Gnosis

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Die Gnosis (von griech. γνῶσις, gnōsis, „die [Er-]Kenntnis“), oft auch als Gnostizismus oder Gnostik bezeichnet, ist eine sehr heterogene synkretistische, weitgehend esoterisch gehaltene geistige Strömung, die ihre Blütezeit in der spätantiken Welt des 2. und 3. nachchristlichen Jahrhunderts hatte und das alte Mysterienwissen mit dem philosophischen Denken der Antike und vielfach auch mit christlichem Gedankengut zu verbinden suchte. Großen Einfluss auf die Formulierung der gnostischen Lehren hatte der zur selben Zeit weit verbreitete Neuplatonismus. Es gab christliche, jüdische, heidnische und zugleich meist stark hellenistisch geprägte Gnostiker, die sich selbst als Wissende bezeichneten und sich oft auf eigene unmittelbare geistige Erfahrungen beriefen. Wie viele antike Lehrer verbreiteten sie den okkulten Kern ihrer Lehre nicht oder nur selten öffentlich. Vielfach wurde die gnostische Mystik auch als Mathesis aufgefasst, weil sie mit der selben Gedankenklarheit wie die Mathematik nach geistiger Erkenntnis strebte.

Gemeinsam ist den Gnostikern eine weitgehend weltabgewandte Geisteshaltung, die das Heil des Menschen darin sieht, sich von der Befleckung durch sinnlich-materielle Welt zu reinigen. Oft wird schon das körperliche Dasein als solches negativ beurteilt. Die christlichen Gnostiker wussten daher viel über das geistige Wesen des Christus zu sagen, konnten jedoch für die eigentliche Menschwerdung Gottes, die aber der entscheidende Mittelpunkt des Christuswirkens ist, kein rechtes Verständnis entwickeln.

Die Gnosis ist auch eine der sieben grundlegenden Weltanschauungsstimmungen, die Rudolf Steiner unterschieden und den sieben Planetensphären zugeordnet hat; die Gnosis entspricht der Saturnsphäre.

"Man ist ein Gnostiker, wenn man daraufhin gestimmt ist, durch gewisse in der Seele selbst liegende Erkenntniskräfte, nicht durch die Sinne oder dergleichen, die Dinge der Welt kennenzulernen. Man kann ein Gnostiker sein und zum Beispiel eine gewisse Neigung haben, sich bescheinen zu lassen von dem Geistes-Tierkreisbilde, das wir hier als Spiritualismus bezeichnet haben. Dann wird man in seiner Gnostik tief hineinleuchten können in die Zusammenhänge der geistigen Welten.

Man kann aber auch zum Beispiel ein Gnostiker des Idealismus sein; dann wird man eine besondere Veranlagung haben, die Ideale der Menschheit und die Ideen der Welt klar zu sehen. Der Unterschied ist ja vorhanden zwischen dem einen und dem anderen Mensehen auch in bezug auf den Idealismus, den die beiden Menschen haben können. So ist der eine ein idealistischer Schwärmer, der immer davon redet, daß er Idealist ist, der nur immer das Wort Ideal, Ideal, Ideal im Munde führt, aber nicht viele Ideale kennt, der nicht die Fähigkeit hat, in scharfen Konturen und mit innerlichem Schauen wirklich die Ideale vor seine Seele zu rufen. Ein solcher unterscheidet sich dann von dem anderen, der nicht nur von Idealen redet, sondern die Ideale in seiner Seele so zu zeichnen weiß wie ein scharf hingemaltes Bild. Der letztere, der den Idealismus ganz konkret innerlich ergreift, so intensiv ergreift, wie man mit der Hand äußere Dinge ergreift, der ist auf dem Gebiete des Idealismus ein Gnostiker. Man könnte auch so sagen: Er ist überhaupt ein Gnostiker, aber er läßt sich insbesondere von dem Geistes-Tierkreisbilde des Idealismus bescheinen.

Es gibt Menschen, welche sich besonders stark bescheinen lassen von dem Weltanschauungsbilde des Realismus, die aber so durch die Welt gehen, daß sie durch die ganze Art, wie sie die Welt empfinden, wie sie der Welt gegenübertreten, den andern Menschen viel, viel sagen können von dieser Welt. Sie sind weder Idealisten noch Spirituaüsten; sie sind ganz gewöhnliche Realisten. Sie sind imstande, wirklich fein zu empfinden, was in der äußeren Realität um sie herum ist, sie sind fein empfänglich für die Eigentümlichkeiten der Dinge. Sie sind Gnostiker, richtige Gnostiker; nur sind sie Gnostiker des Realismus. Solche Gnostiker des Realismus gibt es, und manchmal sind Spirituaüsten oder Idealisten gar nicht Gnostiker des Realismus. Wir können sogar finden, daß Leute, die sich gute Theosophen nennen, durch eine Bildergalerie durchgehen und gar nichts zu sagen haben über die Bilder, während andere, die gar nicht Theosophen sind, die aber Gnostiker des Realismus sind, unendlich Bedeutungsvolles dadurch zu sagen wissen, daß sie mit ihrer ganzen Persönlichkeit in Berührung sind mit der ganzen Realität der Dinge. Oder wie viele Theosophen gehen hinaus in die Natur und wissen gar nicht das ganz Erhabene und Große der Natur mit der ganzen Seele aufzufassen: sie sind nicht Gnostiker des Realismus. Es gibt Gnostiker des Realismus.

Es gibt auch Gnostiker des Materialismus. Das sind allerdings sonderbare Gnostiker. Aber ganz in dem Sinne, wie man Gnostiker des Realismus ist, kann man Gnostiker des Materialismus sein; aber es sind das Menschen, die nur Sinn und Gefühl und Empfinden haben für alles Stoffliche, die das Stoffliche durch die unmittelbare Berührung kennenzulernen suchen, wie der Hund, der die Stoffe beriecht und dadurch intim kennenlernt und der eigentlich in bezug auf die materiellen Dinge ein ausgezeichneter Gnostiker ist.

Man kann Gnostiker sein für alle zwölf Weltanschauungsbilder. Das heißt, wenn wir die Gnosis richtig hineinstellen wollen, müssen wir es so machen, daß wir einen Kreis zeichnen und daß uns der ganze Kreis bedeutet: Die Gnosis kann herumwandeln durch alle zwölf Weltanschauungsbilder. Wie ein Planet die zwölf Tierkreisbilder durchwandelt, so kann die Gnosis alle zwölf Weltanschauungsbilder durchwandeln.

Allerdings wird die Gnosis die größten Dienste für das Heil der Seelen dann leisten, wenn die gnostische Stimmung angewendet wird für den Spiritualismus. Man könnte sagen: Die Gnosis ist im Spiritualismus so recht zu Hause. Sie ist da in «ihrem» Hause. Sie ist außer ihrem Hause in den anderen Weltanschauungsbildern. Logisch hat man nicht die Berechtigung zu sagen, es könnte keine materialistische Gnostik geben. Die Pedanten der Begriffe und Ideen werden mit solchen Dingen leichter fertig als die gesunden Logiker, die es etwas komplizierter haben. Man könnte zum Beispiel sagen: Ich will nichts anderes Gnosis nennen, als was in den Geist eindringt. Das ist eine willkürliche Begriffsbestimmung, ist ebenso willkürlich, wie wenn jemand sagen würde: Veilchen habe ich bis jetzt nur in Österreich gesehen, also nenne ich Veilchen nur das, was in Österreich wächst und die Veilchenfarbe hat, anderes nicht. Logisch ist es ebenso unmöglich zu sagen, Gnosis gebe es nur im Weltanschauungsbilde des Spiritualismus; denn Gnosis ist ein «Planet», der die Geistes-Sternbilder durchläuft." (Lit.: GA 151, S. 49ff)

Siehe auch

Literatur

  1. Hans Jonas: Gnosis uns spätantiker Geist I, Vandenhoeck u. Ruprecht, Göttingen 1934