Großer Hüter der Schwelle

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Der große Hüter der Schwelle hält uns davon ab, bewusst in den geistigen Makrokosmos einzutreten, solange wir dazu nicht die nötige geistige Reife erlangt haben. Er breitet den Schleier der Sinneswelt über das Geistige in der Natur und verbirgt es so vor unserem Blick.

"Es gibt nicht nur einen, sondern im wesentlichen zwei, einen «kleineren» und einen «größeren» «Hüter der Schwelle». Dem ersteren begegnet der Mensch dann, wenn sich die Verbindungsfäden zwischen Willen, Denken und Fühlen innerhalb der feineren Leiber (des Astral- und Ätherleibes) so zu lösen beginnen, wie das im vorigen Kapitel gekennzeichnet worden ist. Dem «größeren Hüter der Schwelle» tritt der Mensch gegenüber, wenn sich die Auflösung der Verbindungen auch auf die physischen Teile des Leibes (namentlich zunächst das Gehirn) erstreckt." (Lit.: GA 010, S. 193)

Auf dem geistigen Schulungsweg erfolgt zuerst die Begegnung mit dem kleinen Hüter der Schwelle, der dem Geistesschüler den Blick auf dessen wahre innere Natur eröffnet, womit erst wirkliche Selbsterkenntnis aufleuchtet und die Verwandlung des eigenen Inneren beginnen kann. Der Geistesschüler wird dadurch reif, dass er einige Zeit später auch dem großen Hüter begegnen kann. Er erscheint als eine erhabene Lichtgestalt, die den Menschen auffordert, nun nicht mehr nur an der eigenen Vervollkommnung zu arbeiten, sondern seine Kräfte zur Erlösung aller irdschen Wesen einzusetzen. Folgt er diesem Weg, so verwandelt sich die Erscheinung des großen Hüters "in der Wahrnehmung des Geistesschülers in die Christus-Gestalt."

"Die Gestalt, welche man auf dieser Stufe der Entwicklung wahrnimmt, zeigt dem Geistesschüler noch etwas anderes als diejenige, in der sich ihm zuerst der «Hüter der Schwelle» dargestellt hat. In diesem Doppelgänger waren wahrzunehmen alle diejenigen Eigenschaften, welche das gewöhnliche Selbst des Menschen hat infolge des Einflusses der Kräfte des Luzifer. Nun ist aber im Laufe der menschlichen Entwicklung durch den Einfluss Luzifers eine andere Macht in die Menschenseele eingezogen. Es ist diejenige, welche als die Kraft Ahrimans in früheren Abschnitten dieses Buches bezeichnet ist. Es ist dies die Kraft, welche den Menschen im physisch-sinnlichen Dasein verhindert, die hinter der Oberfläche des Sinnlichen liegenden geistig-seelischen Wesenheiten der Außenwelt wahrzunehmen. Was unter dem Einflusse dieser Kraft aus der Menschenseele geworden ist, das zeigt im Bilde die Gestalt, welche bei dem charakterisierten Erlebnisse auftritt. — Wer entsprechend vorbereitet an dieses Erlebnis herantritt, der wird ihm seine wahre Deutung geben; und dann wird sich bald eine andere Gestalt zeigen, diejenige, welche man den «großen Hüter der Schwelle» im Gegensatz zu dem gekennzeichneten «kleinen Hüter» nennen kann.. Dieser teilt dem Geistesschüler mit, dass er nicht stehenzubleiben hat auf dieser Stufe, sondern energisch weiterzuarbeiten. Er ruft in dem Beobachter das Bewusstsein hervor, dass die Welt, die erobert ist, nur eine Wahrheit wird und sich in keine Illusion verwandelt, wenn die Arbeit in entsprechender Art fortgesetzt wird. — Wer aber durch eine unrichtige Geistesschulung unvorbereitet an dieses Erlebnis herantreten würde, dem würde sich dann, wenn er an den «großen Hüter der Schwelle» kommt, etwas in die Seele gießen, was nur mit dem «Gefühle eines unermesslichen Schreckens», einer «grenzenlosen Furcht» verglichen werden kann.

Wie die Begegnung mit dem «kleinen Hüter der Schwelle» dem Geistesschüler die Möglichkeit gibt, sich zu prüfen, ob er gegen Täuschungen geschützt ist, welche durch Hineintragen seiner Wesenheit in die übersinnliche Welt entstehen können, so kann er sich an den Erlebnissen, die zuletzt zu dem «großen Hüter der Schwelle» führen, prüfen, ob er jenen Täuschungen gewachsen ist, welche oben auf die zweite gekennzeichnete Quelle zurückgeführt wurden. Vermag er jener gewaltigen Illusion Widerstand zu bieten, welche ihm die errungene Bilderwelt als einen reichen Besitz vorgaukelt, während er doch nur ein Gefangener ist, so ist er im weiteren Verlauf seiner Entwicklung auch davor bewahrt, Schein für Wirklichkeit zu nehmen.

Der «Hüter der Schwelle» wird für jeden einzelnen Menschen eine individuelle Gestalt bis zu einem gewissen Grade annehmen. Die Begegnung mit ihm entspricht ja gerade demjenigen Erlebnis, durch welches der persönliche Charakter der übersinnlichen Beobachtungen überwunden und die Möglichkeit gegeben wird, in eine Region des Erlebens einzutreten, die von persönlicher Färbung frei und für jede Menschenwesenheit gültig ist.

Wenn der Geistesschüler die beschriebenen Erlebnisse gehabt hat, dann ist er fähig, in der seelisch-geistigen Umwelt dasjenige, was er selbst ist, von dem, was außer ihm ist, zu unterscheiden. Er wird dann erkennen, wie das Verständnis des in diesem Buche geschilderten Weltprozesses notwendig ist, um den Menschen und dessen Leben selbst zu verstehen. Man versteht ja den physischen Leib nur, wenn man erkennt, wie er sich aufgebaut hat durch die Saturn-, Sonnen-, Monden- und Erdenentwicklung. Man versteht den Ätherleib; wenn man seine Bildung durch Sonnen-, Monden- und Erdenentwicklung verfolgt usw. Man versteht aber auch dasjenige, was gegenwärtig mit der Erdenentwicklung zusammenhängt, wenn man erkennt, wie sich alles nach und nach entfaltet hat. Man wird durch die Geistesschulung in den Stand gesetzt, das Verhältnis von allem, was am Menschen ist, zu entsprechenden Tatsachen und Wesenheiten der außer dem Menschen befindlichen Welt zu erkennen. Denn so ist es: jedes Glied am Menschen steht in einem Verhältnis zu der ganzen übrigen Welt. In diesem Buche konnten darüber ja nur die Andeutungen im skizzenhaften Umriss gemacht werden. Man muss aber bedenken, dass zum Beispiel der physische Menschenleib während der Saturnentwicklung nur in der ersten Anlage vorhanden war. Seine Organe: das Herz, die Lunge, das Gehirn haben sich später, während der Sonnen-, Monden- und Erdenzeit, aus den ersten Anlagen herausgebildet. So also stehen Herz, Lunge, usw. in Beziehungen zu Sonnen-, Mondenentwicklung, Erdenentwicklung. Ganz entsprechend ist es mit den Gliedern des Ätherleibes, des Empfindungsleibes, der Empfindungsseele usw. Es ist der Mensch aus der ganzen, ihm zunächst liegenden Welt herausgestaltet; und jede Einzelheit, die an ihm ist, entspricht einem Vorgange, einem Wesen der Außenwelt. Der Geistesschüler kommt auf der entsprechenden Stufe seiner Entwicklung dazu, dieses Verhältnis seines eigenen Wesens zur großen Welt zu erkennen. Und man kann diese Erkenntnisstufe das Gewahrwerden nennen des Entsprechens der «kleinen Welt», des Mikrokosmos, das ist des Menschen selbst, und der «großen Welt», des Makrokosmos. Wenn der Geistesschüler bis zu solcher Erkenntnis sich durchgerungen hat, dann kann für ihn ein neues Erlebnis eintreten. Er fängt an, sich wie mit dem ganzen Weltenbau verwachsen zu fühlen, trotzdem er sich in seiner vollen Selbständigkeit empfindet. Es ist diese Empfindung ein Aufgehen in die ganze Welt, ein Einswerden mit derselben, aber ohne die eigene Wesenheit zu verlieren. Man kann diese Entwicklungsstufe als «Einswerden mit dem Makrokosmos» bezeichnen. Es ist bedeutsam, dass man dieses Einswerden nicht so zu denken hat, als wenn durch dasselbe das Sonderbewusstsein aufhören und die menschliche Wesenheit in das All ausfließen würde. Es wäre ein solcher Gedanke nur der Ausdruck einer aus ungeschulter Urteilskraft fließenden Meinung. Die einzelnen Stufen der höheren Erkenntnis im Sinne jenes Einweihungsvorganges, der hier beschrieben worden ist, können nun in der folgenden Art bezeichnet werden:

  1. Das Studium der Geisteswissenschaft, wobei man sich zunächst der Urteilskraft bedient, welche man in der physisch-sinnlichen Welt gewonnen hat.
  2. Die Erwerbung der imaginativen Erkenntnis.
  3. Das Lesen der verborgenen Schrift (entsprechend der Inspiration).
  4. Das Sicheinleben in die geistige Umgebung (entsprechend der Intuition).
  5. Die Erkenntnis der Verhältnisse von Mikrokosmos und Makrokosmos.
  6. Das Einswerden mit dem Makrokosmos.
  7. Das Gesamterleben der vorherigen Erfahrungen als eine Grund-Seelenstimmung.

Diese Stufen brauchen aber nicht etwa so gedacht zu werden, dass sie nacheinander durchgemacht werden. Die Schulung kann vielmehr so verlaufen, dass je nach der Individualität des Geistesschülers eine vorhergehende Stufe nur bis zu einem gewissen Grade durchschritten ist, wenn er beginnt, Übungen zu machen, welche der folgenden Stufe entsprechen. Es kann zum Beispiel ganz gut sein, dass man erst einige Imaginationen in sicherer Art gewonnen hat und doch schon Übungen macht, welche die Inspiration, die Intuition oder die Erkenntnis vom Zusammenhange des Mikrokosmos und Makrokosmos in den Bereich des eigenen Erlebens ziehen. Wenn der Geistesschüler sich ein Erlebnis von der Intuition verschafft hat, so kennt er nicht nur die Bilder der seelisch-geistigen Welt, er kann nicht nur ihre Beziehungen in der «verborgenen Schrift» lesen: er kommt zu der Erkenntnis der Wesen selbst, durch deren Zusammenwirken die Welt zustande kommt, welcher der Mensch angehört. Und er lernt dadurch sich selbst in derjenigen Gestalt kennen, die er als geistiges Wesen in der seelisch-geistigen Welt hat. Er hat sich zu einer Wahrnehmung seines höheren Ich durchgerungen, und er hat bemerkt, wie er weiter zu arbeiten hat, um seinen Doppelgänger, den «Hüter der Schwelle», zu beherrschen. Er hat aber auch die Begegnung gehabt mit dem «großen Hüter der Schwelle», der vor ihm steht wie ein stetiger Aufforderer, weiterzuarbeiten. Dieser «große Hüter der Schwelle» wird nun sein Vorbild, dem er nachstreben will. Wenn diese Empfindung in dem Geistesschüler auftritt, dann hat er die Möglichkeit erlangt zu erkennen, wer da eigentlich als der «große Hüter der Schwelle» vor ihm steht. Es verwandelt sich nämlich nunmehr dieser Hüter in der Wahrnehmung des Geistesschülers in die Christusgestalt, deren Wesenheit und Eingreifen in die Erdenentwicklung aus den vorhergehenden Kapiteln dieses Buches ersichtlich ist. Der Geistesschüler wird dadurch in das erhabene Geheimnis selbst eingeweiht, das mit dem Christus-Namen verknüpft ist. Der Christus zeigt sich ihm als das «große menschliche Erdenvorbild». — Ist auf solche Art durch Intuition der Christus in der geistigen Welt erkannt, dann wird auch verständlich, was sich auf der Erde geschichtlich abgespielt hat in der vierten nachatlantischen Entwicklungsperiode der Erde (in der griechisch-lateinischen Zeit). Wie zu dieser Zeit das hohe Sonnenwesen, das Christus-Wesen, in die Erdenentwicklung eingegriffen hat, und wie es nun weiter wirkt innerhalb dieser Erdenentwicklung, das wird für den Geistesschüler eine selbsterlebte Erkenntnis. Es ist also ein Aufschluss über den Sinn und die Bedeutung der Erdenentwicklung, welchen der Geistesschüler erhält durch die Intuition." (Lit.: GA 013, S. 389ff)

Siehe auch

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?, GA 10 (1993)
  2. Rudolf Steiner: Die Geheimwissenschaft im Umriß, GA 13 (1989)
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
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