Kardinaltugenden und Das verschleierte Bild zu Sais: Unterschied zwischen den Seiten

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Als '''Kardinaltugenden''' (von [[lat.]] ''cardo'', „Türangel, Dreh- und Angelpunkt“) bezeichnet man seit der [[Antike]] eine Gruppe von vier Grund-[[Tugenden]], die aber anfangs nicht bei allen Autoren dieselben waren. Eine Vierergruppe ist bereits in Griechenland im 5. Jahrhundert v. Chr. belegt und war wohl schon früher bekannt; die Bezeichnung "Kardinaltugenden" wurde aber erst in der Epoche der [[Wikipedia:Spätantike|spätantiken]] [[Wikipedia:Patristik|Patristik]] im 4. Jahrhundert eingeführt.
{{Infobox Ägyptische Gottheit
|TITEL = Isis
|NAME-ERWEITERT = meistens nur
|NAME = <hiero>st-t:H8</hiero>
|NAME-ERKLÄRUNG = Ast / Aset<br /> ''{{Unicode|3}}st''<br /> ''Sitz, Thron''
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|BILD1 = Isis.svg
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}}
[[Datei:LOWTH(1855) - 1.006 RUINS OF SAIS IN THE DELTA.jpg|mini|290px|Die Ruinen von Sais im Nildelta (1855)]]
[[Datei:Dessau,Luisium,Das verschleierte Bild zu Saïs.jpg|mini|290px|Skulptur ''Das verschleierte Bild zu Saïs'' im Park [[w:Luisium|Luisium]], einem Teil des [[w:Dessau-Wörlitzer Gartenreich|Dessau-Wörlitzer Gartenreich]]s.]]
[[Datei:Anatome Animalium frontispiece.jpg|mini|290px|Frontispiz zu [[w:Gerhard Blasius|Gerhard Blasius]]: ''Anatome Animalium'',1681. Eine Priesterin enthüllt dem entsprechend vorbereiteten Adepten die verschleierte Göttin.]]
[[Datei:Anton Graff - Friedrich Schiller.jpg|miniatur|200px|[[Friedrich Schiller]]<br />Porträt von [[Wikipedia:Anton Graff|Anton Graff]], um 1790]]
[[Datei:Franz Gareis - Novalis.jpg|miniatur|200px|[[Novalis]] um 1799<br />Porträt von [[Wikipedia:Franz Gareis|Franz Gareis]]]]
[[Datei:hpb.jpg|miniatur|200px|[[Helena Petrovna Blavatsky]] (1877)]]


== Antike ==
'''Das verschleierte Bild zu Sais''' wird in den ''Moralischen Schriften'', «Über Isis und Osiris» des [[Plutarch]] (um [[Wikipedia:45|45]] in [[Wikipedia:Chaironeia|Chaironeia]]; † um [[Wikipedia:45|125]]) erwähnt.


Die Gruppe von vier Haupttugenden ist erstmals bei dem griechischen Dichter [[Wikipedia:Aischylos|Aischylos]] belegt, in seinem 467 v. Chr. entstandenen Stück [[Wikipedia:Sieben gegen Theben|Sieben gegen Theben]] (Vers 610). Er scheint sie als bekannt vorauszusetzen; daher wird vermutet, dass sie schon im griechischen Adel des 6. Jahrhunderts v. Chr. geläufig waren. Aischylos charakterisiert den Seher [[Wikipedia:Amphiaraos|Amphiaraos]] als tugendhaften Menschen, indem er ihn als verständig (''sóphron''), gerecht (''díkaios''), fromm (''eusebés'') und tapfer (''agathós'') bezeichnet; der Begriff ''agathós'' ("gut") ist hier, wie in vielen Inschriften, im Sinne von "tapfer" (''andreios'') zu verstehen.
Die [[Altes Ägypten|altägyptische]], im westlichen [[Wikipedia:Nildelta|Nildelta]] gelegene Stadt '''Sais''' (auch '''Saïs''', {{ELSalt|Σάϊς}}; [[Altägyptische Sprache|altägyptisch]] '''Sau, Zau''', heute {{arS|صا الحجر|d=Ṣā al-Ḥaǧar|w=Sa al-Hagar}}) wird schon in Texten aus dem [[Wikipedia:Altes Reich|Alten Reich]] erwähnt und war nach den [[Archäologie|archäologischen]] Befunden schon um 4000&nbsp;v.&nbsp;Chr. besiedelt. [[Wikipedia:Psammetich I.|Psammetich I.]], der vermutlich aus Sais stammte und die [[Wikipedia:26. Dynastie|26. Dynastie]] begründete, die von 664 – 525&nbsp;v.&nbsp;Chr. herrschte, machte Sais zur Hauptstadt [[Ägypten]]s.


[[Platon]] übernahm in seinen Dialogen [[Wikipedia:Politeia|Politeia]] und [[Wikipedia:Nomoi|Nomoi]] die Idee der Vierergruppe. Er behielt die [[Tapferkeit]] (bei ihm ανδρεία, ''andreia''), die [[Gerechtigkeit]] (δικαιοσύνη, ''dikaiosýne'') und die [[Besonnenheit]] (σωφροσύνη, ''sophrosýne'', auch „Verständigkeit“) bei, ersetzte aber die Frömmigkeit (εὐσέβεια, ''eusébeia'') durch [[Klugheit]] (φρόνησις, ''phrónesis'') oder [[Weisheit]] (σοφία, ''sophía''). Durch diesen Schritt wurde die Frömmigkeit aus dem Tugendkatalog verdrängt. Noch Platons Zeitgenosse [[Wikipedia:Xenophon|Xenophon]], der wie Platon ein Schüler des [[Sokrates]] war, schrieb Sokrates einen [[Wikipedia:Kanon|Kanon]] von nur zwei Tugenden zu, nämlich Frömmigkeit (die die Beziehungen zwischen Menschen und Göttern bestimmt) und Gerechtigkeit (die für die Beziehungen der Menschen untereinander maßgeblich ist).
== Geschichtliches ==


{{GZ|Plato, der große Philosoph des alten Griechenlands, hat diese vier
Plutarch beschreibt die verschleierte Statue der [[Athene]] oder der [[Isis]], die es in Sais gegeben haben soll, die folgende Aufschrift trug:
Tugenden deshalb unterschieden, weil er seine Weisheit noch aus den
Nachklängen des alten Mysterienwesens hat schöpfen können. Unter
den Nachklängen des alten Mysterienwesens hat Plato die Klassifizierung
der Tugend besser treffen können als die späteren Philosophen
oder gar als die unserer Zeiten, wo das Wissen von der Mysterienweisheit
so weit entfernt steht und etwas so chaotisches geworden
ist.|159|13}}


Platon ordnet jedem der drei von ihm angenommenen [[Seele]]nteile und jedem der drei Stände seines Idealstaats eine Tugend zu, nämlich dem obersten Seelenteil bzw. Stand die Weisheit, dem zweitrangigen die Tapferkeit und dem niedersten die Verständigkeit oder Fähigkeit des [[Mäßigung|Maßhaltens]]. Die Gerechtigkeit ist allen drei zugewiesen, sie sorgt für das rechte Zusammenwirken der Teile des Ganzen.
{{Zitat|In Sais hatte das Standbild der Athene, die man auch für die Isis hält, folgende Inschrift «ich bin das All, das Vergangene Gegenwärtige und Zukünftige, meinen Schleier hat noch kein Sterblicher gelüftet.»|Plutarch|''Über Isis und Osiris'', C9<ref>[http://books.google.at/books?id=IcpOTDlUz1gC&hl=de&pg=PA14#v=onepage&q&f=false Plutarch: ''Über Jsis und Osiris'']</ref>}}


Die 4 Kardinaltugenden hängen aber auch mit den vier grundlegenden [[Wesensglieder]]n des [[Mensch]]en zusammen. Die [[Weisheit]] wirkt unmittelbar durch das [[Ich]], die [[Tapferkeit]] oder [[Herzhaftigkeit]] wirkt durch den [[Astralleib]], die [[Besonnenheit]] durch den [[Ätherleib]] und die [[Gerechtigkeit]] durch den [[Physischer Leib|physischen Leib]].
Der [[Jüngling zu Sais]] soll verbotenerweise diesen Schleier gelüftet haben. [[Friedrich Schiller]] hat das Thema in dem Gedicht «Das verschleierte Bild zu Sais» [http://www.zeno.org/Literatur/M/Schiller,+Friedrich/Gedichte/Gedichte+%281789-1805%29/Das+verschleierte+Bild+zu+Sais] aufgegriffen und erwähnt es auch in seinen Vorlesungen über «[[Die Sendung Moses]]» und in seinem Aufsatz «[[Vom Erhabenen]]».  


{{GZ|Wenn wir den Menschen, insofern er in der Moralitätssphäre drinnensteht,
{{Zitat|Alles, was verhüllt ist, alles Geheimnisvolle, trägt zum Schrecklichen bei und ist deswegen der Erhabenheit fähig. Von dieser Art ist die Aufschrift, welche man zu Sais in Ägypten über dem Tempel der Isis las: »Ich bin alles, was ist, was gewesen ist und was sein wird. Kein sterblicher Mensch hat meinen Schleier aufgehoben.« – Eben dieses Ungewisse und Geheimnisvolle gibt den Vorstellungen der Menschen von der Zukunft nach dem Tode etwas Grauenvolles; diese Empfindungen sind in dem bekannten Selbstgespräch Hamlets sehr glücklich ausgedrückt.|Friedrich Schiller|''Vom Erhabenen'' [http://www.zeno.org/Literatur/M/Schiller,+Friedrich/Theoretische+Schriften/Vom+Erhabenen]}}
betrachten, da werden wir besonders an dasjenige erinnert,
was ich gestern darlegte: daß die Griechen noch mehr das Verhältnis
des Geistig-Seelischen und des Physischen gefühlt und empfunden haben,
als es heute der Fall ist. Daher hat Plato zum Beispiel noch ganz
deutlich dieses eigentümliche Verhältnis dargestellt, wie der Mensch
erfaßt, ergriffen wird von den Moralitätsimpulsen aus dem geistigen
Universum heraus. Plato sagt: Eigentlich gibt es vier Tugenden. Von der
Gesamtmoralität wird der Gesamtmensch erfaßt. - Aber alles das ist
natürlich mit dem bekannten grano salis zu nehmen. Natürlich würde,
wenn der ganze Mensch erfaßt wird, er auch wiederum nach den einzelnen
Tugenden abgeteilt. Die erste Tugend, von der Plato spricht,
ist die Weisheit - Weisheit als Tugend jetzt genommen, nicht als Wissenschaft.
Weil diese Weisheit als Tugend verwandt ist mit dem, was
in der Wahrheit erlebt wird, so wenden sich die Kräfte, die gerade die
Weisheit aus der Moralitätssphäre heraus ergreift, auch noch an das
Haupt des Menschen, so daß wir die Sache so darstellen können:


[[Datei:GA170_078.gif|300px|center|Die 4 Kardinaltugenden]]
{{Zitat|Da Ägypten der erste kultivierte Staat war, den die Geschichte kennt, und die ältesten Mysterien sich ursprünglich aus Ägypten herschreiben, so war es auch aller Wahrscheinlichkeit nach hier, wo die erste Idee von der Einheit des höchsten Wesens zuerst in einem menschlichen Gehirne vorgestellt wurde...<br><br>
Da aber schon ein gewisses Maß von Kenntnissen und eine gewisse Ausbildung des Verstandes erfodert wird, die Idee eines einigen Gottes recht zu fassen und anzuwenden, da der Glaube an die göttliche Einheit Verachtung der Vielgötterei, welches doch die herrschende Religion war, notwendig mit sich bringen mußte, so begriff man bald, daß es unvorsichtig, ja gefählich sein würde, diese Idee öffentlich und allgemein zu verbreiten. Ohne vorher die hergebrachten Götter des Staats zu stürzen und sie in ihrer lächerlichen Blöße zu zeigen, konnte man dieser neuen Lehre keinen Eingang versprechen...<br><br>
Mißlang hingegen der Versuch, die alten Götter zu stürzen, so hatte man den blinden Fanatismus gegen sich bewaffnet und sich einer tollen Menge zum Schlachtopfer preisgegeben. Man fand also für besser, die neue gefährliche Wahrheit zum ausschließenden Eigentum einer kleinen geschlossenen Gesellschaft zu machen, diejenigen, welche das gehörige Maß von Fassungskraft dafür zeigten, aus der Menge hervorzuziehen und in den Bund aufzunehmen und die Wahrheit selbst, die man unreinen Augen entziehen wollte, mit einem geheimnisvollen Gewand zu umkleiden, das nur derjenige wegziehen könnte, den man selbst dazu fähig gemacht hätte.<br><br>
Diese Zeremonien, mit jenen geheimnisvollen Bildern und Hieroglyphen verbunden, und die verborgenen Wahrheiten, welche in diesen Hieroglyphen versteckt lagen und durch jene Gebräuche vorbereitet wurden, wurden zusammengenommen unter dem Namen der Mysterien begriffen. Sie hatten ihren Sitz in den Tempeln der Isis und des Serapis und waren das Vorbild, wornach in der Folge die Mysterien in Eleusis und Samothrazien und in neuern Zeiten der Orden der Freimaurer sich gebildet hat.<br><br>
Es scheint außer Zweifel gesetzt, daß der Inhalt der allerältesten Mysterien in Heliopolis und Memphis, während ihres unverdorbenen Zustands, Einheit Gottes und Widerlegung des Paganismus war, und daß die Unsterblichkeit der Seele darin vorgetragen wurde. Diejenigen, welche dieser wichtigen Aufschlüsse teilhaftig waren, nannten sich Anschauer oder [[Epopten]], weil die Erkennung einer vorher verborgenen Wahrheit mit dem Übertritt aus der Finsternis zum Lichte zu vergleichen ist, vielleicht auch darum, weil sie die neuerkannten Wahrheiten in sinnlichen Bildern wirklich und eigentlich anschauten.<br><br>
Zu dieser Anschauung konnten sie aber nicht auf einmal gelangen, weil der Geist erst von manchen Irrtümern gereinigt, erst durch mancherlei Vorbereitungen gegangen sein mußte, ehe er das volle Licht der Wahrheit ertragen konnte. Es gab also Stufen oder Grade, und erst im innern Heiligtum fiel die Decke ganz von ihren Augen.<br><br>
Die Epopten erkannten eine einzige höchste Ursache aller Dinge, eine Urkraft der Natur, das Wesen aller Wesen, welches einerlei war mit dem Demiurgos der griechischen Weisen. Nichts ist erhabener als die einfache Größe, mit der sie von dem Weltschöpfer sprachen. Um ihn auf eine recht entscheidende Art auszuzeichnen, gaben sie ihm gar keinen Namen. »Ein Name«, sagten sie, »ist bloß ein Bedürfnis der Unterscheidung, wer allein ist, hat keinen Namen nötig, denn es ist keiner da, mit dem er verwechselt werden könnte.« Unter einer alten Bildsäule der Isis las man die Worte: » Ich bin, was da ist«, und auf einer Pyramide zu Sais fand man die uralte merkwürdige Inschrift: »Ich bin alles, was ist, was war und was sein wird, kein sterblicher Mensch hat meinen Schleier aufgehoben.« Keiner durfte den Tempel des Serapis betreten, der nicht den Namen Jao - oder J-ha-ho, ein Name, der mit dem hebräischen Jehovah fast gleichlautend, auch vermutlich von dem nämlichen Inhalt ist - an der Brust oder Stirn trug; und kein Name wurde in Ägypten mit mehr Ehrfurcht ausgesprochen als dieser Name Jao. In dem Hymnus, den der Hierophant oder Vorsteher des Heiligtums dem Einzuweihenden vorsang, war dies der erste Aufschluß, der über die Natur der Gottheit gegeben wurde: »Er ist einzig und von ihm selbst, und diesem Einzigen sind alle Dinge ihr Dasein schuldig.«|Friedrich Schiller|''Die Sendung Moses'' [http://gutenberg.spiegel.de/buch/3319/1]}}


(Zeichnung I). Plato sagte also: Es wird erfaßt beim moralischen
[[Novalis]] verwendete das Motiv in seinem [[Märchen]] von «Hyacinth und Rosenblüthe», das den Kern seines unvollendeten [[Wikipedia:Roman|Roman]]s «[[Die Lehrlinge zu Sais]]» (1799) bildet. Im [[Traum]] lüftet der Jüngling ''Hyazinth'' den Schleier der Jungfrau - und findet seine geliebte ''Rosenblüte'':
Menschen der Kopfteil von der Weisheit, der Brustteil von dem, was
man nennen könnte die Tugend der Herzhaftigkeit - ich kann kein
besseres Wort finden -, Starkmut, Tüchtigkeit, aber solche Tüchtigkeit,
daß die herzhaften Kräfte drinnen sind: seelische Tüchtigkeit.


Weise - das Wort im Sinne der Tugendhaftigkeit gemeint - ist derjenige
{{Zitat|Unter himmlischen Wohlgedüften entschlummerte er, weil ihn nur der Traum in das Allerheiligste führen durfte. Wunderlich führte ihn der Traum durch unendliche Gemächer voll seltsamer Sachen auf lauter reitzenden Klängen und in abwechselnden Accorden. Es dünkte ihm alles so bekannt und doch in niegesehener Herrlichkeit, da schwand auch der letzte irdische Anflug, wie in Luft verzehrt, und er stand vor der himmlischen Jungfrau, da hob er den leichten, glänzenden Schleyer, und Rosenblüthchen sank in seine Arme.|Novalis|''Die Lehrlinge zu Sais, 2. Die Natur'' [http://www.zeno.org/Literatur/M/Novalis/Romane/Die+Lehrlinge+zu+Sais/2.+Die+Natur]}}
Mensch, der sich nicht bloß seinen tierischen Trieben überläßt,
sondern der aus der Moral heraus gewisse Ideen hat, die er erfaßt, und
nach denen er sich richtet. Aber es strahlt schon der moralische Impuls
in das Körperliche, in das Leibliche hinein, auch wenn dieser moralische
Impuls in moralischen Weisheitsideen erfaßt wird. Daher können
wir sagen: Da strahlt herein in den Menschen die Moralität so, daß wir
uns das Hereinstrahlen ins «Ich» vorstellen dürfen (grün). Das wäre
also die platonische Weisheitssphäre der Moralität.


Der Brustteil, der das Herz umschließt, wäre das Gebiet, wo die
«[[Isis entschleiert]]» (''[[WikipediaEN:Isis Unveiled|Isis Unveiled]]'') ist auch der Titel des von [[Helena Petrovna Blavatsky]] am [[Wikipedia:29. September|29. September]] [[Wikipedia:1877|1877]] - also zu [[Michaeli]] - veröffentlichten Grundlagenwerks der [[Theosophie]], das zugleich ihr aus geistiger Sicht bedeutsamstes Werk ist.
Herzhaftigkeit, der Starkmut, die seelische Tüchtigkeit aus der Moralitätssphäre
einstrahlt. Wir können sagen: Da ergreift die Moralität,
indem sie weiterstrahlt, insbesondere das Astralische und belebt den
Brustteil mit dem Herzen. Wir können also dieses weitere Erstrahlen
so zeichnen (gelb). So daß wir haben: Weisheit als Tugend im Kopfteil
(grün), Herzhaftigkeit als Tugend im Brustteil (gelb).


Eine dritte Tugend ist, was Plato die Besonnenheit, Sophrosyne,
Über die [[Bedeutung]] dieser Isis-Legende sagt [[Rudolf Steiner]]:
nennt, und die schreibt er dem Unterleib zu, was ganz richtig ist. Der
Unterleib ist der Erreger der Triebe des Menschen, aber der Mensch,
der mit seinem Nachdenken und Nachfühlen und Nachempfinden die
Triebe beherrscht, ist ein besonnener Mensch. Das bloße Ausleben der
Triebe, das auch das Tier kennt, ist keine Tugend, sondern erst das
Durchsetzen der Triebe mit dem Grade von Bewußtsein, der eben
möglich ist, ist Besonnenheit. Das wird dann im Ätherleib erfaßt, weil
Gedanken, Besonnenheit, Mut, insofern sie menschlich sind, im Ätherleibe
erfaßt werden.Wir müssen also die Zeichnung so gestalten (violett).
Also es erfaßt schon die Moralitätssphäre den physischen Menschen als
Ganzes, wie ich gestern ausgeführt habe. Der Kopf ist dabei, das habe
ich gestern ausdrücklich gesagt.


Und als vierte umfassende Tugend, die nun in den ganzen physischen
<div style="margin-left:20px">
Leib strömt, von dem ich Ihnen gestern gezeigt habe, daß er eigentlich
"Sehen Sie, so schön ist das in dem Symbole beschrieben, das die
unsichtbar ist, nennt Plato Dikaiosyne. Das müssen wir übersetzen mit
Naturkraft in der ägyptischen Legende von der Isis ausdrückt. Dieses
Gerechtigkeit, obwohl das Wort Gerechtigkeit in den modernen Sprachen
Isis-Bild, was für einen ergreifenden Eindruck macht es uns, wenn wir
nicht vollständig damit übereinstimmt; denn Gerechtigkeit müssen
es uns vorstellen, wie es dasteht in Stein, aber in dem Stein zugleich
wir so nehmen: daß der Mensch sich zu richten weiß, gerecht,
der Schleier von oben bis unten: das verschleierte Bild zu Sais. Und die
richtungsgemäß, daß er einer menschlichen Richtung folgt im Leben.
Inschrift trägt es: Ich bin die Vergangenheit, die Gegenwart und die
Also es ist nicht das abstrakte Wort Gerechtigkeit bloß gemeint, sondern
Zukunft; meinen Schleier hat noch kein Sterblicher gelüftet. - Das hat
das Sich-Richtung-Gebende, Sich-Auskennende, Sich-Orientierende
wiederum zu einer ungemein gescheiten - obwohl sehr gescheite Leute
im Leben. So daß wir sagen können: Da hat die Einströmung der
diese gescheite Erklärung aufgenommen haben, muß es doch einmal
Moralitätssphäre in den ganzen physischen Leib Anteil als Gerechtigkeit
gesagt werden -, zu einer sehr gescheiten Erklärung geführt. Man sagt
(rot). Auf diese Weise hatten wir schematisch angedeutet, wie in
da: Die Isis drückt also aus das Symbolum für die Weisheit, die vom
der menschlichen Aura die Moralitätsimpulse hereinstrahlen in den
Menschen nie erreicht werden kann. Hinter diesem Schleier ist eine
Menschen.|170|78ff}}
Wesenheit, die ewig verborgen bleiben muß, denn der Schleier kann
 
nicht gelüftet werden. - Und doch ist die Inschrift diese: Ich bin die
Nicht nur die Angehörigen der von Platon gegründeten [[Wikipedia:Platonische Akademie|Akademie]], sondern auch die [[Wikipedia:Stoa|Stoiker]] übernahmen den Kanon der vier Tugenden; wohl aus stoischem Schrifttum gelangte die Vierergruppe auch in die [[Wikipedia:Rhetorik|rhetorischen]] Handbücher. Daher waren die Gebildeten der [[Wikipedia:Hellenismus|hellenistischen]] und römischen Welt mit ihr vertraut.
Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft; meinen Schleier hat
noch kein Sterblicher gelüftet. - Alle die gescheiten Leute, die also
sagen: Man kann das Wesen nicht ergründen - sie sagen logisch ungefähr
dasselbe, wie wenn einer sagte: Ich heiße Müller; meinen Namen
wirst du nie erfahren. - Es ist ganz genau dasselbe, was Sie immer über
dieses Bild reden hören, wie wenn einer sagte: Ich heiße Müller; meinen
Namen wirst du nie erfahren.-Wenn man das: Ich bin die Vergangenheit,
die Gegenwart und die Zukunft; meinen Schleier hat noch kein
Sterblicher gelüftet - so auslegt, ist natürlich diese Auslegung ein völliger
Unsinn. Denn es steht ja da, was die Isis ist: Vergangenheit, Gegenwart
und Zukunft - die dahinfließende Zeit! Wir werden morgen
noch genauer über diese Dinge reden. Es ist die dahinfließende Zeit.
Aber ganz etwas anderes, als was diese sogenannte geistvolle Erklärung
will, ist ausgedrückt in den Worten: Meinen Schleier hat noch kein
Sterblicher gelüftet. - Ausgedrückt ist, daß man dieser Weisheit sich
nähern muß wie denjenigen Frauen, die den Schleier genommen hatten,
deren Jungfräulichkeit bestehen bleiben mußte: in Ehrfurcht, mit einer
Gesinnung, die alle egoistischen Triebe ausschließt. Das ist gemeint. Sie
ist wie eine verschleierte Nonne, diese Weisheit früherer Zeit. Auf die
Gesinnung wird hingedeutet durch das Sprechen von diesem Schleier." {{Lit|{{G|171|166}}}}
</div>


Auch im Judentum wurden dieselben vier Haupttugenden gelehrt; sie erscheinen zweimal in der [[Wikipedia:Septuaginta|Septuaginta]] (der griechischen Übersetzung des [[Wikipedia:Tanach|Tanach]]), nämlich im [[Wikipedia:Buch der Weisheit|Buch der Weisheit]] (8.7) und im [[Wikipedia:4. Buch der Makkabäer|4. Buch der Makkabäer]] (1.18). Der jüdische Philosoph [[Wikipedia:Philon von Alexandria|Philon von Alexandria]] befasste sich ebenfalls damit; er deutete die vier Flüsse des [[Garten Eden|Paradieses]] [[Wikipedia:Allegorie|allegorisch]] als die vier Tugenden.
Es gibt aber noch einen weiteren, tiefer gehenden Aspekt:
 
[[Wikipedia:Marcus Tullius Cicero|Marcus Tullius Cicero]], der sich hier auf ein nicht erhaltenes Werk des [[Wikipedia:Stoa|Stoikers]] [[Wikipedia:Panaitios von Rhodos|Panaitios]] stützte, vertrat die Lehre von den vier Haupttugenden. Er machte die römische Welt mit ihr vertraut. In seiner Schrift ''[[Wikipedia:De officiis|De officiis]]'' ("Über die Pflichten") nennt und erörtert er die vier Tugenden: Weisheit oder Klugheit (''sapientia'' bzw. ''prudentia''), Gerechtigkeit (''iustitia''), Tapferkeit (''fortitudo'', ''magnitudo animi'') und Mäßigung (''temperantia'').
 
=== Weltentwicklungsstufen und platonische Tugenden ===
 
Die 7 planetarischen [[Weltentwicklungsstufen]] sind in der Reihenfolge ihrer Entstehung:
 
<center>
{|class=notiz
|[[alter Saturn]]  -  [[alte Sonne]]  -  [[alter Mond]]  -  [[Erde (Planet)|Erde]]  -  [[neuer Jupiter]]  -  [[neue Venus]]  -  [[Vulkan]]
|}
</center>
 
Sie hängen nach [[Rudolf Steiner]] mit den vier platonischen Tugenden in folgender Weise zusammen:


<div style="margin-left:20px">
<div style="margin-left:20px">
"Wenn wir den Menschen so betrachten, wie er heute
"Wenn wir noch einmal zurücksehen auf die Zeit der Menschheitsentwickelung
auf der Erde lebt, so steckt ja, man könnte sagen, samenhaft in ihm
vor dem Mysterium von Golgatha, so müssen wir sagen:
schon das, was während der Jupiter-, während der Venus-, während
Damals hatte die Menschenseele ein altes Erbgut aus der Zeit, da sie
der Vulkanperiode sich entwickeln wird. Aber ebenso ist der Mensch
aus den geistigen Höhen herunterstieg zu irdischen Inkarnationen.
ein Ergebnis der Saturn-, Sonnen-, Monden-, Erdensphäre. Ich sagte
Dieses Erbgut bewahrte sie sich von Inkarnation zu Inkarnation weiter.
gestern: Das Weisheitliche, das Wahrheitsmäßige ist schon auf der
Daher gab es in jenen Zeiten ein altes Hellsehen, das nach und
Sonne veranlagt und wird auf dem Jupiter abgeschlossen sein. Wollen
nach abflutete, immer schwächer und schwächer wurde. Je weiter die
wir uns das auch einmal graphisch darstellen.
Inkarnationen vorschritten, desto schwächer wurde das abflutende alte
 
Hellsehen. Woran war das alte Hellsehen gebunden? Es war gebunden
[[Datei:GA170 088.gif|center|600px|Zeichnung aus GA 170, S 88]]
an das, woran auch das äußere Wahrnehmen mit Augen und Ohren
 
gebunden ist, an das, was eben der Mensch in der äußeren Welt ist. Bei
Für die Keimanlage auf der Sonne wird auf dem Jupiter ein gewisser
den Menschen vor dem Mysterium von Golgatha war es so, daß sie wie
Abschluß erreicht sein; so daß wir also sagen können: Von der Sonne
Kinder heranwuchsen: sie lernten gehen, sprechen, und sie lernten
zum Jupiter ist die eigentliche Entwickelung der Wahrheit; sie wird auf
selbstverständlich, solange die elementaren Kräfte im Sinne des alten
dem Jupiter ganz innerlich geworden sein; dann wird sie eben ganz
Hellsehens noch da waren, auch hellsehen. Sie lernten es wie etwas,
Weisheit sein: Wahrheit wird Weisheit!
was sich ergab im Umgange mit der Menschheit, so wie es sich ergab
 
im Umgange mit der Menschheit, daß man durch die Organisation des
Auf dem Mond beginnt dann dasjenige, was die ästhetische Sphäre
Kehlkopfes das Sprechen lernte. Man blieb aber nicht beim Sprechenlernen
enthält. Das wird abgeschlossen sein auf derVenus.Wir können das etwa
stehen, sondern schritt vor zu dem elementaren Hellsehen. Dieses
so zeichnen: Mond, abgeschlossen Venus; wir haben also hier die Entwickelung
elementare Hellsehen war gebunden an die gewöhnliche menschliche
der Schönheit. Sie sehen, das greift über.
Organisation so, wie die menschliche Organisation drinnenstand
in der physischen Welt; es mußte also notwendigerweise das
Hellsehen auch den Charakter der menschlichen Organisation annehmen.
Ein Mensch, der ein Wüstling war, konnte nicht eine reine Natur
in sein Hellsehen hineinschieben; ein reiner Mensch konnte seine reine
Natur auch in sein Hellsehen hineinschieben. Das ist ganz natürlich,
denn es war das Hellsehen an die unmittelbare menschliche Organisation
gebunden.


Eigentlich ruht das alles in unseren Untergründen, im Unterbewußten,
Eine notwendige Folge davon war, daß ein gewisses Geheimnis -
was in diesen zwei Strömungen, und auch noch in der dritten enthalten
das Geheimnis des Zusammenhanges zwischen der geistigen Welt und
ist; denn während der Erdenentwickelung beginnt nun das, was
der physischen Erdenwelt -, das vor dem Herabstieg des Christus
wir nennen können die Moralitätssphäre. Sie erreicht ihren Abschluß
Jesus bestand, nicht für diese gewöhnliche menschheitliche Organisation
auf dem Vulkan. Wir haben also eine dritte Strömung, wiederum übergreifend:
enthüllt werden durfte. Es mußte die menschheitliche Organisation erst
die Strömung der Moralität. Dazu haben wir noch eine vierte
umgestaltet, erst reif gemacht werden. Der Jüngling von Sais durfte
Strömung, die abgeschlossen sein wird, wenn einmal die Erde am Ziel
nicht ohne weiteres, von außen kommend, das Bild der Isis sehen." {{Lit|{{G|148|168f}}}}
ihrer Entwicklung angelangt sein wird. Mit der Erde beginnt die Moralität.
Aber sie schließt eine höhere Ordnung wiederum ab, eine Ordnung,
die schon begonnen hat am Saturn; so daß wir nun eine Ordnung,
eine Strömung haben vom Saturn zur Erde, und diese wird nun genannt:
Gerechtigkeit, in dem Sinne, wie ich früher das Wort erklärt habe. Sie
wissen, daß auf dem Saturn die Sinne zuerst veranlagt wurden. Diese
Sinne würden den Menschen nach allen Richtungen zerstreuen. Sie wissen,
zwölf Sinne unterscheiden wir - der Sinn würde, indem er sich entwickelt
durch Sonne, Mond und Erde, den Menschen zur Orientierung,
zur Gerechtigkeit tragen, wo auch die moralische Gerechtigkeit dann,
wenn sie von der Moralnatur der Erde erfaßt wird, erst eingeschlossen
wird; moralische Gerechtigkeit ist erst auf der Erde vorhanden. Was
da innerlich wirkt dem Peripherischen der Sinne gegenüber als Zentralisches,
das ist die Sphäre oder Strömung der Gerechtigkeit." {{Lit|{{G|170|88f}}}}
</div>
</div>


=== Allegorische Darstellung von Platons Kardinaltugenden ===
== Die neue Isis ==
 
Im 4. Jahrhundert verfasste der Kirchenlehrer [[Wikipedia:Ambrosius von Mailand|Ambrosius von Mailand]] eine Pflichtenlehre (''De officiis ministrorum''), in der er sich mit Ciceros Auffassung auseinandersetzte. Er verwendete erstmals den Begriff "Kardinaltugenden" (''virtutes cardinales''); häufiger ist bei ihm aber der Ausdruck "Haupttugenden" (''virtutes principales''). Er übernahm Philons Deutung der vier Paradiesflüsse als die vier Tugenden.
 
Darstellung der Kardinaltugenden am Papstgrab des Papstes [[Wikipedia:Clemens II.|Clemens II.]] im [[Wikipedia:Bamberger Dom|Bamberger Dom]]
<gallery>
Image:Iustitia Papstgrab Bamberg aus Gottfried Henschen u Daniel Papebroch 1747.jpg|Iustitia (Gerechtigkeit)
Image:Sapientia Papstgrab Bamberg aus Gottfried Henschen u Daniel Papebroch 1747.jpg|Sapientia (Weisheit)
Image:Fortitudo Papstgrab Bamberg aus Gottfried Henschen u Daniel Papebroch 1747.jpg|Fortitudo (Tapferkeit)
Image:Temperantia Papstgrab Bamberg aus Gottfried Henschen u Daniel Papebroch 1747.jpg|Temperantia (Mäßigung)
</gallery>
 
=== Giottos Darstellung der drei göttlichen Tugenden ===
 
Im [[Wikipedia:Neues Testament|Neuen Testament]] hingegen kommt der Kanon der vier Tugenden nicht vor. Der Apostel [[Paulus von Tarsus|Paulus]] führte drei [[Theologische Tugend|theologische Tugenden]] ein: [[Glaube]] (lateinisch ''fides''), [[Hoffnung]] (lateinisch ''spes'') und [[Liebe]] (lateinisch ''caritas''). Die nachfolgende Darstellung ist in der [[Wikipedia:Cappella degli Scrovegni|Cappella degli Scrovegni]] in Padua zu finden.
 
<gallery>
Image:Giotto - Scrovegni - -44- - Faith.jpg|Fides (Glaube)
Image:Giotto - Scrovegni - -45- - Charity.jpg|Caritas (Liebe)
Image:Giotto - Scrovegni - -46- - Hope.jpg|Spes (Hoffnung)
</gallery>


Zusammen ergibt das die Siebenzahl
{{Siehe auch|Isis#Die neue Isis|titel1=Die neue Isis}}
* [[Glaube]]
* [[Liebe]]
* [[Hoffnung]]
* [[Gerechtigkeit]]
* [[Weisheit]] oder [[Klugheit]]
* [[Tapferkeit]]
* [[Mäßigung]]


Sie werden im [[Wikipedia:Katechismus der Katholischen Kirche|Katechismus der Katholischen Kirche]] den [[sieben]] [[Todsünde]]n (Hauptlaster) gegenübergestellt.
Unser gegenwärtiges [[Bewusstseinsseelenzeitalter]], in dem sich die [[ägyptisch-chaldäische Kultur]] in gewisser Weise spiegelt, bedarf einer [[Neue Isis-Legende|neuen Isis-Legende]]. Seit sich der [[Christus]] auf Erden inkarniert hat und durch das [[Mysterium von Golgatha]] gegangen ist, weilt er unter uns. Er kann uns nicht so verloren gehen, wie einst den Ägyptern [[Osiris]] verloren ging. Der [[Christus]] ist mit uns, doch fehlt uns die göttliche Weisheit, ihn in seinem wahren Wesen zu erkennen. In der ägyptischen Zeit wirkte Luzifer im Inneren des Menschen und gerade deshalb sah er die äußere Welt in [[ahriman]]ischer Gestalt. Heute ist es gerade umgekehrt. Ahriman wirkt in unserem Inneren und darum ist unser äußeres Weltbild, wie es namentlich die [[Naturwissenschaft]]en zeichnen, luziferisch. Uns ist die Isis-Sophia, verlorengegangen. Sie wurde durch [[Luzifer]] getötet. Heute müssen wir die [[neue Isis]] durch unser bewusstes Geistesstreben erwecken. Sehr ausführlich spricht [[Rudolf Steiner]] über diese neue Isis in einem am [[6. Januar]] [[1918]] in [[Dornach SO|Dornach]] gehaltenen Vortrag, und zeigt, wie das verschleierte Bild zu Sais nun eine Gestalt annimmt. Er spricht hier ...


== Moderne ==
{{GZ|... von jenem wichtigen
 
inneren Impuls, der an die Menschenseele herantreten muß,
[[Wikipedia:Immanuel Kant|Immanuel Kant]] lässt nur eine Primärtugend gelten: "Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille". Fehle dieser, können alle anderen Tugenden "auch äußerst böse und schädlich werden".<ref>Kant: ''Grundlegung zur Metaphysik der Sitten'', Anaconda Verlag 2008</ref>
wenn die Menschenseele das finden soll, was sie für die Zukunft so
 
notwendig hat, was allein eine ganze, volle Ergänzung dessen sein
Der deutsche Philosoph [[Wikipedia:Johann Friedrich Herbart|Johann Friedrich Herbart]] wiederum stellte als die Kardinaltugenden dar <ref>{{Meyers Online|9|507|spezialkapitel=Kardinaltugenden}}</ref>:
kann, was die Naturwissenschaft auf der einen Seite bringt.
* [[Gerechtigkeit]],
Dann werden Sie sehen, warum an die Seite der alten Osiris-Isismythe
* [[Freiheit]],
die neue Isismythe treten kann, und warum für den Menschen
* [[Tapferkeit]] und
der Gegenwart beide zusammen notwendig sind; warum hinzugefügt
* [[Güte]].
werden muß zu den Worten, die vom alten Ägypten herüberklingen
 
vom Standbilde zu Sais: Ich bin das All, ich bin die Vergangenheit,
== China ==
die Gegenwart, die Zukunft; meinen Schleier hat noch kein Sterblicher
Die fünf [[Wikipedia:Konfuzianismus|konfuzianischen]] Kardinaltugenden ([[Wikipedia:Chinesische Schrift|chin.]] 五常 wŭcháng) sind:
gelüftet -, warum hineintönen muß in diese Worte ein anderes, warum
* [[Menschlichkeit]] (仁 ''rén'')
heute diese Worte nicht mehr einseitig nur an die menschliche
* [[Gerechtigkeit]] oder Rechtes Handeln (義 ''yì'')
Seele heranklingen dürfen, sondern dazu klingen müssen die Worte:
* [[Sitte]] (禮 ''lĭ'')
Ich bin der Mensch. Ich bin die Vergangenheit, die Gegenwart und
* [[Wissen]] (智 ''zhì'')
die Zukunft. Meinen Schleier sollte jeder Sterbliche lüften.|180|189}}
* [[Wahrhaftigkeit]] (信 ''xìn'')
 
beziehungsweise nach [[w:Mengzi|Mengzi]] entsprechend
* [[w:Innigkeit|[Innigkeit]] (親 ''qīn'') zwischen Vater und Sohn
* Rechtes Handeln (義 ''yì'') zwischen Fürst und Untertan
* Trennung (別 ''bié'') zwischen Gatte und Gemahlin
* [[w:Reihenfolge|Reihenfolge]] (序 ''xù'') zwischen Alt und Jung
* [[Wahrhaftigkeit]] (信 ''xìn'') zwischen Freund und Freund
 
== Yoga und Hinduismus ==
5 [[Yama]]s:
* [[Yama#Ahimsa|Ahimsa]] (Gewaltlosigkeit)
* [[Yama#Satya|Satya]] (Wahrhaftigkeit)
* [[Yama#Asteya|Asteya]] (Nicht-Stehlen)
* [[Yama#Brahmacharya|Brahmacharya]] (Enthaltsamkeit)
* [[Yama#Aparigraha|Aparigraha]] (Nicht-Zugreifen)
 
5 [[Niyama]]s:
* [[Niyama#1. Shauca|Shauca]] (Reinheit)
* [[Niyama#2. Samtosha|Samtosha]] (Genügsamkeit)
* [[Niyama#3. Tapas|Tapas]] (Opfer und Buße)
* [[Niyama#4. Svadhyaya|Svadhyaya]] (Studium und Reflexion)
* [[Niyama#5. Ishvarapranidhana|Ishvara Pranidhana]] (Hingabe an Gott)


== Siehe auch ==
== Siehe auch ==
* [[Tugend]]
* {{WikipediaDE|Das verschleierte Bild zu Sais}}
* [[Tugendethik]]
* [[Halluzination]]
* [[Dharma]]
* [[Wahrnehmungstäuschung]]
* [[Katechismus der katholischen Kirche]], [[Todsünde]], [[Sünde wider den Heiligen Geist]]
 
== Weblinks ==
* [http://glaube-und-kirche.de/tugenden.htm Göttliche Tugenden und Kardinaltugenden]


== Literatur ==
== Literatur ==
* Maria Becker: ''Chresis. Die Methode der Kirchenväter im Umgang mit der antiken Kultur'', Band 4: ''Die Kardinaltugenden bei Cicero und Ambrosius: De officiis'', Schwabe, Basel 1994. ISBN 3-7965-0953-3
* [[Rudolf Steiner]]: ''Aus der Akasha-Forschung. Das Fünfte Evangelium'', [[GA 148]] (1992), ISBN 3-7274-1480-4 {{Vorträge|148}}
* [[Wikipedia:Carl Joachim Classen|Carl Joachim Classen]]: ''Der platonisch-stoische Kanon der Kardinaltugenden bei Philon, Clemens Alexandrinus und Origenes'', in: ''Kerygma und Logos'', hrsg. Adolf Martin Ritter, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1979, S. 68-88. ISBN 3-525-55369-2
* [[Rudolf Steiner]]: ''Innere Entwicklungsimpulse der Menschheit. Goethe und die Krisis des neunzehnten Jahrhunderts'', [[GA 171]] (1984), ISBN 3-7274-1710-2 {{Vorträge|171}}
* Albrecht Dihle: ''Der Kanon der zwei Tugenden'', Westdeutscher Verlag, Köln 1968
* [[Rudolf Steiner]]: ''Mysterienwahrheiten und Weihnachtsimpulse. Alte Mythen und ihre Bedeutung'', [[GA 180]] (1980), ISBN 3-7274-1800-1 {{Vorträge|180}}
* Sibylle Mähl: ''Quadriga virtutum. Die Kardinaltugenden in der Geistesgeschichte der Karolingerzeit'', Böhlau, Köln 1969
* [[Rudolf Steiner]]: ''Die Brücke zwischen der Weltgeistigkeit und dem Physische des Menschen'', [[GA 202]] (1993), ISBN 3-7274-2020-0 {{Vorträge|202}}
* [[Wikipedia:Josef Pieper|Josef Pieper]]: ''Das Viergespann – Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Maß''. München 1998. ISBN 3-466-40171-2.
* [[Wikipedia:Eduard Schwartz|Eduard Schwartz]]: ''Ethik der Griechen'', Koehler, Stuttgart 1951
* [[Rudolf Steiner]]: ''Das Geheimnis des Todes. Wesen und Bedeutung Mitteleuropas und die europäischen Volksgeister'', [[GA 159]] [GA 159/160] (1980), ISBN 3-7274-1590-8 {{Vorträge|159}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Das Rätsel des Menschen. Die geistigen Hintergründe der menschlichen Geschichte'', [[GA 170]] (1992), ISBN 3-7274-1700-5 {{Vorträge|170}}
* [[Joachim Stiller]]: [http://joachimstiller.de/download/philosophie_tugenden.pdf Über die Tugenden] PDF
* [[Joachim Stiller]]: [http://joachimstiller.de/download/philosophie_religion_christliche_tugenden.pdf Die christlichen Tugenden - Eine Lehrschrift]
* [[Joachim Stiller]]: [http://joachimstiller.de/download/philosophie_religion_goettliche_tugenden.pdf Glaube, Liebe, Hoffnung - Eine Streitschrift] PDF


{{GA}}
{{GA}}


== Einzelanchweise ==
== Weblinks ==
<references />
{{Commonscat|Sais, Egypt|Sais}}
* [http://books.google.at/books?id=IcpOTDlUz1gC&hl=de&pg=PA14#v=onepage&q&f=false Plutarch: ''Über Jsis und Osiris''] - mit Übersetzung und Erläuterungen herausgegeben von Gustav Parthey (1850)
* {{Zeno-Werk|Literatur/M/Schiller,+Friedrich/Gedichte/Gedichte+(1789-1805)/Das+verschleierte+Bild+zu+Sais|Das verschleierte BIld zu Sais|[[Friedrich Schiller]]}}
* {{Zeno-Werk|Literatur/M/Schiller,+Friedrich/Theoretische+Schriften/Vom+Erhabenen|Vom Erhabenen|[[Friedrich Schiller]]}}
* {{PGDW|3319/1|Die Sendung Moses|[[Friedrich Schiller]]}}
* {{Zeno-Werk|Literatur/M/Novalis/Romane/Die+Lehrlinge+zu+Sais/2.+Die+Natur|Die Lehrlinge zu Sais: Die Natur|[[Novalis]]}}
 
== Einzelnachweise ==
<references/>


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[[Kategorie:Tugend|201]]
{{Wikipedia}}

Version vom 24. November 2020, 19:28 Uhr

Isis in Hieroglyphen
meistens nur
stt
H8

Ast / Aset
3st
Sitz, Thron
oder
mit Determinativ
stt
H8
C10
Isis mit Was-Zepter und Anch-Zeichen
Die Ruinen von Sais im Nildelta (1855)
Skulptur Das verschleierte Bild zu Saïs im Park Luisium, einem Teil des Dessau-Wörlitzer Gartenreichs.
Frontispiz zu Gerhard Blasius: Anatome Animalium,1681. Eine Priesterin enthüllt dem entsprechend vorbereiteten Adepten die verschleierte Göttin.
Friedrich Schiller
Porträt von Anton Graff, um 1790
Novalis um 1799
Porträt von Franz Gareis
Helena Petrovna Blavatsky (1877)

Das verschleierte Bild zu Sais wird in den Moralischen Schriften, «Über Isis und Osiris» des Plutarch (um 45 in Chaironeia; † um 125) erwähnt.

Die altägyptische, im westlichen Nildelta gelegene Stadt Sais (auch Saïs, griech. Σάϊς; altägyptisch Sau, Zau, heute arab. صا الحجر Sa al-Hagar, DMG Ṣā al-Ḥaǧar) wird schon in Texten aus dem Alten Reich erwähnt und war nach den archäologischen Befunden schon um 4000 v. Chr. besiedelt. Psammetich I., der vermutlich aus Sais stammte und die 26. Dynastie begründete, die von 664 – 525 v. Chr. herrschte, machte Sais zur Hauptstadt Ägyptens.

Geschichtliches

Plutarch beschreibt die verschleierte Statue der Athene oder der Isis, die es in Sais gegeben haben soll, die folgende Aufschrift trug:

„In Sais hatte das Standbild der Athene, die man auch für die Isis hält, folgende Inschrift «ich bin das All, das Vergangene Gegenwärtige und Zukünftige, meinen Schleier hat noch kein Sterblicher gelüftet.»“

Plutarch: Über Isis und Osiris, C9[1]

Der Jüngling zu Sais soll verbotenerweise diesen Schleier gelüftet haben. Friedrich Schiller hat das Thema in dem Gedicht «Das verschleierte Bild zu Sais» [1] aufgegriffen und erwähnt es auch in seinen Vorlesungen über «Die Sendung Moses» und in seinem Aufsatz «Vom Erhabenen».

„Alles, was verhüllt ist, alles Geheimnisvolle, trägt zum Schrecklichen bei und ist deswegen der Erhabenheit fähig. Von dieser Art ist die Aufschrift, welche man zu Sais in Ägypten über dem Tempel der Isis las: »Ich bin alles, was ist, was gewesen ist und was sein wird. Kein sterblicher Mensch hat meinen Schleier aufgehoben.« – Eben dieses Ungewisse und Geheimnisvolle gibt den Vorstellungen der Menschen von der Zukunft nach dem Tode etwas Grauenvolles; diese Empfindungen sind in dem bekannten Selbstgespräch Hamlets sehr glücklich ausgedrückt.“

Friedrich Schiller: Vom Erhabenen [2]

„Da Ägypten der erste kultivierte Staat war, den die Geschichte kennt, und die ältesten Mysterien sich ursprünglich aus Ägypten herschreiben, so war es auch aller Wahrscheinlichkeit nach hier, wo die erste Idee von der Einheit des höchsten Wesens zuerst in einem menschlichen Gehirne vorgestellt wurde...

Da aber schon ein gewisses Maß von Kenntnissen und eine gewisse Ausbildung des Verstandes erfodert wird, die Idee eines einigen Gottes recht zu fassen und anzuwenden, da der Glaube an die göttliche Einheit Verachtung der Vielgötterei, welches doch die herrschende Religion war, notwendig mit sich bringen mußte, so begriff man bald, daß es unvorsichtig, ja gefählich sein würde, diese Idee öffentlich und allgemein zu verbreiten. Ohne vorher die hergebrachten Götter des Staats zu stürzen und sie in ihrer lächerlichen Blöße zu zeigen, konnte man dieser neuen Lehre keinen Eingang versprechen...

Mißlang hingegen der Versuch, die alten Götter zu stürzen, so hatte man den blinden Fanatismus gegen sich bewaffnet und sich einer tollen Menge zum Schlachtopfer preisgegeben. Man fand also für besser, die neue gefährliche Wahrheit zum ausschließenden Eigentum einer kleinen geschlossenen Gesellschaft zu machen, diejenigen, welche das gehörige Maß von Fassungskraft dafür zeigten, aus der Menge hervorzuziehen und in den Bund aufzunehmen und die Wahrheit selbst, die man unreinen Augen entziehen wollte, mit einem geheimnisvollen Gewand zu umkleiden, das nur derjenige wegziehen könnte, den man selbst dazu fähig gemacht hätte.

Diese Zeremonien, mit jenen geheimnisvollen Bildern und Hieroglyphen verbunden, und die verborgenen Wahrheiten, welche in diesen Hieroglyphen versteckt lagen und durch jene Gebräuche vorbereitet wurden, wurden zusammengenommen unter dem Namen der Mysterien begriffen. Sie hatten ihren Sitz in den Tempeln der Isis und des Serapis und waren das Vorbild, wornach in der Folge die Mysterien in Eleusis und Samothrazien und in neuern Zeiten der Orden der Freimaurer sich gebildet hat.

Es scheint außer Zweifel gesetzt, daß der Inhalt der allerältesten Mysterien in Heliopolis und Memphis, während ihres unverdorbenen Zustands, Einheit Gottes und Widerlegung des Paganismus war, und daß die Unsterblichkeit der Seele darin vorgetragen wurde. Diejenigen, welche dieser wichtigen Aufschlüsse teilhaftig waren, nannten sich Anschauer oder Epopten, weil die Erkennung einer vorher verborgenen Wahrheit mit dem Übertritt aus der Finsternis zum Lichte zu vergleichen ist, vielleicht auch darum, weil sie die neuerkannten Wahrheiten in sinnlichen Bildern wirklich und eigentlich anschauten.

Zu dieser Anschauung konnten sie aber nicht auf einmal gelangen, weil der Geist erst von manchen Irrtümern gereinigt, erst durch mancherlei Vorbereitungen gegangen sein mußte, ehe er das volle Licht der Wahrheit ertragen konnte. Es gab also Stufen oder Grade, und erst im innern Heiligtum fiel die Decke ganz von ihren Augen.

Die Epopten erkannten eine einzige höchste Ursache aller Dinge, eine Urkraft der Natur, das Wesen aller Wesen, welches einerlei war mit dem Demiurgos der griechischen Weisen. Nichts ist erhabener als die einfache Größe, mit der sie von dem Weltschöpfer sprachen. Um ihn auf eine recht entscheidende Art auszuzeichnen, gaben sie ihm gar keinen Namen. »Ein Name«, sagten sie, »ist bloß ein Bedürfnis der Unterscheidung, wer allein ist, hat keinen Namen nötig, denn es ist keiner da, mit dem er verwechselt werden könnte.« Unter einer alten Bildsäule der Isis las man die Worte: » Ich bin, was da ist«, und auf einer Pyramide zu Sais fand man die uralte merkwürdige Inschrift: »Ich bin alles, was ist, was war und was sein wird, kein sterblicher Mensch hat meinen Schleier aufgehoben.« Keiner durfte den Tempel des Serapis betreten, der nicht den Namen Jao - oder J-ha-ho, ein Name, der mit dem hebräischen Jehovah fast gleichlautend, auch vermutlich von dem nämlichen Inhalt ist - an der Brust oder Stirn trug; und kein Name wurde in Ägypten mit mehr Ehrfurcht ausgesprochen als dieser Name Jao. In dem Hymnus, den der Hierophant oder Vorsteher des Heiligtums dem Einzuweihenden vorsang, war dies der erste Aufschluß, der über die Natur der Gottheit gegeben wurde: »Er ist einzig und von ihm selbst, und diesem Einzigen sind alle Dinge ihr Dasein schuldig.«“

Friedrich Schiller: Die Sendung Moses [3]

Novalis verwendete das Motiv in seinem Märchen von «Hyacinth und Rosenblüthe», das den Kern seines unvollendeten Romans «Die Lehrlinge zu Sais» (1799) bildet. Im Traum lüftet der Jüngling Hyazinth den Schleier der Jungfrau - und findet seine geliebte Rosenblüte:

„Unter himmlischen Wohlgedüften entschlummerte er, weil ihn nur der Traum in das Allerheiligste führen durfte. Wunderlich führte ihn der Traum durch unendliche Gemächer voll seltsamer Sachen auf lauter reitzenden Klängen und in abwechselnden Accorden. Es dünkte ihm alles so bekannt und doch in niegesehener Herrlichkeit, da schwand auch der letzte irdische Anflug, wie in Luft verzehrt, und er stand vor der himmlischen Jungfrau, da hob er den leichten, glänzenden Schleyer, und Rosenblüthchen sank in seine Arme.“

Novalis: Die Lehrlinge zu Sais, 2. Die Natur [4]

«Isis entschleiert» (Isis Unveiled) ist auch der Titel des von Helena Petrovna Blavatsky am 29. September 1877 - also zu Michaeli - veröffentlichten Grundlagenwerks der Theosophie, das zugleich ihr aus geistiger Sicht bedeutsamstes Werk ist.

Über die Bedeutung dieser Isis-Legende sagt Rudolf Steiner:

"Sehen Sie, so schön ist das in dem Symbole beschrieben, das die Naturkraft in der ägyptischen Legende von der Isis ausdrückt. Dieses Isis-Bild, was für einen ergreifenden Eindruck macht es uns, wenn wir es uns vorstellen, wie es dasteht in Stein, aber in dem Stein zugleich der Schleier von oben bis unten: das verschleierte Bild zu Sais. Und die Inschrift trägt es: Ich bin die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft; meinen Schleier hat noch kein Sterblicher gelüftet. - Das hat wiederum zu einer ungemein gescheiten - obwohl sehr gescheite Leute diese gescheite Erklärung aufgenommen haben, muß es doch einmal gesagt werden -, zu einer sehr gescheiten Erklärung geführt. Man sagt da: Die Isis drückt also aus das Symbolum für die Weisheit, die vom Menschen nie erreicht werden kann. Hinter diesem Schleier ist eine Wesenheit, die ewig verborgen bleiben muß, denn der Schleier kann nicht gelüftet werden. - Und doch ist die Inschrift diese: Ich bin die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft; meinen Schleier hat noch kein Sterblicher gelüftet. - Alle die gescheiten Leute, die also sagen: Man kann das Wesen nicht ergründen - sie sagen logisch ungefähr dasselbe, wie wenn einer sagte: Ich heiße Müller; meinen Namen wirst du nie erfahren. - Es ist ganz genau dasselbe, was Sie immer über dieses Bild reden hören, wie wenn einer sagte: Ich heiße Müller; meinen Namen wirst du nie erfahren.-Wenn man das: Ich bin die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft; meinen Schleier hat noch kein Sterblicher gelüftet - so auslegt, ist natürlich diese Auslegung ein völliger Unsinn. Denn es steht ja da, was die Isis ist: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft - die dahinfließende Zeit! Wir werden morgen noch genauer über diese Dinge reden. Es ist die dahinfließende Zeit. Aber ganz etwas anderes, als was diese sogenannte geistvolle Erklärung will, ist ausgedrückt in den Worten: Meinen Schleier hat noch kein Sterblicher gelüftet. - Ausgedrückt ist, daß man dieser Weisheit sich nähern muß wie denjenigen Frauen, die den Schleier genommen hatten, deren Jungfräulichkeit bestehen bleiben mußte: in Ehrfurcht, mit einer Gesinnung, die alle egoistischen Triebe ausschließt. Das ist gemeint. Sie ist wie eine verschleierte Nonne, diese Weisheit früherer Zeit. Auf die Gesinnung wird hingedeutet durch das Sprechen von diesem Schleier." (Lit.: GA 171, S. 166)

Es gibt aber noch einen weiteren, tiefer gehenden Aspekt:

"Wenn wir noch einmal zurücksehen auf die Zeit der Menschheitsentwickelung vor dem Mysterium von Golgatha, so müssen wir sagen: Damals hatte die Menschenseele ein altes Erbgut aus der Zeit, da sie aus den geistigen Höhen herunterstieg zu irdischen Inkarnationen. Dieses Erbgut bewahrte sie sich von Inkarnation zu Inkarnation weiter. Daher gab es in jenen Zeiten ein altes Hellsehen, das nach und nach abflutete, immer schwächer und schwächer wurde. Je weiter die Inkarnationen vorschritten, desto schwächer wurde das abflutende alte Hellsehen. Woran war das alte Hellsehen gebunden? Es war gebunden an das, woran auch das äußere Wahrnehmen mit Augen und Ohren gebunden ist, an das, was eben der Mensch in der äußeren Welt ist. Bei den Menschen vor dem Mysterium von Golgatha war es so, daß sie wie Kinder heranwuchsen: sie lernten gehen, sprechen, und sie lernten selbstverständlich, solange die elementaren Kräfte im Sinne des alten Hellsehens noch da waren, auch hellsehen. Sie lernten es wie etwas, was sich ergab im Umgange mit der Menschheit, so wie es sich ergab im Umgange mit der Menschheit, daß man durch die Organisation des Kehlkopfes das Sprechen lernte. Man blieb aber nicht beim Sprechenlernen stehen, sondern schritt vor zu dem elementaren Hellsehen. Dieses elementare Hellsehen war gebunden an die gewöhnliche menschliche Organisation so, wie die menschliche Organisation drinnenstand in der physischen Welt; es mußte also notwendigerweise das Hellsehen auch den Charakter der menschlichen Organisation annehmen. Ein Mensch, der ein Wüstling war, konnte nicht eine reine Natur in sein Hellsehen hineinschieben; ein reiner Mensch konnte seine reine Natur auch in sein Hellsehen hineinschieben. Das ist ganz natürlich, denn es war das Hellsehen an die unmittelbare menschliche Organisation gebunden.

Eine notwendige Folge davon war, daß ein gewisses Geheimnis - das Geheimnis des Zusammenhanges zwischen der geistigen Welt und der physischen Erdenwelt -, das vor dem Herabstieg des Christus Jesus bestand, nicht für diese gewöhnliche menschheitliche Organisation enthüllt werden durfte. Es mußte die menschheitliche Organisation erst umgestaltet, erst reif gemacht werden. Der Jüngling von Sais durfte nicht ohne weiteres, von außen kommend, das Bild der Isis sehen." (Lit.: GA 148, S. 168f)

Die neue Isis

Siehe auch: Die neue Isis

Unser gegenwärtiges Bewusstseinsseelenzeitalter, in dem sich die ägyptisch-chaldäische Kultur in gewisser Weise spiegelt, bedarf einer neuen Isis-Legende. Seit sich der Christus auf Erden inkarniert hat und durch das Mysterium von Golgatha gegangen ist, weilt er unter uns. Er kann uns nicht so verloren gehen, wie einst den Ägyptern Osiris verloren ging. Der Christus ist mit uns, doch fehlt uns die göttliche Weisheit, ihn in seinem wahren Wesen zu erkennen. In der ägyptischen Zeit wirkte Luzifer im Inneren des Menschen und gerade deshalb sah er die äußere Welt in ahrimanischer Gestalt. Heute ist es gerade umgekehrt. Ahriman wirkt in unserem Inneren und darum ist unser äußeres Weltbild, wie es namentlich die Naturwissenschaften zeichnen, luziferisch. Uns ist die Isis-Sophia, verlorengegangen. Sie wurde durch Luzifer getötet. Heute müssen wir die neue Isis durch unser bewusstes Geistesstreben erwecken. Sehr ausführlich spricht Rudolf Steiner über diese neue Isis in einem am 6. Januar 1918 in Dornach gehaltenen Vortrag, und zeigt, wie das verschleierte Bild zu Sais nun eine Gestalt annimmt. Er spricht hier ...

„... von jenem wichtigen inneren Impuls, der an die Menschenseele herantreten muß, wenn die Menschenseele das finden soll, was sie für die Zukunft so notwendig hat, was allein eine ganze, volle Ergänzung dessen sein kann, was die Naturwissenschaft auf der einen Seite bringt. Dann werden Sie sehen, warum an die Seite der alten Osiris-Isismythe die neue Isismythe treten kann, und warum für den Menschen der Gegenwart beide zusammen notwendig sind; warum hinzugefügt werden muß zu den Worten, die vom alten Ägypten herüberklingen vom Standbilde zu Sais: Ich bin das All, ich bin die Vergangenheit, die Gegenwart, die Zukunft; meinen Schleier hat noch kein Sterblicher gelüftet -, warum hineintönen muß in diese Worte ein anderes, warum heute diese Worte nicht mehr einseitig nur an die menschliche Seele heranklingen dürfen, sondern dazu klingen müssen die Worte: Ich bin der Mensch. Ich bin die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Meinen Schleier sollte jeder Sterbliche lüften.“ (Lit.:GA 180, S. 189)

Siehe auch

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Weblinks

Commons: Sais - Weitere Bilder oder Audiodateien zum Thema

Einzelnachweise