Schöpfung aus dem Nichts

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Die Erschaffung des Lichts von Gustave Doré

Die Schöpfung aus dem Nichts (lat. Creatio ex nihilo) ist die Grundtätigkeit des Geistes, durch die er sich selbst in fortlaufenden Akten unbedingten Entstehens verwirklicht. Der Geist lebt im beständigen Schaffen und sich selbst erschaffen aus sich selbst und dieses Selbst ist im höheren Sinn ein Nichts, denn es in keiner Weise als ein definierbares, d.h. abgrenzbares Sein fassbar. Hier gibt es nicht groß und klein, dick und dünn, oben und unten usw., sondern der Geist transzendiert in seinem unaufhörlichen Werden, das aber äußerlich als absolute Ruhe erscheint, alles gewordene Sein, das selbst erst ein abgeworfenes Produkt der Geistestätigkeit ist, das sich als abgrenzbare äußere Schöpfung manifestiert.

"Der Orientale empfand, aber nicht, weil er irgendwie spekulierte, sondern weil ihn seine Anschauung nötigte, so zu empfinden, er empfand: Da erlebe ich auf der einen Seite den Raum und die Zeit, und auf der anderen Seite erlebe ich dasjenige, was nicht im Raum und in der Zeit beobachtet werden kann, was für die Raum- und Zeitdinge und für das Raum- und Zeitgeschehen ein Nichts ist, aber eine Realität ist, eben nur eine andere Realität. Nur durch ein Mißverständnis ist dann dasjenige entstanden, dem sich die abendländische Zivilisation unter Roms Führung hingegeben hat: die Schöpfung der Welt aus dem Nichts, wobei man unter dem Nichts nur die Null gedacht hat. Im Oriente, wo diese Dinge ursprünglich konzipiert worden sind, entsteht die Welt nicht aus dem Nichts, sondern aus jenem Realen, auf das ich Sie eben hingewiesen habe." (Lit.: GA 200, S. 16f)

Im Buddhismus wird durch den Begriff der Leere (Shunyata) auf diese Wesensnatur des Geistes hingewiesen, durch die die Fesseln des Bedingten Entstehens, d.h. des Karmas, endgültig abgestreift werden. Die Schöpfung aus dem Nichts entspringt dem Nirvana (skrt., n., निर्वाण, nirvāṇa; Erlöschen oder wörtlich „Ver-wehen“, von nis, nir = aus, vā = wehen), vergleichbar dem Ain Soph (hebr. אין סוף nicht endlich) der jüdischen Kabbala. Hier ist die Quelle, aus der alles entsteht, und hier ist zugleich auch die Senke, in die sich alles Sein wieder auflöst.

Nach Augustinus kann die Schöpfung nur ex nihilo, aus dem Nichts erfolgt sein, wenn sie wirkliche Schöpfung und nicht bloße Umwandlung sein soll. Tertullian ging diesbezüglich sogar noch weiter und meinte, dass die Schöpfung eigentlich a nihilo, 'von nichts her', entstanden sei, denn wäre sie ex nihilo enstanden, würde man das Nichts bereits als Substanz auffassen.

Augustinus prägte darüber hinaus den Begriff der creatio continua, wonach die Schöpfung ein fortdauernder, nicht abgeschlossener Prozess sei. Diese Ansicht vertrat auch noch Isaac Newton. Gottfried Wilhelm Leibniz vertrat die gegenteilige Haltung und prägte dafür das berühmte Gleichnis vom «göttlichen Uhrmacher», wonach die Welt wie ein von Gott geschaffenes perfektes Uhrwerk selbsttätig funktioniere und hielt Newton entgegen, dass er Gott für einen schlechten Uhrmacher halten müsse, wenn die Welt seines beständigen Eingriff bedürftig wäre, um zu funktionieren. In den christlichen Kirchen sind beide Ansichten annähernd gleich stark vertreten.

Siehe auch: creatio continua

Evolution, Involution, Schöpfung aus dem Nichts

"Im Offenbaren wechseln die Dinge zwischen Evolution und Involution. Aber dahinter steht tief verborgen das Dritte, das erst die Fülle gibt, eine Schöpfung, die eine völlige Neuschöpfung ist, die aus dem Nichts hervorgegangen ist. Dreierlei gehört also zusammen: Die Schöpfung aus dem Nichts, und dann, wenn diese offenbar wird und in der Zeit verläuft, nimmt sie die Formen des Offenbaren an: Evolution und Involution." (Lit.: GA 101, S. 176)

"In allem Leben wirkt die Dreiheit von Evolution, Involution und Schöpfung aus dem Nichts. Beim Menschen haben wir diese Schöpfung aus dem Nichts in der Arbeit seines Bewußtseins. Er erlebt die Vorgänge in seiner Umwelt und verarbeitet sie zu Ideen, Gedanken und Begriffen. Veranlagungen stammen aus früheren Verkörperungen, aber aller Fortschritt im Leben beruht darauf, daß neue Gedanken und neue Ideen produziert werden." (Lit.: GA 101, S. 260)

Indem wir das Vorhandene, das aus früheren Entwicklungen herüber gekommen ist, umschaffen und ihm dadurch Neues einbilden, schaffen wir durch den Heiligen Geist aus dem Nichts heraus. Das ist aber erst dadurch möglich geworden, dass sich der Christus durch das Mysterium von Golgatha unmittelbar mit der Erdentwicklung verbunden hat.

"Der Heilige Geist beseligt den Menschen, wenn er imstande ist, aus dem Nichts heraus das Richtige oder Wahre, das Schöne und Gute zu schaffen. Damit aber der Mensch imstande geworden ist, im Sinne dieses Heiligen Geistes zu schaffen, mußte ihm ja erst die Grundlage gegeben werden, wie zu allem Schaffen aus dem Nichts. Diese Grundlage ist ihm gegeben worden durch das Hereintreten des Christus in unsere Evolution. Indem der Mensch auf der Erde das Christus-Ereignis erleben konnte, wurde er fähig, aufzusteigen zum Schaffen im Heiligen Geist. So ist es Christus selbst, welcher die eminenteste, tiefste Grundlage schafft. Wird der Mensch so, daß er feststeht auf dem Boden des Christus-Erlebnisses, daß das Christus-Erlebnis der Wagen ist, in den er sich begibt, um sich weiterzuentwickeln, so sendet ihm der Christus den Heiligen Geist, und der Mensch wird fähig, im Sinne der Weiterentwickelung das Richtige, Schöne und Gute zu schaffen." (Lit.: GA 107, S. 312f)

Die Schöpfung aus dem Nichts und die drei Logoi

"Versetzen wir uns an den Uranfang einer solchen planetarischen Entwickelung, ganz an den Anfang der Saturnentwickelung. Was haben wir da zu beobachten? Es war noch kein physischer Planet da, nicht einmal in der feinsten Arupaform war ein Planet vorhanden, sondern wir sind da noch vor dem Augenblicke, wo der Saturn im ersten Anfange da ist. Da ist von unserer Planetenkette noch gar nichts vorhanden; wohl aber die ganze Frucht der vorhergehenden Planetenkette ist da, so ähnlich, wie wenn wir am Morgen aufwachen, noch nichts getan haben und lediglich die Erinnerung an das, was wir am vorherigen Tage getan haben, in unserem Geiste enthalten ist. So haben wir - wenn wir uns so ganz in den Anfang der Saturnentwickelung versetzen - in den sich offenbarenden Geistern die Erinnerung an eine vorherige Planetenkette, an das, was vorher gewesen ist. Nun versetzen wir uns an das Ende der Planetenkette, in die Zeit, da die Vulkanstufe zu Ende geht. Während der Planetenkette ist nach und nach als Schöpfung zutage getreten, was an Anlage am Anfange vorhanden war. Wir haben also zuerst einen Ausfluß des Bewußtseins; aus dem Inhalt des Früheren heraus, aus der Erinnerung heraus schafft das Bewußtsein das Neue. Es ist am Ende also etwas da, was am Anfange nicht da war: nämlich alle Erfahrungen. Was am Anfange da war, ist herausgeflossen in lauter Dinge und Wesenheiten. Ein neues Bewußtsein ist am Ende entstanden mit einem neuen Inhalt, ein neuer Bewußtseinsinhalt. Es ist etwas, was aus dem Nichts hervorgegangen ist, aus Erfahrungen. Wenn wir das Erneuern im Leben betrachten, müssen wir uns sagen, es muß ein Same da sein, der das möglich macht. Aber der neue Bewußtseinsinhalt am Ende einer planetarischen Entwickelung ist tatsächlich aus dem Nichts hervorgegangen, aus Erfahrungen; dazu braucht man keine Grundlagen, es schafft etwas, was aus dem Nichts entsteht. Man kann nicht sagen, wenn eine Persönlichkeit die andere anschaut, sie habe der anderen etwas entzogen, wenn sie in der Folge die Erinnerung an die andere Persönlichkeit in sich trägt. Diese Erinnerung ist aus dem Nichts hervorgegangen. Das ist eine dritte Art des Schaffens: aus dem Nichts heraus. Die drei Arten des Schaffens sind also folgende:

Kombinieren der vorhandenen Teile (Form)
Hervorgehenlassen neuer Gebilde mit neuem Lebensinhalt aus vorhandenen Grundlagen (Leben)
Schaffen aus dem Nichts heraus (Bewußtsein).

Es sind dies drei Definitionen von Wesenheiten, die eine Planetenkette hervorbringen, einer planetarischen Kette zugrunde liegen. Man nennt sie die drei Logoi. Der dritte Logos bringt aus der Kombination hervor. Wenn aus der einen Substanz etwas anderes hervorgeht mit neuem Leben, so ist das der zweite Logos, der hervorbringt. Überall aber, wo wir ein Hervorgehen haben aus dem Nichts, da haben wir den ersten Logos. Daher nennt man den ersten Logos oft auch das in den Dingen selbst Verborgene, den zweiten Logos die in den Dingen ruhende Substanz, die Lebendiges aus Lebendigem schafft, den dritten Logos den, der alles Vorhandene kombiniert, aus den Dingen die Welt zusammensetzt." (Lit.: GA 89, S. 260f)

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Bewußtsein – Leben – Form , GA 89 (2001), ISBN 3-7274-0890-1 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  2. Rudolf Steiner: Mythen und Sagen. Okkulte Zeichen und Symbole, GA 101 (1992), ISBN 3-7274-1010-8 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  3. Rudolf Steiner: Geisteswissenschaftliche Menschenkunde, GA 107 (1988), ISBN 3-7274-1070-1 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  4. Rudolf Steiner: Die neue Geistigkeit und das Christus-Erlebnis des zwanzigsten Jahrhunderts, GA 200 (2003), ISBN 3-7274-2000-6 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
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