Wilhelm Hübbe Schleiden und Zufall: Unterschied zwischen den Seiten

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'''Wilhelm Hübbe Schleiden''' (* [[20. Oktober]] [[1846]] in [[Hamburg]]; † [[17. Mai]] [[1916]] in [[Göttingen]]) war ein deutscher [[Forschungsreisender]], [[Volkswirtschaft|volkswirtschaftlicher]] [[Schriftsteller]] und [[Theosophie|Theosoph]].
Als '''Zufall''' ([[Wikipedia:Mittelhochdeutsch|mhd.]] ''zuoval''; {{ELSalt|τύχη}}, ''tyche'') erscheinen Ereignisse oder das Zusammentreffen mehrerer Ereignisse, für die keine [[kausal]]e Begründung erkennbar ist, die also in diesem Sinn [[kontingent]] sind, und die trotz gleicher Vorbedingungen, sofern solche überhaupt hergestellt werden können, nicht mit gleichem Ausgang wiederholbar sind. Offen bleibt dabei, ob der Zufall einem [[Wikipedia:Ontologie|ontologischen]] [[Indeterminismus]] entspringt, oder nur auf der Unkenntnis der zu Grunde liegenden Gesetzmäßigkeiten beruht. Von den [[Mystik]]ern des [[Wikipedia:14. Jahrhundert|14. Jahrhundert]]s wurde das Wort "Zufall" als [[Wikipedia:Lehnübersetzung|Lehnübersetzung]] für [[Latein|lat.]] ''[[accidens]]'' im Sinn eines bloß ''äußerlich Hinzukommendem'', einem ''nicht'' [[Wesenhaft]]em, gebraucht.


== Biographie==
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Hübbe-Schleiden studierte Volkswirtschaft und [[Rechtswissenschaft]], anschließend ließ er sich als [[Rechtsanwalt]] in seiner Heimatstadt nieder (1869). Während des [[Deutsch-Französischer Krieg|Deutsch-Französischen Krieges]] war er [[Attaché]] am deutschen [[Generalkonsulat]] in [[London]].  
"In der physischen Welt von «Zufall» sprechen, ist gewiß
nicht unberechtigt. Und so unbedingt der Satz gilt: «Es gibt
keinen Zufall», wenn man alle Welten in Betracht zieht, so
unberechtigt wäre es, das Wort «Zufall» auszumerzen, wenn
bloß von der Verkettung der Dinge in der physischen Welt
die Rede ist. Der Zufall in der physischen Welt wird nämlich
dadurch herbeigeführt, daß sich in dieser Welt die Dinge im
sinnlichen Raume abspielen. Sie müssen, insofern sie sich in
diesem Raume abspielen, auch den Gesetzen dieses Raumes
gehorchen. In diesem Raume aber können äußerlich Dinge zusammentreffen,
die zunächst innerlich nichts miteinander zutun
haben." {{Lit|{{G|034|362f}}}}
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Hübbe-Schleiden unternahm ausgedehnte Reisen durch [[Westeuropa]] und lebte zwischen 1875 und 1877 in [[Westafrika]], wo er ein eigenes Handelshaus gründete. Seine dortigen Erfahrungen veröffentlichte er unter dem Titel ''Ethiopien''. Unter diesem Titel verstand er nicht das heutige [[Äthiopien]], sondern die zu jener Zeit noch unbekannten Teile [[Afrika]]s. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland war er Steuersekretär in Hamburg. Hübbe-Schleiden trat als Vorkämpfer für die deutschen [[Kolonialismus|Kolonialbestrebungen]] in Afrika auf, hierzu schrieb er mehrere Bücher, unter anderem ''Überseeische Politik''.
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"Naturgesetze
anerkennen, die in den chemischen, in den physikalischen
Vorgängen wirken, das ist ein Mut, der ja da ist, den die Menschen
haben, und er soll ihnen nicht abgesprochen werden; aber er ist billig.
Denn die Welt läßt sich nicht leicht als eine bloße Zufälligkeit betrachten,
insofern man es mit Naturtatsachen zu tun hat. Aber der Mut
verdunstet gegenüber den Dingen, die man gewöhnlich als zufällig
bezeichnet, wo der Mensch gerade stark sein sollte - nämlich dem
Zufall gegenüber - und sich sagen sollte: Da treten mir in einer gewissen
Sphäre Ereignisse gegenüber, welche sich scheinbar sinnlos
zusammenschließen; ich werde einen tieferen Sinn darin suchen. -
Hineintragen den Sinn in die äußere Zufälligkeit, das hieße, sich mit
starker Seele den äußeren Zeichen entgegenwerfen, so daß der Mut
auch andauerte gegenüber den scheinbar zufälligen Ereignissen. So
daß also das heutige Phantasieren gegenüber dem Zufall aus einer
inneren Schwäche stammt, weil sich der Mensch nicht getraut gegenüber
den Dingen, die er heute Zufall nennt, ein Gesetz anzuerkennen.
Das ist etwas, was man bezeichnen darf als wissenschaftliche Feigheit,
als Feigheit der Wissenschaft gegenüber dem Zufall: stehenzubleiben
und nicht den Mut zu haben, in das, was sich als ein bloßes wirres
Chaos darbietet, die Gesetze hineinzutragen, weil das Gesetz sich nicht
selbst anbietet und dazu zwingt, es aus innerem Mut hineinzutragen.
Daher muß entgegentreten der mutlosen Wissenschaft, die sich heute
bloß auf Naturgesetze ausdehnen will, die mutvolle, starke, kühne
Wissenschaft des Geistes, welche die innere Seele so belebt, daß in das
scheinbare Chaos der Zufälligkeiten Gesetz und Ordnung hineingebracht
wird. Und das ist diejenige Seite der Geisteswissenschaft, von
der man sagen muß: Der Mensch soll durch sie stark werden, um
nicht bloß dort Gesetzmäßigkeiten anzuerkennen, wo die äußeren
Verhältnisse zu Stärke und Mut zwingen, sondern auch dort, wo er
sein Inneres aufrufen muß, um so zu sprechen, wie sonst nur die Naturereignisse
mit ihrem Zwange zu ihm sprechen." {{Lit|{{G|133|53f}}}}
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1883 lernte er über seine Bekanntschaft mit der Fabrikantenfamilie [[Marie Gebhardt|Gebhardt]] in [[Elberfeld]] die Lehren der [[Theosophische Gesellschaft|Theosophischen Gesellschaft]] (TG) kennen, mit dieser beschäftigte er sich von nun an bis an sein Lebensende. Im Juli 1884 traf er im Haus der Familie Gebhardt [[Henry Steel Olcott]] und einige Wochen später auch [[Helena Blavatsky]], die Begründer der TG, die auf ihrer Europareise auch in Elberfeld Station gemacht hatten. Auf Mary Gebhards Betreiben wurde am 27. Juli 1884, die theosophische [[Loge Germania]] gegründet, zu deren Präsidenten Hübbe Schleiden gewählt wurde. Durch das Bekanntwerden der [[Coulomb-Affäre]] und später des [[Hodgson Report]]s, welche Blavatsky und die TG stark in Misskredit brachten, wurde die Loge jedoch bereits am 31. Dezember 1886 wieder aufgelöst.
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"Ahriman ist das Prinzip, das sich in unsere Wahrnehmungen mischt
und von außen in uns hineinzieht. Nun wirkt Ahriman am allerstärksten
in den Fällen, wo wir das Gefühl haben: Hier kommst du mit deinem
Denken nicht mehr nach; da stehst du an einem kritischen Punkt
mit deinem Denken, da fängt sich das Denken wie in einem Gedankenknäuel.
- Da ergreift das ahrimanische Prinzip die Gelegenheit, um wie
durch einen Spalt der Außenwelt in uns einzudringen. Wenn wir den
Gang der Weltereignisse verfolgen und die mehr offenbaren Ereignisse
ansehen, wenn wir zum Beispiel die heutige Physik zurückverfolgen bis
zu dem Moment, wo Galilei vor der schwingenden Kirchenlampe im
Dom zu Pisa saß, so können wir ein Gedankennetz über alle Ereignisse
spinnen, das uns die Sache leicht erklärt; überall werden uns die Dinge
erklärlich werden. Da aber, an der Stelle, wo wir zu der schwingenden
Kirchenlampe kommen, da verwickeln sich unsere Gedanken. Da ist
das Fenster, wo die ahrimanischen Kräfte am allerstärksten in uns eindringen,
und da hört unser Denken auf, dasjenige aus den Erscheinungen
zu begreifen, was Vernunft und Verständnis in die Sache hineinbringen
kann. Da sitzt aber auch das, was man den Zufall nennt. Er
sitzt da, wo uns Ahriman am allergefährlichsten wird. Diejenigen Erscheinungen
nennt der Mensch zufällig, bei denen er durch den ahrimanischen
Einfluß am allerleichtesten getäuscht werden kann.


Seit Januar 1886 fungierte Hübbe-Schleiden als Herausgeber der von ihm selbst geplanten und gegründeten Monatszeitschrift [[Sphinx (Zeitschrift)|Sphinx]], die sich hauptsächlich [[Metaphysik|metaphysischen]] Themen widmete, jedoch starken Bezug zur Theosophie aufwies. Vor allem aus der Leserschaft dieser Zeitschrift konnte er 1892 in [[Berlin]] eine neue [[Theosophische Vereinigung]] gründen. Dieser folgte am 3. November 1893 der [[Esoterischer Kreis|Esoterische Kreis]]. Diese beiden Organisationen wurden am 29. Juni 1894, unter Anwesenheit von Henry Steel Olcott zur [[Deutsche Theosophische Gesellschaft|Deutschen Theosophischen Gesellschaft]] (D.T.G.) vereinigt.
So wird der Mensch verstehen lernen, daß es nicht in der Natur der
 
Tatsachen liegt, wenn er irgendwo veranlaßt wird, von Zufall zu
Ende 1894 reiste Hübbe-Schleiden nach [[Indien]], um sich aus eigener Anschauung über die [[Meister der Weisheit]] der TG zu informieren. 1895 kam er ohne greifbares Ergebnis zurück und beschäftigte sich trotz dieses Misserfolges weiterhin mit der Theosophie. Die Eindrücke seiner Reise veröffentlichte er in seinem Werk ''Indien und die Inder''.
sprechen, sondern daß es an ihm, an seiner Entwickelung liegen wird.
 
Und er wird sich nach und nach dazu erziehen müssen, Maja und Illusion
In diesen Jahren wurden in ganz Deutschland zahlreiche theosophische Gruppen gegründet, alle mit unterschiedlichen Zielen, jedoch berief sich jede Gruppe darauf, im Besitz der "wahren" und "richtigen" Theosophie zu sein. Hübbe-Schleiden selbst nahm am 25. August 1901 an einem Theosophischen Kongress zur Vereinigung dieser unterschiedlichen Gruppierungen in Deutschland teil. Es konnte jedoch keine Einigung erzielt werden. Daraufhin gründeten die Mitglieder der D.T.G., unter ihnen Hübbe-Schleiden, der sich lange gegen die Gründung gesträubt hatte, am 19. Oktober 1902, unter Anwesenheit von [[Annie Besant]], eine eigene [[Deutsche Sektion der Theosophischen Gesellschaft]] (DSdTG). Diese war nun direkt der Zentrale in Adyar unterstellt. Auf Graf von Brockdorffs Vorschlag hin, wurde [[Rudolf Steiner]] zum Generalsekretär gewählt.  
zu durchdringen, das heißt, dort die Dinge zu durchdringen, wo
 
Ahriman am stärksten wirkt." {{Lit|{{G|120|111f}}}}
Nachdem sich zwischen Annie Besants und Steiner's Christus-Auffassung eine immer größere Kluft aufgetan hatte und die Differenzen schließlich unüberbrückbar geworden waren, wurde von Annie Besant, die wusste, wie sehr die deutschen Theosophen hinter Rudolf Steiner standen, kurzerhand die ganze Deutsche Sektion am 7. März 1913 ausgeschlossen. Steiner hatte vorsorglich an der Jahreswende 1912/13 in Köln bereits eine [[Anthroposophische Gesellschaft]] gegründet, die jetzt ihre Arbeit aufnehmen konnte. Hübbe-Schleiden, dessen Treue sich Annie Besant vorher versichert hatte, autorisierte ihn durch eine neue Stiftungsurkunde zur Neugründung der Deutschen Sektion, kurz DSdTG. Diese, nun erheblich verkleinerte Gesellschaft, kam nicht mehr richtig in Schwung.
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Einer Bitte von Annie Besant nachgebend, unterstützte Hübbe-Schleiden ab 1912 den [[Order of the Star of the East]] um [[Jiddu Krishnamurti]]. Nachdem Hübbe-Schleiden anfangs provisorisch als Generalsekretär der neuen Deutschen Sektion fungierte, wurde im Mai 1913 [[Johannes Ludovicus Mathieu Lauweriks]] als ordentlicher Generalsekretär gewählt, Hübbe-Schleiden blieb jedoch die wichtigste Galionsfigur der kleinen Adyartreuen Gruppe. Interne Streitereien führten zu einem stetigen Mitgliederschwund, der durch Ausbruch des [[Erster Weltkrieg|1. Weltkrieges]] noch verstärkt wurde. Mit Hübbe-Schleidens Tod am 17. Mai 1916 zerfiel die DSdTG.
 
Am 6. Juli 1912 stellte Hübbe-Schleiden einen Antrag auf Mitgliedschaft im [[Rosenkreuzer]]orden "[[Order of the Temple of the Rosy Cross]]". Ob er tatsächlich Mitglied wurde, ist nicht bekannt.
 
== Werke ==
* ''[[Sphinx (Zeitschrift)|Sphinx]]''. (Monatszeitschrift, als Herausgeber zwischen 1886 und 1896)
* ''Das Dasein als Lust, Leid und Liebe''. Braunschweig 1891.
* ''Das Suchen des Meisters. Gespräch eines Kirchenchristen und eines Mystikers''. Rohm, Lorch 1916.
* ''Deutsche Kolonisation''. Hamburg 1881.
* ''Ethiopien''. Hamburg 1879.
* ''Kolonisationspolitik und Kolonisationstechnik''. Hamburg 1882.
* ''Motive zu einer überseeischen Politik Deutschlands''. Hamburg 1881.
* ''Überseeische Politik, 2 Bände''. Hamburg 1881-1883.
* ''Weltwirtschaft und die sie treibende Kraft''. Hamburg 1882.


== Literatur ==
== Literatur ==
* Emmi von Gumppenberg: ''Offener Brief an Herrn Dr. Hübbe-Schleiden als Erwiderung auf seine "Botschaft des Friedens"''. Altmann, Leipzig 1913.
* Norbert Klatt: ''Der Nachlass von Wilhelm Hübbe-Schleiden in der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen''. Klatt, Göttingen 1996, ISBN 3-928312-04-9.
* Norbert Klatt: ''Theosophie und Anthroposophie, neue Aspekte zu ihrer Geschichte aus dem Nachlass von Wilhelm Hübbe-Schleiden (1846-1916) mit einer Auswahl von 81 Briefen''. Klatt, Göttingen 1993, ISBN 3-928312-02-2.
* Thekla von Reden: ''Dr. Hübbe-Schleiden's "Denkschrift", unbefangen betrachtet''. Philosophisch-Theosophischer Verlag, Berlin 1913.
* Carl Unger: ''Wider literarisches Freibeutertum! Eine Abfertigung des Herrn Hübbe-Schleiden''. Philosophisch-Theosophischer Verlag, Berlin 1913.
== Weblinks ==
* {{PND|119133547}}
* [http://biographien.kulturimpuls.org/list.php Wilhelm Hübbe-Schleiden], ausführliche Biografie der anthroposophischen Forschungsstelle Kulturimpuls, Biografien Dokumentation (bei Schnellsuche „Hübbe“ eingeben)
* [http://www.ub.bildarchiv-dkg.uni-frankfurt.de/Bildprojekt/Lexikon/php/suche_db.php?suchname=H%FCbbe-Schleiden Kurze Biografie im deutschen Kolonial-Lexikon]
* [http://www.neue-rosenkreuzer.de/material/material-20.html Hübbe-Schleiden und die Theosophische Gesellschaft]


{{DEFAULTSORT:Hubbe Schleiden, Wilhelm von}}
#Rudolf Steiner: ''Lucifer – Gnosis'', [[GA 34]] (1987), ISBN 3-7274-0340-3 {{Vorträge1|33}}
[[Kategorie:Mann]]
#Rudolf Steiner: ''Die Offenbarungen des Karma'', [[GA 120]] (1992), ISBN 3-7274-1200-3 {{Vorträge|120}}
[[Kategorie:Deutscher]]
#Rudolf Steiner: ''Der irdische und der kosmische Mensch'', [[GA 133]] (1989), ISBN 3-7274-1330-1 {{Vorträge|133}}
[[Kategorie:Ökonom (19. Jahrhundert)]]
[[Kategorie:Ökonom (20. Jahrhundert)]]
[[Kategorie:Entdecker]]
[[Kategorie:Person (Deutsche Kolonialgeschichte)]]
[[Kategorie:Theosoph (Theosophische Gesellschaft)]]
[[Kategorie:Geboren 1846]]
[[Kategorie:Gestorben 1916]]
[[Kategorie:Biographie]]


{{Personendaten
{{GA}}
|NAME=Hübbe-Schleiden, Wilhelm von
|ALTERNATIVNAMEN=
|KURZBESCHREIBUNG=deutscher [[Forschungsreisender]] und [[Volkswirtschaft|volkswirtschaftlicher]] [[Schriftsteller]]
|GEBURTSDATUM=[[20. Oktober]] [[1846]]
|GEBURTSORT=[[Hamburg]]
|STERBEDATUM=[[17. Mai]] [[1916]]
|STERBEORT=[[Göttingen]]
}}


{{Wikipedia}}
[[Kategorie:Philosophie]] [[Kategorie:Wissenschaft]]

Version vom 17. April 2015, 10:13 Uhr

Als Zufall (mhd. zuoval; griech. τύχη, tyche) erscheinen Ereignisse oder das Zusammentreffen mehrerer Ereignisse, für die keine kausale Begründung erkennbar ist, die also in diesem Sinn kontingent sind, und die trotz gleicher Vorbedingungen, sofern solche überhaupt hergestellt werden können, nicht mit gleichem Ausgang wiederholbar sind. Offen bleibt dabei, ob der Zufall einem ontologischen Indeterminismus entspringt, oder nur auf der Unkenntnis der zu Grunde liegenden Gesetzmäßigkeiten beruht. Von den Mystikern des 14. Jahrhunderts wurde das Wort "Zufall" als Lehnübersetzung für lat. accidens im Sinn eines bloß äußerlich Hinzukommendem, einem nicht Wesenhaftem, gebraucht.

"In der physischen Welt von «Zufall» sprechen, ist gewiß nicht unberechtigt. Und so unbedingt der Satz gilt: «Es gibt keinen Zufall», wenn man alle Welten in Betracht zieht, so unberechtigt wäre es, das Wort «Zufall» auszumerzen, wenn bloß von der Verkettung der Dinge in der physischen Welt die Rede ist. Der Zufall in der physischen Welt wird nämlich dadurch herbeigeführt, daß sich in dieser Welt die Dinge im sinnlichen Raume abspielen. Sie müssen, insofern sie sich in diesem Raume abspielen, auch den Gesetzen dieses Raumes gehorchen. In diesem Raume aber können äußerlich Dinge zusammentreffen, die zunächst innerlich nichts miteinander zutun haben." (Lit.: GA 034, S. 362f)

"Naturgesetze anerkennen, die in den chemischen, in den physikalischen Vorgängen wirken, das ist ein Mut, der ja da ist, den die Menschen haben, und er soll ihnen nicht abgesprochen werden; aber er ist billig. Denn die Welt läßt sich nicht leicht als eine bloße Zufälligkeit betrachten, insofern man es mit Naturtatsachen zu tun hat. Aber der Mut verdunstet gegenüber den Dingen, die man gewöhnlich als zufällig bezeichnet, wo der Mensch gerade stark sein sollte - nämlich dem Zufall gegenüber - und sich sagen sollte: Da treten mir in einer gewissen Sphäre Ereignisse gegenüber, welche sich scheinbar sinnlos zusammenschließen; ich werde einen tieferen Sinn darin suchen. - Hineintragen den Sinn in die äußere Zufälligkeit, das hieße, sich mit starker Seele den äußeren Zeichen entgegenwerfen, so daß der Mut auch andauerte gegenüber den scheinbar zufälligen Ereignissen. So daß also das heutige Phantasieren gegenüber dem Zufall aus einer inneren Schwäche stammt, weil sich der Mensch nicht getraut gegenüber den Dingen, die er heute Zufall nennt, ein Gesetz anzuerkennen. Das ist etwas, was man bezeichnen darf als wissenschaftliche Feigheit, als Feigheit der Wissenschaft gegenüber dem Zufall: stehenzubleiben und nicht den Mut zu haben, in das, was sich als ein bloßes wirres Chaos darbietet, die Gesetze hineinzutragen, weil das Gesetz sich nicht selbst anbietet und dazu zwingt, es aus innerem Mut hineinzutragen. Daher muß entgegentreten der mutlosen Wissenschaft, die sich heute bloß auf Naturgesetze ausdehnen will, die mutvolle, starke, kühne Wissenschaft des Geistes, welche die innere Seele so belebt, daß in das scheinbare Chaos der Zufälligkeiten Gesetz und Ordnung hineingebracht wird. Und das ist diejenige Seite der Geisteswissenschaft, von der man sagen muß: Der Mensch soll durch sie stark werden, um nicht bloß dort Gesetzmäßigkeiten anzuerkennen, wo die äußeren Verhältnisse zu Stärke und Mut zwingen, sondern auch dort, wo er sein Inneres aufrufen muß, um so zu sprechen, wie sonst nur die Naturereignisse mit ihrem Zwange zu ihm sprechen." (Lit.: GA 133, S. 53f)

"Ahriman ist das Prinzip, das sich in unsere Wahrnehmungen mischt und von außen in uns hineinzieht. Nun wirkt Ahriman am allerstärksten in den Fällen, wo wir das Gefühl haben: Hier kommst du mit deinem Denken nicht mehr nach; da stehst du an einem kritischen Punkt mit deinem Denken, da fängt sich das Denken wie in einem Gedankenknäuel. - Da ergreift das ahrimanische Prinzip die Gelegenheit, um wie durch einen Spalt der Außenwelt in uns einzudringen. Wenn wir den Gang der Weltereignisse verfolgen und die mehr offenbaren Ereignisse ansehen, wenn wir zum Beispiel die heutige Physik zurückverfolgen bis zu dem Moment, wo Galilei vor der schwingenden Kirchenlampe im Dom zu Pisa saß, so können wir ein Gedankennetz über alle Ereignisse spinnen, das uns die Sache leicht erklärt; überall werden uns die Dinge erklärlich werden. Da aber, an der Stelle, wo wir zu der schwingenden Kirchenlampe kommen, da verwickeln sich unsere Gedanken. Da ist das Fenster, wo die ahrimanischen Kräfte am allerstärksten in uns eindringen, und da hört unser Denken auf, dasjenige aus den Erscheinungen zu begreifen, was Vernunft und Verständnis in die Sache hineinbringen kann. Da sitzt aber auch das, was man den Zufall nennt. Er sitzt da, wo uns Ahriman am allergefährlichsten wird. Diejenigen Erscheinungen nennt der Mensch zufällig, bei denen er durch den ahrimanischen Einfluß am allerleichtesten getäuscht werden kann.

So wird der Mensch verstehen lernen, daß es nicht in der Natur der Tatsachen liegt, wenn er irgendwo veranlaßt wird, von Zufall zu sprechen, sondern daß es an ihm, an seiner Entwickelung liegen wird. Und er wird sich nach und nach dazu erziehen müssen, Maja und Illusion zu durchdringen, das heißt, dort die Dinge zu durchdringen, wo Ahriman am stärksten wirkt." (Lit.: GA 120, S. 111f)

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Lucifer – Gnosis, GA 34 (1987), ISBN 3-7274-0340-3 html
  2. Rudolf Steiner: Die Offenbarungen des Karma, GA 120 (1992), ISBN 3-7274-1200-3 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  3. Rudolf Steiner: Der irdische und der kosmische Mensch, GA 133 (1989), ISBN 3-7274-1330-1 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.