Paulus von Tarsus und Kategorie:Geboren 1945: Unterschied zwischen den Seiten

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'''Paulus von Tarsus''' ([[Wikipedia:Hebräische Sprache|hebräischer]] Name: [[Wikipedia:Saul|Saul]]; lat.: Saulus; * unbekannt, † nach [[Wikipedia:60|60]], eventuell in [[Wikipedia:Rom|Rom]]) ist der erste und wichtigste [[Wikipedia:Theologie|Theologe]] der [[Wikipedia:Christentumsgeschichte|Christentumsgeschichte]] und neben [[Wikipedia:Simon Petrus|Simon Petrus]] der erfolgreichste [[Wikipedia:Mission|Mission]]ar des [[Wikipedia:Urchristentum|Urchristentum]]s.
 
Als griechisch gebildeter [[Wikipedia:Jude|Jude]] und gesetzestreuer [[Wikipedia:Pharisäer|Pharisäer]] verfolgte Paulus die Anhänger des gekreuzigten [[Wikipedia:Jesus von Nazaret|Jesus von Nazaret]], dem er nie begegnet war, zunächst. Doch seit seinem [[Damaskuserlebnis]] verstand er sich als von Gott berufener „[[Wikipedia:Apostel|Apostel]] des [[Wikipedia:Evangelium|Evangelium]]s für die Völker“ ({{B|Gal|1|15f}}). Als solcher verkündete er vor allem Nichtjuden den [[Wikipedia:Auferstehung Jesu Christi|auferstandenen]] [[Jesus Christus]]. Dazu bereiste er den östlichen [[Wikipedia:Mittelmeerraum|Mittelmeerraum]] und gründete dort einige christliche Gemeinden. Durch seine [[Wikipedia:Paulusbriefe|Paulusbriefe]]  blieb er mit ihnen in Kontakt.
 
Diese ältesten erhaltenen Schriften des [[Wikipedia:Neues Testament|Neuen Testaments]] haben nicht nur Theologen wie [[Wikipedia:Augustin von Hippo|Augustin von Hippo]], [[Wikipedia:Martin Luther|Martin Luther]] und [[Wikipedia:Karl Barth|Karl Barth]], sondern auch [[Wikipedia:Philosoph|Philosoph]]en wie [[Wikipedia:Sören Kierkegaard|Sören Kierkegaard]] oder [[Wikipedia:Karl Jaspers|Karl Jaspers]] geprägt und damit die europäische [[Wikipedia:Geschichte der Philosophie|Geistesgeschichte]] stark beeinflusst. Seit der [[Wikipedia:Zeitalter der Aufklärung|Aufklärung]] sehen viele Denker – u. a. [[Wikipedia:Friedrich Nietzsche|Friedrich Nietzsche]] oder [[Wikipedia:Hannah Arendt|Hannah Arendt]] – in Paulus den eigentlichen Gründer des [[Wikipedia:Christentum|Christentum]]s.
 
== Quellen ==
[[Bild:Paulus St Gallen.jpg|thumb|Der schreibende Paulus in einer frühmittelalterlichen Ausgabe seiner Briefe]]
Im Neuen Testament werden Paulus dreizehn Briefe zugeschrieben. Für mindestens sieben davon - [[Wikipedia:Brief des Paulus an die Römer|Röm]], [[Wikipedia:1. Korintherbrief|1 Kor]], [[Wikipedia:2. Korintherbrief|2 Kor]], [[Wikipedia:Brief des Paulus an die Galater|Gal]], [[Wikipedia:Brief des Paulus an die Philipper|Phil]], [[Wikipedia:1. Brief des Paulus an die Thessalonicher|1 Thess]], [[Wikipedia:Brief des Paulus an Philemon|Phlm]] - erkennt die heutige [[Wikipedia:Historisch-kritische Methode|historisch-kritische Forschung]] seine Autorschaft an. Sie wurden zwischen 50 und 60 verfasst und sind die Hauptquelle für Biografie, Theologie und Missionstätigkeit des Paulus.
 
Von den paulinischen Missionsreisen berichtet außerdem die [[Wikipedia:Apostelgeschichte|Apostelgeschichte]] (Apg) des [[Wikipedia:Lukasevangelium|Lukas]]. Sie wurde einige Jahrzehnte nach den geschilderten Ereignissen verfasst und will in erster Linie eine idealtypische Ausbreitung des christlichen Glaubens darlegen. An historischen Abläufen ist sie weniger interessiert. Deshalb gilt sie nicht durchgehend als historisch verlässlich. Dennoch bestätigt und ergänzt sie einige biografische und theologische Angaben der Paulusbriefe. 
 
Schließlich existieren einige der paulinischen Theologie nahestehenden Briefe: [[Wikipedia:Epheserbrief|Eph]], [[Wikipedia:Kolosserbrief|Kol]], [[Wikipedia:2. Thessalonicherbrief|2 Thess]], [[Wikipedia:1. Timotheusbrief|1 Tim]], [[Wikipedia:2. Timotheusbrief|2 Tim]], [[Wikipedia:Titusbrief|Tit]] und [[Wikipedia:Hebräerbrief|Hebr]]. Sie wurden zwischen 70 und 100 von einer Schülergeneration des Paulus verfasst und ermöglichen Rückschlüsse auf die Auffassung und Wirkung seiner Theologie.
 
Außerbiblische Quellen zu Leben und Werk des Paulus sind nicht bekannt.
 
== Chronologie ==
=== Fixpunkte und relative Reisefristen ===
Ausgangspunkt für die Datierung der paulinischen Missionsreisen ist eine Angabe in {{B|Apg|18|12}}: Danach wurde Paulus gegen Ende seines Aufenthalts in Korinth dem römischen Statthalter [[Wikipedia:Lucius Junius Gallio|Lucius Junius Gallio]] vorgeführt. Nach einer in [[Wikipedia:Delphi|Delphi]] gefundenen Inschrift bekleidete Gallio dieses Amt wohl von Frühsommer des Jahres 51 bis Frühsommer 52. Zudem erwähnt {{B|Apg|18|2}} ein Edikt des Kaisers [[Wikipedia:Claudius|Claudius]], wonach die Juden Rom verlassen mussten: Dieses wird auf 49 datiert. Demnach war Paulus 50/51 n.Chr. für etwa anderthalb Jahre in Korinth. Von da aus werden die übrigen chronologischen Daten ungefähr errechnet.
 
Um 48 müsste Paulus aus Antiochia aufgebrochen sein ({{B|Apg|15|40}}). Etwa 46/47 unternahm er mit Barnabas eine Missionsreise durch Zypern und die Südtürkei, besuchte Athen ({{B|Apg|17}} und {{B|1_Thess|3|1-5}}) und gründete Gemeinden in Thessaloniki und [[Wikipedia:Philippi|Philippi]] (Apg 16-17 und {{B|1_Thess|2|2}}). Um 46 besuchte er Jerusalem ({{B|Apg|12|25}}) - möglicherweise, um eine Kollekte zu überbringen ({{B|Apg|11|30}} und {{B|Gal|2|10}}). Diese Kollektenübergabe wird oft mit einer Hungersnot in Palästina in Verbindung gebracht, die der jüdische Geschichtsschreiber [[Wikipedia:Flavius Josephus|Flavius Josephus]] für die Mitte der 40er Jahre angab.
 
Den Zeitraum vor diesem Besuch beschreibt Paulus im [[Wikipedia:Galaterbrief|Galaterbrief]]: Auf seine Bekehrung folgten Aufenthalte in Arabien und [[Wikipedia:Damaskus|Damaskus]]. Drei Jahre danach habe er erstmals die [[Wikipedia:Jerusalemer Urgemeinde|Jerusalemer Urgemeinde]]  besucht und dort Petrus und Jesu Bruder [[Wikipedia:Jakobus der Gerechte|Jakobus]] getroffen ({{B|Gal|1|17f}}; vgl. {{B|Apg|9|26-30}}). Dann missionierte er in [[Wikipedia:Syrien|Syrien]] und [[Wikipedia:Kilikien|Kilikien]] ({{B|Gal|1|21}}), also wohl in [[Wikipedia:Tarsus|Tarsus]] und [[Wikipedia:Antiochia|Antiochia]]. Vierzehn Jahre nach seiner Bekehrung besuchte er zum zweiten Mal Jerusalem ({{B|Gal|2|1-10}}).
 
Nimmt man als wahrscheinliches Todesdatum Jesu das Jahr 30 an und addiert die Jahresfristen in Gal 1-2, dann wurde Paulus im Jahr 32 oder 33 Christ und begann dann seine Missionstätigkeit.
 
Von Korinth aus reiste Paulus nach einer kurzen Zwischenstation in Antiochia ({{B|Apg|18|23}}) nach [[Wikipedia:Ephesus|Ephesus]], wo er etwa 52 bis 56 blieb ({{B|Apg|19|1.8.10}}; {{B|Apg|20|31}}). Danach reiste er über Makedonien wieder nach Korinth, wo er einen Winter verbrachte (u. a. {{B|2_Kor|2|12f}}; {{B|Apg|20|1f}}). Im Frühjahr 57 muss er dann nach Jerusalem aufgebrochen sein ({{B|Apg|20|3}} und {{B|Röm|15|25ff}}). Dort wurde er vom Statthalter Antonius Felix verhaftet und zwei Jahre lang in Gewahrsam in [[Wikipedia:Cäsarea|Cäsarea]] gehalten (Apg 20ff). Im Jahr 59 trat der neue Statthalter [[Wikipedia:Porcius Festus|Porcius Festus]] sein Amt an: Erst jetzt konnte Paulus an den römischen Kaiser appellieren und wurde nach Rom verschifft.
 
Wann das so genannte [[Wikipedia:Apostelkonzil|Apostelkonzil]] stattfand, ist ungewiss. Nach Gal 2,1-10 fiel es mit dem zweiten Jerusalembesuch des Paulus zusammen, nach Apg 15 mit einem dritten. Auch die Details beider Erzählungen - Reiseanlässe, Reisergebnisse, Reisezeiten - stimmen nicht überein. Für einige Historiker berichten die beiden Texte daher über verschiedene Ereignisse. Die meisten Exegeten gehen davon aus, dass sich das Aposteltreffen nach dem Tod [[Wikipedia:Agrippa|Agrippa]]s (44 n.Chr.) ereignete, vermutlich zwischen 46 und 48.
 
=== Übersicht ===
*etwa 32-33: Bekehrung bzw. Berufung zum Völkerapostel
*bis 35: Damaskus, Arabien, dann wieder Damaskus
*35: erste Jerusalemreise
*danach Tarsus/Kilikien, Antiochia/Syrien
*46 oder 48: zweiter Jerusalembesuch mitsamt Apostelkonzil
*46/47: Zypern, Südtürkei
*48-50: Philippi, Thessaloniki, Athen
*50/51: erster Korinthbesuch, dort Abfassung des ersten Thessalonicherbriefs
*Zwischenstation in Antiochia
*52-56: Ephesus, dort Abfassung der Briefe Gal, Phil, 1 Kor, Phlm
*56/57: Makedonien, zweiter Korinthbesuch, dort Abfassung von 2 Kor und Röm
*57: letzte Jerusalemreise
*57-59: Gefangenschaft in Cäsarea
*59/60: Überführung nach Rom
 
Diese Liste nennt nur die verhältnismäßig gesicherten Daten. Patristische Notizen von einer angeblichen Paulusmission in [[Wikipedia:Spanien|Spanien]] und von seiner Hinrichtung in Rom unter Kaiser [[Wikipedia:Nero|Nero]] (64) gelten dagegen als [[Wikipedia:Legende|Legende]]n.
 
== Leben ==
=== Herkunft und Ausbildung ===
Nach {{B|Apg|22|3}} stammte Paulus aus einer strenggläubigen jüdischen Familie aus [[Wikipedia:Tarsos|Tarsos]] in der damaligen römischen Provinz [[Wikipedia:Kilikien|Kilikien]], einem Landstrich in der heutigen [[Wikipedia:Türkei|Südtürkei]] im Grenzgebiet zu Syrien. Diese Hafenstadt war damals ein bedeutendes Handelszentrum mit einer größeren jüdischen [[Wikipedia:Diaspora|Diaspora]]-Gemeinde, wie es sie in vielen Küstenstädten des Mittelmeerraums gab.
 
Von seinem Vater erbte Paulus nach {{B|Apg|16|37}}; {{B|Apg|22|28}} das [[Wikipedia:Römisches Bürgerrecht|römische Bürgerrecht]], das nur eine Minderheit der jüdischen Reichsbewohner besaß. Darauf soll er sich nach Lukas später erfolgreich in Konflikten um seine Mission berufen haben. Er selbst erwähnt sein Bürgerrecht nicht.
 
Lukas führt ihn mit dem jüdischen Vornamen ''Saulus'' ein ({{B|Apg|7|58}}; {{B|Apg|8|1.3}}), der von [[Wikipedia:Saul|Saul]] (hebräisch ''Schaul''), dem ersten König [[Wikipedia:Israel (Reich)|Israels]], abgeleitet ist. Wie dieser stammte seine Familie aus dem [[Wikipedia:Benjamin (Bibel)|Stamm Benjamin]] ({{B|1_Sam|9|1}}), der als der kleinste der [[Wikipedia:Zwölf Stämme Israels|Zwölf Stämme Israels]] galt. Darauf kann der griechische Name ''Paulos'' (= der Kleine; lateinisch ''Paulus'' bzw. ''Paullus'') anspielen und auch wegen seiner Lautähnlichkeit zu ''Schaul'' gewählt worden sein. Paulus selbst verwendete ihn immer in seinen Briefen.
 
Lukas erwähnt den Doppelnamen beiläufig erst in {{B|Apg|13|9}}. Saulus wechselte seinen Namen also nicht wegen seiner Bekehrung und [[Wikipedia:Taufe|Taufe]] zu Paulus, wie es die bekannte [[Wikipedia:Redewendung|Redewendung]] irrtümlich nahelegt, sondern trug beide Namen wohl seit seiner Geburt. Mehrsprachige Vor- oder Doppelnamen waren damals unter Diasporajuden üblich. Allerdings war der Name ''Paulus'' unter ihnen sehr selten.
 
Paulus selbst betonte zwar den völligen Wesenswandel, der ihm durch Jesus Christus widerfuhr, brachte diesen aber nicht mit einem Namenswechsel in Verbindung. Er verwahrte sich entschieden dagegen, diesen Wandel als Aufgabe seines Judeseins misszuverstehen. Gegenüber innerchristlichen Gegnern hob er seine jüdische Abstammung später immer wieder voll Stolz hervor (z. B. {{B|Phi|3|5f}}):
:''... einer aus dem Volk Israel, vom Stamme Benjamin, ein Hebräer von Hebräern, nach dem Gesetz ein Pharisäer ...''
Demnach wurde Paulus wohl schon in seiner Jugend zu einem [[Wikipedia:Tora|Tora]]lehrer ausgebildet. Laut {{B|Apg|22|3}} wuchs er in Jerusalem auf und wurde dort vom damals berühmten [[Wikipedia:Rabbiner|Rabbiner]] [[Wikipedia:Gamaliel I.|Gamaliel I.]] unterrichtet; er selbst jedoch erwähnt weder den Umzug noch seinen Lehrer, auch nicht, wo es ihm genützt hätte. Seine Briefe zeigen sowohl solide Kenntnisse des [[Wikipedia:Tanach|Tanach]] als auch [[Hellenismus|hellenistischer]] Rhetorik, Redeformen und Briefschemata. Sie gebrauchen viele Begriffe der hellenistischen Popularphilosophie –&nbsp;besonders der [[Wikipedia:Stoa|Stoa]]&nbsp;–; zugleich grenzte sich Paulus als Christ später bewusst von der im Diasporajudentum gepflegten [[Wikipedia:Weisheit|Weisheit]] ab ({{B|1_Kor|2|1-4}}). Die von Lukas stilisierte Paulusrede auf dem [[Wikipedia:Areopag|Areopag]] ({{B|Apg|17}}) wird daher als spätere apologetische Umdeutung genuin paulinischer Kreuzestheologie beurteilt.<ref>Günter Bornkamm, ''Paulus'' S.&nbsp;33; 84f</ref>
 
Nach jüdischem Brauch lernte Paulus neben seiner Schriftausbildung auch das [[Wikipedia:Handwerk|Handwerk]] des Zeltmachers, vergleichbar mit dem des [[Wikipedia:Sattler|Sattler]]s ({{B|Apg|18|3}}). Mit dieser Tätigkeit verdiente er auch später als christlicher Missionar seinen Lebensunterhalt ({{B|1_Thess|2|9}}; {{B|1_Kor|4|12}}; {{B|2_Kor|11|27}}).
 
=== Christenverfolger ===
Paulus vertrat bis zu seiner Bekehrung einen strengen [[Wikipedia:Pharisäismus|Pharisäismus]], der verlangte, dass auch [[Wikipedia:Proselyten|Proselyten]] (zum Judentum übergetretene Nichtjuden) zu [[Wikipedia:Beschneidung|beschneiden]] seien (vgl. {{B|Apg|15|5}}). Er verstand sich als „Eiferer für das Gesetz“ ({{B|Gal|1|14}}), der dessen Vorschriften auch gegenüber Mitjuden vorbildlich erfüllt habe ({{B|Phi|3|6}}). In diesem Streben wurde er ein erbitterter Gegner jener hellenistischen [[Wikipedia:Judenchristen|Judenchristen]], die in der jüdischen Diaspora missionierten und dabei neugetauften [[Wikipedia:Heidenchristen|Heidenchristen]] die Befolgung der Tora erleichterten, indem sie auf deren Beschneidung verzichteten.
 
Laut Lukas beaufsichtigte Paulus sogar im Auftrag des [[Wikipedia:Sanhedrin|Sanhedrin]] die vorschriftsmäßige [[Wikipedia:Steinigung|Steinigung]] des ersten christlichen [[Wikipedia:Märtyrer|Märtyrer]]s [[Wikipedia:Stephanus|Stephanus]] ({{B|Apg|7|58ff}}). Dieser erscheint als Wortführer jener Gruppe von [[Wikipedia:Hellenisten|Hellenisten]], die in der Jerusalemer Urgemeinde als erste mit der Heidenmission begannen, den [[Wikipedia:Israelitische Tempel|Tempelkult]] ablehnten und dadurch in Konflikt mit den [[Wikipedia:Sadduzäer|sadduzäischen]] Tempelpriestern gerieten.
 
Paulus selbst schweigt jedoch über Stephanus und seinen Prozess. Wo er über seine frühere Christenfeindschaft berichtet, betont er, er sei erst drei Jahre nach seiner Bekehrung erstmals nach Jerusalem gereist, die Gemeinden Judäas hätten ihn vorher nicht gekannt ({{B|Gal|1|18.22}}). Die Verfolgung galt also wohl nur den jüdischen Mitgliedern der hellenistischen Christengemeinden außerhalb Palästinas, die die Tora nicht streng befolgten.
 
=== Die Bekehrung ===
[[Bild:Conversión_de_San_Pablo.jpg|thumb|left|Die Bekehrung des „Saulus“ - Bildtafel mit dem zentralen Bildmotiv des Altars des nordspanischen Einsiedlerklosters [[Wikipedia:Ayerbe|Ayerbe]]]]
[[Bild:Caravaggio-The Conversion on the Way to Damascus.jpg|thumb|Die Bekehrung des Paulus in der Interpretation [[Wikipedia:Michelangelo Merisi da Caravaggio|Caravaggios]]]]
 
Paulus selbst erwähnt seine Begegnung mit dem auferstandenen Jesus Christus mehrmals ({{B|Gal|1|15ff}}; {{B|Phi|3|7ff}}; {{B|1_Kor|15|8f}}; {{B|2_Kor|4|1.5f}}), schildert aber nur deren Inhalte, nicht die Art und Weise seiner Bekehrung. Er beschreibt sie als Erwählung durch [[Wikipedia:JHWH|Gott]], der schon vor seiner [[Wikipedia:Geburt|Geburt]] entschieden habe, ihm seinen [[Wikipedia:Sohn Gottes|Sohn]] zu offenbaren und so zum Völkerapostel zu berufen ({{B|Gal|1|15}}). Er betont, er sei seinem Auftrag drei Jahre lang gefolgt und habe erst dann die Jerusalemer Urgemeinde besucht ({{B|Gal|1|17ff}}). Man nimmt an, dass er dort das schon fixierte urchristliche [[Wikipedia:Glaubensbekenntnis|Glaubensbekenntnis]] mit der Liste der [[Wikipedia:Auferstehung_Jesu_Christi#Zeugenliste|Auferstehungszeugen]] übernahm, das er in {{B|1_Kor|15|3-7}} zitierte und ergänzte (Vers 8):
:''Zuletzt von allen ist er auch von mir, einer Missgeburt, gesehen worden. Denn ich bin der Geringste unter den Aposteln, der ich nicht wert bin, ein Apostel zu heißen, weil ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe.''
Paulus stellte seine Berufung also in die Reihe der älteren Christuserscheinungen, von denen ihm die Augenzeugen wohl bei seinem ersten Jerusalembesuch berichteten. Welcher Art diese waren, erfährt man nicht. Der formelhafte Ausdruck ''ophtae'' (gesehen worden = erschienen) verweist auf [[Wikipedia:Vision (Religion)|Visionen]], die wie in der jüdischen [[Wikipedia:Apokalyptik|Apokalyptik]] als von Gott offenbarte Vorwegnahme endzeitlicher Ereignisse erfahren und weitergegeben wurden (z.&nbsp;B. {{B|Dan|7|1-14}}). Denn Paulus schloss hier sein berühmtes Kapitel über die Totenauferstehung an, einen Glauben, den er mit anderen jüdischen Gruppen wie [[Wikipedia:Pharisäer|Pharisäer]]n, [[Wikipedia:Zeloten|Zeloten]] und [[Wikipedia:Essener|Essener]]n teilte.
 
Gottes Berufung, Erkenntnis Jesu Christi als Sohn Gottes, Selbsterkenntnis als Sünder, der besondere Auftrag zur Völkermission und die Gewissheit der endzeitlichen Totenerweckung bildeten für Paulus also eine untrennbare Einheit. Er betonte daher, dass das von ihm verkündete Evangelium ''nicht menschlicher Art'' sei ({{B|Gal|1|11}}), sondern eine unmittelbar von Gott geoffenbarte und ohne menschliche Vermittlung an ihn gerichtete Botschaft.
 
Die Apostelgeschichte beschreibt die äußeren Umstände seiner Berufung mit einem Erzählbericht ({{B|Apg|9|1-18}}) sowie zwei als  Eigenreden des Paulus stilisierten Berichten ({{B|Apg|22|6-16}} und {{B|Apg|26|12ff}}). Erst dadurch erhielt die Berufung den Charakter eines Bekehrungserlebnisses. Dabei widersprechen sich die Versionen teilweise: In Apg 9 hört nur Paulus eine Stimme, seine Begleiter sehen nur ein Licht; in Apg 22 ist es umgekehrt.
 
=== Missionsreisen ===
[[Bild:Missionsreisendespaulus.png|thumb|left|350px|Missionsreisen des Paulus]]
Seinem Selbstverständnis als Völkerapostel gemäß wollte Paulus das [[Wikipedia:Evangelium|Evangelium]] Jesu Christi so weit wie möglich ausbreiten. Ob er dabei schon an [[Wikipedia:Rom|Rom]] als Reiseziel dachte, ist ungewiss und wird durch die Darstellung der Apostelgeschichte nahe gelegt, die von der damaligen Bedeutung der römischen Gemeinde her konzipiert wurde.
 
Zusammen mit einem teilweise wechselnden Mitarbeiterstab (die Paulusbriefe und Apg nennen u.&nbsp;a. [[Wikipedia:Barnabas (Apostel)|Barnabas]], [[Wikipedia:Timotheus|Timotheus]], [[Wikipedia:Titus (Bibel)|Titus]], Erastus, [[Wikipedia:Silas (Silvanus)|Silas]]) brach der Apostel auf in große antike Städte (z.&nbsp;B. [[Wikipedia:Philippi|Philippi]], [[Wikipedia:Korinth|Korinth]], [[Wikipedia:Ephesus|Ephesus]]), um sich dort längere Zeit niederzulassen. Dabei versuchte er, christliche Gemeinden aufzubauen. Sobald diese Gemeinden selbständig in der Lage waren, sich zu organisieren, reiste Paulus in die nächste Stadt. Er missionierte in den hellenisierten Großstädten, von wo aus die neuen Gemeinden das Hinterland missionierten. Von anderen Städten aus hielt Paulus Briefkontakt mit ihnen, um auf Probleme und aktuelle Fragen zu antworten. Die beiden Korintherbriefe zeigen dies anschaulich.
 
Von Ephesus aus reiste Paulus nochmals durch seine zuletzt gegründeten Gemeinden, um eine Kollekte einzusammeln und nach Jerusalem zu bringen. Dort wurde er schließlich von den römischen Behörden verhaftet und nach längerem Hin und Her nach Rom überstellt, wo er vermutlich das [[Wikipedia:Martyrium|Martyrium]] erlitt.
 
=== Leiden und Verfolgung ===
Paulus beschreibt in seinen Briefen öfter persönliches Leiden, die er als Folge seiner Christusverkündigung deutet. Er stieß deswegen bei Juden und Römern/Hellenisten immer wieder auf starke Ablehnung, die bisweilen auch zu „Aufruhr“ führte: So überlebte er diverse körperliche Auseinandersetzungen, Steinigungsversuche und Strafgeißelungen (vgl. {{B|2_Kor|11|24f}}; {{B|Apg|14|19}}). Dies könnte ihn dauerhaft körperlich beeinträchtigt haben.
 
{{B|Gal|4|15}} (''Denn ich gebe euch das Zeugnis, dass ihr wenn möglich eure Augen ausgerissen und mir gegeben hättet'') könnte auf ein Augenleiden hinweisen. In {{B|2_Kor|12|7}} spricht Paulus von einem „Pfahl im Fleisch“ und „Engel Satans, der mich mit Fäusten schlagen muss, damit ich mich nicht überhebe“. Dies wird manchmal als chronische rheumatische Erkrankung oder Arthrose gedeutet. Doch kommt der Ausdruck „Pfahl im Fleisch“ so nur in der [[Wikipedia:Septuaginta|Septuaginta]] ({{B|Ez|28|24}}) vor und meint dort keine Krankheit, sondern eine unangenehme, durch persönliche Angriffe entstandene Situation. So könnte Paulus damit auf die ständige Verfolgung seiner Person und Lehre durch andere jüdische Gruppen anspielen. Darauf könnte sich {{B|2_Kor|12|9}} beziehen, wo er von seiner „Schwachheit“ spricht.
 
=== Gefängnisaufenthalte ===
Paulus befand sich mehrmals in Gefangenschaft. Mehrere seiner Briefe sind während eines Gefängnisaufenthalts abgefasst ([[Wikipedia:Philipperbrief|Philipperbrief]], [[Wikipedia:Philemonbrief|Philemonbrief]]). Die Apostelgeschichte erwähnt eine kurzzeitige Gefangenschaft in Philippi ({{B|Apg|16|23}}), Paulus selbst einen Gefängnisaufenthalt in Ephesus bzw. der Provinz Kleinasien ({{B|2_Kor|1|8f}} und {{B|Phi|1|12ff}}).
 
Im [[Wikipedia:Römerbrief|Römerbrief]], dem letzten der echten Paulusbriefe, zeigte sich Paulus besorgt darüber, dass er bei seiner geplanten Reise nach Jerusalem zur Übergabe einer Kollekte an die dortige Urgemeinde von Juden verfolgt, aber auch von Judenchristen abgelehnt werden könnte ({{B|Röm|15|30ff}}). Wie schon beim Apostelkonvent, bei dem ihm diese Kollekte für die Genehmigung seiner Heidenmission auferlegt worden war, wollte Paulus offenbar für die Vollendung seines Lebenswerks, die lange geplante Mission auch im Westen des römischen Reichs, die persönliche Zustimmung der Urgemeindeleiter einholen. Seine Sorge war seit seiner Abreise aus Korinth begründet ({{B|Apg|20|3}}): Damals wählte Paulus mit seinen Begleitern den Landweg über Mazedonien und bestieg ein Schiff nach Palästina erst in Kleinasien, um einem geplanten Anschlag seiner jüdischen Gegner zu entgehen ({{B|Apg|20|14}}). Die persönliche Übergabe der Geldsammlung sollte den Zusammenhalt von Juden- und Heidenchristen festigen, der durch den zunehmenden Druck des palästinischen Judentums auf die Urchristen und die Abwendung mancher Heidenchristen von ihren jüdischen Wurzeln gefährdet war.
 
=== Gefangennahme und römischer Prozess ===
Seiner Befürchtung gemäß wurde Paulus in Jerusalem von Diasporajuden angeklagt, er habe einen Nichtjuden mit in den Tempel gebracht: Darauf stand nach der geltenden sadduzäischen Toradeutung die Todesstrafe, die auch die Römer bei solchen religiösen Vergehen zuließen. Anlass für diese Denunziation war eine Auslösungszeremonie für [[Nasiräer]], die Paulus nach jüdischer Sitte bezahlen wollte, um für die Juden seine Treue zum Judentum zu demonstrieren. Um ihn vor jüdischer Lynchjustiz zu schützen, griff die römische Wache ein und nahm ihn in Schutzhaft ({{B|Apg|21|27-36}}). Nach einer mehrmonatigen rechtlichen Auseinandersetzung, in deren Verlauf Paulus den römischen Statthaltern die Christusbotschaft verkündete und als römischer Bürger an den Kaiser appellierte ({{B|Apg|25|9ff}}), wurde er schließlich gefangen nach Rom gebracht, um dort seinen Rechtsanspruch vorzutragen.
 
Über das Ende des Paulus berichtet die Apostelgeschichte nichts. Lukas nutzte den Zusammenhang, um von ihm gestaltete dramatische Gerichtsszenen und Paulusreden (Apg 20-25) in die Darstellung einzufügen. Deren Zielrichtung ist unter heutigen Exegeten umstritten.<ref>[[Wikipedia:Heike Omerzu]], Die Apologetik der Apostelgeschichte auf dem Prüfstand, ZNT 18, 2006, S. 27f</ref> Jedenfalls verrät die Paulus zugeschriebene große Abschiedsrede in Milet, dass Lukas über die tatsächlichen Todesumstände des Apostels Kenntnisse besaß.
 
=== Vermuteter Märtyrertod in Rom ===
Nach einer zuerst im [[Wikipedia:Erster Clemensbrief|1. Clemensbrief]] überlieferten altkirchlichen Tradition aus [[Wikipedia:Rom|Rom]] wurde Paulus unter Kaiser Nero als Märtyrer durch das Schwert hingerichtet. Möglicherweise fand er im Zuge von Neros Christenverfolgung im Jahr 64 den Tod. Eine [[Wikipedia:Kreuzigung|Kreuzigung]] wäre ihm dann als römischem Bürger wohl erspart geblieben.
 
Sein Grab soll sich in Rom unter der Kirche ''San Paolo fuori le mura'' ([[Wikipedia:Sankt Paul vor den Mauern|Sankt Paul vor den Mauern]]) befinden, das der italienische [[Wikipedia:Archäologe|Archäologe]] [[Wikipedia:Giorgio Filippi|Giorgio Filippi]] im Juni 2005 wiedergefunden haben will. Ausgrabungen unter der Basilika unter der Führung von [[Wikipedia:Vatikanstadt|Vatikan]]-Archäologen brachten einen römischen [[Wikipedia:Sarkophag|Sarkophag]] hervor. Zuvor hatte man angenommen, das Grab sei bei einem Großbrand der Basilika 1823 zerstört worden.<ref>''[http://www.oecumene.radiovaticana.org/ted/Articolo.asp?c=107003 Radio Vatikan: Paulusgrab freigelegt]'', 5. Dezember 2006</ref>
 
== Theologie ==
[[Bild:Vatican StPaul Statue.jpg|thumb|Statue des Apostels Paulus vor dem Petersdom]]
Die Theologie des Paulus ist in seinen Briefen ausgeführt (insbesondere im [[Wikipedia:Römerbrief|Römerbrief]] und im [[Wikipedia:Galaterbrief|Galaterbrief]]). Er übernahm den Glauben der [[Wikipedia:Jerusalemer Urgemeinde|Jerusalemer Urgemeinde]], dass Jesus von Nazaret der in der jüdischen Tradition erwartete [[Wikipedia:Messias|Messias]] ([[Wikipedia:Griechische Sprache|griechisch]] {{lang|grc|Χριστός}} ''{{lang|grc-latn|Christós}}'' „der Gesalbte“) und Menschheitserretter sei. Im Unterschied zu Jesus und seinen zu Lebzeiten berufenen Jüngern stellte Paulus nicht den himmlischen Vater, sondern den [[Wikipedia:Auferstehung|auferstandenen]] Heilsbringer und Mittler Jesus Christus ins Zentrum seiner Verkündigung. Er lehrte, Gott habe mit der Hingabe seines [[Wikipedia:Sohn Gottes|Sohnes]] auch die unreinen heidnischen Stämme in seinen [[Wikipedia:Berit|Bund]] aufgenommen, aber im Unterschied zum „Volk des ersten Bundes“ nur aus [[Wikipedia:Gnade|Gnade]]. Zur Annahme dieser Liebesgabe sei einzig der Glaube an den [[Wikipedia:Kreuzigung|gekreuzigten]] und [[Wikipedia:Auferstehung|auferstandenen]] Jesus Christus notwendig. Die Befolgung der jüdischen [[Wikipedia:Tora|Tora]] sei den gläubigen Heiden erlassen. Zugleich seien sie jedoch dem erwählten Gottesvolk unterstellt. Er legte damit den Grundstein für die Abspaltung des Heidenchristentums vom [[Wikipedia:Judentum|Judentum]].
 
=== Grundzüge ===
Grundlegende Argumentationsbasis für die Theologie des Paulus ist die These, dass Christus für uns gestorben ist (Gal 2,21). Wer daran glaubt, gehört zur Gruppe der Erlösten. Deshalb lehnt Paulus auch die Übernahme der jüdischen Gesetze (Beschneidung u.&nbsp;a.) ab. Denn nicht durch Einhaltung von Gesetzen, sondern durch den Glauben an die Rettungstat Christi wird der Mensch erlöst. Dies bedeutet natürlich nicht, dass Paulus alle Gesetze frei gibt. Es existiert für ihn ein „Gesetz Christi“ (Gal&nbsp;5; Röm&nbsp;13), das jeder Gläubige erfüllt.
 
Jedoch löst Paulus „das Alte Testament von der Bindung an die äußere Befolgung des Kultgesetzes und seiner Rechtsvorschriften [und] öffnet es auf die ganze Welt hin“<ref>[[Wikipedia:Radio Vatikan]]: [http://www.oecumene.radiovaticana.org/ted/Articolo.asp?c=111884 Vatikan: Anfeindungen sind Chance für Zeugnis]10. Januar 2007</ref>.
 
Entscheidend für das Verständnis der paulinischen Theologie ist die unbedingte Naherwartung der Endzeit. Gott wird diejenigen erretten, die sich dem Glauben an die Heilstat Christi zuwenden. Damit ist religionsgeschichtlich eine wichtige Wandlung erfolgt: Als Jude war Paulus der Überzeugung, dass derjenige errettet wird, der das jüdische Gesetz vollständig beachtet. Seit seiner Berufung zum Heidenapostel setzt Paulus einen vollständig anderen Akzent: Nicht mehr die Befolgung der Gesetze errettet, sondern der Glaube. Man muss also nicht mehr Jude sein, um errettet zu werden. Daraus folgt für Paulus ein dringender Auftrag: ''Alle'', auch die Heiden, müssen darüber informiert werden. Es geht Paulus darum, dass alle Menschen die Botschaft hören, dass sie der Glaube an Christus errettet.
 
Damit will Paulus nicht das Judentum auflösen. Ihm geht es allein darum, die Nichtjuden, im damaligen Sinne die Heiden, zu retten. Paulus lässt den Vorrang des Judentums weiterhin bestehen (Röm 9-11). Aber die Nichtjuden sind eben seit dem Christus-Ereignis in den Kreis der Erretteten mit aufgenommen, sofern sie den Glauben annehmen (Gal 3-5).
 
Bei den theologischen Ausführungen des Paulus geht es also um eine [[Wikipedia:Korporation|Korporation]]sfrage (''wer'' gehört zum Kreis der Erretteten?) und nicht um eine Individuumsfrage (''was'' muss ich tun, um gerettet zu werden). Erst Luther liest Paulus - aufgrund der Fragen seiner Zeit und seiner Person - individualistisch und stellt die Frage, was der gläubige Christ zu tun hat, um Gerechtigkeit zu erlangen.
 
=== Erlösung der Erretteten ===
Wer an die Heilstat Christi glaubt, der ist nach Paulus gerecht vor Gott. Den Glaubenden ist die Errettung sicher. Doch wie drückt sich diese Errettung aus? Für Paulus handelt es sich um eine völlig neue Existenz, die der glaubende Mensch erhält (1. Kor 15). Schon im Diesseits vom Heiligen Geist beeinflusst, kann der Glaubende nach dem Tod die Auferstehung erwarten, die als Gemeinschaft mit Christus unter Ablegung des „Fleisches“ zu verstehen ist. Gegenwärtig also bereits steht der glaubende Christ durch den Heiligen Geist in Verbindung mit Gott, für die Zukunft steht die vollendete Erlösung aus.
 
=== Eschatologie ===
Seit der [[Wikipedia:Reformation|Reformation]] sind sich die Theologen darüber einig, dass die theologischen Gedanken des Paulus in ihrem Zentrum um eine Theologie der [[Wikipedia:Erlösung|Erlösung]] kreisen. Die Mitte des paulinischen Erlösungsdenkens bildet dabei die „präsentische Gemeinschaft mit Christus“: Durch sein Sterben am Kreuz besiegte der Christus Jesus den Tod und die Sünde, die Mächte des alten [[Wikipedia:Äon|Äon]]s, und die Glaubenden wurden mit Christus gekreuzigt, auferweckt und verherrlicht (Gal 2,20; Eph 2,5-7). In Christus sind die Glaubenden in das neue Äon eingegangen (Röm 6), was sich für den einzelnen Christen in der Gabe des Geistes äußert (Röm 8,23f). Trotzdem bleibt der einzelne Christ in seiner Sterblichkeit dem alten Äon verhaftet, kann jedoch in der [[Wikipedia:Eschatologie|eschatologischen]] Hoffnung auf grundlegende Neuerung leben (Röm 8,29), die mit der Wiederkehr Christi Einzug halten wird für alle Glaubenden und die gesamte Schöpfung Gottes.
 
=== Das Heilsgeschehen ===
Paulus geht davon aus, dass Christus für uns gestorben ist. Da Gott nun nichts veranlasst, was nicht notwendig ist, muss dieser Tod Christi notwendig gewesen sein. Er war notwendig für die Erlösung der Menschen. In diesem Sinne ist des Apostels Aussage „aus dem Gesetz wird niemand gerecht“ zu verstehen: Die Erlösung des Menschen ist allein durch den Glauben an die Heilstat möglich. Aus dem Gesetz allein heraus ist sie nicht möglich. Denn wäre sie möglich, dann wäre der Tod Christi nicht notwendig gewesen!
 
Damit ist das Zentrum der paulinischen Theologie angeschnitten: die Frage nach der Rechtfertigung aus dem Glauben. Bekannt ist die Wendung „aus Glauben wird der Mensch gerecht, nicht aus den Werken des Gesetzes“ (vgl. Gal 2,15-21). Paulus will damit ausdrücken, dass nicht das jüdische Gesetz den Weg zum Heil darstellt, sondern der Glaube. Er exemplifiziert dies am Beispiel Abrahams (Gal 3,6-14), der von Gott im Alten Testament als Beispiel eines Gerechten gerühmt wird, wohingegen das jüdische Gesetz erst später eingeführt wird. Für Paulus ist Abraham das Beispiel dafür, dass man vor Gott gerecht wird, auch ohne das jüdische Gesetz.
 
Paulus argumentiert (Gal 3,6-14), dass Gott Abraham die Zusage des Heils gegeben hat. Erst danach hat Gott das Gesetz eingeführt, um vor der Macht der Sünde zu schützen. Mit der Sendung Christi aber ist die Macht der Sünde gefallen; Christus ist die Erfüllung der Heilsverheißung an Abraham. Das Gesetz hat und hatte nie Heilsfunktion, sondern nur Schutzfunktion.
 
In der gegenwärtigen theologischen Forschung stark umstritten ist die Frage, was Paulus meint, wenn er sagt, „aus Werken des Gesetzes wird niemand gerecht“. Hatte Luther noch gemeint, Paulus drücke damit aus, dass jeder Versuch das Gesetz zu erfüllen eine Art Selbstgerechtigkeit wäre, so wird heute eher angenommen, Paulus wolle auf die Nichtigkeit des Gesetzes für die Heilserlangung hinweisen: Egal ob ich das Gesetz erfülle oder nicht, dies bedeutet nichts für das Heil. Das Gesetz hat keine Heilsfunktion mehr, weil es jetzt Christus gibt (so Ed Parish Sanders); das Gesetz hat keine Heilsfunktion, weil Gott auch nichtjüdische Gläubige unter dem Heil wissen will (so James Dunn); das Gesetz hatte noch nie Heilsfunktion (so Michael Bachmann).
 
=== Ethik ===
 
Das von Gott gegebene Gesetz kann nicht zur Erlösung führen. Dennoch ist es für Paulus ein gutes, heiliges und gerechtes Gesetz. Denn durch den Akt des Glaubens ist der Mensch befreit von der Macht der Sünde und befähigt, das Gesetz Christi zu erfüllen. Grundlage des Gesetzes ist das Liebesgebot Christi. Keine Grundlage hingegen sind äußerliche Rituale wie Beschneidung u.&nbsp;ä.
 
== Bedeutung und Wirkung ==
Paulus wird von allen Konfessionen als herausragender Verkünder der Lehre Jesu angesehen und geachtet, vor allem im [[Wikipedia:Protestantismus|Protestantismus]]. Seine christozentrische Lehre und das Absehen von den jüdischen Ritualvorschriften leiteten die Loslösung des neuen Glaubens vom Judentum und die Ausbildung einer eigenständigen, schließlich weltumspannenden Religion ein. Aus diesem Grund wird Paulus seit den Anfängen der wissenschaftlichen Bibelkritik im 18. Jahrhundert von vielen Philosophen und Theologen als eigentlicher Gründer des Christentums betrachtet. Aus dieser Sicht ist er nicht nur eine der einflussreichsten Gestalten der Kirchen-, sondern auch einer der wirkmächtigsten Denker der Weltgeschichte überhaupt.
 
In der Nachfolge der paulinischen Lehre entwickelten u.&nbsp;a. [[Wikipedia:Augustinus von Hippo|Augustinus von Hippo]] (4./5.&nbsp;Jh.), [[Wikipedia:Martin Luther|Martin Luther]] (15./16. Jh.) und [[Wikipedia:Karl Barth|Karl Barth]] (19./20. Jh.) ihre Theologie. Andererseits ist Paulus auch mindestens seit der [[Wikipedia:Frühe Neuzeit|frühen Neuzeit]] ein beliebtes Ziel von Angriffen durch Kritiker des bestehenden Christentum, die ihm häufig vorwerfen, die Lehre Jesu in diese oder jene Richtung verfälscht zu haben.
 
In der katholischen Weltkirche ist Paulus Schutzpatron der Theologen und [[Wikipedia:Seelsorger|Seelsorger]], Weber, Zeltwirker, Korbmacher, Seiler, Sattler und Arbeiterinnen sowie der katholischen [[Wikipedia:Presse (Medien)|Presse]]. Er wird als [[Wikipedia:Heiliger|Heiliger]] angerufen für Regen und Fruchtbarkeit der Felder und gegen Furcht, Ohrenleiden, Krämpfe und Schlangenbiss. In der Kunst wird er gewöhnlich als kahlköpfiger, bärtiger Mann mit Buch und/oder Schwert dargestellt.
 
Der Gedenktag von Paulus (und Petrus) ist der [[Wikipedia:29. Juni|29. Juni]]. Zur Erinnerung an Paulus hat Papst [[Wikipedia:Benedikt XVI.|Benedikt XVI.]] ein Paulusjahr ausgerufen. Es soll am 28. Juni 2008 beginnen.<ref>[[Wikipedia:Radio Vatikan]]: [http://www.radiovaticana.org/ted/Articolo.asp?c=140584 Paulusjahr], 21. Juni 2007</ref>
 
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Paulus von Tarus}}
* [[Wikipedia:Pauli Bekehrung|Pauli Bekehrung]]
* [[Wikipedia:Paulinisches Privileg|Paulinisches Privileg]]
* [[Wikipedia:Paulinismus|Paulinismus]]
 
== Referenzen ==
<references/>
 
== Literatur ==
 
=== Historisch-kritische Gesamtdarstellungen ===
* [[Wikipedia:Joachim Gnilka|Joachim Gnilka]]: ''Paulus. Apostel und Zeuge''. Herder, Freiburg i.Br. 1996, ISBN 3-451-26377-7
* [[Wikipedia:Eduard Lohse|Eduard Lohse]]: ''Paulus. Eine Biographie''. Beck, München 2003, ISBN 3-406-49439-0 (umfangreich, informativ, leicht lesbar).
* [[Wikipedia:Ed Parish Sanders|Ed Parish Sanders]]: ''Paulus. Eine Einführung''. Reclam, Stuttgart 2006, ISBN 3-15-009365-1 (knappe Einführung in die wichtigsten Probleme der historisch-krischen Paulus-Forschung)
* [[Wikipedia:Udo Schnelle|Udo Schnelle]]: ''Paulus''. De Gruyter, Berlin 2003, ISBN 3-11-015164-2 (umfassender Überblick über Paulusforschung)
* Oda Wischmeyer (Hg.): ''Paulus. Leben-Umwelt-Werk-Briefe''. UTB, Tübingen 2006, ISBN 978-3-8252-2767-8 (informativer Überblick über die Paulusforschung als Gemeinschaftswerk jüngerer Theologen in erster Linie als Examensvorbereitung für Theologiestudenten)
 
=== Theologie des Paulus ===
* Georg Eichholz: ''Die Theologie des Paulus im Umriss''. Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn 1991, ISBN 3-7887-0527-2 (Standardwerk: sieht Paulus als Begründer der reformatorischen Rechtfertigungslehre und betont seine Treue zu Israel)
* Hans Hübner: ''Biblische Theologie des Neuen Testaments''. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen
**2. ''Die Theologie des Paulus und ihre neutestamentliche Wirkungsgeschichte''. 1993, ISBN 3-525-53587-2.
* Claudia Janssen u.&nbsp;a.: ''Paulus. Umstrittene Tradition, lebendige Theologie; eine feministische Lektüre''. Kaiser, Gütersloh 2001, ISBN 3-579-05318-3 (Neueste Forschungen zu Paulus mit Einordnung in die damalige gesellschaftliche, soziale und politische Situation mit einem feministisch-theologischen Ansatz)
* [[Wikipedia:Ernst Käsemann|Ernst Käsemann]]: ''Gottesgerechtigkeit bei Paulus''. In: Ders.: ''Exegetische Versuche und Besinnungen. Auswahl''. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen
**2. 1964, S. 181-193 (bahnbrechender Aufsatz, der die Rolle der spätjüdischen Apokalyptik für Paulus betont und darin die Kontinuität zu Jesus und der Urgemeinde sieht)
* [[Wikipedia:Albert Schweitzer|Albert Schweitzer]]: ''Die Mystik des Apostels Paulus''. Mohr, Tübingen 1981, ISBN 3-16-143591-5 (Repr. d. Ausg. Tübingen 1930; ein älteres Standardwerk, das Paulus gegen Luther abgrenzt)
* [[Wikipedia:Gerd Theißen|Gerd Theißen]]: ''Psychologische Aspekte paulinischer Theologie''. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1993, ISBN 3-525-53566-X (Exegese anhand von vier psychologischen Methoden)
 
=== Biographie/Chronologie des Paulus ===
* Friedrich W. Horn: ''Das Ende des Paulus. Historische, theologische und literaturgeschichtliche Aspekte''. De Gruyter, Berlin 2001, ISBN 3-11-017001-9 (Aufsatzsammlung zur Endphase im Leben des Paulus)
* Rainer Riesner: ''Die Frühzeit des Apostels Paulus. Studien zur Chronologie, Missionsstrategie und Theologie''. Mohr, Tübingen 1994, ISBN 3-16-145828-1 (entgegen dem Titel eine vollständige Darstellung der Biographie des Apostels, sehr detailliert und fundiert)
* Alfred Suhl: ''Paulus und seine Briefe Beiträge zur paulinischen Theologie''. Katholisches Bibelwerk, Stuttgart 2005, ISBN 3-460-03054-2 (Auswertung der biographischen Selbstaussagen des Apostels in seinen Briefen)
* Holger Zeigan: ''Aposteltreffen in Jerusalem. Eine forschungsgeschichtliche Studie zu Galater 2,1-10 und den möglichen lukanischen Parallelen''. Evangelische VA, Leipzig 2005, ISBN 3-374-02315-0 (neueste Erscheinung zur Biographie des Paulus, schwerpunktmäßig mit dem Apostelkonvent von Gal.2 beschäftigt)
 
=== Außerchristliche Darstellungen ===
* [[Wikipedia:Alain Badiou|Alain Badiou]]: ''Paulus. Die Begründung des Universalismus''. Verlag Sequenzia, München 2002, ISBN 3-936488-00-2 (eine philosophische Sichtweise)
* [[Wikipedia:Schalom Ben-Chorin|Schalom Ben-Chorin]]: ''Paulus. Der Völkerapostel in jüdischer Sicht''. Gütersloher VA, Gütersloh 2006, ISBN 3-579-05345-0
* [[Wikipedia:Hyam Maccoby|Hyam Maccoby]]: ''Der Mythenschmied. Paulus und die Erfindung des Christentums'', Ahriman, Freiburg i. Br. 2006, ISBN 3-89484-605-4
* [[Wikipedia:Jacob Taubes|Jacob Taubes]]: ''Die politische Theologie des Paulus. Vorträge''. Fink, München 2003, ISBN 3-7705-2844-1 (religionsphilosophische Erklärung des Paulus anhand seiner jüdischen Wurzeln)
 
=== Archäologie ===
* Peter Pilhofer: ''Philippi''. Mohr Siebeck, Tübingen 1995ff.
# ''Die erste christliche Gemeinde Europas'' (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament; 87). 1995, ISBN 3-16-146479-6.
# ''Katalog der Inschriften von Philippi'' (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament; 119). 2000, ISBN 3-16-146518-0
* Paul Trebilco: ''The early Christians in Ephesus from Paul to Ignatius'' (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament; 166). Mohr Siebeck, Tübingen 2004, ISBN 3-16-148271-9.
 
== Weblinks == <!-- Bitte beachten: Höchstens 5 Weblinks pro Artikel - und nur vom Feinsten! -->
{{Wikiquote|Paulus von Tarsus}}
{{Commons|Category:Saint Paul|Apostel Paulus}}
 
=== Biografie ===
*[http://www.jewishencyclopedia.com/view.jsp?artid=283&letter=S&search=Paul Jewish Encyclopedia (englisch)]
*[http://www.ekd.de/paulus/ EKD: Online-Spiel über Biografie und Reisen des Paulus]
 
=== Theologie ===
*[http://www.reformiert-online.net:8080/t/de/bildung/bibelkunde/nt/haupt2/ Reformierte Bibelkunde zu Paulus]
*[http://www.joerg-sieger.de/einleit/nt/04paul/nt_e4.htm Jörg Sieger über das Corpus Paulinum]
*[http://www.theologie-links.de/person-paulus.html Theologielinks zu Paulus]
*[http://www.taz.de/pt/2001/06/23/a0131.nf/text Artikel in der Taz]
*[http://www.theologie-systematisch.de/ekklesiologie/3nt.htm Aktuelle Literatur zur Bedeutung des Paulus für die Kirchen]
 
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Version vom 24. April 2015, 06:24 Uhr