Kognition

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Die Grunddisziplinen der Kognitionswissenschaft. Frei nach Miller, George A (2003). "The cognitive revolution: a historical perspective". TRENDS in Cognitive Sciences 7.

Kognition (von griech. γνῶσις, gnōsis, "[Er-]Kenntnis", über lat. cognoscere, „(mit-)erkennen, (mit-)erfahren, kennenlernen“) ist nach herkömmlicher Definition „die mentale Tätigkeit oder der Prozess der Aneignung von Wissen und Verständnis durch Gedanken, Erfahrung und die Sinne“.[1] Informationstheoretisch versteht man darunter heute im weitesten Sinn die von einem geeigneten, ausreichend komplexen System vollzogene Informationsverarbeitung, die sein Verhalten steuert, unabhängig davon, ob damit Bewusstsein verbunden ist oder nicht. Derartige kognitive Systeme lassen sich innerhalb weiter Grenzen, vom einfachen Fliehkraftregler bis hin zu hochkomplexen, computergesteuerten Automaten, auch rein technisch realisieren.

In diesen Bereich fallen insbesondere auch die Versuche, menschliche Intelligenzleistungen, aber auch Emotionen und Willensantriebe, durch künstliche Intelligenz maschinell nachzubilden. Die interdisziplinär zwischen Philosophie, Psychologie, Linguistik, Neurowissenschaft, Anthropologie und Informatik bzw. künstlicher Intelligenz betriebene Kognitionswissenschaft geht dabei grundsätzlich davon aus, dass auch das menschliche Gehirn im Prinzip wie ein Computer funktioniert und alle geistige und seelische Tätigkeit letztlich auf Verrechnungsprozessen beruht - eine These, die von Wissenschaftlern wie John Searle (* 1932) oder Roger Penrose (* 1931) energisch bestritten wird. Schon Thomas Hobbes (1588-1679) vertrat eine frühe Version dieses Computationalismus, wonach der rationale Verstand des Menschen ausschließlich auf Berechnungsvorgängen beruhe: „Also ist rationelle Erkenntnis dasselbe wie Addieren und Subtrahieren...“[2] Dass sich die menschliche Intelligenz möglicherweise automatisieren bzw. mechanisch nachbilden ließe, hatte bereits Julien Offray de La Mettrie (1709-1751) in seinem 1748 zunächst anonym veröffentlichten Hauptwerk L'Homme Machine erwogen.

Alle Lebewesen verfügen zumindest über elementare kognitive Fähigkeiten, durch die sie ihr Verhalten den wechselnden äußeren Lebebsbedingungen anpassen. Bei Pflanzen laufen diese kognitiven Prozesse unbewusst bzw. schlafbewusst ab. Bei Tieren sind sie hingegen teilweise von einem traumartigen, bei niederen Tieren aber nur sehr dumpfen Bewusstsein begleitet.

Die höheren kognitiven Fähigkeiten des Menschen beruhen zu einem wesentlichen Teil auf mentalen, also bewussten Prozessen und umfassen im weitesten Sinn u.a. Wahrnehmung, Unterscheidungsvermögen, Aufmerksamkeit, Introspektion (Selbstbeobachtung), Erinnerung, Vorstellungen, das (leibgebunde) Denken und Lernen - also etwa jene Fähigkeiten, die Leibniz unter dem Begriff Apperzeption zusammengefasst hatte[3][4]. Es gibt allerdings viele kognitive Prozesse, die auch beim Menschen ganz oder weitgehend unbewusst ablaufen, wie etwa beim impliziten Lernen. Sie bilden die notwendige Grundlage der bewussten Prozesse.

Eine feinere Einteilung unterscheidet Empfindung und Wahrnehmung von den eigentlichen kognitiven Fähigkeiten im engeren Sinn, die Wissen und Gedächtnis betreffen, und den kogitativen Fähigkeiten (von lat. cogitaredenken, nachdenken, bedacht sein“, aus co- „mit, zusammen“ und agitare „heftig bewegen, lenken, treiben, jagen, hetzen, planen, erwägen, überlegen“), die Vorstellungsvermögen, Glauben und Denken umfassen.[5]

Grundsätzlich nicht unter den Begriff der Kognition fällt jenes leibfreie, nicht unmittelbar an das physische Gehirn gebundene, jenseits der Subjekt-Objekt-Spaltung stehende intuitive Denken, in dem sich das Wesen der Welt selbst unmittelbar ausspricht, wie es Rudolf Steiner bereits in seinen philosophischen Grundlagenwerken beschrieben hat[6][7][8][9][10].

"Sehen Sie, es ist eine außerordentlich bedeutungsvolle Erfahrung, die man macht, wenn man einmal soweit ist, das Denken in seinem leibfreien Zustande zu erfassen, und damit zu vergleichen, wie das Denken ist, wenn es als gewöhnliches Denken des Lebens an das Gehirn gebunden ist. Man sieht dann in bezug auf das Denken den Unterschied, der besteht zwischen dem Menschen und dem Tiere. Über diesen Unterschied des Menschen vom Tiere ist ja viel gefabelt worden, namentlich viel von der modernen Wissenschaft gefabelt worden. Aber erkennen, worinnen dieser Unterschied besteht - man kann es erst durch solches Vergleichen, wie ich es eben angedeutet habe.

Und wenn man sich fragt: Ja, wodurch entsteht denn das gewöhnliche Denken im Gegensatze zu dem leibfreien Denken, das unmittelbar anknüpft an das seelische Sein des Menschen, indem es nur im Geistig-Seelischen verläuft, worinnen besteht denn - so kann man jetzt fragen - vom Gesichtspunkte dieses leibfreien Denkens, das gewöhnliche Denken? Dieses gewöhnliche Denken ist durchaus an das Gehirn gebunden. Es muß etwas da sein von organischer Organisation, wodurch dieses gewöhnliche Denken verläuft. Das leibfreie Denken, das durch Meditation erworben wird, braucht dieses Nervenwerkzeug nicht. Das gewöhnliche Denken braucht dieses Nervenwerkzeug. Dieses Nervenwerkzeug hat der Mensch nur dadurch, daß bei ihm die Organisation nicht so weit getrieben wird wie beim Tiere. Das Tier schießt gewissermaßen mit seiner tierischen Organisation bis zu einem gewissen Punkte vor, verhärtet sich bis zu einem gewissen Punkte. Der Mensch geht in der Verhärtung, in der Verknöcherung in das Sklerotisieren des Seelenlebens beim Beginne des Lebens nicht so weit, wie die Tiere am Beginne des Lebens. Aber während des Lebens entwickelt der Mensch dieses Verhärten. Denn dasjenige, was im Verhärten des Organismus sich dadurch ausdrückt, daß die zweiten Zähne als reine Verhärtungsprodukte erscheinen, das setzt sich ja auch im gewöhnlichen alltäglichen Denken fort; es werden nur nicht Zähne, es werden viel gelindere Einschiebsel, möchte ich sagen, in den Organismus, die sich wiederum auflösen. Aber dieses Denken, dieses gewöhnliche Denken besteht eben darinnen, daß der Mensch im fortlaufenden Prozesse fortwährend dasjenige, was entsteht in ihm, sprießendes, sprossendes Leben ist, daß er das fortwährend ertötet. Dasjenige tritt zutage, daß in uns fortwährend vorübergehend der Gedanke, der frühere Wirklichkeit hat als die Zähne, als abgestorbene Teile aus dem Organismus herausschießt und daß dieses Schießen in die Sklerotisierung, Verknöcherung sich wieder auflöst. Das Denken besteht eben darinnen, daß wir in bezug auf unser Kopfsystem, unser Nerven-Sinnessystem, fortwährend den Tod in uns tragen." (Lit.: GA 334, S. 259f)

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Einzelnachweise

  1. Cognition. Oxford University Press and Dictionary.com. Abgerufen am 26. März 2021.
  2. Thomas Hobbes: Grundzüge der Philosophie, 1. Teil: Lehre vom Körper, Jazzybee Verlag Jürgen Beck 2012, ISBN 978-3849628000, eBook ASIN B00B4ON904, S. 14
  3. Gottfried Wilhelm Leibniz: Monadologie, verfasst 1714, dt. 1720, LS 14
  4. Gottfried Wilhelm Leibniz: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand, vermutlich 1707, Buch II: Von den Ideen, Kap. 1 f
  5. Maxwell R. Bennett, Peter M. Hacker: Die philosophischen Grundlagen der Neurowissenschaften
  6. Rudolf Steiner: Einleitungen zu Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften, GA 1 (1987), ISBN 3-7274-0011-0 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  7. Rudolf Steiner: Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung, GA 2 (2002), ISBN 3-7274-0020-X; pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  8. Rudolf Steiner: Wahrheit und Wissenschaft, GA 3 (1980), ISBN 3-7274-0030-7 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  9. Rudolf Steiner: Die Philosophie der Freiheit, GA 4 (1995), ISBN 3-7274-0040-4 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  10. Rudolf Steiner: Dokumente zur «Philosophie der Freiheit», GA 4a, ISBN 3-7274-0045-5 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org