Martin Scherber

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Martin Scherber (* 16. Januar 1907 in Nürnberg; † 10. Januar 1974 ebenda) war ein deutscher Komponist und Schöpfer der Metamorphosensinfonik.

Martin Scherber um das Jahr 1930, vermutlich in Aussig an der Elbe

In den frühen Morgenstunden des 16. Januar 1907 erblickte Martin Scherber als drittes Kind von Maria und Bernhard Scherber in Nürnberg das Licht der Welt. Sein Vater war erster Kontrabassist am Städtischen Opernhaus, seine Mutter arbeitete in dessen Verwaltung, bis die Kindererziehung ihre Hauptaufgabe wurde.

Als Kind hatte er eine weit zurückgehende Erinnerung, empfand sich ‚aus dem Paradies’ verstoßen und erlebte sich, insbesondere, wenn ihm Märchen erzählt wurden, in eine Bilderwelt versetzt, die ihm Kunde vom eigentlichen Leben zuzuströmen schien. Er war ein stilles Kind, voller Fragen – ohne zu fragen. „Dieser Tatbestand , dass mir abwechselnd die Innenwelt zu einer real erlebten und angeschauten Welt wurde, wobei dann die Außenwelt wie ein leiser Traum war, und dann wieder die Welt, die mit Augen gesehen wird, real erlebbar wurde, wodurch die Innenwelt verfinstert wurde – etwa wie die Sterne durch die Sonne unsichtbar werden – dieser Tatbestand, das Leben in zwei nicht voll verstandenen Welten – ist mir der eigentliche ‚Schlüssel’ geworden für alle Welträtsel und [Welt]geheimnisse.“

Mit sieben Jahren kam er in die in seiner direkten Nachbarschaft liegende Volksschule (heute Bismarck-Schule). Er hatte er große Sorge, dass ihm das geschilderte Erleben wegpädagogisiert würde, wie er sich später ausdrückte. Es blieb ihm aber geschützt und dadurch erhalten. Früh zeigten sich technische, musikalische und darüber hinausgehende Begabungen, welche in einem liebevollen Mitleben seiner natürlichen und sozialen Umwelten bestanden.

Er kam 1918 auf die Oberrealschule, da sein Vater meinte, er wäre prädestiniert für das Ingenieurdasein. Schließlich entschied er sich aber für die Musik. Beim immer umfangreicher ausgeübten Musizieren – er hatte mit etwa fünf Jahren bei seinem strengen Vater angefangen, Geige zu spielen, wozu bald Klavier kam – erlangte er eine Geistesgegenwart, welche ihm erlaubte ohne Noten, die er nicht lernen wollte, synchron mit seinem Mitspieler zu spielen. Eine Eigenschaft, die später beim Unterrichten dazu führte, dass er praktisch gleichzeitig mit den Taktfehlern seiner Schülerinnen und Schüler mitsprang. Wenn er musizierte hatte er das Empfinden ‚hinter die Wände’ zu treten, später kam, als er mit dreizehn Jahren anfing zu komponieren, das Erleben dazu, wie er eingebettet war in eine 'Hülle aus Musik' , oder wie er es auch ausdrückte - in eine 'Mutterhülle aus Klängen' . Diese rätselhaften Erlebnisse versuchte er von da an zu ergründen.

Ab September 1925 besuchte er die Staatliche Akademie der Tonkunst in München (heute: Hochschule für Musik und Theater). Dazu erhielt er Stipendien. Gleichzeitig studierte er Philosophie. Hier befasste er sich besonders mit Erkenntnistheorie, d.h. der Verständigung des tätigen Bewusstseins mit sich selbst und den Eingliederungsmöglichkeiten dieser Bewusstseinstätigkeiten in das Weltgeschehen. Beides - die Innen- und Außensicht - verschmolz er mit seinem künstlerischen Erleben und gewann dadurch eine sichere Basis für das Erfassen der sich dabei bietenden Zusammenhänge. Die verborgen gebliebenen Fragen seiner Kindheit konnten nun richtig gestellt werden und damit eine Ausgangsbasis für das finden einer Antwort bilden. Dabei stieß er zuerst - wohl in der Bibliothek eines Bekannten, der bei seinen Eltern sich eingemietet hatte, auf das Werk von Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), dessen umfassende Weltsicht und künstlerische Art, mit den inneren und äußeren Phänomenen umzugehen, ihn unmittelbar ansprach. Über seinen Goethestudien entdeckte er etwas später die Schriften von Rudolf Steiner (1861-1925), dessen erkenntnistheoretische und spirituelle Hinweise er fortan mit der ihm eigenen Selbständigkeit erprobte. Dadurch gelang es ihm, allmählich bewusster an die inneren Quellen der Musik heranzukommen.

Nach seiner Münchner Zeit – vermutlich hatte er dort in der Nähe des Englischen Gartens gewohnt – ging er nach Aussig, heute Tschechien. Dort war er am Stadttheater von 1929-33 Korrepetitor, später Kapellmeister und Chorleiter. Obwohl er große Anerkennung fand, verließ er 1933 die Elbestadt. Er machte sich selbständig, leitete Chöre, Ensembles und wirkte, von 1940-46 durch Kriegsdienst und Gefangenschaft unterbrochen, als Privatmusiklehrer und freischaffender Komponist in Nürnberg.

Hier entstanden die meisten seiner Werke: Kammermusiken und Chöre a capella oder mit Begleitung; Lieder und Liedzyklen; der Zyklus 'ABC-Stücke für Klavier' (ca. 1935-65) - ein Versuch, die deutschen Sprachlaute 'musikalisch aufklingen zu lassen'; seine Klavierbearbeitungen der Bruckner-Symphonien Nr. 3-9 (1948-50) und die beiden großen Metamorphosensymphonien in den Jahren 1951-55. Auch von diesen gibt es Auszüge für zwei Klaviere.

Die Anregungen, die ihm durch die Werke von Goethe und Steiner zuflossen, waren einige der frühen Voraussetzungen für Scherbers spätere künstlerische Erkenntniserlebnisse. Die Entdeckung der Metamorphose als ‚Wesenselement der Musik’ wurde dadurch vorbereitet.

Neben dem Unterrichten und Komponieren leitete er über Jahrzehnte hinweg (1946-74) Kurse und Arbeitskreise zu erkenntnistheoretischen, künstlerischen und sozialen Themen. Er war ein humorvoller, sensibler, sehr aufmerksam zuhörender Gesprächspartner und besaß die souveräne Fähigkeit, in den Fragen, Problemen und Idealen seiner Gesprächspartner zu leben. Daraus erwuchsen die Anregungen, die er hier und da geben konnte und lebenslange Freundschaften. Auch seine umfangreichen Korrespondenzen geben davon Kunde.

Im Mai 1970 setzte ein schwerer Unfall diesen Tätigkeiten ein Ende - gerade als mit der Veröffentlichung seines symphonischen Werkes begonnen werden sollte. Ein volltrunkener Autofahrer überfuhr Scherber auf einem Spaziergang. Nach schwierigen Operationen, wochenlanger künstlicher Ernährung und einer achtmonatigen Krankenhauszeit blieb er zeitlebens - wegen verbliebener Lähmungen - an den Rollstuhl gefesselt, konnte wegen steif gebliebenem linken Ellbogengelenk und dazugehöriger verkrampfter Hand (Unfallschock) musikalisch und kompositorisch nicht mehr praktizieren. Was dieser brutale Eingriff in die Biographie eines sensiblen Künstlers bedeutete, dürfte kaum zu ermessen sein. Er unterstützte die Veröffentlichung jedoch weiterhin mit besten Kräften.

Er starb am 10. Januar 1974 in seiner Heimatstadt am Versagen der beim Unfall gequetschten Nieren (akute Zuckerkrankheit) - inmitten heftiger Auseinandersetzungen mit der Versicherung des Unfallfahrers, die ihm, obwohl gerichtlich seine Unschuld festgestellt worden war, eine Mitschuld am Unfall diktieren wollte.

Werke (Auszug)

Klavierwerke
  • Tänze für zwei Klaviere zu je vier Händen
  • ABC-Stücke für Klavier (ca.1938–1963), UA: offen
Klavierbearbeitungen
  • Max Reger: Symphonischer Prolog für Großes Orchester von 1908 (1926)
  • Anton Bruckner: Sinfonien No. 3 bis 9, (1948-50)
  • Martin Scherber: Sinfonien No. 1 bis 3, (1951-55)
Sinfonische Musik
  • 1. Sinfonie in d-moll 1938, UA 11. März 1952 in Lüneburg; Lüneburger Sinfonie-Orchester, Dirigent Fred Thürmer
  • 2. Sinfonie in f-moll 1951–1952, UA 24. Januar 1957 in Lüneburg; Niedersächsisches Sinfonie-Orchester Hannover, Dirigent Fred Thürmer
  • 3. Sinfonie in h-moll 1952–1955, UA offen
Vokalwerke
  • Goethelieder (1930), 7 Vertonungen
  • Stör’ nicht den Schlaf 1936 (Morgenstern)
  • Wanderers Nachtlied 1937 (Goethe)
  • Kinderliederzyklen 1930/1937 (Scherber (9), Brentano (18))
  • Hymne an die Nacht 1937 (Novalis)
  • Chöre a cappella (10) und Chöre mit Klavier oder Orchester (3 Stücke)
Texte
  • Von Urquellen wahrhaft moderner Kunst und der Allverbindung des vereinsamten Menschen (1972)
  • Warum heute wieder Märchen? (1972)
  • Aphorismen I + II (1976 und 1993)
Titelseite der II. Symphonie


Diskografie

Große Metamorphosensinfonien

  • Sinfonie No. 3 in h-moll, 2001 bei col legno WWE 1 CD 20078; World Premiere Recording. Herausgeber: Peermusic Classical, Hamburg 2001.
  • Sinfonie No. 2 in f-moll, 2010 bei cascade Order No. 05116; am@do-classics. World Premiere Recording. Herausgeber: Bruckner-Kreis, Nürnberg 2010

Weblinks

Commons: Martin Scherber - Weitere Bilder oder Audiodateien zum Thema