Realismus und Spaltung der Persönlichkeit: Unterschied zwischen den Seiten

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Der '''Realismus''' (von [[Latein|lateinisch]] res, ''Sache, Gegenstand'') ist eine der 12 grundlegenden [[Weltanschauung]]en, von denen [[Rudolf Steiner]] spricht, und vertritt den [[Erkenntnistheorie|erkenntnistheoretischen]] Standpunkt, dass es eine [[Wirklichkeit]] gibt, die unabhängig und ausserhalb des [[mensch]]lichen [[Bewusstsein]]s existiert. In direktem Gegensatz dazu steht die erkenntnistheoretische Position des [[Idealismus]]. Im [[Tierkreis]] entspricht dem Realismus nach Rudolf Steiner das Sternbild [[Waage (Sternbild)|Waage]] - das einzige [[Tierkreiszeichen]], das ein rein mechanisches Instrument darstellt.
Die '''Spaltung der Persönlichkeit''' ist eine notwendige Folge einer entsprechend weit vorangeschrittenen [[Geistesschulung]], die dazu führt, dass sich die [[Seelenkräfte]] des [[Denken]]s, [[Fühlen]]s und [[Wollen]]s, die normalerweise mehr oder weniger eng miteinander verbunden sind, sich vollständig voneinander trennen:


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"Es kann Menschen geben, die sagen: Ja, ob es nun in der Welt der
"Große Veränderungen gehen allerdings mit den obengenannten feineren Leibern ([[Ätherleib]], [[Astralleib]]) beim Geheimschüler vor sich. Solche Veränderungen hängen mit gewissen Entwickelungsvorgängen der drei Grundkräfte der Seele, mit Wollen, Fühlen und Denken zusammen. Diese drei Kräfte stehen vor der Geheimschulung des Menschen in einer ganz bestimmten, durch höhere Weltgesetze geregelten Verbindung. Nicht in beliebiger Weise will, fühlt oder denkt der Mensch. Wenn zum Beispiel eine bestimmte Vorstellung im Bewußtsein auftaucht, so schließt sich an sie nach natürlichen Gesetzen ein gewisses Gefühl oder es folgt auf sie ein gesetzmäßig mit ihr zusammenhängender Willensentschluß. Man betritt ein Zimmer, findet es dumpfig und öffnet die Fenster. Man hört seinen Namen rufen und folgt dem Rufe. Man wird gefragt und gibt Antwort. Man sieht ein übelriechendes Ding und bekommt ein Gefühl von Unlust. Das sind einfache Zusammenhänge zwischen Denken, Fühlen und Wollen. ,Wenn man aber das menschliche Leben überschaut, so wird man finden, daß sich alles in diesem Leben auf solche Zusammenhänge aufbaut. Ja, man bezeichnet das Leben eines Menschen nur dann als ein «normales», wenn man in demselben eine solche Verbindung von Denken, Fühlen und Wollen bemerkt, die in den Gesetzen der menschlichen Natur begründet liegt. Man fände es diesen Gesetzen widersprechend, wenn ein Mensch zum Beispiel beim Anblick eines übelriechenden Gegenstandes ein Lustgefühl empfände oder wenn er auf Fragen nicht antwortete. Die Erfolge, die man sich von einer richtigen Erziehung oder einem angemessenen Unterricht verspricht, beruhen darauf, daß man voraussetzt, man könne eine der menschlichen Natur entsprechende Verbindung zwischen Denken, Fühlen und Wollen beim Zögling herstellen. Wenn man diesem gewisse Vorstellungen beibringt, so tut man es in der Annahme, daß sie später mit seinen Gefühlen und Willensentschlüssen in gesetzmäßige Verbindungen eingehen. - Alles das rührt davon her, daß in den feineren Seelenleibern des Menschen die Mittelpunkte der drei Kräfte, des Denkens, Fühlens und Wollens, in einer gesetzmäßigen Art miteinander verbunden sind. Und diese Verbindung in dem feineren Seelenorganismus hat auch ihr Abbild in dem groben physischen Körper. Auch in diesem stehen die Organe des Wollens in einer gewissen gesetzmäßigen Verbindung mit denen des Denkens und Fühlens. Ein bestimmter Gedanke ruft regelmäßig daher ein Gefühl oder eine Willenstätigkeit hervor. - Bei der höheren Entwickelung des Menschen werden nun die Fäden, welche die drei Grundkräfte miteinander verbinden, unterbrochen. Zuerst geschieht diese Unterbrechung nur in dem charakterisierten feineren Seelenorganismus; bei noch höherem Aufstieg aber erstreckt sich die Trennung auch auf den physischen Körper. (Es zerfällt bei der höheren geistigen Entwickelung des Menschen tatsächlich zum Beispiel sein Gehirn in drei voneinander getrennte Glieder. Die Trennung ist allerdings eine solche, daß sie für die gewöhnliche sinnliche Anschauung nicht wahrnehmbar und auch durch die schärfsten sinnlichen Instrumente nicht nachweisbar ist. Aber sie tritt ein, und der Hellseher hat Mittel, sie zu beobachten. Das Gehirn des höheren Hellsehers zerfällt in drei selbständig wirkende Wesenheiten: das Denk-, Fühl- und Willensgehirn.)
Wahrheit nur Materie oder nur Geist gibt, darüber kann ich nichts
Besonderes wissen; darauf kann sich das menschliche Erkenntnisvermögen
überhaupt nicht beziehen. Klar ist nur das eine, daß eine
Welt um uns ist, die sich ausbreitet. Ob ihr das zugrunde liegt, was
die Chemiker, die Physiker, wenn sie Materialisten werden, die
Atome der Materie nennen, das weiß ich nicht. Ich erkenne aber die
Welt an, die um mich herum ausgebreitet ist; die sehe ich, über die
kann ich denken. Ob ihr noch ein Geist zugrunde liegt oder nicht,
darüber etwas anzunehmen, habe ich keine besondere Veranlassung.
Ich halte mich an das, was um mich herum ausgebreitet ist. - Solche
Menschen kann man mit etwas anderer Wortbedeutung, als ich das
Wort vorher brauchte, Realisten nennen und ihre Weltanschauung
Realismus." {{Lit|{{G|151|36}}}}
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== Wissenschaftlicher Realismus ==
Die Organe des Denkens, Fühlens und Wollens stehen sodann ganz frei für sich da. Und ihre Verbindung wird nunmehr durch keine ihnen selbst eingepflanzten Gesetze hergestellt, sondern muß durch das erwachte höhere Bewußtsein des Menschen selbst besorgt werden. - Das ist nämlich die Veränderung, welche der Geheimschüler an sich bemerkt, daß kein Zusammenhang zwischen einer Vorstellung und einem Gefühl oder einem Gefühl und einem Willensentschluß und so weiter sich einstellt, wenn er nicht selbst einen solchen schafft. Kein Antrieb führt ihn von einem Gedanken zu einer Handlung, wenn er diesen Antrieb nicht frei in sich bewirkt. Er kann nunmehr völlig gefühllos vor einer Tatsache stehen, die ihm vor seiner Schulung glühende Liebe oder ärgsten Haß eingeflößt hat; er kann untätig bleiben bei einem Gedanken, der ihn vorher zu einer Handlung wie von selbst begeistert hat. Und er kann Taten verrichten aus Willensentschlüssen heraus, für welche bei einem nicht durch die Geheimschulung hindurchgegangenen Menschen auch nicht die geringste Veranlassung vorliegt. Die große Errungenschaft, welche dem Geheimschüler zuteil wird, ist, daß er die vollkommene Herrschaft erlangt über das Zusammenwirken der drei Seelenkräfte; aber dieses Zusammenwirken wird dafür auch vollständig in seine eigene Verantwortlichkeit gestellt.


Der '''wissenschaftliche Realismus''' geht ebenfalls davon aus, dass es eine Wirklichkeit gibt, die unabhängig vom menschlichen [[Denken]] besteht und dass die Bestätigung einer wissenschaftlichen [[Theorie]] die begründet Annahme erlaubt, dass diese Wirklichkeit auch [[objektiv]] in der Form [[Existenz|existiert]], wie sie von der Theorie beschrieben wird.
Erst durch diese Umwandlung seines Wesens kann der Mensch in bewußte Verbindung treten mit gewissen übersinnlichen Kräften und Wesenheiten. Denn es haben seine eigenen Seelenkräfte zu gewissen Grundkräften der Welt entsprechende Verwandtschaft. Die Kraft zum Beispiel, die im Willen liegt, kann auf bestimmte Dinge und Wesenheiten der höheren Welt wirken und diese auch wahrnehmen. Aber sie kann das erst dann, wenn sie frei geworden ist von ihrer Verbindung mit dem Fühlen und Denken innerhalb der Seele. Sobald diese Verbindung gelöst ist, tritt die Wirkung des Willens nach außen hervor. Und so ist es auch mit den Kräften des Denkens und Fühlens. Wenn mir ein Mensch ein Haßgefühl zusendet, so ist dieses für den Hellseher sichtbar als eine feine Licht-Wolke von bestimmter Färbung. Und ein solcher Hellseher kann dieses Haßgefühl abwehren, wie der Sinnes-Mensch einen physischen Schlag abwehrt, der gegen ihn geführt wird. Der Haß wird in der übersinnlichen Welt eine anschaubare Erscheinung. Aber nur dadurch kann ihn der Hellseher wahrnehmen, daß er die Kraft, die in seinem Gefühle liegt, nach außen zu senden vermag, wie der Sinnesmensch die Empfänglichkeit seines Auges nach außen richtet. Und so wie mit dem Haß ist es mit weit bedeutungsvolleren Tatsachen der sinnlichen Welt. Der Mensch kann mit ihnen in bewußten Verkehr treten durch die Freilegung der Grundkräfte seiner Seele." {{Lit|GA 10, S 184ff}}
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Eine Gegenposition dazu ist der [[Instrumentalismus (Wissenschaftstheorie)|Instrumentalismus]], der in den wissenschaftlichen Theorien nur Werkzeuge  sieht, welche die Wirklichkeit [[modell]]haft ''repräsentiert'', um mit ihr [[rational]] umgehen zu können.
Eine weitere Folge dieser Entwicklung ist, dass wir lernen, aus unserem höheren Wesen auf unsere niedere, irdische [[Persönlichkeit]] zurückzublicken:


== Ideen-Realismus ==
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"Daher ist es wichtig, wirklich festzuhalten, daß in dem
In der [[Philosophie]] war der ''Realismus'' als '''Ideen-Realismus''' auch eine der vertretenen Position im [[mittelalter]]lichen [[Universalienstreit]], der in der [[Scholastik]] seinen Höhepunkt fand. Die ''Realisten'' wie etwa [[Thomas von Aquin]] gingen davon aus, dass den [[Allgemeinbegriffe]]n oder [[Universalien]] eine [[konkret]]e [[objektiv]]e [[geist]]ige [[Realität]] zu Grunde liegt. Diesen Standpunkt hatte schon [[Platon]] in seiner [[Ideenlehre]] eingenommen. Thomas unterschied dabei
Augenblick, wo das Hellsehen beginnt und man dadurch zur Offenbarung
 
höherer Welten hinaufsteigt, wirklich eine Art Spaltung der
#Universalien, die sich in der göttlichen Vernunft bilden und vor den Einzeldingen existieren ('''[[universalia ante rem]]'''),
Persönlichkeit stattfindet. Die eine Persönlichkeit, die man auf dem
#Universalien, die als Allgemeines in den Einzeldingen selbst existieren ('''[[universalia in re]]'''),  
physischen Plan ist, die läßt man zurück. Man ist nun eine andere Persönlichkeit,
#Universalien, die als Begriffe im Verstand des Menschen existieren, das heißt nach den Dingen ('''[[universalia post rem]]''').  
indem man hinaufsteigt in eine höhere Welt. Und so wie
 
wir angeschaut werden in der höheren Welt von den Wesenheiten der
Die Gegenposition wurde von den [[Nominalisten]] vertreten, nach denen die Allgemeinbegriffe nur [[subjektiv]]e [[Gedanke|gedankliche]] Konstrukte des [[Mensch]]en sind.
höheren Hierarchien, wie wir wahrgenommen werden von den Wesen
 
der höheren Hierarchien, so schauen wir unsere gewöhnliche Persönlichkeit
== Siehe auch ==
von unserem höheren Gesichtspunkt aus selbst an. Wir
 
schauen, indem wir mit dem höheren Wesen aus dem niederen Wesen
* {{WikipediaDE|Realismus (Philosophie)}}
herausgegangen sind, als höheres Wesen unser niederes Wesen an. So daß
* {{WikipediaDE|Wissenschaftlicher Realismus}}
wir gut tun, wenn wir irgend etwas Gültiges für die höheren Welten
* {{Eisler|Realismus}}
aussprechen wollen, zu warten, bis wir in die Lage kommen, zu sagen:
* {{Kirchner|Realismus}}
Das bist du, den du selbst da siehst in deinem hellsichtigen Felde,
 
das bist du. - Dieses «Das bist du» entspricht auf dem höheren Plane
== Literatur ==
dem «Das bin ich» auf dem physischen Plane. Dieses «Das bin ich»,
* [[Rudolf Steiner]]: ''Der menschliche und der kosmische Gedanke'', [[GA 151]] (1990), ISBN 3-7274-1510-X {{Vorträge|151}}
verwandelt sich auf dem höheren Plan in das «Das bist du». Es ist
 
eigentlich mehr gesagt mit dem eben Ausgesprochenen, als man gewöhnlich
{{GA}}
denkt. Versetzen Sie sich einmal in den Fall, Sie blickten von
Ihrem heutigen Gesichtspunkt zurück auf den Zeitpunkt, wo Sie
acht oder dreizehn oder fünfzehn Jahre alt waren, und Sie versuchten,
ein kleines Stück Ihres Lebens aus der Erinnerung zu rekonstruieren
aus dem achten, dem dreizehnten oder dem fünfzehnten Jahre. Stellen
Sie sich lebhaft vor dieses Zurückblicken in Ihre eigene Gedankenwelt,
indem Sie die Erinnerungen aus der Gedankenwelt zurückkonstruieren.
Nun vergegenwärtigen Sie sich das Gefühl, das Sie gegenüber diesem
acht- oder dreizehn- oder fünfzehnjährigen Knaben oder Mädchen,
der oder das Sie selbst waren, nun haben. Vergegenwärtigen Sie sich
lebhaft Ihr gegenwärtiges Gefühl gegenüber diesen vergangenen Erlebnissen.
Sobald man von dem physischen Plan in die höhere Welt
hinaufkommt, wird der Augenblick, in dem wir unmittelbar jetzt leben,
sogleich eine solche Erinnerung, wie die eben charakterisierte. Man
schaut auf das, was man auf dem physischen Plan jetzt ist und auf das,
was man noch werden kann in dem Rest seines physischen Lebens, so
zurück, wie Sie zurückschauen von dem jetzigen Gesichtspunkt aus
auf die Erlebnisse im achten, dreizehnten, fünfzehnten Jahr. Es ist
durchaus wahr: Was wir fühlen, was wir denken, was wir vorstellen,
was wir handeln auf dem physischen Plan, in dem Augenblick, wo wir
die höhere Welt betreten, ist das alles, was wir zusammenfassen unter
unserem Selbst auf dem physischen Plan, eine Erinnerung. Wir schauen
herunter auf den physischen Plan und sind uns, sobald wir in der höheren
Welt leben, eine Erinnerung geworden. Und wie wir auseinanderhalten
einen gegenwärtigen Standpunkt unseres Erlebens von einem
längst verflossenen, so müssen wir auseinanderhalten dasjenige, was wir
erleben in höheren Welten und dasjenige, was wir erleben auf dem
physischen Plan." {{Lit|GA 154, S 98f}}
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== Weblinks ==
==Literatur==
#Rudolf Steiner: ''Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?'', [[GA 10]] (1993), ISBN 3-7274-0100-1; '''Tb 600''', ISBN 978-3-7274-6001-2 {{Schriften|010}}
#Rudolf Steiner: ''Wie erwirbt man sich Verständnis für die geistige Welt?'', [[GA 154]] (1985), ISBN 3-7274-1540-1 {{Vorträge|154}}


* [[Joachim Stiller]]: [http://joachimstiller.de/philosophie17a3.html Projekt Realismus] Website
{{GA}}


[[Kategorie:Grundbegriffe]]
[[Kategorie:Schulungsweg]]
[[Kategorie:Weltanschauung]]
[[Kategorie:Realismus|!]]

Version vom 16. Februar 2011, 16:20 Uhr

Die Spaltung der Persönlichkeit ist eine notwendige Folge einer entsprechend weit vorangeschrittenen Geistesschulung, die dazu führt, dass sich die Seelenkräfte des Denkens, Fühlens und Wollens, die normalerweise mehr oder weniger eng miteinander verbunden sind, sich vollständig voneinander trennen:

"Große Veränderungen gehen allerdings mit den obengenannten feineren Leibern (Ätherleib, Astralleib) beim Geheimschüler vor sich. Solche Veränderungen hängen mit gewissen Entwickelungsvorgängen der drei Grundkräfte der Seele, mit Wollen, Fühlen und Denken zusammen. Diese drei Kräfte stehen vor der Geheimschulung des Menschen in einer ganz bestimmten, durch höhere Weltgesetze geregelten Verbindung. Nicht in beliebiger Weise will, fühlt oder denkt der Mensch. Wenn zum Beispiel eine bestimmte Vorstellung im Bewußtsein auftaucht, so schließt sich an sie nach natürlichen Gesetzen ein gewisses Gefühl oder es folgt auf sie ein gesetzmäßig mit ihr zusammenhängender Willensentschluß. Man betritt ein Zimmer, findet es dumpfig und öffnet die Fenster. Man hört seinen Namen rufen und folgt dem Rufe. Man wird gefragt und gibt Antwort. Man sieht ein übelriechendes Ding und bekommt ein Gefühl von Unlust. Das sind einfache Zusammenhänge zwischen Denken, Fühlen und Wollen. ,Wenn man aber das menschliche Leben überschaut, so wird man finden, daß sich alles in diesem Leben auf solche Zusammenhänge aufbaut. Ja, man bezeichnet das Leben eines Menschen nur dann als ein «normales», wenn man in demselben eine solche Verbindung von Denken, Fühlen und Wollen bemerkt, die in den Gesetzen der menschlichen Natur begründet liegt. Man fände es diesen Gesetzen widersprechend, wenn ein Mensch zum Beispiel beim Anblick eines übelriechenden Gegenstandes ein Lustgefühl empfände oder wenn er auf Fragen nicht antwortete. Die Erfolge, die man sich von einer richtigen Erziehung oder einem angemessenen Unterricht verspricht, beruhen darauf, daß man voraussetzt, man könne eine der menschlichen Natur entsprechende Verbindung zwischen Denken, Fühlen und Wollen beim Zögling herstellen. Wenn man diesem gewisse Vorstellungen beibringt, so tut man es in der Annahme, daß sie später mit seinen Gefühlen und Willensentschlüssen in gesetzmäßige Verbindungen eingehen. - Alles das rührt davon her, daß in den feineren Seelenleibern des Menschen die Mittelpunkte der drei Kräfte, des Denkens, Fühlens und Wollens, in einer gesetzmäßigen Art miteinander verbunden sind. Und diese Verbindung in dem feineren Seelenorganismus hat auch ihr Abbild in dem groben physischen Körper. Auch in diesem stehen die Organe des Wollens in einer gewissen gesetzmäßigen Verbindung mit denen des Denkens und Fühlens. Ein bestimmter Gedanke ruft regelmäßig daher ein Gefühl oder eine Willenstätigkeit hervor. - Bei der höheren Entwickelung des Menschen werden nun die Fäden, welche die drei Grundkräfte miteinander verbinden, unterbrochen. Zuerst geschieht diese Unterbrechung nur in dem charakterisierten feineren Seelenorganismus; bei noch höherem Aufstieg aber erstreckt sich die Trennung auch auf den physischen Körper. (Es zerfällt bei der höheren geistigen Entwickelung des Menschen tatsächlich zum Beispiel sein Gehirn in drei voneinander getrennte Glieder. Die Trennung ist allerdings eine solche, daß sie für die gewöhnliche sinnliche Anschauung nicht wahrnehmbar und auch durch die schärfsten sinnlichen Instrumente nicht nachweisbar ist. Aber sie tritt ein, und der Hellseher hat Mittel, sie zu beobachten. Das Gehirn des höheren Hellsehers zerfällt in drei selbständig wirkende Wesenheiten: das Denk-, Fühl- und Willensgehirn.)

Die Organe des Denkens, Fühlens und Wollens stehen sodann ganz frei für sich da. Und ihre Verbindung wird nunmehr durch keine ihnen selbst eingepflanzten Gesetze hergestellt, sondern muß durch das erwachte höhere Bewußtsein des Menschen selbst besorgt werden. - Das ist nämlich die Veränderung, welche der Geheimschüler an sich bemerkt, daß kein Zusammenhang zwischen einer Vorstellung und einem Gefühl oder einem Gefühl und einem Willensentschluß und so weiter sich einstellt, wenn er nicht selbst einen solchen schafft. Kein Antrieb führt ihn von einem Gedanken zu einer Handlung, wenn er diesen Antrieb nicht frei in sich bewirkt. Er kann nunmehr völlig gefühllos vor einer Tatsache stehen, die ihm vor seiner Schulung glühende Liebe oder ärgsten Haß eingeflößt hat; er kann untätig bleiben bei einem Gedanken, der ihn vorher zu einer Handlung wie von selbst begeistert hat. Und er kann Taten verrichten aus Willensentschlüssen heraus, für welche bei einem nicht durch die Geheimschulung hindurchgegangenen Menschen auch nicht die geringste Veranlassung vorliegt. Die große Errungenschaft, welche dem Geheimschüler zuteil wird, ist, daß er die vollkommene Herrschaft erlangt über das Zusammenwirken der drei Seelenkräfte; aber dieses Zusammenwirken wird dafür auch vollständig in seine eigene Verantwortlichkeit gestellt.

Erst durch diese Umwandlung seines Wesens kann der Mensch in bewußte Verbindung treten mit gewissen übersinnlichen Kräften und Wesenheiten. Denn es haben seine eigenen Seelenkräfte zu gewissen Grundkräften der Welt entsprechende Verwandtschaft. Die Kraft zum Beispiel, die im Willen liegt, kann auf bestimmte Dinge und Wesenheiten der höheren Welt wirken und diese auch wahrnehmen. Aber sie kann das erst dann, wenn sie frei geworden ist von ihrer Verbindung mit dem Fühlen und Denken innerhalb der Seele. Sobald diese Verbindung gelöst ist, tritt die Wirkung des Willens nach außen hervor. Und so ist es auch mit den Kräften des Denkens und Fühlens. Wenn mir ein Mensch ein Haßgefühl zusendet, so ist dieses für den Hellseher sichtbar als eine feine Licht-Wolke von bestimmter Färbung. Und ein solcher Hellseher kann dieses Haßgefühl abwehren, wie der Sinnes-Mensch einen physischen Schlag abwehrt, der gegen ihn geführt wird. Der Haß wird in der übersinnlichen Welt eine anschaubare Erscheinung. Aber nur dadurch kann ihn der Hellseher wahrnehmen, daß er die Kraft, die in seinem Gefühle liegt, nach außen zu senden vermag, wie der Sinnesmensch die Empfänglichkeit seines Auges nach außen richtet. Und so wie mit dem Haß ist es mit weit bedeutungsvolleren Tatsachen der sinnlichen Welt. Der Mensch kann mit ihnen in bewußten Verkehr treten durch die Freilegung der Grundkräfte seiner Seele." (Lit.: GA 10, S 184ff)

Eine weitere Folge dieser Entwicklung ist, dass wir lernen, aus unserem höheren Wesen auf unsere niedere, irdische Persönlichkeit zurückzublicken:

"Daher ist es wichtig, wirklich festzuhalten, daß in dem Augenblick, wo das Hellsehen beginnt und man dadurch zur Offenbarung höherer Welten hinaufsteigt, wirklich eine Art Spaltung der Persönlichkeit stattfindet. Die eine Persönlichkeit, die man auf dem physischen Plan ist, die läßt man zurück. Man ist nun eine andere Persönlichkeit, indem man hinaufsteigt in eine höhere Welt. Und so wie wir angeschaut werden in der höheren Welt von den Wesenheiten der höheren Hierarchien, wie wir wahrgenommen werden von den Wesen der höheren Hierarchien, so schauen wir unsere gewöhnliche Persönlichkeit von unserem höheren Gesichtspunkt aus selbst an. Wir schauen, indem wir mit dem höheren Wesen aus dem niederen Wesen herausgegangen sind, als höheres Wesen unser niederes Wesen an. So daß wir gut tun, wenn wir irgend etwas Gültiges für die höheren Welten aussprechen wollen, zu warten, bis wir in die Lage kommen, zu sagen: Das bist du, den du selbst da siehst in deinem hellsichtigen Felde, das bist du. - Dieses «Das bist du» entspricht auf dem höheren Plane dem «Das bin ich» auf dem physischen Plane. Dieses «Das bin ich», verwandelt sich auf dem höheren Plan in das «Das bist du». Es ist eigentlich mehr gesagt mit dem eben Ausgesprochenen, als man gewöhnlich denkt. Versetzen Sie sich einmal in den Fall, Sie blickten von Ihrem heutigen Gesichtspunkt zurück auf den Zeitpunkt, wo Sie acht oder dreizehn oder fünfzehn Jahre alt waren, und Sie versuchten, ein kleines Stück Ihres Lebens aus der Erinnerung zu rekonstruieren aus dem achten, dem dreizehnten oder dem fünfzehnten Jahre. Stellen Sie sich lebhaft vor dieses Zurückblicken in Ihre eigene Gedankenwelt, indem Sie die Erinnerungen aus der Gedankenwelt zurückkonstruieren. Nun vergegenwärtigen Sie sich das Gefühl, das Sie gegenüber diesem acht- oder dreizehn- oder fünfzehnjährigen Knaben oder Mädchen, der oder das Sie selbst waren, nun haben. Vergegenwärtigen Sie sich lebhaft Ihr gegenwärtiges Gefühl gegenüber diesen vergangenen Erlebnissen. Sobald man von dem physischen Plan in die höhere Welt hinaufkommt, wird der Augenblick, in dem wir unmittelbar jetzt leben, sogleich eine solche Erinnerung, wie die eben charakterisierte. Man schaut auf das, was man auf dem physischen Plan jetzt ist und auf das, was man noch werden kann in dem Rest seines physischen Lebens, so zurück, wie Sie zurückschauen von dem jetzigen Gesichtspunkt aus auf die Erlebnisse im achten, dreizehnten, fünfzehnten Jahr. Es ist durchaus wahr: Was wir fühlen, was wir denken, was wir vorstellen, was wir handeln auf dem physischen Plan, in dem Augenblick, wo wir die höhere Welt betreten, ist das alles, was wir zusammenfassen unter unserem Selbst auf dem physischen Plan, eine Erinnerung. Wir schauen herunter auf den physischen Plan und sind uns, sobald wir in der höheren Welt leben, eine Erinnerung geworden. Und wie wir auseinanderhalten einen gegenwärtigen Standpunkt unseres Erlebens von einem längst verflossenen, so müssen wir auseinanderhalten dasjenige, was wir erleben in höheren Welten und dasjenige, was wir erleben auf dem physischen Plan." (Lit.: GA 154, S 98f)

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?, GA 10 (1993), ISBN 3-7274-0100-1; Tb 600, ISBN 978-3-7274-6001-2 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  2. Rudolf Steiner: Wie erwirbt man sich Verständnis für die geistige Welt?, GA 154 (1985), ISBN 3-7274-1540-1 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
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