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== Das Sehen in subjektiver Hinsicht ==
== Urphänomen ==


von Purkinje - 1819
Das was wir in der Erfahrung gewahr worden, sind meistens nur Fälle, weiche sich mit einiger Aufmerksamkeit unter allgemeine empirische Rubriken bringen lassen. Diese subordinieren sich abermals unter wissenschaftliche Rubriken, welche weiter hinaufdeuten, wobei uns gewisse unerläßliche Bedingungen des Erscheinenden näher bekannt werden. Von nun an fügt sich alles nach und nach unter höhere Regeln und Gesetze, die sich aber nicht durch Worte und Hypothesen dem Verstande, sondern gleichfalls durch Phänomene dem Anschauen offenbaren. Wir nennen sie Urphänomene, weil nichts in der Erscheinung über ihnen liegt, sie aber dagegen völlig geeignet sind, daß man stufenweise, wie wir vorhin hinaufgestiegen, von ihnen herab bis zu dem gemeinsten Falle der täglichen Erfahrung niedersteigen kann. Ein solches Urphänomen ist dasjenige, das wir bisher dargestellt haben. Wir sehen auf der einen Seite das Licht, das Helle, auf der andern die Finsternis, das Dunkle, wir bringen die Trübe zwischen beide, und aus diesen Gegensätzen, mit Hilfe gedachter Vermittlung, entwickeln sich, gleichfalls in einem Gegensatz, die Farben, deuten aber alsbald, durch einen Wechselbezug, unmittelbar auf ein Gemeinsames wieder zurück.


Den löblichen Gebrauch, bedeutende Schriften gleich zum erstenmal in Gegenwart eines Schreibenden zu lesen und sogleich Auszüge mit Bemerkungen, wie sie im Geiste erregt wurden, flüchtig zu diktieren, unterließ ich nicht bei obgenanntem Hefte und, brachte kursorisch diese Angelegenheit bis gegen das Ende.
In diesem Sinne halten wir den in der Naturforschung begangenen Fehler für sehr groß, daß man ein abgeleitetes Phänomen an die obere Stelle, das Urphänomen an die niedere Stelle setzte, ja sogar das abgeleitete Phänomen wieder auf den Kopf stellte und an ihm das Zusammengesetzte für ein Einfaches, das Einfache für ein Zusammengesetztes gelten ließ; durch welches Hinterstzuvörderst die wunderlichsten Verwicklungen und Verwirrungen in die Naturlehre gekommen sind, an welchen sie noch leidet.


Meinem ersten Vorhaben, ausführlicher hierüber zu werden, muß ich zwar entsagen; den weitläufigen Auszug aus einer Schrift, die gegenwärtig in allen Händen ist, leg ich beiseite und führe vom Text nur an, was Veranlassung zu den nächsten Bemerkungen gab, indes ich noch gar manche, welche noch bedeutende Nacharbeiten gefordert hätten, gleichfalls zurücklasse, in Hoffnung, daß das gegenwärtig Mitgeteilte nicht ohne Wirkung bleiben werde.
Wäre denn aber auch ein solches Urphänomen gefunden, so bleibt immer noch das Übel, daß man es nicht als ein solches anerkennen will, daß wir hinter ihm und über ihm noch etwas weiteres aufsuchen, da wir doch hier die Grenze des Schauens eingestehen sollten. Der Naturforscher lasse die Urphänomene in ihrer ewigen Ruhe und Herrlichkeit dastehen, der Philosoph nehme sie in seine Region auf, und er wird finden, daß ihm nicht in einzelnen Fällen, allgemeinen Rubriken, Meinungen und Hypothesen, sondern im Grund- und Urphänomen ein würdiger Stoff zu weiterer Behandlung und Bearbeitung überliefert werde.


Noch ist zu bemerken, daß die Seitenzahl immer eine Stelle des Textes ankündige, in Klammern aber meine Bemerkungen eingeschlossen sind.
Das Schlimmste, was der Physik, sowie mancher andern Wissenschaft widerfahren kann, ist, daß man das Abgeleitete für das Ursprüngliche hält, und da man das Ursprüngliche aus Abgeleitetem nicht ableiten kann, das Ursprüngliche aus dem Abgeleiteten zu erklären sucht. Dadurch entsteht eine unendliche Verwirrung, ein Wortkram und eine fortdauernde Bemühung, Ausflüchte zu suchen und zu finden, wo das Wahre nur irgend hervortritt und mächtig werden will.


Seite 7. Jeder Sinn kann durch Beobachtung und Experimente sowohl in seinem Eigenleben als in seiner eigentümlichen Reaktion gegen die Außenwelt aufgefaßt und dargestellt werden, jeder ist gewissermaßen ein Individuum; daher die Spezifizität, das zugleich Fremde und Eigene in den Empfindungen.
Indem sich der Beobachter, der Naturforscher auf diese Weise abquält, weil die Erscheinungen der Meinung jederzeit widersprechen, so kann der Philosoph mit einem falschen Resultate in seiner Sphäre noch immer operieren, indem kein Resultat so falsch ist, daß es nicht, als Form ohne allen Gehalt auf irgendeine Weise gelten könnte.


[Das Anerkennen eines Neben- Mit- und Ineinanderseins und -wirkens verwandter lebendiger Wesen leitet uns bei jeder Betrachtung des Organismus und erleuchtet den Stufenweg vom Unvollkommenen zum Vollkommenen.
Kann dagegen der Physiker zur Erkenntnis desjenigen gelangen, was wir ein Urphänomen genannt haben, so ist er geborgen und der Philosoph mit ihm; er, denn er überzeugt sich, daß er an die Grenze seiner Wissenschaft gelangt sei, daß er sich auf der empirischen Höhe befinde, wo er rückwärts die Erfahrung in allen ihren Stufen überschauen und vorwärts in das Reich der Theorie, wo nicht eintreten, doch einblicken könne. Der Philosoph ist geborgen. denn er nimmt aus des Physikers Hand ein Letztes, das bei ihm nun ein Erstes wird. Er bekümmert sich nun mit Recht nicht mehr um die Erscheinung, wenn man darunter das Abgeleitete versteht, wie man es entweder schon wissenschaftlich zusammengestellt findet, oder wie es gar in empirischen Fällen zerstreut und verworren vor die Sinne tritt. Will er ja auch diesen Weg durchlaufen und einen Blick ins einzelne nicht verschmähen, so tut er es mit Bequemlichkeit, anstatt daß er bei anderer Behandlung sich entweder zu lange in den Zwischenregionen aufhält, oder sie nur flüchtig durchstreift, ohne sie genau kennen zu lernen.


Die wundersame Erfahrung, daß ein Sinn an die Stelle des andern einrücken und den entbehrten vertreten könne, wird uns eine naturgemäße Erscheinung, und das innigste Geflecht der verschiedensten Systeme hört auf, als Labyrinth den Geist zu verwirren.]
Urphänomene: ideal, real, symbolisch, identisch.


Abstraktion und Experimente am eigenen Organismus. Beide sind wichtige Zweige der physikalischen Kunst überhaupt und fordern eine eigene Richtung der Aufmerksamkeit, eine eigene und methodische Folge von Abhärtungen, Übungen und Fertigkeiten. Es gibt Gegenstände der Naturforschung, die nur auf diesem Wege eruiert werden können, von denen wir außerdem kaum eine Ahnung hätten.
Empirie: unbegrenzte Vermehrung derselben, Hoffnung der Hilfe daher, Verzweiflung an Vollständigkeit.


[Wir wünschen dem Verfasser Glück, daß er die Disposition, dieses Geschäft zu unternehmen und auf den hohen Grad durchzuführen, von der Natur empfangen, und erfreuen uns an der Versicherung, daß diese anhaltenden und bedenklichen Versuche seinem Organ keineswegs geschadet und daß er auch im ethischen Sinne sich auf alle Weise diesem Unternehmen gewachsen erzeigt. «Man muß tüchtig geboren sein, um ohne Kränklichkeit auf sein Inneres zurück zu gehen.» Gesundes Hineinblicken in sich selbst, ohne sich zu untergraben; nicht mit Wahn und Fabelei, sondern mit reinem Schauen in die unerforschte Tiefe sich wagen, ist eine seltene Gabe, aber auch die Resultate solcher Forschung für Welt und Wissenschaft ein seltenes Glück.
Urphänomen:


Wir danken dem Verfasser für seine kühne und wichtige Arbeit, eben wie wir das Verdienst trefflicher Reisenden anerkennen, welche jede Art von Entbehrung und Not übernehmen, um uns dadurch einer gleichen Mühe und Qual zu überheben. Nicht ein jeder hat nötig, diese Versuche persönlich zu wiederholen, wie sich der wunderliche Wahn gerade im Physischen eingeschlichen hat, daß man alles mit eignen Augen sehen müsse, wobei man nicht bedenkt, daß man die Gegenstände auch mit eignen Vorurteilen sieht. Nichts aber ist nötiger, als daß man lerne, eigenes Tun und Vollbringen an das anzuschließen, was andere getan und vollbracht haben. das Produktive mit dem Historischen zu verbinden.
ideal als das letzte Erkennbare,  
real als erkannt,  
symbolisch, weil es alle Fälle begreift,  
identisch mit allen Fällen.


Damit nun gerade dieses Büchlein um so mehr Zutrauen finde, so wollen wir, ohne die Anmaßung, des Verfassers Arbeiten eigner Prüfung zu unterwerfen, vielmehr das, worin wir, durch identische und analoge Erfahrungen geleitet, mit ihm völlig übereinstimmen, auf eine Weise hinzufügen, welche wir dem Zweck am vorteilhaftesten glauben.]
Der Magnet ist ein Urphänomen, das man nur aussprechen darf, um es erklärt zu haben; dadurch wird es dann auch ein Symbol für alles übrige, wofür wir keine Worte noch Namen zu suchen brauchen.


Seite 9. Ich habe einiges hierher Gehörige gefunden, was mir neu scheint oder was wenigstens von mir mehr als anderswo ins einzelne verfolgt wurde.
Das Eisen kennen wir als einen besondern, von andern unterschiedenen Körper; aber es ist ein gleichgültiges, uns nur in manchem Bezug und zu manchem Gebrauch merkwürdiges Wesen. Wie wenig aber bedarf es, und die Gleichgültigkeit dieses Körpers ist aufgehoben. Eine Entzweiung geht vor, die, indem sie sich wieder zu vereinigen strebt und sich selbst aufsucht, einen gleichsam magischen Bezug auf ihresgleichen gewinnt und diese Entzweiung, die doch nur wieder eine Vereinigung ist, durch ihr ganzes Geschlecht fortsetzt. Hier kennen wir das gleichgültige Wesen, das Eisen; wir sehen die Entzweiung an ihm entstehen, sich fortpflanzen und verschwinden, und sich leicht wieder aufs neue erregen - nach unserer Meinung ein Urphänomen, das unmittelbar an der Idee steht und nichts Irdisches über sich erkennt.


Seite 10. Für jetzt beschränke ich mich nur auf den Gesichtssinn.
Merken wir ja darauf, unter den Phänomenen ist ein großer Unterschied: das Urphänomen, das reinste, widerspricht sich nie in seiner ewigen Einfalt; das abgeleitete erduldet Stockungen, Friktionen und überliefert uns nur Undeutlichkeiten.


[Indem ein Naturfreund, der sich um alle Sinne bekümmert, sich auf einen Sinn beschränkt, wird er sich aufklärender Andeutungen ins Allgemeine nicht enthalten können, er wird nach mehreren Seiten hinweisen, und das Entferntscheinende zu verknüpfen suchen. Daß er zuerst aus dem Gesichtssinne herauswirkt und ihn für diesmal zum Mittelpunkt der übrigen macht, ist mir um so viel erfreulicher, weil es auch gerade derjenige Sinn ist, durch welchen ich die Außenwelt am vorzüglichsten ergreife.]
Bei denn Urphänomen zu verweilen und sich an demselben mit verehrender Resignation zu begnügen ist oft angeraten worden. Allein da tritt uns die neue Schwierigkeit entgegen, wo ruht denn eigentlich das Urphänomen, daß wir unsere Forschung dabei könnten beruhen lassen? Wir antworten darauf: in der allgemeinen Naturlehre sind die Urphänomene wohl zu finden, in der besondern sie zu bezeichnen möchte schwer werden.


Seite 10. Die Licht-Schattenfigur des Auges.
Unsere Meinung ist: daß es dem Menschen gar wohl gezieme, ein Unerforschliches anzunehmen, daß er dagegen aber seinem Forschen keine Grenze zu setzen habe; denn wenn auch die Natur gegen den Menschen im Vorteil steht und ihm manches zu verheimlichen scheint, so steht er wieder gegen sie im Vorteil, daß er, wenn auch nicht durch sie durch, doch über sie hinaus denken kann. Wir sind aber schon weit genug gegen sie vorgedrungen, wenn wir zu den Urphänomenen gelangen, welche wir in ihrer unerforschlichen Herrlichkeit von Angesicht zu Angesicht anschauen, und uns sodann wieder rückwärts in die Welt der Erscheinungen wenden, wo das in seiner Einfalt Unbegreifliche sich in tausend und aber tausend mannigfaltigen Erscheinungen bei aller Veränderlichkeit unveränderlich offenbart.


[Hier gleich beim Eintritt begrüßen wir den Verfasser aufs freundlichste, beteuernd vollkommene Übereinstimmung mit seinen Ansichten, Einklang mit seiner Methode, Zusammentreffen mit Ziel und Zweck.
Vor den Urphänomenen, wenn sie unseren Sinnen enthüllt erscheinen, fühlen wir eine Art von Scheu, bis zur Angst. Die sinnlichen Menschen retten sich ins Erstaunen; geschwind aber kommt der tätige Kuppler Verstand und will auf seine Weise das Edelste mit dem Gemeinsten vermitteln.


Auch wir betrachten Licht und Finsternis als den Grund aller Chroagenesie, sind überzeugt, daß alles, was innen ist, auch außen sei und daß nur ein Zusammentreffen beider Wesenheiten als Wahrheit gelten dürfe.]
Das unmittelbare Gewahrwerden der Urphänomene versetzt uns in eine Art von Angst, wir fühlen unsere Unzulänglichkeit, nur durch das ewige Spiel der Empirie belebt erfreuen sie uns.


Seite 11. Ich stelle mich mit geschlossenen Augen in heilen Sonnenschein, das Angesicht senkrecht gegen die Sonne. Nun fahre ich mit gestreckten, etwas auseinandergehaltenen Fingern vor den Augen hin und her, daß sie abwechselnd beschattet und beleuchtet werden. Auf dem sonst bei der bloßen Schließung der Augenlider vorhandenen gleichmäßig gelbroten Gesichtsfelde erscheint nun eine schöne, regelmäßige Figur, die sich jedoch anfangs sehr schwer fixieren und näher bestimmen läßt, bis man sich nach und nach in ihr mehr orientiert.
Wenn ich mich beim Urphänomen zuletzt beruhige, so ist es doch auch nur Resignation; aber es bleibt ein großer Unterschied, ob ich mich an den Grenzen der Menschheit


[Da ich bei vieljähriger Forschung über die innigste Entstehung und über das ausgebreitete Erscheinen der Farbenwelt meine Augen nicht geschont, so sind mir manche Phänomene, welche der Verfasser deutlich entwickelt und in Ordnung aufstellt, jedoch nur zufällig und wankend vorgekommen. Auch gegenwärtig, da ich diesem edlen Sinn nichts Außerordentliches mehr zumuten darf, finde ich mich keineswegs berufen, dergleichen Versuche abermals vorzunehmen und durch eigne Erfahrungen zu bestätigen, sondern beruhige mich gern bei seinem glaubwürdigen zusammenhängenden Vortrag. Da jedoch, wie er selbst versichert und ich auch überzeugt bin, diese Phänomene als allgemeine Bedingung des Sehens zu betrachten sind, so wird es an Personen nicht fehlen, die dergleichen entweder schon gewahr geworden oder in der Folge sie zufällig, vielleicht auch vorsätzlich gewahr werdend, diese so schön sich ausbildende Lehre immer mehr sicherstellen.
resigniere oder innerhalb einer hypothetischen Beschränktheit meines bornierten Individuums.


Und so können wir denn auch vorläufig gedenken, daß der rühmlich bekannte Hofkupferstecher, Herr Schwerdgebürth, gleichfalls ein empfängliches Auge hat, dergleichen Erscheinungen leicht und öfters gewahr zu werden. Sie setzten ihn sonst in Furcht, als ob das einem jeden und ihm besonders höchst werte Organ dadurch gefährdet sei. Nun aber nahm er teil an den beruhigenden Purkinjeschen Erfahrungen, er zeichnete die Phänomene, wie sie ihm gewöhnlich vorschweben. Ich habe das Blatt zu gelegentlicher Vergleichung der Purkinieschen Tafel beigesellt.]
Nicht alles Wünschenswerte ist erreichbar, nicht alles Erkennenswerte erkennbar.


Seite 37. Nun sei mir erlaubt, die Analogie der dargestellten Phänomene mit anderen Naturerscheinungen aufzuzeigen. Solange eine Beobachtung im Reiche der Naturkunde isoliert steht, solange sie nicht in mehrfache Beziehungen zu andern mehr oder weniger wichtigen Erfahrungen und Anwendungen gekommen ist und durch Einwirken in das übrige System eine Art Charakter und Rang erworben hat, ist sie immer in Gefahr, längere Zeit ganz unbeachtet zu bleiben, oder wenn sie sich anfangs durch eine neue Erscheinungsweise aufgedrungen hat, wieder in Vergessenheit zu geraten. Nur wenn im ununterbrochenen Entwickelungsgange des Wissens die ihr nächst verwandten Gegenstände mehrfach auf sie deuten und sie endlich in die ihr gebührende Stelle aufnehmen, erst dann wird sie, in dem ihr zukommenden Lichte der Wissenschaft stehen, um nie wieder in die Finsternis der Verborgenheit zurückzukehren.
Je weiter die Erfahrung fortrückt, desto näher kommt man dem Unerforschlichen; je mehr man die Erfahrung zu nutzen weiß, desto mehr sieht man, daß das Unerforschliche keinen praktischen Wert hat.


[Wir sagen dem Verfasser aufrichtigen Dank, daß er diese köstlichen Worte so frei und treulich ausspricht; ohne Befolgung des Sinnes derselben blüht kein Heil in unserer Wissenschaft.
Das schönste Glück des denkenden Menschen ist, das Erforschliche erforscht zu haben und das Unerforschliche ruhig zu verehren.


Zwei Behandlungsarten dagegen sind zu Hindernis und Verspätung die traurigsten Werkzeuge: entweder man nähert und verknüpft himmelweit entfernte Dinge in düsterer Phantasie und witziger Mystik; oder man vereinzelt das Zusammengehörige durch zersplitternden Unverstand, bemüht sich, nahverwandte Erscheinungen zu sondern, jeder ein eigen Gesetz unterzulegen, woraus sie zu erklären sein soll.
Derjenige, der sich mit Einsicht für beschränkt erklärt, ist der Vollkommenheit am nächsten.


Fern bleibe von uns dieses falsche Beginnen, halten wir aber um desto mehr zusammen, weil wir es andern keineswegs untersagen können.]
Die wahre Vermittlerin ist die Kunst. Über Kunst sprechen heißt die Vermittlerin vermitteln wollen, und doch ist uns daher viel Köstliches erfolgt.


Seite 38. Die beschriebenen Figuren im Innern des Auges wecken in mir unwiderstehlich die Erinnerung an die Chladnischen Klangfiguren, und zwar vorzüglich an ihre primäre Form. Ich unterscheide nämlich bei diesen, ebenso wie ich oben die verschiedenen Ordnungen der Würfelfelder als primäre, die aus ihrer wechselseitigen Beschränkung entstehenden Linien als sekundäre Formen unterschied, auch bei den Chladnischen Figuren primäre und sekundäre Gestaltungen. Die ersteren werden durch die bewegten Stellen des tönenden Körpers, die andern durch die ruhenden konstituiert. Mit letzteren hat sich vorzüglich Chladni beschäftigt.
Es ist mit den Ableitungsgründen wie mit den Einteilungsgründen, sie müssen durchgehen oder es ist gar nichts dran.


[Wenn wir vorher im Allgemeinen mit dem Verfasser vollkommen übereinstimmten, so freuen wir uns gar sehr, in besonderer Anwendung gleichfalls mit ihm zusammenzutreffen.
Auch in Wissenschaften kann man eigentlich nichts wissen, es will immer getan sein.


Im dritten Hefte unserer Mitteilungen zur Naturlehre Seite 805 konnten wir, bei Behandlung der entoptischen Erscheinungen, uns nicht enthalten, sie den Chladnischen Tonfiguren zu vergleichen. Da wir nun die große Ähnlichkeit beider ausgesprochen, so geben wir gern zu, daß im Auge ein Analogon vorgehe, und wir drücken uns darüber folgendermaßen aus: alles, was den Raum füllt, nimmt, insofern es solidesziert, sogleich eine Gestalt an; diese regelt sich mehr oder weniger und hat gegen die Umgebung gleiche Bezüge mit andern gleichgestalteten Wesen. Wenn nun die Chladnischen Figuren nach eingewirkter Bewegung erst schweben, beben, oszillieren und dann sich beruhigen, so zeigt der entoptische Kubus gleiche Empfindlichkeit gegen die Wirkung des Lichts und die atmosphärische Gegenwirkung.
Alles wahre Aperçu kommt aus einer Folge und bringt Folge. Es ist ein Mittelglied einer großen, produktiv aufsteigenden Kette.


Wagen wir noch einen Schritt und sprechen: das entoptische Glas, welches wir ja auch als Linse darstellen können, vergleicht sich dem Auge; es ist ein feingetrübtes Wesen, sensibel für direkten und obliquen Widerschein, und zugleich für die zartesten Übergänge empfindlich. Die Acht- Figur im Auge deutet auf das Ähnliche; sie zeigt ein organisches Kreuz, welches hervorzubringen Hell und Dunkel abwechseln müssen. Noch nähere Verhältnisse werden sich entdecken.]
Die Wissenschaft hilft uns vor allein, daß sie das Staunen, wozu wir von Natur berufen sind, einigermaßen erleichtere; sodann aber, daß sie dem immer gesteigerten Leben neue Fertigkeiten erwecke zu Abwendung des Schädlichen und Einleitung des Nutzbaren.


Seite 43. Überall, wo entgegengesetzte, kontinuierlich wirkende Kräfte einander beschränken, entsteht im Wechselsiege der einen über die andere Periodismus in der Zeit, Oszillation im Raume; jener als Vorherrschen der einen Kraft über die andere in verschiedenen Momenten, diese wegen Überwiegen der einen und Zurücktreten der andern an verschiedenen Orten, so daß auch bei einer scheinbaren äußeren Ruhe dennoch die innigste Bewegung in und zwischen den Begrenzungspunkten stattfinden kann.
Man klagt über wissenschaftliche Akademien, daß sie nicht frisch genug ins Leben eingreifen: das liegt aber nicht an ihnen, sondern an der Art, die Wissenschaften zu behandeln, Überhaupt.


Seite 92. Die Blendungsbilder.
Wir leben in einer Zeit, wo wir uns täglich mehr angeregt fühlen, die beiden Welten, denen wir angehören, die obere und die untere, als verbunden zu betrachten, das Ideelle im Reellen anzuerkennen und unser jeweiliges Mißbehagen mit dem Endlichen durch Erhebung ins Unendliche zu beschwichtigen. Die großen Vorteile, die dadurch zu gewinnen sind, wissen wir unter den mannigfaltigsten Umständen zu schätzen und sie besonders auch den Wissenschaften und Künsten mit kluger Tätigkeit zuzuwenden.


Es ist ein unabweisbarer Glaube des Naturforschers, daß einer jeden Modifikation des Subjektiven innerhalb der Sinnensphäre jedesmal eine im Objektiven entspreche. Gewiß sind die Sinne die feinsten und erregbarsten Messer und Reagenten der ihnen gehörigen Qualitäten und Verhältnisse der Materie [Hört!], und wir müssen innerhalb des individuellen Kreises des Organismus ebenso die Gesetze der materiellen Welt erforschen wie der Physiker äußerlich durch mannigfaltigen Apparat.
Nachdem wir uns nun zu dieser Einsicht erhoben, so sind wir nicht mehr in dem Falle, bei Behandlung der Naturwissenschaften die Erfahrung der Idee entgegen zu setzen, wir gewöhnen uns vielmehr die Idee in der Erfahrung aufzusuchen, überzeugt, daß die Natur nach Ideen verfahre, ingleichen daß der Mensch in allem, was er beginnt, eine Idee verfolge. Wobei denn freilich zu bedenken ist, daß die Idee in ihrem Entspringen und ihrer Richtung vielfach erscheint und in diesem Sinne als von verschiedenem Werte geachtet werden könne.


Könnte das Subjektive alle Materie so innig oder noch inniger durchdringen, wie es die Nervenmasse durchdrungen hält, so würden wahrscheinlich unzählbare neue, höchst zarte Modifikationen derselben zur Erscheinung kommen, von denen man es jetzt kaum wagen möchte, eine Ahnung zu fassen.
Hier aber werden wir vor allen Dingen bekennen und aussprechen, daß wir mit Bewußtsein uns in der Region befinden, wo Metaphysik und Naturgeschichte übereinandergreifen, also da, wo der ernste, treue Forscher am liebsten verweilt. Denn hier wird er durch den Zudrang grenzenloser Einzelheiten nicht mehr geängstigt, weil er den hohen Einfluß der einfachsten Idee schätzen lernt, welche auf die verschiedenste Weise Klarheit und Ordnung dem Vielfältigsten zu verleihen geeignet ist.


Seite 103. Das Blendungsgebild verhält sich gegen das äußere Licht wie ein trübes Mittel, was aber in gehöriger Finsternis selbst leuchtend ist.
Indern nun der Naturforscher sich in dieser Denkweise bestärkt, im höheren Sinne die Gegenstände betrachtet, so gewinnt er eine Zuversicht und kommt dadurch dem Erfahrenden entgegen, weicher nur mit gemessener Bescheidenheit ein Allgemeines anzuerkennen sich bequemt.


[Hier, wo die Blendungsbilder zur Sprache kommen, ist wohl billig, dessen zu gedenken, was ich hierüber in meinem Entwurf der Farbenlehre, und zwar in dessen erster Abteilung durchaus, besonders aber § 23 und so fort von gesunden Augen, § 121 und so weiter aber von krankhaften umständlich angezeigt habe.]
Er tut wohl, das Hypothese zu nennen, was schon gegründet ist; mit desto mehr freudiger Überzeugung findet auch er, daß hier ein wahres Übereintreffen stattfindet. Er fühlt es, wie wir es auch seinerzeit empfunden haben.


Seite 145. Einheit beider Gesichtsfelder. Doppelsehen.
Im Gefolg hievon wird sich nun keine Spur von Widerstreit hervortun, nur eine Ausgleichung geringer Differenzen wird sich hie und da nötig machen, und beide Teile werden sich eines gemeinsamen Erfolges zu erfreuen haben.


[Aus eigner Erfahrung kann ich folgendes anführen und vorschlagen. Man nehme irgendein Rohr vor das eine Auge und schaue damit, indem man das andere offen behält, gegen einen Stern, so wird man ihn nur einfach erblicken. Nun ,wende man das Rohr von dem Stern ab, so wird derselbe dem freien Auge gleichfalls einfach erscheinen. Nun führe man das Rohr sachte gegen den Stern zu, und es wird derselbe auch am Rande des Gesichtsfeldes abermals und also doppelt erscheinen. Wenn man diese Operation vorsichtig macht, so kann man das doppelte Bild ziemlich weit voneinander bringen und in das Gesichtsfeld des Rohres auffassen, wobei man in dem Wahne steht, man sehe sie beide wirklich durch das Rohr. Es dauert aber nicht lange, so ziehen sie gegeneinander und decken sich. Schließt man zur Zeit, wo man den Stern doppelt durchs Rohr zu sehen glaubt, das äußere Auge, so verschwindet ganz natürlich die Doppelerscheinung, und nur der eine Stern ist sichtbar.
Bei allem nun hat der treue Forscher sich selbst zu beobachten und zu sorgen, daß, wie er die Organe bildsam sieht, er sich auch die Art zu sehen bildsam erhalte, damit er nicht überall schroff bei einerlei Erklärungsweise verharre, sondern in jedem Falle die bequemsten der Ansicht, dem Anschauen analogste zu wählen verstehe.


Da ich von Jugend auf meine Augen sehr leicht in den Zustand des Schielens versetzen kann, so ergötze ich mich manchmal an folgendem Phänomen. Ich stellte eine Kerze vor mich hin, und die Augen ins Schielen gewendet, sah ich zwei, welche ich, solange mir beliebte, auseinander halten konnte. Nun aber nahm ich zwei Kerzen und sah daher, sie anschreiend, vier. Diese konnte ich jedoch nicht auseinander halten, denn die zwei mittlern bewegten sich gegeneinander und deckten sich gar bald, so daß ich nunmehr drei sah, deren Beschauung ich nach Belieben verlängern konnte.]
Betrachten wir unserem nächsten Zwecke gemäß vor allem den Gewinn, weichen das Studium der organischen Wesen davon sich zueignet. Unser ganzes Geschäft ist nun, die einfachste Erscheinung als die mannigfaltigste, die Einheit als Vielheit zu denken. Schon früher sprachen wir getrost den Satz aus: alles Lebendige als ein solches ist schon ein Vieles, und mit diesen Worten glauben wir der Grundforderung des Denkens über diese Gegenstände genugzutun.


Seite 149. Ich denke mir die Möglichkeit dieser Erscheinung auf folgende Weise. jedes Auge kann, solange das Bewußtsein ganz in dessen besondere Begrenztheit versunken ist, als ein eigenes Individuum genommen werden, welches, in Beziehung auf die Außenwelt, sein Vornen, Oben und Unten, sein Links und Rechts hat. Dasselbe gilt von dem Tastsinne. Alle diese Begriffe aber sind relativ und gelten nur in Rücksicht des Subjekts und seines räumlichen Verhältnisses zum Objekte.
Dieses viele in einem sukzessiv und als eine Einschachtelung zu denken ist eine unvollkommene und der Einbildungskraft wie dem Verstand nicht gemäße Vorstellung, aber eine Entwicklung im höheren Sinne müssen wir zugeben: das viele im einzelnen, am einzelnen, und es setzt uns nicht mehr in Verlegenheit, wenn wir uns folgendermaßen ausdrücken: das untere Lebendige sondere sich vom Lebendigen, das höhere Lebendige gliedere sich am Lebendigen, und da wird ein jedes Glied ein neues Lebendige.


[Das räumliche Verhältnis des Subjekts zum Objekte ist durchaus von der größten Bedeutung. Hierher gehört das Phänomen, daß eine Erbse zwischen kreuzweis gelegten Fingern einer Hand doppelt empfunden wird, und fällt diese Erscheinung mit dem Schielen völlig zusammen. Nun hat jeder Finger sein Rechts und Links, sein Hüben und Drüben, welches zugleich der ganzen Hand angehört. Wenn also der eine Finger die Kugel an der linken Seite fühlt, der andere aber an der rechten Seite, so ist es keine Täuschung, sondern es deutet ganz eigentlich konsequente Bildung des Subjekts zum Objekt an, ohne welche das erstere letzteres keineswegs fassen, noch mit ihm in Verbindung treten könnte.
Andere Anordnungen jedoch, die auf gewissen Teilen und Kennzeichen beruhend aus jener Art, die Sache zu nehmen, hervorgingen, konnten sich auch nicht erhalten, bis man endlich immer weiter zurück auf die ersten und ursprünglichen Organe zu gelangen trachtete und die Pflanze, wo nicht vor ihrer Entwicklung, doch wenigstens im Augenblick ihrer Entwicklung zu fassen anfing und nun fand, daß die ersten Organe derselben entweder nicht zu bemerken waren oder doppelt, einfach und mehr erschienen.


Eine unnatürliche Richtung gegen die Außenwelt anderer Art ist auch hier, da besonders vom subjektiven Sehen die Rede ist, zu bemerken. wenn man auf einer Höhe stehend bei klarem Himmel einen weiten Gesichtskreis übersieht, so blicke man alsdann niedergebückt durch die Füße oder lehne sich über irgendeine Erderhöhung hinterwärts und schaue so, in beiden Fällen gleichsam auf dem Kopf stehend, nach der Gegend, so wird man sie in der allerhöchsten Farbenpracht erblicken, wie nur auf dem schönsten Bilde des geübtesten, trefflichsten Malers, übrigens nicht etwa umgekehrt, sondern völlig wie beim aufrechten Stande, nur glaub' ich mich zu erinnern, etwas in die Breite gezogen.]
Hier war man nun bei der großen Konsequenz der Natur auf dem rechten Wege, denn wie ein Wesen in seiner Erscheinung beginnt, so schreitet es fort und endigt auf gleiche Weise.


Seite 166. Das Nachbild. Imagination. Gedächtnis des Gesichtsinnes.
Hier mußte nun um so mehr gelingen, einen sichern Grund zu legen, als zwar die eminenten, in die Augen fallenden Glieder zur Einteilung und Ordnung einigen Anlaß geben, die Urglieder jedoch den besondern Vorteil haben, daß bei Beachtung derselben die Geschöpfe gleich in große Massen zerfallen, auch ihre Eigenschaften und Bezüge gründlicher anerkannt werden, wie denn in der neueren Zeit zum Vorteil der Wissenschaft ununterbrochen geschehen ist.


Seite 167. Das Nachbild ist genau von dem Blendungsbilde zu unterscheiden. Das Nachbild wird nur durch freie Tätigkeit längere Zeit festgehalten und verschwindet, sobald der Wille nachläßt, kann aber von demselben wieder hervorgerufen werden;, das Blendungsbild schwebt unwillkürlich dem Sinne vor, verschwindet und erscheint wieder aus objektiven Gründen.
Es ist ein großer Unterschied, ob ich mich aus dem Hellen ins Dunkle, oder aus dem Dunklen ins Helle bestrebe; ob ich, wenn die Klarheit mir nicht mehr zusagt, mich mit einer gewissen Dämmerung zu umhüllen trachte, oder ob ich in der Überzeugung, daß das Klare auf einem tiefen, schwer erforschten Grund ruhe, auch von diesem immer schwer auszusprechenden Grunde das Mögliche mit heraufzunehmen bedacht bin. Ich halte daher immer für vorteilhafter: der Naturforscher bekenne sogleich, daß er in einzelnen Fällen es zugibt, wo das Verschweigen nur allzudeutlich hervortritt.


Seite 168. Besonders lebhaft ist das Nachbild bei erhöhter Seelentätigkeit, das Blendungsbild hingegen pflegt bei nervöser Stimmung in asthenischern Zustande länger nachzuhalten und verschwindet desto schneller, je energischer das Organ vorn Leben durchströmt wird.
Es ward von uns oben angedeutet, es müsse in dem Geiste eines wahren Naturforschers sich immerfort wechselsweise wie eine sich im Gleichgewicht bewegende Systole und Diastole ereignen, aber wir wollen nur gestehen genau bemerkt zu haben, daß die Analyse der Synthese und umgekehrt diese jener hinderlich ist, in, dem Grad daß eine die andere auszuschließen scheint.


Seite 169. Ich glaube, daß man durch Übung, indem man, nach ergreifender Anschauung des Gegenstandes, das Nachbild immer länger und inniger festhielte, dasselbe wohl der den Sinn belangenden Realität des Urbildes nahe bringen könnte, welche Übung als Vorbildung des Gedächtnisses und der Einbildungskraft nicht unwichtig sein dürfte.
Dieses ins klare zu setzen, wäre für den Psychologen keine geringe Aufgabe, die, insofern es möglich wäre, gelöst beide Parteien über sich selbst aufklären und zu einer Versöhnung, vielleicht gar zu geselliger Mitarbeit die Einleitung geben könnte.


Seite 170: Zunächst diesem ließe sich behaupten, daß Gedächtnis und Einbildungskraft in den Sinnesorganen selbst tätig sind und daß jeder Sinn sein ihm eigentümlich zukommendes Gedächtnis und Einbildungskraft besitze, die als einzelne begrenzte Kräfte der allgemeinen Seelenkraft unterworfen sind.
Weimar, den 3.November 1831


[Von der Produktivität solcher innern, vor die Augen gerufenen Bilder bliebe mir manches zu erzählen. Ich hatte die Gabe, wenn ich die Augen schloß und mit niedergesenktem Haupte mir in der Mitte des Sehorgans eine Blume dachte, so verharrte sie nicht einen Augenblick in ihrer ersten Gestalt, sondern sie legte sich auseinander, und aus ihrem Innern entfalteten sich wieder neue Blumen aus farbigen, auch wohl grünen Blättern; es waren keine natürlichen Blumen, sondern phantastische, jedoch regelmäßig wie die Rosetten der Bildhauer. Es war unmöglich, die hervorquellende Schöpfung zu fixieren, hingegen dauerte sie so lange, als mir beliebte, ermattete nicht und verstärkte sich nicht. Dasselbe könnt' ich hervorbringen, wenn ich mir den Zierat einer bunt gemalten Scheibe dachte, welcher denn ebenfalls aus der Mitte gegen die Peripherie sich immerfort veränderte, völlig wie die in unsern Tagen erst erfundenen Kaleidoskope. Ich erinnere mich nicht, inwiefern bei dieser regelmäßigen Bewegung eine Zahl zu bemerken gewesen, vermutlich aber bezog sie sich auf den Acht-Strahl, denn nicht weniger Blätter hatten die oben gemeldeten Blumen. Mit andern Gegenständen fiel mir nicht ein, den Versuch zu machen; warum aber diese bereitwillig von selbst hervortraten, mochte darin liegen, daß die vieljährige Betrachtung der Pflanzenmetamorphose, sowie nachheriges Studium der gemalten Scheiben, mich mit diesen Gegenständen ganz durchdrungen hatte; und hier tritt hervor, was Herr Purkinje so bedeutend anregt. Hier ist die Erscheinung des Nachbildes, Gedächtnis, produktive Einbildungskraft, Begriff und Idee alles auf einmal im Spiel und manifestiert sich in der eignen Lebendigkeit des Organs mit vollkommener Freiheit ohne Vorsatz und Leitung.
An allen Körpern, die wir lebendig nennen, bemerken wir die Kraft, ihresgleichen hervorzubringen.


Hier darf nun unmittelbar die höhere Betrachtung aller bildenden Kunst eintreten; man sieht deutlicher ein, was es heißen wolle, daß Dichter und alle eigentliche Künstler geboren sein müssen. Es muß nämlich ihre innere produktive Kraft jene Nachbildet, die im Organ, in der Erinnerung, in der Einbildungskraft zurückgebliebenen Idole freiwillig ohne Vorsatz und Wollen lebendig hervortun, sie müssen sich entfalten, wachsen, sich ausdehnen und zusammenziehn, um aus flüchtigen Schemen wahrhaft gegenständliche Wesen zu werden. «Wie besonders die Alten mit diesen Idolen begabt gewesen sein müssen, läßt sich aus Demokrits Lehre von den Idolen schließen. Er kann nur aus der eigenen lebendigen Erfahrung seiner Phantasie darauf gekommen sein.» Je größer das Talent, je entschiedener bildet sich gleich anfangs das zu produzierende Bild. Man sehe Zeichnungen von Raffael und Michelangelo, wo auf der Stelle ein strenger Umriß das, was dargestellt werden soll, vorn Grunde loslöst und körperlich einfaßt. Dagegen werden spätere, obgleich treffliche Künstler auf einer Art von Tasten ertappt; es ist öfters, als wenn sie erst durch leichte, aber gleichgültige Züge aufs Papier ein Element erschaffen wollen, woraus nachher Kopf und Haar, Gestalt und Gewand und was sonst noch wie aus dem Ei das Hühnchen sich bilden solle. Von noch spätern Künstlern finden sich wunderbare Beispiele. Ich besitze eine verdienstvolle Federzeichnung, wo, bei Anbetung der Hirten, Mutter und Kind, Joseph und die Schäfer, ja Ochs und Esel, doppelt und dreifach durcheinander spielen. Doch muß man gestehen, daß ein geistreicher Künstler, mit Geschmack bei dieser Gelegenheit verfahren und den vorschwebenden Traum so gut als möglich zu fixieren gesucht. Und so wird sich immer die Entschiedenheit des eingebornen Talents gegen die Velleität eines Dilettanten beweisen, und man sieht daher, wie höchst recht jene Kunstlehrer haben, welche das Skizzieren verwerfen und den scharfen Federumriß einer weichlichen Kreidezeichnung vorziehen. Alles kommt darauf an, das Eigenleben des Auges und der korrepondierenden Finger zu der entschiedensten verbündeten Wirksamkeit heranzusteigern.]
Wenn wir diese Kraft geteilt gewahr werden, bezeichnen wir sie unter dem Namen der beiden Geschlechter.
 
Diese Kraft ist diejenige welche alle lebendigen Körper miteinander gemein haben, da sonst ihre Art zu sein sehr verschieden ist.
 
=== Poetische Metamorphosen ===
 
Phantasie ist der Natur viel näher als die Sinnlichkeit, diese ist in der Natur, jene schwebt über ihr. Phantasie ist der Natur gewachsen, Sinnlichkeit wird von ihr beherrscht.
 
Frühste lebhafte tüchtige Sinnlichkeit finden wir immer sich zur Phantasie erhebend. Sogleich wird sie produktiv, anthropomorphisch. Felsen und Ströme sind von Halbgöttern belebt, Untergötter endigen unterwärts in Tiere: Pan, Faune, Tritone. Götter nehmen Tiergestalt an, ihre Absichten zu erfüllen. Welche Fabeln sind die ältesten dieser Art?
 
Bei Ovid ist die Analogie der tierischen und menschlichen Glieder im Übergang trefflich ausgedrückt. Dante hat eine höchst merkwürdige Stelle dieser Art.

Version vom 3. Juni 2009, 23:24 Uhr

Urphänomen

Das was wir in der Erfahrung gewahr worden, sind meistens nur Fälle, weiche sich mit einiger Aufmerksamkeit unter allgemeine empirische Rubriken bringen lassen. Diese subordinieren sich abermals unter wissenschaftliche Rubriken, welche weiter hinaufdeuten, wobei uns gewisse unerläßliche Bedingungen des Erscheinenden näher bekannt werden. Von nun an fügt sich alles nach und nach unter höhere Regeln und Gesetze, die sich aber nicht durch Worte und Hypothesen dem Verstande, sondern gleichfalls durch Phänomene dem Anschauen offenbaren. Wir nennen sie Urphänomene, weil nichts in der Erscheinung über ihnen liegt, sie aber dagegen völlig geeignet sind, daß man stufenweise, wie wir vorhin hinaufgestiegen, von ihnen herab bis zu dem gemeinsten Falle der täglichen Erfahrung niedersteigen kann. Ein solches Urphänomen ist dasjenige, das wir bisher dargestellt haben. Wir sehen auf der einen Seite das Licht, das Helle, auf der andern die Finsternis, das Dunkle, wir bringen die Trübe zwischen beide, und aus diesen Gegensätzen, mit Hilfe gedachter Vermittlung, entwickeln sich, gleichfalls in einem Gegensatz, die Farben, deuten aber alsbald, durch einen Wechselbezug, unmittelbar auf ein Gemeinsames wieder zurück.

In diesem Sinne halten wir den in der Naturforschung begangenen Fehler für sehr groß, daß man ein abgeleitetes Phänomen an die obere Stelle, das Urphänomen an die niedere Stelle setzte, ja sogar das abgeleitete Phänomen wieder auf den Kopf stellte und an ihm das Zusammengesetzte für ein Einfaches, das Einfache für ein Zusammengesetztes gelten ließ; durch welches Hinterstzuvörderst die wunderlichsten Verwicklungen und Verwirrungen in die Naturlehre gekommen sind, an welchen sie noch leidet.

Wäre denn aber auch ein solches Urphänomen gefunden, so bleibt immer noch das Übel, daß man es nicht als ein solches anerkennen will, daß wir hinter ihm und über ihm noch etwas weiteres aufsuchen, da wir doch hier die Grenze des Schauens eingestehen sollten. Der Naturforscher lasse die Urphänomene in ihrer ewigen Ruhe und Herrlichkeit dastehen, der Philosoph nehme sie in seine Region auf, und er wird finden, daß ihm nicht in einzelnen Fällen, allgemeinen Rubriken, Meinungen und Hypothesen, sondern im Grund- und Urphänomen ein würdiger Stoff zu weiterer Behandlung und Bearbeitung überliefert werde.

Das Schlimmste, was der Physik, sowie mancher andern Wissenschaft widerfahren kann, ist, daß man das Abgeleitete für das Ursprüngliche hält, und da man das Ursprüngliche aus Abgeleitetem nicht ableiten kann, das Ursprüngliche aus dem Abgeleiteten zu erklären sucht. Dadurch entsteht eine unendliche Verwirrung, ein Wortkram und eine fortdauernde Bemühung, Ausflüchte zu suchen und zu finden, wo das Wahre nur irgend hervortritt und mächtig werden will.

Indem sich der Beobachter, der Naturforscher auf diese Weise abquält, weil die Erscheinungen der Meinung jederzeit widersprechen, so kann der Philosoph mit einem falschen Resultate in seiner Sphäre noch immer operieren, indem kein Resultat so falsch ist, daß es nicht, als Form ohne allen Gehalt auf irgendeine Weise gelten könnte.

Kann dagegen der Physiker zur Erkenntnis desjenigen gelangen, was wir ein Urphänomen genannt haben, so ist er geborgen und der Philosoph mit ihm; er, denn er überzeugt sich, daß er an die Grenze seiner Wissenschaft gelangt sei, daß er sich auf der empirischen Höhe befinde, wo er rückwärts die Erfahrung in allen ihren Stufen überschauen und vorwärts in das Reich der Theorie, wo nicht eintreten, doch einblicken könne. Der Philosoph ist geborgen. denn er nimmt aus des Physikers Hand ein Letztes, das bei ihm nun ein Erstes wird. Er bekümmert sich nun mit Recht nicht mehr um die Erscheinung, wenn man darunter das Abgeleitete versteht, wie man es entweder schon wissenschaftlich zusammengestellt findet, oder wie es gar in empirischen Fällen zerstreut und verworren vor die Sinne tritt. Will er ja auch diesen Weg durchlaufen und einen Blick ins einzelne nicht verschmähen, so tut er es mit Bequemlichkeit, anstatt daß er bei anderer Behandlung sich entweder zu lange in den Zwischenregionen aufhält, oder sie nur flüchtig durchstreift, ohne sie genau kennen zu lernen.

Urphänomene: ideal, real, symbolisch, identisch.

Empirie: unbegrenzte Vermehrung derselben, Hoffnung der Hilfe daher, Verzweiflung an Vollständigkeit.

Urphänomen:

ideal als das letzte Erkennbare, real als erkannt, symbolisch, weil es alle Fälle begreift, identisch mit allen Fällen.

Der Magnet ist ein Urphänomen, das man nur aussprechen darf, um es erklärt zu haben; dadurch wird es dann auch ein Symbol für alles übrige, wofür wir keine Worte noch Namen zu suchen brauchen.

Das Eisen kennen wir als einen besondern, von andern unterschiedenen Körper; aber es ist ein gleichgültiges, uns nur in manchem Bezug und zu manchem Gebrauch merkwürdiges Wesen. Wie wenig aber bedarf es, und die Gleichgültigkeit dieses Körpers ist aufgehoben. Eine Entzweiung geht vor, die, indem sie sich wieder zu vereinigen strebt und sich selbst aufsucht, einen gleichsam magischen Bezug auf ihresgleichen gewinnt und diese Entzweiung, die doch nur wieder eine Vereinigung ist, durch ihr ganzes Geschlecht fortsetzt. Hier kennen wir das gleichgültige Wesen, das Eisen; wir sehen die Entzweiung an ihm entstehen, sich fortpflanzen und verschwinden, und sich leicht wieder aufs neue erregen - nach unserer Meinung ein Urphänomen, das unmittelbar an der Idee steht und nichts Irdisches über sich erkennt.

Merken wir ja darauf, unter den Phänomenen ist ein großer Unterschied: das Urphänomen, das reinste, widerspricht sich nie in seiner ewigen Einfalt; das abgeleitete erduldet Stockungen, Friktionen und überliefert uns nur Undeutlichkeiten.

Bei denn Urphänomen zu verweilen und sich an demselben mit verehrender Resignation zu begnügen ist oft angeraten worden. Allein da tritt uns die neue Schwierigkeit entgegen, wo ruht denn eigentlich das Urphänomen, daß wir unsere Forschung dabei könnten beruhen lassen? Wir antworten darauf: in der allgemeinen Naturlehre sind die Urphänomene wohl zu finden, in der besondern sie zu bezeichnen möchte schwer werden.

Unsere Meinung ist: daß es dem Menschen gar wohl gezieme, ein Unerforschliches anzunehmen, daß er dagegen aber seinem Forschen keine Grenze zu setzen habe; denn wenn auch die Natur gegen den Menschen im Vorteil steht und ihm manches zu verheimlichen scheint, so steht er wieder gegen sie im Vorteil, daß er, wenn auch nicht durch sie durch, doch über sie hinaus denken kann. Wir sind aber schon weit genug gegen sie vorgedrungen, wenn wir zu den Urphänomenen gelangen, welche wir in ihrer unerforschlichen Herrlichkeit von Angesicht zu Angesicht anschauen, und uns sodann wieder rückwärts in die Welt der Erscheinungen wenden, wo das in seiner Einfalt Unbegreifliche sich in tausend und aber tausend mannigfaltigen Erscheinungen bei aller Veränderlichkeit unveränderlich offenbart.

Vor den Urphänomenen, wenn sie unseren Sinnen enthüllt erscheinen, fühlen wir eine Art von Scheu, bis zur Angst. Die sinnlichen Menschen retten sich ins Erstaunen; geschwind aber kommt der tätige Kuppler Verstand und will auf seine Weise das Edelste mit dem Gemeinsten vermitteln.

Das unmittelbare Gewahrwerden der Urphänomene versetzt uns in eine Art von Angst, wir fühlen unsere Unzulänglichkeit, nur durch das ewige Spiel der Empirie belebt erfreuen sie uns.

Wenn ich mich beim Urphänomen zuletzt beruhige, so ist es doch auch nur Resignation; aber es bleibt ein großer Unterschied, ob ich mich an den Grenzen der Menschheit

resigniere oder innerhalb einer hypothetischen Beschränktheit meines bornierten Individuums.

Nicht alles Wünschenswerte ist erreichbar, nicht alles Erkennenswerte erkennbar.

Je weiter die Erfahrung fortrückt, desto näher kommt man dem Unerforschlichen; je mehr man die Erfahrung zu nutzen weiß, desto mehr sieht man, daß das Unerforschliche keinen praktischen Wert hat.

Das schönste Glück des denkenden Menschen ist, das Erforschliche erforscht zu haben und das Unerforschliche ruhig zu verehren.

Derjenige, der sich mit Einsicht für beschränkt erklärt, ist der Vollkommenheit am nächsten.

Die wahre Vermittlerin ist die Kunst. Über Kunst sprechen heißt die Vermittlerin vermitteln wollen, und doch ist uns daher viel Köstliches erfolgt.

Es ist mit den Ableitungsgründen wie mit den Einteilungsgründen, sie müssen durchgehen oder es ist gar nichts dran.

Auch in Wissenschaften kann man eigentlich nichts wissen, es will immer getan sein.

Alles wahre Aperçu kommt aus einer Folge und bringt Folge. Es ist ein Mittelglied einer großen, produktiv aufsteigenden Kette.

Die Wissenschaft hilft uns vor allein, daß sie das Staunen, wozu wir von Natur berufen sind, einigermaßen erleichtere; sodann aber, daß sie dem immer gesteigerten Leben neue Fertigkeiten erwecke zu Abwendung des Schädlichen und Einleitung des Nutzbaren.

Man klagt über wissenschaftliche Akademien, daß sie nicht frisch genug ins Leben eingreifen: das liegt aber nicht an ihnen, sondern an der Art, die Wissenschaften zu behandeln, Überhaupt.

Wir leben in einer Zeit, wo wir uns täglich mehr angeregt fühlen, die beiden Welten, denen wir angehören, die obere und die untere, als verbunden zu betrachten, das Ideelle im Reellen anzuerkennen und unser jeweiliges Mißbehagen mit dem Endlichen durch Erhebung ins Unendliche zu beschwichtigen. Die großen Vorteile, die dadurch zu gewinnen sind, wissen wir unter den mannigfaltigsten Umständen zu schätzen und sie besonders auch den Wissenschaften und Künsten mit kluger Tätigkeit zuzuwenden.

Nachdem wir uns nun zu dieser Einsicht erhoben, so sind wir nicht mehr in dem Falle, bei Behandlung der Naturwissenschaften die Erfahrung der Idee entgegen zu setzen, wir gewöhnen uns vielmehr die Idee in der Erfahrung aufzusuchen, überzeugt, daß die Natur nach Ideen verfahre, ingleichen daß der Mensch in allem, was er beginnt, eine Idee verfolge. Wobei denn freilich zu bedenken ist, daß die Idee in ihrem Entspringen und ihrer Richtung vielfach erscheint und in diesem Sinne als von verschiedenem Werte geachtet werden könne.

Hier aber werden wir vor allen Dingen bekennen und aussprechen, daß wir mit Bewußtsein uns in der Region befinden, wo Metaphysik und Naturgeschichte übereinandergreifen, also da, wo der ernste, treue Forscher am liebsten verweilt. Denn hier wird er durch den Zudrang grenzenloser Einzelheiten nicht mehr geängstigt, weil er den hohen Einfluß der einfachsten Idee schätzen lernt, welche auf die verschiedenste Weise Klarheit und Ordnung dem Vielfältigsten zu verleihen geeignet ist.

Indern nun der Naturforscher sich in dieser Denkweise bestärkt, im höheren Sinne die Gegenstände betrachtet, so gewinnt er eine Zuversicht und kommt dadurch dem Erfahrenden entgegen, weicher nur mit gemessener Bescheidenheit ein Allgemeines anzuerkennen sich bequemt.

Er tut wohl, das Hypothese zu nennen, was schon gegründet ist; mit desto mehr freudiger Überzeugung findet auch er, daß hier ein wahres Übereintreffen stattfindet. Er fühlt es, wie wir es auch seinerzeit empfunden haben.

Im Gefolg hievon wird sich nun keine Spur von Widerstreit hervortun, nur eine Ausgleichung geringer Differenzen wird sich hie und da nötig machen, und beide Teile werden sich eines gemeinsamen Erfolges zu erfreuen haben.

Bei allem nun hat der treue Forscher sich selbst zu beobachten und zu sorgen, daß, wie er die Organe bildsam sieht, er sich auch die Art zu sehen bildsam erhalte, damit er nicht überall schroff bei einerlei Erklärungsweise verharre, sondern in jedem Falle die bequemsten der Ansicht, dem Anschauen analogste zu wählen verstehe.

Betrachten wir unserem nächsten Zwecke gemäß vor allem den Gewinn, weichen das Studium der organischen Wesen davon sich zueignet. Unser ganzes Geschäft ist nun, die einfachste Erscheinung als die mannigfaltigste, die Einheit als Vielheit zu denken. Schon früher sprachen wir getrost den Satz aus: alles Lebendige als ein solches ist schon ein Vieles, und mit diesen Worten glauben wir der Grundforderung des Denkens über diese Gegenstände genugzutun.

Dieses viele in einem sukzessiv und als eine Einschachtelung zu denken ist eine unvollkommene und der Einbildungskraft wie dem Verstand nicht gemäße Vorstellung, aber eine Entwicklung im höheren Sinne müssen wir zugeben: das viele im einzelnen, am einzelnen, und es setzt uns nicht mehr in Verlegenheit, wenn wir uns folgendermaßen ausdrücken: das untere Lebendige sondere sich vom Lebendigen, das höhere Lebendige gliedere sich am Lebendigen, und da wird ein jedes Glied ein neues Lebendige.

Andere Anordnungen jedoch, die auf gewissen Teilen und Kennzeichen beruhend aus jener Art, die Sache zu nehmen, hervorgingen, konnten sich auch nicht erhalten, bis man endlich immer weiter zurück auf die ersten und ursprünglichen Organe zu gelangen trachtete und die Pflanze, wo nicht vor ihrer Entwicklung, doch wenigstens im Augenblick ihrer Entwicklung zu fassen anfing und nun fand, daß die ersten Organe derselben entweder nicht zu bemerken waren oder doppelt, einfach und mehr erschienen.

Hier war man nun bei der großen Konsequenz der Natur auf dem rechten Wege, denn wie ein Wesen in seiner Erscheinung beginnt, so schreitet es fort und endigt auf gleiche Weise.

Hier mußte nun um so mehr gelingen, einen sichern Grund zu legen, als zwar die eminenten, in die Augen fallenden Glieder zur Einteilung und Ordnung einigen Anlaß geben, die Urglieder jedoch den besondern Vorteil haben, daß bei Beachtung derselben die Geschöpfe gleich in große Massen zerfallen, auch ihre Eigenschaften und Bezüge gründlicher anerkannt werden, wie denn in der neueren Zeit zum Vorteil der Wissenschaft ununterbrochen geschehen ist.

Es ist ein großer Unterschied, ob ich mich aus dem Hellen ins Dunkle, oder aus dem Dunklen ins Helle bestrebe; ob ich, wenn die Klarheit mir nicht mehr zusagt, mich mit einer gewissen Dämmerung zu umhüllen trachte, oder ob ich in der Überzeugung, daß das Klare auf einem tiefen, schwer erforschten Grund ruhe, auch von diesem immer schwer auszusprechenden Grunde das Mögliche mit heraufzunehmen bedacht bin. Ich halte daher immer für vorteilhafter: der Naturforscher bekenne sogleich, daß er in einzelnen Fällen es zugibt, wo das Verschweigen nur allzudeutlich hervortritt.

Es ward von uns oben angedeutet, es müsse in dem Geiste eines wahren Naturforschers sich immerfort wechselsweise wie eine sich im Gleichgewicht bewegende Systole und Diastole ereignen, aber wir wollen nur gestehen genau bemerkt zu haben, daß die Analyse der Synthese und umgekehrt diese jener hinderlich ist, in, dem Grad daß eine die andere auszuschließen scheint.

Dieses ins klare zu setzen, wäre für den Psychologen keine geringe Aufgabe, die, insofern es möglich wäre, gelöst beide Parteien über sich selbst aufklären und zu einer Versöhnung, vielleicht gar zu geselliger Mitarbeit die Einleitung geben könnte.

Weimar, den 3.November 1831

An allen Körpern, die wir lebendig nennen, bemerken wir die Kraft, ihresgleichen hervorzubringen.

Wenn wir diese Kraft geteilt gewahr werden, bezeichnen wir sie unter dem Namen der beiden Geschlechter.

Diese Kraft ist diejenige welche alle lebendigen Körper miteinander gemein haben, da sonst ihre Art zu sein sehr verschieden ist.

Poetische Metamorphosen

Phantasie ist der Natur viel näher als die Sinnlichkeit, diese ist in der Natur, jene schwebt über ihr. Phantasie ist der Natur gewachsen, Sinnlichkeit wird von ihr beherrscht.

Frühste lebhafte tüchtige Sinnlichkeit finden wir immer sich zur Phantasie erhebend. Sogleich wird sie produktiv, anthropomorphisch. Felsen und Ströme sind von Halbgöttern belebt, Untergötter endigen unterwärts in Tiere: Pan, Faune, Tritone. Götter nehmen Tiergestalt an, ihre Absichten zu erfüllen. Welche Fabeln sind die ältesten dieser Art?

Bei Ovid ist die Analogie der tierischen und menschlichen Glieder im Übergang trefflich ausgedrückt. Dante hat eine höchst merkwürdige Stelle dieser Art.