Akt und Potenz und Tesserakt: Unterschied zwischen den Seiten

Aus AnthroWiki
(Unterschied zwischen Seiten)
imported>Odyssee
Keine Bearbeitungszusammenfassung
 
imported>Odyssee
Keine Bearbeitungszusammenfassung
 
Zeile 1: Zeile 1:
'''Akt''' ([[Latein|lat.]] actus; {{ELSalt|ἐνέργεια}}, ''energeia''; weitgehend synonym ist {{polytonisch|ἐντελέχεια}}, ''[[entelecheia]]''<ref>[[Wikipedia:Michael-Thomas Liske|Michael-Thomas Liske]]: ''entelecheia'', in: Christoph Horn/Christof Rapp (Hgg.): ''Wörterbuch der antiken Philosophie'', München 2002, S. 135</ref>) und '''Potenz''' ([[Latein|lat.]] potentia; {{ELSalt|δύναμις}}, ''dynamis'') sind im [[Philosophie|philosophischen]] Sprachgebrauch [[Begriffe|Gegenbegriffe]], die sich aus der [[Naturphilosophie]] und [[Ontologie]] des [[Aristoteles]] herleiten. ''Potenz'' bezeichnet dabei die noch nicht realisierte [[Möglichkeit|Möglichkeit]], zu der aber ein [[Vermögen]] bzw. eine [[Fähigkeit]] oder [[Dispositionelle Eigenschaft|Disposition]] besteht. Die ''reine'' Potenz kann sich nicht selbst aktualisieren, sie bedarf des Aktes, der auf sie einwirkt, um sich verwirklichen zu können, d.h. vom Zustand der bloßen Möglichkeit in den Zustand des tatsächlichen [[Sein]]s überzutreten. Der ''Akt'' bezeichnet die Kraft zur [[Realität|Realisierung]] bzw. [[Wirklichkeit|Verwirklichung]] dieser Möglichkeit, wie auch ihr Ergebnis, also die konkrete Wirklichkeit oder Realität selbst. [[Gott]] selbst ist nach Auffassung der [[Scholastik]] ''reine Aktualität'' ([[actus purus]]). Im Zusammenspiel von Akt und Potenz entfaltet sich alles [[Werden]].
[[File:Hypercube.svg|thumb|250px|Projektive Darstellung des Tesserakts durch zwei durch die Projektion ungleich groß erscheinende, ineinander geschachtelte Würfel, die an allen korrespondierenden Ecken miteinander verbunden sind ([[w:Schlegeldiagramm|Schlegeldiagramm]]).]]
Der '''Tesserakt''' [{{IPA|ˈtɛsərakt}}] - ein von dem britischen [[Mathematik]]er und [[Theosoph]]en [[Charles Howard Hinton]] geprägter [[Begriff]] - ist ein [[Vierte Dimension|vierdimensionaler]] [[Wikipedia:Hyperwürfel|Hyperwürfel]], d.h. ein 4-dimensionales Analogon des klassischen [[Wikipedia:Würfel|Würfel]]s im dreidimensionalen [[Raum]]. Er kann daher nicht direkt [[sinnlich]] angeschaut, sondern nur durch eine [[Wikipedia:Projektion|Projektion]] in den dreidimensionalen Raum oder die zweidimensionale [[Wikipedia:Ebene (Mathematik)|Ebene]] veranschaulicht werden. Während der klassische Würfel von ''sechs'' gleichgroßen, zueinander im [[Wikipedia:Rechter Winkel|rechten Winkel]] stehenden [[Wikipedia:Quadraten|Quadraten]] begrenzt wird, wird die Hülle des Tesserakts von ''acht'' Würfeln gebildet. Der Tesserakt hat weiters 16 Ecken, 32 gleich lange Kanten und 24 quadratische Flächen.


Dieser Begriffsgebrauch des [[Aristoteles]] blieb auch für die spätere griechische und lateinische Philosophie und insbesondere für die [[Hochmittelalter|hochmittelalterliche]] [[Scholastik]] maßgebend.  
Das nachstehende Bild zeigt links das räumliche Netz des Tesserakts aus 8 3-dimensionalen Würfeln und rechts unten eine zweidimensionale Parallelprojektion des Tesserakts, die zeigt, wie der Tesserakt durch zwei Würfel, die durch sechs weitere [[Wikipedia:rhomboedrisch|rhomboedrisch]] verzerrte Begrenzungswürfel verbunden sind, auf ähnliche Weise gebildet werden kann, wie ein 3-dimensionaler Würfel durch die Verbindung zweier Quadrate.


Dabei kann außerdem zwischen ''aktiver'' und ''passiver'' Potenz unterschieden werden. '''Passive Potenz''' bedeutet die Empfangsmöglichkeit einem Akt gegenüber. Passive Potenz hat zum Beispiel ein Stück Lehm, das zu einer Vase geformt werden kann. '''Aktive Potenz''' ist das [[Vermögen]], die [[Fähigkeit]], selbst einen Akt hervorzubringen. Aktive Potenz hat zum Beispiel ein Künstler, der aus einem Stück Lehm eine Vase oder einen Krug zu formen ''vermag''. Sowohl aktive wie passive Potenz betrifft die [[Ontologie|ontologisch]] sachhaltige Zuschreibung konkreter Vermögen und ist insofern mehr als logische Möglichkeit. Ein Sachverhalt ist nämlich schon dann logisch möglich, wenn sein Gegenteil nicht logisch notwendig ist; eine Potenz kommt einer Sache aber nur dann zu, wenn die aktuale ''Welt so eingerichtet ist,'' dass die Sache ein Vermögen zu einem entsprechenden Akt besitzt.


Für Aristoteles hat die Wirklichkeit eine ontologische Priorität vor der Möglichkeit.<ref>[[Wikipedia:Metaphysik (Aristoteles)|Met.]] 12, 1071b12-1072a8</ref> Eines der Argumente für diese Position ist, dass die Realisierung je bestimmter Veränderungen nicht erklärbar wäre, wenn nicht jeweils ein Prinzip vorausgesetzt wird, was diese Veränderung verursacht. Da eine unendliche Reihe von Aktualisierern außerdem undenkbar ist, nimmt Aristoteles als erstes Prinzip seiner Kosmologie einen unbewegten ''Beweger'' an - nicht etwa nur eine ungeformte Materie mit Potenz zur Veränderung. Dieses erste Prinzip bezeichnet er außerdem als nur auf sich selbst bezogenes Denken. Zugleich ist es mit der vollkommensten Art der Bewegung verbunden, der Kreisbewegung. Gott bzw. seine Vernunfttätigkeit ist „wirkliche Tätigkeit“.<ref>[[Wikipedia:Metaphysik (Aristoteles)|Met.]] 12, 1072b24-29</ref>
[[Datei:Tesseract net.svg|center|Netz und Parallelprojektion des Tesseraktes]]


In diesen Ausgangslagen hat der [[Scholastik|scholastische]] Begriff des [[Wesen]]s [[Gott]]es als '''reiner Akt''' ([[actus purus]]) seinen Ursprung.


Ebenfalls in Rückgriff auf Aristoteles hat [[Wikipedia:Wilhelm von Humboldt|Wilhelm von Humboldt]] Sprache als ''energeia'' verstanden, also als wirkende Kraft statt als statisches System.<ref>Hans Schwarz: ''Enérgeia, Sprache als (Humboldt)'', in: [[Wikipedia:HWPh|HWPh]] Bd. 2, S. 492-494</ref>
[[Rudolf Steiner]] hat sich in seinen [[1905]] gehaltenen Vorträgen über die [[vierte Dimension]] ([[GA 324a]]) ausführlich mit dem Tesserakt beschäftigt und dabei auch auf [[Hinton]] Bezug genommen.


== Literatur ==
== Siehe auch ==
* Dietrich Schlüter: ''Akt/Potenz'', in: [[Wikipedia:HWPh|HWPh]] Bd.1, 134-142.
;Zum Begriff ἐνέργεια
* [[Wikipedia:Georg Picht|Georg Picht]], ''Der Begriff des Energeia bei Aristoteles'', in: Georg Picht, ''Hier und Jetzt. Philospophieren nach Auschwitz und Hiroshima'', Bd. 1, S. 289 - 308
* Max Jammer: ''Energie'', in: [[Wikipedia:HWPh|HWPh]] Bd. 2, 494-499
* Max Jammer und Marc Lange: ''Energy'' und ''Energy (Addendum)'', in: Donald M. Borchert (Hg.): ''Encyclopedia of Philosophy'', 2. Auflage, Detroit 2006, Bd. 3, S. 225-234 und 234-237
<!--
* Alexander P. Mourelatos: ''Aristotle's powers and modern empiricism'', in: ''Ratio'' 9 (1967) S. 97-104.
* [[Wikipedia:Nancy Cartwright (Philosophin)|N. Cartwright]]: ''Aristotle on bodies, matter, and potentiality'', in Allan Gotthelf / James Lennox (Hgg.): ''Philosophical issues in Aristotle's biology'', Cambridge: Cambridge University Press 1987, S. 392-407.
-->
* Roberto Radice / Richard Davies / Giovanni Reale: ''Aristotle's Metaphysics: Annotated Bibliography of the Twentieth-Century Literature'', Leiden: Brill 1997, ISBN 9004108955 (Abschnitte ''actuality'', ''potency'')


== Weblinks ==
* {{WikipediaDE|Tesserakt}}
* C.A. Dubray: [http://www.newadvent.org/cathen/01124a.htm ''Actus et Potentia''], in: Catholic Encyclopedia, Bd. 1, New York: Robert Appleton 1907
* Enrique Alarcón: [http://www.corpusthomisticum.org/tla.html#actus actus] und [http://www.corpusthomisticum.org/tlp.html#potentia potentia], in: [[Thomas von Aquin|Thomas]]-Lexikon, Pamplona, Universität von Navarra 3. A. 2006
* {{SEP|http://plato.stanford.edu/entries/aristotle-natphil/|Aristotle's Natural Philosophy|Istvan Bodnar}}
* {{IEP|http://www.iep.utm.edu/a/aris-mot.htm#H2|''Energeia'' and ''Entelechia'', in: Aristotle: Motion and its Place in Nature|Joe Sachs}}
* {{SEP|http://plato.stanford.edu/entries/aristotle-metaphysics/#ActPot|Actuality and Potentiality, in: Aristotle's Metaphysics|S. Marc Cohen}}
* Justo Fernández López: [http://culturitalia.uibk.ac.at/hispanoteca/Lexikon%20der%20Linguistik/e/ENERGEIA%20%20%20Energeia.htm Energeia], in: [http://culturitalia.uibk.ac.at/hispanoteca/Lexikon%20der%20Linguistik/Eingangsseite/Lexikon-Linguistik-Eingangsseite.htm Lexikon der Linguistik und Nachbardisziplinen] (Zusammenstellung von Textauszügen)
* Jonathan B. Beere: Kap. 8, [http://eva.unibas.ch/?c=16250 ''Actuality, Activity, Ambiguity: Preliminary Considerations on Energeia''], in: Ders.: ''Doing & Being'' An Interpretation of Aristotle’s Metaphysics Theta, Ms. Basel 2007


== Einzelnachweise ==
== Literatur ==
<references />
* Rudolf Steiner: ''Die vierte Dimension'', [[GA 324a]] (1995), ISBN 3-7274-3245-4 {{Vorträge|324a}}


[[Kategorie:Prozessontologie]]
{{GA}}
[[Kategorie:Philosophie]]
[[Kategorie:Ontologie]]
[[Kategorie:Aristoteles]]


{{Wikipedia}}
[[Kategorie:Mathematik]] [[Kategorie:Geometrie]] [[Kategorie:Vierte Dimension]]

Version vom 15. Mai 2019, 22:02 Uhr

Projektive Darstellung des Tesserakts durch zwei durch die Projektion ungleich groß erscheinende, ineinander geschachtelte Würfel, die an allen korrespondierenden Ecken miteinander verbunden sind (Schlegeldiagramm).

Der Tesserakt [ˈtɛsərakt] - ein von dem britischen Mathematiker und Theosophen Charles Howard Hinton geprägter Begriff - ist ein vierdimensionaler Hyperwürfel, d.h. ein 4-dimensionales Analogon des klassischen Würfels im dreidimensionalen Raum. Er kann daher nicht direkt sinnlich angeschaut, sondern nur durch eine Projektion in den dreidimensionalen Raum oder die zweidimensionale Ebene veranschaulicht werden. Während der klassische Würfel von sechs gleichgroßen, zueinander im rechten Winkel stehenden Quadraten begrenzt wird, wird die Hülle des Tesserakts von acht Würfeln gebildet. Der Tesserakt hat weiters 16 Ecken, 32 gleich lange Kanten und 24 quadratische Flächen.

Das nachstehende Bild zeigt links das räumliche Netz des Tesserakts aus 8 3-dimensionalen Würfeln und rechts unten eine zweidimensionale Parallelprojektion des Tesserakts, die zeigt, wie der Tesserakt durch zwei Würfel, die durch sechs weitere rhomboedrisch verzerrte Begrenzungswürfel verbunden sind, auf ähnliche Weise gebildet werden kann, wie ein 3-dimensionaler Würfel durch die Verbindung zweier Quadrate.


Netz und Parallelprojektion des Tesseraktes
Netz und Parallelprojektion des Tesseraktes


Rudolf Steiner hat sich in seinen 1905 gehaltenen Vorträgen über die vierte Dimension (GA 324a) ausführlich mit dem Tesserakt beschäftigt und dabei auch auf Hinton Bezug genommen.

Siehe auch

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.