Nicht-Ich und Kategorie:Geboren 1945: Unterschied zwischen den Seiten

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'''Nicht-Ich''' ist ein von [[Johann Gottlieb Fichte]] erstmals in seiner [[Wissenschaftslehre]] geprägter [[Begriff]], der von zentraler Bedeutung für den [[Deutscher Idealismus|nachkantischen Idealismus]] wurde. Indem sich das [[Ich]] durch eine reine [[Tathandlung]] selbst setzt, sieht es sich zugleich als [[Subjekt]] der äußeren Welt der [[Objekt]]e, d.h. dem Insgesamt des Nicht-Ich, gegenübergestellt und wird sich dadurch seiner selbst bewusst.
{{Seitenkategorien}}
 
{{Zitat|Es ist ursprünglich nichts gesetzt, als das Ich; und dieses nur ist schlechthin gesetzt. Demnach kann nur dem Ich schlechthin entgegengesetzt werden. Aber das dem Ich entgegengesetzte ist &#61; ''Nicht-Ich''. So gewiß das unbedingte Zugestehen der absoluten Gewißheit des Satzes: -A nicht &#61; A unter den Tatsachen des empirischen Bewusstseins vorkommt: ''so gewiß wird dem Ich schlechthin entgegengesetzt ein Nicht-Ich''.|Johann Gottlieb Fichte|''Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre''.|ref=<ref> Fichte, J.G.; ''Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre''. Hamburg, Meiner, 1997, S. 24 </ref>}}
 
Fichte begründete damit seinen [[Subjektiver Idealismus|subjektiven Idealismus]], in dessen Zentrum das [[Ich]] steht. Demgegenüber hob Rudolf Steiner hervor, dass das absolute [[Ich]] Fichtes dem [[Wahrnehmung|durch Wahrnehmung unmittelbar Gegebenen]] nicht gerecht wird.
 
{{GZ|Das Ich kann also im Sinne Fichtes auch nur durch
einen absoluten Entschluss alle seine Tätigkeit beginnen.
Aber für Fichte ist es unmöglich, dieser seiner vom Ich
absolut gesetzten Tätigkeit zu irgendeinem Inhalte ihres
Tuns zu verhelfen. Denn er hat nichts, worauf sich diese
Tätigkeit richten, wonach sie sich bestimmen soll. Sein Ich
soll eine Tathandlung vollziehen; aber was soll es tun? Weil
Fichte den Begriff der Erkenntnis nicht aufstellte, den das
Ich verwirklichen soll, deshalb rang er vergeblich,
irgendeinen Fortgang von seiner absoluten Tathandlung zu
den weiteren Bestimmungen des Ich zu finden. Ja, er erklärt
zuletzt in bezug auf einen solchen Fortgang, dass die
Untersuchung hierüber außerhalb der Grenzen der Theorie
liege.|3|74|71}}
 
{{GZ|Auf diese Weise verlor für Fichte die Welt außer dem
«Ich» ihr selbständiges Dasein; sie hat nur ein ihr vom
Ich beigelegtes, ein also zu ihr hinzugedichtetes Dasein. In
seinem Streben, dem eigenen Selbst die höchstmögliche
Unabhängigkeit zu geben, hat Fichte der Außenwelt jede
Selbständigkeit genommen. Wo nun eine solche selbständige
Außenwelt nicht vorhanden gedacht wird, da ist es
auch begreiflich, daß das Interesse an dem Wissen, an der
Erkenntnis dieser Außenwelt aufhört. Damit ist das Interesse
an dem eigentlichen Wissen überhaupt erloschen.
Denn das Ich erfährt durch ein solches Wissen im Grunde
nichts, als was es selbst hervorbringt. In allem Wissen hält
das menschliche Ich gleichsam nur Monologe mit sich selbst.
Es geht nicht über sich selbst hinaus.|18|182}}
 
Das Denken ist nicht nur tätiges Hervorbringen, sondern zugleich auch sein Inhalt als ein vorgefundener. Diese Vorfindlichkeit des Denkinhaltes, bzw. was zum Denkinhalt wird, liegt auf der [[Wahrnehmung|Wahrnehmungsseite]] des Erkennens. Fichte gelingt es aber nicht, das Wahrnehmliche in der Welt draußen aus dem absoluten Ich hervorgehen zu lassen. Darin liegt das „[[Objektiver Idealismus|objektive]]“ des Steinerschen Idealismus, dass er dieses Wahrnehmliche in seiner selbstgebenden, nicht durch ein absolutes Ich produzierten, Eigenart anerkennt. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit Fichte findet sich in «[[Wahrheit und Wissenschaft]]»:
 
{{GZ|Der
Selbstbeobachtung zeigt sich das Ich wie es sich das Weltbild
aus dem Zusammenfügen von Gegebenem und Begriff
aufbaut. Aber für denjenigen, der unsere obige Betrachtung
nicht mit durchgemacht hat, der also nicht weiß, dass das
Ich nur dann zum ganzen Inhalte der Wirklichkeit kommt,
wenn es mit seinen Denkformen an das Gegebene herantritt,
für den erscheint der Erkenntnisprozess als ein
Herausspinnen der Welt aus dem Ich. Für Fichte wird das
Weltbild daher immer mehr zu einer Konstruktion des Ich.
Er betont immer stärker, dass es in der Wissenschaftslehre
darauf ankomme, den Sinn zu erwecken, der imstande ist,
das Ich bei diesem Konstruieren der Welt zu belauschen.|3|80|77}}
 
Eine ähnliche Kritik an Fichtes Verabsolutierung des einzelnen Ichs und dem damit verbundenen Fall in den [[Subjektivismus]] bzw. [[Solipsismus]] hatte schon der von Rudolf Steiner sehr geschätzte Philosoph [[Paul Asmus]] (1842-1877) geübt:
 
{{LZ|Unser einzelnes Ich ist, da es stets mit seiner Negation verbunden
ist, nicht als ein an sich seiendes Reales, sondern als ein Moment
zu fassen. Insofern steht allerdings unser Ich mit den Objecten,
welche ja gleichfalls als nicht an sich existirend erkannt wurden,
auf derselben Stufe, die Scheidewand ist gefallen zwischen Sub- und
Objectivität, zwischen Denken und Sein. Inwiefern dann doch
ein Unterschied zu statuiren sei, werden wir später sehen. Was ist
aber das, wovon unser einzelnes Ich ein Moment ist? Einfach das
jenige, welches den Begriff des Ich ganz erfüllt: die Einheit des Ich
und seiner Negation, das erfüllte oder absolute Ich, die Ichheit, wie wir
es vorläufig nennen wollen. Im Gegensatz zu dem seiner Negation
noch gegenüber stehenden und sich als einzelnes Moment besondernden Ich ist es auch das allgemeine Ich genannt, es ist das
selbe Ich, das Fichte in seinem ersten Grundsatze aufgestellt hat.
Nur begeht dieser den Fehler, sein absolutes Ich als die positive
Verabsolutirung des besondern Ich, also nicht als dessen Vereinigung mit seiner Negation zu fassen. Er lässt die Negation,
den Widerspruch, vollständig aus seinem Princip fort, so kommt
er nicht über den Subjectivismus hinaus, sein absolutes Ich ist
schliesslich doch blos die abstracte Subjectivität. Wie sehr er
Recht hat im weitern Verlaufe seines Systems, das Princip der
Besonderung des Ich in seinem Gegensatz gegen das Nicht-Ich zu
suchen, so sehr Unrecht hat er, wenn er das Ich, welches von diesem
Gegensatze absolut nichts weiss, an die Spitze stellt und uns dann
zumuthet, hierin das jenen Ich-Besonderheiten zu Grunde liegende
allgemeine Ich zu erblicken. Streicht er die durch das Nicht-Ich
gegebene Besonderung einfach fort, so haben wir in seinem absoluten Ich nur jenes einzelne Ich des Solipsismus, das auf willkürliche Weise (nämlich durch Wegstreichen der an ihm klebenden
Negation) verabsolutirt ist. Ganz richtig behauptet Fichte, dass
das Ich sich selbst nicht setzen könne, ohne sich ein Nicht-Ich
entgegen zu setzen. Darin liegt doch, dass das einzelne Ich nur
mit seinem Nicht zusammen, also als Moment existire. Aber das
ist dann wieder nicht ernst gemeint. Das Ich soll sich, wie es
ihm als Moment doch zukäme, nicht mit seinem Anderen vereinen,
sondern es soll es besiegen, in sich ziehen, — da bleibt denn die
an sich seiende Realität des einzelnen Ich doch bestehen und das
absolute Ich ist dann weiter nichts als das Ideal des einzelnen
Ich, welches seinen Feind, das Nicht-Ich, überwunden hat, — es
ist schliesslich demnach weiter nichts als dasjenige Ich, zu dem
als dem Letzten der Solipsismus so gerne aufsteigen möchte —
und nicht kann.
 
Also: die Besonderheit der Iche geht hervor aus dem besondern Verhältniss, in dem sie zu ihrer Negation stehen, die Allgemeinheit des Ich, die Ichheit, ist das Ich mit der Negation in
Einheit gedacht.|P. Asmus 1875, S. 27f}}
 
In seinem [[1911]] gehaltenen [[Bologna-Vortrag]] hat Rudolf Steiner entsprechend aufgezeigt, dass das im regulären Tagsbewusstsein erlebte Ich ein bloßes [[Abbild]] des [[wirkliches Ich|wirklichen Ich]] ist, das nur fälschlich in die leibliche Innenwelt verlegt wird. Der Mensch fühle sich dadurch von der Welt abgesondert und sehe sich vor scheinbar unübersteigbare Erkenntnisgrenzen gestellt. Eine künftige [[Erkenntnistheorie]] werde anerkennen müssen, dass das Ich in Wahrheit immer schon in den Gesetzmäßigkeiten der Außenwelt, d.h. im [[Geist]]igen des Nicht-Ich, liege.
 
{{GZ|Unser Ich ist ja für die weitaus meisten
Menschen heute noch ein sehr schlafendes Organ. Wenn man glaubt,
das Ich wache sehr stark, so irrt man sich eigentlich. Denn in dem
Willen - das habe ich Ihnen schon auseinandergesetzt - schlaft der
Mensch eigentlich ja auch, und indem das Ich sich willentlich betätigt,
haben wir es zu tun nicht mit etwas, was als Ich vor uns steht, sondern
vielmehr mit etwas, was so vor uns steht, wie eigentlich die Nacht vor
uns steht. Wir rechnen, obwohl die Nacht dunkel ist, ja auch mit der
Nacht in unserem Leben. Wenn Sie wirklich zurückschauen auf Ihr
Leben, dann besteht es nicht nur aus demjenigen, was taghell war, sondern
es besteht auch aus den Nächten. Aber sie sind gewissermaßen
immer ausgestrichen aus dem Zeitenverlaufe. Ähnlich ist es mit unserem
Ich. Unser Ich ist für das gewöhnliche Bewußtsein eigentlich dadurch
bemerkbar, daß es für das Bewußtsein nicht da ist; es ist schon
da, aber für das Bewußtsein ist es nicht da. Es fehlt einem etwas an der
Stelle, und daher sieht man das Ich. Es ist wirklich so, wie wenn man
eine weiße Wand hat und eine Stelle nicht mit Weiß bestrichen hat;
dann sieht man das Schwarze. Und so sieht man als das Ausgelöschte
eigentlich unser Ich im gewöhnlichen Bewußtsein. Und so ist es auch
während des Wachens: das Ich ist eigentlich zunächst immer schlafend;
aber es scheint durch als Schlafendes durch die Gedanken, die
Vorstellungen und durch die Gefühle, und daher wird das Ich auch
im gewöhnlichen Bewußtsein wahrgenommen, das heißt, es wird vermeint,
daß es wahrgenommen werde. Wir können also sagen: Unser
Ich wird eigentlich zunächst nicht unmittelbar wahrgenommen.
 
Nun glaubt eine vorurteilsvolle Psychologie, Seelenlehre, daß dieses
Ich eigentlich im Menschen drinnensitzt; da, wo seine Muskeln sind,
sein Fleisch ist, seine Knochen sind und so weiter, da sei auch das
Ich drinnen. Wenn man das Leben nur ein wenig überschauen würde,
so würde man sehr bald wahrnehmen, daß es nicht so ist. Aber es ist
schwer, eine solche Überlegung heute vor die Menschen hinzubringen.
Ich habe es im Jahre 1911 schon versucht in meinem Vortrage auf dem
Philosophenkongreß in Bologna. Aber diesen Vortrag hat ja bis heute
keiner noch verstanden. Ich habe da versucht zu zeigen, wie es eigentlich
mit dem Ich ist. Dieses Ich liegt eigentlich in jeder Wahrnehmung,
das liegt eigentlich in alldem, was Eindruck auf uns macht. Nicht dadrinnen
in meinem Fleische und in meinen Knochen liegt das Ich, sondern
in demjenigen, was ich durch meine Augen wahrnehmen kann.
Wenn Sie irgendwo eine rote Blume sehen: in Ihrem Ich, in Ihrem
ganzen Erleben, das Sie ja haben, indem Sie an das Rot hingegeben
sind, können Sie ja das Rot von der Blume nicht trennen. Mit alldem
haben Sie ja zugleich das Ich gegeben, das Ich ist ja verbunden mit
Ihrem Seeleninhalt. Aber Ihr Seeleninhalt, der ist doch nicht in Ihren
Knochen! Ihren Seeleninhalt, den breiten Sie doch aus im ganzen
Raume. Also dieses Ich, das ist noch weniger als die Luft in Ihnen, die
Sie eben einatmen, noch weniger als die Luft, die vorher in Ihnen war.
Dieses Ich ist ja verbunden mit jeder Wahrnehmung und mit alldem,
was eigentlich im Grunde genommen außer Ihnen ist. Es betätigt sich
nur im Inneren, weil es aus dem Wahrnehmen die Kräfte hineinschickt.
Und ferner ist das Ich noch verbunden mit etwas anderem: Sie brauchen
nur zu gehen, das heißt, Ihren Willen zu entwickeln. Da allerdings
geht Ihr Ich mit, beziehungsweise das Ich nimmt an der Bewegung
teil, und ob Sie langsam schleichen, ob Sie laufen, ob Sie im
Kiebitzschritt sich bewegen oder irgendwie sich drehen und dergleichen,
ob Sie tanzen oder springen, das Ich macht alles das mit. Alles was an
Betätigung von Ihnen ausgeht, macht das Ich mit. Aber das ist ja auch
nicht in Ihnen. Denken Sie, es nimmt Sie doch mit. Wenn Sie einen
Reigen tanzen - glauben Sie, der Reigen ist in Ihnen? Der hätte ja gar
nicht Platz in Ihnen! Wie hätte der Platz? Aber das Ich ist dabei, das
Ich macht den Reigen mit. Also in Ihren Wahrnehmungen und in Ihrer
Betätigung, da sitzt das Ich. Aber das ist eigentlich gar nie in Ihnen
im vollen Sinne des Wortes, etwa so, wie Ihr Magen in Ihnen ist,
sondern das ist eigentlich immer etwas, dieses Ich, was im Grunde
außerhalb Ihrer ist. Es ist ebenso außerhalb des Kopfes, wie es außerhalb
der Beine ist, nur daß es im Gehen sich sehr stark beteiligt an
den Bewegungen, welche die Beine machen. Das Ich ist wirklich sehr
stark beteiligt an der Bewegung, welche die Beine machen. Der Kopf
aber, der ist an dem Ich weniger beteiligt.|205|218ff}}
 
Dass das wirkliche Ich - nicht sein bloßes Spiegelbild - im [[Reines Denken|reinen Denken]] unabhängig von der Leibesorganisation [[Erfahrung|erfahren]] wird, hatte Rudolf Steiner schon in seiner «[[Philosophie der Freiheit]]» gezeigt. Änhnlich schreibt Asmus:
 
{{LZ|Das Wichtigste ist nun: Wie haben wir uns das Verhältniss des einzelnen Ich zum allgemeinen Ich zu denken? Das
einzelne Ich ist ein aufgehobenes Moment wegen der es begleiten
den Negation. Darin ruht, wie bemerkt, seine Gleichheit mit den
Objecten, die auch in unsrer Subjectivität aufgehoben sind. Ist
nun das Verhältniss des einzelnen Ich zum allgemeinen dasselbe,
wie das der einzelnen Vorstellung zum einzelnen Subjecte? Wäre
es so, so gäbe es keine Verbindung zwischen dem einzelnen Ich
und dem allgemeinen, und dieses schwebte als die kahle absolute
Negation über dem subjectiven und objectiven Universum. Aber
der Unterschied leuchtet ein. Die einzelnen Objecte werden als
Vorstellungen einfach aufgehoben durch das Ich, heben sich nicht
selbst auf; das einzelne Ich aber hat seine Negation in sich, hebt
sich selbst auf und in dieser Selbstaufhebung ist es eben das allgemeine Ich. Und wiederum: das allgemeine Ich hat keine vom
einzelnen Ich getrennte an sich seiende Realität, sondern ist eben
nur die Einheit des einzelnen Ich und seiner Negation, und zwar
eben die durch den Begriff jenes Ich selbst gesetzte Einheit, es
existirt also nur in dieser Selbstaufhebung des einzelnen Ich. —
Machen wir uns die Sache deutlich : wollte unser einzelnes Ich in
seiner absoluten Einzelheit verharren und sich in nichts Anderes
versenken, so wäre es allerdings absolut getrennt vom allgemeinen
Ich; dann fehlte auch die in der allgemeinen Ichheit beruhende
Gemeinschaft mit den andern besondern Ichen. So lassen wir auch
einen Menschen, der sich nur auf sein allereigenstes Gefühl beruft,
ohne den allgemein vernünftigen Gründen Gehör zu geben, ruhig
stehen; es fehlt eben die Basis der Gemeinschaft. Aber das Ich
kann sich nicht in dieser absoluten Vereinzelung behaupten, es ist
ihm unmöglich gemacht durch seinen Begriff, der es mit seiner
Negation verbindet. So sind wir jederzeit in etwas Anderes versenkt, wir vermögen uns beim besten Willen nicht in unsrer Einzelheit zu erhalten und auch, wenn wir nur über uns selbst reflectiren,
haben wir unser Ich uns als ein anderes, einen Gegenstand
gegenüberstellen müssen. So beruhen auch die Aussagen jenes nur
aus seiner Einzelheit schöpfenden Menschen factisch nur auf Selbsttäuschung. Er bleibt ebenso wenig in seiner Einzelheit eingeschlossen wie ein Anderer; nur ist sein Bewusstsein noch nicht gebildet
genug, die Allgemeinheit seines Ich, damit seine Vernünftigkeit
zu begreifen. Die Thätigkeit nun, uns in ein anderes zu versenken,
nennen wir „denken"; im Denken hat das Ich seinen Begriff er
füllt, es hat sich als einzelnes selbst aufgegeben; deshalb befinden
wir uns denkend in einer für Alle gleichen Sphäre, denn das Princip
der Besonderung, das da in dem Verhältniss unsres Ich zu dem
ihm Anderen liegt, ist verschwunden in der Thätigkeit der Selbst
aufhebung des einzelnen Ich, es ist da nur die Allen gemeinsame
Ichheit oder Vernünftigkeit.|Asmus 1875, S. 28f}}
 
Erst in der durch das [[Denken]] herbeigeführten Vereinigung von [[Wahrnehmung]] und [[Begriff]] eröffnet sich der Blick auf die [[Wirklichkeit]]:
 
{{GZ|Nur solange wir die
die Wahrnehmung durchdringende und bestimmende Gesetzmäßigkeit
in der abstrakten Form des Begriffes betrachten,
solange haben wir es in der Tat mit etwas rein Subjektivem
zu tun. Subjektiv ist aber nicht der Inhalt des Begriffes,
der mit Hilfe des Denkens zu der Wahrnehmung
hinzugewonnen wird. Dieser Inhalt ist nicht aus dem Subjekte,
sondern aus der Wirklichkeit genommen. Er ist der
Teil der Wirklichkeit, den das Wahrnehmen nicht erreichen
kann. Er ist Erfahrung, aber nicht durch das Wahrnehmen
vermittelte Erfahrung. Wer sich nicht vorstellen kann, daß
der Begriff ein Wirkliches ist, der denkt nur an die abstrakte
Form, wie er denselben in seinem Geiste festhält. Aber in
solcher Absonderung ist er ebenso nur durch unsere Organisation
vorhanden, wie die Wahrnehmung es ist. Auch der
Baum, den man wahrnimmt, hat abgesondert für sich keine
Existenz. Er ist nur innerhalb des großen Räderwerkes der
Natur ein Glied, und nur in realem Zusammenhang mit ihr
möglich. Ein abstrakter Begriff hat für sich keine Wirklichkeit,
ebensowenig wie eine Wahrnehmung für sich. Die
Wahrnehmung ist der Teil der Wirklichkeit, der objektiv,
der Begriff derjenige, der subjektiv (durch Intuition, vgl.
Seite 95 ff.) gegeben wird. Unsere geistige Organisation
reißt die Wirklichkeit in diese beiden Faktoren auseinander.
Der eine Faktor erscheint dem Wahrnehmen, der andere der
Intuition. Erst der Zusammenhang der beiden, die gesetzmäßig
sich in das Universum eingliedernde Wahrnehmung,
ist volle Wirklichkeit. Betrachten wir die bloße Wahrnehmung
für sich, so haben wir keine Wirklichkeit, sondern ein
zusammenhangloses Chaos; betrachten wir die Gesetzmäßigkeit
der Wahrnehmungen für sich, dann haben wir es
bloß mit abstrakten Begriffen zu tun. Nicht der abstrakte
Begriff enthält die Wirklichkeit; wohl aber die denkende
Beobachtung, die weder einseitig den Begriff, noch die
Wahrnehmung für sich betrachtet, sondern den Zusammenhang
beider.|4|247f}}
 
== Der buddhistische Begriff des «Anatta» ==
 
{{Hauptartikel|Anatta}}
 
Eine völlig andere, den Intentionen Fichtes diametral entgegengesetzte Bedeutung hat das Nicht-Ich für die [[Buddhismus|buddhistische]] Weltanschauung in Form des [[Anatta]], der Nicht-Selbstigkeit. Nach dieser Anschauung ist die [[Illusion]] des Ich die Quelle aller [[Leiden]], die es zu durchschauen und zu überwinden gilt. Nur auf diesem Weg könne der der leidvolle [[Kreislauf der Wiedergeburten]] durch das endgültige Verlöschen im [[Nirvana]] zu einem Ende gebracht werden.
 
== Literatur ==
 
* [[Johann Gottlieb Fichte]]: ''Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre : als Handschrift fuer seine Zuhoerer'', Leipzig: Gabler, 1794 ({{ULBDD|urn:nbn:de:hbz:061:1-505245}})
*[[Paul Asmus]]: ''Das Ich und das Ding an sich. Geschichte ihrer begrifflichen Entwickelung in der neuesten Philosophie'', Verlag C. E. M. Pfeffer, Halle 1873 {{MDZ|11163813-5}}
** neu herausgegeben und eingeleitet von [[Thomas Brunner]], [https://www.edition-immanente.de/alle-buecher/das-ich-und-das-ding-an-sich.html edition immanente], Berlin 2014, ISBN 978-3-942754-30-9
* ''Die indogermanische Religion in den Hauptpunkten ihrer Entwickelung. Ein Beitrag zur Religionsphilosophie'', Erster Band:: ''Indogermanische Naturreligion'', Verlag C. E. M. Pfeffer, Halle 1875 {{Google Buch|BuchID=kB1mAAAAcAAJ}}
* [[Carl Unger]]: ''Die Grundlehren der Geisteswissenschaft'', Philosophisch-Anthoposophischer Verlag am Goetheanum, Dornach 1929
* [[Rudolf Steiner]]: ''Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung''. 8. Auflage. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 2002, ISBN 3-7274-0020-X {{Schriften|002}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Wahrheit und Wissenschaft''. 5. Auflage. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1980, ISBN 3-7274-0030-7 {{Schriften|003}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Die Philosophie der Freiheit'', [[GA 4]] (1995), ISBN 3-7274-0040-4 {{Schriften|004}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriß dargestellt'', [[GA 18]] (1985), ISBN 3-7274-0180-X {{Schriften|018}}
 
{{GA}}
 
== Einzelnachweise ==
<references />
 
[[Kategorie:Fichte]]

Version vom 24. April 2015, 07:24 Uhr