Reue. Diese Reue lässt den erbarmenden Vater die Seele retten. Er sendet den männlichen Bruderteil zu ihr und in einer pneumatischen Hochzeit erlebt die Seele die Wiedervereinigung der ursprünglichen Vollkommenheit, die hier als Auferstehung verstanden wird.  
== Satz vom zureichenden Grund ==
Der für das [[Logik|logische Denken]] zentrale '''Satz vom zureichenden Grund''' ([[Latein|lat.]] '''''principium rationis sufficientis'''''; {{EnS|''principle of sufficient reason''}}) besagt, ''dass jedes Sein oder Erkennen in zureichender Weise auf ein anderes, grundlegenderes Sein oder Erkennen zurückgeführt werden kann und soll'' - ein Denkvorgang, der als '''Rechtfertigung''' bzw. '''Begründung''' oder in der lückenlosen, streng [[Logik|logischen]] Form als [[Beweis]] bezeichnet wird. Die Annahme: „Nichts geschieht ohne Grund“ ([[Latein|lat.]] '''''nihil fit sine causa''''') ist das fundamentale Prinzip des [[Rationalismus]].


In diesem Zusammenhang erscheint auch das (Geheimnis des) Brautgemachs:
[[Gottfried Wilhelm Leibniz]], in dessen [[Philosophie]] der Satz vom zureichenden Grund eine zentrale Rolle spielt, hat diesen in seiner [[Monadologie]] wie folgt formuliert:
:Sie gab ihre frühere Unzucht auf, sie reinigte sich von den Befleckungen der Ehebrecher. Dann erneuerte sie sich aber, um eine Braut zu sein. Sie reinigte sich im Brautgemach. Sie füllte es mit Wohlgeruch. Sie saß drinnen in Erwartung ihres wahren Bräutigams. Sie rannte nicht länger auf den Marktplatz, indem sie mit jedem, den sie will, Geschlechtsverkehr hatte, sondern sie fuhr fort, nach ihm Ausschau zu halten, (weil sie nicht wusste), an welchem Tage er kommen würde, und sie fürchtete ihn; denn sie wusste nicht mehr, wie er aussah. (132; Übers. M. Janßen)


Die Textform ähnelt einer Predigt: ein erzählender Teil, gefolgt von Schriftauslegung mündet in Nutzanwendung und Mahnung. Auch die Schlussformel gemahnt an einen liturgischen Text.
{{Zitat|Im Sinne des zureichenden Grundes finden wir, dass keine [[Tatsache]] [fait] als wahr oder existierend gelten kann und keine [[Aussage]] [Enonciation] als richtig, ohne dass es einen zureichenden Grund [raison suffisante] dafür gibt, dass es so und nicht anders ist, obwohl uns diese Gründe meistens nicht bekannt sein mögen.|ref=<ref>G.W. Leibniz: ''Monadologie'', §&nbsp;32; zit. nach der dt.-frz. Suhrkamp-Ausgabe 1998, S.&nbsp;27</ref>}}


Als Verfasser kann man sich einen Judenchristen denken (wegen der großen Zahl von Zitaten aus dem AT und der Identifizierung des Vaters der Seele mit dem Gott des AT). Hinzu kommt ein hellenistischer Bildungshintergrund (wegen der auffälligen Homerzitate auf Blatt 136f). Dadurch wäre vom Hintergrund her eine gewisse Ähnlichkeit mit Paulus gegeben.
In seiner „[[Theodizee]]“ heißt es:


Unter anderem wird eine Stelle aus einem Klemensbrief zitiert ([[Wikipedia:Erster Klemensbrief|1 Klem]] 8,2). Demnach könnte der Text frühestens vom Ende des 1. Jahrhunderts datieren. Allerdings ist die zitierte Stelle bei Klemens selbst ein Zitat.
{{Zitat|[...] nichts geschieht, ohne dass es eine [[Ursache]] [cause] oder wenigstens einen bestimmenden Grund [raison déterminante] gibt, d.&nbsp;h. etwas, das dazu dienen kann, ''[[a priori]]'' zu begründen, weshalb etwas eher existiert als nicht existiert und weshalb etwas gerade so als in einer anderen Weise existiert.|ref=<ref>G.W. Leibniz: ''Theodizee'', §44; zit. nach der dt.-frz. Suhrkamp-Ausgabe 1999, S.273</ref>}}


== Ausgaben ==
[[Arthur Schopenhauer]] betonte die Wichtigkeit des ''Satzes vom zureichenden Grund'' für die [[Wissenschaft]]:
Originaltexte und Übersetzung wurden in der Reihe ''Nag Hammadi Studies'' (NHS) editiert:
:Layton, B. (Hrsg.), ''Nag Hammadi Codex II, 2-7: Together with XIII,2*, BRIT. LIB. OR.4926(1), and P. OXY. 1, 654, 655. '' Vol. II. ''On the Origin of the World, Expository Treatise on the Soul, Book of Thomas the Contender. '' NHS XXI. Leiden: Brill, 1989.


Eine deutsche Übersetzung erschien in "Nag Hammadi Deutsch", hg. vom ''Berliner Arbeitskreis für Koptisch-Gnostische Schriften'', eines langfristigen Forschungsprojektes, ursprünglich unter Leitung von Hans-Martin Schenke:
{{Zitat|Sie ist überaus groß, da man ihn die Grundlage aller
:Hans-Martin Schenke u.a. (Hrsg.): ''Nag Hammadi deutsch''. Eingel. und übers. von Mitgliedern des Berliner Arbeitskreises für Koptisch-Gnostische Schriften. de Gruyter, Berlin/New York 2001/2003, Bd. 1: ''NHC I,1 - V,1''. Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten Jahrhunderte N.F. 8. Koptisch-gnostische Schriften 2. ISBN 3-11-017234-8
Wissenschaft nennen darf. ''Wissenschaft'' nämlich bedeutet
ein System von Erkenntnissen, d.h. ein Ganzes von
verknüpften Erkenntnissen, im Gegensatz des bloßen Aggregats
derselben. Was aber Anderes, als der Satz vom zureichenden
Grunde, verbindet die Glieder eines Systems?
Das eben zeichnet jede Wissenschaft vor dem bloßen Aggregat
aus, daß ihre Erkenntnisse eine aus der andern, als
ihrem Grunde, folgen.|Arthur Schopenhauer|''Ueber die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde'', §4}}


Weitere deutsche Übersetzungen:
== Siehe auch ==
* ''Die Exegese der Seele''. In: [[Wikipedia:Gerd Lüdemann|Gerd Lüdemann]], Martina Janßen (Übers.): ''Die Bibel der Häretiker. Die gnostischen Schriften aus Nag Hammadi.'' Stuttgart 1997. ISBN 3-87173-128-5. S. 211-220
* ''Die Exegese über die Seele.'' In: Martin Krause, Kurt Rudolph: ''Die Gnosis. Bd. 2.: Koptische und mandäische Quellen.'' Artemis Verlag, Zürich u. Stuttgart 1971. Neuausgabe: Artemis &amp; Winkler, Düsseldorf u. Zürich 1997. S. 125-135.
* ''Die Erzählung über die Seele''. (Nag-Hammadi-Codex II,6) Text griechisch. Neu hrsg., übers. und erklärt von Cornelia Kulawik (Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur, Band 155). Berlin / New York de Gruyter 2006


Eine englische Übersetzung erschien in
* {{WikipediaDE|Grund (Philosophie)}}
:James M. Robinson, ''The Nag Hammadi Library in English'', 1978, ISBN 0-06-066934-9
* {{Eisler|Grund}}
* {{Kirchner|Grund}}
* {{UTB-Philosophie|Lic. phil. Gerhild Tesak|388|Grund}}
 
== Literatur ==
 
* [[Arthur Schopenhauer]]: ''Ueber die vierfache Wurzel des Satzes zum zureichenden Grunde'', Verlag F. A. Brockhaus, Leipzig 1864 [https://archive.org/details/ueberdievierfac00schogoog archive.org] [https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/80/Ueber_die_vierfache_Wurzel_des_Satzes_vom_zureichenden_Grunde.pdf pdf]
* Axel Tschentscher: ''Kantische Letztbegründung'', Jurisprudentia Verlag, Würzburg 2001, ISBN 3-8311-3114-7 [http://www.servat.unibe.ch/jurisprudentia/lit/letztbegruendung.pdf pdf]


== Anmerkungen ==
== Anmerkungen ==
<references />
== Weblinks ==
* [http://wwwuser.gwdg.de/~rzellwe/nhs/node168.html Deutsche Übersetzung] und [http://wwwuser.gwdg.de/~rzellwe/nhs/node167.html#SECTION000250000000000000000 Einführung] von [[Gerd Lüdemann]] und Martina Janßen
* [http://www.gnosis.org/naghamm/exe.html Englische Übersetzung] von William C. Robinson Jr.


[[Kategorie:Apokryphen]]
<references/>


{{Wikipedia}}
[[Kategorie:Philosophie]] [[Kategorie:Logik]] [[Kategorie:Erkenntnistheorie]]

Version vom 25. Mai 2018, 15:48 Uhr

Der Grund (griech. ἀρχή, arché, „Anfang, Prinzip, Ursprung“; lat. principium oder ratio) ist gemäß der Logik ein Urteil, das den Ausgangspunkt für weitere Schlussfolgerungen bildet und damit nur schwer abzugrenzen ist von verwandten Begriffen wie «Ursache» und «Prinzip», wobei erstere im traditionellen Sinn auch als Realgrund, letzteres als Erkenntnisgrund aufgefasst werden kann. Real- und Erkenntnisgründe müssen nicht notwendigerweise zusammenfallen. So ist etwa in dem Satz: „Die Störche kommen, also wird es Frühling“, die Ankunft der Störche ein Erkenntnisgrund für den kommenden Frühling; der Realgrund, d.h. die tatsächliche Ursache für das Kommen der Störche ist aber gerade umgekehrt der beginnende Frühling. Ziel des philosophischen Denkens ist es, alle Erscheinung auf letzte Gründe zurückzuführen, die unmittelbar einsichtig, d.h. evident sind.

Letzbegründung

In diesem Sinn wird von verschiedenen Philosophen für wissenschaftlich-philosophische Thesen auch eine Letztbegründung gefordert, die keines weiteren Beweises mehr bedarf. Eine Letztbegründung wurde insbesondere von Anselm von Canterbury, René Descartes, Karl Leonhard Reinhold, Jakob Friedrich Fries, im Deutschen Idealismus und von Edmund Husserl in seiner Spätphilosophie angestrebt; moderne Vertreter sind Hugo Dingler, Karl-Otto Apel, Vittorio Hösle, Wolfgang Kuhlmann und Harald Holz.

Namentlich Vertreter des Kritischen Rationalismus kritisieren die Letzbegründung scharf und fordern für alle Thesen und Theorien das Prinzip der Falsifizierbarkeit ein.

Satz vom zureichenden Grund

Der für das logische Denken zentrale Satz vom zureichenden Grund (lat. principium rationis sufficientis; eng. principle of sufficient reason) besagt, dass jedes Sein oder Erkennen in zureichender Weise auf ein anderes, grundlegenderes Sein oder Erkennen zurückgeführt werden kann und soll - ein Denkvorgang, der als Rechtfertigung bzw. Begründung oder in der lückenlosen, streng logischen Form als Beweis bezeichnet wird. Die Annahme: „Nichts geschieht ohne Grund“ (lat. nihil fit sine causa) ist das fundamentale Prinzip des Rationalismus.

Gottfried Wilhelm Leibniz, in dessen Philosophie der Satz vom zureichenden Grund eine zentrale Rolle spielt, hat diesen in seiner Monadologie wie folgt formuliert:

„Im Sinne des zureichenden Grundes finden wir, dass keine Tatsache [fait] als wahr oder existierend gelten kann und keine Aussage [Enonciation] als richtig, ohne dass es einen zureichenden Grund [raison suffisante] dafür gibt, dass es so und nicht anders ist, obwohl uns diese Gründe meistens nicht bekannt sein mögen.“[1]

In seiner „Theodizee“ heißt es:

„[...] nichts geschieht, ohne dass es eine Ursache [cause] oder wenigstens einen bestimmenden Grund [raison déterminante] gibt, d. h. etwas, das dazu dienen kann, a priori zu begründen, weshalb etwas eher existiert als nicht existiert und weshalb etwas gerade so als in einer anderen Weise existiert.“[2]

Arthur Schopenhauer betonte die Wichtigkeit des Satzes vom zureichenden Grund für die Wissenschaft:

„Sie ist überaus groß, da man ihn die Grundlage aller Wissenschaft nennen darf. Wissenschaft nämlich bedeutet ein System von Erkenntnissen, d.h. ein Ganzes von verknüpften Erkenntnissen, im Gegensatz des bloßen Aggregats derselben. Was aber Anderes, als der Satz vom zureichenden Grunde, verbindet die Glieder eines Systems? Das eben zeichnet jede Wissenschaft vor dem bloßen Aggregat aus, daß ihre Erkenntnisse eine aus der andern, als ihrem Grunde, folgen.“

Arthur Schopenhauer: Ueber die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde, §4

Siehe auch

Literatur

Anmerkungen

  1. G.W. Leibniz: Monadologie, § 32; zit. nach der dt.-frz. Suhrkamp-Ausgabe 1998, S. 27
  2. G.W. Leibniz: Theodizee, §44; zit. nach der dt.-frz. Suhrkamp-Ausgabe 1999, S.273