Sinnesqualitäten

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Farbkreis, Zeichnung von Johann Wolfgang von Goethe.

Sinnesqualitäten oder Sinnesempfindungen wie Farben, Töne, Gerüche usw. sind das seelische Spiegelbild einer übersinnlichen Wirklichkeit, die von der untersinnlichen Welt zurückgeworfen wird (siehe auch → Sinneswahrnehmung).

Mit der untersinnlichen Welt ist hier die ahrimanische Welt gemeint, die der physischen Materie zugrunde liegt und die übersinnliche Welt ist die Gesamtheit der übersinnlichen, sinnlich nicht unmittelbar erfassbaren Weltbereiche, also die eigentliche geistige Welt, die ätherische Welt und insbesondere die Astral- oder Seelenwelt. Denn die Sinnesqualitäten gehören ihrer wahren Natur nach gerade dieser Astralwelt an, und hier namentlich der sog. Region der fließenden Reizbarkeit. Sie bilden einen von aller Gegenständlichkeit losgelösten Strom von flutenden Klängen, von Wärme und Kälte, von Farben und Geschmacks- und Geruchsempfindungen. Nur beseelten Wesen sind diese Sinnesqualitäten zugänglich. Rein physikalische Apparate erfahren zwar die physikalischen Wirkungen des Lichtes oder des Schalls, aber sie erleben dabei keine Farben oder Töne. Das niedere astrale Hellsehen malt seine Imaginationen gerade mithilfe dieser Ströme flutender Reizbarkeit.

Das Problem der Qualia

Hauptartikel: Qualia
Emil Heinrich du Bois-Reymond prägte 1872 den berühmten Ausspruch „Ignoramus et ignorabimus“

Für die gegenwärtige Naturwissenschaft, Psychologie und Philosophie erscheint die Existenz dieser Qualia/Qualia als ungelöststes und vielfach auch für unlösbar gehaltenes Problem. Darauf hat schon 1872 der Physiologe Emil du Bois-Reymond in seiner berühmten Ignorabimusrede hingewiesen:

„Welche denkbare Verbindung besteht zwischen bestimmten Bewegungen bestimmter Atome in meinem Gehirn einerseits, andererseits den für mich ursprünglichen, nicht weiter definierbaren, nicht wegzuleugnenden Tatsachen: "Ich fühle Schmerz, ruhte Lust; ich schmecke Süßes, rieche Rosenduft, höre Orgelton, sehe Rot," und der ebenso unmittelbar daraus fließenden Gewißheit: "Also bin ich"? Es ist eben durchaus und für immer unbegreiflich, daß es einer Anzahl von Kohlenstoff-, Wasserstoff-, Stickstoff-, Sauerstoff- usw. Atomen nicht sollte gleichgültig sein, wie sie liegen und sich bewegen, wie sie lagen und sich bewegten, wie sie liegen und sich bewegen werden. Es ist in keiner Weise einzusehen, wie aus ihrem Zusammensein Bewußtsein entstehen könne.“

Emil du Bois-Reymond: Über die Grenzen des Naturerkennens, S 458

An dieser resignierenden Feststellung hat sich bislang nichts grundsätzlich geändert. Mit seinem 1974 veröffentlichten Aufsatz: Wie ist es, eine Fledermaus zu sein? regte der Philosoph Thomas Nagel die Debatte um die Qualia neu an. Joseph Levine hat 1983 in seiner mittlerweile als klassisch geltenden Publikation Materialism and Qualia: The Explanatory Gap[1]darauf hingewiesen, dass hier nach wie vor eine Erklärungslücke (eng. explanatory gap) besteht.

Primäre und sekundäre Sinnesqualitäten

Seit John Locke hat man unglücklicherweise zwischen primären und sekundären Sinnesqualitäten unterschieden.

"Primäre Qualitäten nannte Locke zum Beispiel alles dasjenige, was sich auf die Gestalt der Körper, auf deren geometrische Eigentümlichkeit, auf das Zahlenmäßige bezieht, auf die Bewegung bezieht, auf die Größe und so weiter. Davon unterschied er dann alles dasjenige, was er die sekundären Qualitäten nennt, Farbe, Ton, Wärmeempfindung und so weiter. Und während er die primären Qualitäten in die Dinge selbst hineinverlegt, so daß er annimmt, es seien räumliche, körperliche Dinge da, welche Gestalt haben, geometrische Eigentümlichkeiten haben, Bewegungen haben, nimmt er an, daß alles dasjenige, was sekundäre Qualitäten sind, Farbe, Ton usw., nur Wirkungen auf den Menschen seien. Draußen in der Welt seien nur primäre Qualitäten in den Körpern. Irgend etwas, dem Größe, Gestalt, Bewegung zukommt, das aber finster, stumm und kalt ist, irgend etwas übt eine Wirkung aus, und diese Wirkung drückt sich eben aus darinnen, daß der Mensch einen Ton, eine Farbe, eine Wärmequalität usw. erlebt." (Lit.: GA 326, S. 85)

Wie problematisch diese Behauptung ist und keineswegs eine emprisch gesicherte Tatsache darstellt, betonen auch Max Bennett und Peter Hacker in „Die philosophischen Grundlagen der Neurowissenschaften“:

„Erstens muss hervorgehoben werden, dass wir es hier nicht mit einer empirischen Behauptung oder wissenschaftlichen Hypothese zu tun haben und schon gar nicht mit einer wissenschaftlichen Theorie, die experimentell untermauert werden kann oder untermauert wurde, sondern mit einer philosophischen oder begrifflichen Behauptung, die nur durch begriffliche Untersuchungen und apriorische Argumente bekräftigt oder entkräftet werden kann. Es gibt kein wissenschaftliches Experiment, mit dem man beweisen könnte, dass Gras, wie es an sich ist, nicht grün ist, sondern uns nur so vorkommt, dass Zucker nicht wirklich süß ist, sondern es nur zu sein scheint, oder dass Eis nicht wirklich kalt ist, sondern nur diesen Anschein in uns hervorruft etc. Alles, was eine wissenschaftliche Theorie leisten kann, besteht darin, die Prozesse zu erklären, durch die wir in der Lage sind, Farben, Klänge und thermische Qualitäten wahrzunehmen, und zu untersuchen, ob andere Tierspezies dieselben perzeptuellen Unterscheidungsvermögen haben. Es ist nicht möglich zu zeigen, dass die Dinge, die wir als farbige wahrnehmen, in Wahrheit keine Farbe haben, oder dass die Dinge, die wir als klangerzeugende wahrnehmen, nicht wirklich Klänge hervorbringen. Man kann zeigen, dass farbige Objekte Licht bestimmter Wellenlängen reflektieren, das unsere Augen und Gehirne in der und der Weise beeinflusst, was dazu führt, dass wir das sehen, was wir ‚ihre Farbe‘ nennen. Und man kann zeigen, dass ‚lärmende‘ Objekte Schallwellen verursachen, die unsere Ohren und Gehirne auf eine Weise beeinflussen, dass unser Hörvermögen zur Entfaltung gelangt. Natürlich wird kein Geräusch gehört, wenn nicht Schallwellen die Ohren eines Hörenden erreichen – daraus folgt jedoch nicht, dass es kein Geräusch gab, das zu hören war, dass Bäume still zu Boden fallen, wenn kein Hörender dabei ist. Die wissenschaftliche Forschung zeigt keineswegs, dass Gras nicht wirklich grün ist oder dass Cellos keinen reichen und vollen Klang haben. Sie stellt nicht fest, dass es keine Farben gibt, wenn ein Beobachter ‚fehlt‘, oder dass Klänge auf der Anwesenheit eines Hörers beruhen.“ (Lit.: Bennett, Hacker 2010, S. 289f.)

Farben etwa seien also nur sekundäre subjektive Phänomene, die durch die primären objektiven Bewegungsvorgänge in der Natur ausgelöst würden. Immer wieder hat man argumentiert, dass man niemals wissen könne, ob ein anderer Mensch die Farben genauso erlebt wie wir, während wir bezüglich der Größe und Form der materiellen Gegenstände sehr leicht zu einer allgemeinen Übereinstimmung kommen könnten. Diese Argumentation ist aber grundfalsch. Sie beruht auf einer Verwechslung des sinnlich gegebenen Wahrnehmungsfaktors mit der gedanklich erkannten Gesetzmäßigkeit. Bezüglich Form und Größe der Gegenstände springen uns so schnell die zugrunde liegenden geometrischen Gesetzmäßigkeiten entgegen, dass wir gar nicht bemerken, dass wir es hier bereits mit einer gedanklichen Durchdringung der Wahrnehmung zu tun. Hinsichtlich dieser gedanklich erfassten geometrischen Gegebenheiten kommen wir tatsächlich sehr schnell zu einer allgemeinen Übereinstimmung.

"Nun wies ich auch in diesen Vorträgen darauf hin, wie in diesem naturwissenschaftlichen Zeitalter das Räumliche schon in bezug auf die Dimensionen ein Abstraktes geworden ist. Der Mensch wußte nichts mehr davon, daß in ihm selbst die drei Dimensionen konkret erlebt wurden als oben-unten, rechts-links, vorne-hinten (siehe Zeichnung S. 86). Er nahm auf diese Konkretheit der drei Dimensionen im naturwissenschaftlichen Zeitalter keine Rücksicht. Für ihn entstanden sie in völliger Abstraktheit. Er suchte den Schnittpunkt der drei Dimensionen

Die drei Dimensionen des Raumes
Die drei Dimensionen des Raumes

nicht mehr da, wo er real erlebt wird, im menschlichen Inneren, er suchte ihn irgendwo - und da kann er dann wo auch immer sein irgendwo im Räume - und konstruierte sich so seine drei Dimensionen. Jetzt hatte dieses Raumschema der drei Dimensionen ein selbständiges, aber nur gedachtes, abstraktes Dasein. Und das Gedachte wurde eben nicht erlebt als sowohl der Außenwelt wie dem Menschen angehörig, während eine frühere Zeit, wie ich sagte, die drei Raumdimensionen so erlebt hat, daß der Mensch wußte, er erlebt sie in sich mit der Natur der physischen Körperlichkeit zusammen." (Lit.: GA 326, S. 86f)

Bei den Farbphänomenen kommen uns die damit verbundenen Gesetzmäßigkeiten nicht so unmittelbar zu Bewusstsein. Goethe wollte durch seine Farbenlehre gerade diese Gesetze, die nicht weniger objektiv sind als die geometrischen, bewusst machen. Hell und Dunkel, Rot und Grün, Violett und Blau usw. können genau so sicher unterschieden werden wie Dreiecke, Vierecke und Kreise. Und so wie es ganz oder teilweise farbenblinde Menschen gibt, gibt es auch Menschen die aufgrund neurologischer Defekte für bestimmte Formprinzipen blind sind.

„Aus der Idee des Gegensatzes der Erscheinung, aus der Kenntnis, die wir von den besondern Bestimmungen desselben erlangt haben, können wir schließen, dass die einzelnen Farbeindrücke nicht verwechselt werden können, dass sie spezifisch wirken und entschieden spezifische Zustände in dem lebendigen Organ hervorbringen müssen.“

Goethe: Farbenlehre, § 761

So wie wir die primären Qualitäten in uns erleben, erleben wir die sekundären Qualitäten in der Außenwelt. In der sinnlich erfahrbaren Außenwelt treten sie uns allerdings nur als abgeschattete Bilder entgegen. Ihre wahre Realität liegt in der seelischen Außenwelt:

"Willst du finden das Wesen der Lockeschen primären Qualitäten der körperlichen Dinge -, so mußt du in dich selber hineinschauen, sonst kommst du nur auf Abstraktionen. - Nun ist es mit den sekundären Qualitäten, Ton, Farbe, Wärmequalität, Gerüchen, Geschmack so, daß der Mensch davon etwas wissen muß — es kann ja dieses Wissen sehr instinktiv nur sein, aber etwas wissen muß er davon -, daß er mit seinem geistig-seelischen Wesen ja nicht bloß in seinem physischen und ätherischen Leib lebt, sondern daß er auch außerhalb dieser Leiber sein kann mit seinem Ich und seinem astralischen Leibe, nämlich im Schlafzustande. Aber ebenso wie der Mensch bei einem vollen, intensiv empfundenen Wachzustande nicht außer sich, sondern in sich die primären Qualitäten erlebt, wie im speziellen Fall die drei Dimensionen, so weiß der Mensch, wenn es ihm entweder durch Instinkte oder durch eine instinktive Selbsterkenntnis oder auch durch geisteswissenschaftliche Schulung gelingt, das auch wirklich innerlich zu erleben, was außerhalb vom physischen Leib und Ätherleib vom Einschlafen bis zum Aufwachen ist, dann weiß er auch, daß er das wahre Wesen von Ton, Farbe, Geruch, Geschmack, Wärmequalität wirklich dann in der Außenwelt erlebt außerhalb seines Leibes. Wenn der Mensch im Wachzustande bloß in seinem Inneren ist, so kann er nichts anderes erleben als die Bilder der wahren Realitäten von Ton, Farbe, Wärmequalität, Geruch, Geschmack. Aber diese Bilder entsprechen geistig-seelischen Realitäten, nicht physisch-ätherischen Realitäten. Trotzdem dasjenige, was wir als Ton erleben, so stark zusammenzuhängen scheint - es tut es ja auch, aber in einer ganz anderen Hinsicht - mit bestimmt gestalteten Luftwellen, wie Farbe zusammenhängt mit gewissen Vorgängen in der farblosen Außenwelt, so muß eben dennoch anerkannt werden, daß Ton, Farbe und so weiter Bilder sind, nicht vom Körperlichen, sondern vom Geistigen, Geistig- Seelischen, das in der Außenwelt ist.

Wir müssen also uns sagen können: Wenn wir einen Ton, eine Farbe, eine Wärmequalität erleben, dann erleben wir sie im Bilde. Aber wir erleben sie real, wenn wir außerhalb unseres Leibes sind. Und so können wir etwa schematisch den Tatbestand in der folgenden Weise darstellen (siehe Zeichnung): Die primären Qualitäten erlebt der Mensch wachend, voll wachend, in sich, und schaut sie in die Außenwelt hinein in Bildern; wenn er sie nur in der Außenwelt weiß, so hat er diese primären Qualitäten nur in Bildern (Pfeil). Diese Bilder sind das Mathematische, das Geometrische, das Arithmetische an den Dingen.

Primäre und sekundäre Qualitäten
Primäre und sekundäre Qualitäten

Mit den sekundären Qualitäten ist es anders. Die erlebt der Mensch - wenn ich den physischen und Ätherleib des Menschen mit diesen waagerechten Strichen bezeichne und das Geistig-Seelische, das Ich und das Astralische, mit dem Roten -, die erlebt der Mensch außerhalb seines physischen und Ätherleibes und er projiziert in sich herein nur die Bilder. Weil das nicht mehr durchschaut wurde im naturwissenschaftlichen Zeitalter, wurden gewissermaßen die mathematischen Formen, die Zahlen auch, zu etwas, das der Mensch nur in der Außenwelt abstrakt suchte. Die sekundären Qualitäten, sie wurden etwas, das der Mensch nur in sich suchte. Aber weil sie da bloße Bilder sind, verlor er sie eben für die Wirklichkeit vollständig." (Lit.: GA 326, S. 88ff)

Das Gesetz der spezifischen Sinnesenergien

Für die bloße Subjektivität der Farbeindrücke wurde oft das erstmals von Johannes Peter Müller formulierte Gesetz der spezifischen Sinnesenergien ins Treffen geführt. Das Auge bringt immer nur Licht- und Farberscheinungen hervor, egal ob es durch Stoß, Druck, elektrische Reizung oder eben auch durch äußeres Licht erregt wird. Die Farbqualitäten hätten daher unmittelbar gar nichts mit dem äußeren Reiz zu tun, sondern sie sind nur Erscheinungen innerhalb des Auges. In Wahrheit bestätigt das Gesetz der spezifischen Sinnesenergien aber nur das hier schon Gesagte. Jedes Sinnesorgan vermag eben grundsätzlich nur die seiner Natur entsprechenden Wahrnehmungsqualitäten zu zeigen, die es auch selbst hervorzubringen vermag. Es übersetzt alle Reize in die ihm gemäße Sprache. Wird das Auge durch Druck, Stoß oder elektrische Impulse erregt, entstehen dabei aber nur sehr unspezifische Farbeindrücke, die wenig über die Außenwelt aussagen – eben nur, dass da ein Stoß, Druck oder elektrischer Impuls als allgemeiner äußerer Reiz vorhanden war. Erst dem Licht gegenüber, durch das und für das es geschaffen wurde, entfaltet es seine volle Leistungsfähigkeit. Dieses Prinzip gilt aber für den Eigenbewegungssinn, durch den wir Formen wahrnehmen, nicht minder.

Rudolf Steiner bemerkt dazu:

"Die angeführte Beobachtung beweist nur, daß der sinn- und geistbegabte Organismus die verschiedenartigsten Eindrücke in die Sprache der Sinne übersetzen kann, auf die sie ausgeübt werden. Nicht aber, daß der Inhalt jeder Sinnesempfindung auch nur im Innern des Organismus vorhanden ist. Bei einer Zerrung des Sehnervs entsteht eine unbestimmte, ganz allgemeine Erregung, die nichts enthält, was veranlaßt, ihren Inhalt in den Raum hinaus zu versetzen. Eine Empfindung, die durch einen wirklichen Lichteindruck entsteht, ist inhaltlich unzertrennlich verbunden mit dem Räumlich-Zeitlichen, das ihr entspricht. Die Bewegung eines Körpers und seine Farbe sind auf ganz gleiche Weise Wahmehmungsinhalt. Wenn man die Bewegung für sich vorstellt, so abstrahiert man von dem, was man noch sonst an dem Körper wahrnimmt. Wie die Bewegung, so sind alle übrigen mechanischen und mathematischen Vorstellungen der Wahrnehmungswelt entnommen. Mathematik und Mechanik entstehen dadurch, daß von dem Inhalte der Wahrnehmungswelt ein Teil ausgesondert und für sich betrachtet wird. In der Wirklichkeit gibt es keine Gegenstände oder Vorgänge, deren Inhalt erschöpft ist, wenn man das an ihnen begriffen hat, was durch Mathematik und Mechanik auszudrücken ist. Alles Mathematische und Mechanische ist an Farbe, Wärme und andere Qualitäten gebunden. Wenn der Physik nötig ist, anzunehmen, daß der Wahrnehmung einer Farbe Schwingungen im Raume entsprechen, denen eine sehr kleine Ausdehnung und eine sehr große Geschwindigkeit eigen ist, so können diese Bewegungen nur analog den Bewegungen gedacht werden, die sichtbar im Raume vorgehen. Das heißt, wenn die Körperwelt bis in ihre kleinsten Elemente bewegt gedacht wird, so muß sie auch bis in ihre kleinsten Elemente hinein mit Farbe, Wärme und andern Eigenschaften ausgestattet vorgestellt werden. Wer Farben, Wärme, Töne usw. als Qualitäten auffaßt, die als Wirkungen äußerer Vorgänge durch den vorstellenden Organismus nur im Innern desselben existieren, der muß auch alles Mathematische und Mechanische, das mit diesen Qualitäten zusammenhängt, in dieses Innere verlegen. Dann aber bleibt ihm für seine Außenwelt nichts mehr übrig. Das Rot, das ich sehe, und die Lichtschwingungen die der Physiker als diesem Rot entsprechend nachweist, sind in Wirklichkeit eine Einheit, die nur der abstrahierende Verstand voneinander trennen kann. Die Schwingungen im Raume, die der Qualität «Rot» entsprechen, würde ich als Bewegung sehen, wenn mein Auge dazu organisiert wäre. Aber ich würde verbunden mit der Bewegung den Eindruck der roten Farbe haben." (Lit.: GA 006, S. 171f)

Goethes reine Phänomenologie der sinnlichen Erscheinungen

Hauptartikel: Farbenlehre

Goethe strebte im Gegensatz zur herkömmlichen Naturwissenschaft nach einer systematischen reinen Phänomenologie der sinnlich erfahrbaren Erscheinungen. Das qualitative Element steht im Vordergrund. Die Sinnesqualitäten selbst, die bei der herkömmlichen naturwissenschaftlichen Methode als vorgeblich rein subjektive Erscheinungen aus der wissenschaftlichen Theorienbildung völlig ausgeklammert werden, rücken bei Goethe gerade in den Mittelpunkt der naturwissenschaftlichen Betrachtung. In seiner Farbenlehre schreibt er:

„Ob man nicht, indem von den Farben gesprochen werden soll, vor allen Dingen des Lichtes zu erwähnen habe, ist eine ganz natürliche Frage, auf die wir jedoch nur kurz und aufrichtig erwidern: es scheine bedenklich, da bisher schon so viel und mancherlei von dem Lichte gesagt worden, das Gesagte zu wiederholen oder das oft Wiederholte zu vermehren.

Denn eigentlich unternehmen wir umsonst, das Wesen eines Dinges auszudrücken. Wirkungen werden wir gewahr, und eine vollständige Geschichte dieser Wirkungen umfasste wohl allenfalls das Wesen jenes Dinges. Vergebens bemühen wir uns, den Charakter eines Menschen zu schildern; man stelle dagegen seine Handlungen, seine Taten zusammen, und ein Bild des Charakters wird uns entgegentreten.

Die Farben sind Taten des Lichts, Taten und Leiden. In diesem Sinne können wir von denselben Aufschlüsse über das Licht erwarten. Farben und Licht stehen zwar untereinander in dem genausten Verhältnis, aber wir müssen uns beide als der ganzen Natur angehörig denken: denn sie ist es ganz, die sich dadurch dem Sinne des Auges besonders offenbaren will.

Ebenso entdeckt sich die ganze Natur einem anderen Sinne. Man schließe das Auge, man öffne, man schärfe das Ohr, und vom leisesten Hauch bis zum wildesten Geräusch, vom einfachsten Klang bis zur höchsten Zusammenstimmung, von dem heftigsten leidenschaftlichen Schrei bis zum sanftesten Worte der Vernunft ist es nur die Natur, die spricht, ihr Dasein, ihre Kraft, ihr Leben und ihre Verhältnisse offenbart, so dass ein Blinder, dem das unendlich Sichtbare versagt ist, im Hörbaren ein unendlich Lebendiges fassen kann.

So spricht die Natur hinabwärts zu andern Sinnen, zu bekannten, verkannten, unbekannten Sinnen; so spricht sie mit sich selbst und zu uns durch tausend Erscheinungen. Dem Aufmerksamen ist sie nirgends tot noch stumm; ja dem starren Erdkörper hat sie einen Vertrauten zugegeben, ein Metall, an dessen kleinsten Teilen wir dasjenige, was in der ganzen Masse vorgeht, gewahr werden sollten.“

Goethe: Farbenlehre, Vorwort

Die Sinnesqualitäten als seelische Realtität in der Seelenwelt

Tatsächlich eröffnet sich der Blick für die Wirklichkeit der Qualia erst der imaginativen Anschauung, die durch entsprechende geistige Übungen erreicht werden kann.

„Mit Bezug auf die Sinneswahrnehmungen ist man aber in eine wahre wissenschaftliche Verwirrung gekommen. Die Menschen meinen vielfach - die Physiologen haben sich in dieser Beziehung sogar den Erkenntnistheoretikern und Philosophen im 19. Jahrhundert angeschlossen -, wenn wir zum Beispiel Rot sehen, so ist der äußere Vorgang irgendein Schwingungsvorgang, der sich fortpflanzt bis zu unserem Sehorgan, bis zum Gehirn. Dann wird ausgelöst das eigentliche Rot-Erlebnis. Oder es wird durch den äußeren Schwingungsvorgang ausgelöst der Ton Cis auf dieselbe Weise. Hier ist man in Verwirrung geraten, weil man dasjenige, was in uns, in unserer Körperbegrenzung lebt, gar nicht mehr von dem Äußeren unterscheiden kann. Hier spricht man durchaus davon, daß alle Sinnesqualitäten, Farben, Töne, Wärmequalitäten, eigentlich nur subjektiv seien; daß das äußere Objektive etwas ganz anderes sei.

Wenn wir nun geradeso, wie wir die drei Raumesdimensionen zunächst aus uns heraus bilden, um sie an und in den Dingen wieder zu finden, wenn wir ebenso dasjenige, was in uns sonst als Sinnesempfindung auftritt, aus uns selbst schöpfen und dann außer uns versetzen könnten, dann würden wir das erst in uns Gefundene in den Dingen ebenso finden, ja, auf uns zurückschauend, es wiederfinden, wie wir das als Raum in uns Erlebte in der Außenwelt finden und auf uns zurückschauend, uns selbst diesem Räume angehörend finden. Wir würden, wie wir die Raumeswelt um uns haben, eine Welt von ineinanderfließenden Farben und Tönen um uns haben. Wir würden sprechen von einer objektivierten farbigen, tönenden Welt, einer flutenden, farbigen, tönenden Welt, so wie wir von dem Raume um uns herum sprechen.

Das kann der Mensch aber durchaus erreichen, daß er diese Welt, die sonst für ihn nur vorliegt als die Welt der Wirkungen, kennenlernt als die Welt seiner eigenen Bildung. Wie wir unbewußt, einfach aus unserer menschlichen Natur heraus, uns die Raumesgestalt ausbilden, um sie dann in der Welt wiederzufinden, indem wir sie erst metamorphosiert haben, so kann der Mensch durch gewisse Übung - das muß er jetzt bewußt ausführen - dazu kommen, aus sich heraus den gesamten Umfang der Qualitäten enthaltenden Welt zu finden, um sie dann wiederzufinden in den Dingen, wiederzufinden zurückschauend auf sich selbst.

Was ich Ihnen hier schildere, das ist das Aufsteigen zu der sogenannten imaginativen Anschauung.“ (Lit.:GA 82, S. 58f)

Die Sinnesqualitäten sind rein seelischer und nicht physischer Natur, aber wir erfahren sie zunächst nicht in ihrer reinen Gestalt, sondern nur abgeschattet an der Materie. Als das alte Hellsehen in der Menschheit allmählich erlosch, legten sie sich gleichsam, und das gilt ganz besonders für die Farben, wie ein abgedunkelter Schleier über die Oberfläche der physischen Gegenstände und verwehrten so den unmittelbaren Einblick in die niedere Seelenwelt. Andere Sinnesqualitäten, wie etwa der Ton, scheinen mehr aus dem Inneren der physischen Dinge und Wesen hervorzudringen, aber das Prinzip bleibt das selbe.

Der sinnliche Wahrnehmungsprozess

Hauptartikel: Sinneswahrnehmung

Wie die sinnliche Wahrnehmung genau zustande kommt, hat Rudolf Steiner sehr deutlich am Beispiel des Farbwahrnehmungsprozesses geschildert.

"Die Sinnesempfindung besteht darin - ich kann dies heute nur als Ergebnis anführen - , daß, indem die äußere Umgebung das Ätherische aus dem Materiellen in unsere Sinnesorgane hineinsendet, jene Golfe macht, von denen ich vorgestern sprach, so daß das, was draußen ist, innerhalb unseres Sinnenbereiches auch innerlich wird, wir zum Beispiel einen Ton haben gewissermaßen zwischen Sinnesleben und Außenwelt. Dann wird dadurch, daß der äußere Äther eindringt in unsere Sinnesorgane, dieser äußere Äther abgetötet. Und indem der äußere Äther abgetötet in unsere Sinnesorgane hereinkommt, wird er, indem der innere Äther vom ätherischen Leibe ihm entgegenwirkt, wieder belebt. Darin haben wir das Wesen der Sinnesempfindung. Wie Ertötung und Belebung im Atmungsprozeß entsteht, indem wir den Sauerstoff einatmen, und ausatmen die Kohlensäure, so besteht eine Wechselwirkung zwischen gewissermaßen erstorbenem Äther und belebtem Äther in der Sinnesempfindung.

Dies ist eine außerordentlich wichtige Tatsache, die sich der Geisteswissenschaft ergibt. Denn das, was keine philosophischen Spekulationen finden, woran die philosophische Spekulation der letzten Jahrhunderte so unzählige Male gescheitert ist, das kann nur auf dem Wege der Geisteswissenschaft gefunden werden. Sinnesempfindung kann so erkannt werden als eine feine Wechselwirkung zwischen äußerem und innerem Äther; als Belebung des im Sinnesorgan ertöteten Äthers vom inneren Äther leibe aus. So daß dasjenige, was die Sinne uns aus der Umgebung abtöten, innerlich durch den Ätherleib wieder belebt wird, und wir dadurch zu dem kommen, was eben Wahrnehmung der Außenwelt ist.

Dies ist außerordentlich wichtig, denn es zeigt, wie der Mensch, schon wenn er der Sinnesempfindung sich hingibt, nicht nur lebt im physischen Organismus, sondern im ätherisch Übersinnlichen, wie das ganze Sinnesleben ein Leben und Weben im Ätherisch-Unsichtbaren ist." (Lit.: GA 066, S. 166f)

Damit das so Belebte aber auch bewusst erfahren wird, muss es auch noch vom Astralleib ergriffen werden:

"Man kommt aber, [...] wenn man sich bloß erhebt vom physischen zu dem ätherischen Leibe, doch nicht zurecht; sondern man kommt da nur an eine gewisse Grenze, die aber überschritten werden muß; denn jenseits des Ätherischen liegt erst das Seelisch- Geistige. Und das Wesentliche ist, daß eben dieses SeelischGeistige nur durch die Vermittlung des Ätherischen mit dem Physischen in eine Beziehung kommen kann. So haben wir das eigentlich Seelische des Menschen erst in dem zu suchen, was nun völlig überätherisch arbeitet und kraftet im Ätherischen, so daß das Ätherische wiederum das Physische gestaltet, wie es selbst gestaltet, durchkraftet, durchlebt ist von dem Seelischen." (Lit.: GA 066, S. 169f)

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Weblinks

  1. Qualia - Artikel in der deutschen Wikipedia
  2. Sinn - Artikel in Friedrich Kirchner, Carl Michaëlis: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe (1907)
  3. Über die Grenzen des Naturerkennens Digitalisat
  4. Die sieben Welträtsel Digitalisat
  5. E. Du Bois-Reymond: Die sieben Welträtsel
  1. Joseph Levine: Materialism and Qualia: The Explanatory Gap. In: Pacific Philosophical Quarterly. Band 64, Nr. 4, Oktober 1983, S. 354–361 pdf