Ödipus

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Gustave Moreau, Ödipus und die Sphinx

Ödipus (altgriechisch Οἰδίπους, Oidípous, heute Οιδίποδας, Idípodas) ist eine Gestalt der griechischen Mythologie. Er ist ein Sohn des Laios, des Königs von Theben, welchen er in einem Handgemenge tötet. Später erhält er als Belohnung dafür, dass er Theben von der Sphinx befreit, Iokaste, die Witwe des Königs und damit seine eigene Mutter, zur Ehefrau. Erst später erfährt er, dass Iokaste und Laios seine leiblichen Eltern sind. Wie es von einem Orakel vorausgesagt wurde, beging Ödipus also sowohl Vatermord als auch Inzest. In Sophokles’ Drama König Ödipus sticht sich Ödipus am Ende die Augen aus und flieht mit seiner Schande ins Exil.

Sagenkreis

Der Fluch

König Laios von Theben hatte einst die Gastfreundschaft des Königs Pelops missbraucht, indem er dessen Sohn Chrysippos entführen und verführen wollte, weil er sich in den Knaben verliebt hatte. Aufgrund dessen wurde er von Pelops verflucht.

Laios und seine Frau Iokaste blieben lange Zeit kinderlos und eines Tages machte sich Laios auf den Weg zum Orakel von Delphi und erhielt Kunde von dem Fluch. Das Orakel sagte: „Solltest du dich je unterstehen, einen Sohn zu zeugen, so wird dieser seinen Vater erschlagen und seine Mutter heiraten.“

Ödipus in Korinth

Iokaste bekam tatsächlich einen Sohn. Laios ließ also im Einverständnis mit seiner Frau Iokaste dem Neugeborenen die Füße durchstechen, zusammenbinden und ihn von einem Hirten so im Kithairon-Gebirge aussetzen.[1] Der Hirte aber hatte Mitleid mit dem Neugeborenen und übergab ihn einem vorbeiziehenden Hirten aus Korinth. Über diesen gelangte Ödipus zum König Polybos von Korinth und wurde von ihm adoptiert. Seine Frau Merope oder nach anderer Überlieferung Periboia heilte seine Wunden. Sie nannte ihn wegen seiner geschwollenen Füße Oidipus („Schwellfuß“).[2]

In neuerer Zeit ist diese Etymologie des Namens angezweifelt worden. Einige Wissenschaftler schlagen vor, „Oidipous“ mit „Der, der alles weiß“ zu übersetzen.[3]

Ödipus tötet seinen Vater

Ödipus wuchs in Korinth auf, ohne von seiner Herkunft zu wissen. Als er erwachsen war, macht ein Betrunkener auf einem Fest Andeutungen, denen zufolge er nicht der leibliche Sohn seiner Eltern sei. Ödipus war beunruhigt, die Antwort von Polybos und Merope befriedigte ihn nicht und so befragte er schließlich seinerseits das Orakel. Als ihm dieses verkündete, er werde seinen Vater töten und seine Mutter zur Frau nehmen, brach er in die Ferne auf, damit sich die Prophezeiung an seinen vermeintlichen Eltern in Korinth nicht bewahrheite.[4]

Auf dem Weg von Delphi nach Daulis traf er an einer engen Weggabelung im Gebirge Parnassos – nach anderen Angaben im Kithairon – auf einen Wagen. Polyphontes, der Fahrer des anderen Wagen, forderte Ödipus auf, sofort Platz zu machen. Da ihm das zu langsam ging, tötete er eins der Pferde des Ödipus, woraufhin Ödipus sowohl den Polyphontes als auch dessen Passagier und somit seinen leiblichen Vater Laios, nichts ahnend, tötete und sich der erste Teil der Vorhersage des Orakels erfüllte.[5]

Ödipus besiegt die Sphinx

Nach Laios’ Tod übernahm dessen Schwager Kreon die Herrschaft über Theben. Zu dieser Zeit lauerte die Sphinx Reisenden in der Nähe von Theben auf. Sie saß auf einem Felsen und stellte den Vorbeikommenden ein Rätsel und verschlang alle, die es nicht lösen konnten. Kreon versprach jenem den Thron von Theben und zusätzlich seine Schwester Iokaste zur Frau, der das Rätsel der Sphinx lösen konnte. Ödipus löste das Rätsel, worauf sich die Sphinx ins Meer stürzte, und befreite so Theben von der Sphinx. Zur Belohnung wurde er zum König von Theben ernannt und erhielt Iokaste, seine eigene Mutter, zur Frau, mit der er die Zwillinge Eteokles und Polyneikes und die Töchter Antigone und Ismene zeugte. So erfüllte sich auch der zweite Teil der Prophezeiungen. Mutter und Sohn wussten jedoch weder von der Tötung des Laios durch Ödipus noch von ihrer biologischen Verwandtschaft.[6]

Andere Überlieferungen nennen eine zweite Gattin des Ödipus Euryganeia, die Tochter des Hyperphas, als Mutter der Kinder Eteokles, Polyneikes, Antigone und Ismene.[7] Pausanias führt hierzu ein Werk namens Oidipodia an und berichtet von einem Gemälde des Onasias, das er in Platää gesehen hatte. Dieses Gemälde zeigt Euryganeia bestürzt über den Krieg zwischen ihren Söhnen Eteokles und Polyneikes.[8] Mit Iokaste soll er Vater des Phrastor und des Laonytos gewesen sein. Später soll er noch Astymedusa, die Tochter des Sthenelos, geheiratet haben.[9]

Der Albtraum und das Fragemotiv der Sphinx

In verfeinerter Form zeigt sich Albtraum in der Rätselfrage der Sphinx, wie sie durch die Ödipus-Sage überliefert ist. Sie beruht auf dem luziferischen Einfluss auf die Atmung und Blutbewegung, der in der griechisch-lateinischen Zeit besonders stark war und zu einer Ausweitung des Ätherleibs über die Grenzen des physischen Leibs führte. Heute tritt an dessen Stelle vermehrt der ahrimanische Einfluss, der sich im Erleben der Mephistopheles-Gestalt äußert, wie sie Goethe in seiner Faust-Tragödie schildert.

„In das menschliche Leben spielen immer Erlebnisse herein, die von Luzifer und Ahriman stammen. In das Grunderlebnis der vierten nachatlantischen Periode spielte insbesondere Luzifer herein; in unsere Periode spielt Ahriman herein und bedingt das Grunderlebnis. Nun hängt Luzifer mit alledem zusammen, was noch nicht bis zur Deutlichkeit der einzelnen Sinne sich ausgewachsen hat, was undeutlich an den Menschen, undifferenziert an ihn herankommt. Mit andern Worten, Luzifer hängt mit dem Atemerlebnis zusammen, mit dem Erlebnis des Ein- und Ausatmens. Das Atmen des Menschen ist etwas, was in einem ganz bestimmten geregelten Verhältnis stehen muß zu seiner Gesamtorganisation. In dem Augenblick, wo der Atmungsprozeß in irgendeiner Weise gestört ist, verwandelt sich sogleich die Atmung aus dem, wie sie sonst auftritt, nämlich als unbewußter Vorgang, auf den wir nicht zu achten brauchen, in einen bewußten, in einen mehr oder weniger traumhaft bewußten Vorgang. Und wenn - wir können es ganz trivial ausdrücken - der Atmungsprozeß zu energisch wird, wenn er größere Anforderungen an den Organismus stellt, als dieser Organismus leisten kann, dann hat Luzifer die Möglichkeit, mit dem Atmen einzudringen in den menschlichen Organismus. Er muß es ja nicht selbst sein, aber seine Scharen tun es, diejenigen, die zu ihm gehören.

Ich weise damit auf eine Erscheinung hin, welche jeder kennt als Traumerlebnis. Dieses Traumerlebnis kann sich in beliebiger Weise steigern. Der Alptraum, wo also der Mensch durch das gestörte Atmen zum Traumbewußtsein kommt, so daß sich Erlebnisse der geistigen Welt hineinmischen können, und auch alle Angst- und Furchterlebnisse, die mit Alpträumen verbunden sind, haben in dem luziferischen Element der Welt ihren Ursprung. Alles, was vom gewöhnlichen Atmungsprozeß übergeht zum Würgen, zu dem Gefühl des Gewürgtwerdens, das hängt zusammen mit dieser Möglichkeit, daß Luzifer sich einmischt in den Atmungsprozeß. Das ist der grobe Prozeß, wo durch eine Herabminderung des Bewußtseins Luzifer sich in das Atemerlebnis hineinmischt, gestaltenhaf t in das Traumbewußtsein tritt und da zum Würger wird. Das ist das grobe Erlebnis.

Es gibt aber auch ein feineres Erlebnis, das uns dieses Würgeerlebnis gleichsam verfeinert, nicht so grob wie ein physisches Würgen darstellt. Man achtet gewöhnlich nicht darauf, daß eine solche Verfeinerung des Würgens zu den menschlichen Erlebnissen gehört. Aber jedesmal, wenn an die menschliche Seele dasjenige herantritt, was zu einer Frage wird oder zu einem Zweifel an diesem oder jenem in der Welt, dann ist in verfeinerter Weise ein Würgeerlebnis da. Man kann schon sagen: Wenn wir eine Frage aufstellen müssen, wenn ein kleines oder ein großes Weltenrätsel sich uns aufdrängt, dann werden wir gewürgt, aber so, daß wir es nicht merken. - Jeder Zweifel, jede Frage ist ein verfeinertes Alpdrücken oder ein verfeinerter Alptraum.

So verwandeln sich die Erlebnisse, die uns sonst grob entgegentreten, in feinere Erlebnisse, wenn sie mehr seelisch auftreten. Man kann sich schon denken, daß die Wissenschaft einmal dazu kommen wird, den Zusammenhang des Atmungsprozesses mit der Fragestellung oder der Empfindung eines Zweifels in der Menschenseele zu studieren. Aber auch alles das, was mit Fragen und Zweifeln zusammenhängt, alles das, was damit zusammenhängt, daß wir unbefriedigt sind, weil die Welt an uns herantritt und eine Antwort verlangt, oder weil wir gezwungen sind, eine Antwort zu geben durch das, was wir sind, hängt mit dem Luziferischen zusammen.

Wenn wir nun die Sache geisteswissenschaftlich betrachten, so können wir sagen: Bei allem, wo der Würgeengel im Alptraum uns bedrückt, oder wo wir durch die Fragestellung eine innere Bedrückung, einen Anflug von Beängstigung erfahren, haben wir es mit einem gleichsam stärkeren, energischeren Atmungsprozeß zu tun, mit etwas, was im Atem lebt, was aber, damit die menschliche Natur in der richtigen Weise funktioniert, harmonisiert, abgeschwächt werden muß, damit das Leben richtig verläuft. Was findet nun statt, wenn ein energischerer Atmungsprozeß eintritt? Da ist gleichsam der Ätherleib und alles, was mit der ätherischen Natur des Menschen zusammenhängt, zu weit ausgedehnt, zu sehr auseinandergedrängt, und da sich das dann auslebt im physischen Leibe, so kann es sich nicht auf den physischen Leib beschränken, es will ihn gewissermaßen auseinanderzerren. Ein zu üppiger, ein zu weit ausgedehnter Ätherleib liegt einem verstärkten Atmungsprozeß zugrunde, und dann besteht die Möglichkeit für das luziferische Element, sich besonders geltend zu machen. Man kann also sagen: Das Luziferische kann sich in die menschliche Natur hineinschleichen, wenn der Ätherleib geweitet ist. — Man kann auch sagen: Das Luziferische hat die Tendenz, in einem der menschlichen Form gegenüber geweiteten Ätherleibe sich auszudrücken, also in einem Ätherleibe, der mehr Raum braucht, als in der menschlichen Haut eingeschlossen ist, der die Form üppiger gibt. — Man kann sich nun denken, daß man künstlerisch diese Frage beantworten will, und da kann man sagen: So wie der menschliche Ätherleib normal ist, ist er der Bildner der menschlichen Gestalt, die physisch vor uns steht. Aber sobald er sich weitet, sobald er sich einen größeren Raum, weitere Grenzen verschaffen will, als in der menschlichen Haut darinnen sind, will er auch andere Formen geben. Es kann da nicht die menschliche Form bleiben. Er will überall über die menschliche Form hinaus. - Dieses Problem hat man in alter Zeit schon gelöst. Was für eine Form kommt da heraus, wenn der geweitete Ätherleib, der nicht für das menschliche Wesen, sondern für das luziferische Wesen paßt, sich Geltung verschafft und formhaft vor die menschliche Seele tritt? Was kommt da heraus? Die Sphinx!

Hier haben wir eine besondere Art, uns in die Sphinx hinein zu vertiefen. Die Sphinx ist es, was eigentlich an einem würgt. Wenn der Ätherleib des Menschen durch die Energie des Atmens sich ausweitet, taucht ein luziferisches Wesen in der Seele auf. Es lebt in diesem Ätherleibe nicht die menschliche Gestalt, sondern die luziferische Gestalt, die Sphinxgestalt. Die Sphinx taucht auf als die Zweifelaufwerferin, als die Fragepeinigerin. Diese Sphinx hat also eine besondere Beziehung zum Atmungsprozeß. Wiederum wissen wir aber, daß der Atmungsprozeß eine besondere Beziehung zur Blutbildung hat. Daher lebt das Luziferische auch im Blute, durchwogt und durchwallt das Blut. Überall kann auf dem Umwege durch die Atmung das Luziferische in das Blut des Menschen hinein, und wenn zuviel Energie in das Blut hineinkommt, dann ist das Luziferische, die Sphinx, besonders stark.

So steht der Mensch dadurch, daß er in seinem Atmungsprozeß dem Kosmos geöffnet ist, der Sphinxnatur gegenüber. Dieses Erlebnis, in seinem Atmen der Sphinxnatur des Kosmos gegenüberzustehen, dieses Grunderlebnis ging besonders in der vierten nachatlantischen, der griechisch- lateinischen Kulturperiode auf. Und in der Ödipus-Sage sehen wir, wie der Mensch der Sphinx gegenübersteht, wie die Sphinx sich an ihn kettet, zur Fragepeinigerin wird. Der Mensch und die Sphinx, oder wir können auch sagen, der Mensch und das Luziferische im Weltall sollten gleichsam als ein Grunderlebnis der vierten nachatlantischen Kulturperiode so hingestellt werden, daß, wenn der Mensch sein äußeres normales Leben auf dem physischen Plan nur ein wenig durchbricht, er mit der Sphinxnatur in Berührung kommt. Da tritt Luzifer in seinem Leben an ihn heran, und er muß mit Luzifer, mit der Sphinx fertig werden.“ (Lit.:GA 158, S. 99ff)

Iokastes Tod

Als nach glücklichen Jahren in Theben eine Seuche ausbricht, verkündet das Orakel von Delphi, der Mörder des Laios müsse gefunden werden, damit die Seuche verschwinden könne. Der blinde Seher Teiresias enthüllte widerwillig, von Ödipus dazu gedrängt, diesen als den Mörder von Laios. Ödipus glaubte ihm nicht, kam jedoch nach eigener Untersuchung der alten Vorfälle selbst zu der Erkenntnis, dass er Laios getötet hat, dass Laios sein Vater und Iokaste, seine Frau, auch seine Mutter ist. Daraufhin erhängte sich Iokaste an ihrem Schleier und Ödipus stach sich mit der Nadel aus Iokastes Gewand die Augen aus.[10]

Tod des Ödipus

Es gibt zahlreiche Versionen zu den weiteren Begebenheiten:

  • Ödipus übergab die Regierung an Eteokles und verließ zusammen mit seiner Tochter Antigone Theben.[10]
  • Kreon, Bruder der Iokaste, übernahm wieder die Herrschaft und verbannte Ödipus aus der Stadt. Dieser wanderte einige Jahre mit seiner Tochter Antigone umher, bis er in Kolonos bei Athen in einem heiligen Hain für Bittsteller von Theseus aufgenommen wurde und dort starb.[11]
  • Eteokles und Polyneikes nahmen Ödipus gefangen, um die Schande ihres Vaters vor der Öffentlichkeit verborgen zu halten, worauf Ödipus seine eigenen Söhne verfluchte.
  • Ödipus regierte nach dem Tode Iokastes weiter und starb in einer Schlacht.[12]
  • Ödipus stürzte sich aus Verzweiflung in eine Schlucht, die als Tor zum Hades gilt.
  • Ödipus verlangt von Kreon, ihn zu verbannen, was auch erfolgt. Seine Bitte, seine Tochter Antigone mitzunehmen, wird von Kreon nicht erfüllt.

Fortwirken des Mythos in der Kunst

Als Inbegriff einer griechischen Tragödie wurde das Thema schon in der Antike künstlerisch mehrfach bearbeitet. Sophokles gestaltete Ödipus’ Schicksal gleich in mehreren Stücken. Die Ödipus-Dramen von Aischylos und Euripides sind uns nicht erhalten geblieben. Ebenso verarbeitete der Römer Seneca der Jüngere diesen Stoff.

Auch mehrere neuzeitliche Künstler haben den Ödipus-Mythos dargestellt: z. B. Pierre Corneille, Voltaire, J. Péladan, Hugo von Hofmannsthal, André Gide, Jean Cocteau und Max Frisch in der Literatur sowie Igor Strawinski, George Enescu und Carl Orff in der Musik. Zuletzt Andreas Schmitz in seinem Stück „Schwellfußeinlagen“, dessen Welturaufführung am 12. Juni 2006 vielbejubelt in Salzburg über die Bühne ging. Handelt es sich bei „Schwellfußeinlagen“ um einen übermütigen Jux mit Motiven aus dem Ödipus-Mythos, so ist „König Ödipus – Eine Komödie aus der Alten Zeit“ von Anselm Korff die wahrscheinlich erste Ödipus-Komödie, die den Stoff und den darin enthaltenen Konflikt sehr ernst nimmt.

Aufnahme des Mythos in der Wissenschaft

Sigmund Freud benannte ein psychoanalytisches Phänomen nach dem Mythos „Ödipus-Komplex“ bzw. „Ödipuskonflikt“. Die kindliche Entwicklungsphase, in der die Rivalität zwischen Sohn und Vater ein zentrales Thema bildet, heißt nach Freud dementsprechend „ödipale Phase“.

Erich Fromm verwirft diese Interpretation Freuds und führt unter Berufung auf Johann Jakob Bachofen aus, der Mythos (also alle drei Teile) beschreibe den Kampf zwischen patriarchalischem und matriarchalischem Prinzip. In allen drei Teilen sei somit auf der familiären Ebene der Vaterkonflikt als Autoritätskonflikt zu deuten. Dies schlage sich auch auf gesellschaftlich-staatlicher Ebene nieder, in Person des Kreon, der für das patriarchalische Gesellschaftssystem eintritt, und seiner Konfrontation mit Antigone und Haimon, die beide die alte matriarchalische Ordnung vertreten. Kreon vertritt die Auffassung, dass die Söhne ihren Vätern zu Diensten sein sollen, das staatliche Gesetz oberste Priorität habe und der Herrscher den Staat und seine Untertanen besitze. Dies müsse laut Bachofen zur Zeit des Mutterrechts anders gewesen sein. Aufgrund der Unmöglichkeit, die Vaterschaft in einer promiskuitiven Gesellschaft zu bestimmen, müssten früher alle Menschen als Brüder und Schwestern gegolten haben und einzig die Frau habe ihre Kinder zuordnen können. Somit kam nach Bachofen der Blutsverwandschaft und dem mütterlich-fürsorglichen Prinzip eine größere Bedeutung zu als staatlichen Bindungen. Das mütterliche Prinzip finde sich jedoch nicht nur in Familie und Gesellschaft wieder, sondern auch in der Religion, weshalb Bachofen darauf hinweist, dass die ältesten Gottheiten Frauen gewesen seien (z. B. Demeter). Ödipus sei in diesem Zusammenhang als einer der letzten Vertreter der matriarchalischen Ordnung zu verstehen.[13]

Der Philosoph Michel Foucault beschrieb den Ödipus-Mythos in Die Wahrheit und die juristischen Formen als die Schilderung eines antiken „Kriminalfalles“, der auf zwei verschiedene Arten gelöst zu werden versucht: Einmal durch das archaische Mittel der „Probe“, also den Orakelspruch und das Gottesurteil, und dann später durch die „enquête“, die Untersuchung von Tathergängen und Befragung von Zeugen, die Ödipus selbst führt. Ödipus ist somit Opfer seines Wissens. Zuerst erhält er dadurch Macht (bei der Begegnung mit der Sphinx) und wird König von Theben, nur um sie dann eben durch sein erworbenes Wissen (nämlich wer er ist und dass er selbst seinen Vater tötete) wieder zu verlieren.

Die beiden poststrukturalistischen Denker Gilles Deleuze und Felix Guattari gaben ihrer Kritik an der Freudschen Psychoanalyse 1972 den plakativen Titel Anti-Ödipus. Als Vertreter der Antipsychiatrie plädieren sie stattdessen für eine „Schizoanalyse“.

Immanuel Velikovsky stellte in seinem (allerdings als pseudowissenschaftlich gewerteten) Buch Ödipus und Echnaton die Theorie auf, dass es sich hierbei um eine Wandersage aus dem „hunderttorigen“ ägyptischen Theben handeln müsse.[14]

Anmerkungen

  1. Pausanias: Reisen in Griechenland. 9, 2, 4.
  2. Apollodor: Bibliotheke. 3, 49.
  3. Wolfgang Christlieb: Der entzauberte Ödipus, Ursprünge und Wandlungen eines Mythos.
  4. Apollodor: Bibliotheke. 3, 50–51.
  5. Pausanias: Reisen in Griechenland. 9, 2, 4 und 10, 5, 3.
  6. Apollodor: Bibliotheke, 3, 52–55.
  7. Apollodor: Bibliotheke. 3, 55.
  8. Pausanias: Reisen in Griechenland. 9, 5, 10–12.
  9. Hesiod: Eoien. 191.
  10. 10,0 10,1 Apollodor: Bibliotheke. 3, 56.
  11. Sophokles: Ödipus auf Kolonos.
  12. Homer: Ilias. 679.
  13. Erich Fromm: Märchen, Mythen, Träume.
  14. Immanuel Velikovsky, Ilse Fuhr: Oedipus und Echnaton.

Literatur

  • Jean Bollack: Ödipus. Von der Tragödie zum Komplex und vice versa. In: Maske und Kothurn, Nr. 1/2006, S. 9–17, ISBN 3-205-77559-7-
  • Wolfgang Christlieb: Der entzauberte Ödipus, Ursprünge und Wandlungen eines Mythos. Nymphenburger, München 1979, ISBN 3485018503.
  • Erich Fromm: Märchen, Mythen, Träume. Rowohlt, Reinbek, ISBN 3499174480.
  • Rudolf Heinz: Oedipus complex. Zur Genealogie von Gedächtnis. Passagen, Wien 1991,
  • Claude Lévi-Strauss: Die Struktur der Mythen. In: ders.: Strukturale Anthropologie, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1967, S. 227–254.
  • Immanuel Velikovsky, Ilse Fuhr: Oedipus und Echnaton, Europa-Verlag 1966.
  • Rudolf Steiner: Der Zusammenhang des Menschen mit der elementarischen Welt, GA 158 (1993), ISBN 3-7274-1580-0 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
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Weblinks

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Siehe auch


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