Niklas Luhmann und Das verschleierte Bild zu Sais: Unterschied zwischen den Seiten

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'''Niklas Luhmann''' (* 8. Dezember 1927 in Lüneburg; † 6. November 1998 in Oerlinghausen) war ein deutscher [[wikipedia:Soziologe|Soziologe]] und [[wikipedia:Gesellschaftstheorie|Gesellschaftstheoretiker]]. Als einer der Begründer der [[wikipedia:Soziologische Systemtheorie|soziologischen Systemtheorie]] zählt Luhmann zu den herausragenden Klassikern der [[wikipedia:Sozialwissenschaften|Sozialwissenschaften]] im 20. Jahrhundert.
{{Infobox Ägyptische Gottheit
|TITEL = Isis
|NAME-ERWEITERT = meistens nur
|NAME = <hiero>st-t:H8</hiero>
|NAME-ERKLÄRUNG = Ast / Aset<br /> ''{{Unicode|3}}st''<br /> ''Sitz, Thron''
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[[Datei:LOWTH(1855) - 1.006 RUINS OF SAIS IN THE DELTA.jpg|mini|290px|Die Ruinen von Sais im Nildelta (1855)]]
[[Datei:Dessau,Luisium,Das verschleierte Bild zu Saïs.jpg|mini|290px|Skulptur ''Das verschleierte Bild zu Saïs'' im Park [[w:Luisium|Luisium]], einem Teil des [[w:Dessau-Wörlitzer Gartenreich|Dessau-Wörlitzer Gartenreich]]s.]]
[[Datei:Anatome Animalium frontispiece.jpg|mini|290px|Frontispiz zu [[w:Gerhard Blasius|Gerhard Blasius]]: ''Anatome Animalium'',1681. Eine Priesterin enthüllt dem entsprechend vorbereiteten Adepten die verschleierte Göttin.]]
[[Datei:Anton Graff - Friedrich Schiller.jpg|miniatur|200px|[[Friedrich Schiller]]<br />Porträt von [[Wikipedia:Anton Graff|Anton Graff]], um 1790]]
[[Datei:Franz Gareis - Novalis.jpg|miniatur|200px|[[Novalis]] um 1799<br />Porträt von [[Wikipedia:Franz Gareis|Franz Gareis]]]]
[[Datei:hpb.jpg|miniatur|200px|[[Helena Petrovna Blavatsky]] (1877)]]


== Wissenschaftlicher Werdegang ==
'''Das verschleierte Bild zu Sais''' wird in den ''Moralischen Schriften'', «Über Isis und Osiris» des [[Plutarch]] (um [[Wikipedia:45|45]] in [[Wikipedia:Chaironeia|Chaironeia]]; † um [[Wikipedia:45|125]]) erwähnt.  
Luhmann studierte von 1946 bis 1949 Rechtswissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, mit einem Schwerpunkt auf  römischem Recht. Es folgte bis 1953 eine Referendarausbildung in Lüneburg. 1954 bis 1962 war er Verwaltungsbeamter in Lüneburg, 1954 bis 1955 am Oberverwaltungsgericht Lüneburg Assistent des Präsidenten. In dieser Zeit begann er auch mit dem Aufbau seiner [[wikipedia:Zettelkasten|Zettelkästen]].
1960/1961 erhielt Luhmann ein Fortbildungs-Stipendium für die Harvard-Universität, das er nach seiner Beurlaubung wahrnehmen konnte. Dort kam er in Kontakt mit [[Talcott Parsons]] und dessen [[wikipedia:Strukturfunktionalismus|strukturfunktionaler]] [[wikipedia:Systemtheorie#Systemtheorie bei Parsons|Systemtheorie]]. Nach seiner Tätigkeit als Referent an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer von 1962 bis 1965 und als Abteilungsleiter an der Sozialforschungsstelle an der Universität Münster in Dortmund von 1965 bis 1968 (1965/66 daneben ein Semester Studium der Soziologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster (Westfalen)) promovierte er dort 1966 zum Dr.sc.pol. (Doktor der Sozialwissenschaften) mit dem bereits 1964 erschienenen Buch ''Funktionen und Folgen formaler Organisation''. Fünf Monate später habilitierte] er sich bei [[wikipedia:Dieter Claessens|Dieter Claessens]] und [[wikipedia:Helmut Schelsky|Helmut Schelsky]] mit ''Recht und Automation in der öffentlichen Verwaltung. Eine verwaltungswissenschaftliche Untersuchung''. Mit seiner Berufung 1968 wurde Luhmann der erste Professor der Universität Bielefeld. Dort trug er zum Aufbau der ersten soziologischen Fakultät im deutschsprachigen Raum bei, lehrte und forschte bis zu seiner Emeritierung 1993.<ref>{{Literatur|Autor=Niklas Luhmann |Titel=„Was ist der Fall?” und „Was steckt dahinter?” Die zwei Soziologien und die Gesellschaftstheorie |Ort=Bielefeld |Jahr=1993 |Seiten=3}}</ref>


== Die funktional-strukturelle Systemtheorie Luhmanns bis 1975 ==
Die [[Altes Ägypten|altägyptische]], im westlichen [[Wikipedia:Nildelta|Nildelta]] gelegene Stadt '''Sais''' (auch '''Saïs''', {{ELSalt|Σάϊς}}; [[Altägyptische Sprache|altägyptisch]] '''Sau, Zau''', heute {{arS|صا الحجر|d=Ṣā al-Ḥaǧar|w=Sa al-Hagar}}) wird schon in Texten aus dem [[Wikipedia:Altes Reich|Alten Reich]] erwähnt und war nach den [[Archäologie|archäologischen]] Befunden schon um 4000&nbsp;v.&nbsp;Chr. besiedelt. [[Wikipedia:Psammetich I.|Psammetich I.]], der vermutlich aus Sais stammte und die [[Wikipedia:26. Dynastie|26. Dynastie]] begründete, die von 664 – 525&nbsp;v.&nbsp;Chr. herrschte, machte Sais zur Hauptstadt [[Ägypten]]s.
Ein wesentliches Kennzeichen der luhmannschen Systemtheorie dieser Zeit (der Grundbegriff ist hier für ihn noch die soziale Handlung, im Gegensatz zu seiner späteren Systemtheorie, wo Systeme aus Kommunikationen bestehen) ist eine Umstellung im funktionalistischen Paradigma. [[Parsons]] Systemtheorie war ein Strukturfunktionalismus, Strukturen oder Systeme nehmen Funktionen für ein übergeordenetes System wahr, dienen der Strukturerhaltung. Luhmann kritisiert diese Sichtweise und entwickelt seine funktional-strukturelle Systemtheorie, in der Funktionen und deren Analyse eine andere Bedeutung bekommen als noch bei Parsons.


Neben dem Beitrag zur Systemerhaltung bezieht sich Funktionalität nun zusätzlich auf umweltbedingte Problemlösungsanforderungen in spezifischen Situationen. Die funktionale Analyse verlagert den Bezugspunkt der theoretischen Orientierung von den Strukturen auf die Funktionen. Funktionen sind nicht als "zu bewirkende Wirkung", sondern als "regulatives Sinnschema" zu fassen, das zu Zwecken der Bewältigung von Umwelteinwirkungen gebildet wird. Funktionen sind unter dem funktional-strukturellen Aspekt im wesentlichen Anpassungsleistungen an die Umwelt.<ref>Vgl. Gabor Kiss: Einführung in die soziologischen Theorien II, 3. Aufl. 1977, S. 321ff.</ref>
== Geschichtliches ==


Damit ist eine Wandlung des Systembegriffs verbunden, weg von der Vorstellung eines Systems als ein Ganzes mit seinen Teilen, hin zu der Vorstellung eines Systems in seiner Umwelt.
Plutarch beschreibt die verschleierte Statue der [[Athene]] oder der [[Isis]], die es in Sais gegeben haben soll, die folgende Aufschrift trug:


==== Handlung als Reduktion von Komplexität ====
{{Zitat|In Sais hatte das Standbild der Athene, die man auch für die Isis hält, folgende Inschrift «ich bin das All, das Vergangene Gegenwärtige und Zukünftige, meinen Schleier hat noch kein Sterblicher gelüftet.»|Plutarch|''Über Isis und Osiris'', C9<ref>[http://books.google.at/books?id=IcpOTDlUz1gC&hl=de&pg=PA14#v=onepage&q&f=false Plutarch: ''Über Jsis und Osiris'']</ref>}}
Soziales Handeln ist für Luhmann zwar weiter wie für [[Max Weber]] durch sinnhafte Bezogenheit auf fremdes Verhalten bestimmt, z.B. Verfolgung von Zielen unter Berücksichtigung der zu erwartenden Reaktionen anderer, stellt jedoch wesentlich eine Reduktionsleistung dar:


"Für Luhmann ist Handlung Reduktion, d.h. ein Ergebnis jener Selektionsleistungen, die soziologisch nicht [[wikipedia:soziologische Handlungstheorie|handlungstheoretisch]], sondern immer nur systemtheoretisch - d.h. in Handlungs''systemen'' transparent gemacht werden können. (...) Das Faktum der Weltkomplexität macht eben im Interesse des Überlebens eine handlungsorientierende Überlebensstrategie erforderlich, deren grundlegendes Merkmal in der Reduktion dieser Komplexitäten besteht." (Gabor Kiss: 326f.)
Der [[Jüngling zu Sais]] soll verbotenerweise diesen Schleier gelüftet haben. [[Friedrich Schiller]] hat das Thema in dem Gedicht «Das verschleierte Bild zu Sais» [http://www.zeno.org/Literatur/M/Schiller,+Friedrich/Gedichte/Gedichte+%281789-1805%29/Das+verschleierte+Bild+zu+Sais] aufgegriffen und erwähnt es auch in seinen Vorlesungen über «[[Die Sendung Moses]]» und in seinem Aufsatz «[[Vom Erhabenen]]».  


Luhmanns Begriff von Komplexität darf nicht mit "Kompliziertheit" verwechselt werden. Kompliziert wären z.B. schwierig zu verstehende Handlungen anderer, weil man deren Motive und Rücksichten nicht ohne weiteres durchschaut, die aber ansonsten als ein so gegebenes, wenn auch unverstandenes, vorliegen. Komplexität bezieht sich auf die Freiheitsgrade des Handelns anderer. Man kann nicht im voraus wissen, wie andere Menschen handeln werden, darin besteht die Komplexität des Sozialen, und soziale Systeme haben die Funktion, Erwartbarkeit herzustellen.
{{Zitat|Alles, was verhüllt ist, alles Geheimnisvolle, trägt zum Schrecklichen bei und ist deswegen der Erhabenheit fähig. Von dieser Art ist die Aufschrift, welche man zu Sais in Ägypten über dem Tempel der Isis las: »Ich bin alles, was ist, was gewesen ist und was sein wird. Kein sterblicher Mensch hat meinen Schleier aufgehoben.« – Eben dieses Ungewisse und Geheimnisvolle gibt den Vorstellungen der Menschen von der Zukunft nach dem Tode etwas Grauenvolles; diese Empfindungen sind in dem bekannten Selbstgespräch Hamlets sehr glücklich ausgedrückt.|Friedrich Schiller|''Vom Erhabenen'' [http://www.zeno.org/Literatur/M/Schiller,+Friedrich/Theoretische+Schriften/Vom+Erhabenen]}}


==== Luhmanns Begriff des sozialen Systems ====
{{Zitat|Da Ägypten der erste kultivierte Staat war, den die Geschichte kennt, und die ältesten Mysterien sich ursprünglich aus Ägypten herschreiben, so war es auch aller Wahrscheinlichkeit nach hier, wo die erste Idee von der Einheit des höchsten Wesens zuerst in einem menschlichen Gehirne vorgestellt wurde...<br><br>
"Mit dem Begriff soziales System soll ein ... Sinnzusammenhang von sozialen Handlungen bezeichnet werden, die, durch wechselseitige Erwartbarkeit verknüpft, aufeinander verweisen, ihre Selektivität wechselseitig bestimmen und dadurch von einer nicht dazugehörenden Umwelt abgrenzbar sind." (Luhmann, Bielefelder Manuskripte, 1974, S. 28, zit. nach Gabor Kiss: S. 333)
Da aber schon ein gewisses Maß von Kenntnissen und eine gewisse Ausbildung des Verstandes erfodert wird, die Idee eines einigen Gottes recht zu fassen und anzuwenden, da der Glaube an die göttliche Einheit Verachtung der Vielgötterei, welches doch die herrschende Religion war, notwendig mit sich bringen mußte, so begriff man bald, daß es unvorsichtig, ja gefählich sein würde, diese Idee öffentlich und allgemein zu verbreiten. Ohne vorher die hergebrachten Götter des Staats zu stürzen und sie in ihrer lächerlichen Blöße zu zeigen, konnte man dieser neuen Lehre keinen Eingang versprechen...<br><br>
Mißlang hingegen der Versuch, die alten Götter zu stürzen, so hatte man den blinden Fanatismus gegen sich bewaffnet und sich einer tollen Menge zum Schlachtopfer preisgegeben. Man fand also für besser, die neue gefährliche Wahrheit zum ausschließenden Eigentum einer kleinen geschlossenen Gesellschaft zu machen, diejenigen, welche das gehörige Maß von Fassungskraft dafür zeigten, aus der Menge hervorzuziehen und in den Bund aufzunehmen und die Wahrheit selbst, die man unreinen Augen entziehen wollte, mit einem geheimnisvollen Gewand zu umkleiden, das nur derjenige wegziehen könnte, den man selbst dazu fähig gemacht hätte.<br><br>
Diese Zeremonien, mit jenen geheimnisvollen Bildern und Hieroglyphen verbunden, und die verborgenen Wahrheiten, welche in diesen Hieroglyphen versteckt lagen und durch jene Gebräuche vorbereitet wurden, wurden zusammengenommen unter dem Namen der Mysterien begriffen. Sie hatten ihren Sitz in den Tempeln der Isis und des Serapis und waren das Vorbild, wornach in der Folge die Mysterien in Eleusis und Samothrazien und in neuern Zeiten der Orden der Freimaurer sich gebildet hat.<br><br>
Es scheint außer Zweifel gesetzt, daß der Inhalt der allerältesten Mysterien in Heliopolis und Memphis, während ihres unverdorbenen Zustands, Einheit Gottes und Widerlegung des Paganismus war, und daß die Unsterblichkeit der Seele darin vorgetragen wurde. Diejenigen, welche dieser wichtigen Aufschlüsse teilhaftig waren, nannten sich Anschauer oder [[Epopten]], weil die Erkennung einer vorher verborgenen Wahrheit mit dem Übertritt aus der Finsternis zum Lichte zu vergleichen ist, vielleicht auch darum, weil sie die neuerkannten Wahrheiten in sinnlichen Bildern wirklich und eigentlich anschauten.<br><br>
Zu dieser Anschauung konnten sie aber nicht auf einmal gelangen, weil der Geist erst von manchen Irrtümern gereinigt, erst durch mancherlei Vorbereitungen gegangen sein mußte, ehe er das volle Licht der Wahrheit ertragen konnte. Es gab also Stufen oder Grade, und erst im innern Heiligtum fiel die Decke ganz von ihren Augen.<br><br>
Die Epopten erkannten eine einzige höchste Ursache aller Dinge, eine Urkraft der Natur, das Wesen aller Wesen, welches einerlei war mit dem Demiurgos der griechischen Weisen. Nichts ist erhabener als die einfache Größe, mit der sie von dem Weltschöpfer sprachen. Um ihn auf eine recht entscheidende Art auszuzeichnen, gaben sie ihm gar keinen Namen. »Ein Name«, sagten sie, »ist bloß ein Bedürfnis der Unterscheidung, wer allein ist, hat keinen Namen nötig, denn es ist keiner da, mit dem er verwechselt werden könnte.« Unter einer alten Bildsäule der Isis las man die Worte: » Ich bin, was da ist«, und auf einer Pyramide zu Sais fand man die uralte merkwürdige Inschrift: »Ich bin alles, was ist, was war und was sein wird, kein sterblicher Mensch hat meinen Schleier aufgehoben.« Keiner durfte den Tempel des Serapis betreten, der nicht den Namen Jao - oder J-ha-ho, ein Name, der mit dem hebräischen Jehovah fast gleichlautend, auch vermutlich von dem nämlichen Inhalt ist - an der Brust oder Stirn trug; und kein Name wurde in Ägypten mit mehr Ehrfurcht ausgesprochen als dieser Name Jao. In dem Hymnus, den der Hierophant oder Vorsteher des Heiligtums dem Einzuweihenden vorsang, war dies der erste Aufschluß, der über die Natur der Gottheit gegeben wurde: »Er ist einzig und von ihm selbst, und diesem Einzigen sind alle Dinge ihr Dasein schuldig.«|Friedrich Schiller|''Die Sendung Moses'' [http://gutenberg.spiegel.de/buch/3319/1]}}


"Soziale Systeme können wie alle Systeme begriffen werden als strukturierte Beziehungsgefüge, die bestimmte Möglichkeiten festlegen und andere ausschließen. Ihre Besonderheit besteht darin, daß sie aus sozialen Handlungen gebildet werden, das heißt aus Handlungen, denen ein Sinnbezug auf das Handeln anderer Menschen immanent ist. Solche Sinnbeziehungen werden durch soziale Systeme in einer übermäßig komplexen unübersehbaren und unbeherrschbaren Umwelt relativ einfach und relativ invariant gehalten. Ein soziales System reduziert mithin die äußerste Komplexität seiner Umwelt auf bestimmte, oder doch bestimmbare, ausgewählte Handlungsmöglichkeiten und kann dadurch zwischenmenschliches Handeln sinnhaft orientieren. Das ist seine Funktion. Es muß um dieser Funktion willen einen Weltausschnitt gegen laufende Bedrohung durch andere Möglichkeiten verteidigen, zum Beispiel durch Institutionalisierung von Werten oder durch Normierung von Verhaltenserwartungen. Das ist seine Problematik. Dabei steht für soziale Systeme die soziale Komplexität im Vordergrund, die darin begründet ist, daß der andere Mensch anders erleben, anders erwarten, anders handeln kann, als in dem je eigenen Kontext des Erlebens und Handelns sinnvoll wäre." (Luhmann, Gesellschaftliche Organisation, in: Erziehungswissenschaftliches Handbuch, hrsg. Th. Ellwein, H. Groothoff u.a., Berlin 1969, I, (S. 387 - 405), S. 392. Zitiert nach Gabor Kiss: S. 333)
[[Novalis]] verwendete das Motiv in seinem [[Märchen]] von «Hyacinth und Rosenblüthe», das den Kern seines unvollendeten [[Wikipedia:Roman|Roman]]s «[[Die Lehrlinge zu Sais]]» (1799) bildet. Im [[Traum]] lüftet der Jüngling ''Hyazinth'' den Schleier der Jungfrau - und findet seine geliebte ''Rosenblüte'':


==== Interaktionen, Organisationen und Gesellschaft als soziale Systeme ====
{{Zitat|Unter himmlischen Wohlgedüften entschlummerte er, weil ihn nur der Traum in das Allerheiligste führen durfte. Wunderlich führte ihn der Traum durch unendliche Gemächer voll seltsamer Sachen auf lauter reitzenden Klängen und in abwechselnden Accorden. Es dünkte ihm alles so bekannt und doch in niegesehener Herrlichkeit, da schwand auch der letzte irdische Anflug, wie in Luft verzehrt, und er stand vor der himmlischen Jungfrau, da hob er den leichten, glänzenden Schleyer, und Rosenblüthchen sank in seine Arme.|Novalis|''Die Lehrlinge zu Sais, 2. Die Natur'' [http://www.zeno.org/Literatur/M/Novalis/Romane/Die+Lehrlinge+zu+Sais/2.+Die+Natur]}}
Durch die Popularisierung von sozialwissenschaftlichen Begriffen, wie dem des sozialen Systems, denkt man zu "System" gewöhnlich an größere Einheiten, wie dem Wirtschaftsystem etwa. Aus systemtheoretischer Sicht ist jedoch eine jede Organisation, wie z.B. eine [[Waldorfschule]], ein soziales System.


Das Handlungssystem [[Parsons]] ist zwar das übergeordnete "Großeganze", aber gleichzeitig auch die einzelne Handlung eines Individuums, als systemischer Vorgang betrachtet. Zur sozialen Systembildung kommt es bereits auf der Ebene der [[wikipedia:Interaktion|Interaktion]]. Dies wird von Luhmann am Beipiel der [[wikipedia:Doppelte Kontingenz|Doppelten Kontingenz]] erörtert. Bei der Begegnung von sich bisher unbekannten Ego und Alter, oder in neuen Situationen, für die es keine Rezepte gibt, entsteht die Situation einer völligen Offenheit, was zu tun ist, etwa einen Smalltalk beginnen. Sobald jedoch das Gespräch in Gang kommt, verringert sich die Kontingenz, es bildet sich ein Interaktionssystem, weil Ego und Alter sich aufeinander einstellen, und es im Fortlauf der Interaktionen eine stabilisierende Einschränkung stattfindet, was weiter folgen kann. Dies ist die Komplexitätsreduktion, von der Luhmann annimmt, daß soziales Handeln wesentlich durch sie bestimmt ist.
«[[Isis entschleiert]]» (''[[WikipediaEN:Isis Unveiled|Isis Unveiled]]'') ist auch der Titel des von [[Helena Petrovna Blavatsky]] am [[Wikipedia:29. September|29. September]] [[Wikipedia:1877|1877]] - also zu [[Michaeli]] - veröffentlichten Grundlagenwerks der [[Theosophie]], das zugleich ihr aus geistiger Sicht bedeutsamstes Werk ist.


Komplexität bezieht sich mehr auf Wahrnehmung und Erleben, Kontingenz auf mögliche Alternativen der Selektion. Indem das handelnde Individuum die Kontingenz einschränkt und Komplexität reduziert, ist es zusammen mit anderen sozialen Individuen Stifter der sozialen Systeme, angefangen bei den Interaktionen, über Institutionen und Organisationen bis zum System der Gesellschaft. Die Gesellschaft als System ist aus Handeln aufgebaut, bzw. dem, was als Handeln ''erwartbar'' ist. Die Erwartbarkeit des Handelns ist ein wesentliches Element von Handlungssystemen. Von einem Lehrer einer Waldorfschule erwartet man anderes Verhalten als von einem Schüler.
Über die [[Bedeutung]] dieser Isis-Legende sagt [[Rudolf Steiner]]:


Aus solcher systemtheoretischen Sicht findet Soziales generell im Rahmen von Systemen statt. Es gibt kein soziales Handeln außerhalb solcher Systeme, oder wenn es solches soziales Handeln gibt, dann ist mit ihm die System''bildung'' gegeben. Dieser Systemcharakter des sozialen Handelns zeigt sich in der modernen Gesellschaft als stark gesteigert, die moderne Gesellschaft ist ''organisiert'', weshalb Soziologen auch von der modernen Gesellschaft als einer [[wikipedia:Organisationsgesellschaft|Organisationsgesellschaft]] sprechen.
Dies ist auch ein Thema eines Interviews mit [[Konrad Schily]] 2010 gewesen:
<div style="margin-left:20px">
<div style="margin-left:20px">
"''Thomas Brunner'': Da kann ich ganz gut anschließen mit der nächsten Frage. Wir gehen über in grundsätzliche Fragestellungen. [[Pestalozzi]] unterscheidet, ganz deutlich zwischen individueller Existenz und kollektiver Existenz und er sagt, der Mensch wird entwurzelt, wenn er in seinem Bildungsweg in ein generalisiertes, verallgemeinertes System verpflanzt wird. Also deswegen ist er ja erst mal auch ein Gegner von organisierter Schule. Der Soziologe Niklas Luhmann hingegen, nennt diese ganze idealistische Zeit einen moralischen Mythos. Er sagt, das sind schöne Ideale. Heute gelte es, in den modernen komplexen Gesellschaften aber, eine adäquate Wahrheitstheorie zu entwickeln, also nicht mehr die Vernunft des Individuums solle zur Wirksamkeit kommen, sondern eine adäquate, die sich nicht mehr durch die menschliche Unmittelbarkeit definiert, sondern grundsätzlich im Sinne eines generalisierenden und abstrakten Codes von Regeln.
"Sehen Sie, so schön ist das in dem Symbole beschrieben, das die
Naturkraft in der ägyptischen Legende von der Isis ausdrückt. Dieses
Isis-Bild, was für einen ergreifenden Eindruck macht es uns, wenn wir
es uns vorstellen, wie es dasteht in Stein, aber in dem Stein zugleich
der Schleier von oben bis unten: das verschleierte Bild zu Sais. Und die
Inschrift trägt es: Ich bin die Vergangenheit, die Gegenwart und die
Zukunft; meinen Schleier hat noch kein Sterblicher gelüftet. - Das hat
wiederum zu einer ungemein gescheiten - obwohl sehr gescheite Leute
diese gescheite Erklärung aufgenommen haben, muß es doch einmal
gesagt werden -, zu einer sehr gescheiten Erklärung geführt. Man sagt
da: Die Isis drückt also aus das Symbolum für die Weisheit, die vom
Menschen nie erreicht werden kann. Hinter diesem Schleier ist eine
Wesenheit, die ewig verborgen bleiben muß, denn der Schleier kann
nicht gelüftet werden. - Und doch ist die Inschrift diese: Ich bin die
Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft; meinen Schleier hat
noch kein Sterblicher gelüftet. - Alle die gescheiten Leute, die also
sagen: Man kann das Wesen nicht ergründen - sie sagen logisch ungefähr
dasselbe, wie wenn einer sagte: Ich heiße Müller; meinen Namen
wirst du nie erfahren. - Es ist ganz genau dasselbe, was Sie immer über
dieses Bild reden hören, wie wenn einer sagte: Ich heiße Müller; meinen
Namen wirst du nie erfahren.-Wenn man das: Ich bin die Vergangenheit,
die Gegenwart und die Zukunft; meinen Schleier hat noch kein
Sterblicher gelüftet - so auslegt, ist natürlich diese Auslegung ein völliger
Unsinn. Denn es steht ja da, was die Isis ist: Vergangenheit, Gegenwart
und Zukunft - die dahinfließende Zeit! Wir werden morgen
noch genauer über diese Dinge reden. Es ist die dahinfließende Zeit.
Aber ganz etwas anderes, als was diese sogenannte geistvolle Erklärung
will, ist ausgedrückt in den Worten: Meinen Schleier hat noch kein
Sterblicher gelüftet. - Ausgedrückt ist, daß man dieser Weisheit sich
nähern muß wie denjenigen Frauen, die den Schleier genommen hatten,
deren Jungfräulichkeit bestehen bleiben mußte: in Ehrfurcht, mit einer
Gesinnung, die alle egoistischen Triebe ausschließt. Das ist gemeint. Sie
ist wie eine verschleierte Nonne, diese Weisheit früherer Zeit. Auf die
Gesinnung wird hingedeutet durch das Sprechen von diesem Schleier." {{Lit|{{G|171|166}}}}
</div>


''Konrad Schily'': Also es gibt nicht die Wahrheit, sondern es gibt die Vereinbarung.
Es gibt aber noch einen weiteren, tiefer gehenden Aspekt:


''Thomas Brunner'': Genau. Für Luhmann gibt es deshalb nur die Möglichkeit sich mit den bestehenden Systemen durch Kompromisse zu arrangieren. Realität haben für ihn nur der Markt und der Staat.
<div style="margin-left:20px">
"Wenn wir noch einmal zurücksehen auf die Zeit der Menschheitsentwickelung
vor dem Mysterium von Golgatha, so müssen wir sagen:
Damals hatte die Menschenseele ein altes Erbgut aus der Zeit, da sie
aus den geistigen Höhen herunterstieg zu irdischen Inkarnationen.
Dieses Erbgut bewahrte sie sich von Inkarnation zu Inkarnation weiter.
Daher gab es in jenen Zeiten ein altes Hellsehen, das nach und
nach abflutete, immer schwächer und schwächer wurde. Je weiter die
Inkarnationen vorschritten, desto schwächer wurde das abflutende alte
Hellsehen. Woran war das alte Hellsehen gebunden? Es war gebunden
an das, woran auch das äußere Wahrnehmen mit Augen und Ohren
gebunden ist, an das, was eben der Mensch in der äußeren Welt ist. Bei
den Menschen vor dem Mysterium von Golgatha war es so, daß sie wie
Kinder heranwuchsen: sie lernten gehen, sprechen, und sie lernten
selbstverständlich, solange die elementaren Kräfte im Sinne des alten
Hellsehens noch da waren, auch hellsehen. Sie lernten es wie etwas,
was sich ergab im Umgange mit der Menschheit, so wie es sich ergab
im Umgange mit der Menschheit, daß man durch die Organisation des
Kehlkopfes das Sprechen lernte. Man blieb aber nicht beim Sprechenlernen
stehen, sondern schritt vor zu dem elementaren Hellsehen. Dieses
elementare Hellsehen war gebunden an die gewöhnliche menschliche
Organisation so, wie die menschliche Organisation drinnenstand
in der physischen Welt; es mußte also notwendigerweise das
Hellsehen auch den Charakter der menschlichen Organisation annehmen.
Ein Mensch, der ein Wüstling war, konnte nicht eine reine Natur
in sein Hellsehen hineinschieben; ein reiner Mensch konnte seine reine
Natur auch in sein Hellsehen hineinschieben. Das ist ganz natürlich,
denn es war das Hellsehen an die unmittelbare menschliche Organisation
gebunden.


''Konrad Schily'': Ich halte den Luhmann für den Philosophen des Unwesentlichen, denn er macht ja alles Wesentliche zu einem Surrogat. Zu einem Vorgestellten. Und der Chomeni sagt, die Gemeinde in Allah ist einig und wer nicht einig ist, ist nicht bei Allah und den kann man umbringen. Und das macht der Westen auch. Der grenzt auch aus. Das ist die Vereinbarung. Ja, da gibt ´s mal Vereinbarungen hin und her. Also deutsche Rechtschreibung und so. Das ist dann wieder komisch. Aber manchmal ist es gar nicht komisch. Oder ich könnte auch sagen, Luhmann ist für mich jemand des „Dran vorbei“, ja? Ein Organismus ist etwas total anderes, als ein System. Aber alle Leute lieben heute das System. Das System tut. Na, das eignet sich wunderbar. Alle Moleküle versammeln sich im System und das System beschließt, ja? Das System beschließt also jetzt machen wir den aufrechten Menschen oder wir machen die Qualle oder so. Na, Unsinn ist das! Oder die Gehirnforscher sagen, das Gehirn überlegt. Ich sage, ja und heute Morgen kam ich ans Klavier. Da hat sich das Klavier Mozart überlegt. War wunderbar. Hab´s nur nicht gehört, weil da saß keiner, der Mozart spielt. Also da merkt man, wie man in die Täuschung gerät.
Eine notwendige Folge davon war, daß ein gewisses Geheimnis -
das Geheimnis des Zusammenhanges zwischen der geistigen Welt und
der physischen Erdenwelt -, das vor dem Herabstieg des Christus
Jesus bestand, nicht für diese gewöhnliche menschheitliche Organisation
enthüllt werden durfte. Es mußte die menschheitliche Organisation erst
umgestaltet, erst reif gemacht werden. Der Jüngling von Sais durfte
nicht ohne weiteres, von außen kommend, das Bild der Isis sehen." {{Lit|{{G|148|168f}}}}
</div>


''Ralf Gleide'': Ja, mal eine freie Frage dazwischen. Jetzt noch mal, wenn man jetzt unterscheidet: Individuelle Existenz und kollektive Existenz und sagen, wir sind mit dem Staat und mit den Verabredungen im Reich dieser kollektiven Existenz und im Geistesleben brauchen wir aber die Individualität mit ihrer Ursprünglichkeit, wie Sie das auch in Ihrem Buch nennen. Warum haben Sie vorhin davon gesprochen, dass es gegenüber der Klüngelei eine Aufsichtsfunktion des Staates braucht? Also warum sehen Sie den Staat als die Instanz an, die diese Aufsichtsfunktion übernehmen muss."<ref>Die Standardisierung ist genau das Mittel, um die Komplexität nicht mehr begreifbar zu machen, Konrad Schily, 8/2010          
== Die neue Isis ==


Thomas Brunner, Ralf Gleide und Clara Steinkellner im Gespräch mit Dr. Konrad Schily, Witten, 17.8.2010. Eine gekürzte Fassung ist in Die Drei, Ausgabe 2011/1 erschienen. zitiert nach [http://www.dreigliederung.de/essays/2010-08-001.html]</ref></div>
{{Siehe auch|Isis#Die neue Isis|titel1=Die neue Isis}}


Die erwähnten "Vereinbarungen" sind aber aus systemtheoretischer Sicht nur eine Variante von ''Erwartbarkeit''. In dem Ausschnitt des Interviews ist die Fragestellung mit der Unterscheidung von individueller vs. kollektiver Existenz scharf herausgestellt: Darf eine Waldorfschule ''organisiert'' sein, wenn sie ihren Auftrag einer freiheitlichen Erziehung wahrnehmen können soll? Und wenn ja, wie unterscheidet sich dann solche Organisation von der üblichen Organisationsweise? Nicht nur auf der großen Ebene der drei Teilbereiche der Gesellschaft ist diese Frage gestellt: Eine Waldorfschule als sozialer Organismus ist etwas total anderes als ein soziales System. (Sinngemäß K. Schily) ''(oder sollte es sein, wozu der Unterschied genauer zu bestimmen wäre.)
Unser gegenwärtiges [[Bewusstseinsseelenzeitalter]], in dem sich die [[ägyptisch-chaldäische Kultur]] in gewisser Weise spiegelt, bedarf einer [[Neue Isis-Legende|neuen Isis-Legende]]. Seit sich der [[Christus]] auf Erden inkarniert hat und durch das [[Mysterium von Golgatha]] gegangen ist, weilt er unter uns. Er kann uns nicht so verloren gehen, wie einst den Ägyptern [[Osiris]] verloren ging. Der [[Christus]] ist mit uns, doch fehlt uns die göttliche Weisheit, ihn in seinem wahren Wesen zu erkennen. In der ägyptischen Zeit wirkte Luzifer im Inneren des Menschen und gerade deshalb sah er die äußere Welt in [[ahriman]]ischer Gestalt. Heute ist es gerade umgekehrt. Ahriman wirkt in unserem Inneren und darum ist unser äußeres Weltbild, wie es namentlich die [[Naturwissenschaft]]en zeichnen, luziferisch. Uns ist die Isis-Sophia, verlorengegangen. Sie wurde durch [[Luzifer]] getötet. Heute müssen wir die [[neue Isis]] durch unser bewusstes Geistesstreben erwecken. Sehr ausführlich spricht [[Rudolf Steiner]] über diese neue Isis in einem am [[6. Januar]] [[1918]] in [[Dornach SO|Dornach]] gehaltenen Vortrag, und zeigt, wie das verschleierte Bild zu Sais nun eine Gestalt annimmt. Er spricht hier ...
''


Luhmann selbst liefert mit seiner späteren Umstellung des Grundbegriffs seiner Systemtheorie von Handlung auf Kommunikation einen Aspekt: Diese Umstellung erfolgt nicht, weil sie "wahrer" ist, sondern weil die Phänomene des Sozialen so besser faßbar und adäquater zu beschreiben seien, womit Luhmann keine objektive Wahrheit beansprucht, sondern die Sichtweise seiner neuen Systemtheorie als ihm gutdünkende Bewältigung von "Irritationen" aus "Struktureller Kopplung" ansieht. Gemäß der hier näher zu untersuchenden frühen Systemtheorie, bezieht sich das auf die Funktionaliät von System und Strukturen in ihrem Umweltbezug.
{{GZ|... von jenem wichtigen
inneren Impuls, der an die Menschenseele herantreten muß,
wenn die Menschenseele das finden soll, was sie für die Zukunft so
notwendig hat, was allein eine ganze, volle Ergänzung dessen sein
kann, was die Naturwissenschaft auf der einen Seite bringt.
Dann werden Sie sehen, warum an die Seite der alten Osiris-Isismythe
die neue Isismythe treten kann, und warum für den Menschen
der Gegenwart beide zusammen notwendig sind; warum hinzugefügt
werden muß zu den Worten, die vom alten Ägypten herüberklingen
vom Standbilde zu Sais: Ich bin das All, ich bin die Vergangenheit,
die Gegenwart, die Zukunft; meinen Schleier hat noch kein Sterblicher
gelüftet -, warum hineintönen muß in diese Worte ein anderes, warum
heute diese Worte nicht mehr einseitig nur an die menschliche
Seele heranklingen dürfen, sondern dazu klingen müssen die Worte:
Ich bin der Mensch. Ich bin die Vergangenheit, die Gegenwart und
die Zukunft. Meinen Schleier sollte jeder Sterbliche lüften.|180|189}}


Luhmann unterscheidet eine systemdifferentielle, nach Systemebenen differenzierte, und eine evolutionäre, auf gesellschaftliche Entwicklungsformationen bezogene Analyse von sozialen Systemtypen:<ref>Die folgenden Angaben beruhen auf Lit: Gabor Kiss, S.333ff. Kiss gibt als Quelle seiner Ausführungen an: "Die folgende Kurzfassung ist aufgrund eines unveröffentlichten Manuskriptes für fortgesetzte
== Siehe auch ==
Veranstaltungen Luhmanns über „Gesellschaftstheorie" (Bielefeld  1973-1975) und meiner Teilnahme an diesen Veranstaltungen entstanden. Die Auswahl der - für ein Einfuhrungsbuch geeigneten - Schwerpunkte erfolgte nach Rücksprache mit Luhmann, dem ich für seine Bereitschaft, das Material verwenden zu dürfen, an dieser Stelle meinen besonderen Dank aussprechen möchte. (Lit.: Gabor Kiss, FN 2 Seite 333f.)</ref>
* {{WikipediaDE|Das verschleierte Bild zu Sais}}
* [[Halluzination]]
* [[Wahrnehmungstäuschung]]


===== Interaktionssysteme =====
== Literatur ==
* Die Systembildung setzt die »wahrgenommene Anwesenheit« von Personen voraus;
* [[Rudolf Steiner]]: ''Aus der Akasha-Forschung. Das Fünfte Evangelium'', [[GA 148]] (1992), ISBN 3-7274-1480-4 {{Vorträge|148}}
* Es besteht Handlungszwang (der sich zumindest in einem aufmerksamen Zuhören äußern muß);
* [[Rudolf Steiner]]: ''Innere Entwicklungsimpulse der Menschheit. Goethe und die Krisis des neunzehnten Jahrhunderts'', [[GA 171]] (1984), ISBN 3-7274-1710-2 {{Vorträge|171}}
* Interaktionssysteme sind zwar durch Sinngehalte - wie z. B. Tausch, Warteschlange, Gruß, Kampf und dgl. - identifizierbar, doch macht die Lebendigkeit wechselseitiger Erwartungserwartungen diese Systeme in hohem Maße unstabil, fluktuierend und enttäuschungsgefährdet;
* [[Rudolf Steiner]]: ''Mysterienwahrheiten und Weihnachtsimpulse. Alte Mythen und ihre Bedeutung'', [[GA 180]] (1980), ISBN 3-7274-1800-1 {{Vorträge|180}}
* »Fließende Systemgrenzen« ermöglichen keine »zeitliche Ordnungsgarantien und sachliche Strukturierungsleistungen«;
* [[Rudolf Steiner]]: ''Die Brücke zwischen der Weltgeistigkeit und dem Physische des Menschen'', [[GA 202]] (1993), ISBN 3-7274-2020-0 {{Vorträge|202}}
* Es gibt keine gemeinsame Informationsverarbeitung noch ein »höheres Abstraktions- und Kontrollpotential« (= »ungeordnetes System«).
* „Für das Funktionieren des Systems ist zumindest ein »gemeinsames Thema« erforderlich, das als »minimaler« Bezugspunkt die Aufmerksamkeit der Beteiligten und deren gemeinsame »Zuwendung zu einem Mittelpunkt« erforderlich macht. Die Beteiligten steuern verschiedene Beiträge zum jeweils gemeinsamen Thema bei“;
* „In diesem Handlungszusammenhang bilden sich nach situationsrelevanten Eigenschaften - wie z.B. rednerische Dominanz, Schönheit und dgl. -Vorformen der Rollendifferenzierungen heraus“;
* „Diese Konstellationen können unter Umständen Interesse an der Wiederholung der Begegnung und der Festlegung von Verhaltensregeln bewirken und »Vorkehrungen für die Anschließbarkeit weiteren Handelns« treffen (z. B. Kartenspieler)“;
* „Die »Vorkehrungen« - auch z. B. aus dem Interesse einer gemeinsamen Gedächtnispflege - können einen gewissen Grad an Spezifikation (in der Verfestigung von Rollendifferenzierungen) hervorbringen, zu der aber das Interaktionssystem »von sich aus« nicht in der Lage ist: Es bedarf dazu der Strukturvorgaben einer gesellschaftlich geordneten Umwelt, die in die Verhaltensprämissen der Interaktionsbeziehungen eingehen müssen - (Luhmann nennt das Beispiel des Krankenbesuchs eines Pfarrers, der die Anerkennung dieser Situation für die Aufnahme von Beziehungen zur Voraussetzung hat)“.


"Alles soziale Handeln »muß faktisch durch dieses Nadelöhr hindurch und wird durch die Eigengesetzlichkeit der Interaktionssysteme deformiert« - und obgleich die »Flüchtigkeit des Systembestandes« kein Verlaß bietet, ist gerade diese Unbeständigkeit das Normale und Sinnvolle an diesem Typus von Systemen. Die dominante Bedeutung »intermittierender Interaktionssysteme« ist vor allem - aber nicht allein! - für archaische Gesellschaften (vgl. unten) typisch. Infolge der zunehmenden Verflechtung intermittierender Interaktionssysteme kann ihr Spezifikationsgrad durch Schichten- und Rollendifferenzierung erhöht werden, was dann die »Ausdehnung der Möglichkeit von Strukturvorgaben« bewirkt. Zwischen die elementaren Interaktionssysteme schiebt sich dann eine »neuartige Ebene der Systembildung dazwischen« - die Ebene der Organisation." (Gabor Kiss: Seite 334f)
{{GA}}


===== Organisationssysteme =====
== Weblinks ==
"Die wichtigste Funktion von Organisationssystemen kann in der »Festlegung« (= Spezifikation) spontaner, flukturierender und relativ »ungeordneter« Interaktionsprozesse auf berechenbare Abläufe strategisch wichtiger Handlungsprozesse gesehen werden. Luhmann betont, daß nur ein Teil des gesellschaftlichen und interaktionellen Handelns innerhalb organisierter Sozialsysteme verläuft: Organisation bezeichnet einen Systemtyp, der »um besonderer Leistung willen eingerichtet ist«. Das Wesentliche an diesen spezifischen Leistungen sollte nicht in erster Linie an der »Ausrichtung an Zielen« (vgl. oben, S. 213 [Bezug auf [[Parsons]]]), sondern an der spezifischen Art der Regelungen von Umweltverhältnissen gesehen werden:
{{Commonscat|Sais, Egypt|Sais}}
 
* [http://books.google.at/books?id=IcpOTDlUz1gC&hl=de&pg=PA14#v=onepage&q&f=false Plutarch: ''Über Jsis und Osiris''] - mit Übersetzung und Erläuterungen herausgegeben von Gustav Parthey (1850)
»Das bedeutet unter anderem, daß ein organisiertes Sozialsystem stets mindestens zwei Umwelten unterscheiden muß: seine Mitglieder und Nichtmitglieder. Der Leistungsgewinn, der durch Organisation erzielt werden kann, beruht sehr wesentlich darauf, daß diese beiden Umwelten verschieden behandelt werden können, daß in beiden Richtungen verschiedenartige Einflußmittel zur Verfügung stehen und daß die unterschiedlichen Strategien beiden Umwelten gegenüber aufeinander abgestimmt werden; typisch in der Form, daß die Mitglieder arbeiten müssen, um eine Leistung zu erstellen, die Nichtmitglieder schätzen; diese aber dafür mit Geld, Prestigezuweisung oder sonstwie zahlen müssen, um es dem System zu ermöglichen, die Mitgliedschaft attraktiv zu erhalten« (Luhmann, Gesellschaftliche Organisation, in: Erziehungswissenschaftliches Handbuch, hrsg. Th. Ellwein, H. Groothoff u.a., Berlin 1969, I, (S. 387 - 405), S. 394. Zitiert nach Gabor Kiss: S. 335)". (Gabor Kiss: S. 335)
* {{Zeno-Werk|Literatur/M/Schiller,+Friedrich/Gedichte/Gedichte+(1789-1805)/Das+verschleierte+Bild+zu+Sais|Das verschleierte BIld zu Sais|[[Friedrich Schiller]]}}
 
* {{Zeno-Werk|Literatur/M/Schiller,+Friedrich/Theoretische+Schriften/Vom+Erhabenen|Vom Erhabenen|[[Friedrich Schiller]]}}
Die Zitate werden hier ungekürzt wiedergegeben, weil es kaum möglich ist, eine verständliche kürzere Zusammenfassung zu geben. Hervorzuheben an der Aussage des letzten Zitates von Luhmann (alles in diesem Referat nach Gabor Kiss, was in Interklammern steht, ist Originalton Luhmann) ist, daß die Mitglieder sowie Nichtmitglieder einer Organisation ''Umwelt'' für dieses Organisationssystem sind. In dieser Phase seiner Systemtheorie gibt es noch Menschen bzw. Personen, hier in der Rolle von Mitgliedschaft, die aber nicht mit zum System dazugehören, sondern außenvor sind, nur ihre Handlungen sind zum System zugehörig. In seiner späteren Systemtheorie wird dies zu einem Verhältnis von "psychischen Systemen", die mit sozialen Systemen (=Kommunikationssystemen) "strukturell gekoppelt" sind. [[wikipedia:Strukturelle Kopplung|Strukturelle Kopplung]] meint da in etwa ein Verhältnis von [[Autopoiesis|autopoietischen]] Systemen, bzw. von einem System zur Umwelt, wo ein Austausch nur durch sog. "Irritationen" stattfindet. Was man sich in etwa so vorstellen kann, wie die Reibung zwischen zwei welligen Pappstücken (das eine Pappstück = System, das andere = Umwelt), aus der das System Information zieht. Bei diesem späteren Systementwurf ist der "Mensch" für Luhmann lediglich noch ein "semantisches Konstrukt".
* {{PGDW|3319/1|Die Sendung Moses|[[Friedrich Schiller]]}}
 
* {{Zeno-Werk|Literatur/M/Novalis/Romane/Die+Lehrlinge+zu+Sais/2.+Die+Natur|Die Lehrlinge zu Sais: Die Natur|[[Novalis]]}}
Im Gegensatz zu Interaktionssystemen können sich in Organisationssystemen (statt segmentäre) funktional differenzierte Teilsysteme zur Erledigung spezifischer Aufgaben herausbilden. Obwohl Organisationen aus Interaktionen bestehen, gehen ihre Strukturbildungen über diese hinaus (insb. in der Stellenbildung mit Austauschbarkeit des Personals). Organisationsstrukturen können Interaktionsstrukturen "sprengen", und sie können zu Strukturänderungen in der gesellschaftlichen Umwelt führen. (vgl. Gabor Kiss, S.335ff)
 
===== Gesellschaftssysteme =====
Während der Begriff Organisation ganz allgemein eine gewisse Faßlichkeit hat, auch wenn die näheren Bestimmungen umstritten sein mögen, gilt dies so keineswegs für den Begriff der "Gesellschaft". Es ist überaus unklar, was mit Gesellschaft gemeint sein soll, und oftmals entpuppt sich die Rede von Gesellschaft als leeres Wort, mit einem Platzhalter, der für alles und nichts stehen kann, wie "Gott".
 
"Unter Gesellschaft versteht Luhmann einen »Sonderhorizont«, der »für sinnhaftes Erleben und Handeln konstitutiv ist«" (Kiss: S. 337)
 
"Gesellschaft, ist das jeweils umfassendste System menschlichen Zusammenlebens. Über weitere einschränkende Merkmale besteht kein Einverständnis". (in: Lexikon zur Soziologie, 1973, Opladen. S. 235)
 
Moderne soziale Systeme sind nach Luhmann nicht mehr mittels des Schemas "Das Ganze ist mehr als seine Teile" zu verstehen, im Gegenteil:
 
"Die Anwendung dieses traditional ganzheitlich konzipierten Gesellschaftsbegriffs auf moderne Systeme hält Luhmann für falsch: Er meint, daß das »Ganze« — nämlich das Gesellschaftliche — weniger ist als die Summe seiner Teile und, daß das Handeln im Gesellschaftssystem nicht mit der Totalität sozialer Beziehungen gleichgesetzt werden kann, sondern - neben den Handlungen in Interaktions- und Organisationssystemen - nur einen Teil jener Systembildungsprozesse umfaßt, die nur zur Erhaltung der Gesellschaft als des umfassenderen Systems menschlichen Zusammenlebens beitragen. Das Sozialsystem schließt also dieser Konzeption nach das Gesellschaftssystem ein: Seine dominierenden Steuerungsfunktionen werden aber trotz dieser einschränkenden Begriffsbezeichnung keinesfalls geleugnet." (Kiss, S. 338)
 
Man hat sich also einen Systemzusammenhang des Sozialen zu denken, in dem es Handeln in Interaktionsystemen, Organisationssystemen und dem Gesellschaftssystem quasi nebeneinander gibt. Gesellschaft ist ein Teilsystem des umfassenden sozialen Systems. Die Funktion des Gesellschaftssystems und das Prinzip seiner Bildung ist die Konstitution von Sinn:
 
"»nämlich dadurch, daß jeder Sinngehalt auf mögliche Auffassungen und Anschlußselektionen fremden Erlebens und Handelns verweist« und [es] garantiert dadurch eine geordnete Umwelt aller übrigen Sozialsysteme - also auch für Interaktions- und Organisationssysteme —;" (ebend.)
 
Das Gesellschaftssystem reguliert Sinngrenzen mit seinen zentralen Funktionen
* Generalisierung von Sinn (zeitlich, sachlich, sozial),
* Systemdifferenzierung (Bildung von Systemen in Systemen, z.B. funktionale Differenzierung)
* Evolutionssteuerung (zentrale Mechanismen, die Systembildung bewirken)
 
Diese Funktionen dienen jedoch der eigentlichen primären Funktion der Gesellschaft: Stabilisierung.
 
»Von allen Typen sozialer Systeme ist nur die Gesellschaft selbst mitsamt ihren funktionalen Subsystemen eine selbstsubstitutive Ordnung. Interaktionen können mit oder ohne Ersatz abgebrochen, Organisationen können aufgelöst und neu gegründet werden. Über den Wechsel befinden externe Instanzen, zum Beispiel einzelne Personen. Die Kontinuität der Gesellschaft ist jedoch eine unerläßliche Voraussetzung für das Diskontinuieren dieser anderen Systeme« (MS. Bielefeld 1974, S. 174, zitiert nach Kiss: 341)
 
Aus diesen Auffassungen Luhmanns mit der Konzeption von Subsystemen Wirtschaft, Politik usw. des Gesellschaftsystems, das selbst jedoch nur ein Teilsystem des sozialen Systems sei (in der Darstellung Gabor Kiss'), läßt sich folgern, daß es soziale Handlungen geben können muß, die nicht einem Subsystem der Gesellschaft zuzuordnen sind. Sie setzen allerdings das Gesellschaftssystem als Bedingung ihrer Möglichkeit  voraus, insofern jede soziale Handlung sinnorientiert ist.
 
Was es mit diesem umfassenden Sozialsystem auf sich hat, wird in der Darstellung Kiss' nicht ganz klar, nicht mal, ob das Luhmann explizit so sieht, oder es eine Interpretation Kiss' ist. In den genannten Zitaten ist nur von "geordneter Umwelt" die Rede. Wenn es dieses umfassende Sozialsystem gibt, wo wären dann dessen Grenzen, und warum bekommt dann nicht dieses umfassende Sozialsystem den ''Namen'' Gesellschaft, und das Gesellschaftssystem etwa die Bezeichnung Kultursystem, was doch auch passen würde, wo das Gesellschaftssystem doch "Sinn konstituiert"?
 
==== Die Weltgesellschaft und ihre Subsysteme ====
 
"Geht man aus von einem Begriff der Gesellschaft als einem System, das alles kommunikativ erreichbare Handeln einschließt, dann ist kein Zweifel daran möglich, daß die soziokulturelle Evolution heute die Weltgesellschaft realisiert hat." (Luhmann, Bielefelder Manuskripte 1974, S. 209, zit. n. Kiss)
 
Kiss nennt folgende besondere Merkmale der Weltgesellschaft (S. 346f. Lit.a.a.O.):
* "Die Welt bildet heute ein - alle Gesellschaftssysteme tangierendes - »Globalsystem«, das durch allmähliches Verschwinden von territorialen Grenzen und kommunikativen Limitationen gekennzeichnet ist."
* Die Entwicklung ist nach Luhmann (1974) abgeschlossen, es gibt kaum noch "weiße Flecken", die "die nicht in das »internationale System« der Kommunikationen, Interdependenzen und Kontingenzen mit einbezogen wären.«" Die [[Globalisierung]] des Gesellschaftssystems erfordere die Generalisierung des Gesellschaftskonzepts und dessen Überhöhung in Form einer Supertheorie.
* Die wichtigste evolutionäre Errungenschaft der Moderne ist die Ausdifferenzierung des Teilsystems Wirtschaft (Primat der Ökonomie). Die industrielle Produktionsweise hat ein neuartiges Niveau funktionaler Differenzierung erzwungen, das nun nur noch als Weltgesesllschaftssystem "stabilisiert" werden kann. (Bielefelder Manuskripte 1974 a.a.O. S. 211)
* Die Dynamisierung der Entwicklung durch die Expansion des Ökonomischen erlaubt die Integration primärer Teilsysteme der Gesellschaft nicht mehr auf der Basis "substanzieller" Gleichheit, sondern sie können »nur noch in der Interdependenz ihrer Funktionen und in der Kompatibilität ihrer Möglichkeiten integriert werden«, durch das Tempo werden Integrationsmöglichkeiten problematisch. (Kiss: 347)
* Es entstehen durch die Dynamik des Wandels "Grenzunsicherheiten", »was gehört noch und nicht mehr zum System?«:
 
»Die '''Wirtschaft''' erfordert nach ihrer Eigenlogik und nach ihren optimalen Verwirklichungsbedingungen andere Grenzen als die '''Politik''', die '''Religion''' andere als die '''Wissenschaft''', und deren Grenzen sind nicht identisch mit dem Spielraum der Wahl von Partnern für '''Intimbeziehungen'''. Der noch sozialisierbare Nachwuchs mag einen anderen Umfang haben als der Bedarf für Arbeitskräfte, das touristische Interesse andere Grenzen haben als das militärische. Sobald einige Teilsysteme der Gesellschaft, etwa das für '''wissenschaftliche Forschung''', das für '''öffentliche Kommunikation''' und mindestens einige Bereiche der Wirtschaft, weltweite Relevanz erfordern und gewinnen, kann ein Konvergieren der Grenzen nur noch durch ein '''einheitliches Weltgesellschaftssystem''' gewährleistet werden. ''Teilsysteme, die eine solche Reichweite nicht erlangen können, müssen dann innerhalb eines weltweit relevanten Funktionsbereichs segmentär rekonstruiert werden - so die '''Familien''', die '''Staaten''', die '''Einrichtungen für medizinische Versorgung''' und anderes mehr.'' Wie immer ausbalanciert, kann die Einheit dieses neuen Zusammenhangs von funktionaler und segmentärer Differenzierung nur noch welteinheitlich realisiert werden. Das hat durchgreifende Folgen für die Autonomiechancen und die Anpassungsproblerne, die sich in allen Teilsystemen stellen, und ist insofern bestimmend für einen neuartigen Gesellschaftstypus« (MS. Bielefeld 1974, S. 213, a.a.O., Hervorh. anthrowiki).
 
Als Teilsysteme neben der dominanten Wirtschaft, die das Primat der Politik abgelöst hat, nennt Luhmann neben der Politik/den Staaten die Religion, die Wissenschaft, Intimbeziehungen (Familie), öffentliche Kommunikation, medizinische Versorgung. Das Politiksystem bringt es nicht zur globalen funktionalen Ausdifferenzierung, die Staaten bleiben weiter segmentär differenziert, ebenso das Teilsystem Familie/Intimbeziehungen. Wissenschaft hingegen differenziert sich im vollen Maße weltgesellschaftlich funktional aus.
Im Kontrast zur [[Soziale Dreigliederung|Dreigliederungsidee]] Rudolf Steiners gibt es als Teilbereiche der Gesellschaft also nicht Wirtschaft, Politik und Kultur, sondern vornehmlich der Kulturbereich ist von Luhmann anders konzipiert, ein eigentliches Kultursystem gibt es für ihn nicht, sondern es gibt die Teilsysteme Religion, Wissenschaft, Familie usw. In der späteren Systemtheorie Luhmanns werden noch weitere auch als [[Autopoiesis|autopoietisch]] geschlossene Systeme beschrieben, wie das Kunstsystem. Schüler Luhmanns identifizieren weitere Systeme, wie ein System "Soziale Hilfe". [[wikipedia:Dirk Baecker|Dirk Baecker]] beklagt, daß das Erziehungsystem bisher noch keinen klaren binären Code entwickeln konnte, um seine Ausdifferenzierung (und damit autopoietische Eigenständigkeit) ausreichend voranzutreiben und sieht darin eine Ursache für seine mangelnde Leistungsfähigkeit.<ref> Artikel in der taz: Die Bildung kennt ihre Grenzen nicht, 17.02.2004, von Dirk Baecker (Dirk Baecker ist Luhmannianer) [http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2004/02/17/a0218]).</ref>
 
== Exkurs: Die Grenzen von Systemen und der intersystemische Austausch ==
Zu dem scheinbar leicht faßbaren Begriff des Systems gehört der Begriff der "Grenze". Ein System ist abgegrenzt zu seiner Umwelt, hat aber Beziehungen zur Umwelt. Diese Beziehungswirklichkeit ist auch bei Annahme [[Autopoiesis|autopoietisch]] geschlossener Systeme nicht aufgehoben.
Wie sich etablierte oder sich etablierende Systeme zur Umwelt verhalten ist wichtiges Forschungsgebiet der Sozialwissenschaften.
Die besondere Schwierigkeit für die Forschung auf dem Gebiet ist die Verquickung von Begriff und Wahrnehmung mit dem aktiven Handeln und der realitätsbewirkenden Macht des Handelns, auch des sozialen Verhaltens ohne Handlungsintention. Der amerikanische [[Pragmatismus]] hat diesen <ref>Dies entspricht nicht dem populären Verständnis von "Pragmatismus". Die erkenntnistheoretische Position ist darüber hinaus, daß Wahrheit ein Produkt des Wollens ist, des Ja-Sagens zu einer zukünftigen Realität, die aber natürlich nur aus dem schon gegebenen gesetzmäßig hervorgehen kann, wobei die Freiheit der Fortsetzung dann zukünftige Realität schafft.</ref><ref>Der amerikanische Pragmatismus ist eine originäre Schöpfung des invasiven Amerikas, ist nicht 'anglo-amerikanisch', sondern Ergebnis des Kulturbedürfnisses entwurzelter Auswanderer, sich in einer fremden Welt zurecht zu finden, in der die mitgebrachten kulturellen Traditionen nutzlos waren. (nach [[wikipedia:George Herbert Mead|George Herbert Mead]])</ref>Aspekt zum Prinzip seiner Philosophie erhoben, und es ist in der Tat wahr, daß die soziale Realität ''mit''(?)<ref>Hieraus ergibt sich eine sehr schwierige Fragestellung mit Bezug auf das Eigentliche der Dreigliederungsidee Rudolf Steiners, die an anderer Stelle ausführlich zu erörtern ist.</ref> ein Ergebnis davon ist, wie Menschen über sie denken, und wie sie entsprechend handeln.
Dies gilt natürlich auch für die Wahrnehmung von Grenzen, und ihre Bestätigung oder ''Überschreitung'' im sozialen Handeln. Der Grenzbegriff ist in sich widersprüchlich. Eine Grenze ist eine Grenze und zugleich keine. Man kann zum Beispiel [[wikipedia:Korruption|Korruption]] als eine ''unerlaubte'' Überschreitung einer rechtlich bestimmten oder sozial anerkannten Grenze ansehen. In der implizit gegebenen Anerkennung des Verbots bei seiner Mißachtung wird die Grenze zwar bestätigt, aber mit einer massenhaften Überschreitung ist oft die Beschädigung oder gar Auflösung verbunden. Es gibt Länder oder Regionen, oder es gibt solche Verhältnisse zu Zeiten, in denen ohne Bestechung sich von den zuständigen Beamten nichts erreichen läßt, ihr Verhalten ökonomisch manipuliert ist, statt dem Prinzip der Gleichbehandlung zu folgen. Ähnlich im Verhältnis zwischen Wissenschaft (Kultursystem) und dem Ökonomischen, wenn z.B. ein von der Zigarettenindustrie bezahlter Wissenschaftler Forschungsergebnisse bezügl. der Schädlichkeit des Rauchens manipuliert.
Der Übergang von einem erlaubten oder erwünschten Verhalten bei Grenzüberschreitungen zu einem unerlaubten oder jedenfalls nicht wünschenswerten, oder unter anderem Aspekt objektiv schädlichen Verhalten kann fließend sein, wie beim [[wikipedia:Lobbyismus|Lobbyismus]], dessen grassierende Auswüchse demokratische Prinzipien zu untergraben drohen.


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<references/>
<references/>
== Werke (Auswahl) ==
*''Funktionen und Folgen formaler Organisation'' (1964)
*''Zweckbegriff und Systemrationalität'' (1968) ''(Ein Klassiker der [[wikipedia:Organisationssoziologie|Organisationssoziologie]]; [http://www.suhrkamp.de/buecher/zweckbegriff_und_systemrationalitaet-niklas_luhmann_27612.pdf Suhrkamp Klappentext])''
*''Rechtssoziologie'' (1980)
* ''Soziologische Aufklärung.'' (Bd. 1, Heute Bd. 1 - 6 Sammelband), Westdeutscher Verlag, Opladen 1970
* ''Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie. Was leistet die Systemforschung? ''(zus. mit [[Jürgen Habermas]]), Frankfurt am Main 1971, ISBN 978-3-518-06358-3.


''Geeignete Einstiegsliteratur:''
[[Kategorie:Ägyptische Mythologie]] [[Kategorie:Mysterien]] [[Kategorie:Bewusstsein]] [[Kategorie:Schulungsweg]][[Kategorie:Erkenntnistheorie]][[Kategorie:Hellsehen]] [[Kategorie:Esoterik]]
*Liebe als Passion: Zur Codierung von Intimität Suhrkamp, 1982 ''(Luhmanns schönstes Buch, heißt es. Untersucht die Genese (bzw. die Genese des Ideals) der romantischen Liebe)''
*Ökologische Kommunikation: Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen? 1986 ''(An einem populären Thema stellt Luhmann alle wesentlichen Aspekte seiner späteren Systemtheorie vor. Das Buch ist von ihm möglichst einfach und verständlich gehalten, und insofern als Einführung geeignet)''
 
== Literatur ==
* Gabor Kiss: ''Einführung in die soziologischen Theorien II'' (Studienbücher zur Sozialwissenschaft 27), 3. Aufl. 1977, Westdeutscher Verlag, Opdaden, ISBN 3531211498
 
== Weblinks ==
*[http://bildungsforschung.org/index.php/bildungsforschung/article/download/104/pdf Michael Reder 2010: Habermas-Luhmann Debatte  "revisited" (mit Aspekt auf Religionstheorie) (''Reder ist Professor für [[Sozialphilosophie]] an der [[wikipedia:Hochschule für Philosophie München|Hochschule für Philosophie München]]'')]
*[http://www.ndr.de/geschichte/koepfe/luhmann130.html NDR.de Notiz 2008 Die Habermas-Luhmann-Kontroverse]
[[Kategorie: Soziologie und Anthroposophie]]
*[http://www.ndr.de/geschichte/koepfe/luhmann100.html NDR.de Niklas Luhmann. Der Mann mit dem Zettelkasten. Portrait 2008]
*[http://geloggd.alexander-filipovic.de/category/allgemein Einblicke in die frühe Phase gibt ein Luhmann-Interview von Ulrich Boehm aus dem Jahr 1973 (Video)]
{{wikipedia}}

Version vom 24. November 2020, 19:28 Uhr

Isis in Hieroglyphen
meistens nur
stt
H8

Ast / Aset
3st
Sitz, Thron
oder
mit Determinativ
stt
H8
C10
Isis mit Was-Zepter und Anch-Zeichen
Die Ruinen von Sais im Nildelta (1855)
Skulptur Das verschleierte Bild zu Saïs im Park Luisium, einem Teil des Dessau-Wörlitzer Gartenreichs.
Frontispiz zu Gerhard Blasius: Anatome Animalium,1681. Eine Priesterin enthüllt dem entsprechend vorbereiteten Adepten die verschleierte Göttin.
Friedrich Schiller
Porträt von Anton Graff, um 1790
Novalis um 1799
Porträt von Franz Gareis
Helena Petrovna Blavatsky (1877)

Das verschleierte Bild zu Sais wird in den Moralischen Schriften, «Über Isis und Osiris» des Plutarch (um 45 in Chaironeia; † um 125) erwähnt.

Die altägyptische, im westlichen Nildelta gelegene Stadt Sais (auch Saïs, griech. Σάϊς; altägyptisch Sau, Zau, heute arab. صا الحجر Sa al-Hagar, DMG Ṣā al-Ḥaǧar) wird schon in Texten aus dem Alten Reich erwähnt und war nach den archäologischen Befunden schon um 4000 v. Chr. besiedelt. Psammetich I., der vermutlich aus Sais stammte und die 26. Dynastie begründete, die von 664 – 525 v. Chr. herrschte, machte Sais zur Hauptstadt Ägyptens.

Geschichtliches

Plutarch beschreibt die verschleierte Statue der Athene oder der Isis, die es in Sais gegeben haben soll, die folgende Aufschrift trug:

„In Sais hatte das Standbild der Athene, die man auch für die Isis hält, folgende Inschrift «ich bin das All, das Vergangene Gegenwärtige und Zukünftige, meinen Schleier hat noch kein Sterblicher gelüftet.»“

Plutarch: Über Isis und Osiris, C9[1]

Der Jüngling zu Sais soll verbotenerweise diesen Schleier gelüftet haben. Friedrich Schiller hat das Thema in dem Gedicht «Das verschleierte Bild zu Sais» [1] aufgegriffen und erwähnt es auch in seinen Vorlesungen über «Die Sendung Moses» und in seinem Aufsatz «Vom Erhabenen».

„Alles, was verhüllt ist, alles Geheimnisvolle, trägt zum Schrecklichen bei und ist deswegen der Erhabenheit fähig. Von dieser Art ist die Aufschrift, welche man zu Sais in Ägypten über dem Tempel der Isis las: »Ich bin alles, was ist, was gewesen ist und was sein wird. Kein sterblicher Mensch hat meinen Schleier aufgehoben.« – Eben dieses Ungewisse und Geheimnisvolle gibt den Vorstellungen der Menschen von der Zukunft nach dem Tode etwas Grauenvolles; diese Empfindungen sind in dem bekannten Selbstgespräch Hamlets sehr glücklich ausgedrückt.“

Friedrich Schiller: Vom Erhabenen [2]

„Da Ägypten der erste kultivierte Staat war, den die Geschichte kennt, und die ältesten Mysterien sich ursprünglich aus Ägypten herschreiben, so war es auch aller Wahrscheinlichkeit nach hier, wo die erste Idee von der Einheit des höchsten Wesens zuerst in einem menschlichen Gehirne vorgestellt wurde...

Da aber schon ein gewisses Maß von Kenntnissen und eine gewisse Ausbildung des Verstandes erfodert wird, die Idee eines einigen Gottes recht zu fassen und anzuwenden, da der Glaube an die göttliche Einheit Verachtung der Vielgötterei, welches doch die herrschende Religion war, notwendig mit sich bringen mußte, so begriff man bald, daß es unvorsichtig, ja gefählich sein würde, diese Idee öffentlich und allgemein zu verbreiten. Ohne vorher die hergebrachten Götter des Staats zu stürzen und sie in ihrer lächerlichen Blöße zu zeigen, konnte man dieser neuen Lehre keinen Eingang versprechen...

Mißlang hingegen der Versuch, die alten Götter zu stürzen, so hatte man den blinden Fanatismus gegen sich bewaffnet und sich einer tollen Menge zum Schlachtopfer preisgegeben. Man fand also für besser, die neue gefährliche Wahrheit zum ausschließenden Eigentum einer kleinen geschlossenen Gesellschaft zu machen, diejenigen, welche das gehörige Maß von Fassungskraft dafür zeigten, aus der Menge hervorzuziehen und in den Bund aufzunehmen und die Wahrheit selbst, die man unreinen Augen entziehen wollte, mit einem geheimnisvollen Gewand zu umkleiden, das nur derjenige wegziehen könnte, den man selbst dazu fähig gemacht hätte.

Diese Zeremonien, mit jenen geheimnisvollen Bildern und Hieroglyphen verbunden, und die verborgenen Wahrheiten, welche in diesen Hieroglyphen versteckt lagen und durch jene Gebräuche vorbereitet wurden, wurden zusammengenommen unter dem Namen der Mysterien begriffen. Sie hatten ihren Sitz in den Tempeln der Isis und des Serapis und waren das Vorbild, wornach in der Folge die Mysterien in Eleusis und Samothrazien und in neuern Zeiten der Orden der Freimaurer sich gebildet hat.

Es scheint außer Zweifel gesetzt, daß der Inhalt der allerältesten Mysterien in Heliopolis und Memphis, während ihres unverdorbenen Zustands, Einheit Gottes und Widerlegung des Paganismus war, und daß die Unsterblichkeit der Seele darin vorgetragen wurde. Diejenigen, welche dieser wichtigen Aufschlüsse teilhaftig waren, nannten sich Anschauer oder Epopten, weil die Erkennung einer vorher verborgenen Wahrheit mit dem Übertritt aus der Finsternis zum Lichte zu vergleichen ist, vielleicht auch darum, weil sie die neuerkannten Wahrheiten in sinnlichen Bildern wirklich und eigentlich anschauten.

Zu dieser Anschauung konnten sie aber nicht auf einmal gelangen, weil der Geist erst von manchen Irrtümern gereinigt, erst durch mancherlei Vorbereitungen gegangen sein mußte, ehe er das volle Licht der Wahrheit ertragen konnte. Es gab also Stufen oder Grade, und erst im innern Heiligtum fiel die Decke ganz von ihren Augen.

Die Epopten erkannten eine einzige höchste Ursache aller Dinge, eine Urkraft der Natur, das Wesen aller Wesen, welches einerlei war mit dem Demiurgos der griechischen Weisen. Nichts ist erhabener als die einfache Größe, mit der sie von dem Weltschöpfer sprachen. Um ihn auf eine recht entscheidende Art auszuzeichnen, gaben sie ihm gar keinen Namen. »Ein Name«, sagten sie, »ist bloß ein Bedürfnis der Unterscheidung, wer allein ist, hat keinen Namen nötig, denn es ist keiner da, mit dem er verwechselt werden könnte.« Unter einer alten Bildsäule der Isis las man die Worte: » Ich bin, was da ist«, und auf einer Pyramide zu Sais fand man die uralte merkwürdige Inschrift: »Ich bin alles, was ist, was war und was sein wird, kein sterblicher Mensch hat meinen Schleier aufgehoben.« Keiner durfte den Tempel des Serapis betreten, der nicht den Namen Jao - oder J-ha-ho, ein Name, der mit dem hebräischen Jehovah fast gleichlautend, auch vermutlich von dem nämlichen Inhalt ist - an der Brust oder Stirn trug; und kein Name wurde in Ägypten mit mehr Ehrfurcht ausgesprochen als dieser Name Jao. In dem Hymnus, den der Hierophant oder Vorsteher des Heiligtums dem Einzuweihenden vorsang, war dies der erste Aufschluß, der über die Natur der Gottheit gegeben wurde: »Er ist einzig und von ihm selbst, und diesem Einzigen sind alle Dinge ihr Dasein schuldig.«“

Friedrich Schiller: Die Sendung Moses [3]

Novalis verwendete das Motiv in seinem Märchen von «Hyacinth und Rosenblüthe», das den Kern seines unvollendeten Romans «Die Lehrlinge zu Sais» (1799) bildet. Im Traum lüftet der Jüngling Hyazinth den Schleier der Jungfrau - und findet seine geliebte Rosenblüte:

„Unter himmlischen Wohlgedüften entschlummerte er, weil ihn nur der Traum in das Allerheiligste führen durfte. Wunderlich führte ihn der Traum durch unendliche Gemächer voll seltsamer Sachen auf lauter reitzenden Klängen und in abwechselnden Accorden. Es dünkte ihm alles so bekannt und doch in niegesehener Herrlichkeit, da schwand auch der letzte irdische Anflug, wie in Luft verzehrt, und er stand vor der himmlischen Jungfrau, da hob er den leichten, glänzenden Schleyer, und Rosenblüthchen sank in seine Arme.“

Novalis: Die Lehrlinge zu Sais, 2. Die Natur [4]

«Isis entschleiert» (Isis Unveiled) ist auch der Titel des von Helena Petrovna Blavatsky am 29. September 1877 - also zu Michaeli - veröffentlichten Grundlagenwerks der Theosophie, das zugleich ihr aus geistiger Sicht bedeutsamstes Werk ist.

Über die Bedeutung dieser Isis-Legende sagt Rudolf Steiner:

"Sehen Sie, so schön ist das in dem Symbole beschrieben, das die Naturkraft in der ägyptischen Legende von der Isis ausdrückt. Dieses Isis-Bild, was für einen ergreifenden Eindruck macht es uns, wenn wir es uns vorstellen, wie es dasteht in Stein, aber in dem Stein zugleich der Schleier von oben bis unten: das verschleierte Bild zu Sais. Und die Inschrift trägt es: Ich bin die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft; meinen Schleier hat noch kein Sterblicher gelüftet. - Das hat wiederum zu einer ungemein gescheiten - obwohl sehr gescheite Leute diese gescheite Erklärung aufgenommen haben, muß es doch einmal gesagt werden -, zu einer sehr gescheiten Erklärung geführt. Man sagt da: Die Isis drückt also aus das Symbolum für die Weisheit, die vom Menschen nie erreicht werden kann. Hinter diesem Schleier ist eine Wesenheit, die ewig verborgen bleiben muß, denn der Schleier kann nicht gelüftet werden. - Und doch ist die Inschrift diese: Ich bin die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft; meinen Schleier hat noch kein Sterblicher gelüftet. - Alle die gescheiten Leute, die also sagen: Man kann das Wesen nicht ergründen - sie sagen logisch ungefähr dasselbe, wie wenn einer sagte: Ich heiße Müller; meinen Namen wirst du nie erfahren. - Es ist ganz genau dasselbe, was Sie immer über dieses Bild reden hören, wie wenn einer sagte: Ich heiße Müller; meinen Namen wirst du nie erfahren.-Wenn man das: Ich bin die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft; meinen Schleier hat noch kein Sterblicher gelüftet - so auslegt, ist natürlich diese Auslegung ein völliger Unsinn. Denn es steht ja da, was die Isis ist: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft - die dahinfließende Zeit! Wir werden morgen noch genauer über diese Dinge reden. Es ist die dahinfließende Zeit. Aber ganz etwas anderes, als was diese sogenannte geistvolle Erklärung will, ist ausgedrückt in den Worten: Meinen Schleier hat noch kein Sterblicher gelüftet. - Ausgedrückt ist, daß man dieser Weisheit sich nähern muß wie denjenigen Frauen, die den Schleier genommen hatten, deren Jungfräulichkeit bestehen bleiben mußte: in Ehrfurcht, mit einer Gesinnung, die alle egoistischen Triebe ausschließt. Das ist gemeint. Sie ist wie eine verschleierte Nonne, diese Weisheit früherer Zeit. Auf die Gesinnung wird hingedeutet durch das Sprechen von diesem Schleier." (Lit.: GA 171, S. 166)

Es gibt aber noch einen weiteren, tiefer gehenden Aspekt:

"Wenn wir noch einmal zurücksehen auf die Zeit der Menschheitsentwickelung vor dem Mysterium von Golgatha, so müssen wir sagen: Damals hatte die Menschenseele ein altes Erbgut aus der Zeit, da sie aus den geistigen Höhen herunterstieg zu irdischen Inkarnationen. Dieses Erbgut bewahrte sie sich von Inkarnation zu Inkarnation weiter. Daher gab es in jenen Zeiten ein altes Hellsehen, das nach und nach abflutete, immer schwächer und schwächer wurde. Je weiter die Inkarnationen vorschritten, desto schwächer wurde das abflutende alte Hellsehen. Woran war das alte Hellsehen gebunden? Es war gebunden an das, woran auch das äußere Wahrnehmen mit Augen und Ohren gebunden ist, an das, was eben der Mensch in der äußeren Welt ist. Bei den Menschen vor dem Mysterium von Golgatha war es so, daß sie wie Kinder heranwuchsen: sie lernten gehen, sprechen, und sie lernten selbstverständlich, solange die elementaren Kräfte im Sinne des alten Hellsehens noch da waren, auch hellsehen. Sie lernten es wie etwas, was sich ergab im Umgange mit der Menschheit, so wie es sich ergab im Umgange mit der Menschheit, daß man durch die Organisation des Kehlkopfes das Sprechen lernte. Man blieb aber nicht beim Sprechenlernen stehen, sondern schritt vor zu dem elementaren Hellsehen. Dieses elementare Hellsehen war gebunden an die gewöhnliche menschliche Organisation so, wie die menschliche Organisation drinnenstand in der physischen Welt; es mußte also notwendigerweise das Hellsehen auch den Charakter der menschlichen Organisation annehmen. Ein Mensch, der ein Wüstling war, konnte nicht eine reine Natur in sein Hellsehen hineinschieben; ein reiner Mensch konnte seine reine Natur auch in sein Hellsehen hineinschieben. Das ist ganz natürlich, denn es war das Hellsehen an die unmittelbare menschliche Organisation gebunden.

Eine notwendige Folge davon war, daß ein gewisses Geheimnis - das Geheimnis des Zusammenhanges zwischen der geistigen Welt und der physischen Erdenwelt -, das vor dem Herabstieg des Christus Jesus bestand, nicht für diese gewöhnliche menschheitliche Organisation enthüllt werden durfte. Es mußte die menschheitliche Organisation erst umgestaltet, erst reif gemacht werden. Der Jüngling von Sais durfte nicht ohne weiteres, von außen kommend, das Bild der Isis sehen." (Lit.: GA 148, S. 168f)

Die neue Isis

Siehe auch: Die neue Isis

Unser gegenwärtiges Bewusstseinsseelenzeitalter, in dem sich die ägyptisch-chaldäische Kultur in gewisser Weise spiegelt, bedarf einer neuen Isis-Legende. Seit sich der Christus auf Erden inkarniert hat und durch das Mysterium von Golgatha gegangen ist, weilt er unter uns. Er kann uns nicht so verloren gehen, wie einst den Ägyptern Osiris verloren ging. Der Christus ist mit uns, doch fehlt uns die göttliche Weisheit, ihn in seinem wahren Wesen zu erkennen. In der ägyptischen Zeit wirkte Luzifer im Inneren des Menschen und gerade deshalb sah er die äußere Welt in ahrimanischer Gestalt. Heute ist es gerade umgekehrt. Ahriman wirkt in unserem Inneren und darum ist unser äußeres Weltbild, wie es namentlich die Naturwissenschaften zeichnen, luziferisch. Uns ist die Isis-Sophia, verlorengegangen. Sie wurde durch Luzifer getötet. Heute müssen wir die neue Isis durch unser bewusstes Geistesstreben erwecken. Sehr ausführlich spricht Rudolf Steiner über diese neue Isis in einem am 6. Januar 1918 in Dornach gehaltenen Vortrag, und zeigt, wie das verschleierte Bild zu Sais nun eine Gestalt annimmt. Er spricht hier ...

„... von jenem wichtigen inneren Impuls, der an die Menschenseele herantreten muß, wenn die Menschenseele das finden soll, was sie für die Zukunft so notwendig hat, was allein eine ganze, volle Ergänzung dessen sein kann, was die Naturwissenschaft auf der einen Seite bringt. Dann werden Sie sehen, warum an die Seite der alten Osiris-Isismythe die neue Isismythe treten kann, und warum für den Menschen der Gegenwart beide zusammen notwendig sind; warum hinzugefügt werden muß zu den Worten, die vom alten Ägypten herüberklingen vom Standbilde zu Sais: Ich bin das All, ich bin die Vergangenheit, die Gegenwart, die Zukunft; meinen Schleier hat noch kein Sterblicher gelüftet -, warum hineintönen muß in diese Worte ein anderes, warum heute diese Worte nicht mehr einseitig nur an die menschliche Seele heranklingen dürfen, sondern dazu klingen müssen die Worte: Ich bin der Mensch. Ich bin die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Meinen Schleier sollte jeder Sterbliche lüften.“ (Lit.:GA 180, S. 189)

Siehe auch

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Weblinks

Commons: Sais - Weitere Bilder oder Audiodateien zum Thema

Einzelnachweise