Johannes Stüttgen und Talcott Parsons: Unterschied zwischen den Seiten

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[[Datei:Johannes Stüttgen.jpg|thumb|Johannes Stüttgen]]
Talcott Parsons (* 13. Dezember 1902 in Colorado Springs, Colorado; † 8. Mai 1979 in München) war ein US-amerikanischer Soziologe. Er gilt als einflussreichster soziologischer Theoretiker vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis in die 1960er Jahre hinein.
'''Johannes Stüttgen''' (* 24. Januar 1945 in [[wikipedia:Jeseník|Freiwaldau]] im heutigen Tschechien) ist ein deutscher Künstler und Autor sowie Gesellschafter des ''[[wikipedia:Omnibus für direkte Demokratie|Omnibus für direkte Demokratie]]''. Stüttgens gesellschaftliches Engagement ist eng angelehnt an die Ideen von [[Joseph Beuys]], z. B. den „[[Erweiterter Kunstbegriff|Erweiterten Kunstbegriff]]“, die ''[[Soziale Plastik]]'', die deutsche Bewegung für [[Direkte Demokratie]] und die [[Anthroposophie]]. Er lebt und arbeitet in Düsseldorf.


== Leben ==
Talcott Parsons ist mit einer [[Wikipedia:Handlungstheorie|Handlungstheorie]] hervorgetreten, hat diese zum [[wikipedia:Strukturfunktionalismus|Strukturfunktionalismus]] weiterentwickelt und diesen schließlich zu einer Soziologischen [[Systemtheorie]] ausgebaut. Seine Soziologie reagiert auf den vorherrschenden [[Empirismus]] in der angelsächsischen Soziologie der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Parsons entwickelte eine allgemeine soziologische Theorie und stellte Zusammenhänge mit anderen Gesellschaftswissenschaften her, insbesondere zu Ökonomie, Politikwissenschaft, Psychologie und Anthropologie.
Stüttgen wuchs in [[wikipedia:Lank-Latum|Lank-Latum]] und [[wikipedia:Süchteln|Süchteln]] auf und studierte zunächst ab 1964 [[Theologie]] an der [[wikipedia:Westfälische Wilhelms-Universität|Westfälischen Wilhelms-Universität]] in Münster bei [[Benedikt XVI.|Joseph Ratzinger]].<ref>[http://www.welt.de/wams_print/article2767981/Johannes-Stuettgen-Meisterschueler-und-Freund-des-Kuenstlers.html Johannes Stüttgen – Meisterschüler und Freund des Künstlers] welt.online</ref> Von 1966 bis 1971 studierte er bei Joseph Beuys an der [[wikipedia:Kunstakademie Düsseldorf|Düsseldorfer Kunstakademie]], der ihn 1971 zum Meisterschüler ernannte. 1967 war Stüttgen an der Gründung der [[wikipedia:Deutsche Studentenpartei|Deutschen Studentenpartei]] beteiligt. Im Jahr 1971 gründete er zusammen mit Joseph Beuys die ''[[wikipedia:Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung|Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung]]''. Zwischen 1971 und 1980 arbeitete er als Kunsterzieher am Grillo-Gymnasium in Gelsenkirchen, wo er eine Arbeitsgruppe der ''Free International University (FIU) / Fluxus Zone West'' leitete.  


Anschließend, von 1980 bis 1986, war er Geschäftsführer der ''[[wikipedia:Free International University|Free International University]]'' (FIU) und Leiter des ehemaligen Ateliers von Beuys, „Raum 3“, in der Düsseldorfer Kunstakademie. Seit 1987 organisiert er als Gesellschafter den ''Omnibus für direkte Demokratie in Deutschland'' und seit 1990 die Projekte ''Unternehmen Wirtschaft und Kunst – erweitert'' und ''Aktion und Grundlagenforschung Erweiterter Kunstbegriff''. Von 1992 bis 1993 war er als Gastprofessor an der [[wikipedia:Hochschule für bildende Künste Hamburg|Hochschule für bildende Künste]] in Hamburg für den Erweiterten Kunstbegriff tätig. Stüttgen lebt als freier Künstler in Düsseldorf. Im September 2004 zeichnete ihn die [[wikipedia:Oxford Brookes University|Brooks University in Oxford]] mit der „Honorary Fellowship” für seine Arbeit an der ''Sozialen Skulptur'' aus.<ref>Johannes Stüttgen - ''Fellow of Department of Fine Art'' [http://ah.brookes.ac.uk/staff/details/stttgen/]</ref> Umgesetzt ist die Idee der Sozialen Skulptur durch Johannes Stüttgen beispielsweise mit dem ''[[wikipedia:Kinderstern|Kinderstern]] e.V.'', der sich seit 1989 für die Rechte der Kinder einsetzt. Stüttgen formuliert die Intension des Kinderstern folgendermaßen: „Ebenso wenig wie wirkliche Kunst bloße Beschönigung und Dekoration der herrschenden Missstände, die übrigens die Kinder am ärgsten treffen, sein kann, ist auch der Kinderstern nicht irgendeine karitative Idee, die alles bloß ausbügeln will, was im Namen der weltweit herrschenden Systeme an Elend angerichtet wird.“<ref>[http://kinderstern.com/Eine-andere-art.8.0.html ''Kinderstern'' (Manifest)]</ref> Seit 2011 führt er Ringgespräche in der [[wikipedia:Berger Kirche (Düsseldorf)|Berger Kirche]] in Düsseldorf.<ref name="Müller286">Ulrich Müller: ''Joseph Beuys. Parallelprozesse. Archäologe einer künstlerischen Praxis''. Hirmer, München 2012, ISBN 978-3-7774-6011-6, S.&nbsp;286</ref>
== Parsons handlungstheoretische Systemtheorie ==
Parsons geht aus von der Frage: Wie ist soziale Ordnung möglich? Er versucht, im Zuge der Beantwortung auch zu klären, wie das Verhältnis der Individuen zur Gesellschaft, in der sie leben, beschaffen ist. Gewöhnlich bearbeiten Soziologen einzelne Aspekte solcher Fragen. Parsons legt ein umfassendes Totalmodell vor, das "allgemeine Handlungssystem". Er entwickelt seine Theorie in Ausseinandersetzung mit den soziologischen Klassikern [[Max Weber]], [[Wikipedia:Durkheim|Durkheim]] u.a., und zieht Elemente aus der Biologie, Anthropologie und Psychologie hinzu.


Johannes Stüttgens jüngere Brüder sind der bildende Künstler Stephan Stüttgen (* 1947) und der [[wikipedia:Puppentheater|Puppenspieler]] Christoph Stüttgen. Johannes Stüttgen hat zwei Töchter: Judith und Greta. Sein Sohn [[wikipedia:Jakob Stüttgen|Jakob Stüttgen]] arbeitet als Küchenchef in München. Johannes Stüttgen ist verheiratet mit Ulrike Stüttgen (geb. Gaschütz).<ref name="Müller286" />
Von Weber übernimmt Parsons die Ansicht, daß die [[soziale Handlung]] die Grundeinheit aller [[sozialen Ordnung]]en darstellt. Soziales geschieht im Handeln, wird durch Handeln realisiert, und muß von daher aufgefaßt werden. Von Durkheim übernimmt Parsons die Ansicht, daß das Soziale für sich existiert, eine Realität eigener Art ist, die in bestimmter Hinsicht von den Individuen unabhängig ist, ja durch ihre feste Ordnung Zwang auf sie ausübt. Aus der Anthropologie und der [[Psychoanalyse]] entlehnt Parsons Ansichten, die die Grundlage seines [[Menschenbild]]es sind und auch die Basis für sein Theoriemodell darstellen.


== Werke (Auswahl) ==
=== Soziale Handlung als Grundeinheit sozialer Ordnung ===
* Johannes Stüttgen: ''Über Joseph Beuys und jeden Menschen, das Erdtelephon und zwei Wolkenkratzer; über 7000 Eichen, 7000 Steine und ein schwarzes Loch'', Free International University (FIU), Düsseldorf 1985
==== Anthropologische Annahmen ====
* Johannes Stüttgen: ''Soziale Skulptur und die – immer wieder aktuelle – Geldfrage''. FIU-Verlag, Wangen 2010, DVD/Video, 90 min, + Bonusmaterial, Vortrag in Pfaffenhofen Juni 2009, ISBN 978-3-928780-45-2.
Im Gegensatz zu den Tieren ist der Mensch nur wenig oder garnicht instinktgeleitet. Seine ursprüngliche Natur, wie sie nach seiner Geburt vorliegt, ist durch plastizierbare Offenheit gekennzeichnet. Reize der Umwelt haben keine biologisch festgelegte Bedeutung. Instinktgeleitete Selektion der Wahrnehmung und der Verhaltenssteuerung findet nicht statt. Der Mensch ist insofern hinsichtlich seiner biologischen Ausstattung ein "Mängelwesen". Er ist so, wie ihn die Natur geschaffen hat, lebensunfähig. Der Mensch konnte sich in der Evolution behaupten, indem er sich, als Gruppe, eine künstliche Umwelt schuf, die "[[Kultur]]". Kultur stellt einen Ersatz dar für mangelhafte physiologische und instinktmäßige Ausstattung.
* Johannes Stüttgen: ''Der Ganze Riemen. Der Auftritt von Joseph Beuys als Lehrer – die Chronologie der Ereignisse an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf 1966–1972''. Hrsg. Hessisches Landesmuseum Darmstadt, Verlag der Buchhandlung Walter König, Köln 2008, ISBN 978-3-86560-306-7
==== Psychologische Annahmen ====
* {{Literatur|Autor=Johannes Stüttgen|Titel=Die Frage nach dem Sinn der Technik und das ‚Erdtelephon‘|Verlag=FIU-Verlag|Jahr=2005|ISBN=3-928780-33-6|Kommentar=auch als DVD, FIU-Verlag, Wangen 2006, ISBN 978-3-928780-65-0}}
Parsons verbindet diese anthropologischen Ansichten mit Annahmen über die psychologische Natur des Menschen, insbesondere der [[Sigmund Freud]]s. Aus der psychologischen Struktur des Menschen, wie Parsons ihn sieht, folgt auch, daß das Hauptmotiv von Handlungen jedes Individuums die [[Gratifikation]]smaximierung ist. Es gehe den Menschen in erster Linie darum, Belohnungen, insbesondere [[Anerkennung]], zu erlangen, und Strafen zu vermeiden.
* {{Literatur|Autor=Johannes Stüttgen, Christoph Schlingensief|Titel=ZUM KAPITAL – Als Chr. Schlingensief das Unsichtbare gesucht hat|Verlag=FIU-Verlag|Jahr=2000|Kommentar=Vorzugsausgabe mit DVD/Video und Siebdrucken}}
==== Das handelnde Individuum in der Handlungssituation ====
* {{Literatur|Autor=Johannes Stüttgen|Titel=Der plastische Umstülpungsvorgang|Verlag=FIU-Verlag|Jahr=1992|ISBN=3-928780-04-2}}
Eine Möglichkeit, das Verhältnis Individuum - Gesellschaft näher zu bestimmen, besteht darin, zu untersuchen, wie "Gesellschaft", überhaupt alles Soziale, sich in Bewußtsein und Handeln des Individuums spiegelt. Als Handelnder steht der Mensch in einer Handlungsituation. Dies ist von Parsonss analog dem Verhältnis eines biologischen Organismus zu seiner Umwelt gedacht. In der Situation, der sozialen Umwelt des Individuums, findet es Objekte von dreierlei Art vor: (1) Physische Objekte, (2) Soziale Objekte, und (3) Kulturelle Objekte. Die sozialen Objekte sind die anderen Menschen. Die kulturellen Objekte sind gemeinsam geteilte Bedeutungen symbolischer Gehalte.
* {{Literatur|Autor=Johannes Stüttgen|Titel=Zeitstau. Im Kraftfeld des erweiterten Kunstbegriffs von Joseph Beuys. Sieben Vorträge im Todesjahr von Joseph Beuys|Verlag=Urachhaus Johannes M. MayerGmbH|Ort=Stuttgart|Jahr=1988|ISBN=3-87838-585-4}} 2., verbesserte Auflage: FIU-Verlag, Wangen 1998, ISBN 978-3-928780-04-9.
===== Das Soziale der Handlungssituation =====
* {{Literatur|Autor=Johannes Stüttgen|Titel=Freie Internationale Universität (FIU) – Organ des Erweiterten Kunstbegriffs für die Soziale Skulptur. Eine Darstellung der Idee und Entstehungsgeschichte der FIU|Verlag=FIU-Verlag|Jahr=1987|ISBN=3-928780-02-6}}
Soziale Handlung ist definiert als ein Verhalten, das sinnhaft auf das Verhalten anderer bezogen ist. Soziales Handeln antizipiert die Reaktion anderer Handelnder. Dadurch entsteht eine Wechselbeziehung, die [[Interaktion]]. Sie ist gekennzeichnet durch Komplementarität der Erwartungen an das Handeln. Das Handeln hat reziproken Charakter, paßt mit dem Handeln anderer zusammen. Dieses Zusammenpassen der Erwartungen an das Handeln und der konkreten Handlungen selbst wird gewährleistet durch die Beobachtung gemeinsamer kultureller Symbolbedeutungen.
* {{Literatur|Autor=Johannes Stüttgen, Joseph. Beuys|Titel=Similia similibus|Verlag=DuMont|Jahr=1982|ISBN=3-7701-1344-6|Kommentar=vergriffen}}
===== Das Kulturelle der Handlungssituation =====
* {{Literatur|Autor=Johannes Stüttgen, Thomas Mayer|Titel=Kunstwerk Volksabstimmung. Die spirituellen u. künstlerischen Hintergründe der Direkten Demokratie|Verlag=FIU-Verlag|Jahr=2004|ISBN=3-928780-23-9}}
Menschen einer gemeinsamen kulturellen Welt leben mit Gedanken und Vorstellungen über die Wirklichkeit, die einander ähnlich sind. Nach Parsons kommt dies durch die Sozialisation zustande (Siehe Abschnitt [[Sozialisation]] weiter unten). Die Handelnden interpretieren jede Situation unter Berücksichtigung der [[Werte]] und [[Soziale Norm|Normen]] ihrer Kultur, und der gegenseitigen [[Soziale Rolle|Rollen]]erwartungen. Das Rollenspiel dient aus Sicht der Individuen dazu, ihre Motive zu verwirklichen und ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Es ist Ergebnis einer vorherigen Orientierung über die Handlungssituation. Parsons unterscheidet Motivorientierung und Wertorientierung.
*''Wilhelm Schmundt und Joseph Beuys. Die Bedeutung der Entdeckung von Wilhelm Schmundt für den Erweiterten Kunstbegriff'', in: [[Rainer Rappmann|Rappmann, Rainer]] (Hrsg.): ''Die Kunst des sozialen Bauens - Beiträge zu Wilhelm Schmundt'', Wangen 1993, FIU-Verlag, ISBN 3-928780-05-0, [http://fiu-verlag.com/die-kunst-des-sozialen-bauens/ Verlagsauskunft], S. 13 -33


== Siehe auch ==
===== Handlungsorientierung =====
* {{WikipediaDE|Johannes Stüttgen}}
Die Handlungsorientierung geht nach Parsons in zwei Schritten dem Akt der Handlung voraus. In der Motivorientierung bewertet das Individuum die Situation im Hinblick auf seine Bedürfnisbefriedigungschancen (Belohnungen, Grundbedürfnisse etc.), und entsprechender Motive anderer. In der Wertorientierung beurteilt es die Situation im Hinblick auf anwendbare oder anzuwendende Werte, Normen und Regeln. In seinen sog. [[wikipedia:pattern variables|pattern variables]] hat Parsonss fünf gewöhnlich in Frage kommende Verhaltenseinstellungen zur Situation vorgestellt. Danach orientiert sich das handelnde Individuum in einer sozialen Situation an folgenden Alternativen:
* Selbstorientierung vs. Kollektivinteresse
* Spezifisches Verhalten vs. diffuses Verhalten
* Neutrales vs. affektives Verhalten
* Universalismus vs. Partikularismus
* Zuschreibung vs. Leistung
 
Damit ist in den Grundzügen dargestellt, wie nach Parsons Handeln stattfindet und aus der Sicht des einzelnen Individuums erlebt wird. Die spezifischen Selbstinterpretationen der Individuen und ihre Handlungsfähigkeiten, die erst Interaktionen zur Zufriedenheit aller gelingen lassen, sind jedoch nichts Selbstverständliches. Sie müssen im Prozeß der Sozialisation mühsam erworben werden. Im Sozialisationsprozeß wird "Kultur" angeeignet nicht nur als eine geordnete Welt von sozialen Objekten und kulturellen Werten, sondern, für die Perspektive des Individuums, als ein System von Gedanken, Vorstellungen und Ideen, das das Individuum Wirklichkeit überhaupt erst erfahren läßt, indem es diese "konstruiert" ([[wikipedia:Sozialkonstruktivismus|Sozialkonstruktivismus]]).
 
=== Gesellschaft als soziale Konstruktion ===
Die erkenntnistheoretische Position Parsons ist ein [[analytischer Realismus]].<ref>Parsons Aussagen beziehen sich gemäß seiner erkenntnistheoretischen Position des analytischen Realismus (entwickelt in Auseinandersetzung mit Lawrence J. Henderson und Alfred North Whitehead) nicht wirklich eins zu eins auf entsprechende empirische Fakten. Die von ihm postulierten Systeme gibt es so in Wirklichkeit nicht. Ein System ist ein "Begriffsschema und nicht das konkrete Phänomen" (Harald Wenzel 1990, S. 207). "Was über ein konkretes Phänomen erfahrbar ist, das hängt von seiner Interpretation im Rahmen des Begriffsschemas ab." (Matthias Junge: Die Persönlichkeitstheorie von Talcott Parsons, S. 109ff. in Schlüsselwerke der Identitätsforschung, Springer Verlag, 2010)
 
"A system of scientific theory is generally abstract precisely because the facts it embodies do not constitute a complete description of the concrete phenomena involved but are stated 'in terms of a conceptual scheme', that is, they embody only the facts about the phenomena which are important to the theoretical system" (Parsons: The Structure of Social Action 1968 I, S. 41). </ref>Von daher ist für ihn die soziale Konstruktion analytische Systembildung, die Herstellung von Wirklichkeit durch Ordnung der Phänomene mittels systematisch geordneter Gedanken. Gesellschaft ist als ein von Menschen gedachtes System aufzufassen, das ihren Handlungen vorausgesetzt ist und sich durch das Handeln realisiert. Parsons nimmt an, daß diese Art, Wirklichkeit zu konstruieren, allen Menschen gemeinsam ist und aus ihrer anthropologischen Natur als "Mängelwesen" folgt.
Parsons "allgemeines Handlungssystem" stellt gegenüber den Systemen des Alltags ein Wissenschaftssystem dar. Es handelt sich um analytische Systembildung zum Zwecke wissenschaftlicher Erkenntnis.
 
=== Parsons Begriffe von Struktur und System, Funktion, Rolle und Institution ===
==== Struktur und System ====
Unter Struktur versteht Parsons stabile, d.h. andauernde Anordnung von Elementen mit netzartigen Beziehungen. Sie ist, analytisch gesehen, eine Vorstufe des "Systems", das den Begriff der Struktur umfaßt und zusätzlich als an eine Umwelt grenzend gedacht wird, zu dem es Austauschbeziehungen unterhält.
==== Funktion ====
Funktion meint nach Parsons im Unterschied zu dem, was subjektiv gemeinter Sinn ist, die objektive Bedeutung von z.B. Handlungen, ihre Auswirkung in Handlungssystemen. Mit der funktionalistischen Methode werden "soziale Tatsachen" auf ihre objektive Bedeutung hin untersucht, d.h. im Hinblick auf ihre Funktion für das System, dessen Elemente oder Subsysteme sie sind.
 
==== Rolle und Institution ====
Rolle und Institution sind Begriffe, die zwischen Handeln und Sozialstruktur liegen und diese vermitteln. Eine Rolle ist ein Verhalten, das den Erwartungen entspricht und deshalb eine ordnungskonstituierende und -stablilisierende Handlung bzw. Handlungskette darstellt. Eine Sozialstruktur ist die Gesamtheit der Rollen und die ihnen zugeordneten Normen als Elemente bzw. Systemtypen, die zwischen Sozialsystem und dem Persönlichkeitssystem der Individuen vermitteln. Institutionen sind Rollensysteme, die einen hohen Grad an Verbindlichkeit haben, indem ihre Mißachtung bestraft(sanktioniert) wird. Sie bezeichnen weniger zu spielende Rollen als die Bahnen, in denen sich diese zu bewegen haben.
 
=== Das Handlungssystem und seine Subsysteme ===
[[Bild:AGIL1_de.png|thumb|280px|Grundlegendes [[wikipedia:AGIL-Schema|AGIL-Schema]]: Das Handlungssystem]]
 
[[Bild:AGIL2_de.png|thumb|280px|Untergliederung des Handlungssystems nach dem AGIL-Schema]]
 
Alles Soziale, wie es für den Menschen wirklich ist, wird durch Handeln hervorgebracht. Deshalb nennt Parsons sein Modell "Handlungssystem". Er analysiert dieses System bis ins kleinste Detail. Nach den hauptsächlichen Zusammenhangsbereichen unterscheidet er vier Subsysteme.
* Verhaltensorganismus
* Persönlichkeitssystem
* Soziales System
* Kulturelles System
Diese Subsysteme gehören dem Handlungssystem insoweit an, als sie spezifische Funktionen ausüben für die Weiterexistenz und das Gleichgewicht des Handlungssystems. Sie stehen untereinander in Austauschbeziehungen ([[wikipedia:Interpenetration|Interprenetation]])und sind sich gegenseitig Umwelt. Daß Systeme sich zu erhalten suchen, und nach Gleichgewicht streben, d.h. nach einem Zustand friedlich harmonischen Zusammenspiels der Elemente, sind Ansichten, die Parsons der Biologie entnimmt.
 
==== Verhaltensorganismus und Persönlichkeitssystem ====
Dem Verhaltensorganismus(VO) kommt die Funktion der Anpassung an die Umwelt zu. Es steht nur zum Persönlichkeitssystem (PS) direkt in Beziehung, versorgt es mit vitaler Energie. Das PS vermittelt dem VO Steuerungsimpulse, die den energetischen Ausdruck strukturieren, hauptsächlich durch Motivgewohnheiten. Das PS ist die Charakterstruktur des Individuums mit seinen Motiven und Bedürfnisdispositionen. Besondere Bedeutung haben dabei nach Parsons das Streben nach Gratifikationsmaximierung sowie die positive Bewertung von konventionellem Verhalten im Hinblick auf die Gratifikationschancen (vgl. auch unten Abschnitt Kritik). Das PS steht mit den verschiedenen Sozialsystemen, wie z.B. die [[Familie]] eines ist, und dem umfassenden Sozialsystem, der "Gesellschaft", über Rollen in Beziehung.
 
==== Das Sozialsystem ====
Das Soziale existiert im Medium der Interaktionen, in denen einander reziproke Rollen spielen. Das bzw. die sozialen Systeme (SS) haben für das Handlungssystem die Funktion der Integration, der Zusammengehörigkeit und des Aufeinanderbezogenseins durch Gleichheit oder Ähnlichkeit. In den Interaktionen, in denen das SS wirkt, werden PS, SS, und das Kultursystem (KS) zum Einklang gebracht. Dies geschieht durch Mechanismen und Prozesse, die durch das Kultursystem gesteuert werden.
 
==== Das Kultursystem ====
Das KS steht in der Kontrollhierachie der Subsysteme an oberster Stelle. Es hat die oberste Steuerungskompetenz. In ihm sind die dem Handlungssystem zugehörenden Werte, Normen und Rollendefinitionen verankert. Es beinhaltet die den Handelnden gemeinsame Symbolwelt, der die gesamten Bedeutungen sozialer und kultureller Wirklichkeit zugeordnet sind. Über die Wertorientierung der Handelnden fließen die Inhalte des KS direkt in die Interaktionen ein, machen sie überhaupt erst möglich, indem sie gemeinsame Bedeutungen von Verhalten herstellen. An den Werten und Normen wird auch gemessen, ob ein Verhalten "richtig", d.h. rollenkonform ist. Bei für die Integration wesentlichem Verhalten wird Abweichung von der Norm bestraft, Befolgung der Norm wird durch Gratifizierung belohnt. Aus diesem Grund ist Konformität für die PS ein wichtiges Motiv, das Gratifikationsmaximierung verspricht. Dem KS kommt die Hauptfunktion der Strukturerhaltung zu. Es ist quasi das oberste "Programm", das die Anweisungen auch für die anderen "Programme", dem PS und SS, enthält. Allein die Sanktionierung des unmittelbaren Handelns genügt nicht, oder ist sogar nur ein sekundäres Mittel der Strukturerhaltung, das (sinnvoll) nur dort eingesetzt ist, wo ein anderes Mittel versagt (hat): Die Sozialisation der Individuen.
 
=== Sozialisation ===
In seiner Sozialisationstheorie verbindet Parsons psychologische Ansichten mit den genuin soziologischen. Mittels ihrer beantwortet Parsons die soziologische Leitfrage: Wie ist soziale Ordnung möglich? In der Sozialisation erlernen die Heranwachsenden, eine Identität auszubilden, für die die Einordnung in die Gesellschaft selbstverständlich ist. Außerdem wird die Fähigkeit erworben, Rollen auszuüben, d.h. so zu handeln, wie es die Gesellschaft erfordert. Zwei zusätzliche Dinge erreicht die Sozialisation: Affektmodellierung, d.h. Formung der zunächst unspezifischen Bedürfnisdispositionen des Kindes, und Übernahme der kulturellen Werte, ja des gesamten Bildes sozialer Wirklichkeit, wie es sich bisher in der Geschichte einer Kultur gebildet hat. Nach Bildung einer Grundstruktur der Persönlichkeit durch Verinnerlichung der Rollenerwartungen der Bezugspersonen und der Motiventwicklung durch Affektkontrolle kommt es zur Rollendifferenzierung, die im wesentlichen die "pattern variables" erfaßt. Je differenzierter das Rollenspiel einer Person, desto freier, "autonomer", kann sie sein, ohne die Regeln zu verletzen. Sozialisation ist ein umfassendes Lernen, bei dem die Anforderungen verinnerlicht werden und zwar so sehr, daß diese schließlich von dem PS "selbst" gewollt und gerne getan werden. Das Lernen vollzieht sich nach Parsons in Zyklen. Er sieht vier Phasen: (1) Nachsicht, Gewährenlassen, (2) Unterstützung, (3) Verweigerung der Reziprozität, (4) Selektive Belohnung.
 
=== Kritik ===
Parsons Modell kann unter den unterschiedlichsten Gesichtspunkten kritisiert werden.
 
==== Fragwürdige Voraussetzungen ====
Vieles, was in Parsons Modell als Voraussetzungen eingeht, wurde von ihm einfach als gesicherte Erkenntnisse anerkannt. Neben den psychoanalytischen und anthropologischen Annahmen, und Voraussetzung von* Systemeigenschaften wie etwa das Streben nach "Gleichgewicht" von Systemen (nicht hinterfragte Übernahme aus der Biologie), wirkt besonders das Prinzip der Gratifikationsmaximierung bedenklich. Wenn auch in modernen Gesellschaften empirisch dieses Verhalten festgestellt werden mag, und es die von Parsons behauptete Funktion wahrnimmt, so folgt daraus weder
* daß es sich um ein universelles Prinzip handelt, das aus der Natur des Menschen entspringt, noch
* daß es keine dysfunktionale Langzeitwirkungen hat, noch
* daß es für die Funktion kein funktionales Äquivalent geben könne
 
Besonders deutlich läßt sich dies im Wirtschaftssystem sehen, wo das dem Gratifikationsstreben analoge Prinzip der Profitmaximierung wirkt: Kurzfristig scheint der Motor "Egoismus" seinen Dienst zu tun. Jedoch läßt eine Langzeitanalyse diesen Schluß keineswegs ohne weiteres zu. Ein Defizit der Parson'schen Soziologie ist die statisch-zeitlose Konzeption seines Modells und die Beschränkung der Funktionsanalyse auf kurzfristige Wirkungen.
 
==== Kritik aus der Perspektive von außerhalb des "Systems" ====
Neben solcher Kritik fragwürdiger Annahmen läßt sich seine Theorie danach bewerten, ob sie "gut" ist von einem Standpunkt, der außerhalb des "allgemeinen Handlungssystems" liegt. Kritik von solchem Standpunkt aus ist möglich, da die Theorie selbst Produkt des Individuums ist, mithin auch ein scheinbar objektives "Handlungssystem". Es besteht ein bezeichnender Widerspruch zwischen Parsons Annahme einer generellen Systembildung als Problemlösung des ''Individuums'' (und nicht eines PS, das eine Konstruktion ist), und der Behauptung, es sei für die Gesellschaft notwendig, daß sich die Individuen diesen selbstgeschaffenen Systemen unterwerfen. Man kann im Gegenteil annehmen, daß es ein großes Verhängnis darstellt, daß es zur durch Individuen unkontrollierbaren Systembildung kommt. Nicht so sehr, weil es deshalb keine persönliche Autonomie mehr geben könnte (die auch Parsons anerkennt), sondern weil der Menschheit insgesamt die Kontrolle über ihre eigene kulturelle Schöpfung zu entgleiten droht, und sie einigen fatalen Entwicklungen des "Systems" kaum noch gegenzusteuern vermag.


== Weblinks ==
Die Grundfrage der Soziologie: Wie ist Gesellschaft möglich? bedarf insofern einer Erweiterung: Wie ist Gesellschaft langfristig und menschenwürdig, d.h. mit Steuerungskompetenz bei den Individuen, und nicht Steuerung durch anonyme, dem Menschen entfremdeten Systeme, möglich? Gibt es andere Möglichkeiten der Integration des sozialen Zusammenlebens wie diejenigen, wie sie durch die Brille der Systemtheorie beobachtet werden? Daß aus systematischen Gründen der Systemtheorie solch ein Zugang zum Problem nicht möglich ist, macht ihre generelle Fragwürdigkeit aus.
;Texte von Johannes Stüttgen
* [http://www.omnibus.org/ Omnibus für direkte Demokratie], darin unter [http://www.omnibus.org/texte.html Mediathek] u.a. Texte von J. Stüttgen
* [http://www.anthromedia.net/uploads/media/Stuettgen-Beuys.pdf Auszüge einer Rede zum Beuys-Kongress 2000] (PDF-Datei; 958 kB)
* [http://www.fiu-verlag.com/fiu-alt/textekunst.php?zweig=textekunst&liste=va_list_brd.php Auszug eines Vortrags über den Erweiterten Kunstbegriff in Hamburg]
;Videos zu Vorträgen von Johannes Stüttgen
* [http://www.youtube.com/watch?v=GMFnVaDpO0I Ein Vortrag von Johannes Stüttgen am 27. Februar 2012 in Hamburg zum Thema: Recht auf Einkommen und direkte Demokratie]


== Einzelnachweise ==
==Einzelnachweise==
<references/>
<references/>


{{DEFAULTSORT:Stuttgen, Johannes}}
== Siehe auch ==
*{{wikipediaDE|Talcott Parsons}}
*[[Soziales System]]
 
== Literatur ==
*Harald Wenzel: ''Die Ordnung des Handelns: Talcott Parsons' Theorie des allgemeinen Handlungssystems'', Suhrkamp (1991) ISBN 351858071X
*[[Michael Opielka]]: ''Gemeinschaft in Gesellschaft: Soziologie nach Hegel und Parsons'', VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2. überarb. Auflage (2006)


[[Kategorie:Anthroposoph (20. Jahrhundert)]]
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[[Kategorie:Anthroposoph (21. Jahrhundert)]]
[[Kategorie:Anthroposophischer Künstler]]
[[Kategorie:Künstler (20. Jahrhundert)]]
[[Kategorie:Künstler (21. Jahrhundert)]]
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{{Wikipedia}}
{{SORTIERUNG:Parsons, Talcott}}
[[Kategorie:Soziologie und Anthroposophie]]
[[Kategorie:Soziologe]]
[[Kategorie:Sozialwissenschaftler]]
[[Kategorie:Sozialphilosoph]]
[[Kategorie:Systemtheoretiker]]
[[Kategorie:Soziologische Systemtheorie]]

Version vom 15. März 2018, 19:59 Uhr

Talcott Parsons (* 13. Dezember 1902 in Colorado Springs, Colorado; † 8. Mai 1979 in München) war ein US-amerikanischer Soziologe. Er gilt als einflussreichster soziologischer Theoretiker vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis in die 1960er Jahre hinein.

Talcott Parsons ist mit einer Handlungstheorie hervorgetreten, hat diese zum Strukturfunktionalismus weiterentwickelt und diesen schließlich zu einer Soziologischen Systemtheorie ausgebaut. Seine Soziologie reagiert auf den vorherrschenden Empirismus in der angelsächsischen Soziologie der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Parsons entwickelte eine allgemeine soziologische Theorie und stellte Zusammenhänge mit anderen Gesellschaftswissenschaften her, insbesondere zu Ökonomie, Politikwissenschaft, Psychologie und Anthropologie.

Parsons handlungstheoretische Systemtheorie

Parsons geht aus von der Frage: Wie ist soziale Ordnung möglich? Er versucht, im Zuge der Beantwortung auch zu klären, wie das Verhältnis der Individuen zur Gesellschaft, in der sie leben, beschaffen ist. Gewöhnlich bearbeiten Soziologen einzelne Aspekte solcher Fragen. Parsons legt ein umfassendes Totalmodell vor, das "allgemeine Handlungssystem". Er entwickelt seine Theorie in Ausseinandersetzung mit den soziologischen Klassikern Max Weber, Durkheim u.a., und zieht Elemente aus der Biologie, Anthropologie und Psychologie hinzu.

Von Weber übernimmt Parsons die Ansicht, daß die soziale Handlung die Grundeinheit aller sozialen Ordnungen darstellt. Soziales geschieht im Handeln, wird durch Handeln realisiert, und muß von daher aufgefaßt werden. Von Durkheim übernimmt Parsons die Ansicht, daß das Soziale für sich existiert, eine Realität eigener Art ist, die in bestimmter Hinsicht von den Individuen unabhängig ist, ja durch ihre feste Ordnung Zwang auf sie ausübt. Aus der Anthropologie und der Psychoanalyse entlehnt Parsons Ansichten, die die Grundlage seines Menschenbildes sind und auch die Basis für sein Theoriemodell darstellen.

Soziale Handlung als Grundeinheit sozialer Ordnung

Anthropologische Annahmen

Im Gegensatz zu den Tieren ist der Mensch nur wenig oder garnicht instinktgeleitet. Seine ursprüngliche Natur, wie sie nach seiner Geburt vorliegt, ist durch plastizierbare Offenheit gekennzeichnet. Reize der Umwelt haben keine biologisch festgelegte Bedeutung. Instinktgeleitete Selektion der Wahrnehmung und der Verhaltenssteuerung findet nicht statt. Der Mensch ist insofern hinsichtlich seiner biologischen Ausstattung ein "Mängelwesen". Er ist so, wie ihn die Natur geschaffen hat, lebensunfähig. Der Mensch konnte sich in der Evolution behaupten, indem er sich, als Gruppe, eine künstliche Umwelt schuf, die "Kultur". Kultur stellt einen Ersatz dar für mangelhafte physiologische und instinktmäßige Ausstattung.

Psychologische Annahmen

Parsons verbindet diese anthropologischen Ansichten mit Annahmen über die psychologische Natur des Menschen, insbesondere der Sigmund Freuds. Aus der psychologischen Struktur des Menschen, wie Parsons ihn sieht, folgt auch, daß das Hauptmotiv von Handlungen jedes Individuums die Gratifikationsmaximierung ist. Es gehe den Menschen in erster Linie darum, Belohnungen, insbesondere Anerkennung, zu erlangen, und Strafen zu vermeiden.

Das handelnde Individuum in der Handlungssituation

Eine Möglichkeit, das Verhältnis Individuum - Gesellschaft näher zu bestimmen, besteht darin, zu untersuchen, wie "Gesellschaft", überhaupt alles Soziale, sich in Bewußtsein und Handeln des Individuums spiegelt. Als Handelnder steht der Mensch in einer Handlungsituation. Dies ist von Parsonss analog dem Verhältnis eines biologischen Organismus zu seiner Umwelt gedacht. In der Situation, der sozialen Umwelt des Individuums, findet es Objekte von dreierlei Art vor: (1) Physische Objekte, (2) Soziale Objekte, und (3) Kulturelle Objekte. Die sozialen Objekte sind die anderen Menschen. Die kulturellen Objekte sind gemeinsam geteilte Bedeutungen symbolischer Gehalte.

Das Soziale der Handlungssituation

Soziale Handlung ist definiert als ein Verhalten, das sinnhaft auf das Verhalten anderer bezogen ist. Soziales Handeln antizipiert die Reaktion anderer Handelnder. Dadurch entsteht eine Wechselbeziehung, die Interaktion. Sie ist gekennzeichnet durch Komplementarität der Erwartungen an das Handeln. Das Handeln hat reziproken Charakter, paßt mit dem Handeln anderer zusammen. Dieses Zusammenpassen der Erwartungen an das Handeln und der konkreten Handlungen selbst wird gewährleistet durch die Beobachtung gemeinsamer kultureller Symbolbedeutungen.

Das Kulturelle der Handlungssituation

Menschen einer gemeinsamen kulturellen Welt leben mit Gedanken und Vorstellungen über die Wirklichkeit, die einander ähnlich sind. Nach Parsons kommt dies durch die Sozialisation zustande (Siehe Abschnitt Sozialisation weiter unten). Die Handelnden interpretieren jede Situation unter Berücksichtigung der Werte und Normen ihrer Kultur, und der gegenseitigen Rollenerwartungen. Das Rollenspiel dient aus Sicht der Individuen dazu, ihre Motive zu verwirklichen und ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Es ist Ergebnis einer vorherigen Orientierung über die Handlungssituation. Parsons unterscheidet Motivorientierung und Wertorientierung.

Handlungsorientierung

Die Handlungsorientierung geht nach Parsons in zwei Schritten dem Akt der Handlung voraus. In der Motivorientierung bewertet das Individuum die Situation im Hinblick auf seine Bedürfnisbefriedigungschancen (Belohnungen, Grundbedürfnisse etc.), und entsprechender Motive anderer. In der Wertorientierung beurteilt es die Situation im Hinblick auf anwendbare oder anzuwendende Werte, Normen und Regeln. In seinen sog. pattern variables hat Parsonss fünf gewöhnlich in Frage kommende Verhaltenseinstellungen zur Situation vorgestellt. Danach orientiert sich das handelnde Individuum in einer sozialen Situation an folgenden Alternativen:

  • Selbstorientierung vs. Kollektivinteresse
  • Spezifisches Verhalten vs. diffuses Verhalten
  • Neutrales vs. affektives Verhalten
  • Universalismus vs. Partikularismus
  • Zuschreibung vs. Leistung

Damit ist in den Grundzügen dargestellt, wie nach Parsons Handeln stattfindet und aus der Sicht des einzelnen Individuums erlebt wird. Die spezifischen Selbstinterpretationen der Individuen und ihre Handlungsfähigkeiten, die erst Interaktionen zur Zufriedenheit aller gelingen lassen, sind jedoch nichts Selbstverständliches. Sie müssen im Prozeß der Sozialisation mühsam erworben werden. Im Sozialisationsprozeß wird "Kultur" angeeignet nicht nur als eine geordnete Welt von sozialen Objekten und kulturellen Werten, sondern, für die Perspektive des Individuums, als ein System von Gedanken, Vorstellungen und Ideen, das das Individuum Wirklichkeit überhaupt erst erfahren läßt, indem es diese "konstruiert" (Sozialkonstruktivismus).

Gesellschaft als soziale Konstruktion

Die erkenntnistheoretische Position Parsons ist ein analytischer Realismus.[1]Von daher ist für ihn die soziale Konstruktion analytische Systembildung, die Herstellung von Wirklichkeit durch Ordnung der Phänomene mittels systematisch geordneter Gedanken. Gesellschaft ist als ein von Menschen gedachtes System aufzufassen, das ihren Handlungen vorausgesetzt ist und sich durch das Handeln realisiert. Parsons nimmt an, daß diese Art, Wirklichkeit zu konstruieren, allen Menschen gemeinsam ist und aus ihrer anthropologischen Natur als "Mängelwesen" folgt. Parsons "allgemeines Handlungssystem" stellt gegenüber den Systemen des Alltags ein Wissenschaftssystem dar. Es handelt sich um analytische Systembildung zum Zwecke wissenschaftlicher Erkenntnis.

Parsons Begriffe von Struktur und System, Funktion, Rolle und Institution

Struktur und System

Unter Struktur versteht Parsons stabile, d.h. andauernde Anordnung von Elementen mit netzartigen Beziehungen. Sie ist, analytisch gesehen, eine Vorstufe des "Systems", das den Begriff der Struktur umfaßt und zusätzlich als an eine Umwelt grenzend gedacht wird, zu dem es Austauschbeziehungen unterhält.

Funktion

Funktion meint nach Parsons im Unterschied zu dem, was subjektiv gemeinter Sinn ist, die objektive Bedeutung von z.B. Handlungen, ihre Auswirkung in Handlungssystemen. Mit der funktionalistischen Methode werden "soziale Tatsachen" auf ihre objektive Bedeutung hin untersucht, d.h. im Hinblick auf ihre Funktion für das System, dessen Elemente oder Subsysteme sie sind.

Rolle und Institution

Rolle und Institution sind Begriffe, die zwischen Handeln und Sozialstruktur liegen und diese vermitteln. Eine Rolle ist ein Verhalten, das den Erwartungen entspricht und deshalb eine ordnungskonstituierende und -stablilisierende Handlung bzw. Handlungskette darstellt. Eine Sozialstruktur ist die Gesamtheit der Rollen und die ihnen zugeordneten Normen als Elemente bzw. Systemtypen, die zwischen Sozialsystem und dem Persönlichkeitssystem der Individuen vermitteln. Institutionen sind Rollensysteme, die einen hohen Grad an Verbindlichkeit haben, indem ihre Mißachtung bestraft(sanktioniert) wird. Sie bezeichnen weniger zu spielende Rollen als die Bahnen, in denen sich diese zu bewegen haben.

Das Handlungssystem und seine Subsysteme

Grundlegendes AGIL-Schema: Das Handlungssystem
Untergliederung des Handlungssystems nach dem AGIL-Schema

Alles Soziale, wie es für den Menschen wirklich ist, wird durch Handeln hervorgebracht. Deshalb nennt Parsons sein Modell "Handlungssystem". Er analysiert dieses System bis ins kleinste Detail. Nach den hauptsächlichen Zusammenhangsbereichen unterscheidet er vier Subsysteme.

  • Verhaltensorganismus
  • Persönlichkeitssystem
  • Soziales System
  • Kulturelles System

Diese Subsysteme gehören dem Handlungssystem insoweit an, als sie spezifische Funktionen ausüben für die Weiterexistenz und das Gleichgewicht des Handlungssystems. Sie stehen untereinander in Austauschbeziehungen (Interprenetation)und sind sich gegenseitig Umwelt. Daß Systeme sich zu erhalten suchen, und nach Gleichgewicht streben, d.h. nach einem Zustand friedlich harmonischen Zusammenspiels der Elemente, sind Ansichten, die Parsons der Biologie entnimmt.

Verhaltensorganismus und Persönlichkeitssystem

Dem Verhaltensorganismus(VO) kommt die Funktion der Anpassung an die Umwelt zu. Es steht nur zum Persönlichkeitssystem (PS) direkt in Beziehung, versorgt es mit vitaler Energie. Das PS vermittelt dem VO Steuerungsimpulse, die den energetischen Ausdruck strukturieren, hauptsächlich durch Motivgewohnheiten. Das PS ist die Charakterstruktur des Individuums mit seinen Motiven und Bedürfnisdispositionen. Besondere Bedeutung haben dabei nach Parsons das Streben nach Gratifikationsmaximierung sowie die positive Bewertung von konventionellem Verhalten im Hinblick auf die Gratifikationschancen (vgl. auch unten Abschnitt Kritik). Das PS steht mit den verschiedenen Sozialsystemen, wie z.B. die Familie eines ist, und dem umfassenden Sozialsystem, der "Gesellschaft", über Rollen in Beziehung.

Das Sozialsystem

Das Soziale existiert im Medium der Interaktionen, in denen einander reziproke Rollen spielen. Das bzw. die sozialen Systeme (SS) haben für das Handlungssystem die Funktion der Integration, der Zusammengehörigkeit und des Aufeinanderbezogenseins durch Gleichheit oder Ähnlichkeit. In den Interaktionen, in denen das SS wirkt, werden PS, SS, und das Kultursystem (KS) zum Einklang gebracht. Dies geschieht durch Mechanismen und Prozesse, die durch das Kultursystem gesteuert werden.

Das Kultursystem

Das KS steht in der Kontrollhierachie der Subsysteme an oberster Stelle. Es hat die oberste Steuerungskompetenz. In ihm sind die dem Handlungssystem zugehörenden Werte, Normen und Rollendefinitionen verankert. Es beinhaltet die den Handelnden gemeinsame Symbolwelt, der die gesamten Bedeutungen sozialer und kultureller Wirklichkeit zugeordnet sind. Über die Wertorientierung der Handelnden fließen die Inhalte des KS direkt in die Interaktionen ein, machen sie überhaupt erst möglich, indem sie gemeinsame Bedeutungen von Verhalten herstellen. An den Werten und Normen wird auch gemessen, ob ein Verhalten "richtig", d.h. rollenkonform ist. Bei für die Integration wesentlichem Verhalten wird Abweichung von der Norm bestraft, Befolgung der Norm wird durch Gratifizierung belohnt. Aus diesem Grund ist Konformität für die PS ein wichtiges Motiv, das Gratifikationsmaximierung verspricht. Dem KS kommt die Hauptfunktion der Strukturerhaltung zu. Es ist quasi das oberste "Programm", das die Anweisungen auch für die anderen "Programme", dem PS und SS, enthält. Allein die Sanktionierung des unmittelbaren Handelns genügt nicht, oder ist sogar nur ein sekundäres Mittel der Strukturerhaltung, das (sinnvoll) nur dort eingesetzt ist, wo ein anderes Mittel versagt (hat): Die Sozialisation der Individuen.

Sozialisation

In seiner Sozialisationstheorie verbindet Parsons psychologische Ansichten mit den genuin soziologischen. Mittels ihrer beantwortet Parsons die soziologische Leitfrage: Wie ist soziale Ordnung möglich? In der Sozialisation erlernen die Heranwachsenden, eine Identität auszubilden, für die die Einordnung in die Gesellschaft selbstverständlich ist. Außerdem wird die Fähigkeit erworben, Rollen auszuüben, d.h. so zu handeln, wie es die Gesellschaft erfordert. Zwei zusätzliche Dinge erreicht die Sozialisation: Affektmodellierung, d.h. Formung der zunächst unspezifischen Bedürfnisdispositionen des Kindes, und Übernahme der kulturellen Werte, ja des gesamten Bildes sozialer Wirklichkeit, wie es sich bisher in der Geschichte einer Kultur gebildet hat. Nach Bildung einer Grundstruktur der Persönlichkeit durch Verinnerlichung der Rollenerwartungen der Bezugspersonen und der Motiventwicklung durch Affektkontrolle kommt es zur Rollendifferenzierung, die im wesentlichen die "pattern variables" erfaßt. Je differenzierter das Rollenspiel einer Person, desto freier, "autonomer", kann sie sein, ohne die Regeln zu verletzen. Sozialisation ist ein umfassendes Lernen, bei dem die Anforderungen verinnerlicht werden und zwar so sehr, daß diese schließlich von dem PS "selbst" gewollt und gerne getan werden. Das Lernen vollzieht sich nach Parsons in Zyklen. Er sieht vier Phasen: (1) Nachsicht, Gewährenlassen, (2) Unterstützung, (3) Verweigerung der Reziprozität, (4) Selektive Belohnung.

Kritik

Parsons Modell kann unter den unterschiedlichsten Gesichtspunkten kritisiert werden.

Fragwürdige Voraussetzungen

Vieles, was in Parsons Modell als Voraussetzungen eingeht, wurde von ihm einfach als gesicherte Erkenntnisse anerkannt. Neben den psychoanalytischen und anthropologischen Annahmen, und Voraussetzung von* Systemeigenschaften wie etwa das Streben nach "Gleichgewicht" von Systemen (nicht hinterfragte Übernahme aus der Biologie), wirkt besonders das Prinzip der Gratifikationsmaximierung bedenklich. Wenn auch in modernen Gesellschaften empirisch dieses Verhalten festgestellt werden mag, und es die von Parsons behauptete Funktion wahrnimmt, so folgt daraus weder

  • daß es sich um ein universelles Prinzip handelt, das aus der Natur des Menschen entspringt, noch
  • daß es keine dysfunktionale Langzeitwirkungen hat, noch
  • daß es für die Funktion kein funktionales Äquivalent geben könne

Besonders deutlich läßt sich dies im Wirtschaftssystem sehen, wo das dem Gratifikationsstreben analoge Prinzip der Profitmaximierung wirkt: Kurzfristig scheint der Motor "Egoismus" seinen Dienst zu tun. Jedoch läßt eine Langzeitanalyse diesen Schluß keineswegs ohne weiteres zu. Ein Defizit der Parson'schen Soziologie ist die statisch-zeitlose Konzeption seines Modells und die Beschränkung der Funktionsanalyse auf kurzfristige Wirkungen.

Kritik aus der Perspektive von außerhalb des "Systems"

Neben solcher Kritik fragwürdiger Annahmen läßt sich seine Theorie danach bewerten, ob sie "gut" ist von einem Standpunkt, der außerhalb des "allgemeinen Handlungssystems" liegt. Kritik von solchem Standpunkt aus ist möglich, da die Theorie selbst Produkt des Individuums ist, mithin auch ein scheinbar objektives "Handlungssystem". Es besteht ein bezeichnender Widerspruch zwischen Parsons Annahme einer generellen Systembildung als Problemlösung des Individuums (und nicht eines PS, das eine Konstruktion ist), und der Behauptung, es sei für die Gesellschaft notwendig, daß sich die Individuen diesen selbstgeschaffenen Systemen unterwerfen. Man kann im Gegenteil annehmen, daß es ein großes Verhängnis darstellt, daß es zur durch Individuen unkontrollierbaren Systembildung kommt. Nicht so sehr, weil es deshalb keine persönliche Autonomie mehr geben könnte (die auch Parsons anerkennt), sondern weil der Menschheit insgesamt die Kontrolle über ihre eigene kulturelle Schöpfung zu entgleiten droht, und sie einigen fatalen Entwicklungen des "Systems" kaum noch gegenzusteuern vermag.

Die Grundfrage der Soziologie: Wie ist Gesellschaft möglich? bedarf insofern einer Erweiterung: Wie ist Gesellschaft langfristig und menschenwürdig, d.h. mit Steuerungskompetenz bei den Individuen, und nicht Steuerung durch anonyme, dem Menschen entfremdeten Systeme, möglich? Gibt es andere Möglichkeiten der Integration des sozialen Zusammenlebens wie diejenigen, wie sie durch die Brille der Systemtheorie beobachtet werden? Daß aus systematischen Gründen der Systemtheorie solch ein Zugang zum Problem nicht möglich ist, macht ihre generelle Fragwürdigkeit aus.

Einzelnachweise

  1. Parsons Aussagen beziehen sich gemäß seiner erkenntnistheoretischen Position des analytischen Realismus (entwickelt in Auseinandersetzung mit Lawrence J. Henderson und Alfred North Whitehead) nicht wirklich eins zu eins auf entsprechende empirische Fakten. Die von ihm postulierten Systeme gibt es so in Wirklichkeit nicht. Ein System ist ein "Begriffsschema und nicht das konkrete Phänomen" (Harald Wenzel 1990, S. 207). "Was über ein konkretes Phänomen erfahrbar ist, das hängt von seiner Interpretation im Rahmen des Begriffsschemas ab." (Matthias Junge: Die Persönlichkeitstheorie von Talcott Parsons, S. 109ff. in Schlüsselwerke der Identitätsforschung, Springer Verlag, 2010) "A system of scientific theory is generally abstract precisely because the facts it embodies do not constitute a complete description of the concrete phenomena involved but are stated 'in terms of a conceptual scheme', that is, they embody only the facts about the phenomena which are important to the theoretical system" (Parsons: The Structure of Social Action 1968 I, S. 41).

Siehe auch

Literatur

  • Harald Wenzel: Die Ordnung des Handelns: Talcott Parsons' Theorie des allgemeinen Handlungssystems, Suhrkamp (1991) ISBN 351858071X
  • Michael Opielka: Gemeinschaft in Gesellschaft: Soziologie nach Hegel und Parsons, VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2. überarb. Auflage (2006)


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