Die dreigestaltige Protennoia

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Die dreigestaltige Protennoia ist eine gnostische Schrift der Sethianer und zählt zur Barbelo-Gnosis. Der Text wurde unter den Nag-Hammadi-Schriften gefunden (NHC XIII,1).

Die (griech. προτέννοια, protennoia), der Erstgedanke Gottes, erscheint in dreifaltiger Gestalt als Vater, Mutter und Sohn. Von hier ertönt der weckende «Ruf» der Erlösung. Die Mutter als „erster Gedanke“ wird auch Barbelo genannt. Der Sohn, der aus ihrem «Ruf» erstand, ist das „Wort“, der Logos, der Christus - ein leiser Anklang an den Prolog des Johannes-Evangeliums (Joh 1,1-18 LUT). Bedingt durch die typisch gnostische leibfeindlichkeit ist allerdings nur von einer „Manifestation“, nicht aber von einer wirklichen Inkarnation des Logos die Rede.

Der Text ist als Selbstoffenbarung der Protennoia in Form von Ich-bin-Reden gestaltet.

„Ich bin mannweiblich. Ich bin Mutter und ich bin Vater, weil ich mit mir selbst Geschlechtsverkehr hatte. Ich hatte Geschlechtsverkehr mit mir selbst und mit denen, die mich liebten, und durch mich allein hat das All Bestand. Ich bin der Mutterschoß, der Gestalt gibt dem All, indem ich das Licht gebäre, das in Herrlichkeit leuchtet. Ich bin der kommende Äon.Ich bin die Vollendung des Alls, das ist Meirothea, die Herrlichkeit der Mutter. Ich werfe die rufende Simme in die Ohren derer, die mich erkennen.“

Die dreigestaltige Protennoia: NHC XIII,1 [1][2]

Durch den vollkommenen Sohn, den Christus, entstehen die Äonen und er gibt ihnen ihre Herrlichkeit und ihre Throne. Doch dann tritt „der große Dämon in Erscheinung, der über den untersten Teil der Unterwelt und des Chaos herrscht, wobei er weder eine Gestalt hat noch Vollkommenheit, sondern die Gestalt der Herrlichkeit derer, die in der Finsternis hervorgebracht wurden, besitzt. Dieser nun wird genannt ,Sakla`, das heißt ,Samael oder Jaltabaoth`, der, der Kraft genommen hat; er hat sie von der Arglosen, Sophia geraubt, die er zuvor überwältigt hatte, das heißt, die Epinoia des Lichtes, die herabgekommen war, die, aus der er zuvor hervorgekommen war.“ Damit beginnt die Erschaffung des Menschen und der äußeren, der Finsternis verfallen Welt, die der Erlösung bedürftig ist.

Die Erlösung erfolgt durch ein dreimaliges Herabsteigen der Protennoia. Durch den «Ruf» wird die Erkenntnis (Gnosis) über den göttlichen Ursprung erweckt, die durch die Dämonen der Finsternis, die Archonten, verdunkelt worden war. Nur durch Erkenntnis ist Erlösung möglich - das ist das Grundthema aller gnostischen Richtungen. Die Selbstoffenbarung der Protennoia bringt somit nicht nur die Erkenntnis, sondern sie ist die Erlösung. Beim ersten Herabstieg ertönt der «Ruf» der Protennoia, beim zweiten Mal erhebt sie als Heimarmene (griech. εἱμαρμένη, „Schicksal“) ihre Stimme und zuletzt vollendet der Christus, der Logos, die Erlösung durch das Wort:

„Und ich belehrte sie über die unaussprechlichen Bestimmungen und über die Brüder. Aber sie sind unaussprechbar für jede Kraft und jede Archonten Macht; nur für die Kinder des Lichtes allein sind sie aussprechbar das sind die Bestimmungen des Vaters. Diese sind die Herrlichkeiten, die über alle Herrlichkeit erhaben sind, das sind die fünf Siegel, vollkommen durch den Verstand. Derjenige, der die fünf Siegel dieser Namen besitzt, hat die Kleider der Unwissenheit abgelegt und ein leuchtendes Licht angezogen. Und nicht wird vor ihm in Erscheinung treten, was zu den Mächten der Archonten gehört. Durch solche dieser Art wird sich die Finsternis auflösen und die Unwissenheit sterben. Und der Gedanke der Kreatur, der zerstreut ist, wird eine einzige Gestalt haben; und das finstere Chaos wird sich auflösen, und bis ich mich offenbare allen meinen Mitbrüdern und bis ich versammle alle meine Mitbrüder in meinem ewigen Königreich. Und ich verkündigte ihnen die unaussprechbaren fünf Siegel, so daß ich in ihnen sei und sie in mir seien.
Ich, ich habe Jesus angezogen. Ich trug ihn von dem verfluchten Holz weg und setzte ihn in die Wohnorte seines Vaters. Und die, die über ihre Wohnorte wachen, erkannten mich nicht. Denn ich, ich bin unergreifbar zusammen mit meinem Samen. Und meinen Samen, der meiner ist, werde ich setzen in das heilige Licht in einem unfaßbaren Schweigen. Amen.“

Die dreigestaltige Protennoia: NHC XIII,1 [3][4]

Man kann auch von einem dreifachen Offenbarwerden des Logos sprechen - als «Ruf» (Vater), als «Stimme» (Mutter) und als «Wort» (Sohn).

„Ich habe ihnen allen von meinen Geheimnissen berichtet, die in den unerkennbaren, unsagbaren Äonen sind. Ich habe sie die Geheimnisse gelehrt durch den Ruf, der existiert in einem vollkommenen Verstand. Und ich wurde zum Fundament des Alls, und ich gab ihnen Kraft.

Zum zweitenmal kam ich in der Stimme meines Rufes. Ich gab denen ein Ebenbild, die ein Ebenbild annahmen bis zu ihrer Vollendung.

Zum drittenmal offenbarte ich mich ihnen in ihren Zelten als Logos. Und ich offenbarte mich in der Gleichheit ihrer Gestalt. Und ich trug jedermanns Kleid, und ich verbarg mich in ihnen; und sie erkannten nicht den, der mir Kraft gab. Denn ich wohne in allen Mächten und Gewalten und in den Engeln und in jeder Bewegung, die in der ganzen Materie existiert. Und ich verbarg mich unter ihnen, bis ich mich selbst meinen Brüdern offenbare. Und niemand von ihnen erkannte mich, obwohl] ich es bin, der in ihnen wirkt, sondern sie dachten, daß das All durch sie geschaffen wäre, da sie unwissend sind; sie kennen nämlich ihre Wurzel nicht, den Ort, in dem sie aufgewachsen sind.“

Die dreigestaltige Protennoia: NHC XIII,1 [5][6]

Ein dreifacher Herabstieg des Erlösers bzw. seine dreifache Offenbarung wird in gnostischen Schriften häufig geschildert. Das mag aus anthroposophischer Sicht damit zusammenhängen, dass die Erlösung mit der Vergeistigung der drei leiblichen Wesensglieder - Astralleib, Ätherleib und physischer Leib - zusammenhängt. Rudolf Steiner schildert in diesem Sinn drei Vorstufen des Mysteriums von Golgatha. Das eigentliche Mysterium von Golgatha, das einerseits mit dem Ich und anderseits mit der Auferstehung des Leibes zu tun hat, konnten die Gnostiker nicht voll erfassen.