Ernst Haeckel und Simon Magus: Unterschied zwischen den Seiten

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[[File:Nucci, Avanzino - Petrus' Auseinandersetzung mit Simon Magus - 1620.jpg|mini|300px|Avanzino Nucci: '' Petrus' Auseinandersetzung mit Simon Magus'' (1620)]]
'''Ernst Heinrich Philipp August Haeckel''' (* [[Wikipedia:16. Februar|16. Februar]] [[Wikipedia:1834|1834]] in [[Wikipedia:Potsdam|Potsdam]]; † [[Wikipedia:9. August|9. August]] [[Wikipedia:1919|1919]] in [[Wikipedia:Jena|Jena]]) war ein [[Wikipedia:Deutschland|deutscher]] [[Wikipedia:Zoologe|Zoologe]], [[Philosoph]] und [[Wikipedia:Freidenker|Freidenker]], der die Arbeiten von [[Charles Darwin]] in Deutschland bekannt machte und zu einer speziellen [[Abstammung]]slehre ausbaute. Im Rahmen seiner Auseinandersetzungen mit der Übertragbarkeit rassischer Kategorien auf die gesellschaftliche Entwicklung des Menschen zählt Haeckel – hier klarer Gegner seines Lehrers Virchow – zu den schließlich entschiedenen Vertretern einer „eugenischen“ Sozialpolitik.<ref>Gunter Mann: ''Biologismus – Vorstufen und Elemente einer Medizin im NS''. In: J. Bleker et al.: (Hg.): ''Medizin im „Dritten Reich“'', Köln 1993, S. 25 ff.</ref>
[[File:Nuremberg chronicles f 262v (septima aetas).jpg|mini|300px|Der Sturz des Simon Magus - Abbildung aus der [[Wikipedia:Schedelsche Weltchronik|Schedelschen Weltchronik]] (lateinische Ausgabe in Sao Paulo)]]
[[File:Sancus.png|mini|Die Statue des ''Semo Sancus'' wurde 1574 auf der Tiberinsel in Rom wiedergefunden. Justin Martyr hatte sie für eine Darstellung des vergöttlichten Simon Magus gehalten und die Inschrift ''Semoni Sanco Deo Fidio Sacrum'' fälschlich als ''Simoni deo sancto'' wiedergegeben.]]
[[File:Bourdon, Sébastien - La Chute de Simon le Magicien - 1657.jpg|mini|300px|Sébastien Bourdon: ''Der Fall des Simon Magus'' (1657)]]
[[File:Leighton Helen of Troy.jpg|mini|300px|[[Wikipedia:Frederic Leighton|Frederic Leighton]]: ''Helena von Troja'' (1865)]]
[[Datei:St.Peter und Paul in Söll - Deckenfresko Apostelgeschichte 4.jpg|mini|300px|Sturz des Simon Magus, Fresko (1768) in Söll (Tirol)]]


Haeckel war [[Wikipedia:Arzt|Arzt]], später Professor für [[Wikipedia:vergleichende Anatomie|vergleichende Anatomie]]. Er prägte einige heute geläufige Begriffe der [[Wikipedia:Biologie|Biologie]] wie ''[[Wikipedia:Stamm (Systematik)|Stamm]]'' oder ''[[Wikipedia:Ökologie|Ökologie]]''. Auch bezeichnete Haeckel die [[Wikipedia:Politik|Politik]] als angewandte Biologie.<ref>Richard Langton Gregory: ''The Oxford companion to the mind'', Oxford University Press, 2004, S. 385; Heinz Brücher, Karl Astel: ''Ernst Haeckels Bluts- und Geisteserbe: eine kulturbiologische Monographie'', J. F. Lehmann, 1936, S. 9.</ref> Ernst Haeckel vertrat einen [[Monismus]] auf naturwissenschaftlicher Grundlage (''Entwicklungs-Monismus'') und gründete am 11. Januar 1906 den [[Deutscher Monistenbund|Deutschen Monistenbund]] in [[Wikipedia:Jena|Jena]].
'''Simon Magus''' (auch ''Simon der Magier'', ''Simon von Samarien'' oder ''Simon von Gitta''; † 65, Rom) gilt als erster [[Häretiker]] der [[Wikipedia:Ekklesiologie|Kirche]]. Das Wenige, das über ihn bekannt ist, stammt aus christlichen Quellen, meist Polemiken gegen [[Gnostizismus|Gnostiker]]. Demzufolge war er ein [[Wikipedia:Samaritaner|Samaritaner]], der von seinen Anhängern als „die große Kraft Gottes“ oder Gott in menschlicher Gestalt (''[[theios aner]]'') verehrt wurde. Von seinem Namen ist der Begriff [[Wikipedia:Simonie|Simonie]] für Ämterkauf abgeleitet. Die gnostische Sekte der [[Simonianer]] berief sich auf ihn als Gründer und Lehrmeister. Sein Schüler und Nachfolger soll [[Menander (Gnostiker)|Menander]] gewesen sein<ref>vgl. Irenäus von Lyon: ''Contra Haereses'' I 23,5 [http://www.unifr.ch/bkv/kapitel603-4.htm] und Tertullian: ''Über die Seele'' 50 [http://www.unifr.ch/bkv/kapitel1909-49.htm]</ref>.


Haeckel trug durch seine populären Schriften sehr zur Verbreitung des [[Darwinismus]] in Deutschland bei. Darüber hinaus erarbeitete er eine ausführliche [[Embryologie|embryologische]] Argumentation für die Evolutionstheorie und formulierte in diesem Zusammenhang das [[Biogenetische Grundregel|biogenetische Grundgesetz]]. Er gilt als Wegbereiter der [[Eugenik|Eugenik und Rassenhygiene]], weil er fortschrittsoptimistisch von der Evolution eine Höherentwicklung und keine „Degeneration“ erwartete. Der Deutsche Monistenbund wurde wie auch andere [[Wikipedia:Freidenker|Freidenker]]organisationen 1933 von den [[Wikipedia:Nationalsozialismus|Nationalsozialisten]] verboten. Nationalsozialistische Ideologen zogen Ausschnitte seiner Aussagen später als Begründung für ihren [[Rassismus]] und [[Wikipedia:Sozialdarwinismus|Sozialdarwinismus]] heran, erklärten gleichzeitig aber wesentliche Teile von Haeckels Weltbild als unvereinbar mit der [[Wikipedia:Völkische Bewegung|völkisch]]-biologischen Sichtweise des Nationalsozialismus.<ref>R. J. Richards: ''The tragic sense of life: Ernst Haeckel and the struggle over evolutionary thought.'' The University of Chicago Press (2008) S. 446.</ref>
== Die Quellen ==
Fast alle erhaltenen Quellen über Leben und Gedanken des Simon Magus stammen aus christlichen Werken, der Apostelgeschichte, den Kirchenvätern ([[Wikipedia:Irenäus von Lyon|Irenäus]], [[Wikipedia:Justin der Märtyrer|Justin der Märtyrer]], [[Wikipedia:Hippolyt von Rom|Hippolyt von Rom]], [[Wikipedia:Epiphanius von Salamis|Epiphanius von Salamis]]), den apokryphen [[Petrusakten]] und den [[Pseudo-Klementinen]]. Die Quellen über Simon entwerfen sehr unterschiedliche Bilder über seine Person, so dass fraglich ist, ob alle dieselbe Person meinen, oder ob sein Name nur die Projektionsfläche für die Verurteilung abweichender theologischer Richtungen bildet. Da die großkirchliche Reaktion den simonianischen [[Wikipedia:Synkretismus|Synkretismus]] ausschloss, sind die Quellen weniger an Verständnis, als an Abgrenzung interessiert, ihre Darstellung ist daher oft verzeichnend und im Ton scharfer [[Wikipedia:Polemik|Polemik]]. Viele antike literarische Quellen – einige unecht, einige echt – bestätigen, dass sowohl Simon Magus, als auch [[Simon Petrus]] in Rom gestorben sind.


== Leben ==
=== Apostelgeschichte ===
[[Datei:ErnstHaeckel.jpg|miniatur|Ernst Haeckel]]
Der früheste Hinweis auf Simon findet sich in der wohl nach 70 entstandenen [[Wikipedia:Apostelgeschichte|Apostelgeschichte]], die von Simon Magus in [[Wikipedia:Samaria (Antike Stadt)|Sebaste]] in [[Wikipedia:Samarien|Samaria]] berichtet. Er soll demnach [[ekstatisch]]e Wirkungen ausgelöst haben. Simon, den seine Anhänger als eine „Kraft Gottes, die … große“ verehren, ist von den Heilungen durch die Samariamissionare beeindruckt und lässt sich vom Diakon [[Wikipedia:Philippus (Diakon)|Philippus]] taufen. Er wirkt als Missionar (Pseudoapostel?) und versucht erfolglos, die [[Gaben des Heiligen Geistes]] von [[Simon Petrus|Petrus]] und [[Johannes (Apostel)|Johannes]] gegen Geld zu erhalten, woher das Wort Simonie stammt.
=== Kindheit und Jugend ===
Ernst Haeckel wurde 1834 als zweiter Sohn des Regierungsrates Philipp August Haeckel und seiner Frau Charlotte, geb. Sethe, die aus einer Juristenfamilie stammte, in Potsdam geboren. Ein Jahr nach Haeckels Geburt zog die Familie nach [[Wikipedia:Merseburg|Merseburg]], einer Regierungsbezirkshauptstadt in der [[Wikipedia:Provinz Sachsen|Provinz Sachsen]], wo er das örtliche Domgymnasium besuchte. Durch die naturwissenschaftlichen Interessen seines Vaters und die gezielte Förderung seines Lehrers Otto Gandters kam Haeckel früh mit den Schriften von [[Wikipedia:Matthias Jacob Schleiden|Matthias Jacob Schleiden]], [[Wikipedia:Alexander von Humboldt|Alexander von Humboldt]] und [[Charles Darwin]] in Kontakt. Einer autobiographischen Skizze zufolge war insbesondere die Reiseliteratur Humboldts und Darwins entscheidend für Haeckels spätere Berufswahl.<ref>''Biographische Notizen'', 3, Haeckel Papers, Haeckel-Haus, Jena</ref>


=== Studium ===
{{Zitat|9 Es war aber ein Mann mit Namen Simon, der zuvor in der Stadt Zauberei trieb und das Volk von Samaria in seinen Bann zog, weil er vorgab, er wäre etwas Großes.
Nach dem Abitur 1852 nahm Haeckel das Studium der Medizin in [[Wikipedia:Humboldt-Universität zu Berlin|Berlin]] auf, wechselte jedoch auf Drängen seines Vaters noch im gleichen Jahr an die [[Wikipedia:Julius-Maximilians-Universität Würzburg|Universität Würzburg]], deren medizinische Fakultät aufgrund der Professoren [[Wikipedia:Albert von Kölliker|Albert von Kölliker]], [[Wikipedia:Franz von Leydig|Franz von Leydig]] und [[Wikipedia:Rudolf Virchow|Rudolf Virchow]] einen hervorragenden Ruf besaß. Die von Virchow entworfene [[Wikipedia:Zellularpathologie|Zellularpathologie]] wurde zu einem entscheidenden Element in Haeckels Denken (eine persönliche Freundschaft entwickelte sich zwischen Haeckel und Virchow aber nie). In bewusster Abgrenzung zur [[Idealismus (Philosophie)|idealistischen]] [[Naturphilosophie]] erklärte Virchow, dass sich alle körperlichen Funktionen durch die Interaktion der Zellen erklären ließen. Diesen Ansatz fasste Haeckel als offensiv [[Materialismus|materialistisch]] auf, da er ohne die Annahme einer immateriellen [[Lebenskraft]] auskam und den Körper [[Mechanistisches Weltbild|mechanistisch]] durch seine Zusammensetzung erklärte. Haeckel war begeistert von Virchows empirischen Erklärungsansätzen, sah in ihnen jedoch zugleich eine Gefahr für seinen Glauben. In einem 1856 verfassten Brief an seine Tante Bertha erklärte Haeckel, dass man zwischen den Bereichen des Wissens und des Glaubens unterscheiden müsse, da auch die erfolgreichsten wissenschaftlichen Erklärungen an ihre Grenzen stießen. An dieser Grenze beginne der christliche Glaube.<ref> Ernst Haeckel: ''Briefe an die Eltern''. K. F. Koehler, Leipzig 1921, S. 177 f. </ref>
10 Und alle hingen ihm an, Klein und Groß, und sprachen: Dieser ist die Kraft Gottes, die die Große genannt wird.
11 Sie hingen ihm aber an, weil er sie lange Zeit mit seiner Zauberei in seinen Bann gezogen hatte.
12 Als sie aber den Predigten des Philippus von dem Reich Gottes und von dem Namen Jesu Christi glaubten, ließen sich taufen Männer und Frauen.
13 Da wurde auch Simon gläubig und ließ sich taufen und hielt sich zu Philippus. Und als er die Zeichen und großen Taten sah, die geschahen, geriet er außer sich vor Staunen.
14 Als aber die Apostel in Jerusalem hörten, dass Samarien das Wort Gottes angenommen hatte, sandten sie zu ihnen Petrus und Johannes.
15 Die kamen hinab und beteten für sie, dass sie den Heiligen Geist empfingen.
16 Denn er war noch auf keinen von ihnen gefallen, sondern sie waren allein getauft auf den Namen des Herrn Jesus.
17 Da legten sie die Hände auf sie und sie empfingen den Heiligen Geist.
18 Als aber Simon sah, dass der Geist gegeben wurde, wenn die Apostel die Hände auflegten, bot er ihnen Geld an
19 und sprach: Gebt auch mir die Macht, damit jeder, dem ich die Hände auflege, den Heiligen Geist empfange.
20 Petrus aber sprach zu ihm: Dass du verdammt werdest mitsamt deinem Geld, weil du meinst, Gottes Gabe werde durch Geld erlangt.
21 Du hast weder Anteil noch Anrecht an dieser Sache; denn dein Herz ist nicht rechtschaffen vor Gott.
22 Darum tu Buße für diese deine Bosheit und flehe zum Herrn, ob dir das Trachten deines Herzens vergeben werden könne.
23 Denn ich sehe, dass du voll bitterer Galle bist und verstrickt in Ungerechtigkeit.
24 Da antwortete Simon und sprach: Bittet ihr den Herrn für mich, dass nichts von dem über mich komme, was ihr gesagt habt.
25 Als sie nun das Wort des Herrn bezeugt und geredet hatten, kehrten sie wieder um nach Jerusalem und predigten das Evangelium in vielen Dörfern der Samariter.|Apostelgeschichte|{{B|Apg|8|9–25|LUT}}}}


=== Reise nach Italien ===
=== Justin ===
Nach dem Abschluss seines Medizinstudiums im März 1858 plante Haeckel die Habilitation bei dem Physiologen und Meeresbiologen [[Johannes Peter Müller|Johannes Müller]]. Der überraschende und von Haeckel als [[Wikipedia:Suizid|Suizid]] interpretierte Tod Müllers zwang Haeckel zur Änderung seiner Pläne. [[Wikipedia:Carl Gegenbaur|Carl Gegenbaur]], ein Freund aus Würzburg und neu berufener Professor in Jena, schlug Haeckel eine gemeinsame Italienfahrt vor, die gleichermaßen dem Ideal einer [[Wikipedia:Forschungsreise|Bildungsreise]] und der Vorbereitung der Habilitation dienen sollte. Haeckel sagte zu, musste jedoch letztlich ohne den erkrankten Gegenbaur aufbrechen. Der erste Teil seiner Reise gestaltete sich nicht besonders erfolgreich. Von der religiösen Kunst, den Prozessionen und dem Papsttum abgestoßen, schrieb Haeckel an seine Verlobte Anna Sethe, dass er bei einem längeren Aufenthalt in Rom sicherlich zum Heiden werde.<ref>Ernst Haeckel: Italienfahrt: Briefe an die Braut, K. F. Koehler, Leipzig 1921, S. 8.</ref> Auch der Aufenthalt am [[Wikipedia:Golf von Neapel|Golf von Neapel]] war zunächst von Rückschlägen bestimmt, und Haeckel wandte sich unter dem Einfluss [[Wikipedia:Hermann Allmers|Hermann Allmers]] der Kunst zu. Erst im November 1859 beschloss Haeckel, sich den [[Wikipedia:Strahlentierchen|Radiolarien]] zu widmen, einer Gruppe von einzelligen Tieren, an denen Johannes Müller unmittelbar vor seinem Tod gearbeitet hatte. In kurzer Zeit sammelte Haeckel 101 neue Arten.


=== Professur, Reisen, politische Tätigkeit ===
[[Wikipedia:Justin der Märtyrer|Justin der Märtyrer]] († 165) schildert Simon als einen von seinen Anhängern religiös verehrten Mann zur Zeit des [[Wikipedia:Claudius|Claudius]] (41–54). Er sei mit einer gewissen ''Helena'' unterwegs gewesen, die er aus einem Bordell befreit habe, und die von den Simonianern als göttliche Teilinstanz „erster Gedanke“ verehrt werde. Justin berichtet von einer hauptsächlich aus Samaritanern bestehenden römischen Gemeinde Simons. Darüber hinaus weiß er von einer Simon geweihten Statue auf der Tiberinsel. 1574 wurde eine Statue auf der Insel entdeckt, diese war jedoch dem römischen Schwurgott [[Wikipedia:Sancus|Semo Sancus]] geweiht, welcher wahrscheinlich mit [[Wikipedia:Jupiter (Mythologie)|Jupiter]] identifiziert wurde. Es könnte sich dabei durchaus um das von Justin erwähnte Bild des Simon handeln.
1861 wurde Haeckel mit der Schrift ''De Rizopodum finibus et ordinibus'' habilitiert. 1862 hielt er die erste Vorlesung über die Entstehung der Arten. 1865 erhielt er die Ehrendoktorwürde in Philosophie und eine Professur für Zoologie in Jena, die damals zur Philosophischen Fakultät gehörte.


1866 bis 1867 unternahm Haeckel eine Reise zu den [[Wikipedia:Kanarische Inseln|Kanarischen Inseln]] und nahm dort an der winterlichen Erstbesteigung des [[Teide]] teil. In dieser Zeit traf Haeckel mit [[Charles Darwin]], [[Wikipedia:Thomas Huxley|Thomas Huxley]] und [[Wikipedia:Charles Lyell|Charles Lyell]] zusammen.
{{Zitat|Auch nach der Auffahrt Christi zum Himmel haben die Dämonen einzelne Menschen veranlaßt, sich für Götter auszugeben, die nicht nur nicht von euch verfolgt, sondern mannigfacher Ehren gewürdigt wurden. So einen gewissen Samaritaner Simon aus dem Flecken Gittä, der unter Kaiser Klaudius durch die Macht der in ihm tätigen Dämonen in eurer Kaiserstadt Rom Zauberkünste ausgeübt hat, für einen Gott gehalten und wie ein Gott von euch durch eine Bildsäule geehrt wurde. Diese Bildsäule steht im Tiberflusse mitten zwischen zwei Brücken und trägt diese lateinische Aufschrift: Simoni deo sancto. Und fast alle Samaritaner, auch einzelne unter anderen Völkern, erkennen und verehren ihn als den höchsten Gott und eine gewisse Helena, die in jener Zeit mit ihm umherzog, nachdem sie früher in einem Hurenhause sich preisgegeben hatte, nennen sie seinen ersten Gedanken.|Justin der Märtyrer|''Erste Apologie'', 26 [http://www.unifr.ch/bkv/kapitel77-25.htm] }}


Nach dem Tod seiner Frau Anna im Jahr 1864 heirateten 1867 Haeckel und Agnes Huschke, die Tochter des Anatomen, Zoologen und Embryologen [[Wikipedia:Emil Huschke|Emil Huschke]] (1797–1858). Aus dieser Ehe stammten drei Kinder: Der Sohn [[Wikipedia:Walter Haeckel|Walter]] wurde 1868, die Tochter Elisabeth 1871 und die Tochter Emma 1873 geboren.
=== Origenes ===


1869 reiste er nach [[Wikipedia:Norwegen|Norwegen]], 1871 nach [[Wikipedia:Dalmatien|Dalmatien]], 1873 nach [[Wikipedia:Ägypten|Ägypten]], in die [[Wikipedia:Türkei|Türkei]] und nach [[Wikipedia:Griechenland|Griechenland]].
[[Origenes]] gibt an, dass sich laut [[Celsus]] einige Anhänger Simons auch als ''Helenianer'' bezeichnet hätten:


Von 1876 an war Haeckel [[Wikipedia:Prorektor|Prorektor]] der [[Wikipedia:Universität Jena|Universität Jena]] und unternahm Vortragsreisen durch Deutschland.
{{Zitat|Darauf schüttet er über uns einen Haufen von Namen aus und sagt, ''"er kenne auch einige Simonianer, die die Helena oder als Lehrer den Helenos verehrten und deshalb Helenianer genannt würden"''. Es ist aber dem Celsus unbekannt, dass "die Simonianer" Jesus durchaus nicht als Sohn Gottes anerkennen, sondern den Simon die Kraft Gottes nennen<ref>{{B|Apg|8|10}}</ref>. Sie erzählen einige wunderbare Geschichten von ihm, der sich eingebildet hatte, er werde denselben Einfluß bei den Menschen erlangen, den Jesus bei der Menge besaß, wenn er ebensolche Scheinwunder verrichtete, wie Jesus nach seiner Meinung vollbracht hatte<ref>{{B|Apg|8|18-19}}</ref>|Origenes|''Contra Celsum'' V,62 [http://www.unifr.ch/bkv/kapitel142-61.htm]}}
Bis 1879 folgten mehrere Reisen nach England und Schottland, in deren Verlauf es zu weiteren Begegnungen mit [[Charles Darwin]] kam, sowie eine Reise nach [[Wikipedia:Korfu|Korfu]].


Von 1881 bis 1882 bereiste Haeckel erstmals die Tropen, unter anderem auch die Insel [[Wikipedia:Sri Lanka|Ceylon]].
=== Irenäus von Lyon ===
[[Datei:Ernst Haeckel, Arbeitszimmer.jpg|miniatur|Das Arbeitszimmer in der Villa Medusa, Jena, 2007]]
Während die Apostelgeschichte nur vom Magier Simon, aber keinem Lehrsystem weiß, hat nach Irenäus die „fälschlich so genannte“ [[Gnosis]] mit Simon begonnen. Nach [[Wikipedia:Irenäus von Lyon|Irenäus von Lyon]] (''Gegen die Häretiker'', Buch 1, 23, 1-5) habe Simon den Anspruch erhoben, ein [[Messias]] (Christus) zu sein, und sei gekommen, um den (weiblichen) „ersten Gedanken" [[Ennoia]] aus der Materie zu erlösen. Dies könnte zu Justins Nachricht über Helena passen. Dieser „erste Gedanke" stieg in die niedrigeren Regionen ab und erschuf Engel und Mächte. Die Engel lehnten sich aus Neid gegen Ennoia-Helena auf und schufen die Welt als ihr Gefängnis, in dem sie in einem weiblichen Leib gefangen lag. So zog sie von Leib zu Leib wie von Gefängnis zu Gefängnis. Sie nahm u.a. in [[Helena (Mythologie)|Helena von Troja]] Gestalt an, bis sie als Prostituierte in der [[Wikipedia:Phönikien|phönizischen]] Stadt [[Wikipedia:Tyros|Tyrus]] durch Gott, der in Gestalt des Simon Magus abgestiegen war, erlöst wurde. Diese von den Engeln geschaffene Welt wäre dem Verderben preisgegeben. Nur die an Simon und an Helena glaubten, könnten mit ihnen in die höheren Regionen zurückkehren.
1882 war Haeckel am Bau der Villa Medusa und der Einrichtung des Zoologischen Institutes der Universität Jena beteiligt, deren Prorektor er 1884 erneut wurde.
1887 reiste Haeckel nach [[Wikipedia:Palästina (Region)|Palästina]], [[Wikipedia:Syrien|Syrien]] und [[Wikipedia:Kleinasien|Kleinasien]], 1890 nach [[Wikipedia:Algerien|Algerien]], 1897 durch Süd[[Wikipedia:finnland|finnland]] und [[Wikipedia:Russland|Russland]], 1899 nach [[Wikipedia:Korsika|Korsika]] und 1900 zum zweiten Mal in die [[Wikipedia:Tropen|Tropen]]. In dieser Zeit begann auch seine Freundschaft mit [[Wikipedia:Frida von Uslar-Gleichen|Frida von Uslar-Gleichen]] (1864–1903).


Haeckel betätigte sich auch politisch: So war er Mitglied des [[Wikipedia:Alldeutscher Verband|Alldeutschen Verbandes]] und wurde 1905 Ehrenmitglied der [[Wikipedia:Gesellschaft für Rassenhygiene|Gesellschaft für Rassenhygiene]], ebenso war er ab 1889 Ehrenmitglied des [[Studentenverbindung|korporativen]] „Medizinischen Vereins“ der Universität Jena (heute [[Wikipedia:Landsmannschaft Rhenania zu Jena und Marburg|Landsmannschaft Rhenania zu Jena und Marburg]]).<ref>CC-Blätter 1/2007, S. 23.</ref>
{{Zitat|Dieser Simon von Samaria, von dem sämtliche Sekten abstammen, trägt folgende Irrlehre vor: Mit einer gewissen Helena, die er zu Tyrus in Phönizien als Lohndirne erstand, zog er herum und sagte, dies sei die erste Vorstellung seines Geistes, die Mutter aller, durch die er im Anfang gedachte, Engel und Erzengel zu erschaffen. Indem diese Ennoia von ihm ausging und erkannte, was der Vater wollte, stieg sie in die unteren Regionen hinab und zeugte die Engel und Mächte, von denen diese Welt gemacht worden sein soll. Dann aber wurde sie aus Neid von ihren eigenen Kindern zurückgehalten, da diese nicht für die Kinder irgend jemandes gehalten werden wollten. Er selbst blieb ihnen gänzlich unbekannt, die Ennoia aber hielten die Engel und Mächte zurück, die sie selbst geboren hatte, und jegliche Schmach mußte sie von ihnen erleiden, so daß sie nicht zu ihrem Vater zurückkehren konnte und sogar in menschlichem Körper eingeschlossen, in Ewigkeit wie von einem Gefäß in das andere in weibliche Körper überging. So war sie auch in dem Leib der Helena, deretwegen der trojanische Krieg unternommen wurde. Stesichorus, der auf sie Schmählieder dichtete, wurde deswegen geblendet, und erst als er reuevoll durch Gegenlieder Abbitte leistete, bekam er das Augenlicht wieder. Bei ihrer Wanderung von Körper zu Körper erlitt sie in jedem immer neue Schmach und landete zuletzt in einem öffentlichen Hause — sie ist das verlorene Schaf.|Irenäus|''Gegen die Häretiker'' I, 23, 1-5 [http://www.unifr.ch/bkv/kapitel603-1.htm] }}


Um seine monistische Weltanschauung zu verbreiten, gründete Haeckel 1906 den Monistenbund am Jenaer Zoologischen Institut. Daneben setzte er sich stark für den Pazifismus ein, etwa indem er 1910 zusammen mit anderen bedeutenden Persönlichkeiten wie [[Wikipedia:Friedrich Naumann|Friedrich Naumann]] und [[Max Weber]] einen in deutschen Zeitungen veröffentlichten „Aufruf zur Begründung eines [[Wikipedia:Verband für internationale Verständigung|Verbandes für internationale Verständigung]]“ unterzeichnete, der Abkommen mit anderen Nationen fördern sollte, um den Weltfrieden zu garantieren.<ref>Roger Chickering: ''A Voice of Moderation in Imperial Germany: The "Verband für internationale Verständigung" 1911–1914.'' In: ''Journal of Contemporary History.'' Vol. 8, No. 1 (1973), S. 147–164.</ref><ref>Siehe auch Bundesarchiv Koblenz. Nachlass Hans Wehberg, „Aufruf zur Begründung eines Verbandes für internationale Verständigung“.</ref>
=== Tertullian ===


1907 unternahm der Forscher seine letzte große Reise nach [[Wikipedia:Schweden|Schweden]]. 1908 stiftete Haeckel das [[Wikipedia:Phyletisches Museum|Phyletische Museum]] in Jena.
Auch [[Wikipedia:Tertullian|Tertullian]] († um 220) berichtet die Geschichte von Simon Magus und Helena als Beispiel im Rahmen seiner ausführlichen Argumentation gegen die [[Seelenwanderung]]slehre der [[Pythagoreer]]:


1909 endete Haeckels [[Wikipedia:Professur|Lehrtätigkeit]], 1910 trat er aus der [[Wikipedia:Evangelische Kirche|evangelischen Kirche]] aus.
{{Zitat|Der Samariter Simon nämlich, aus der Apostelgeschichte bekannt als Käufer des hl. Geistes, wandte sich, nachdem er von diesem samt seinem Gelde verdammt, seinen Untergang erfolglos beweint hatte, der Bekämpfung der Wahrheit gleichsam als einer trostvollen Rache zu und stützte sich dabei auch auf seine Kunstfertigkeit. Für dasselbe Geld kaufte er sich aus einer öffentlichen Lasterhöhle eine gewisse Helena aus Tyrus — für ihn eine passende Entschädigung statt des hl. Geistes — um Taschenspielerkünste einer bekannten Art auszuüben. Sich selbst gab er für den höchsten Vater aus, jene Person aber für seine erste Eingebung,1 durch die ihm eingegeben worden sei, die Engel und Erzengel zu erschaffen. Im Besitze dieses Ratschlusses sei sie dem Vater entsprungen, in die niederen Regionen herabgestiegen und habe hier, dem Ratschluss des Vaters zuvorkommend, die Engelmächte erzeugt, welche vom Vater, dem Baumeister der Welt, nichts wussten, sei von ihnen aber aus Missgunst2 zurückgehalten worden, damit sie nicht, wenn jene weggegangen wäre, für Geschöpfe des andern gehalten würden. So sei ihr denn jegliche Schmach angethan worden, damit sie, um alles Ansehen gebracht, keine Lust mehr habe, irgendwo anders hinzugehen, sie sei sogar in eine menschliche Gestalt eingeschlossen worden, damit sie so gleichsam durch die Bande des Fleisches festgehalten werde. So habe sie sich viele Jahrhunderte hindurch in immer wechselnden weiblichen Gestalten herumgetrieben und sei die für Priamus und später für die Augen des Stesichorus so verhängnisvolle Helena gewesen. Letztern habe sie wegen eines Schmähgedichtes geblendet, nachher aber, als sie durch ein Lobgedicht Genugthuung empfangen, ihn wieder sehend gemacht. Sodann habe sie, aus einem Körper in den andern wandernd, als Helena geringerer Sorte in äusserster Schmach, unter einem Aushängeschild Prostitution getrieben.|Tertullian|''Über die Seele'' 34 [http://www.unifr.ch/bkv/kapitel1909-33.htm]}}
Seine Frau Agnes starb 1915. Haeckels Gebrechlichkeit nahm in dieser Zeit erheblich zu ([[Wikipedia:Schenkelhalsfraktur|Oberschenkelhalsbruch]], Armbruch).
1918 verkaufte er die Villa Medusa an die [[Wikipedia:Carl-Zeiss-Stiftung|Carl-Zeiss-Stiftung]].
Ernst Haeckel starb am 9. August 1919.


== Haeckel als populärer Forscher ==
=== Die apokryphen Petrusakten ===
[[Datei:Haeckel1866 Deckblatt.jpg|miniatur|hohchkant=0.8|''Generelle Morphologie der Organismen'' (Berlin 1866): In diesem Werk definierte Haeckel den Begriff ''[[Ökologie]]'']]
Haeckels Ideen sind für die Geschichte der [[synthetische Evolutionstheorie|Evolutionstheorie]] von großer Bedeutung. Er definierte unter anderem den Begriff ''[[Ökologie]]'' und erwies seine Kompetenz als Anatom. Haeckel beschrieb Hunderte von neuen Arten. Inspiriert durch den Linguisten [[August Schleicher]], mit dem er in Jena eng befreundet war, führte er [[Stammbaum|Stammbäume]] zur Darstellung des historischen Verlaufes der Evolution in die Biologie ein. Diese Idee gilt heute als überholt; stattdessen verwenden aktuelle Systematiken [[Kladistik|Kladogramme]] und [[Kladistik|Phylogramme]]. Haeckel postulierte zudem erstmals den gemeinsamen Ursprung aller Organismen, wobei er allerdings die Abstammung aus dem Bereich dreier Gruppen für wahrscheinlicher hielt. Die meisten dieser Überlegungen sind mittlerweile jedoch wissenschaftlich falsifiziert.


== Die Hauptwerke ==
Die vermutlich Ende des zweiten Jahrhunderts in Kleinasien entstandenen apokryphen [[Petrusakten]] schildern eine Legende über den Tod des Simon Magus. Simon übt auf dem Forum Zauberei vor dem römischen Kaiser Claudius. Um seine Göttlichkeit zu beweisen, erhebt sich Simon in die Luft. Der Apostel Petrus betet, Gott solle dem Geschehen Einhalt gebieten:
[[Datei:Haeckel Stephoidea.jpg|miniatur|rechts|Radiolarien ([[Strahlentierchen]]): Bildtafel Nr. 71 aus ''Kunstformen der Natur'', 1899]]
{{Zitat
[[Datei:Haeckel Discomedusae 8.jpg|miniatur|links|Discomedusae: Bildtafel Nr. 8 aus ''Kunstformen der Natur'', 1899]]
| Text=Doch möge er nicht sterben, sondern bloß unschädlich gemacht werden und sich den Schenkel an drei Stellen brechen. Und Simon stürzte vom Himmel und brach sich den Schenkel an drei Stellen. Da warfen alle Steine auf ihn und gingen heim und vertrauten von nun an Petrus.
| Quelle=Petrusakten 32}}


=== Meeresbiologische Monographien ===
Offenbar war es den Autoren der Petrusakten nicht bekannt, dass der im antiken Griechenland und im alten Israel praktizierte Brauch der [[Wikipedia:Steinigung|Steinigung]] in Rom unvorstellbar gewesen wäre. Das dramatische Bild des [[Levitation (Parapsychologie)|levitierenden]] und über Rom abstürzenden Simon entfaltete jedoch eine große Wirkung und wurde in mittelalterlicher Kunst häufig dargestellt.
Haeckels Werke, die seinen Ruf in der Fachwelt begründeten, sind grundlegende [[Meeresbiologie|meeresbiologische]] Monographien über [[Strahlentierchen|Radiolarien]] (1862, 1887), [[Kalkschwämme]] (1872), [[Medusen]] (1879–1880) und [[Staatsquallen]] (1869, 1888). Diese Arbeiten brachten ihm letztlich die Berufung zum Professor, später zum ersten [[Lehrstuhl|Ordinarius]] für [[Zoologie]] in Jena ein. Bei der Beschreibung der von der britischen [[Challenger-Expedition]] gesammelten Radiolarien benannte Haeckel über 3500 neue Arten. Sein Teil des Challenger-Reports umfasst drei Bände mit 2750 Druckseiten und 140 detaillierten Bildtafeln.  


Haeckel war nicht nur ein hervorragender Forscher, sondern auch ein begnadeter Zeichner, wie sämtliche aus seiner Hand stammenden Darstellungen und Bildtafeln auch heute noch durch ihre Naturtreue und Plastizität eindrucksvoll belegen. Diese besitzen aufgrund ihrer Materialfülle auch heute noch wissenschaftlichen Wert.
=== Hippolyt von Rom ===
[[Wikipedia:Hippolyt von Rom|Hippolyt von Rom]] ([[Philosophumena]]) liefert eine komplexe Darlegung der in der «Großen Offenbarung» festgehaltenen Lehren des [[Simonianismus]], einschließlich des Systems göttlicher [[Emanation (Philosophie)|Emanationen]] und Deutungen des Alten Testaments. Wahrscheinlich liegt dieser Darstellung eine spätere Gestalt des Simonianismus zugrunde, während ihre ursprünglichen Lehren schlichter und der Darstellung des Justin und Irenäus ähnlicher waren.


=== Generelle Morphologie (1866) ===
{{Zitat|Es erscheint also angebracht, die Meinungen des Simon aus Gitta, einem Dorf in Samaria, auseinanderzusetzen; er hatte auch Nachfolger, wie wir noch zeigen werden, die unter anderer Flagge ähnlich verfuhren. Dieser Simon, der Magie kundig, täuschte viele durch die Kunst des Thrasymedes, wie wir es oben1 auseinandergesetzt haben, und verübte Schlimmes mit Hilfe von Dämonen; er ging daran, sich selbst zum Gott zu machen; ein Schwindler, voller Narrheiten, den nach den Acta die Apostel überführten.|Hippolyt von Rom|''Widerlegung aller Häresien'' VI,7 [http://www.unifr.ch/bkv/kapitel1767-2.htm] }}
Nach 1859 nahm Haeckel die Gedanken von Darwins ''[[Entstehung der Arten]]'' auf. Haeckels ''Generelle Morphologie'' (1866) war epochemachend, Beginn zahlreicher noch folgender Synthesen verschiedener Teilgebiete der Biologie im Rahmen der [[Synthetische Evolutionstheorie|Evolutionstheorie]]. Haeckel verknüpft biologische und weltanschauliche Aspekte dabei. Er leitete jedes Kapitel mit einem Goethezitat ein, das Schlusskapitel, unter dem Titel ''Gott in der Natur ([[Amphitheismus]] und [[Monotheismus]])'' führte bereits in den Monismus als ''reinsten Monotheismus'' ein.  


Nach der ''Generellen Morphologie'' begann Haeckel, zunehmend gemeinverständliche, also an Laien gerichtete Bücher – oft verschriftlichte Vortragsreihen – zu publizieren. Diese gingen vom Gedanken der Abstammungslehre aus und thematisierten sowohl wissenschaftliche als auch philosophische und theologische Aspekte, was Haeckel unter anderem heftige Attacken unter anderem seitens [[Emil Heinrich Du Bois-Reymond]] eintrug.
=== Epiphanius von Salamis ===


=== Natürliche Schöpfungsgeschichte (1868) ===
[[Wikipedia:Epiphanios von Salamis|Epiphanios von Salamis]] kommentiert in seinem Panárion (der „Hausapotheke gegen die Schlangenbisse der Häresie“, auch als ''Adversus haereses'' bekannt und meist als ''Haereses'' zitiert, geschrieben 374–377) Leben und Lehre des Simon Magus. Im zweiten Abschnitt des ersten Buches bespricht er 13 häretische Sekten.
[[Datei:Erstausgaben für Wikipedia I 135.jpg|miniatur|400px|Erstdruck]]
Mit der ''Natürlichen Schöpfungsgeschichte'' (1868) unternahm Haeckel den ersten Versuch, seine in der ''Generellen Morphologie'' entwickelten Gedanken auch für Laien verständlich zusammenzufassen. Trotz der großen Mängel, die Haeckel später bemerkte, erlebte die ''Natürliche Schöpfungsgeschichte'' bis zur Publikation der ''Welträthsel'' (1899) neun Auflagen und wurde in zwölf Sprachen übersetzt. Die ''Welträthsel'' und die ''Lebenswunder'' (1904) setzten diese Linie fort, überschritten jedoch zunehmend den Rahmen der Deutung biologischer Tatsachen im Kontext der Evolutionstheorie.


Unter anderem spekulierte er in diesem Werk über den Erdteil, in dem sich der Mensch entwickelt hatte. Haeckel ging davon aus, dass „die meisten Anzeichen auf das südliche Asien“ hindeuteten, räumte aber zugleich ein: „Vielleicht war aber auch das östliche Afrika der Ort, an welchem zuerst die Entstehung des Urmenschen aus den menschenähnlichen Affen erfolgte; vielleicht auch ein jetzt unter den Spiegel des indischen Oceans versunkener Kontinent [→ „[[Lemuria]]“], welcher sich im Süden des jetzigen Asiens einerseits östlich bis nach den Sunda-Inseln, andrerseits westlich bis nach Madagaskar und Afrika erstreckte.“ Den hypothetischen Urmenschen nannte Haeckel „[[Archaischer Homo sapiens|''Homo primigenius'']] oder ''Pithecanthropus primigenius''“.<ref>Ernst Haeckel: ''Natürliche Schöpfungsgeschichte. Gemeinverständliche wissenschaftliche Vorträge über die Entwickelungslehre im Allgemeinen und diejenige von Darwin, Goethe und Lamarck im Besonderen, über die Anwendung derselben auf den Ursprung des Menschen und andere damit zusammenhängende Grundfragen der Naturwissenschaft. '' Georg Reimer, Berlin 1868, Kapitel 19 ({{Biolib|1=haeckel/natuerliche/kapitel_19.html|2=Volltext}})</ref>
{{Zitat|Die erste davon ist die des Simon Magus, welcher unmittelbar nach Christus noch zu den Zeiten der Apostel auftauchte. Seine Anhänger heißen nach ihm Simonianer. Er war aus einem Dorfe Samariens, Gitthis, geboren und nur dem Namen nach ein Schüler Christi. Er lehrte schändliches Treiben und predigte freie Liebe. Er leugnete die Auferstehung der Leiber und die Erschaffung der Welt durch Gott. Sein und seiner Dirne Helena Bild gab er als Darstellung des Zeus und der Athene seinen Jüngern zur Anbetung. Bei den Samaritern gab er sich für Gott Vater aus; zu den Juden sagte er, er sei der Christus.|Epiphanius von Salamis|''Haereses'' I 2,21 [http://www.unifr.ch/bkv/kapitel2316-2.htm] }}


=== Anthropogenie (1874) ===
=== Pseudoklementinen ===
[[Datei:Pedigree of man (Haeckel 1874).jpg|miniatur|links|Stammbaum des Menschen nach Haeckel (1874)]]
In dem etwa im 4. Jahrhundert entstandenen anti-gnostischen [[Pseudo-Klementinen|pseudoklementinischen]] Roman ist Simon Magus als Gegenspieler des Petrus und dessen jugendlichen Schülers Klemens die Verkörperung der gnostischen Irrlehre und der „falsche [[Prophet]].
Haeckel wendet in seiner Schrift ''Anthropogenie'' (1874, rund 730 Seiten) die in der ''Generellen Morphologie'' entwickelten Methoden auf den [[Mensch]]en an. Nach einer historischen Einleitung in die Geschichte der Evolutionstheorien untersucht er die [[Ontogenese|Keimesgeschichte]] des Menschen, indem er die [[Eizelle]], [[Befruchtung]], die Anlage der [[Keimblatt|Keimblätter]] und des [[Blutkreislauf]]es im Sinne der [[Ontogenese]] darstellt. Der dritte Abschnitt umfasst die Stammesgeschichte oder [[Phylogenie]]. Hier stellt Haeckel zunächst einfache Wirbeltiere vor, dann verschiedene Stufen der Ahnenreihe des Menschen:


: I. vom Moner zur Gastraea,<ref>vgl. [[s:Ernst Haeckel’s Gasträa-Theorie|Ernst Haeckel’s Gasträa-Theorie]]</ref>
Über Simon wird berichtet, dass er aus [[Wikipedia:Samarien|Samarien]] stammte und sich in [[Wikipedia:Alexandria|Alexandria]] griechische Bildung und Zauberkunst aneignete, nachdem er Schüler des Täufers [[Johannes der Täufer|Johannes]] gewesen war. Helena begleitete ihn als „[[Sophia]]“, d. h. als personifizierte [[Weisheit]].
: II. vom Urwurm bis zum Schädelthier,
Simons Disputationen mit Petrus bestimmen über weite Teile die Handlung. In ihnen vertritt Simon die in der Gnosis vorherrschende dualistische Lehre von dem „Inneren Licht“ sowie der von einem bösen und ungerechten Gott geschaffenen Welt als deren Gefängnis, aus der nur er, die „oberste Kraft Gottes“, befreien könne. Petrus hält dagegen, dass die Schöpfung, weil vom guten, gerechten Gott geschaffen, sehr wohl gut sei, und der Mensch als Ebenbild Gottes sich frei entscheiden könne. Mit Zitaten aus der Bibel überführt er Simon als falschen Propheten. Als Simon merkt, dass er Petrus nicht besiegen kann, flieht er.
: III. vom Urfisch bis zum Amnionthier (Gruppe aus Reptilien, Vögeln und Säugern) und
: IV. vom [[Kloakentiere|Ursäuger]] bis zum [[Affen]].


Der vierte Abschnitt behandelt die Entwicklungsgeschichte einzelner Organsysteme: [[Haut]]decke und [[Nervensystem]], [[Sinnesorgan]]e, Bewegungsorgane, [[Darm]]system, Gefäßsystem und [[Urogenitalsystem]]. Es folgt ein zusammenfassendes Kapitel, in welchem Haeckel die dualistische Auffassung, besonders den [[Kreationismus|Schöpfungsglauben]] und die Auffassung von einer von den Hirnfunktionen unabhängigen [[Seele]], für widerlegt erklärt und seinen [[Monismus]] in kurzen Zügen umreißt. (Nahezu zeitgleich zu Haeckels Buch erschien Darwins Schrift ''[[Wikipedia:Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl|Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl]]'', die sich methodisch allerdings völlig anders ausrichtete.)
Bei der Figur des Simon in den Pseudoklementinen handelt es sich weniger um eine historische Person, als vielmehr um das Klischee eines [[Ketzer]]s. Seine Geschichte ist als Gegenbild zum wahren Propheten [[Jesus Christus]] und seines Jüngers Petrus konstruiert, passend zur Theologie des Buches, dass alles seine „Syzygie“, also sein Gegenteil, besitzt.


{{GZ|Studieren Sie heute, indem Sie von
== Der historische Simon Magus und der Simonianismus ==
dem hier gemeinten rosenkreuzerischen Initiationsprinzip berührt
[[File:Simonian Aeonology.jpg|mini|450px|Die Simonianische Äonologie ([[G.R.S. Mead]])]]
worden sind, den Haeckelismus mit all seinem Materialismus, studieren
Sowohl über den historischen Simon als auch über seine Lehre und Anhänger ist so gut wie nichts bekannt. Den Quellen kann man entnehmen, dass es sich bei ihm um einen Magier der [[Gnosis]] handelte. Die früheste Quelle, die Apostelgeschichte, berichtet allerdings nichts von seinem gnostischen Anspruch eines [[Erlösung|Erlösers]], der die in Knechtschaft geratene Weltseele (bei Simon die »Mutter des Alls«) durch seinen „Ruf“ zu befreien vermochte und mit Befreiung der Helena unter Beweis stellt.
Sie ihn, und lassen Sie sich durchdringen von dem, was Erkenntnismethoden
sind nach «[[Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?]]»: Was Sie in Haeckels «Anthropogenie» über die
menschlichen Vorfahren in einer Sie vielleicht abstoßenden Weise
lernen, lernen Sie es in dieser abstoßenden Weise, lernen Sie alles
dasjenige darüber, was man durch äußere Naturwissenschaft lernen
kann, und tragen Sie das dann den Göttern entgegen, und Sie bekommen
dasjenige, was in meinem Buche «[[Geheimwissenschaft]]»
über die Evolution erzählt ist.|233a|89f}}


=== Die Welträthsel (1899)===
{{Hauptartikel|Simonianer}}
Im Gegensatz zu den vorherigen Schriften mit rein naturwissenschaftlichem Fokus bietet Haeckel mit seinem gemeinverständlichen Werk Die Welträthsel neben der breit angelegten Darstellung des zeitgenössischen Forschungssstandes in vielen Einzelwissenschaften eine philosophisch-weltanschauliche Deutung desselben.  In vier Kapiteln behandelt er die Gegenstände Mensch, Seele, Welt und Gott. Das Buch ist in insgesamt 20 Unterkapitel gegliedert, welche die vier Hauptteile in analoger Weise strukturieren. Dabei erscheinen Hierarchie, Deszendenz und die evolutionäre Entwicklung als Strukturprinzipien der einzelnen Kapitel.


Der erste Teil beginnt mit einer Reflexion auf Wissenschafts – und Gesellschaftstrends. Gegenüber Missständen in der Wissenskultur und der Gesellschaft plädiert er für einen philosophischen Monismus als zu favorisierender Weltanschauung. Im weiteren Verlauf wird eine anatomische, physiologische, ontogenetische und phylogenetische Bestimmung des Menschen vorgenommen.
Das System [[Simonianer|simonianischer Gnosis]], wie es am Ende des 2. Jahrhunderts belegt ist, zeigt sich als Konkurrenzbildung zum beginnenden Christentum, was zum in der Apostelgeschichte berichteten Ausschluss und Nachrichten über Simons Aufenthalt in Rom passt. Es richtete sich an Christen und Nichtchristen, nahm Einflüsse des [[Platonismus|Vulgärplatonismus]] (gefangene, wandernde Weltseele) auf, integrierte römische religiöse Bräuche (Verehrung einer Statue der dem Haupt des [[Zeus]] entsprungenen – [[Athene|Athena]] als Helena) und enthält die Vorstellung göttlich personifizierter weiblicher Weisheit des hellenistischen Judentums ([[Wikipedia:Buch der Weisheit|Buch der Weisheit]], AT).
Der zweite Teil bietet eine Betrachtung der Seele sowie eine Darstellung psychologischer Methoden und Konzepte. Gegenüber der etablierten Dualistischen Psychologie positioniert er sich aufseiten des psychologischen Monismus und stellt die Vergleichende Psychologie als überlegenen methodischen Ansatz vor. Dann folgt eine Bestimmung einzelner Seelenfunktionen und des Bewusstseins und ein Vergleich von Mensch – und Tierseele. Grundsätzlich verfolgt er eine reduktionistische Interpretation der Seele.
Im dritten Teil beschreibt Haeckel zunächst das Substanzgesetz als monistisches Erklärungsmodell gegenüber dualistischen Theorien von Materie und Geist. Der gesamte Kosmos bestehe aus einer Substanz, welche sich aus Masse und Äther zusammensetzen, die alle in den Naturwissenschaften beobachtbaren Phänomene verursache. Seiner Auffassung zufolge ist der Kosmos unendlich und hat keinen Anfang. Gegenüber dem Kantschen Idealismus vertritt er die vom Beobachter unabhängige Realität von Raum und Zeit. Gemäß dem Darwinschen Evolutionsparadigma vertritt er die Meinung, dass teleologische Prozesse die biologische Materie konfigurieren.
Der vierte Teil handelt von seinem modifizierten Religionskonzept. Aus der Evaluierung der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse folge der Pantheismus als überzeugende religiöse Anschauung. Die moderne Religiosität sei naturalistisch und ethische Werte wie Altruismus aus biologischen Erkenntnissen ableitbar.


Das Werk wird in die Gattung der Weltanschauungsliteratur eingeordnet. Es zeichnet sich dadurch aus, dass separate Wissenschaftsbereiche durch komplexe Darstellungsformen zu einer einheitlichen Wirklichkeitsdeutung zusammengeführt werden. In dieser Gattung werden Weltanschauungen literarisch vermittelt, weswegen das textliche Ich zur Rechtfertigungsinstanz wird. Durch Strukturierungsverfahren, rhetorische Mittel und exzessiven Gebrauch von Fachtermini gelingt es Haeckel den teilweise spekulativen Charakter seines Werkes zu verschleiern und Wissenschaftlichkeit zu suggerieren.
Als geflügeltes Wort hat sich das schillernde Delikt der [[Wikipedia:Simonie|Simonie]] erhalten.


=== Kunstformen der Natur (1899–1904) ===
== Simon Magus und Johann Georg Faust ==
[[Datei:Haeckel Actiniae.jpg|miniatur|links|[[Seeanemonen]]: Bildtafel Nr. 49 aus ''Kunstformen der Natur'', 1899]]
[[Datei:Haeckel Ascidiae.jpg|miniatur|rechts|[[Seescheiden|Ascidiacea]]: Bildtafel Nr. 85 aus ''Kunstformen der Natur'', 1904]]


Haeckel sah die Biologie in vielem mit der [[Kunst]] verwandt. Seine künstlerische Begabung wurde durch [[Symmetrie (Geometrie)|Symmetrien]] in der Natur stark angesprochen, unter anderem der von [[Einzeller]]n wie den [[Radiolarien]]. Besondere Berühmtheit erlangten seine Abbildungen von [[Plankton]]organismen und [[Quallen]], die die biologische Welt in eindrucksvoller Schönheit darstellten. Dies war schon in seinen wissenschaftlichen Monographien der Fall, besonders aber seine populären ''[[Kunstformen der Natur]]'', die er von 1899 bis 1904 in mehreren Heften veröffentlichte, gehörten – wie [[Alfred Edmund Brehm|Brehms]] [[Brehms Tierleben|Tierleben]] – in den Haushalt eines jeden Bildungsbürgers.
Die Beziehung des Simon Magus zu Helena findet eine gewisse Entsprechung in [[Goethe]]s [[Faust-Tragödie]]. Helena ist hier ein Bild für die sich entwickelnde, ''unschuldig-schuldige'' [[Seele]]. Nach dem [[Wikipedia:Volksbuch|Volksbuch]] ''„Historia von D. Johann Fausten“'' des Buchdruckers [[Wikipedia:Johann Spies|Johann Spies]] soll sich [[Johann Georg Faust]] auch als ''Magus secundus'' bezeichnet haben - mit bewusstem Bezug auf Simon Magus, den ''Magus primus''.
Seine Darstellungen beeinflussten die Kunst des beginnenden 20. Jahrhunderts. So beruhen die Glaslüster im Ozeanischen Museum [[Monaco]] von [[Constant Roux]] ebenso auf Vorlagen Haeckels wie das monumentale Tor des französischen Architekten [[René Binet]] auf der [[Pariser Weltausstellung]] 1900. Binets von Haeckel inspiriertes Tafelwerk ''Esquisses décoratives'' wurde zu einer Grundlage des [[Art nouveau]] ([[Jugendstil]]).


Auch Haeckels Wohnhaus (Villa Medusa, heute das Ernst-Haeckel-Museum) und das von ihm gestiftete Gebäude des [[Phyletisches Museum|Phyletischen Museums]], beides in Jena, führen Kunst und Wissenschaft zusammen, in dem z.&nbsp;B. Ornamente der Fassade und Innenausstattung Tafelwerke zu den [[Medusen]] zitieren. Haeckel war unglaublich arbeitsam. So beschrieb er allein von der britischen Challenger-Expedition über 3500 neue [[Radiolarien]]-[[Art (Biologie)|Arten]]. Haeckels Challenger-Report umfasst drei Bände mit 2750 Druckseiten und 140 detailliert gestochenen Tafeln dieser fragilen Organismen. Insbesondere nach dem Tod seiner ersten Frau arbeitete er vielfach mehr als 18 Stunden am Tag.
<div style="margin-left:20px">
"Wir sehen ja, wie gerade bis zum Ende des vierten, sogar bis zum
Beginn des fünften nachatlantischen Zeitraumes, das alte hellseherische
Erkennen so abflutet, daß die letzten Reste, die den Menschenseelen
noch gegeben sind, der Verachtung anheimfallen. Wir sehen
dieses erschütternd verkörpert in derjenigen Gestalt, welche in Europa
auftritt - viel weiter verbreitet, als man denkt - gerade bei dem
Abfluten des vierten nachatlantischen Zeitraumes, in der Gestalt des
volkstümlichen Abenteurers - denn ein Abenteurer ist er geworden -,
der noch tragen kann die zeitgemäßen letzten Reste der hellseherischen
Erkenntnis in demjenigen, den das Volksbuch nennt: «Magister
Georgius Sabellicus, Faustus junior, fons necromanticorum,
astrologus, magus secundus, chiromanticus, aeromanticus, pyromanticus,
in hydra arte secundus.» So lautet der vollständige Titel
jenes ''Faustus'', der dann im 16. Jahrhundert als Repräsentant des völlig
abklingenden alten Hellsehens dasteht, desjenigen Faust, der
noch einen Blick in die geistigen Welten hinein hatte, wenn er auch
schon chaotisch war, dieser Blick.


Dann kommt das herauf mit der neueren Zeit, daß es der Menschenseele
nicht mehr gegeben ist, wenn sie sich wie in den alten
Zeiten passiv in gewisse Zustände versetzt, geistig zu schauen, sondern
in der sie passiv nur das Sinnliche schauen kann und das, was
der Verstand aus dem Sinnlichen kombinieren kann. Die ganze Tragik
des letzten geistigen Schauens ist in den einfachen Mitteilungen
über den Faustus junior zum Ausdruck gekommen. Im Grunde genommen
nennt er sich schon in seinen Titeln so, daß wir erkennen
können, er ist gleichsam der letzte Ausläufer derjenigen, die noch
hineinschauen konnten in die Sphären, aus denen der Christus heruntergestiegen
ist. Er nannte sich Faustus junior mit deutlicher Anspielung
auf den alten Faust, den Manichäer Bischof Faustus, den
Lehrer des Augustinus, der noch das besaß, nach dem Augustinus
sich gesehnt hatte; denn die Schriften des Augustinus waren niemals
so sehr verbreitet in Europa als in der Zeit, in der die Sagen von
Faustus junior entstanden sind. Und er nannte sich Magus secundus,
anspielend auf den Magus primus, der für diejenigen, die hineinschauen
in diese Verhältnisse, auch noch dasteht als einer, der mit
hellseherischem Blick hinausschaute, hinaufragte zu den Himmelssphären,
vor dem sich aber fürchteten diejenigen, die nur anerkennen
wollten, nur sich konzentrieren wollten auf das irdische Leben
des Christus Jesus. Auf den alten ''Simon Magus'', den Magus primus,
weist Faustus damit hin, indem er sich nennt Magus secundus. Aber
noch auf einen anderen weist er uns hin, von dem wir aus unseren
geisteswissenschaftlichen Betrachtungen ja auch wissen, wie sein
Blick hinaufgerichtet war in die geistige Welt, um zu schauen in den
geistigen Sphären. «In hydra arte secundus» nennt er sich noch, hinweisend
auf ''[[Pythagoras]]'', der in der damaligen Zeit auf diesem Felde
der Kunst der Primus genannt worden ist." {{Lit|{{G|156|198f}}}}
</div>


== Wissenschaftliche und weltanschauliche Positionen ==
== Siehe auch ==
* [[Wikipedia:Neues Testament|Neues Testament]]
* [[Wikipedia:Mog Ruith|Mog Ruith]]


=== Biogenetische Grundregel ===
== Anmerkungen ==


{{Hauptartikel|Biogenetisches Grundgesetz}}
<references/>
 
Haeckels Beobachtungen der Parallelen zwischen [[Ontogenese]] und [[Phylogenese]] waren Grundlage für die Postulierung eines kausalen Zusammenhangs zwischen ontogenetischen und evolutionären Prozessen; seine Theorie lässt sich in dem Satz „[[Biogenetische Grundregel|Die Ontogenese rekapituliert die Phylogenese]]“ zusammenfassen. In der Folge postulierte Haeckel die [[Gastraea]], ein hypothetisches Urdarmtier, als gemeinsamen Vorfahren aller vielzelligen Lebewesen.
 
{{Zitat|''Die Phylogenesis ist die mechanische Ursache der Ontogenesis.'' Mit diesem einen Satze ist unsere principielle
monistische Auflassung der organischen Entwickelung klar bezeichnet,
und von der Wahrheit dieses Grundsatzes hängt in erster
Linie die Wahrheit der Gastraea-Theorie ab, deren Bedeutung
nachstehend entwickelt werden soll. Für oder wider diesen Satz
wird in Zukunft jeder Naturforscher sich entscheiden müssen, der
in der Biogenie sich nicht mit der blossen Bewunderung merkwürdiger
Erscheinungen begnügt, sondern darüber hinaus nach dem
Verständniss ihrer Bedeutung strebt. Mit diesem Satze ist zugleich
die unausfüllbare Kluft bezeichnet, welche die ältere, teleologische
und dualistische Morphologie von den neueren, mechanischen
und monistischen trennt. Wenn die physiologischen Functionen
der Vererbung und Anpassung als die alleinigen Ursachen der
organischen Formbildung nachgewiesen sind, so ist damit zugleich
jede Art von Teleologie, von dualistischer und metaphysischer
Betrachtungsweise aus dem Gebiete der Biogenie entfernt; der
scharfe Gegensatz zwischen den leitenden Principien ist damit klar
bezeichnet. Entweder existirt ein directer und causaler
Zusammenhang zwischen Ontogenie und Phylogenie
oder er existirt nicht. Entweder ist die Ontogenese ein
gedrängter Auszug der Phylogenese oder sie ist dies nicht. Zwischen
diesen beiden Annahmen giebt es keine dritte! Entweder
Epigenesis und Descendenz — oder Präformation und Schöpfung!|Ernst Haeckel|''Biologische Studien. Studien zur Gastraea-Theorie'', Jena 1877, S. 7f|ref=[https://archive.org/download/studienzurgastra00haec/studienzurgastra00haec_bw.pdf#page=7&view=Fit]}}
 
Die bereits von [[Wikipedia:Karl Ernst von Baer|Karl Ernst von Baer]] gemachte Beobachtung, dass sich frühe Ontogenese-Stadien nahe verwandter Organismen stärker ähneln als die späteren Adultformen, ist nach wie vor gültig. Die von Haeckel daraus gezogene Schlussfolgerung eines kausalen Zusammenhangs ist jedoch lange umstritten gewesen und wird von Biologen inzwischen weitgehend abgelehnt.
 
Die übereinstimmenden Grundmerkmale phylogenetisch verwandter Organismen lassen sich im Rahmen der Evolutionstheorie verstehen, da neue Merkmale in der Regel auf bereits existierenden Merkmalen aufbauen. Ein modernes Verständnis der biogenetischen Grundregel setzt das Verständnis des Organismus als sich kontinuierlich anpassendes, stets im Umbau befindliches System voraus.
 
{{GZ|Bei
allen Tieren, mit Ausnahme der Protisten, die zeitlebens
nur aus einer Zelle bestehen, bildet sich aus der Eizelle,
mit der das Wesen seine Keimesentwickelung beginnt, ein
becherförmiger oder krugförmiger Körper, der sogenannte
Becherkeim oder die Gastrula. Dieser Becherkeim ist eine
tierische Form, die alle Tiere, von den Schwämmen bis herauf
zum Menschen, in ihrem ersten Entwickelungsstadium
annehmen. Diese Form hat nur Haut, Mund und Magen.
Nun gibt es niedere Pflanzentiere, die während ihres ganzen
Lebens nur diese Organe haben, die also dem Becherkeim
ähnlich sind. Diese Tatsache deutete Haeckel im Sinne der
Entwickelungstheorie. Die Gastrulaform ist ein Erbstück,
das die Tiere von ihrer gemeinsamen Ahnenform überkommen
haben. Es hat eine wahrscheinlich vor Jahrmillionen
ausgestorbene Tierart gegeben, die Gastraea, die
ähnlich gebaut war wie die heute noch lebenden niederen
Pflanzentiere: die Spongien, Polypen usw. Aus dieser Tierart
hat sich alles entwickelt, was heute an mannigfaltigen
Formen zwischen den Polypen, Schwämmen und Menschen
lebt. Alle diese Tiere wiederholen im Verlaufe ihrer Keimesgeschichte
diese ihre Stammform.
 
Eine Idee von ungeheurer Tragweite war damit gewonnen.
Der Weg vom Einfachen zum Zusammengesetzten,
zum Vollkommenen in der Organismenwelt war vorgezeichnet.
Eine einfache Tierform entwickelt sich unter gewissen
Umständen. Eines oder mehrere Individuen dieser
Form verwandeln sich nach Maßgabe der Lebensverhältnisse,
in die sie kommen, in eine andere Form. Was durch
Verwandlung entstanden ist, vererbt sich wieder auf
Nachkommen. Es leben bereits zweierlei Formen. Die alte,
die auf der ersten Stufe stehen geblieben ist, und eine
neue. Beide Formen können sich nach verschiedenen Richtungen
und Vollkommenheitsgraden weiterbilden. Nach
großen Zeiträumen entsteht durch Vererbung der entstandenen
Formen und durch Neubildungen auf dem Wege
der Anpassung an die Lebensbedingungen eine Fülle von
Arten.
 
So schließt sich für Haeckel zusammen, was heute in
der Organismenwelt geschieht, mit dem, was in Urzeiten
geschehen ist. Wollen wir irgendein Organ an einem Tiere
unserer Gegenwart erklären, so blicken wir zurück auf
die Ahnen, die bei sich dieses Organ unter den Verhältnissen,
in denen sie lebten, ausgebildet haben. Was in früheren
Zeiten aus natürlichen Ursachen entstanden ist, hat
sich bis heute vererbt. Durch die Geschichte des Stammes
klärt sich die Entwickelung des Individuums auf. In der
Stammesentwickelung (Phylogenesis) liegen somit die Ursachen
der Individualentwickelung (Ontogenesis). Haeckel
drückt diese Tatsache in seinem biogenetischen Grundgesetze
mit den Worten aus: «Die kurze Ontogenese oder
die Entwickelung des Individuums ist eine schnelle und
zusammengezogene Wiederholung, eine gedrängte Rekapitulation
der langen Phylogenese oder Entwickelung der
Art.»
 
Damit ist aus dem Reiche des Organischen alle Erklärung
im Sinne besonderer Zwecke, alle Teleologie im alten
Sinne, entfernt. Man sucht nicht mehr nach dem Zweck
eines Organes, man sucht nach den Ursachen, aus denen
es sich entwickelt hat; eine Form weist nicht nach dem Ziel
hin, dem sie zustrebt, sondern nach dem Ursprünge, aus
dem sie hervorgegangen ist. Die Erklärungsweise des Organischen
ist der des Unorganischen gleich geworden. Man
sucht das Wasser nicht als Ziel im Sauerstoff und man
sucht auch nicht den Menschen als Zweck in der Schöpfung.
Man forscht nach dem Ursprünge, nach den tatsächlichen
Ursachen der Wesen. Die dualistische Anschauungsweise,
die erklärt, daß Unorganisches und Organisches
nach zwei verschiedenen Prinzipien erklärt werden müssen,
verwandelt sich in eine monistische Vorstellungsart,
in den Monismus, der für die ganze Natur nur eine einheitliche
Erklärungsweise hat.|18|403ff}}
 
=== Evolution und Monismus ===
[[Philosophie|Philosophisch]] verfocht Haeckel eine [[Monismus|monistische Naturphilosophie]], unter der er eine „Einheit von Materie und Geist“ verstand. So schrieb er in ''[[Die Welträtsel]]'':<!--sic!-->
: „Die Verschmelzung der anscheinenden Gegensätze, und damit der Fortschritt zur Lösung des fundamentalen Welträthsels, wird uns aber durch das stetig zunehmende Wachsthum der Natur-Erkenntniß mit jedem Jahre näher gelegt. So dürfen wir uns denn der frohen Hoffnung hingeben, daß<!--sic!--> das anbrechende zwanzigste Jahrhundert immer mehr jene Gegensätze ausgleichen und durch Ausbildung des reinen Monismus die ersehnte Einheit der Weltanschauung in weiten Kreisen verbreiten wird.“
 
Dabei war Haeckel kein strenger [[Atheismus|Atheist]]. Zwar lehnte er jeden [[Schöpfung]]sakt strikt ab (daher die Schärfe seiner Auseinandersetzung mit den [[Kreationisten]], etwa mit [[Arnold Braß]] und dem [[Keplerbund]]), er kam jedoch aus einem christlichen Elternhaus und sah die Natur – bis hin zu [[anorganisch]]en [[Kristall]]en – als beseelt an. Sein Monismus war der einer durch[[geist]]igten Materie; er sah [[Gott]] als identisch mit dem allgemeinen [[Physikalisches Gesetz|Naturgesetz]] und vertrat einen durch [[Johann Wolfgang von Goethe]] und [[Spinoza]] inspirierten [[Pantheismus]]. In diesem Zusammenhang sprach er uner anderem von einem „Zellgedächtnis“ ([[Mneme]]) und „Kristallseelen“.
 
In ''Die Welträtsel'' zitiert Ernst Haeckel mehrmals seinen (heute wesentlich weniger bekannten) Kollegen [[Johann Gustav Vogt]], vor allem bezüglich seiner Vorstellungen über [[Elektromagnetismus]] und einen universellen [[Äther (Physik)|Äther]].<ref>Ernst Haeckel: [http://www.zeno.org/Philosophie/M/Haeckel,+Ernst/Die+Welträtsel/12.+Das+Substanzgesetz ''zeno.org'': Die Welträtsel (1899)], Kapitel 12: Das Substanzgesetz</ref> Gemäß Haeckel und Vogt besitzen Masse und Äther sowohl [[Empfindung]] als auch [[Wille]]n, sie „empfinden [[Lust]] bei [[Kompressionsmodul|Verdichtung]], Unlust bei [[Spannung (Mechanik)|Spannung]]; sie streben nach der ersteren und kämpfen gegen letztere“. Wegen dieses [[Weltbild]]es werden die beiden auch als [[Hylozoismus|hylozoistische]] Naturphilosophen bezeichnet.<ref>siehe [http://www.textlog.de/1213.html ''textlog.de'']</ref>
 
Haeckel nahm im September 1904 am Internationalen Freidenker-Kongress in Rom teil, den 2000 Menschen besuchten. Dort wurde er anlässlich eines gemeinsamen Frühstücks feierlich zum „[[Gegenpapst]]“ ausgerufen. Bei einer folgenden Demonstration der Teilnehmer auf dem Campo de’ Fiori vor dem Denkmal [[Giordano Bruno]]s befestigte Haeckel einen Lorbeerkranz am Denkmal. Haeckel nahm diese Ehrungen gerne an: „Noch nie sind mir so viele persönliche Ehrungen erwiesen worden, wie auf diesem internationalen Kongreß.“ Diese Provokation am Sitz des Papstes löste eine massive Kampagne und Anfeindungen von kirchlicher Seite aus. Insbesondere wurde seine wissenschaftliche Integrität in Frage gestellt, und er wurde als Fälscher und Betrüger dargestellt sowie als „Affen-Professor“ verhöhnt. Allerdings gaben 46 bekannte Professoren eine Ehrenerklärung für Haeckel ab.
 
Am 11. Januar 1906 wurde auf Haeckels Initiative der [[Deutscher Monistenbund|Deutsche Monistenbund]] in Jena gegründet, den Ernst Haeckel schon im September 1904 in Rom vorgeschlagen hatte. Mit dem Monistenbund fanden die bereits seit kurzer Zeit bestehenden, sehr heterogenen monistischen Bestrebungen einen übergreifenden organisatorischen Rahmen, der sich dezidiert auf eine naturwissenschaftliche Basis im Sinne Haeckels stellte, in den aber nicht alle Vertreter des Monismus eingebunden wurden. Haeckel wurde Ehrenpräsident des Deutschen Monistenbundes.
 
Ernst Haeckel gehörte zu den führenden Freidenkern und Vertretern eines naturwissenschaftlich orientierten Fortschrittsgedankens, wodurch seine Ideen nicht nur für rechte und national gesinnte, sondern auch für bürgerlich-liberale sowie linke Kreise attraktiv waren. Die Monisten um Haeckel hatten damals viele Anhänger; so zählten beispielsweise [[Ferdinand Tönnies]], [[Henry van de Velde]], [[Alfred Hermann Fried]], [[Otto Lehmann-Rußbüldt]], [[Helene Stöcker]], [[Magnus Hirschfeld]] und [[Carl von Ossietzky]] dazu. Teile seiner Ideen wurden von Nationalsozialisten übernommen, die zwar den Monismus ablehnten, die sozialdarwinistischen Aspekte Haeckels jedoch gut für ihre Ideologie verwenden konnten.
 
=== Pazifismus und Friedensbewegung ===
Ernst Haeckel vertrat [[Pazifismus|pazifistische]] Ideen. So unterstützte er die [[Friedensbewegung]] [[Bertha von Suttner]]s (die die Werke Haeckels und Darwins las und die Evolutionslehre vertrat) durch Glückwunschadressen und Briefe.<ref name="Hamann, 1987">Brigitte Hamann: ''Berta von Suttner. Ein Leben für den Frieden.'' 2. Auflage. München 1987, S. 71, 140, 158, 165, ISBN 3-492-03037-8.</ref> Im Jahr 1913 gründete Haeckel zusammen mit der französischen Sozialistin [[Henriette Meyer]] die internationale Friedensvereinigung [[L'Institut Franco-Allemand de la Réconciliation]] und die Zeitschrift ''La Réconciliation'', welche für einen andauernden Frieden zwischen Deutschland und Frankreich eintreten sollte. In einem Leitartikel „Vernunft und Krieg“ in ''La Réconciliation'' identifizierte er das Wettrüsten als Problem, das unaufhaltsam zu einem Krieg führen könne, und verurteilte den nationalen [[Chauvinismus]], der Deutschland, Frankreich und Großbritannien erfasst hatte.
 
Zu Beginn des [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkriegs]] verteidigte Haeckel jedoch die deutsche Beteiligung am Krieg und äußerte sich zunehmend [[Nationalismus|nationalistisch]]. In Haeckels Sichtweise<ref>siehe beispielsweise Ernst Haeckel: ''Englands Blutschuld am Weltkriege'' in Victor Franz (Hrsg.): ''Ernst Haeckel: Sein Leben, Denken und Wirken. Eine Schriftenfolge für seine zahlreichen Freunde und Anhänger''</ref> war vor allem England für den Ausbruch des Krieges verantwortlich, den Haeckel 1916 in einem Brief an seinen Neffen Konrad Huschke<ref>K. Huschke (Hrsg.): ''Ernst und Agnes Haeckel: ein Briefwechsel'', S. 215.</ref> einen „schrecklichen Weltkrieg“ mit „furchtbaren Verlusten“ nannte. Haeckel unterzeichnete am 2. Oktober 1914 den kriegsbejahenden Aufruf „[[Manifest der 93|An die Kulturwelt]]“, der von weiteren 92 Intellektuellen, darunter dem Physiker [[Max Planck]] und dem Schriftsteller [[Gerhart Hauptmann]], unterschrieben wurde.<ref name="Horst Groschopp, 1997, S. 393">Rolf Groschopp, ''Dissidenten'', 1997, S. 393.</ref>
 
=== Ethik und Zukunft ===
Die in den Welträtseln beschriebene monistische Ethik bleibt bei allem revolutionären Anspruch, wie [[Iring Fetscher]] anmerkt, im Umkreis erfüllbarer bürgerlicher Alltagstugenden stecken. Haeckel leitet aus dieser Ethik allerdings eine Utopie ab, die die Fortschritte von Wissenschaft und Technik auch gesellschaftlich nutzen möchte. Haeckel schreibt:
: „Die höhere Kultur, der wir erst jetzt entgegen zu gehen anfangen, wird voraussichtlich die Aufgabe stets im Auge behalten müssen, allen Menschen eine möglichst glückliche, d.h. zufriedene Existenz zu verschaffen. Die vervollkommnete Moral, frei von allem religiösen Dogma und auf die klare Erkenntnis der Naturgesetze gegründet, lehrt uns die alte Weisheit der goldenen Regel (''Die Welträthsel'', Kap. 19), mit den Worten des Evangeliums: ‚Liebe deinen nächsten als dich selbst.‘ Die Vernunft führt uns zu der Einsicht, daß ein möglichst vollkommenes Staatswesen zugleich die möglichst große Summe von Glück für jedes Einzelwesen, das ihm angehört, schaffen muß. Das vernünftige Gleichgewicht zwischen Eigenliebe und Nächstenliebe, zwischen Egoismus und Altruismus, wird das Ziel unserer monistischen Ethik. Viele barbarische Sitten und alte Gewohnheiten, die jetzt noch als unentbehrlich gelten: Krieg, Duell, Kirchenzwang usw. werden verschwinden. Schiedsgerichte werden hinreichen, um in allen Rechtsstreitigkeiten der Völker und Personen den Ausgleich herbeizuführen. Das Hauptinteresse des Staates wird nicht, wie jetzt, in der Ausbildung einer möglichst starken Militärmacht liegen, sondern in einer möglichst vollkommenen Jugenderziehung auf Grund der ausgedehntesten Pflege von Kunst und Wissenschaft. Die Vervollkommnung der Technik, aufgrund der Erfindungen in der Physik und Chemie, wird die Lebensbedürfnisse allgemein befriedigen; die künstliche Synthese vom Eiweiß wird reiche Nahrung für alle liefern. Eine vernünftige Reform der Eheverhältnisse wird das Familienleben glücklich gestalten.“ (''Die Lebenswunder'', 1904, Kap. 17, Abschnitt IV c, vollständig)
 
Haeckel zählt [[Mitleid]] und Sympathie zu den edelsten Gehirnfunktionen, welche zu den wichtigsten Bedingungen des sozialen Zusammenlebens sowohl bei Menschen als auch bei höheren Tieren gehören (''Die Lebenswunder'', 1904, S. 131). Er sieht das Gebot der [[Nächstenliebe]], wenn auch nicht von [[Jesus Christus|Christus]] zuerst entdeckt, so doch zu Recht vom Christentum in den Vordergrund gestellt. Darin liegt nach ihm der hohe ethische Wert des Christentums, der auch dann noch fortdauern werde, wenn dessen übrige „morsche Dogmen“ längst in Trümmern zerfallen seien. Insbesondere wendet er sich gegen einen reinen [[Egoismus]]:
 
:„Daher sind die Propheten des&nbsp; r e i n e n&nbsp; E g o i s m u s,&nbsp; [[Friedrich Nietzsche|F r i e d r i c h&nbsp; N i e t z s c h e]],&nbsp; [[Max Stirner|M a x&nbsp;  S t i r n e r&nbsp;]] u. s. w.&nbsp; [Hervorhebung im Original] in biologischem Irrthum, wenn sie allein ihre ‚Herrenmoral‘ an Stelle der allgemeinen Menschenliebe setzen wollen und wenn sie das Mitleid als eine Schwäche des Charakters oder als einen moralischen Irrthum des Christenthums verspotten.“ (''Die Lebenswunder'', 1904, [http://archive.org/stream/dielebenswunder01haecgoog#page/n149/mode/2up S. 131 f.])
 
=== Eugenik und Sozialdarwinismus ===
Weil sich Ernst Haeckel sehr dezidiert zu eugenischen Fragestellungen äußerte und dabei Selektionsmechanismen und Züchtungsgedanken ansprach, wird er von verschiedenen Historikern als einer der wichtigsten Wegbereiter der Rassenhygiene und Eugenik in Deutschland betrachtet.<ref>Helmut Zander, ''Biologie des vollkommenen Menschen – Wissenschaft und Ethik im Monistenbund um 1900'', in Neue Zürcher Zeitung, Nr. 167, 21. Juli 2001, S. 73.</ref><ref>Rolf Winau, ''100 Jahre Sozialhygiene, Sozialmedizin und Public Health in Deutschland'', auf CD-ROM Hrsg. v. Udo Schagen u. Sabine Schleiermacher, Berlin 2005</ref><ref>William H. Tucker, ''The Science and Politics of Racial Research'', University of Illinois Press 1996, S. 111.</ref>
 
Auch [[Wilhelm Schallmayer]], ein Schüler Haeckels, bescheinigte seinem ehemaligen Lehrer, wesentliche Grundgedanken der Eugenik ausgesprochen zu haben.<ref>Wilhelm Schallmayer: ''Ernst Haeckel und die Eugenik'', in: ''Was wir Ernst Haeckel verdanken: Ein Buch der Verehrung und Dankbarkeit.'' Hrsg. Heinrich Schmidt, Jena 1914, S. 368.</ref>
 
In Haeckels Buch ''Die Lebenswunder'' (1904) heißt es etwa:
 
: „Es kann daher auch die Tötung von neugeborenen verkrüppelten Kindern, wie sie z.&nbsp;B. die Spartaner behufs der Selection des Tüchtigsten übten, vernünftiger Weise gar nicht unter den Begriff des ‚''Mordes''‘ fallen, wie es noch in unseren modernen Gesetzbüchern geschieht. Vielmehr müssen wir dieselbe als eine zweckmäßige, sowohl für die Betheiligten wie für die Gesellschaft nützliche Maßregel billigen.“ (''Die Lebenswunder'', 1904, S. 23)
 
Oder:
 
: „Hunderttausende von unheilbaren Kranken, namentlich Geisteskranke, Aussätzige, Krebskranke u.s.w. werden in unseren modernen Culturstaaten künstlich am Leben erhalten und ihre beständigen Qualen sorgfältig verlängert, ohne irgend einen Nutzen für sie selbst oder für die Gesammtheit.“ (''Die Lebenswunder'', 1904, S. 134)
 
Haeckel griff die Idee auf, die Ausschaltung der Selektion durch die Medizin würde zu degenerativen Erscheinungen führen, und popularisierte sie in Deutschland. Dabei entwickelte er diese Überlegungen jedoch nicht wie Francis Galton in systematischer Weise. Vor allem vollzog er nicht wie sein Schüler Wilhelm Schallmayer und sein Freund [[Alfred Ploetz]] die „entscheidende Wende von der bloßen Diagnostik degenerativer Tendenzen zu einer therapeutischen Programmatik“.<ref>Peter Weingart, Jürgen Kroll, Kurt Bayertz: ''Rasse, Blut und Gene. Geschichte der Eugenik und Rassenhygiene in Deutschland.'' Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt am Main 1992, S. 77.</ref> Haeckel blieb auf der Basis der Theorie Darwins bei der [[Deduktion|deduktiven]] Feststellung angeblicher degenerativer Tendenzen in den zivilisierten Gesellschaften und stellte noch keine Überlegungen über eine Gegenstrategie an. Zu stark war bei Haeckel der Glaube an die natürlichen Regulationsmechanismen im Evolutionsprozess ausgeprägt. Die Furcht vor einer längerfristigen „Entartung“ war bei späteren Eugenikern, vor allem im Dritten Reich, als Hauptmotiv viel stärker vorherrschend. Das von Haeckel vielzitierte Beispiel von [[Sparta]] und die von ihm bewunderte spartanische Praxis der „Beseitigung anormal geborener Säuglinge“ ordnen die Historiker Peter Weingart, Jürgen Kroll und Kurt Bayertz wie folgt ein:
 
: „Haeckels Interesse etwa war rein theoretischer Art. Er führte die spartanische Menschenzüchtung als ein Beispiel für die Wirksamkeit des Selektionsprinzips in der menschlichen Gesellschaft an. Den so naheliegenden, sich aufdrängenden Schritt von der Theorie zur Praxis ging er nicht; obwohl er auf die kontraselektorischen Wirkungen der Zivilisation verwies, kam ihm nicht die Idee, die spartanische Menschenzüchtung als ein nachahmenswertes Vorbild zu nehmen, dem es auf der Basis und mit den Mitteln der modernen Selektionstheorie nachzueifern gelte.“<ref>Peter Weingart, Jürgen Kroll und Kurt Bayertz: ''Rasse, Blut und Gene. Geschichte der Eugenik und Rassenhygiene in Deutschland.'' Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt am Main 1992, S. 89&nbsp;f.</ref>
 
Der Historiker R. J. Richards bescheinigt Haeckel darüber hinaus, die Position vertreten zu haben, dass die Evolutionstheorie keine praktischen politischen Implikationen habe.<ref>R. J. Richards: The Tragic Sense of Life: Ernst Haeckel and the Struggle over Evolutionary Thought. The University of Chicago Press (2008) S. 327.</ref> So antwortet Haeckel etwa auf einen Angriff von Rudolf Virchow, welcher der Abstammungslehre sozialistische Tendenzen vorwirft:
: „Übrigens möchten wir bei dieser Gelegenheit nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, wie gefährlich eine derartige unmittelbare Übertragung naturwissenschaftlicher Theorien auf das Gebiet der praktischen Politik ist. Die höchst verwickelten Verhältnisse unseres heutigen Kulturlebens erfordern von dem praktischen Politiker eine so umsichtige und unbefangene Berücksichtigung, eine so gründliche historische Vorbildung und kritische Vergleichung, dass derselbe immer nur mit grösster Vorsicht und Zurückhaltung eine derartige Nutzanwendung eines 'Naturgesetzes' auf die Praxis des Kulturlebens wagen wird.“ (''Freie Wissenschaft und freie Lehre'', 2. Auflage. 1908, S. 69)
 
[[Otto Speck]] vertritt dagegen die Auffassung, dass Ernst Haeckel 1911 in Dresden eine eugenische Beratungsstelle eröffnete und sich sehr wohl um eine praktische Umsetzung der Rassenhygiene und Eugenik in der Politik bemühte. Er schreibt:
„Konkrete Ziele waren eine rassenhygienische Eheberatung und in politischer Hinsicht die Durchsetzung gesetzlicher Regelungen zur Sterilisierung fortpflanzungsunwürdiger Personen aus den unteren sozialen Schichten.“<ref>Otto Speck (em. Ordinarius für Sonderpädagogik an der Ludwig-Maximilians-Universität München): Soll der Mensch biotechnisch machbar werden? Eugenik, Behinderung und Pädagogik. Reinhardt Verlag, München 2005, S. 22</ref>
 
Durch die Übertragung des darwinistischen Evolutions- und Selektionsprinzips auf menschliche Gesellschaften bereitete Ernst Haeckel in Deutschland, so verschiedene Wissenschaftler, den Boden für den [[Sozialdarwinismus]].<ref>Manuela Lenzen, ''Evolutionstheorien in den Natur- und Sozialwissenschaften'', Campus 2003, S. 138.</ref><ref>Andreas Frewer, ''Medizin und Moral in der Weimarer Republik und Nationalsozialismus.'' Campus Verlag 2000, S. 30.</ref><ref>Paul Weindling, ''Health, Race and German Politics Between National Unification and Nazism, 1870–1945'', Cambridge University Press 1989, S. 41.</ref> Der Soziologe [[Fritz Corner]] bezeichnete ihn 1975 als Vater des deutschen Sozialdarwinismus.<ref name="Iwand, Wolf Michael, 1997, S. 330">Wolf Michael Iwand, ''Paradigma Politische Kultur'', Leske und Budrich VS Verlag, 1997, S. 330.</ref>
 
Im Jahre 1900 fungierte Haeckel als Vorsitzender eines Gremiums in einem von der Familie [[Krupp (Familie)|Krupp]] finanzierten Wettbewerb. Dort wurden Aufsätze bewertet, in denen das Thema „Rassenhygiene“ im Hinblick auf innenpolitische und gesetzgeberische Konsequenzen abgehandelt wurde. Das Gremium behauptete, dass die Idee von der [[Gleichheit]] aller Menschen eine „Entartung“ und Degeneration der „[[Zivilisation]]“ nach sich zöge.<ref>John Weiss, ''Der lange Weg zum Holocaust. Die Geschichte der Judenfeindschaft in Deutschland und Österreich'', Ullstein, Berlin 1998, S. 185&nbsp;f.</ref> Das Preisausschreiben gewann Wilhelm Schallmayer mit seiner Arbeit ''Was lernen wir aus den Prinzipien der Descendenztheorie in Beziehung auf die innerpolitische Entwickelung und Gesetzgebung der Staaten?''. Diese Arbeit spielte für die Verbreitung der sozialdarwinistischen Ideen in Deutschland eine besondere Rolle, weil sie in großem Maße zu einer Politisierung anthropologischer Themen beitrug.<ref>Uwe Hoßfeld, ''Rasse-Bilder in Thüringen 1863–1945.'' In: Blätter zur Landeskunde,Nr. 63, Thüringer Landeszentrale für Politische Bildung, Erfurt 2006, S. 4.</ref>
 
1905 wurde Haeckel Mitglied in der von Alfred Ploetz gegründeten [[Gesellschaft für Rassenhygiene]]. Satzung und Ziel der Gesellschaft sahen die Förderung der „Theorie und Praxis der Rassenhygiene unter den weißen Völkern“ vor. Die Gesellschaft trug in Deutschland wesentlich zur Institutionalisierung der Rassenhygiene als wissenschaftliches Fach bei.
 
=== Euthanasie ===
Als einer der ersten deutschsprachigen Autoren, der die Tötung Schwerkranker – auf ihren Wunsch – und Schwerbehinderter – ohne ihre Zustimmung – forderte, wurde Haeckel auch zum Vordenker und Wegbereiter der freiwilligen und unfreiwilligen „[[Nationalsozialistische Rassenhygiene|Euthanasie]]“ in Deutschland. Schon drei Jahre vor der Programmschrift ''Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens'' von [[Alfred Hoche]] und [[Karl Binding]] (1920) hatte er in ''Ewigkeit'' (1917) über „die unheilbar an Geisteskrankheit, an Krebs oder Aussatz Leidenden, die selbst ihre Erlösung wünschen“, „neugeborene Kinder mit Defekten“ und „Mißgeburten“ unmissverständlich geschrieben: „Eine kleine Dosis [[Morphium]] oder [[Cyankali]] würde nicht nur diese bedauernswerten Geschöpfe selbst, sondern auch ihre Angehörigen von der Last eines langjährigen, wertlosen und qualvollen Daseins befreien“ (S. 35). Darin klingt Hoches Begriff der „Ballastexistenzen“ bereits an, und mit seinen Ausführungen über den angeblich geringeren „Lebenswert“ verschiedener Menschengruppen (''Lebenswunder'', 1904, S. 291–315) hatte Haeckel schon zuvor maßgeblich zur Idee von „lebensunwertem Leben“ beigetragen.
 
=== Kritik ===
Haeckel wird vorgeworfen, immer wieder seine [[Autorität]] als Naturwissenschaftler missbraucht zu haben, um seine politischen Ideen zu legitimieren. Allerdings verneinte Haeckel eine politische Rolle: „Ich selbst bin nichts weniger als Politiker. .. Ich werde daher weder in Zukunft eine Rolle spielen, noch habe ich früher jemals einen Versuch dazu gemacht.“ (''Freie Wissenschaft und freie Lehre'', 2. Auflage. 1908, S. 69)
 
Sein [[biogenetisches Grundgesetz]] von 1866 wird von der modernen Biologie in seiner Schlussfolgerung als widerlegt betrachtet. Es ist keinesfalls ein Naturgesetz, wie zunächst von [[Karl Ernst von Baer|Baer]] und Haeckel postuliert wurde. Dennoch hat die Beobachtung einer scheinbaren Rekapitulation der Entwicklungsstadien der Organismen nach wie vor eine Bedeutung. Sie zeigt eine Verwandtschaft der betrachteten Arten auf und ist, wenn auch kein Gesetz, so doch eine wiederholbare und belegbare morphologische Beobachtung. Auch die bekannten Lehrbuchautoren [[Rüdiger Wehner]] und [[Walter Gehring]] schreiben in ihrem Lehrbuch ''Zoologie'':
: „Die Form freilich, die Haeckel (1834–1919) in seiner ‚biogenetischen Grundregel‘ (1866) diesem Sachverhalt prägnant, aber stark vergröbernd gegeben hat, daß nämlich die Ontogenese eines Organismus die Rekapitulation seiner Phylogenese bedeute, beschreibt die Verhältnisse zu einseitig. Die Embryonalentwicklung jedes Organismus ist reich an Eigenanpassungen (Caenogenesen), die – wie die Keimhülle der Amnioten (Abb.&nbsp;3.20) – den spezifischen Bedingungen des sich entwickelnden Embryos Rechnung tragen.“
 
Die Haeckel zugeschriebene Neigung zur philosophischen Bewertung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse soll mit dafür verantwortlich sein, dass seine Abbildungen biologischer Objekte teilweise bewusst verfälscht sind. In der [[Embryonenkontroverse]] unterstellte ihm daher unter anderem [[Wilhelm His (Anatom)|Wilhelm His]] bewussten Wissenschaftsbetrug. Andere Beobachter vermuten dagegen, dass die tendenzielle Deutung seiner embryologischen Beobachtungen als zu starke Schematisierung verstanden werden kann.
 
Haeckel entwickelte im hohen Alter während des [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkrieges]] zudem einen polemischen deutschnationalen [[Chauvinismus]], der sich besonders deutlich in seinem Text ''Ewigkeit'' äußert: „Ein einziger feingebildeter deutscher Krieger […] hat einen höheren intellektuellen und moralischen Lebenswert als hunderte von den rohen Naturmenschen, welche England und Frankreich, Russland und Italien ihnen gegenüberstellen.“<ref name="Haeckel, 1915">Ernst Haeckel: ''Ewigkeit. Weltkriegsgedanken über Leben und Tod, Religion und Entwicklungslehre.'' Berlin 1915, S. 36.</ref> 1917 war er an der Gründung der [[Deutsche Vaterlandspartei|Deutschen Vaterlandspartei]] beteiligt, die einen [[Siegfrieden]] propagierte. In der ''Generellen Morphologie'' heißt es zudem: „Die Unterschiede zwischen den höchsten und den niedersten Menschen [sind] grösser, als diejenigen zwischen den niedersten Menschen und den höchsten Thieren.“ Dies folgerte er allerdings ausdrücklich nicht aus der Genetik, sondern aus der sozialdarwinistischen Theorie.
 
== Wirkungsgeschichte: weltanschauliche Bedeutung und Ausbeutung ==
In der Historiographie bestehen zwei Extrempositionen zur politischen Einordnung des Darwinismus bzw. Sozialdarwinismus. Hans-Günther Zmarzlik (1963)<ref>Zmarzlik, Hans-Günter (1963): ''Der Sozialdarwinismus in Deutschland als geschichtliches Problem.'' In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 11, 1963, S. 246–273 zu finden unter: http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1963_3_3_zmarzlik.pdf</ref> zieht eine Linie von sozialdarwinistischen Entwürfen zu rechtsradikalen Ideologien. Der US-amerikanische Historiker [[Wikipedia:Daniel Gasman|Daniel Gasman]]<ref>Daniel Gasman: ''The Scientific Origins of National Socialism'', 1971, erweiterte Neuausgabe 2004.</ref> und unabhängig davon Richard Weikart sehen in Haeckel gar einen Vordenker des Nationalsozialismus. In Bezug auf den Darwinismus kommt dagegen etwa Gunter Mann (1973) zu dem Urteil, der Darwinismus sei ein integraler Bestandteil der „marxistisch-kommunistisch-materialistischen Weltanschauung“ (Mann). Diese unterschiedlichen Zuschreibungen finden sich vereinnahmend oder ablehnend auch bei Gegnern und Befürwortern Haeckels.
 
[[Wikipedia:Günter Altner|Günter Altner]] (1981) schlägt ein Stufenmodell eines nicht zwangsläufigen Weges von Darwinismus zum Nationalsozialismus vor, das auch geeignet ist, Haeckels Beitrag zu bestimmen. Nach dem wissenschaftlichen Darwinismus bilden danach Sozialdarwinismus, Rassenhygiene und Rassenanthropologie die entscheidenden und zeitlich und logisch aufeinander folgenden Schritte. Rasse ist in der ursprünglichen Bedeutung von Rassenhygiene kein Begriff des [[Wikipedia:Rassenkampf|Rassenkampf]]es, sondern wird im Sinne der englischen Sprache als Synonym für die gesamte Menschheit gebraucht. Haeckel liefert in diesem Modell relevante Beiträge zu den ersten drei Stufen: Im Rahmen des wissenschaftlichen Darwinismus bestimmt er die Stellung des Menschen innerhalb der Primaten; auf der Stufe des Sozialdarwinismus überträgt er biologische Vorstellungen auf gesellschaftliche Verhältnisse, wobei oftmals seine antiklerikale bzw. antikatholische Haltung den Ausschlag gibt. In der Rassenhygiene bleibe Haeckel im 19. Jahrhundert verfangen. Er fördere vor allem die Arbeit anderer Autoren.<ref>Conrad-Martius, Hedwig: ''Utopien der Menschenzüchtung.'' Kösel-Verlag München, 1955, S. 74.</ref> Bei dem Preisausschreiben „Was lernen wir von den Prinzipien der Deszendenztheorie?“ (1900) etwa förderte er den Arzt [[Wikipedia:Wilhelm Schallmayer|Wilhelm Schallmayer]], der Haeckels eigene Thesen radikalisierte und dessen Schriften zu einem Grundpfeiler der angewandten Rassenhygiene in der Zeit des Nationalsozialismus wurden.
 
=== Die sozialistische Rezeption bis 1933 ===
Haeckel wurde von verschiedenen Sozialdemokraten, Sozialisten und Anarchisten<ref>„Verwunderlicher ist die Begeisterung der Linken für den ‚General-Feldmarschall des Darwinismus‘ (Haeckel über sich selbst). August Bebel, Carl v. Ossietzky, Kropotkin und W.I. Lenin waren nicht die einzigen, die Haeckels Thesen begierig aufgriffen und glaubten, mit ihnen eine Waffe für den Klassenkampf in der Hand zu halten. Dies gelang nur, indem sie – im Gegensatz zu den Nazis, die die Selektionsaspekte und den ‚Kampf ums Dasein‘ der Evolutionstheorie überbetonten – das Prinzip der ständigen Fortentwicklung im Tier- und Pflanzenreich auf die Menschen übertrugen, und zwar zum einen auf die Menschen als biologische Wesen (die Eugenik als Verbesserung des Menschen war auch unter Sozialisten vor 100 Jahren sehr beliebt und das nicht nur in der politischen Polemik, wie bei Bebel, der sich gegen den Krieg mit dem Argument aussprach, dass dabei die stärksten, wehrtüchtigen Männer sterben würden und somit das eigene Volk degenerieren), zum anderen auf die menschlichen Gesellschaftsformation: Es schien ein natürliches Gesetz der Evolution zu sein, dass der Kapitalismus quasi von alleine vom Kommunismus abgelöst würde.“ Martin Vogt: ''Der Rassismus-Papst. Ernst Haeckel und die Etablierung des wissenschaftlichen Rassismus‘ in Deutschland.'' In: ''ZAG.'' Nr. 41 (elektronisch bei [http://www.nadir.org/nadir/initiativ/antira-leipzig/archiv/a26.htm Nadir.org])</ref> wie etwa [[Wikipedia:Alfred Hermann Fried|Alfred Hermann Fried]], [[Wikipedia:Friedrich Albert Lange|Friedrich Albert Lange]], [[Wikipedia:August Bebel|August Bebel]], [[Wikipedia:Lenin|Lenin]], [[Wikipedia:Otto Lehmann-Rußbüldt|Otto Lehmann-Rußbüldt]], [[Wikipedia:Julius Schaxel|Julius Schaxel]], [[Wikipedia:Helene Stöcker|Helene Stöcker]], [[Wikipedia:Ferdinand Tönnies|Ferdinand Tönnies]] oder [[Wikipedia:Henry van de Velde|Henry van de Velde]] gelesen und diskutiert.<ref>Unter anderem eine Auswahl von Autoren des Buches ''Was wir Ernst Haeckel verdanken'', herausgegeben von Heinrich Schmidt, Jena 1914</ref>
[[Wikipedia:Karl Kautsky|Karl Kautsky]] arbeitete programmatisch zu Rassenfragen, wobei er sich auf Haeckel bezog.<ref>Karl Kautsky, ''Rasse und Judentum'' (1914). Siehe auch die Übersetzung ''Are the Jews a Race?'' (1926) bei [http://www.marxists.org/archive/kautsky/1914/jewsrace/ch04.htm Marxists.org], hier Kapitel 4 mit Bezugnahme auf Haeckel</ref>
 
In der politischen Linken war man sich in Bezug auf die Einschätzung Haeckels keineswegs einig. So finden sich etwa im ersten Jahrgang der populärwissenschaftlich-sozialistischen Zeitschrift ''[[Wikipedia:Urania-Verlag|Urania]]'' (1925) bei drei Bezugnahmen auf Haeckel drei unterschiedliche Positionen. [[Robert Niemann]] würdigt Haeckel als nachbürgerlichen, entwicklungsgeschichtlich orientierten Freigeist, für [[Wikipedia:Karl August Wittfogel|Karl August Wittfogel]] ist Haeckel ein Ahnherr zur Zerstörung der alten Ideologie, „die das geistige Bollwerk der kapitalistischen Besitzverhältnisse bildet“. [[Wikipedia:K. Schäfer|K. Schäfer]] kritisiert den Sozialdarwinismus bei der Rückführung der Ethik auf die Naturwissenschaft. Es könne nichts anderes als „waschechte kapitalistische Ethik“ herauskommen, und er belegt dieses mit einem Zitat von Haeckel. „Der Darwinismus ist alles andere eher als sozialistisch“ (S. 258). Allerdings stammt dieses Zitat Haeckels aus einer Verteidigungsschrift Haeckels<ref>[http://openlibrary.org/b/OL17598723M/Freie-Wissenschaft-und-freie-Lehre Ernst Haeckel: ''Freie Wissenschaft und freie Lehre, eine Entgegnung auf Rudolf Virchows Münchener Rede über „Die Freiheit der Wissenschaft im modernen Staat“'' (1878)]</ref> gegen die heftigen Angriffe Rudolf Virchows.<ref>Rudolf Virchow: [http://www.archive.org/details/diefreiheitderw01vircgoog ''Die Freiheit der Wissenschaft im modernen Staat.'' 1877]</ref> Virchow wandte sich, entgegen dem Bestreben Haeckels, gegen die Einführung darwinistischer Inhalte in Lehrpläne für höhere Schulen und Universitäten und versuchte den Darwinismus dadurch zu diskreditieren, indem er ihn mit Sozialismus und Kommunismus in Verbindung brachte, ein in der unter dem Eindruck der chaotischen Geschehnisse während der [[Wikipedia:Pariser Kommune|Pariser Kommune]] stehenden Zeit schwerwiegender Vorwurf.<ref>R. J. Richards: ''The Tragic Sense of Life: Ernst Haeckel and the Struggle over Evolutionary Thought.'' The University of Chicago Press, 2008, S. 318&nbsp;ff.</ref>
 
Für Lenin spielte Haeckel keine große Rolle, er findet lediglich in seiner Schrift ''Empiriokritizismus und historischer Materialismus'' ausführlicher Erwähnung, in Bezug auf Haeckels Buch ''Welträtsel''. Dabei schließt sich Lenin der Kritik [[Wikipedia:Franz Mehring|Franz Mehring]]s an, nach der die Unzulänglichkeit Haeckels darin bestehe, „daß er keine Ahnung vom historischen Materialismus hat und sich so zu einer Reihe haarsträubender Absurditäten sowohl über Politik als auch über eine monistische Religion usw. usf. versteigt“. Das Buch dient als Beweis für die Unfähigkeit des „naturwissenschaftlichen Materialismus, bei gesellschaftlichen Fragen mitzureden“. Die „starke Seite“ des Buches sei die Darstellung, die Haeckel „vom Siegeszug des naturwissenschaftlichen Materialismus gibt“.<ref>W. I. Lenin, Werke, Bd. 14 (Materialismus und Empiriokritizismus), S. 351–361, Berlin 1987</ref>
 
[[Wikipedia:Magnus Hirschfeld|Magnus Hirschfeld]] gewann Haeckel nach einem Besuch als Autor seiner ''[[Wikipedia:Zeitschrift für Sexualwissenschaft|Zeitschrift für Sexualwissenschaft]]'' zum Thema menschliche [[Wikipedia:Hermaphroditismus|Hermaphroditen]].<ref>Beitrag in: ''Was wir Ernst Haeckel verdanken'', Hrsg. Heinrich Schmidt, Jena 1914</ref>
 
Bedeutend sind auch die Beiträge, die Haeckels Nachlassverwalter [[Heinrich Schmidt (Philosoph)|Heinrich Schmidt]] für die Buchreihen des marxistischen Urania Verlages zum Thema Affenabstammung des Menschen, Kampf ums Dasein oder Fortpflanzung schrieb.
 
=== Die nationalsozialistische Rezeption ===
Haeckels Privatsekretär [[Wikipedia:Heinrich Schmidt (Philosoph)|Heinrich Schmidt]] wurde nach dem Tod Haeckels [[Wikipedia:1920|1920]] dessen Nachlassverwalter und Direktor des Ernst-Haeckel-Hauses der [[Wikipedia:Friedrich-Schiller-Universität Jena|Friedrich-Schiller-Universität Jena]] sowie Herausgeber der „Monistischen Monatshefte“. Nach dem Verbot dieser Zeitschrift 1933 aus politisch-inhaltlichen Motiven gründete Schmidt die Zeitschrift „Natur und Geist, Monatshefte für Wissenschaft, Weltanschauung und Weltgestaltung“. Schmidt entwickelte sich zunehmend radikal-nationalistisch.<ref name="Hoßfeld, Uwe, 2005, S. 282">Uwe Hoßfeld, ''Haeckels „Eckermann“: Heinrich Schmidt (1874–1935).'' In: [[Wikipedia:Matthias Steinbach|Matthias Steinbach]], Stefan Gerber (Hrsg.): ''Klassische Universität und akademische Provinz: Die Universität Jena von der Mitte des 19. bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts.'' Jena: Bussert & Stadeler, 2005, S. 282.</ref> In diesem Zusammenhang griff er auf zum Teil [[Rassismus|rassistische]] und [[Nationalismus|nationalistische]] Argumente zurück, welche in ihrer Radikalität die Meinungen seiner Kollegen [[Wikipedia:Ludwig Plate (Zoologe)|Ludwig Plate]] oder [[Hans F. K. Günther]] bei weitem übertrafen.<ref name="Hoßfeld, Uwe, 2005, S. 284">Uwe Hoßfeld, ''Haeckels „Eckermann“: Heinrich Schmidt (1874–1935).'' In: Matthias Steinbach, Stefan Gerber (Hrsg.): ''Klassische Universität und akademische Provinz: Die Universität Jena von der Mitte des 19. bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts.'' Jena: Bussert & Stadeler, 2005, S. 284.</ref> Sein Versuch, das Ernst-Haeckel-Haus sowie die Person Haeckels im [[Wikipedia:Nationalsozialismus|nationalsozialistischen]] Sinne umzugestalten beziehungsweise umzudeuten, scheiterte letztendlich.<ref name="Hoßfeld, Uwe, 2005, S. 284" /> Über den Umweg der Zeitschrift ''Natur und Geist'' fanden weltanschauliche Argumente Einzug in das ''Standardwerk zur menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene'' von [[Wikipedia:Erwin Baur|Erwin Baur]], [[Wikipedia:Eugen Fischer (Mediziner)|Eugen Fischer]] und [[Wikipedia:Fritz Lenz|Fritz Lenz]].<ref name="Fangerau, Heiner, 2000">Heiner Fangerau, ''Das Standardwerk zur menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene von Erwin Baur, Eugen Fischer und Fritz Lenz im Spiegel der zeitgenössischen Rezensionsliteratur 1921–1941,'' Dissertation, Ruhr-Universität Bochum, Fakultät für Medizin, 2000, S. 66.</ref>
 
Weitere Wissenschaftler, die Haeckels Werk und dessen Popularität nach 1933 im nationalsozialistischen Sinne zu verwerten versuchten, waren beispielsweise [[Wikipedia:Karl Astel|Karl Astel]] (1898–1945), [[Wikipedia:Lothar Stengel von Rutkowski|Lothar Stengel von Rutkowski]] (1908–1991), [[Wikipedia:Heinz Brücher|Heinz Brücher]] (1915–1991), [[Wikipedia:Victor Julius Franz|Victor Julius Franz]] (1883–1950) oder der nach dem Dritten Reich bedeutende Evolutionsbiologe [[Wikipedia:Gerhard Heberer|Gerhard Heberer]] (1901–1973). Sie sammelten und publizierten nationalistische Texte und Bücher oder verwerteten antisozialistische, rassenkundliche oder eugenische Textstellen aus dem Gesamtwerk Haeckels. Den für die NS-Ideologie zentralen [[Judenfeindlichkeit|Antisemitismus]] konnte Brücher, der Haeckel attestierte, „engstirniger Judenhaß sei ihm fremd“,<ref>Brücher 1936, S. 117.</ref> in einem Gespräch Haeckels mit [[Wikipedia:Hermann Bahr|Hermann Bahr]] finden. Haeckel habe sich gegen die Einwanderung russischer Juden gewandt, die „unserer Gesittung unverträglich“ seien. Dagegen befürwortete Haeckel aber grundsätzlich eine „rassische Vermischung von Juden und [[Arier]]n“ und hielt die deutschen Juden für ein wichtiges Element der deutschen Kultur, welche immer tapfer für [[Aufklärung]] und Freiheit und gegen [[Wikipedia:Reaktion (Politik)|reaktionäre]] und [[Okkultismus|okkulte]] Kräfte eingestanden seien.<ref>Hermann Bahr: ''Der Antisemitismus. Ein internationales Interview.'' In: ''Deutsche Zeitung.'' Wien, 23, 1893, #7664, 1-2. (30. April 1893) Buchausgabe: S. Fischer 1894, S. 62–69. Häufige Neuauflagen, zuletzt 2010, ISBN 978-1-149-17667-2 [http://books.google.com/books?id=8BQRAAAAIAAJ&dq=Der+Antisemitismus:+Ein+internationales+Interview&printsec=frontcover&source=bl&ots=vkVPPXFFiv&sig=4MbfGsUbXN0Hfj2DfpUfSaJ8Q2g&hl=en&ei=CYjiSaLkH8vtlQeKgI3gDg&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=1 Link]</ref><ref>Ernst Haeckel: [http://www.zum.de/stueber/haeckel/weltraethsel/die_weltraethsel.html ''Die Welträthsel. Gemeinverständliche Studien über monistische Philosophie.''] 1. Auflage. Strauß, Bonn 1899.<sup style="background:#FCC">[[Vorlage:Quelle|genauer Beleg?]]</sup></ref>
 
Für Brücher ist Haeckels Spätwerk „Die Kristallseelen“ ein Musterbeispiel germanischer ganzheitlicher Forscherkunst, daher sei Haeckel nicht [[Materialismus|materialistisch]]. Er legte daneben eine umfangreiche Sippenforschung vor, in der er Haeckel auch rassenkundlich begutachtete.<ref>Heinz Brücher: ''Ernst Haeckels Bluts- und Geisteserbe. Eine kulturbiologische Monographie.'' [[Wikipedia:Lehmanns Fachbuchhandlung|J. F. Lehmanns]], München 1936.</ref> Haeckel sei vom Wesen her nordisch. Allerdings sieht er Probleme bei der 'Erbgesundheit' von dessen Familie (Haeckel war Vater einer [[Wikipedia:Behinderung (Sozialrecht)|behinderten]] Tochter).
 
Ganz anders der NS-Funktionär Günter Hecht, Repräsentant des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP. Dieser erklärt den materialistischen Monismus Haeckels als unvereinbar mit dem Nationalsozialismus und durch die völkisch-biologische Sichtweise des Nationalsozialismus widerlegt,<ref>Günter Hecht, ''Biologie und Nationalsozialismus'' Zeitschrift für die gesammte Naturwissenschaft 3, (1937-38), 285</ref> ähnlich auch [[Wikipedia:Kurt Hildebrandt|Kurt Hildebrandt]], ein der NS-Ideologie nahestehender Theoretiker der [[Wikipedia:Nationalsozialistische Rassenhygiene#Der Begriff Rassenhygiene|Rassenhygiene]], der einen „ästhetischen Fundamentalismus“ in Engführung von Ideen des [[Wikipedia:George-Kreis|George-Kreis]]es vertrat und eine „deutsche Kultur als Erfüllung des arischen Wesens“ heranzüchten wollte, um einem „westlichen Mechanismus“ zu begegnen.<ref>Vgl. [[Wikipedia:Stefan Breuer|Stefan Breuer]]: ''Ästhetischer Fundamentalismus und Eugenik bei Kurt Hildebrandt.'' In: Bernhard Böschenstein u.&nbsp;a. (Hrsg.): ''Wissenschaftler im George-Kreis''. Die Welt des Dichters und der Beruf der Wissenschaft, de Gruyter, Berlin 2005, S. 291–310, hier 306.</ref> Hildebrandt nannte es eine „Illusion“ Haeckels, dass dieser an die „mechanistische Lösung“ der Welträtsel durch Darwins Abstammungslehre glaubte.<ref>Kurt Hildebrandt, ''Die Bedeutung der Abstammungslehre für die Weltanschauung'' Zeitschrift für die gesammte Naturwissenschaft 3, (1937-38), 17</ref> Die weltanschaulichen Artikel Heberers etwa in „Volk und Rasse“ oder den „Nationalsozialistischen Monatsheften“ versuchen diesen Vorwurf abzuwehren und erinnern vor allem an die antiklerikale Position Haeckels, um diese im nationalsozialistischen Kirchenkampf zu nutzen. Letztlich kam es im Nationalsozialismus nicht zu einer einheitlichen von der NSDAP festgelegten Einschätzung des Werkes Haeckels.
 
Die Nationalsozialisten beriefen sich immer wieder auf vermeintlich wissenschaftliche Grundlagen, wobei insbesondere auch der „Sozialdarwinismus“ Haeckels vereinnahmt wurde. Haeckel setzte die Kulturgeschichte mit der Naturgeschichte gleich, da beide seiner Meinung nach den gleichen Naturgesetzen gehorchten. Diese Vorstellung soll [[Adolf Hitler|Hitler]] stark beeindruckt haben — so jedenfalls die These von Daniel Gasman, The Scientific Origins of National Socialism, 1971:
: „Hitler's views on [...] nature, eugenics [...] and evolution [...] coincide for the most part with those of Haeckel and are more than occasionally expressed in very much the same language.“
 
Die Thesen D. Gasmans sind allerdings in den letzten Jahren stark in Kritik geraten, so beispielsweise durch den Wissenschaftshistoriker R.&nbsp;J. Richards.<ref>Robert J. Richards: ''Myth: That Darwin and Haeckel were Complicit in Nazi Biology'', in: Ronald L. Numbers (ed.): ''Galileo Goes to Jail and Other Myths about Science and Religion'', Cambridge: Harvard University Press, 2009. [http://home.uchicago.edu/~rjr6/articles/Myth.pdf (online)] (PDF; 50&nbsp;kB)</ref> Richards weist unter anderem auf eine Richtlinie für Bibliotheken und Büchereien der sächsischen Regierung im Jahr 1935 hin,<ref>[http://www.library.arizona.edu/exhibits/burnedbooks/documents.htm „Richtlinien für die Bestandsprüfung in den Volksbüchereien Sachsens“ Die Bücherei 2 (1935): 279–80.]</ref> in der Schriften, welche die „oberflächliche wissenschaftliche Aufklärung eines primitiven Darwinismus und Monismus“ verteidigen, „wie diejenigen Ernst Haeckels“, verurteilt und als untauglich für die nationalsozialistische Bildung im Dritten Reich bezeichnet werden.
 
=== Haeckel in der DDR ===
[[Datei:Stralsund, Meeresmuseum, Model ERNST HAECKEL (2012-04-10), by Klugschnacker in Wikipedia.jpg|mini|Modell des Schiffs ''Ernst Haeckel'' im [[Wikipedia:Meeresmuseum Stralsund|Meeresmuseum Stralsund]]]]
[[Datei:Ernst Haeckel statue (aka).jpg|mini|Haeckel-Statue im [[Wikipedia:Botanischer Garten Chemnitz|Botanischen Garten Chemnitz]]]]
Das [[Wikipedia:Ernst-Haeckel-Haus|Ernst-Haeckel-Haus]] wurde in der DDR als wissenschaftshistorische Forschungsstätte weiterbetrieben und überstand auch die Wiedervereinigung.
In ideologischer Hinsicht wurde bei der Rezeption Haeckels versucht, das revolutionäre Element seiner Biographie zu betonen. So interpretierte [[Wikipedia:Georg Schneider (Funktionär)|Georg Schneider]] 1950 eine Zeichnung des 16-jährigen Haeckel von 1850 mit dem Titel „Nationalversammlung der Vögel“ als Anteilnahme Haeckels an der innerpolitischen revolutionären Entwicklung Deutschlands, Erika Krauße (1987) wiederum stellte z.&nbsp;B. eine Verbindung der Schullehrer Haeckels mit der [[Wikipedia:Deutsche Revolution 1848/1849|Revolution von 1848]] her. Am 17. Mai 1963 stellte die DDR das Fischereiforschungsschiff ''[[Wikipedia:Ernst Haeckel (1963)|Ernst Haeckel]]'' in Dienst, das 1987 durch einen Neubau gleichen Namens ersetzt wurde.
 
== Auszeichnungen ==
Die [[Royal Society]] verlieh ihm 1900 die [[Darwin-Medaille]] „für seine langanhaltende und hochbedeutsame Arbeit in der Zoologie, die stets vom Geist des Darwinismus inspiriert war“ (Original: ''{{lang|en|For his long-continued and and highly important work in zoology all of which has been inspired by the spirit of Darwinism}}'').<ref>[http://royalsociety.org/page.asp?id=1761 Verleihungsbegründungen bei der Royal Society]</ref>
 
1894 wurde Haeckel zum Ehrenmitglied des [[Nassauischer Verein für Naturkunde|Nassauischen Vereins für Naturkunde]] ernannt. Die [[Accademia dei Lincei]] führte ihn seit 1899 als auswärtiges Mitglied.
 
== Werke ==
* ''Über die Eier Scomberesoces.'' In: ''J. Müllers Archiv für Anatomie und Physiologie.'' 1855, S. 23–32 Tafel IV, V.
* ''Über die Beziehungen des Typhus zur Tuberkulose.'' In: ''Wiener medizinische Wochenschrift.'' Bd. VI, 1856, S. 1–5, 17-20.
* ''Fibrois des Uterus.'' In: ''Wiener medizinische Wochenschrift.'' Bd. VI, 1856, S. 97–101.
* ''De telis quibusdam Astaci fluviatilis''. Dissertio inauguralis histologica, die VII M. Martini A. Berolini, 1857.
* ''Über die Gewebe des Flußkrebses.'' In: ''Müllers Archiv für Anatomie und Physiologie.'' 1857, S. 469–568 Tafel XVIII, XIX.
* ''Beiträge zur normalen und pathologischen Anatomie der Plexus chlorioides.'' In: ''Vierchows Archiv für pathologische Anatomie.'' Bd. XVI, 1858, S. 253–289, Tafel VIII.
* ''Über Augen und Nerven der Sterntiere.'' In: ''Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie.'' Band 1859, 1859, S. 183–190 Tafel XI.
* ''Reiseskitzen aus Sizilien.'' In: ''Zeitschrift für allgemeine Erdkunde.'' Bd. VIII, 1860, S. 433–486.
* ''Über neue lebende Radiolarien des Mittelmeers.'' In: ''Monatsbericht der Königlichen Akademie der Wissenschaften Berlin.'' 13. Dezember 1860, S. 794–817.
* ''Abbildung und Diagnosen neuer Gattungen und Arten von lebenden Radiolarien des Mittelmeers.'' In: ''Monatsbericht der Königlichen Akademie der Wissenschaften Berlin.'' 20. Dezember 1860, S. 835–845.
* ''De Rizopodum finibus et ordinibus. Dissertio pro venia legendi impetranda in litterarum universitate Jenensi''. Die IV. M. Martini 1861, Berlin 1861.
* ''Die Radiolarien (Rhizopoda radiata). Eine Monographie''. Bd. 1 (Text) XVI und Bd. 2 (Atlas), Berlin 1862.
* ''Über die Entwicklungstheorie Darwins''. Öffentlicher Vortrag in der Allgemeinen Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte zu Stettin, am 19. September 1862 (Amtlicher Bericht über die 37. Versammlung S. 17), 1863.
* ''Beiträge zur Kenntnis der Corycaeiden (Copepoden).'' In: ''Jenaische Zeitschrift für Medizin und Naturwissenschaft.'' Band 1, 1864, S. 61–112, Tafel I–III.
* ''Beschreibung neuer craspedoter Medusen aus dem Golf von Nizza''. ''Jenaische Zeitschrift für Medizin und Naturwissenschaft.'' Band 1, 1864, S. 325–342.''
* ''Die Familie der Rüsselquallen (Medusae Geryonidae).'' In: ''Jenaische Zeitschrift für Medizin und Naturwissenschaft.'' Band 1. 1864, S. 435–469 Tafel XI, XII.
* ''Über eine neue Form des Generationswechsels bei Medusen und über die Verwandtschaft der Geryoiniden und Äginiden.'' In: ''Monatsbericht der Berliner Akademie.'' 1865, S. 85–94.
* ''Über den Sarcodekörper der Rhizopoden.'' In: ''Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie.'' Band XV. 1865, S. 342-370.
* ''Über fossile Medusen.'' In: ''Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie.'' Band XV. 1865, S. 504-514.
* ''Die Familie der Rüsselquallen (Medusae Geryonidae).'' In: ''Jenaische Zeitschrift für Medizin und Naturwissenschaft.'' Band 2. 1865, S. 93-322. (Fortsetzung und Schluss)
* ''Beiträge zur Naturgeschichte der Hydromedusen.'' Heft I. ''Die Familie der Rüsselquallen (Medusae Geryonidae).'' Eine Monographie. Leipzig 1865.
* ''Generelle Morphologie der Organismen.'' Berlin 1866.
* ''Arabische Korallen. ein Ausflug nach den Korallenbänken des Rothen Meeres und ein Blick in das Leben der Korallenthiere''. Berlin 1876 [[doi:10.5962/bhl.title.10156]]
* ''Die Perigenesis der Plastidule oder die Wellenerzeugung der Lebenstheilchen.'' Berlin 1876. ({{DTAW|haeckel_plastidule_1876}})
* ''[[Die Welträtsel|Die Welträthsel]]. Gemeinverständliche Studien über Monistische Philosophie.'' Bonn 1899. ({{DTAW|haeckel_weltraethsel_1899}})
* ''Kunstformen der Natur : niedere Tiere''. 2. Aufl. Leipzig : Bibliographisches Inst., 1924. [http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:hbz:061:2-170858 Digitalisierte Ausgabe] der [[Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf]]
* ''Kunstformen der Natur.'' Marix, Wiesbaden 2004, ISBN 3-937715-17-7, nach der Originalausgabe von 1904, neu gesetzt, überarbeitet & eingeleitet


== Literatur ==
== Literatur ==
<!--chronologisch, Neueste zuerst-->
* Winfried Krakau: ''Ernst Haeckel. Der naturwissenschaftliche Monist und Philosoph, evolutionäre Humanist und Kirchenkritiker im »Gespräch« mit Winfried Krakau zu Fragen unserer Zeit.'' Karin Fischer Verlag, Aachen 2011, ISBN 978-3-8422-3916-6.
* Birk Engmann: ''Ernst Haeckel zum neunzigsten Todestag. Seine Überlegungen zu Theophysis, Kristallseele und Bewusstsein und deren heutige Bedeutung.'' In: ''Ärzteblatt Thüringen.'' 11/2009, {{ISSN|0863-5412}}, S. 681–684. [http://www.aerzteblatt-thueringen.de/pdf/thu09_681.pdf (online)] (PDF; 988&nbsp;kB)
* Robert J. Richards: ''The Tragic Sense of Life, Ernst Haeckel and the Struggle over Evolutionary Thought.'' The University of Chicago Press, Chicago/ London 2008, ISBN 978-0-226-71214-7.
* Volker Mueller, Arnher E. Lenz: ''Darwin, Haeckel und die Folgen. Monismus in Vergangenheit und Gegenwart.'' Angelika Lenz Verlag, Neustadt am Rübenberge 2006, ISBN 3-933037-56-5.
* Bernhard Kleeberg: ''Theophysis. Ernst Haeckels Philosophie des Naturganzen.'' Böhlau, Köln/Weimar 2005, ISBN 3-412-17304-5.
* Mario DiGregorio: ''From Here to Eternity. Ernst Haeckel and Scientific Faith.'' Göttingen 2005, ISBN 3-535-56972-9.
* Daniel Gasman: ''Haeckel's Monism and the Birth of Fascist Ideology''. Peter Lang, New York 1998, ISBN 0-8204-4108-2.
* Rüdiger Wehner, Walter Gehring: ''Zoologie.'' 23. Auflage. Thieme Verlag, Stuttgart 1995, ISBN 3-13-367423-4, Kap. 11.1.4, S. 573–575.
* {{NDB|7|423|425|Haeckel, Ernst Heinrich Philipp August|Georg Uschmann|118544381}}
* Johannes Hemleben: ''Rudolf Steiner und Ernst Haeckel'', Vlg. Freies Geistesleben, Stuttgart 1965
* Rudolf Steiner: ''Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriß dargestellt'', [[GA 18]] (1985), ISBN 3-7274-0180-X {{Schriften|018}}
* Rudolf Steiner: ''Mysterienstätten des Mittelalters'', [[GA 233a]] (1991), ISBN 3-7274-2335-8 {{Vorträge|233a}}
{{GA}}


== Zitate über Ernst Haeckel ==
* [[Wikipedia:Hans Jonas|Hans Jonas]]: ''Gnosis uns spätantiker Geist I'', Vandenhoeck u. Ruprecht, Göttingen 1934, 1964, 1988 ISBN 978-3525531235
* [[Charles Darwin]]: „Wäre die ''Natürliche Schöpfungsgeschichte'' erschienen, bevor meine Arbeit niedergeschrieben war, dann würde ich sie wahrscheinlich nie zu Ende geführt haben. Fast alle Schlüsse, zu denen ich gekommen, finde ich durch diesen Naturforscher bestätigt, dessen Kenntnisse in vielen Punkten viel vollkommener sind als die meinen.“ (Einleitung zu ''Die Abstammung des Menschen'', Auflage 1870)
* [[Wikipedia:Hans Leisegang|Hans Leisegang]]: ''Die Gnosis''. A. Kröner, Leipzig 1924. 2. Auflage 1936. 5. Auflage, Kröner, Stuttgart 1985. ISBN 3-520-03205-8
* [[Wikipedia:Franz Mehring|Franz Mehring]]: „Uns scheint das Buch von sehr aktuellem Interesse auch für die sozialdemokratische Partei zu sein“ (zu Haeckels Buch ''Die Welträthsel'', 1899/1900)
* [[Wikipedia:Kurt Rudolph|Kurt Rudolph]]: ''Die Gnosis. Wesen und Geschichte einer spätantiken Religion'', Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2005 ISBN 3-525-52110-3
* [[Wikipedia:Thomas Alva Edison|Thomas Alva Edison]]: „Haeckel ist der größte unter den lebenden Menschen. Ich glaube absolut an seine Theorie.
* A. H. B. Logan: ''Simon Magus.'' In: ''[[Wikipedia:Theologische Realenzyklopädie|Theologische Realenzyklopädie]].'' Band 31, De Gruyter, Berlin, 1999, Seiten 272 bis 276, ISBN 3-11-002218-4
* [[Rudolf Steiner]]: „In ... widerspruchsvoller Art leben zwei Wesen in Haeckel. Ein Mensch mit mildem, liebeerfülltem Natursinn, und dahinter etwas wie ein Schattenwesen mit unvollendet gedachten, engumgrenzten Ideen, die Fanatismus atmeten ... Ein Menschenrätsel, das man nur lieben konnte, wenn man es sah; über das man oft in Zorn geraten konnte, wenn es urteilte.“ (''Mein Lebensgang'', 1925)
* Karlmann Beyschlag: ''Simon Magus und die christliche Gnosis''. Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. Bd 16. Mohr, Tübingen 1974. ISBN 3-16-135872-4
* [[Wikipedia:Gerd Lüdemann|Gerd Lüdemann]]: ''Untersuchungen zur simonianischen Gnosis''. Göttinger theologische Arbeiten, Band 1, Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen, 1975, ISBN 3-525-87351-4
* H. M. Enzensberger (Herausgeber): ''Die Andere Bibel.'' Apokryphen AT, NT. Frankfurt am Main, Eichborn, 1990, ISBN 3-8218-4068-4
* {{BBKL|s/simon_magus|band=10|autor=Christoph Schmitt|spalten=410-413}}
* Florent Heintz: ''Simon "le magicien". Actes 8, 5–25 et l'accusation de magie contre les prophètes thaumaturges dans l'antiquité''. Cahiers de la [[Wikipedia:Revue Biblique|Revue Biblique]], Band 39, Gabalda, Paris, 1997, ISBN 2-85021-104-4
* [[Wikipedia:Gerd Theißen|Gerd Theißen]]: ''Simon Magus. Die Entwicklung seines Bildes vom Charismatiker zum gnostischen Erlöser.'' Ein Beitrag zur Frühgeschichte der Gnosis. In: Axel von Dobbeler (Herausgeber): ''Religionsgeschichte des Neuen Testaments. Festschrift für Klaus Berger zum 60. Geburtstag''. Francke, Tübingen u.a., 2000, Seiten 407 bis 433, ISBN 3-7720-2756-3
* Jürgen Zangenberg: ''Dynamis tou theou. Das religionsgeschichtliche Profil des Simon Magus aus Sebaste.'' In: Axel von Dobbeler (Hrsg.): ''Religionsgeschichte des Neuen Testaments. Festschrift für Klaus Berger zum 60. Geburtstag''. Francke, Tübingen u.a., 2000, Seiten 519 bis 541, ISBN 3-7720-2756-3
* Roland Bergmeier: ''Die Gestalt des Simon Magus in Act 8 und in der simeonianischen Gnosis. Aporien einer Gesamtdeutung.'' In: Roland Bergmeier: ''Das Gesetz im Römerbrief und andere Studien zum Neuen Testament'', [[Wikipedia:WUNT|WUNT]], Band 121, Mohr Siebeck, Tübingen, 2000, ISBN 3-16-147196-2
* Dominique Côté: ''Le thème de l'opposition entre Pierre et Simon dans les Pseudo-Clémentines''. Collection des Études Augustiniennes. Série Antiquité, Band 167, Institut d'Études Augustiniennes, Paris, 2001, ISBN 2-85121-188-9
* Stephen Haar: ''Simon Magus – The First Gnostic?''. Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche, Band 119, de Gruyter, Berlin u.a., 2003, ISBN 3-11-017689-0
* Alberto Ferreiro: ''Simon Magus in Patristic, Medieval and Early Modern Traditions''. Studies in the History of Christian Traditions. Bd 125. Brill, Leiden u.a., 2005, ISBN 90-04-14495-1


== Weblinks ==
== Weblinks ==
{{Commonscat|Ernst Haeckel|Ernst Haeckel}}
{{Commonscat}}
{{Wikisource}}
* [http://www.jewishencyclopedia.com/view.jsp?artid=798&letter=S Simon Magus] JewishEncyclopedia.com
{{Wikiversity|Haeckel, Ernst (1868)|Abb. Titelblatt und Frontispiz Ernst Haeckel: Natürliche Schöpfungsgeschichte (1868)}}
* [http://www.philos-website.de/index_g.htm?autoren/simon_magus_g.htm~main2 Simon Magus]] auuf [http://www.philos-website.de www.philos-website.de]
{{Wikiversity|Haeckel, Ernst (1899)|Abb. Titelblatt und zeitgenössischer Einband Ernst Haeckel: Die Welträthsel (1899)}}
* [http://www.historicum.net/themen/hexenforschung/lexikon/alphabethisch/p-z/art/Simon_Magus/html/artikel/7306/ca/8870032838/ Alberto Ferreiro: Simon Magus] (Übersetzung von Johannes Peisker, historicum.net)
* {{DNB-Portal|118544381}}
* [http://www.vifabio.de/vifabio-search.html?searchID=vKBio&lang=de&query=haeckel,%20ernst* Literatur von und über Ernst Haeckel] im Katalog der [http://www.vifabio.de/ Virtuellen Fachbibliothek Biologie (vifabio)]
* {{Zeno-Künstler|Kunstwerke/A/Haeckel,+Ernst}}


'''Von Ernst Haeckel:'''
{{Normdaten|TYP=p|GND=118765450}}
* [http://www.zum.de/stueber/haeckel/weltraethsel/die_weltraethsel.html Die Welträthsel]
* [http://www.zum.de/stueber/haeckel/natuerliche/ Natürliche Schöpfungsgeschichte (Menschenaffen, Menschwerdung)]
* [http://www.zum.de/stueber/haeckel/anthropogenie/index.html Anthropogenie oder Entwicklungsgeschichte des Menschen. Keimes- und Stammes-Geschichte des Menschen. Prometheus, 1874] <ref>Bis Kapitel 10; damit unvollständig, seit 2008 nicht mehr bearbeitet</ref>
* [http://www.zum.de/stueber/haeckel/kunstformen/natur.html „Kunstformen der Natur“. Kunstbände, Volltext] (sehenswert!)
* [http://www.zum.de/stueber/haeckel/insulinde/capitel_01.html Volltext: Malayische Reisebriefe,] oder ''Indische Reisebriefe aus Insulinde.'' 1901<ref>Kapitel 1. Die folgenden Kapitel: durch Änderung der Zahl in der URL. Mit den Abb. der Printausgabe, Ges. Werke 6, 1924</ref>


'''Über Ernst Haeckel:'''
{{SORTIERUNG:Simon Magus}}
* [http://www.bnv-bamberg.de/home/ba2282/main/faecher/biologie/haeckel.htm Dr. Angelika Weiß-Merklein: Ernst Haeckel]
[[Kategorie:Person im Neuen Testament]]
* [http://www/<!--sic!-->.gkpn.de/hofmann.htm Dr. Klaus Hofmann: Der Naturforscher, Philosoph und Aufklärer Ernst Haeckel]
[[Kategorie:Samaritaner]]
* [http://www.wdr.de/radio/wdr3/bilder/sendung/lebenszeichen/060507ms-findeisen.pdf „Gegenpapst und Designer des Darwinismus“ – Wer kennt heute eigentlich noch Ernst Haeckel?] von Hans-Volkmar Findeisen, Sendemanuskript des [[WDR]]
[[Kategorie:Gnosis]]
* [http://www.thueringen.de/imperia/md/content/lzt/haeckel_.pdf Hoßfeld & Breidbach] [[Uwe Hoßfeld]] und [[Olaf Breidbach]]: ''Ernst Haeckels Politisierung der Biologie.'' Thüringen, LZpB, Blätter zur Landeskunde Nr. 54, 2005<ref>Nur noch online verfügbar</ref>
[[Kategorie:Gnostiker]]
[[Kategorie:Simonianer]]
[[Kategorie:Zauberer]]
[[Kategorie:Geboren im 1. Jahrhundert v. Chr. oder 1. Jahrhundert]]
[[Kategorie:Gestorben 65]]
[[Kategorie:Mann]]


'''Ernst-Haeckel-Haus und Museum in Jena:'''
{{Personendaten
* [http://www2.uni-jena.de/biologie/ehh/museum/fuehrungen.htm Ernst-Haeckel-Haus] – Institut für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena
|NAME=Simon Magus
* [http://www.phyletisches-museum.uni-jena.de/ Phyletisches Museum Jena]
|ALTERNATIVNAMEN=Simon der Zauberer; Hexenmeister; Simon von Gitta
 
|KURZBESCHREIBUNG=san-marinesischer Gnostiker
== Einzelnachweise ==
|GEBURTSDATUM=1. Jahrhundert v. Chr. oder 1. Jahrhundert
<references />
|GEBURTSORT=
 
|STERBEDATUM=65
{{SORTIERUNG:Haeckel, Ernst}}
|STERBEORT=[[Rom]]
[[Kategorie:Zoologe]]
}}
[[Kategorie:Evolutionsbiologe]]
[[Kategorie:Ökologe]]
[[Kategorie:Philosoph]]
[[Kategorie:Deutscher]]
[[Kategorie:Geboren 1834]]
[[Kategorie:Gestorben 1919]]
[[Kategorie:Mann]]
[[Kategorie:Philosoph]]


{{Wikipedia}}
{{Wikipedia}}

Version vom 21. Oktober 2015, 15:24 Uhr

Avanzino Nucci: Petrus' Auseinandersetzung mit Simon Magus (1620)
Der Sturz des Simon Magus - Abbildung aus der Schedelschen Weltchronik (lateinische Ausgabe in Sao Paulo)
Die Statue des Semo Sancus wurde 1574 auf der Tiberinsel in Rom wiedergefunden. Justin Martyr hatte sie für eine Darstellung des vergöttlichten Simon Magus gehalten und die Inschrift Semoni Sanco Deo Fidio Sacrum fälschlich als Simoni deo sancto wiedergegeben.
Sébastien Bourdon: Der Fall des Simon Magus (1657)
Frederic Leighton: Helena von Troja (1865)
Sturz des Simon Magus, Fresko (1768) in Söll (Tirol)

Simon Magus (auch Simon der Magier, Simon von Samarien oder Simon von Gitta; † 65, Rom) gilt als erster Häretiker der Kirche. Das Wenige, das über ihn bekannt ist, stammt aus christlichen Quellen, meist Polemiken gegen Gnostiker. Demzufolge war er ein Samaritaner, der von seinen Anhängern als „die große Kraft Gottes“ oder Gott in menschlicher Gestalt (theios aner) verehrt wurde. Von seinem Namen ist der Begriff Simonie für Ämterkauf abgeleitet. Die gnostische Sekte der Simonianer berief sich auf ihn als Gründer und Lehrmeister. Sein Schüler und Nachfolger soll Menander gewesen sein[1].

Die Quellen

Fast alle erhaltenen Quellen über Leben und Gedanken des Simon Magus stammen aus christlichen Werken, der Apostelgeschichte, den Kirchenvätern (Irenäus, Justin der Märtyrer, Hippolyt von Rom, Epiphanius von Salamis), den apokryphen Petrusakten und den Pseudo-Klementinen. Die Quellen über Simon entwerfen sehr unterschiedliche Bilder über seine Person, so dass fraglich ist, ob alle dieselbe Person meinen, oder ob sein Name nur die Projektionsfläche für die Verurteilung abweichender theologischer Richtungen bildet. Da die großkirchliche Reaktion den simonianischen Synkretismus ausschloss, sind die Quellen weniger an Verständnis, als an Abgrenzung interessiert, ihre Darstellung ist daher oft verzeichnend und im Ton scharfer Polemik. Viele antike literarische Quellen – einige unecht, einige echt – bestätigen, dass sowohl Simon Magus, als auch Simon Petrus in Rom gestorben sind.

Apostelgeschichte

Der früheste Hinweis auf Simon findet sich in der wohl nach 70 entstandenen Apostelgeschichte, die von Simon Magus in Sebaste in Samaria berichtet. Er soll demnach ekstatische Wirkungen ausgelöst haben. Simon, den seine Anhänger als eine „Kraft Gottes, die … große“ verehren, ist von den Heilungen durch die Samariamissionare beeindruckt und lässt sich vom Diakon Philippus taufen. Er wirkt als Missionar (Pseudoapostel?) und versucht erfolglos, die Gaben des Heiligen Geistes von Petrus und Johannes gegen Geld zu erhalten, woher das Wort Simonie stammt.

„9 Es war aber ein Mann mit Namen Simon, der zuvor in der Stadt Zauberei trieb und das Volk von Samaria in seinen Bann zog, weil er vorgab, er wäre etwas Großes. 10 Und alle hingen ihm an, Klein und Groß, und sprachen: Dieser ist die Kraft Gottes, die die Große genannt wird. 11 Sie hingen ihm aber an, weil er sie lange Zeit mit seiner Zauberei in seinen Bann gezogen hatte. 12 Als sie aber den Predigten des Philippus von dem Reich Gottes und von dem Namen Jesu Christi glaubten, ließen sich taufen Männer und Frauen. 13 Da wurde auch Simon gläubig und ließ sich taufen und hielt sich zu Philippus. Und als er die Zeichen und großen Taten sah, die geschahen, geriet er außer sich vor Staunen. 14 Als aber die Apostel in Jerusalem hörten, dass Samarien das Wort Gottes angenommen hatte, sandten sie zu ihnen Petrus und Johannes. 15 Die kamen hinab und beteten für sie, dass sie den Heiligen Geist empfingen. 16 Denn er war noch auf keinen von ihnen gefallen, sondern sie waren allein getauft auf den Namen des Herrn Jesus. 17 Da legten sie die Hände auf sie und sie empfingen den Heiligen Geist. 18 Als aber Simon sah, dass der Geist gegeben wurde, wenn die Apostel die Hände auflegten, bot er ihnen Geld an 19 und sprach: Gebt auch mir die Macht, damit jeder, dem ich die Hände auflege, den Heiligen Geist empfange. 20 Petrus aber sprach zu ihm: Dass du verdammt werdest mitsamt deinem Geld, weil du meinst, Gottes Gabe werde durch Geld erlangt. 21 Du hast weder Anteil noch Anrecht an dieser Sache; denn dein Herz ist nicht rechtschaffen vor Gott. 22 Darum tu Buße für diese deine Bosheit und flehe zum Herrn, ob dir das Trachten deines Herzens vergeben werden könne. 23 Denn ich sehe, dass du voll bitterer Galle bist und verstrickt in Ungerechtigkeit. 24 Da antwortete Simon und sprach: Bittet ihr den Herrn für mich, dass nichts von dem über mich komme, was ihr gesagt habt. 25 Als sie nun das Wort des Herrn bezeugt und geredet hatten, kehrten sie wieder um nach Jerusalem und predigten das Evangelium in vielen Dörfern der Samariter.“

Apostelgeschichte: Apg 8,9–25 LUT

Justin

Justin der Märtyrer († 165) schildert Simon als einen von seinen Anhängern religiös verehrten Mann zur Zeit des Claudius (41–54). Er sei mit einer gewissen Helena unterwegs gewesen, die er aus einem Bordell befreit habe, und die von den Simonianern als göttliche Teilinstanz „erster Gedanke“ verehrt werde. Justin berichtet von einer hauptsächlich aus Samaritanern bestehenden römischen Gemeinde Simons. Darüber hinaus weiß er von einer Simon geweihten Statue auf der Tiberinsel. 1574 wurde eine Statue auf der Insel entdeckt, diese war jedoch dem römischen Schwurgott Semo Sancus geweiht, welcher wahrscheinlich mit Jupiter identifiziert wurde. Es könnte sich dabei durchaus um das von Justin erwähnte Bild des Simon handeln.

„Auch nach der Auffahrt Christi zum Himmel haben die Dämonen einzelne Menschen veranlaßt, sich für Götter auszugeben, die nicht nur nicht von euch verfolgt, sondern mannigfacher Ehren gewürdigt wurden. So einen gewissen Samaritaner Simon aus dem Flecken Gittä, der unter Kaiser Klaudius durch die Macht der in ihm tätigen Dämonen in eurer Kaiserstadt Rom Zauberkünste ausgeübt hat, für einen Gott gehalten und wie ein Gott von euch durch eine Bildsäule geehrt wurde. Diese Bildsäule steht im Tiberflusse mitten zwischen zwei Brücken und trägt diese lateinische Aufschrift: Simoni deo sancto. Und fast alle Samaritaner, auch einzelne unter anderen Völkern, erkennen und verehren ihn als den höchsten Gott und eine gewisse Helena, die in jener Zeit mit ihm umherzog, nachdem sie früher in einem Hurenhause sich preisgegeben hatte, nennen sie seinen ersten Gedanken.“

Justin der Märtyrer: Erste Apologie, 26 [3]

Origenes

Origenes gibt an, dass sich laut Celsus einige Anhänger Simons auch als Helenianer bezeichnet hätten:

„Darauf schüttet er über uns einen Haufen von Namen aus und sagt, "er kenne auch einige Simonianer, die die Helena oder als Lehrer den Helenos verehrten und deshalb Helenianer genannt würden". Es ist aber dem Celsus unbekannt, dass "die Simonianer" Jesus durchaus nicht als Sohn Gottes anerkennen, sondern den Simon die Kraft Gottes nennen[2]. Sie erzählen einige wunderbare Geschichten von ihm, der sich eingebildet hatte, er werde denselben Einfluß bei den Menschen erlangen, den Jesus bei der Menge besaß, wenn er ebensolche Scheinwunder verrichtete, wie Jesus nach seiner Meinung vollbracht hatte[3]

Origenes: Contra Celsum V,62 [4]

Irenäus von Lyon

Während die Apostelgeschichte nur vom Magier Simon, aber keinem Lehrsystem weiß, hat nach Irenäus die „fälschlich so genannte“ Gnosis mit Simon begonnen. Nach Irenäus von Lyon (Gegen die Häretiker, Buch 1, 23, 1-5) habe Simon den Anspruch erhoben, ein Messias (Christus) zu sein, und sei gekommen, um den (weiblichen) „ersten Gedanken" Ennoia aus der Materie zu erlösen. Dies könnte zu Justins Nachricht über Helena passen. Dieser „erste Gedanke" stieg in die niedrigeren Regionen ab und erschuf Engel und Mächte. Die Engel lehnten sich aus Neid gegen Ennoia-Helena auf und schufen die Welt als ihr Gefängnis, in dem sie in einem weiblichen Leib gefangen lag. So zog sie von Leib zu Leib wie von Gefängnis zu Gefängnis. Sie nahm u.a. in Helena von Troja Gestalt an, bis sie als Prostituierte in der phönizischen Stadt Tyrus durch Gott, der in Gestalt des Simon Magus abgestiegen war, erlöst wurde. Diese von den Engeln geschaffene Welt wäre dem Verderben preisgegeben. Nur die an Simon und an Helena glaubten, könnten mit ihnen in die höheren Regionen zurückkehren.

„Dieser Simon von Samaria, von dem sämtliche Sekten abstammen, trägt folgende Irrlehre vor: Mit einer gewissen Helena, die er zu Tyrus in Phönizien als Lohndirne erstand, zog er herum und sagte, dies sei die erste Vorstellung seines Geistes, die Mutter aller, durch die er im Anfang gedachte, Engel und Erzengel zu erschaffen. Indem diese Ennoia von ihm ausging und erkannte, was der Vater wollte, stieg sie in die unteren Regionen hinab und zeugte die Engel und Mächte, von denen diese Welt gemacht worden sein soll. Dann aber wurde sie aus Neid von ihren eigenen Kindern zurückgehalten, da diese nicht für die Kinder irgend jemandes gehalten werden wollten. Er selbst blieb ihnen gänzlich unbekannt, die Ennoia aber hielten die Engel und Mächte zurück, die sie selbst geboren hatte, und jegliche Schmach mußte sie von ihnen erleiden, so daß sie nicht zu ihrem Vater zurückkehren konnte und sogar in menschlichem Körper eingeschlossen, in Ewigkeit wie von einem Gefäß in das andere in weibliche Körper überging. So war sie auch in dem Leib der Helena, deretwegen der trojanische Krieg unternommen wurde. Stesichorus, der auf sie Schmählieder dichtete, wurde deswegen geblendet, und erst als er reuevoll durch Gegenlieder Abbitte leistete, bekam er das Augenlicht wieder. Bei ihrer Wanderung von Körper zu Körper erlitt sie in jedem immer neue Schmach und landete zuletzt in einem öffentlichen Hause — sie ist das verlorene Schaf.“

Irenäus: Gegen die Häretiker I, 23, 1-5 [5]

Tertullian

Auch Tertullian († um 220) berichtet die Geschichte von Simon Magus und Helena als Beispiel im Rahmen seiner ausführlichen Argumentation gegen die Seelenwanderungslehre der Pythagoreer:

„Der Samariter Simon nämlich, aus der Apostelgeschichte bekannt als Käufer des hl. Geistes, wandte sich, nachdem er von diesem samt seinem Gelde verdammt, seinen Untergang erfolglos beweint hatte, der Bekämpfung der Wahrheit gleichsam als einer trostvollen Rache zu und stützte sich dabei auch auf seine Kunstfertigkeit. Für dasselbe Geld kaufte er sich aus einer öffentlichen Lasterhöhle eine gewisse Helena aus Tyrus — für ihn eine passende Entschädigung statt des hl. Geistes — um Taschenspielerkünste einer bekannten Art auszuüben. Sich selbst gab er für den höchsten Vater aus, jene Person aber für seine erste Eingebung,1 durch die ihm eingegeben worden sei, die Engel und Erzengel zu erschaffen. Im Besitze dieses Ratschlusses sei sie dem Vater entsprungen, in die niederen Regionen herabgestiegen und habe hier, dem Ratschluss des Vaters zuvorkommend, die Engelmächte erzeugt, welche vom Vater, dem Baumeister der Welt, nichts wussten, sei von ihnen aber aus Missgunst2 zurückgehalten worden, damit sie nicht, wenn jene weggegangen wäre, für Geschöpfe des andern gehalten würden. So sei ihr denn jegliche Schmach angethan worden, damit sie, um alles Ansehen gebracht, keine Lust mehr habe, irgendwo anders hinzugehen, sie sei sogar in eine menschliche Gestalt eingeschlossen worden, damit sie so gleichsam durch die Bande des Fleisches festgehalten werde. So habe sie sich viele Jahrhunderte hindurch in immer wechselnden weiblichen Gestalten herumgetrieben und sei die für Priamus und später für die Augen des Stesichorus so verhängnisvolle Helena gewesen. Letztern habe sie wegen eines Schmähgedichtes geblendet, nachher aber, als sie durch ein Lobgedicht Genugthuung empfangen, ihn wieder sehend gemacht. Sodann habe sie, aus einem Körper in den andern wandernd, als Helena geringerer Sorte in äusserster Schmach, unter einem Aushängeschild Prostitution getrieben.“

Tertullian: Über die Seele 34 [6]

Die apokryphen Petrusakten

Die vermutlich Ende des zweiten Jahrhunderts in Kleinasien entstandenen apokryphen Petrusakten schildern eine Legende über den Tod des Simon Magus. Simon übt auf dem Forum Zauberei vor dem römischen Kaiser Claudius. Um seine Göttlichkeit zu beweisen, erhebt sich Simon in die Luft. Der Apostel Petrus betet, Gott solle dem Geschehen Einhalt gebieten:

„Doch möge er nicht sterben, sondern bloß unschädlich gemacht werden und sich den Schenkel an drei Stellen brechen. Und Simon stürzte vom Himmel und brach sich den Schenkel an drei Stellen. Da warfen alle Steine auf ihn und gingen heim und vertrauten von nun an Petrus.“

– Petrusakten 32

Offenbar war es den Autoren der Petrusakten nicht bekannt, dass der im antiken Griechenland und im alten Israel praktizierte Brauch der Steinigung in Rom unvorstellbar gewesen wäre. Das dramatische Bild des levitierenden und über Rom abstürzenden Simon entfaltete jedoch eine große Wirkung und wurde in mittelalterlicher Kunst häufig dargestellt.

Hippolyt von Rom

Hippolyt von Rom (Philosophumena) liefert eine komplexe Darlegung der in der «Großen Offenbarung» festgehaltenen Lehren des Simonianismus, einschließlich des Systems göttlicher Emanationen und Deutungen des Alten Testaments. Wahrscheinlich liegt dieser Darstellung eine spätere Gestalt des Simonianismus zugrunde, während ihre ursprünglichen Lehren schlichter und der Darstellung des Justin und Irenäus ähnlicher waren.

„Es erscheint also angebracht, die Meinungen des Simon aus Gitta, einem Dorf in Samaria, auseinanderzusetzen; er hatte auch Nachfolger, wie wir noch zeigen werden, die unter anderer Flagge ähnlich verfuhren. Dieser Simon, der Magie kundig, täuschte viele durch die Kunst des Thrasymedes, wie wir es oben1 auseinandergesetzt haben, und verübte Schlimmes mit Hilfe von Dämonen; er ging daran, sich selbst zum Gott zu machen; ein Schwindler, voller Narrheiten, den nach den Acta die Apostel überführten.“

Hippolyt von Rom: Widerlegung aller Häresien VI,7 [7]

Epiphanius von Salamis

Epiphanios von Salamis kommentiert in seinem Panárion (der „Hausapotheke gegen die Schlangenbisse der Häresie“, auch als Adversus haereses bekannt und meist als Haereses zitiert, geschrieben 374–377) Leben und Lehre des Simon Magus. Im zweiten Abschnitt des ersten Buches bespricht er 13 häretische Sekten.

„Die erste davon ist die des Simon Magus, welcher unmittelbar nach Christus noch zu den Zeiten der Apostel auftauchte. Seine Anhänger heißen nach ihm Simonianer. Er war aus einem Dorfe Samariens, Gitthis, geboren und nur dem Namen nach ein Schüler Christi. Er lehrte schändliches Treiben und predigte freie Liebe. Er leugnete die Auferstehung der Leiber und die Erschaffung der Welt durch Gott. Sein und seiner Dirne Helena Bild gab er als Darstellung des Zeus und der Athene seinen Jüngern zur Anbetung. Bei den Samaritern gab er sich für Gott Vater aus; zu den Juden sagte er, er sei der Christus.“

Epiphanius von Salamis: Haereses I 2,21 [8]

Pseudoklementinen

In dem etwa im 4. Jahrhundert entstandenen anti-gnostischen pseudoklementinischen Roman ist Simon Magus als Gegenspieler des Petrus und dessen jugendlichen Schülers Klemens die Verkörperung der gnostischen Irrlehre und der „falsche Prophet“.

Über Simon wird berichtet, dass er aus Samarien stammte und sich in Alexandria griechische Bildung und Zauberkunst aneignete, nachdem er Schüler des Täufers Johannes gewesen war. Helena begleitete ihn als „Sophia“, d. h. als personifizierte Weisheit. Simons Disputationen mit Petrus bestimmen über weite Teile die Handlung. In ihnen vertritt Simon die in der Gnosis vorherrschende dualistische Lehre von dem „Inneren Licht“ sowie der von einem bösen und ungerechten Gott geschaffenen Welt als deren Gefängnis, aus der nur er, die „oberste Kraft Gottes“, befreien könne. Petrus hält dagegen, dass die Schöpfung, weil vom guten, gerechten Gott geschaffen, sehr wohl gut sei, und der Mensch als Ebenbild Gottes sich frei entscheiden könne. Mit Zitaten aus der Bibel überführt er Simon als falschen Propheten. Als Simon merkt, dass er Petrus nicht besiegen kann, flieht er.

Bei der Figur des Simon in den Pseudoklementinen handelt es sich weniger um eine historische Person, als vielmehr um das Klischee eines Ketzers. Seine Geschichte ist als Gegenbild zum wahren Propheten Jesus Christus und seines Jüngers Petrus konstruiert, passend zur Theologie des Buches, dass alles seine „Syzygie“, also sein Gegenteil, besitzt.

Der historische Simon Magus und der Simonianismus

Die Simonianische Äonologie (G.R.S. Mead)

Sowohl über den historischen Simon als auch über seine Lehre und Anhänger ist so gut wie nichts bekannt. Den Quellen kann man entnehmen, dass es sich bei ihm um einen Magier der Gnosis handelte. Die früheste Quelle, die Apostelgeschichte, berichtet allerdings nichts von seinem gnostischen Anspruch eines Erlösers, der die in Knechtschaft geratene Weltseele (bei Simon die »Mutter des Alls«) durch seinen „Ruf“ zu befreien vermochte und mit Befreiung der Helena unter Beweis stellt.

Hauptartikel: Simonianer

Das System simonianischer Gnosis, wie es am Ende des 2. Jahrhunderts belegt ist, zeigt sich als Konkurrenzbildung zum beginnenden Christentum, was zum in der Apostelgeschichte berichteten Ausschluss und Nachrichten über Simons Aufenthalt in Rom passt. Es richtete sich an Christen und Nichtchristen, nahm Einflüsse des Vulgärplatonismus (gefangene, wandernde Weltseele) auf, integrierte römische religiöse Bräuche (Verehrung einer Statue der – dem Haupt des Zeus entsprungenen – Athena als Helena) und enthält die Vorstellung göttlich personifizierter weiblicher Weisheit des hellenistischen Judentums (Buch der Weisheit, AT).

Als geflügeltes Wort hat sich das schillernde Delikt der Simonie erhalten.

Simon Magus und Johann Georg Faust

Die Beziehung des Simon Magus zu Helena findet eine gewisse Entsprechung in Goethes Faust-Tragödie. Helena ist hier ein Bild für die sich entwickelnde, unschuldig-schuldige Seele. Nach dem Volksbuch „Historia von D. Johann Fausten“ des Buchdruckers Johann Spies soll sich Johann Georg Faust auch als Magus secundus bezeichnet haben - mit bewusstem Bezug auf Simon Magus, den Magus primus.

"Wir sehen ja, wie gerade bis zum Ende des vierten, sogar bis zum Beginn des fünften nachatlantischen Zeitraumes, das alte hellseherische Erkennen so abflutet, daß die letzten Reste, die den Menschenseelen noch gegeben sind, der Verachtung anheimfallen. Wir sehen dieses erschütternd verkörpert in derjenigen Gestalt, welche in Europa auftritt - viel weiter verbreitet, als man denkt - gerade bei dem Abfluten des vierten nachatlantischen Zeitraumes, in der Gestalt des volkstümlichen Abenteurers - denn ein Abenteurer ist er geworden -, der noch tragen kann die zeitgemäßen letzten Reste der hellseherischen Erkenntnis in demjenigen, den das Volksbuch nennt: «Magister Georgius Sabellicus, Faustus junior, fons necromanticorum, astrologus, magus secundus, chiromanticus, aeromanticus, pyromanticus, in hydra arte secundus.» So lautet der vollständige Titel jenes Faustus, der dann im 16. Jahrhundert als Repräsentant des völlig abklingenden alten Hellsehens dasteht, desjenigen Faust, der noch einen Blick in die geistigen Welten hinein hatte, wenn er auch schon chaotisch war, dieser Blick.

Dann kommt das herauf mit der neueren Zeit, daß es der Menschenseele nicht mehr gegeben ist, wenn sie sich wie in den alten Zeiten passiv in gewisse Zustände versetzt, geistig zu schauen, sondern in der sie passiv nur das Sinnliche schauen kann und das, was der Verstand aus dem Sinnlichen kombinieren kann. Die ganze Tragik des letzten geistigen Schauens ist in den einfachen Mitteilungen über den Faustus junior zum Ausdruck gekommen. Im Grunde genommen nennt er sich schon in seinen Titeln so, daß wir erkennen können, er ist gleichsam der letzte Ausläufer derjenigen, die noch hineinschauen konnten in die Sphären, aus denen der Christus heruntergestiegen ist. Er nannte sich Faustus junior mit deutlicher Anspielung auf den alten Faust, den Manichäer Bischof Faustus, den Lehrer des Augustinus, der noch das besaß, nach dem Augustinus sich gesehnt hatte; denn die Schriften des Augustinus waren niemals so sehr verbreitet in Europa als in der Zeit, in der die Sagen von Faustus junior entstanden sind. Und er nannte sich Magus secundus, anspielend auf den Magus primus, der für diejenigen, die hineinschauen in diese Verhältnisse, auch noch dasteht als einer, der mit hellseherischem Blick hinausschaute, hinaufragte zu den Himmelssphären, vor dem sich aber fürchteten diejenigen, die nur anerkennen wollten, nur sich konzentrieren wollten auf das irdische Leben des Christus Jesus. Auf den alten Simon Magus, den Magus primus, weist Faustus damit hin, indem er sich nennt Magus secundus. Aber noch auf einen anderen weist er uns hin, von dem wir aus unseren geisteswissenschaftlichen Betrachtungen ja auch wissen, wie sein Blick hinaufgerichtet war in die geistige Welt, um zu schauen in den geistigen Sphären. «In hydra arte secundus» nennt er sich noch, hinweisend auf Pythagoras, der in der damaligen Zeit auf diesem Felde der Kunst der Primus genannt worden ist." (Lit.: GA 156, S. 198f)

Siehe auch

Anmerkungen

  1. vgl. Irenäus von Lyon: Contra Haereses I 23,5 [1] und Tertullian: Über die Seele 50 [2]
  2. Apg 8,10 EU
  3. Apg 8,18-19 EU

Literatur

  • Hans Jonas: Gnosis uns spätantiker Geist I, Vandenhoeck u. Ruprecht, Göttingen 1934, 1964, 1988 ISBN 978-3525531235
  • Hans Leisegang: Die Gnosis. A. Kröner, Leipzig 1924. 2. Auflage 1936. 5. Auflage, Kröner, Stuttgart 1985. ISBN 3-520-03205-8
  • Kurt Rudolph: Die Gnosis. Wesen und Geschichte einer spätantiken Religion, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2005 ISBN 3-525-52110-3
  • A. H. B. Logan: Simon Magus. In: Theologische Realenzyklopädie. Band 31, De Gruyter, Berlin, 1999, Seiten 272 bis 276, ISBN 3-11-002218-4
  • Karlmann Beyschlag: Simon Magus und die christliche Gnosis. Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. Bd 16. Mohr, Tübingen 1974. ISBN 3-16-135872-4
  • Gerd Lüdemann: Untersuchungen zur simonianischen Gnosis. Göttinger theologische Arbeiten, Band 1, Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen, 1975, ISBN 3-525-87351-4
  • H. M. Enzensberger (Herausgeber): Die Andere Bibel. Apokryphen AT, NT. Frankfurt am Main, Eichborn, 1990, ISBN 3-8218-4068-4
  • Christoph Schmitt: Simon Magus In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 10, Bautz, Herzberg 1995, ISBN 3-88309-062-X, Sp. 410–413.
  • Florent Heintz: Simon "le magicien". Actes 8, 5–25 et l'accusation de magie contre les prophètes thaumaturges dans l'antiquité. Cahiers de la Revue Biblique, Band 39, Gabalda, Paris, 1997, ISBN 2-85021-104-4
  • Gerd Theißen: Simon Magus. Die Entwicklung seines Bildes vom Charismatiker zum gnostischen Erlöser. Ein Beitrag zur Frühgeschichte der Gnosis. In: Axel von Dobbeler (Herausgeber): Religionsgeschichte des Neuen Testaments. Festschrift für Klaus Berger zum 60. Geburtstag. Francke, Tübingen u.a., 2000, Seiten 407 bis 433, ISBN 3-7720-2756-3
  • Jürgen Zangenberg: Dynamis tou theou. Das religionsgeschichtliche Profil des Simon Magus aus Sebaste. In: Axel von Dobbeler (Hrsg.): Religionsgeschichte des Neuen Testaments. Festschrift für Klaus Berger zum 60. Geburtstag. Francke, Tübingen u.a., 2000, Seiten 519 bis 541, ISBN 3-7720-2756-3
  • Roland Bergmeier: Die Gestalt des Simon Magus in Act 8 und in der simeonianischen Gnosis. Aporien einer Gesamtdeutung. In: Roland Bergmeier: Das Gesetz im Römerbrief und andere Studien zum Neuen Testament, WUNT, Band 121, Mohr Siebeck, Tübingen, 2000, ISBN 3-16-147196-2
  • Dominique Côté: Le thème de l'opposition entre Pierre et Simon dans les Pseudo-Clémentines. Collection des Études Augustiniennes. Série Antiquité, Band 167, Institut d'Études Augustiniennes, Paris, 2001, ISBN 2-85121-188-9
  • Stephen Haar: Simon Magus – The First Gnostic?. Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche, Band 119, de Gruyter, Berlin u.a., 2003, ISBN 3-11-017689-0
  • Alberto Ferreiro: Simon Magus in Patristic, Medieval and Early Modern Traditions. Studies in the History of Christian Traditions. Bd 125. Brill, Leiden u.a., 2005, ISBN 90-04-14495-1

Weblinks

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