Subjekt und Nicht-Ich: Unterschied zwischen den Seiten

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{{Textbox|<poem><center><big>'''Allerdings'''</big>
'''Nicht-Ich''' ist ein von [[Johann Gottlieb Fichte]] erstmals in seiner [[Wissenschaftslehre]] geprägter [[Begriff]], der von zentraler Bedeutung für den [[Deutscher Idealismus|nachkantischen Idealismus]] wurde. Indem sich das [[Ich]] durch eine reine [[Tathandlung]] selbst setzt, sieht es sich zugleich als [[Subjekt]] der äußeren Welt der [[Objekt]]e, d.h. dem Insgesamt des Nicht-Ich, gegenübergestellt und wird sich dadurch seiner selbst bewusst.
Dem Physiker</center>
»Ins Innre der Natur -«
O du Philister! -
»Dringt kein erschaffner Geist.«
Mich und Geschwister
Mögt ihr an solches Wort
Nur nicht erinnern: Wir denken:
Ort für Ort Sind wir im Innern.
»Glückselig, wem sie nur
Die äußre Schale weist!«
Das hör ich sechzig Jahre wiederholen,
Ich fluche drauf, aber verstohlen;
Sage mir tausend tausend Male:
Alles gibt sie reichlich und gern;
Natur hat weder Kern noch Schale,
Alles ist sie mit einem Male.
Dich prüfe du nur allermeist,
Ob du Kern oder Schale seist.
                                    <small>[[Johann Wolfgang Goethe|J. W. Goethe]]</small></poem>}}


Das '''Subjekt''' ([[lat.]] ''subiectum''; {{ELSalt|ὺποκείμενον}} ''[[hypokeimenon]]'': das Zugrundeliegende) wurde in der [[Philosophiegeschichte]] [[begriff]]lich unterschiedlich aufgefasst. Heute wird es weitgehend als Ausdruck des [[bewusst]]en, sich selbst bestimmenden [[individuell]]en [[Ich]]s genommen, das sich den [[Objekt]]en, dem Nicht-Ich, gegenüberstellt. Insofern das Subjekt dadurch einen exklusiven Zugang zu seinem eigenen Denken und damit auch zu den [[Motiv]]en seines [[Handeln]]s hat, spricht man in der [[Erkenntnistheorie]] und [[Ethik]] von der '''Erste-Person-Perspektive'''.
{{Zitat|Es ist ursprünglich nichts gesetzt, als das Ich; und dieses nur ist schlechthin gesetzt. Demnach kann nur dem Ich schlechthin entgegengesetzt werden. Aber das dem Ich entgegengesetzte ist &#61; ''Nicht-Ich''. So gewiß das unbedingte Zugestehen der absoluten Gewißheit des Satzes: -A nicht &#61; A unter den Tatsachen des empirischen Bewusstseins vorkommt: ''so gewiß wird dem Ich schlechthin entgegengesetzt ein Nicht-Ich''.|Johann Gottlieb Fichte|''Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre''.|ref=<ref> Fichte, J.G.; ''Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre''. Hamburg, Meiner, 1997, S. 24 </ref>}}


In der [[Wissenschaftstheorie]] wird der [[Forschung]]sgegenstand einer [[Wissenschaft]] als ''[[Erkenntnisobjekt]]'' (''Erkenntnisgegenstand'', ''Denkobjekt'') bezeichnet und dessen Verhältnis zum '''Erkenntnissubjekt''' durch die [[Erkenntnistheorie]] untersucht.
Eine völlig andere Bedeutung hat das Nicht-Ich für die [[Buddhismus|buddhistische]] Weltanschauung in Form des [[Anatta]], der Nicht-Selbstigkeit. Nach dieser Anschauung ist die [[Illusion]] des Ich die Quelle aller [[Leiden]], die es zu durchschauen und zu überwinden gilt. Nur auf diesem Weg könne der der leidvolle [[Kreislauf der Wiedergeburten]] durch das endgültige Verlöschen im [[Nirvana]] zu einem Ende gebracht werden.


Was das Subjekt in seinem [[Bewusstsein]] erlebt, ist '''subjektiv''' und kann zunächst keine Allgemeingültigkeit beanspruchen. '''Subjektivität''' wird daher in den [[Wissenschaft]]en weitgehend vermieden und als mögliche Fehlerquelle angesehen. Das ist insbesondere der Fall, wenn es sich um eine bloße [[Persönlichkeit|persönliche]] [[Meinung]] handelt. Hier wird zumindest [[Intersubjektivität]] gefordert. Eine unmstößliche Erkenntnis ist auch nicht durch eine zwar [[begriff]]lich klare, aber noch auf [[Hypothese]]n gebaute und [[Logik|logisch]] begründete [[Theorie]]nbildung gegeben. Auch hier ist die [[Wahrheit]] noch nicht zweifelsfrei bestätigt; es gilt das Prinzip der [[Falsifizierbarkeit]]. Erst durch das [[Gewahrwerden der Idee in der Wirklichkeit]] ist [[Wahrheit|wahre]] Erkenntnis durch die unmittelbare [[Einsicht]] in ihr [[Wesen]] gegeben, das sich im Menschen ausspricht, und damit die einseitige Subjektivität überwunden.
== Literatur ==
 
== Die objektive Ideenwelt ==
 
Erst wenn die [[objektiv]]e [[Ideenwelt]] im Bewusstsein mit der damit verbundenen [[Evidenz]] aufleuchtet, wie sie beispielweise in [[Mathematik|mathematischen]] [[Beweis]]führungen gefunden werden kann, ist die Brücke zur [[Objektivität]] und damit zur [[Wirklichkeit]] gefunden, in der der Gegensatz von Subjekt und Objekt [[aufgehoben]] ist.
 
{{GZ|Das Erkenntnisvermögen erscheint dem Menschen nur so lange
als subjektiv, als er nicht beachtet, dass die Natur selbst es ist,
die durch dasselbe spricht. Subjektiv und objektiv treffen
zusammen, wenn die objektive Ideenwelt im Subjekte auflebt,
und in dem Geiste des Menschen dasjenige lebt, was in der
Natur selbst tätig ist. Wenn das der Fall ist, dann hört aller
Gegensatz von subjektiv und objektiv auf. Dieser Gegensatz hat
nur eine Bedeutung, solange der Mensch ihn künstlich aufrecht
erhält, solange er die Ideen als ''seine'' Gedanken betrachtet,
durch die das Wesen der Natur abgebildet wird, in denen es
aber nicht selbst wirksam ist. [[Immanuel Kant|Kant]] und die Kantianer hatten
keine Ahnung davon, dass in den Ideen der Vernunft das
Wesen, das Ansich der Dinge unmittelbar erlebt wird. Für sie ist
alles Ideelle ein bloß Subjektives.|6|54f|48}}
 
=== Das Gewahrwerden der Idee in der Wirklichkeit ===
 
{{Hauptartikel|Gewahrwerden der Idee in der Wirklichkeit}}
 
{{GZ|Wer dem Denken seine über die Sinnesauffassung
hinausgehende Wahrnehmungsfähigkeit zuerkennt, der muss
ihm notgedrungen auch Objekte zuerkennen, die über die
bloße sinnenfällige Wirklichkeit hinaus liegen. Die Objekte des
Denkens sind aber die ''Ideen''. Indem sich das Denken der Idee
bemächtigt, verschmilzt es mit dem Urgrunde des
Weltendaseins; das, was außen wirkt, tritt in den Geist des
Menschen ein: er wird mit der objektiven Wirklichkeit auf ihrer
höchsten Potenz eins. ''Das Gewahrwerden der Idee in der Wirklichkeit ist die wahre Kommunion des Menschen.''
 
Das Denken hat den Ideen gegenüber dieselbe Bedeutung wie
das Auge dem Lichte, das Ohr dem Ton gegenüber. ''Es ist Organ der Auffassung.''
 
Diese Ansicht ist in der Lage, zwei Dinge zu vereinigen,
die man heute für völlig unvereinbar hält: empirische Methode
und Idealismus als wissenschaftliche Weltansicht.
Man glaubt, die Anerkennung der ersteren habe die Abweisung
des letzteren im Gefolge. Das ist durchaus nicht
richtig. Wenn man freilich die Sinne für die einzigen Auffassungsorgane
einer objektiven Wirklichkeit hält, so muß
man zu dieser Ansicht kommen. Denn die Sinne liefern
bloß solche Zusammenhänge der Dinge, die sich auf mechanische
Gesetze zurückführen lassen. Und damit wäre
die mechanische Weltansicht als die einzig wahre Gestalt
einer solchen gegeben. Dabei begeht man den Fehler, daß
man die andern ebenso objektiven Bestandteile der Wirklichkeit,
die sich auf mechanische Gesetze ''nicht'' zurückführen
lassen, einfach übersieht. Das objektiv Gegebene
deckt sich durchaus nicht mit dem ''sinnlich'' Gegebenen, wie
die mechanische Weltauffassung glaubt. Das letztere ist
nur die Hälfte des Gegebenen. Die andere Hälfte desselben
sind die Ideen, die ebenso Gegenstand der Erfahrung sind,
freilich einer höheren, deren Organ das Denken ist. Auch
die Ideen sind für eine induktive Methode erreichbar.
 
Die heutige Erfahrungswissenschaft befolgt die ganz
richtige Methode: am Gegebenen festzuhalten; aber sie
fügt die unstatthafte Behauptung hinzu, daß diese Methode
nur Sinnenfällig-Tatsächliches liefern kann. Statt bei dem,
''wie''<ref name="wiewas"></ref> wir zu unseren Ansichten kommen, stehenzubleiben,
bestimmt sie von vornherein das ''Was''<ref name="wiewas"></ref> derselben. Die einzig
befriedigende Wirklichkeitsauffassung ist empirische Methode
mit idealistischem Forschungsresultate. Das ist Idealismus,
aber kein solcher, der einer nebelhaften, geträumten
''Einheit der Dinge'' nachgeht, sondern ein solcher, der den
konkreten Ideengehalt der Wirklichkeit ebenso erfahrungsgemäß
sucht wie die heutige hyperexakte Forschung den
Tatsachengehalt.|1|125f}}


== Über die vermeintliche Subjektivität der Wahrnehmung ==
* [[Johann Gottlieb Fichte]]: ''Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre : als Handschrift fuer seine Zuhoerer'', Leipzig: Gabler, 1794 ({{ULBDD|urn:nbn:de:hbz:061:1-505245}})
 
{{Hauptartikel|Subjektivität der Wahrnehmung}}
 
Nach einer bis heute verbreiteten Ansicht wird den als Wahrnehmung gegebenen [[Sinnesqualitäten]], den [[Qualia]], namentlich den von [[Wikipedia:John Locke|John Locke]] so genannten [[Sekundäre Sinnesqualitäten|sekundären Sinnesqualitäten]], zu denen etwa [[Farben]], [[Töne]], [[Wärme]]-, [[Geschmack]]s- und [[Geruch]]eindrücke zählen (also die Sinnesmodalitäten der klassischen fünf Sinne), jeglicher [[objektiv]]e Charakter abgesprochen. Sie seien nur [[subjektiv]]e, durch die [[Sinnesorgane]] und das [[Gehirn]] bedingte Reaktionen auf äußere Reize, die als solche keine Ähnlichkeit mit den im [[Bewusstsein]] erlebten Sinnesqualitäten hätten. Untermauert wurde diese Ansicht wesentlich durch das von dem [[Biologe]]n [[Wikipedia:Johannes Müller (Biologe)|Johannes Müller]] [[Wikipedia:1826|1826]] aufgrund empirischer Untersuchungen formulierte [[Gesetz der spezifischen Sinnesenergien]], wonach jedes Sinnesorgan, egal durch welche Art von Reiz es erregt wird (etwa mechanisch, durch Licht, Elektrizität usw.), stets mit der ihm eigentümlichen [[Sinnesmodalität]] antwortet. So liefert etwa das Auge, egal wie es gereizt wird, stets nur Hell/Dunkel- und Farbeindrücke, das Ohr nur Töne bzw. Geräusche usw.
 
Diese Ansicht beruht nach [[Rudolf Steiner]] auf einem grundlegenden Irrtum. Im Wesen der Sinnesorgane liege es gerade, dass sie sich in ihrem Eigenwesen so weit zurücknehmen, dass sie gleichsam völlig durchsichtig für die objektiv gegebenen Wahrnehmungen sind. Und das gilt nicht nur für das [[Auge]], sondern für alle [[Sinne]]. Es sei eben überhaupt völlig verkehrt, davon auszugehen, dass die im Bewusstsein erlebte Wahrnehmung eine bloß subjektive Reaktion auf den objektiv gegebenen Reiz sei. Die Unterscheidung zwischen subjektiv und objektiv sei nicht durch die Wahrnehmung, sondern erst durch das Denken gegeben - und dieses zeige, dass die Eigenart der Sinnesorgane gerade darin besteht, dass sie sich in ihrem Eigenwesen soweit ausschalten, dass sie dem Bewusstsein den Zugang zu der objektiv gegebenen Wahrnehmung eröffnen. Der Reiz als solcher hat mit der objektiv gegebenen Wahrnehmungsqualität unmittelbar gar nichts zu tun, sondern schafft nur die Gelegenheit, dass diese wahrgenommen werden kann. So hat etwa die auf das Auge eintreffende [[Wikipedia:elektromagnetische Welle|elektromagnetische Welle]] spezifischer [[Wikipedia:Wellenlänge|Wellenlänge]] unmittelbar ''nichts'' mit der erlebten Farbqualität zu tun, aber sie bildet zusammen mit dem Auge als Sinnesorgan die notwendige Voraussetzung dafür, dass die Farbe sinnlich wahrgenommen werden kann. Diese ist nicht weniger objektiv gegeben als die elektromagnetische Welle, die dem Bewusstsein gleichsam nur den Weg bahnt, sich mit der Farbe wahrnehmend zu verbinden. Das Auge ist aber ein Wahrnehmungsorgan für die Farben und ''nicht'' für die elektromagnetische Welle, denn diese wird durch das Auge eben gerade nicht wahrgenommen, sondern vollständig ausgeblendet. Darin liegt auch die Schwierigkeit, die [[Physik]]er zumeist mit [[Goethes Farbenlehre]] haben, denn diese beschäftigt sich unmittelbar mit den [[Farben]] und nicht mit den elektromagnetischen Wellen, die in der [[Physik]] mittels geeigneter Messinstrumente untersucht werden. Es ist sogar sehr charakteristisch für den [[Mensch]]en, dass er ''kein'' unmittelbares Wahrnehmungsorgan für elektromagnetische Vorgänge hat, sondern diese nur durch entsprechende [[Messgerät]]e indirekt registrieren kann.
 
== Logik ==
 
In der [[Logik]] ist das Subjekt (S) jenes Glied eines logischen [[Urteil]]s, mit dem das [[Denken]] anhebt und das durch das [[Prädikat]] (P) näher bestimmt wird. 
 
== Siehe auch ==
 
* {{Eisler|Subject}}
* {{Kirchner|Subjekt}}
* {{UTB-Philosophie|Wulff D. Rehfus|855|Subjekt}}
 
== Anmerkungen ==
 
<references>
 
<ref name="wiewas">vgl. dazu Goethes bekannten Ausspruch: ''Das Was bedenke, mehr bedenke Wie.'' (Faust II, 2. Akt)</ref>
 
</references>
 
== Literatur ==


#Rudolf Steiner: ''Einleitungen zu Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften'', [[GA 1]] (1987), ISBN 3-7274-0011-0 {{Schriften|001}}
== Einzelnachweise ==
#Rudolf Steiner: ''Goethes Weltanschauung'', [[GA 6]] (1990), ISBN 3-7274-0060-9 {{Schriften|006}}


{{GA}}
<references />


[[Kategorie:Philosophie]]
[[Kategorie:Philosophie]] [[Kategorie:Deutscher Idealismus]] [[Kategorie:Fichte]]

Version vom 9. März 2019, 12:55 Uhr

Nicht-Ich ist ein von Johann Gottlieb Fichte erstmals in seiner Wissenschaftslehre geprägter Begriff, der von zentraler Bedeutung für den nachkantischen Idealismus wurde. Indem sich das Ich durch eine reine Tathandlung selbst setzt, sieht es sich zugleich als Subjekt der äußeren Welt der Objekte, d.h. dem Insgesamt des Nicht-Ich, gegenübergestellt und wird sich dadurch seiner selbst bewusst.

„Es ist ursprünglich nichts gesetzt, als das Ich; und dieses nur ist schlechthin gesetzt. Demnach kann nur dem Ich schlechthin entgegengesetzt werden. Aber das dem Ich entgegengesetzte ist = Nicht-Ich. So gewiß das unbedingte Zugestehen der absoluten Gewißheit des Satzes: -A nicht = A unter den Tatsachen des empirischen Bewusstseins vorkommt: so gewiß wird dem Ich schlechthin entgegengesetzt ein Nicht-Ich.“

Johann Gottlieb Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre.[1]

Eine völlig andere Bedeutung hat das Nicht-Ich für die buddhistische Weltanschauung in Form des Anatta, der Nicht-Selbstigkeit. Nach dieser Anschauung ist die Illusion des Ich die Quelle aller Leiden, die es zu durchschauen und zu überwinden gilt. Nur auf diesem Weg könne der der leidvolle Kreislauf der Wiedergeburten durch das endgültige Verlöschen im Nirvana zu einem Ende gebracht werden.

Literatur

Einzelnachweise

  1. Fichte, J.G.; Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre. Hamburg, Meiner, 1997, S. 24