Kardinaltugend und Parzufim: Unterschied zwischen den Seiten

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Als '''Kardinaltugenden''' (von [[lat.]] ''cardo'', „Türangel, Dreh- und Angelpunkt“) bezeichnet man seit der [[Wikipedia:Antike|Antike]] eine Gruppe von vier Grund-[[Tugenden]], die aber anfangs nicht bei allen Autoren dieselben waren. Eine Vierergruppe ist bereits in Griechenland im 5. Jahrhundert v. Chr. belegt und war wohl schon früher bekannt; die Bezeichnung "Kardinaltugenden" wurde aber erst in der Epoche der [[Wikipedia:Spätantike|spätantiken]] [[Wikipedia:Patristik|Patristik]] im 4. Jahrhundert eingeführt.
[[Datei:Makroprosopos.jpg|thumb|250px|Das Haupt des [[Makroprosopon]].]]
[[File:Daniel's vision of the four beasts from the sea and the Ancient of Days - Silos Apocalypse (1109), f.240 - BL Add MS 11695.jpg|mini|250px|Daniel's Vision der vier Tiere aus dem Meer und der Alte der Tage (Beatus of Liébana; Dominicus, 1109)]]
Als '''Parzufim''' ({{HeS|פרצוף}}, parzuf, „[[Gesicht]]“; Plural: parzufim; {{ELSalt|πρόσωπον}}, ''prosopon'' „Gesicht, Miene, Blick, äußere Gestalt, Aussehen“, im weiteren Sinn aber auch „Maske, Rolle“ oder einfach nur „Mensch“) werden in der [[jüdisch]]en [[Kabbala]] nach der Lehre [[Isaak Luria]]s (1534-1572) die '''fünf Gesichter''', [[Gestalt]]en oder ''archetypischen [[Person]]en'' bezeichnet, zu denen die 10 [[Sephiroth]], die als [[Adam Kadmon]] zugleich das [[Makrokosmos|makrokosmische]] [[Urbild]] des [[Mensch]]en sind, transformiert wurden, nachdem es im Zuge des [[Schöpfung]]sgeschehens zum sogenannten [[Bruch der Gefäße]] ([[Schvirat ha-Kelim]]) gekommen war. Die inneren sechs Sephiroth, von [[Chesed]] abwärts bis [[Jesod]], waren zu schwach, um der Gewalt von [[Kav]] (''oder'' Qav) ([[Hebräische Sprache|hebr.]] קו, ''Linie [des Lichts]''), dem zum Strahl geformten schöpferischen göttlichen Licht, standzuhalten. Die Scherben der zerstörten Gefäße blieben in der Welt erhalten als leere, geistverlassene "Schalen" (''[[Qelipot|Qlīpōt]]'') und bilden seitdem die Grundlage des [[Das Böse|Bösen]].


== Antike ==
Um weitere Zerstörung zu verhindern, wurden die Gefäße der 10 Sephiroth aus dem Brennpunkt des Lichts gerückt und in ''fünf Gesichter'' verwandelt. [[Fünf]] ist die [[Zahl]] des [[Mensch]]en, des [[Mikrokosmos]], zugleich aber auch die [[Zahl des Bösen]] bzw. der [[Freiheit|Wahlfreiheit]] zwischen dem [[Das Gute|Guten]] und dem [[Das Böse|Bösen]]. 


Die Gruppe von vier Haupttugenden ist erstmals bei dem griechischen Dichter [[Wikipedia:Aischylos|Aischylos]] belegt, in seinem 467 v. Chr. entstandenen Stück [[Wikipedia:Sieben gegen Theben|Sieben gegen Theben]] (Vers 610). Er scheint sie als bekannt vorauszusetzen; daher wird vermutet, dass sie schon im griechischen Adel des 6. Jahrhunderts v. Chr. geläufig waren. Aischylos charakterisiert den Seher [[Wikipedia:Amphiaraos|Amphiaraos]] als tugendhaften Menschen, indem er ihn als verständig (''sóphron''), gerecht (''díkaios''), fromm (''eusebés'') und tapfer (''agathós'') bezeichnet; der Begriff ''agathós'' ("gut") ist hier, wie in vielen Inschriften, im Sinne von "tapfer" (''andreios'') zu verstehen.
[[Kether]], die erste Sephira, wurde zum [[Kopf]] ({{HeS|רֹאשׁ}}, Rosh) des [[Makroprosopon]] ({{HeS|אריך אנפין}}, [[Arik Anpin]], ''langes'' oder ''großes Gesicht'', „der Langmütige, Geduldige“) transformiert. Die verborgene, innerste und älteste Dimension von Kether, die Quelle des Göttlichen [[Wille]]s und damit der [[Schöpfung]], ist aber [[Atik Yomin]] ({{HeS|עתיק יומין|atiq yomin}}), der „Heilige Alte“, der „[[Alte der Tage]]“; [[Wikipedia:Englisch|eng.]] „[[WikipediaEN:Ancient of Days|Ancient of Days]]“), wie er in der [[Apokalypse]] des [[Wikipedia:Buch Daniel|Daniel]] erwähnt wird. In diesem Sinn gibt es also insgesamt '''sechs Gesichter'''. In der [[Wikipedia:Katholische Theologie|katholischen Theologie]], so auch bei [[Thomas von Aquin]], wird der „Heilige Alte“ als [[Vatergott]] aufgefasst. Diese Deutung kommt auch gelegentlich in den [[Wikipedia:Orthodoxe Kirchen|othodoxen Kirchen]] vor, sehr selten wird damit auch auf den [[Heiliger Geist|Heiligen Geist]] hingewiesen - zumeist aber wird der „Heilige Alte“ als der [[Sohn]] [[Gott]]es, der [[Christus]], aufgefasst.


[[Platon]] übernahm in seinen Dialogen [[Wikipedia:Politeia|Politeia]] und [[Wikipedia:Nomoi|Nomoi]] die Idee der Vierergruppe. Er behielt die [[Tapferkeit]] (bei ihm ανδρεία, ''andreia''), die [[Gerechtigkeit]] (δικαιοσύνη, ''dikaiosýne'') und die [[Besonnenheit]] (σωφροσύνη, ''sophrosýne'', auch „Verständigkeit“) bei, ersetzte aber die Frömmigkeit (εὐσέβεια, ''eusébeia'') durch [[Klugheit]] (φρόνησις, ''phrónesis'') oder [[Weisheit]] (σοφία, ''sophía''). Durch diesen Schritt wurde die Frömmigkeit aus dem Tugendkatalog verdrängt. Noch Platons Zeitgenosse [[Wikipedia:Xenophon|Xenophon]], der wie Platon ein Schüler des [[Sokrates]] war, schrieb Sokrates einen [[Wikipedia:Kanon|Kanon]] von nur zwei Tugenden zu, nämlich Frömmigkeit (die die Beziehungen zwischen Menschen und Göttern bestimmt) und Gerechtigkeit (die für die Beziehungen der Menschen untereinander maßgeblich ist).
{{Zitat|1 Im ersten Jahr Belsazars, des Königs von Babel, hatte Daniel einen Traum und Gesichte auf seinem Bett; und er schrieb den Traum auf und dies ist sein Inhalt:
2 Ich, Daniel, sah ein Gesicht in der Nacht, und siehe, die vier Winde unter dem Himmel wühlten das große Meer auf.
3 Und vier große Tiere stiegen herauf aus dem Meer, ein jedes anders als das andere.
4 Das erste war wie ein Löwe und hatte Flügel wie ein Adler. Ich sah, wie ihm die Flügel genommen wurden. Und es wurde von der Erde aufgehoben und auf zwei Füße gestellt wie ein Mensch, und es wurde ihm ein menschliches Herz gegeben.
5 Und siehe, ein anderes Tier, das zweite, war gleich einem Bären und war auf der einen Seite aufgerichtet und hatte in seinem Maul zwischen seinen Zähnen drei Rippen. Und man sprach zu ihm: Steh auf und friss viel Fleisch!
6 Danach sah ich, und siehe, ein anderes Tier, gleich einem Panther, das hatte vier Flügel wie ein Vogel auf seinem Rücken und das Tier hatte vier Köpfe, und ihm wurde große Macht gegeben.
7 Danach sah ich in diesem Gesicht in der Nacht, und siehe, ein viertes Tier war furchtbar und schrecklich und sehr stark und hatte große eiserne Zähne, fraß um sich und zermalmte, und was übrig blieb, zertrat es mit seinen Füßen. Es war auch ganz anders als die vorigen Tiere und hatte zehn Hörner.
8 Als ich aber auf die Hörner Acht gab, siehe, da brach ein anderes kleines Horn zwischen ihnen hervor, vor dem drei der vorigen Hörner ausgerissen wurden. Und siehe, das Horn hatte Augen wie Menschenaugen und ein Maul; das redete große Dinge.
9 Ich sah, wie Throne aufgestellt wurden, und einer, der uralt war, setzte sich. Sein Kleid war weiß wie Schnee und das Haar auf seinem Haupt rein wie Wolle; Feuerflammen waren sein Thron und dessen Räder loderndes Feuer.
10 Und von ihm ging aus ein langer feuriger Strahl. Tausendmal Tausende dienten ihm, und zehntausendmal Zehntausende standen vor ihm. Das Gericht wurde gehalten und die Bücher wurden aufgetan.
11 Ich merkte auf um der großen Reden willen, die das Horn redete, und ich sah, wie das Tier getötet wurde und sein Leib umkam und ins Feuer geworfen wurde.
12 Und mit der Macht der andern Tiere war es auch aus; denn es war ihnen Zeit und Stunde bestimmt, wie lang ein jedes leben sollte.
13 Ich sah in diesem Gesicht in der Nacht, und siehe, es kam einer mit den Wolken des Himmels wie eines Menschen Sohn und gelangte zu dem, der uralt war, und wurde vor ihn gebracht.
14 Der gab ihm Macht, Ehre und Reich, dass ihm alle Völker und Leute aus so vielen verschiedenen Sprachen dienen sollten. Seine Macht ist ewig und vergeht nicht, und sein Reich hat kein Ende.
15 Ich, Daniel, war entsetzt, und dies Gesicht erschreckte mich.
16 Und ich ging zu einem von denen, die dastanden, und bat ihn, dass er mir über das alles Genaueres berichtete. Und er redete mit mir und sagte mir, was es bedeutete.
17 Diese vier großen Tiere sind vier Königreiche, die auf Erden kommen werden.
18 Aber die Heiligen des Höchsten werden das Reich empfangen und werden's immer und ewig besitzen.
19 Danach hätte ich gerne Genaueres gewusst über das vierte Tier, das ganz anders war als alle andern, ganz furchtbar, mit eisernen Zähnen und ehernen Klauen, das um sich fraß und zermalmte und mit seinen Füßen zertrat, was übrig blieb;
20 und über die zehn Hörner auf seinem Haupt und über das andere Horn, das hervorbrach, vor dem drei ausfielen; und es hatte Augen und ein Maul, das große Dinge redete, und war größer als die Hörner, die neben ihm waren.
21 Und ich sah das Horn kämpfen gegen die Heiligen, und es behielt den Sieg über sie,
22 bis der kam, der uralt war, und Recht schaffte den Heiligen des Höchsten und bis die Zeit kam, dass die Heiligen das Reich empfingen.
23 Er sprach: Das vierte Tier wird das vierte Königreich auf Erden sein; das wird ganz anders sein als alle andern Königreiche; es wird alle Länder fressen, zertreten und zermalmen.
24 Die zehn Hörner bedeuten zehn Könige, die aus diesem Königreich hervorgehen werden. Nach ihnen aber wird ein anderer aufkommen, der wird ganz anders sein als die vorigen und wird drei Könige stürzen.
25 Er wird den Höchsten lästern und die Heiligen des Höchsten vernichten und wird sich unterstehen, Festzeiten und Gesetz zu ändern. Sie werden in seine Hand gegeben werden eine Zeit und zwei Zeiten und eine halbe Zeit.
26 Danach wird das Gericht gehalten werden; dann wird ihm seine Macht genommen und ganz und gar vernichtet werden.
27 Aber das Reich und die Macht und die Gewalt über die Königreiche unter dem ganzen Himmel wird dem Volk der Heiligen des Höchsten gegeben werden, dessen Reich ewig ist, und alle Mächte werden ihm dienen und gehorchen.
28 Das war das Ende der Rede. Aber ich, Daniel, wurde sehr beunruhigt in meinen Gedanken und jede Farbe war aus meinem Antlitz gewichen; doch behielt ich die Rede in meinem Herzen.|Buch Daniel|{{B|Dan|7|1-28}}}}


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[[Wikipedia:Daniel (Prophet)|Daniels]] Vision von den [[vier Tiere]]n und dem [[Menschensohn]] findet sich in ähnlicher Gestalt auch in der [[Apokalypse des Johannes]] {{Bibel|Off|1|9-20|LUT}}.
"Plato, der große Philosoph des alten Griechenlands, hat diese vier
Tugenden deshalb unterschieden, weil er seine Weisheit noch aus den
Nachklängen des alten Mysterienwesens hat schöpfen können. Unter
den Nachklängen des alten Mysterienwesens hat Plato die Klassifizierung
der Tugend besser treffen können als die späteren Philosophen
oder gar als die unserer Zeiten, wo das Wissen von der Mysterienweisheit
so weit entfernt steht und etwas so chaotisches geworden
ist." {{Lit|{{G|159|13}}}}
</div>


Platon ordnet jedem der drei von ihm angenommenen [[Seele]]nteile und jedem der drei Stände seines Idealstaats eine Tugend zu, nämlich dem obersten Seelenteil bzw. Stand die Weisheit, dem zweitrangigen die Tapferkeit und dem niedersten die Verständigkeit oder Fähigkeit des [[Mäßigung|Maßhaltens]]. Die Gerechtigkeit ist allen drei zugewiesen, sie sorgt für das rechte Zusammenwirken der Teile des Ganzen.
[[Chochmah]], die [[Weisheit]], wurde zum ''Vater'' ({{HeS|אבא}}, Abba) als aktiv-männlichem Prinzip und [[Binah]], der [[Verstand]], zur ''Mutter'' ({{HeS|אִמָּא}}, Imma) als empfangendem weiblichen Prinzip. Die sechs zerbrochenen Sephiroth, mit ihrem Zentrum in der Sephira [[Tifereth]] (Schönheit), wurden umgebildet zum männlichen Kind, auch [[Mikroprosopon]] ({{HeS|זעיר אנפין}}, [[Zeir Anpin]], ''kurzes'' oder ''kleines Gesicht'', „der Kurzmütige, Ungeduldige“) genannt und beschrieben als voll verkörperte männliche Gestalt mit ''Kopf'' und ''Körper'' ({{HeS|גּוּף}}, [[Guph]]), die als eigentlicher [[Demiurg]] der [[Schöpfung]] wirkt. [[Malchuth]] aber, das Reich, wurde zum weiblichen Kind ({{HeS|נוקבא}}, [[Nukvah]], ''weiblich''; auch {{HeS|בַּת}}, Bath, ''Tochter'', „das Weibliche des Kurzmütigen“) und ist zugleich der weibliche Aspekt und die Braut {{HeS|כַּלָּה}}, Kallah) des Zeir Anpin. Diese ''fünf'' Gesichter oder Personen sind seitdem in allen [[vier Welten]], von der [[Devachan|geistigen Welt]] bis hinunter zur [[Physische Welt|physischen Welt]],  zu finden.


Die 4 Kardinaltugenden hängen aber auch mit den vier grundlegenden [[Wesensglieder]]n des [[Mensch]]en zusammen. Die [[Weisheit]] wirkt unmittelbar durch das [[Ich]], die [[Tapferkeit]] oder [[Herzhaftigkeit]] wirkt durch den [[Astralleib]], die [[Besonnenheit]] durch den [[Ätherleib]] und die [[Gerechtigkeit]] durch den [[Physischer Leib|physischen Leib]].
Aus diesen ''fünf Gesichtern'' [[Emanation|emanierten]] die fünf Arten der [[Seele]]: [[Jechidah]] ([[Geistesmensch]]), [[Chaja]] ([[Lebensgeist]]), [[Neschamah]] ([[Geistselbst]]/[[Bewusstseinsseele]]), [[Ruach]] ([[Verstandesseele]]) und [[Nephesch]] ([[Empfindungsseele]]). Jede dieser fünf Seelen wurde zusammen mit den entsprechenden [[Organ]]en [[Adam]]s geschaffen. Und so wie es niedere und höhere Organe gibt, gibt es auch niedere und höhere Seelenarten. Jede menschliche Seele ist ein Funke ({{HeS|נִיצוֹץ}}, ''nitzotz'') der Seele Adams. Durch den [[Sündenfall]] wurden diese Seelenarten durcheinandergebracht und selbst den reinsten wurde etwas von den geistverlassenen "Schalen" (''[[Qelipot|Qlīpōt]]'') beigemischt. Diese Verwirrung der Seelen wird nach [[Isaak Luria]] erst mit dem Erscheinen des [[Messias]] verschwinden. Bis dahin kann die Seele nicht zu ihrer Quelle zurückkehren und erlöst werden, sondern muss durch zahllose Wiedergeburten ([[Gilgul Neschamot]], {{HeS|גִלְגּוּל נְשָמוֹת}}, wörtl. das ''Rollen der Seelen'') wandern - nach Luria nicht nur in menschlichen Körpern, sondern auch in Tieren, Pflanzen und sogar in unbelebten Dingen wie Flüssen, Holz und Stein. Damit ist aber nicht die [[Reinkarnation]] des [[Geist]]es gemeint, sondern die alte [[Wikipedia:Orient|orientalische]] [[Seelenwanderung]]slehre, die sich auf das Verhalten des [[Astralleib]]s nach dem Tod bezieht!


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Nicht nur an seiner eigenen Vervollkommnung hat der [[Mensch]] dabei zu arbeiten, sondern im fortlaufenden Prozess des [[Tikkun Olam]] ({{HeS|תיקון עולם}}, wörtlich etwa das ''„Reparieren der Welt“'') ist er auch dazu aufgerufen, an der Wiederherstellung der reinen Schöpfungsordnung mitzuarbeiten. Mehr noch, es entsteht dadurch - durch die Mitwirkung des Menschen - etwas Neues, Höheres, dass es in dieser Form noch niemals gegeben hat.
"Wenn wir den Menschen, insofern er in der Moralitätssphäre drinnensteht,
betrachten, da werden wir besonders an dasjenige erinnert,
was ich gestern darlegte: daß die Griechen noch mehr das Verhältnis
des Geistig-Seelischen und des Physischen gefühlt und empfunden haben,
als es heute der Fall ist. Daher hat Plato zum Beispiel noch ganz
deutlich dieses eigentümliche Verhältnis dargestellt, wie der Mensch
erfaßt, ergriffen wird von den Moralitätsimpulsen aus dem geistigen
Universum heraus. Plato sagt: Eigentlich gibt es vier Tugenden. Von der
Gesamtmoralität wird der Gesamtmensch erfaßt. - Aber alles das ist
natürlich mit dem bekannten grano salis zu nehmen. Natürlich würde,
wenn der ganze Mensch erfaßt wird, er auch wiederum nach den einzelnen
Tugenden abgeteilt. Die erste Tugend, von der Plato spricht,
ist die Weisheit - Weisheit als Tugend jetzt genommen, nicht als Wissenschaft.
Weil diese Weisheit als Tugend verwandt ist mit dem, was
in der Wahrheit erlebt wird, so wenden sich die Kräfte, die gerade die
Weisheit aus der Moralitätssphäre heraus ergreift, auch noch an das
Haupt des Menschen, so daß wir die Sache so darstellen können:
 
[[Datei:GA170_078.gif|300px|center|Die 4 Kardinaltugenden]]
 
(Zeichnung I). Plato sagte also: Es wird erfaßt beim moralischen
Menschen der Kopfteil von der Weisheit, der Brustteil von dem, was
man nennen könnte die Tugend der Herzhaftigkeit - ich kann kein
besseres Wort finden -, Starkmut, Tüchtigkeit, aber solche Tüchtigkeit,
daß die herzhaften Kräfte drinnen sind: seelische Tüchtigkeit.
 
Weise - das Wort im Sinne der Tugendhaftigkeit gemeint - ist derjenige
Mensch, der sich nicht bloß seinen tierischen Trieben überläßt,
sondern der aus der Moral heraus gewisse Ideen hat, die er erfaßt, und
nach denen er sich richtet. Aber es strahlt schon der moralische Impuls
in das Körperliche, in das Leibliche hinein, auch wenn dieser moralische
Impuls in moralischen Weisheitsideen erfaßt wird. Daher können
wir sagen: Da strahlt herein in den Menschen die Moralität so, daß wir
uns das Hereinstrahlen ins «Ich» vorstellen dürfen (grün). Das wäre
also die platonische Weisheitssphäre der Moralität.
 
Der Brustteil, der das Herz umschließt, wäre das Gebiet, wo die
Herzhaftigkeit, der Starkmut, die seelische Tüchtigkeit aus der Moralitätssphäre
einstrahlt. Wir können sagen: Da ergreift die Moralität,
indem sie weiterstrahlt, insbesondere das Astralische und belebt den
Brustteil mit dem Herzen. Wir können also dieses weitere Erstrahlen
so zeichnen (gelb). So daß wir haben: Weisheit als Tugend im Kopfteil
(grün), Herzhaftigkeit als Tugend im Brustteil (gelb).
 
Eine dritte Tugend ist, was Plato die Besonnenheit, Sophrosyne,
nennt, und die schreibt er dem Unterleib zu, was ganz richtig ist. Der
Unterleib ist der Erreger der Triebe des Menschen, aber der Mensch,
der mit seinem Nachdenken und Nachfühlen und Nachempfinden die
Triebe beherrscht, ist ein besonnener Mensch. Das bloße Ausleben der
Triebe, das auch das Tier kennt, ist keine Tugend, sondern erst das
Durchsetzen der Triebe mit dem Grade von Bewußtsein, der eben
möglich ist, ist Besonnenheit. Das wird dann im Ätherleib erfaßt, weil
Gedanken, Besonnenheit, Mut, insofern sie menschlich sind, im Ätherleibe
erfaßt werden.Wir müssen also die Zeichnung so gestalten (violett).
Also es erfaßt schon die Moralitätssphäre den physischen Menschen als
Ganzes, wie ich gestern ausgeführt habe. Der Kopf ist dabei, das habe
ich gestern ausdrücklich gesagt.
 
Und als vierte umfassende Tugend, die nun in den ganzen physischen
Leib strömt, von dem ich Ihnen gestern gezeigt habe, daß er eigentlich
unsichtbar ist, nennt Plato Dikaiosyne. Das müssen wir übersetzen mit
Gerechtigkeit, obwohl das Wort Gerechtigkeit in den modernen Sprachen
nicht vollständig damit übereinstimmt; denn Gerechtigkeit müssen
wir so nehmen: daß der Mensch sich zu richten weiß, gerecht,
richtungsgemäß, daß er einer menschlichen Richtung folgt im Leben.
Also es ist nicht das abstrakte Wort Gerechtigkeit bloß gemeint, sondern
das Sich-Richtung-Gebende, Sich-Auskennende, Sich-Orientierende
im Leben. So daß wir sagen können: Da hat die Einströmung der
Moralitätssphäre in den ganzen physischen Leib Anteil als Gerechtigkeit
(rot). Auf diese Weise hatten wir schematisch angedeutet, wie in
der menschlichen Aura die Moralitätsimpulse hereinstrahlen in den
Menschen." {{Lit|{{G|170|78ff}}}}
</div>
 
Nicht nur die Angehörigen der von Platon gegründeten [[Wikipedia:Platonische Akademie|Akademie]], sondern auch die [[Wikipedia:Stoa|Stoiker]] übernahmen den Kanon der vier Tugenden; wohl aus stoischem Schrifttum gelangte die Vierergruppe auch in die [[Wikipedia:Rhetorik|rhetorischen]] Handbücher. Daher waren die Gebildeten der [[Wikipedia:Hellenismus|hellenistischen]] und römischen Welt mit ihr vertraut.
 
Auch im Judentum wurden dieselben vier Haupttugenden gelehrt; sie erscheinen zweimal in der [[Wikipedia:Septuaginta|Septuaginta]] (der griechischen Übersetzung des [[Wikipedia:Tanach|Tanach]]), nämlich im [[Wikipedia:Buch der Weisheit|Buch der Weisheit]] (8.7) und im [[Wikipedia:4. Buch der Makkabäer|4. Buch der Makkabäer]] (1.18). Der jüdische Philosoph [[Wikipedia:Philon von Alexandria|Philon von Alexandria]] befasste sich ebenfalls damit; er deutete die vier Flüsse des [[Garten Eden|Paradieses]] [[Wikipedia:Allegorie|allegorisch]] als die vier Tugenden.
 
[[Wikipedia:Marcus Tullius Cicero|Marcus Tullius Cicero]], der sich hier auf ein nicht erhaltenes Werk des [[Wikipedia:Stoa|Stoikers]] [[Wikipedia:Panaitios von Rhodos|Panaitios]] stützte, vertrat die Lehre von den vier Haupttugenden. Er machte die römische Welt mit ihr vertraut. In seiner Schrift ''[[Wikipedia:De officiis|De officiis]]'' ("Über die Pflichten") nennt und erörtert er die vier Tugenden: Weisheit oder Klugheit (''sapientia'' bzw. ''prudentia''), Gerechtigkeit (''iustitia''), Tapferkeit (''fortitudo'', ''magnitudo animi'') und Mäßigung (''temperantia'').
 
=== Weltentwicklungsstufen und platonische Tugenden ===
 
Die 7 planetarischen [[Weltentwicklungsstufen]] sind in der Reihenfolge ihrer Entstehung:
 
<center>
{|class=notiz
|[[alter Saturn]]  -  [[alte Sonne]]  -  [[alter Mond]]  -  [[Erde (Planet)|Erde]]  -  [[neuer Jupiter]]  -  [[neue Venus]]  -  [[Vulkan]]
|}
</center>
 
Sie hängen nach [[Rudolf Steiner]] mit den vier platonischen Tugenden in folgender Weise zusammen:
 
<div style="margin-left:20px">
"Wenn wir den Menschen so betrachten, wie er heute
auf der Erde lebt, so steckt ja, man könnte sagen, samenhaft in ihm
schon das, was während der Jupiter-, während der Venus-, während
der Vulkanperiode sich entwickeln wird. Aber ebenso ist der Mensch
ein Ergebnis der Saturn-, Sonnen-, Monden-, Erdensphäre. Ich sagte
gestern: Das Weisheitliche, das Wahrheitsmäßige ist schon auf der
Sonne veranlagt und wird auf dem Jupiter abgeschlossen sein. Wollen
wir uns das auch einmal graphisch darstellen.
 
[[Datei:GA170 088.gif|center|600px|Zeichnung aus GA 170, S 88]]
 
Für die Keimanlage auf der Sonne wird auf dem Jupiter ein gewisser
Abschluß erreicht sein; so daß wir also sagen können: Von der Sonne
zum Jupiter ist die eigentliche Entwickelung der Wahrheit; sie wird auf
dem Jupiter ganz innerlich geworden sein; dann wird sie eben ganz
Weisheit sein: Wahrheit wird Weisheit!
 
Auf dem Mond beginnt dann dasjenige, was die ästhetische Sphäre
enthält. Das wird abgeschlossen sein auf derVenus.Wir können das etwa
so zeichnen: Mond, abgeschlossen Venus; wir haben also hier die Entwickelung
der Schönheit. Sie sehen, das greift über.
 
Eigentlich ruht das alles in unseren Untergründen, im Unterbewußten,
was in diesen zwei Strömungen, und auch noch in der dritten enthalten
ist; denn während der Erdenentwickelung beginnt nun das, was
wir nennen können die Moralitätssphäre. Sie erreicht ihren Abschluß
auf dem Vulkan. Wir haben also eine dritte Strömung, wiederum übergreifend:
die Strömung der Moralität. Dazu haben wir noch eine vierte
Strömung, die abgeschlossen sein wird, wenn einmal die Erde am Ziel
ihrer Entwicklung angelangt sein wird. Mit der Erde beginnt die Moralität.
Aber sie schließt eine höhere Ordnung wiederum ab, eine Ordnung,
die schon begonnen hat am Saturn; so daß wir nun eine Ordnung,
eine Strömung haben vom Saturn zur Erde, und diese wird nun genannt:
Gerechtigkeit, in dem Sinne, wie ich früher das Wort erklärt habe. Sie
wissen, daß auf dem Saturn die Sinne zuerst veranlagt wurden. Diese
Sinne würden den Menschen nach allen Richtungen zerstreuen. Sie wissen,
zwölf Sinne unterscheiden wir - der Sinn würde, indem er sich entwickelt
durch Sonne, Mond und Erde, den Menschen zur Orientierung,
zur Gerechtigkeit tragen, wo auch die moralische Gerechtigkeit dann,
wenn sie von der Moralnatur der Erde erfaßt wird, erst eingeschlossen
wird; moralische Gerechtigkeit ist erst auf der Erde vorhanden. Was
da innerlich wirkt dem Peripherischen der Sinne gegenüber als Zentralisches,
das ist die Sphäre oder Strömung der Gerechtigkeit." {{Lit|{{G|170|88f}}}}
</div>
 
=== Allegorische Darstellung von Platons Kardinaltugenden ===
 
Im 4. Jahrhundert verfasste der Kirchenlehrer [[Wikipedia:Ambrosius von Mailand|Ambrosius von Mailand]] eine Pflichtenlehre (''De officiis ministrorum''), in der er sich mit Ciceros Auffassung auseinandersetzte. Er verwendete erstmals den Begriff "Kardinaltugenden" (''virtutes cardinales''); häufiger ist bei ihm aber der Ausdruck "Haupttugenden" (''virtutes principales''). Er übernahm Philons Deutung der vier Paradiesflüsse als die vier Tugenden.
 
Darstellung der Kardinaltugenden am Papstgrab des Papstes [[Wikipedia:Clemens II.|Clemens II.]] im [[Wikipedia:Bamberger Dom|Bamberger Dom]]
<gallery>
Image:Iustitia Papstgrab Bamberg aus Gottfried Henschen u Daniel Papebroch 1747.jpg|Iustitia (Gerechtigkeit)
Image:Fortitudo Papstgrab Bamberg aus Gottfried Henschen u Daniel Papebroch 1747.jpg|Fortitudo (Tapferkeit)
Image:Sapientia Papstgrab Bamberg aus Gottfried Henschen u Daniel Papebroch 1747.jpg|Sapientia (Weisheit)
Image:Temperantia Papstgrab Bamberg aus Gottfried Henschen u Daniel Papebroch 1747.jpg|Temperantia (Mäßigung)
</gallery>
 
=== Giottos Darstellung der drei göttlichen Tugenden ===
 
Im [[Wikipedia:Neues Testament|Neuen Testament]] hingegen kommt der Kanon der vier Tugenden nicht vor. Der Apostel [[Paulus von Tarsus|Paulus]] führte drei [[Theologische Tugend|theologische Tugenden]] ein: [[Glaube]] (lateinisch ''fides''), [[Hoffnung]] (lateinisch ''spes'') und [[Liebe]] (lateinisch ''caritas''). Die nachfolgende Darstellung ist in der [[Wikipedia:Cappella degli Scrovegni|Cappella degli Scrovegni]] in Padua zu finden.
 
<gallery>
Image:Giotto - Scrovegni - -44- - Faith.jpg|Fides (Glaube)
Image:Giotto - Scrovegni - -46- - Hope.jpg|Spes (Hoffnung)
Image:Giotto - Scrovegni - -45- - Charity.jpg|Caritas (Liebe)
</gallery>
 
Zusammen ergibt das die Siebenzahl
* [[Weisheit]] oder [[Klugheit]]
* [[Gerechtigkeit]]
* [[Tapferkeit]]
* [[Mäßigung]]
* [[Glaube]]
* [[Hoffnung]]
* [[Liebe]]
Sie werden im [[Wikipedia:Katechismus der Katholischen Kirche|Katechismus der Katholischen Kirche]] den [[sieben]] [[Todsünde]]n (Hauptlaster) gegenübergestellt.
 
== Moderne ==
 
[[Wikipedia:Immanuel Kant|Immanuel Kant]] lässt nur eine Primärtugend gelten: "Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille". Fehle dieser, können alle anderen Tugenden "auch äußerst böse und schädlich werden".<ref>Kant: ''Grundlegung zur Metaphysik der Sitten'', Anaconda Verlag 2008</ref>
 
Der deutsche Philosoph [[Wikipedia:Johann Friedrich Herbart|Johann Friedrich Herbart]] wiederum stellte als die Kardinaltugenden dar <ref>{{Meyers Online|9|507|spezialkapitel=Kardinaltugenden}}</ref>:
* [[Tapferkeit]],
* [[Freiheit]],
* [[Güte]] und
* [[Gerechtigkeit]].
 
== China ==
Die fünf [[Wikipedia:Konfuzianismus|konfuzianischen]] Kardinaltugenden ([[Wikipedia:Chinesische Schrift|chin.]] 五常 wŭcháng) sind:
* [[Menschlichkeit]] (仁 ''rén'')
* [[Gerechtigkeit]] oder Rechtes Handeln (義 ''yì'')
* [[Sitte]] (禮 ''lĭ'')
* [[Wissen]] (智 ''zhì'')
* [[Wahrhaftigkeit]] (信 ''xìn'')
 
beziehungsweise nach [[Mengzi]] entsprechend
* [[Innigkeit]] (親 ''qīn'') zwischen Vater und Sohn
* Rechtes Handeln (義 ''yì'') zwischen Fürst und Untertan
* Trennung (別 ''bié'') zwischen Gatte und Gemahlin
* [[Reihenfolge]] (序 ''xù'') zwischen Alt und Jung
* [[Wahrhaftigkeit]] (信 ''xìn'') zwischen Freund und Freund
 
== Yoga und Hinduismus ==
5 [[Yama]]s:
* [[Yama#1. Ahimsa|Ahimsa]] (Gewaltlosigkeit)
* [[Yama#2. Satya|Satya]] (Wahrhaftigkeit)
* [[Yama#3. Asteya|Asteya]] (Nicht-Stehlen)
* [[Yama#4. Brahmacharya|Brahmacharya]] (Enthaltsamkeit)
* [[Yama#5. Aparigraha|Aparigraha]] (Nicht-Zugreifen)
 
5 [[Niyama]]s:
* [[Niyama#1. Shauca|Shauca]] (Reinheit)
* [[Niyama#2. Samtosha|Samtosha]] (Genügsamkeit)
* [[Niyama#3. Tapas|Tapas]] (Opfer und Buße)
* [[Niyama#4. Svadhyaya|Svadhyaya]] (Studium und Reflexion)
* [[Niyama#5. Ishvarapranidhana|Ishvara Pranidhana]] (Hingabe an Gott)
 
== Siehe auch ==
* [[Tugend]]
* [[Tugendethik]]
* [[Dharma]]
* [[Katechismus der katholischen Kirche]], [[Todsünde]], [[Sünde wider den Heiligen Geist]]


== Weblinks ==
== Weblinks ==
* [http://glaube-und-kirche.de/tugenden.htm Göttliche Tugenden und Kardinaltugenden]
* [http://www.digital-brilliance.com/new/themes/partzufim.php Partzufim] (englisch)
 
== Literatur ==
* Maria Becker: ''Chresis. Die Methode der Kirchenväter im Umgang mit der antiken Kultur'', Band 4: ''Die Kardinaltugenden bei Cicero und Ambrosius: De officiis'', Schwabe, Basel 1994. ISBN 3-7965-0953-3
* [[Wikipedia:Carl Joachim Classen|Carl Joachim Classen]]: ''Der platonisch-stoische Kanon der Kardinaltugenden bei Philon, Clemens Alexandrinus und Origenes'', in: ''Kerygma und Logos'', hrsg. Adolf Martin Ritter, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1979, S. 68-88. ISBN 3-525-55369-2
* Albrecht Dihle: ''Der Kanon der zwei Tugenden'', Westdeutscher Verlag, Köln 1968
* Sibylle Mähl: ''Quadriga virtutum. Die Kardinaltugenden in der Geistesgeschichte der Karolingerzeit'', Böhlau, Köln 1969
* [[Wikipedia:Josef Pieper|Josef Pieper]]: ''Das Viergespann – Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Maß''. München 1998. ISBN 3-466-40171-2.
* [[Wikipedia:Eduard Schwartz|Eduard Schwartz]]: ''Ethik der Griechen'', Koehler, Stuttgart 1951
* Rudolf Steiner: ''Das Geheimnis des Todes. Wesen und Bedeutung Mitteleuropas und die europäischen Volksgeister'', [[GA 159]] [GA 159/160] (1980), ISBN 3-7274-1590-8 {{Vorträge|159}}
* Rudolf Steiner: ''Das Rätsel des Menschen. Die geistigen Hintergründe der menschlichen Geschichte'', [[GA 170]] (1992), ISBN 3-7274-1700-5 {{Vorträge|170}}
* Joachim Stiller: [http://joachimstiller.de/download/philosophie_tugenden.pdf Über die Tugenden] PDF
* Joachim Stiller: [http://joachimstiller.de/download/philosophie_religion_christliche_tugenden.pdf Die christlichen Tugenden - Eine Lehrschrift]
* Joachim Stiller: [http://joachimstiller.de/download/philosophie_religion_goettliche_tugenden.pdf Glaube, Liebe, Hoffnung - Eine Streitschrift] PDF
 
 
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== Anmerkungen ==
<references />
 
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Version vom 27. Juli 2016, 14:53 Uhr

Das Haupt des Makroprosopon.
Daniel's Vision der vier Tiere aus dem Meer und der Alte der Tage (Beatus of Liébana; Dominicus, 1109)

Als Parzufim (hebr. פרצוף, parzuf, „Gesicht“; Plural: parzufim; griech. πρόσωπον, prosopon „Gesicht, Miene, Blick, äußere Gestalt, Aussehen“, im weiteren Sinn aber auch „Maske, Rolle“ oder einfach nur „Mensch“) werden in der jüdischen Kabbala nach der Lehre Isaak Lurias (1534-1572) die fünf Gesichter, Gestalten oder archetypischen Personen bezeichnet, zu denen die 10 Sephiroth, die als Adam Kadmon zugleich das makrokosmische Urbild des Menschen sind, transformiert wurden, nachdem es im Zuge des Schöpfungsgeschehens zum sogenannten Bruch der Gefäße (Schvirat ha-Kelim) gekommen war. Die inneren sechs Sephiroth, von Chesed abwärts bis Jesod, waren zu schwach, um der Gewalt von Kav (oder Qav) (hebr. קו, Linie [des Lichts]), dem zum Strahl geformten schöpferischen göttlichen Licht, standzuhalten. Die Scherben der zerstörten Gefäße blieben in der Welt erhalten als leere, geistverlassene "Schalen" (Qlīpōt) und bilden seitdem die Grundlage des Bösen.

Um weitere Zerstörung zu verhindern, wurden die Gefäße der 10 Sephiroth aus dem Brennpunkt des Lichts gerückt und in fünf Gesichter verwandelt. Fünf ist die Zahl des Menschen, des Mikrokosmos, zugleich aber auch die Zahl des Bösen bzw. der Wahlfreiheit zwischen dem Guten und dem Bösen.

Kether, die erste Sephira, wurde zum Kopf (hebr. רֹאשׁ, Rosh) des Makroprosopon (hebr. אריך אנפין, Arik Anpin, langes oder großes Gesicht, „der Langmütige, Geduldige“) transformiert. Die verborgene, innerste und älteste Dimension von Kether, die Quelle des Göttlichen Willes und damit der Schöpfung, ist aber Atik Yomin (hebr. עתיק יומין atiq yomin), der „Heilige Alte“, der „Alte der Tage“; eng.Ancient of Days“), wie er in der Apokalypse des Daniel erwähnt wird. In diesem Sinn gibt es also insgesamt sechs Gesichter. In der katholischen Theologie, so auch bei Thomas von Aquin, wird der „Heilige Alte“ als Vatergott aufgefasst. Diese Deutung kommt auch gelegentlich in den othodoxen Kirchen vor, sehr selten wird damit auch auf den Heiligen Geist hingewiesen - zumeist aber wird der „Heilige Alte“ als der Sohn Gottes, der Christus, aufgefasst.

„1 Im ersten Jahr Belsazars, des Königs von Babel, hatte Daniel einen Traum und Gesichte auf seinem Bett; und er schrieb den Traum auf und dies ist sein Inhalt: 2 Ich, Daniel, sah ein Gesicht in der Nacht, und siehe, die vier Winde unter dem Himmel wühlten das große Meer auf. 3 Und vier große Tiere stiegen herauf aus dem Meer, ein jedes anders als das andere. 4 Das erste war wie ein Löwe und hatte Flügel wie ein Adler. Ich sah, wie ihm die Flügel genommen wurden. Und es wurde von der Erde aufgehoben und auf zwei Füße gestellt wie ein Mensch, und es wurde ihm ein menschliches Herz gegeben. 5 Und siehe, ein anderes Tier, das zweite, war gleich einem Bären und war auf der einen Seite aufgerichtet und hatte in seinem Maul zwischen seinen Zähnen drei Rippen. Und man sprach zu ihm: Steh auf und friss viel Fleisch! 6 Danach sah ich, und siehe, ein anderes Tier, gleich einem Panther, das hatte vier Flügel wie ein Vogel auf seinem Rücken und das Tier hatte vier Köpfe, und ihm wurde große Macht gegeben. 7 Danach sah ich in diesem Gesicht in der Nacht, und siehe, ein viertes Tier war furchtbar und schrecklich und sehr stark und hatte große eiserne Zähne, fraß um sich und zermalmte, und was übrig blieb, zertrat es mit seinen Füßen. Es war auch ganz anders als die vorigen Tiere und hatte zehn Hörner. 8 Als ich aber auf die Hörner Acht gab, siehe, da brach ein anderes kleines Horn zwischen ihnen hervor, vor dem drei der vorigen Hörner ausgerissen wurden. Und siehe, das Horn hatte Augen wie Menschenaugen und ein Maul; das redete große Dinge. 9 Ich sah, wie Throne aufgestellt wurden, und einer, der uralt war, setzte sich. Sein Kleid war weiß wie Schnee und das Haar auf seinem Haupt rein wie Wolle; Feuerflammen waren sein Thron und dessen Räder loderndes Feuer. 10 Und von ihm ging aus ein langer feuriger Strahl. Tausendmal Tausende dienten ihm, und zehntausendmal Zehntausende standen vor ihm. Das Gericht wurde gehalten und die Bücher wurden aufgetan. 11 Ich merkte auf um der großen Reden willen, die das Horn redete, und ich sah, wie das Tier getötet wurde und sein Leib umkam und ins Feuer geworfen wurde. 12 Und mit der Macht der andern Tiere war es auch aus; denn es war ihnen Zeit und Stunde bestimmt, wie lang ein jedes leben sollte. 13 Ich sah in diesem Gesicht in der Nacht, und siehe, es kam einer mit den Wolken des Himmels wie eines Menschen Sohn und gelangte zu dem, der uralt war, und wurde vor ihn gebracht. 14 Der gab ihm Macht, Ehre und Reich, dass ihm alle Völker und Leute aus so vielen verschiedenen Sprachen dienen sollten. Seine Macht ist ewig und vergeht nicht, und sein Reich hat kein Ende. 15 Ich, Daniel, war entsetzt, und dies Gesicht erschreckte mich. 16 Und ich ging zu einem von denen, die dastanden, und bat ihn, dass er mir über das alles Genaueres berichtete. Und er redete mit mir und sagte mir, was es bedeutete. 17 Diese vier großen Tiere sind vier Königreiche, die auf Erden kommen werden. 18 Aber die Heiligen des Höchsten werden das Reich empfangen und werden's immer und ewig besitzen. 19 Danach hätte ich gerne Genaueres gewusst über das vierte Tier, das ganz anders war als alle andern, ganz furchtbar, mit eisernen Zähnen und ehernen Klauen, das um sich fraß und zermalmte und mit seinen Füßen zertrat, was übrig blieb; 20 und über die zehn Hörner auf seinem Haupt und über das andere Horn, das hervorbrach, vor dem drei ausfielen; und es hatte Augen und ein Maul, das große Dinge redete, und war größer als die Hörner, die neben ihm waren. 21 Und ich sah das Horn kämpfen gegen die Heiligen, und es behielt den Sieg über sie, 22 bis der kam, der uralt war, und Recht schaffte den Heiligen des Höchsten und bis die Zeit kam, dass die Heiligen das Reich empfingen. 23 Er sprach: Das vierte Tier wird das vierte Königreich auf Erden sein; das wird ganz anders sein als alle andern Königreiche; es wird alle Länder fressen, zertreten und zermalmen. 24 Die zehn Hörner bedeuten zehn Könige, die aus diesem Königreich hervorgehen werden. Nach ihnen aber wird ein anderer aufkommen, der wird ganz anders sein als die vorigen und wird drei Könige stürzen. 25 Er wird den Höchsten lästern und die Heiligen des Höchsten vernichten und wird sich unterstehen, Festzeiten und Gesetz zu ändern. Sie werden in seine Hand gegeben werden eine Zeit und zwei Zeiten und eine halbe Zeit. 26 Danach wird das Gericht gehalten werden; dann wird ihm seine Macht genommen und ganz und gar vernichtet werden. 27 Aber das Reich und die Macht und die Gewalt über die Königreiche unter dem ganzen Himmel wird dem Volk der Heiligen des Höchsten gegeben werden, dessen Reich ewig ist, und alle Mächte werden ihm dienen und gehorchen. 28 Das war das Ende der Rede. Aber ich, Daniel, wurde sehr beunruhigt in meinen Gedanken und jede Farbe war aus meinem Antlitz gewichen; doch behielt ich die Rede in meinem Herzen.“

Buch Daniel: Dan 7,1-28 EU

Daniels Vision von den vier Tieren und dem Menschensohn findet sich in ähnlicher Gestalt auch in der Apokalypse des Johannes (Off 1,9-20 LUT).

Chochmah, die Weisheit, wurde zum Vater (hebr. אבא, Abba) als aktiv-männlichem Prinzip und Binah, der Verstand, zur Mutter (hebr. אִמָּא, Imma) als empfangendem weiblichen Prinzip. Die sechs zerbrochenen Sephiroth, mit ihrem Zentrum in der Sephira Tifereth (Schönheit), wurden umgebildet zum männlichen Kind, auch Mikroprosopon (hebr. זעיר אנפין, Zeir Anpin, kurzes oder kleines Gesicht, „der Kurzmütige, Ungeduldige“) genannt und beschrieben als voll verkörperte männliche Gestalt mit Kopf und Körper (hebr. גּוּף, Guph), die als eigentlicher Demiurg der Schöpfung wirkt. Malchuth aber, das Reich, wurde zum weiblichen Kind (hebr. נוקבא, Nukvah, weiblich; auch hebr. בַּת, Bath, Tochter, „das Weibliche des Kurzmütigen“) und ist zugleich der weibliche Aspekt und die Braut hebr. כַּלָּה, Kallah) des Zeir Anpin. Diese fünf Gesichter oder Personen sind seitdem in allen vier Welten, von der geistigen Welt bis hinunter zur physischen Welt, zu finden.

Aus diesen fünf Gesichtern emanierten die fünf Arten der Seele: Jechidah (Geistesmensch), Chaja (Lebensgeist), Neschamah (Geistselbst/Bewusstseinsseele), Ruach (Verstandesseele) und Nephesch (Empfindungsseele). Jede dieser fünf Seelen wurde zusammen mit den entsprechenden Organen Adams geschaffen. Und so wie es niedere und höhere Organe gibt, gibt es auch niedere und höhere Seelenarten. Jede menschliche Seele ist ein Funke (hebr. נִיצוֹץ, nitzotz) der Seele Adams. Durch den Sündenfall wurden diese Seelenarten durcheinandergebracht und selbst den reinsten wurde etwas von den geistverlassenen "Schalen" (Qlīpōt) beigemischt. Diese Verwirrung der Seelen wird nach Isaak Luria erst mit dem Erscheinen des Messias verschwinden. Bis dahin kann die Seele nicht zu ihrer Quelle zurückkehren und erlöst werden, sondern muss durch zahllose Wiedergeburten (Gilgul Neschamot, hebr. גִלְגּוּל נְשָמוֹת, wörtl. das Rollen der Seelen) wandern - nach Luria nicht nur in menschlichen Körpern, sondern auch in Tieren, Pflanzen und sogar in unbelebten Dingen wie Flüssen, Holz und Stein. Damit ist aber nicht die Reinkarnation des Geistes gemeint, sondern die alte orientalische Seelenwanderungslehre, die sich auf das Verhalten des Astralleibs nach dem Tod bezieht!

Nicht nur an seiner eigenen Vervollkommnung hat der Mensch dabei zu arbeiten, sondern im fortlaufenden Prozess des Tikkun Olam (hebr. תיקון עולם, wörtlich etwa das „Reparieren der Welt“) ist er auch dazu aufgerufen, an der Wiederherstellung der reinen Schöpfungsordnung mitzuarbeiten. Mehr noch, es entsteht dadurch - durch die Mitwirkung des Menschen - etwas Neues, Höheres, dass es in dieser Form noch niemals gegeben hat.

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