Samothrakische Mysterien

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Das Kabirion von Samothrake (Foto: Agon S. Buchholz)

Die Samothrakischen Mysterien waren auf der im Thrakischen Meer der nördlichen Ägäis gelegenen, gebirgigen und wasserreichen griechischen Insel Samothrake (Σαμοθράκη, "thrakisches Samos") beheimatet. Hier wurden die Großen Götter, die Kabiren (griech. Κάβειροι,die Großen, lat. Cabiri), verehrt. Sie waren nach mythologischer Überlieferung chthonische Götter beiderlei Geschlechts aus Kleinasien und Diener der Großen Mutter, der Kabeiro, die von den Griechen mit der Göttermutter Rhea, aber auch mit Demeter, Hekate und Aphrodite indentifiziert wurde. Sie waren eigentlich die esoterische Seite der Ceres (der Kersa), der Demeter, der Werdewelt. Verglichen mit der Großen Mutter erschienen sie wie Zwerge, dennoch nannte man sie Megaloi Theoi, »Große Götter«. Von den vier überlieferten Götternamen, die aus Mysterien der Kabiren, wahrscheinlich aus Theben bekannt sind, Axieros, Axiokersos, Axiokersa und Kadmilos, wurde behauptet, sie bezeichneten Demeter, Persephone, Hades und Hermes. Die griech. Vorsilbe axios, die in diesen Namen vorkommt, bedeutet würdig. Der Name Kabiren ist nicht griechischen Ursprungs, sondern leitet sich von dem Berg Kabeiros in der Landschaft Berekyntia ab, der der phrygischen Göttermutter gehörte. Erst später machten sie Samothrake zu ihrer heiligen Mysterieninsel. Zu dieser Zeit sei auch Orpheus ihr Schüler gewesen. Von in Not geratenen Seeleuten wurden sie als rettende Götter angerufen.

Die Kabiren hängen eng mit dem Werden des Menschen zusammen. Das hatte schon Goethe geahnt und lässt sie daher im zweiten Teil seiner Faust-Tragödie in der Klassischen Walpurgisnacht dort erscheinen, wo aus dem Homunkulus eine Homo, ein Mensch, werden soll:

Die Kabiren als Krüge gestaltet nach dem Entwurf Rudolf Steiners.

"Damit aber zeigt Goethe, daß er eine tiefe und bedeutungsvolle Auffassung von den Kabiren von Samothrake hatte, daß er eine Empfindung dafür hatte, daß diese Kabiren im uralten Altertum verehrt wurden als die Hüter jener Kräfte, die mit dem Menschenwerden, mit der Menschengenesis zusammenhängen. Also an Höchstes rührt Goethe, indem er aufruft aus der Zeit des atavistischen Hellsehens die Bilder jener Götterkräfte, die mit dem Menschenwerden zusammenhängen.

Die griechische Anschauung verwies selbst schon auf sehr Altes, wenn sie von den Mysterien von Samothrake sprach. Und man darf sagen: Gegenüber allem, was die Griechen an verschiedenen Göttervorstellungen und an Vorstellungen des Zusammenhanges des Menschen mit diesen Göttern hatten - die Vorstellungen über die Gottheiten von Samothrake, über die kabirischen Gottheiten durchzogen alles. Und der alte Grieche war davon überzeugt, daß er durch dasjenige, was als Vermächtnis der samothrakischen Mysterien in das griechische Bewußtsein hineingekommen war, eine Vorstellung, eine Idee bekommen hat von der menschlichen Unsterblichkeit. Der Grieche dachte sich, daß er verdankt die Idee der menschlichen Unsterblichkeit, das heißt, der Zugehörigkeit des Menschen zum geistig-seelischen Weltenall, dem Einfluß der samothrakischen Kabiren-Mysterien.

So will also Goethe zu gleicher Zeit sagen: Vielleicht kommt die abstrakte Menschenidee des Homunkulus mit den wirklichen Menschenwerdekräften zusammen, wenn im leibfreien Zustande erfaßt werden die Impulse, die sich der Grieche verbunden dachte mit seinen Kabiren von Samothrake." (Lit.: GA 273, S. 201f)

"Äußerlich betrachtet sind sie wiederum einfache Meeresgötter. Samothrake - die Griechen wußten es - war in verhältnismäßig gar nicht alter Urzeit von den furchtbarsten, erdbebenartigen Stürmen umbrandet, zerklüftet, durcheinandergeworfen. Also die Naturdämonen hatten hier in ganz ungeheuerlicher Weise so gewaltet, daß das noch wie in einer historischen Erinnerung für die alten Griechen war. Und in den Wäldern, in den dichten, damals dichten Wäldern von Samothrake. war verborgen das Mysterium der Kabiren. Unter den mancherlei Namen, die die Kabiren tragen, sind auch die, wo der eine Kabir genannt wird Axieros, der zweite Axiokersos und der dritte Axiokersa, Kadmilos der vierte. Dann hatte man so ein unbestimmtes Gefühl, daß es noch einen fünften, sechsten und siebenten gab. Aber im wesentlichen war der Mensehen geistiger Blick hingerichtet auf die drei ersten Kabiren. Es handelte sich bei den alten Vorstellungen von den Kabiren nun wirklich um das Menschenwerde-Geheimnis. Und eigentlich sollte derjenige, der in die heiligen Mysterien von Samothrake eingeweiht wurde, zu der Anschauung kommen: Was entspricht in der geistigen Welt, geistig angeschaut, demjenigen, was hier auf Erden geschieht, wenn für eine auf der Erde sich verkörpernde Seele der Mensch entsteht, der Mensch wird in der Generationsfolge? — Gewissermaßen das geistige Korrelat des menschlichen Geborenwerdens sollte geschaut werden in der geistigen Welt. Durch diese Schauung glaubte Goethe den Homunkulus zu einem Homo in der Idee bekommen zu können. Aber in dieses Schauen sollte auch der Eingeweihte der samothrakischen Mysterien eingeführt werden." (Lit.: GA 273, S. 202f)

Rudolf Steiner wies darauf hin, dass die insgesamt sieben Kabiren den Wesensgliedern des Menschen entsprechen. Die ersten drei stehen für die leiblichen Hüllen, die aus dem physischen Leib, dem Ätherleib und dem Astralleib bestehen. Der vierte Kabir, Kadmilos, repräsentiert das menschliche Ich. Die weiteren drei "sind im Olymp zu erfragen" (Goethe) und verweisen auf die höheren geistigen Wesensglieder Manas, Buddhi und Atma.

"In den samothrakischen Mysterien hat man zum Beispiel gelehrt: Es gibt vier Kabiren; drei von diesen töten immer den vierten. - Aber eigentlich meinte man, der Mensch habe physischen Leib, Ätherleib, astralischen Leib und Ich. Physischer Leib ist zunächst als physischer Leichnam dem Tode verfallen. Der Ätherleib zerstiebt im Kosmischen, der astralische Leib geht auch in einer gewissen Weise auf, wie ich es dargestellt habe in meiner «Theosophie». Wenn das Ich sein Selbstbewußtsein nicht rettet durch Teilnahme an dem Geistigen, dann töten die drei auch das Ich und ziehen es hinunter in die Sterblichkeit. Man suchte in den Mysterien die Unsterblichkeit des Menschen zu retten. Man stellte sich nicht vor, daß man sich die Unsterblichkeit durch Gebete erwerben könnte; man stellte sich nicht vor, daß man bloß passiv zu der Unsterblichkeit sich verhalten kann und dergleichen, sondern man stellte sich vor, daß diejenigen, die initiiert wurden, durch die besondere Umwandlung ihres Seelenwesens, durch ihre Auferweckung, durch das Aufwachen ihres Ich über die Gefahr hinwegkamen, sich nicht im Geiste zu erfassen und dadurch den "Weg ihres sterblichen Leibes gehen zu müssen." (Lit.: GA 205, S. 48f)

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Menschenwerden, Weltenseele und Weltengeist – Erster Teil, GA 205 (1987), ISBN 3-7274-2050-2 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  2. Rudolf Steiner: Geisteswissenschaftliche Erläuterungen zu Goethes «Faust», Band II: Das Faust-Problem, GA 273 (1981), ISBN 3-7274-2730-2 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
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