Universalienproblem und Margarita Woloschin: Unterschied zwischen den Seiten

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Das '''Universalienproblem''' (auch: '''Universalienstreit''', '''Universalienfrage''', '''Nominalismusstreit''', selten auch '''Realienstreit''') betrifft die Frage, ob es Allgemeinbegriffe wirklich gibt oder ob sie menschliche Konstruktionen sind.  
'''Margarita Wassiljewna Woloschin-Sabaschnikow''' ({{RuS|Маргарита Васильевна Сабашникова}}/Margarita Wassiljewna Sabaschnikowa; * 31. Januar 1882 in Moskau; † 2. November 1973 in Stuttgart) war eine russische Malerin und Schriftstellerin. Sie machte sich in frühen Jahren hauptsächlich als Porträt-Malerin russischer Geistesgrößen einen Namen, während in der zweiten Lebenhälfte vor allem religiöse Motive entstanden. Als Schriftstellerin wurde sie mit ihrer Autobiographie ''Die grüne Schlange'' bekannt.
[[Datei:Margarita Woloschin.png|miniatur|Margarita Woloschin um 1950]]


Als Universalien werden Allgemeinbegriffe wie beispielsweise „Mensch“ und „Menschheit“ oder mathematische [[Entität]]en wie „Zahl“, „Relation“ und „Klasse“ bezeichnet. In der [[Wikipedia:Philosophie|Philosophie]] wird seit der [[Wikipedia:Philosophie der Antike|Antike]] eine grundlegende Diskussion darüber geführt, ob man Universalien eine [[Ontologie|ontologische]] [[Existenz]] beimessen kann oder ob es sich um rein verstandesmäßige [[Begriffsbildung]]en handelt. Diese Kontroverse fand in der mittelalterlichen [[Scholastik]] einen Höhepunkt und reicht bis in die Gegenwart.
== Leben ==
=== Kindheit und Jugend ===
Margarita Woloschin-Sabaschnikow wurde am 31. Januar 1882 als Tochter der Moskauer Kaufmannsfamilie ''Sabaschnikow'' geboren, die dem gebildeten fortschrittlichen [[Bürgertum]] angehörte. Ihre Kindheit verbrachte sie zum Teil im Elternhaus ihrer Familie, zum Teil bei ihrer Großmutter und teils auf einem elterlichen Gut.<ref>Margarita Woloschin: ''Die grüne Schlange''. Stuttgart 1982, S. 11</ref> Ihr Vater war allerdings als Kaufmann nicht sehr erfolgreich, weshalb das Haus der Familie verkauft werden musste. Daraufhin ging sie im Alter von zehn Jahren mit ihrer Mutter, ihren Geschwistern und mit zwei [[Hauslehrer]]innen ins Ausland, wo sie durch ihre verschiedenen Aufenthalte in [[Paris]], [[Lausanne]], [[Belgien]], [[Italien]] eine umfassende [[Bildung]] erfuhr. Ihr Interesse für Kunst und Kultur wurde frühzeitig geweckt. Nach drei Jahren zurück in [[Russisches Kaiserreich|Russland]], erhielt sie Unterricht in Musik und Literatur und bald darauf ihren ersten professionellen Unterricht bei dem Maler [[Abram Jefimowitsch Archipow|Abram Archipow]].


== Grundproblem ==
Nach dem Abitur ging Margarita Sabaschnikow nach [[Sankt Petersburg|St. Petersburg]], um im Atelier des Malers [[Ilja Repin]] zu arbeiten. Seine naturalistische Malerei hinterfragte sie: {{"|Hat es denn einen Sinn zu wiederholen, was schon da ist? Es muss eine ganz andere Kunst entstehen, die eine nie dagewesene Welt offenbart.<ref>M. Woloschin: ''Die grüne Schlange''. S.101</ref>}} Mit ihren Fragen wandte sie sich an den damals schon alten [[Lew Nikolajewitsch Tolstoi|Leo Tolstoi]] (seine Frau und ihre Mutter waren befreundet), von dem sie sich Rat erhoffte. Er empfahl ihr, die Kunst als Freizeitgestaltung zu betreiben und ansonsten das Leben einer Bäuerin zu führen. Trotz dieser für sie erschütternden Äußerung ließ sich Sabaschnikow von ihrem eingeschlagenen Weg nicht abbringen. Die einmal aufgeworfenen Fragen der Probleme der Kunst, der sozialen Ordnung und der Stellung der Malerei beschäftigten sie weiter und führten sie letztlich zu tiefen Fragen über den Sinn des Lebens überhaupt.<ref>M. Woloschin: ''Die grüne Schlange''. S.106</ref>
[[Begriff|Begriffe]] haben die Funktion, Gegenstände, Vorgänge oder Eigenschaften zu kennzeichnen. Sie tragen eine [[Bedeutung (Sprachphilosophie)|Bedeutung]], und jedermann wird anerkennen, dass der Satz „Die Rose ist rot.“ auf [[Wahrheit]] überprüft werden kann, also sinnvoll ist. Sowohl „Rose“ als auch „ist rot“ (sogenannte [[Prädikat (Logik)|Prädikatsausdrücke]]) können auf mehrere Gegenstände bezogen werden. Allgemeine Anwendbarkeit gilt für alle Begriffe mit Ausnahme von [[Name]]n, die ein Besonderes, ein [[Individuum]], vom Allgemeinen unterscheiden sollen.


Wenn man an die Herstellung eines Tellers denkt, so kann man sich einen Gegenstand aus Porzellan, Keramik, Glas oder Metall vorstellen. Er kann kreisförmig, eckig oder oval sein. Diese Merkmale bestimmen die konkrete Gestalt eines singulären Tellers. Um einen Teller produzieren zu können, muss man aber vorher schon die Vorstellung von der Funktion und den Prinzipien eines Tellers haben. Man muss die Idee vom [[Wesen (Philosophie)|Wesen]] eines Tellers kennen.
=== Frühe Erwachsenenzeit ===
[[Datei:M. Woloschin - Selbstportrait.png|miniatur|M. Woloschin in jungen Jahren, Selbstporträt]]
Margarita Sabaschnikow beschäftigte sich mit der [[Analogie (Philosophie)|Analogie]] des [[Lichtspektrum|Farbspektrum]]s und der [[Tonskala]], mit [[Farbenlehre (Goethe)|Goethes Farbenlehre]] und immer wieder mit der Frage des Sinns der Kultur und des Lebens, das für sie in diesen Jahren ohne Grund und Richtung verlief.<ref>M. Woloschin, ''Die grüne Schlange''. S. 111</ref> Ihre ernsthafte Auseinandersetzung mit den Themen des Daseins und des [[Materialismus]] führte sie zu [[Darwin]] und [[Ernst Haeckel|Haeckel]] und von da zu [[Paul Du Bois-Reymond|Du Bois-Reymonds]] ''Grenzen der Naturerkenntnis''. Antworten auf ihre Fragen konnte sie nicht finden. Einzig im Objektiv-Absoluten der [[Mathematik]] fand Sabaschnikow Halt.<ref>M. Woloschin: ''Die grüne Schlange''. S. 120</ref>


Ausgangspunkt der Debatte über die Universalien ist die [[Ideenlehre]] [[Platon]]s, der z.&nbsp;B. im ''[[Phaidon]]'' die These vertrat, dass [[Idee]]n eine eigenständige Existenz haben. Als Universalien wurden im Lauf der Auseinandersetzungen sehr unterschiedliche gedankliche Prinzipien gekennzeichnet. Neben den angesprochenen Ideen Platons waren dies vor allem [[Regel]]n, [[Tugend]]en, [[Transzendentalien]], [[Kategorie (Philosophie)|Kategorien]] oder [[Wert]]e. Die Position, die von der [[Existenz]] solcher abstrakter Entitäten ausgeht, wird [[Realismus (Philosophie)|Realismus]] genannt.
Der Maler Mussatow ermutigte sie, zwei ihrer [[Porträt]]bilder zu der Ausstellung ''Moskauer Maler'' einzureichen. Sie hatte damit ihren ersten durchschlagenden Erfolg. Eine Teilnahme an der Ausstellung ''Welt der Kunst'' in St. Petersburg und in Paris folgten. Bei einer Abendgesellschaft im Hause des [[Kunstsammler]]s [[Sergei Iwanowitsch Schtschukin|Sergei Schtschukin]] lernte sie den Dichter und Maler [[Maximilian Woloschin]] kennen. Sie gelangte in die Kreise der russischen [[Symbolismus (Bildende Kunst)|Symbolisten]] um [[Andrei Bely]], [[Waleri Jakowlewitsch Brjussow|Waleri Brjussow]], [[Konstantin Balmont]] und andere. 1903 reiste sie erneut nach Paris. Dort hatte sie Gelegenheit im Atelier eines befreundeten Malers zu arbeiten. Maximilian Woloschin, ebenfalls in Paris, führte sie in die Pariser Künstlerkreise ein, wo sie [[Odilon Redon]] kennenlernte.<ref>M. Woloschin: ''Die grüne Schlange''. S. 142</ref>


Die Vertreter der Gegenposition, des ''Nominalismus'' (lateinisch ''nomen'' = Name), sind der grundsätzlichen Auffassung, dass alle Allgemeinbegriffe gedankliche [[Abstraktion]]en sind, die als Bezeichnungen von Menschen gebildet werden. Sie würden demnach nicht von der Idee eines Tellers reden, sondern den Begriff „Teller“ als Namen für eine Gruppe von Gegenständen auffassen. Realität kommt nach Auffassung von Nominalisten nur den Einzeldingen zu.  
Während ihres erneuten Auslandsaufenthalts in Westeuropa 1904/05 brach in Russland die [[Russische Revolution 1905|Revolution]] aus, wodurch Margarita Sabaschnikow vorübergehend an ihrer Rückkehr gehindert wurde. In dieser Zeit lernte sie [[Rudolf Steiner]] und seine Weltanschauung kennen. Hier fand sie Antworten auf ihre Lebensfragen, reiste zu vielen seiner Vorträge in verschiedenen europäischen Städten und lernte ihn schließlich persönlich kennen.<ref>M. Woloschin: ''Die grüne Schlange''. S. 166</ref>


Da der Nominalismus der historisch neuere Standpunkt ist, entstand im Mittelalter dafür die Bezeichnung ''Via moderna'', während die entgegengesetzte Position ''Via antiqua'' genannt wird.
1906 heiratete sie Maximilian Woloschin. Nach einem kurzen Aufenthalt in [[Koktebel]], an der Nordküste der [[Krim]], beabsichtigten sie nach [[München]] überzusiedeln. Die Begegnung mit dem Dichter [[Wjatscheslaw Iwanowitsch Iwanow|Wjatscheslaw Iwanow]] in St. Petersburg, der für sie seit Jahren eine Welt bedeutete, in der sie ihre geistige Heimat fand<ref>M. Woloschin: ''Die grüne Schlange''. S. 171</ref>, machte dieses Vorhaben zunichte. {{"|In der Weltanschauung von Wjatscheslaw Iwanow vereinigt sich das griechische Erleben der Geistigkeit in der Natur mit dem Christentum. In dieser Beziehung stand er für mich höher als [[Friedrich Nietzsche|Nietzsche]], dessen ''Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik'' eine entscheidende Wirkung auf mich ausgeübt hatte.[…] dass ich ihn bald kennenlernen sollte, bedeutete für mich eine atemberaubende Aussicht<ref>M. Woloschin: ''Die grüne Schlange''. S. 172</ref>}}


Im christlichen und islamischen [[Monotheismus]] des [[Mittelalter]]s spitzte sich das Universalienproblem zu. Dabei muss man bedenken, dass es sich nicht um eine vom Alltag losgelöste „rein philosophische“ Problematik handelte, sondern dass es um sehr konkrete Fragen der Machtkonzentration und ihrer Legitimierung ging, wenn zum Beispiel über die Einheit der [[Dreifaltigkeit]] diskutiert wurde. Wenn Verallgemeinerungen wirklich sind, haben sie eine viel größere Autorität, als wenn sie von Interpretationen abhängen. Die zunehmende Abkehr vom Realismus im Lauf des [[Spätmittelalter]]s bedeutete zugleich eine [[Emanzipation]] von Autoritäten, die das Göttliche für sich in Anspruch nehmen. In diesem Sinne förderte der Nominalismus die Naturwissenschaften und den [[Säkularisierung|säkularen]] Staat.
Ihre wachsende Berühmtheit und die vielen Kontakte ihres Mannes ermöglichten schnell die Aufnahme in die St. Petersburger Künstlerkreise. Sie trafen unter anderen auf den Dichter [[Alexei Remisow]], den Maler [[Konstantin Somow]], den sie bereits aus Paris kannten, den Philosophen [[Nikolai Berdjajew]] und den Schriftsteller [[Alexander Blok]]. Von einer Kunstzeitschrift wurden Portraits von [[Alexei Remisow]] und [[Michail Kusmin]] bestellt, die Woloschin in Kohle zeichnete. Ihre literarischen Versuche förderte Iwanow nachhaltig und ermutigte sie, diese öffentlich vorzutragen. Durch diese Zusammenarbeit entwickelte sich ein ambivalentes Liebesverhältnis, das zwangsläufig zu einem Störfaktor ihrer Ehe wurde. Bei einem Berlinaufenthalt 1908 entschied sie sich vorerst in Deutschland zu bleiben, um über ihr Privatleben Klarheit zu bekommen.<ref>M. Woloschin: ''Die grüne Schlange''. S. 199</ref>


Das Grundproblem wird in abgewandelter Form auch in der Gegenwart erörtert. So beschäftigt sich die [[Sprachphilosophie]] mit der Frage, ob Eigenschaften („Röte“) und Klassen („Lebewesen“) ontologisch eigenständig sind. Im Bereich der [[Philosophie der Mathematik]] wird darüber diskutiert, ob logische Klassen, Zahlen, Funktionen eine eigenständige Existenz haben. Die Ansicht, die dem zustimmt, wird auch als [[Platonismus]] beziehungsweise [[Semantischer Realismus]] bezeichnet. Abgelehnt wird diese Sicht von Vertretern der [[Konstruktive Mathematik|konstruktiven Mathematik]] und des [[Intuitionismus]]. Während [[Charles S. Peirce|Peirce]], [[Edmund Husserl|Husserl]], [[Bertrand Russell|Russell]] und in der jüngeren Zeit [[David Armstrong]] einen Universalienrealismus vertraten, zählen [[Ludwig Wittgenstein|Wittgenstein]], [[Rudolf Carnap|Carnap]], [[Willard Van Orman Quine|Quine]], [[Peter Strawson|Strawson]], [[Nelson Goodman]] oder [[Wilfrid Sellars]] zu den Vertretern eines Nominalismus. Der zeitgenössische Soziologe [[Pierre Bourdieu]] nimmt Aspekte des Realismus und des Nominalismus in seine Theorie auf und versucht, beide Anschauungen miteinander zu verbinden.
In der folgenden Zeit reiste Margarita Woloschin durch Europa, um die Vorträge Rudolf Steiners zu hören, die er in verschiedenen Städten hielt. Um ''Wjatscheslaw Iwanow'' nahe zu sein, kehrte sie schließlich zurück nach St. Petersburg. Zu ihrer Enttäuschung heiratete er aber seine Stieftochter Wera. Woloschin zog sich darauf von allen gesellschaftlichen Begegnungen zurück, lebte ganz für sich in ihrem Atelier, hatte kaum Kontakte zur Außenwelt. Sie begann eine Lehre bei dem berühmten [[Ikonenmalerei|Ikonenmaler]] Tjulin<ref>M. Woloschin: ''Die grüne Schlange''. S. 223</ref> und begegnete dem Komponisten [[Nikolai Medtner]], von dem sie ein Porträt malte. Ihre literarischen Aktivitäten erweiterte sie durch die Übersetzung von [[Meister Eckhart]]s Werken ins Russische. An eine Veröffentlichung dachte sie zuerst nicht, nahm aber das Angebot des Verlages ''Musaget'' zur Publikation an. Eine kleine Erbschaft verlieh ihr größere Unabhängigkeit, was ihre Reisefreudigkeit wieder aufleben ließ. Sie mietete in Paris ein Atelier, wollte den Winter in Rom verbringen, blieb dann aber in München. Ein anderes Mal unterbrach sie die Rückreise von [[Prag]] nach Paris und blieb in Stuttgart, um ein bestimmtes Buch über die Mystiker zu lesen, das sie für das Vorwort zu ihrer Eckhart-Übersetzung benötigte. {{"|Mein unruhiger Lebenswandel war aber nur ein Abbild meines inneren Zustandes. Ich war schon achtundzwanzig Jahre alt, war als Dichterin und als Malerin anerkannt und wußte meinen Weg doch noch nicht.<ref>M. Woloschin: ''Die grüne Schlange. S. 230</ref>}}


== Begriff der Universalien ==
=== Mittleres Lebensalter ===
Schon die Bestimmung des Begriffs der Universalien ist problematisch. Allgemeinbegriffe wie Röte oder Lebewesen beziehen sich auf mehrere Gegenstände. Will man zum Beispiel die Zahl [[wikipedia:Pi (Kreiszahl)|Pi]] mit erfassen, ist es besser, von [[abstrakt]]en (abstrakt nicht im Sinne von Abstrahiertheit, Abgezogenheit) Gegenständen zu sprechen.  
1911 wählte Margarita Woloschin München als ihren Wohnsitz, weil sie dem Umfeld Rudolf Steiners nahe sein wollte. In diesen Kreisen traf sie auf den Grafen [[Lerchenfeld (Adelsgeschlecht)|Otto von Lerchenfeld]], [[Christian Morgenstern]], [[Albert Steffen]] und andere. Die Arbeit an ihrem [[Triptychon]] ''Drei Opfer'' unterbrach sie im März 1911 wegen einer schweren Erkrankung ihrer Mutter, um nach Moskau zu fahren. Sie blieb aber nur wenige Tage dort. Steiners Vortragsreihe in [[Helsingfors]] wollte sie nicht vermissen.
In München sollte für die ''Mysteriendramen'' Steiners und die sonstigen kulturellen Veranstaltungen der anthroposophischen Bewegung ein adäquates Gebäude errichtet werden. Woloschin wurde angeboten darin ihr Atelier einzurichten. Sie lehnte aber ab. Insgesamt wurden die Pläne für den Bau nicht genehmigt. Das Vorhaben sollte bald darauf in der Schweiz begonnen werden.<ref>M. Woloschin: ''Die grüne Schlange''. S. 270</ref>


Als Kriterien für Universalien kann man nennen:
Als 1914 in [[Dornach SO|Dornach]] der Bau des ersten [[Goetheanum]] begann, war Margarita Woloschin zunächst mit vielen anderen Künstlern aus unterschiedlichen Ländern als Schnitzerin tätig. Ihnen oblag es, die [[Kapitell]]e der vielen Säulen, die die Doppelkuppel des ganz aus Holz bestehenden Baues trugen, zu schnitzen. Später war sie an den [[Deckenmalerei]]en der kleinen Kuppel beteiligt. {{"|Das Leben in Dornach gestaltete sich so, daß man immer in gemeinsamer Arbeit eingespannt war. Der Tag verlief mit Schnitzen, Malen, Üben und Proben für die [[Eurythmie]] und einzelne Szenen der [[Goethes Faust|Faust-Aufführung]].<ref>M. Woloschin: ''Die grüne Schlange''. S. 294</ref>…}}
* Zeitunabhängigkeit
* reine Begrifflichkeit
* fehlende Wahrnehmbarkeit
* fehlende [[Kausalität|kausale]] Wirkung
Keines der Kriterien reicht alleine, um Universalien zu bestimmen. Ob man auf einzelne Kriterien verzichten kann, ist nicht eindeutig geklärt. Dabei gibt es Begriffe, die mehrere Elemente einer Klasse bezeichnen (Mensch), und solche, die der Bezeichnung einer Klasse selbst dienen (Menschheit). Die Begriffe „Mensch“ wie „Menschheit“, aber auch „Gerechtigkeit“ oder „die Menge der geraden Zahlen“ sind ohne konkrete Bezugnahme (dieser Mensch; die Menschheit zu jenem Zeitpunkt) zeitunabhängig, rein begrifflich, nicht wahrnehmbar und auch nicht kausal.


Das unterschiedliche Verständnis des Universalienbegriffs kommt bereits in den Begriffsbestimmungen der verschiedenen Anschauungen zum Ausdruck, die nachfolgend dargestellt werden:
Im Sommer brach der [[Erster Weltkrieg|Erste Weltkrieg]] aus. Geldtransfers aus Russland wurden immer spärlicher, was ihren Mann Maximilian veranlasste, als Journalist nach Paris zu gehen. Es sollte ihr letzter Abschied sein.<ref>M. Woloschin: ''Die grüne Schlange''. S. 300</ref> Nach Beendigung ihrer Arbeit an der Kuppel fuhr Woloschin 1917 zurück nach Russland und geriet in das Chaos der [[Februarrevolution 1917|Revolution]]. Zusammen mit Bely und Iwanow unterrichtete sie Arbeiter und Bauern in Kunst und Literatur. Sie wurde Mitarbeiterin im ''Volkskommissariat für Theaterwesen und Bildung''. Sie konnte aber nicht produktiv arbeiten, weil den ständig wechselnden Behörden die Zuständigkeiten fehlten und es an Wichtigem für das tägliche Leben mangelte. Nach einer schweren [[Typhus]]erkrankung 1920 gab sie Malunterricht an einer gerade gegründeten Schule für hochbegabte Waisenkinder. Auch diese Initiative misslang wegen mangelnder bürokratischer Erfahrungen einer im Entstehen begriffenen neuen Verwaltung.<ref>M. Woloschin: ''Die grüne Schlange''. S. 338</ref>


;[[Thomas von Aquin]] (Realismus):
In St. Petersburg wurde ihr im ''Kommissariat des Äußeren'' eine Stelle in der Bibliothek für ausländische Literatur angeboten, die bald darauf wegen der gleichen behördlichen Unzulänglichkeiten gekündigt wurde. Zurück in Moskau konnte Woloschin für einen Verleger eine Serie von Portraitzeichnungen bekannter Persönlichkeiten, unter anderem auch von [[Michael Tschechow]] fertigen.<ref>M. Woloschin: ''Die grüne Schlange''. S. 361/362</ref> Später traf sie ihn öfter in Stuttgart, Berlin und am Ammersee.
{{Zitat|Wenn ein Ding von dem her benannt wird, was ihm und vielen gemeinsam ist, dann sagt man, dass ein solcher Name ein Universale bezeichnet, denn der Name bezeichnet so eine vielen Dingen gemeinsame Natur oder Disposition.|ref=<ref>Thomas von Aquin, ''In Perihermeneias'', zitiert nach [[Historisches Wörterbuch der Philosophie|HWPh]], Bd. 11, 180</ref>}}


;[[wikipedia:Johannes Duns Scotus|Johannes Duns Scotus]] (Konzeptualismus)
Im August 1922 erhielt sie die lange beantragte Genehmigung zur Ausreise in die Niederlande, von wo sie nach Dornach weiterreiste. Kurz vor ihrer Abreise erreichte sie die Mitteilung vom brennenden Goetheanum. Wegen politischer Komplikationen zwischen der Schweiz und Russland musste sie nach einem halben Jahr die Schweiz wieder verlassen. Durch eine Einladung der Familie [[Lory Maier-Smits]] konnte sie nach Deutschland einreisen und übersiedelte 1924 nach Einsingen bei Ulm. Ihr Lungenleiden flammte wieder auf, worauf ihre Gastfamilie ihr den Aufenthalt in einer Stuttgarter Klinik ermöglichte. Stuttgart sollte von da an ihr neues Zuhause werden.
{{Zitat|Universalien steht für dreierlei:<br />
a) für eine Zweitintention, die eine gedankliche Beziehung des Prädizierbaren zu dem ist, wovon es prädizierbar ist. Es ist diese Beziehung, die das Wort Universale konkret und Universalität abstrakt bezeichnet. Ferner steht Universale für das, was von jener Zweitintention her benannt wird, also für irgendeine Erstintention, da Zweitintentionen auf Erstintentionen angewandt werden. So nun kann es für etwas Doppeltes stehen:<br />
b) für den indirekten und<br />
c) für den direkten Anwendungsfall dieser Zweitintention. Auf die erste Weise nennt man die Natur an und für sich Universale, da sie nicht von sich her individuiert ist und es ihr dabei nicht widerstreitet, von vielen ausgesagt zu werden. Auf die zweite Weise ist Universale nur das, was auch aktuell und unbestimmt ist, so dass ein einzelner Begriff von jedem Einzelding aussagbar ist, und das ist das Universale im eigentlichen Sinn des Wortes.|ref=<ref>Duns Scotus, ''Questiones subtilissimae de metaphysicam Aristotelis'', zitiert nach HWPh, Bd. 11, 181</ref>}}


;[[wikipedia:Wilhelm von Ockham|Wilhelm von Ockham]] (Nominalismus)
=== Zweite Lebenshälfte ===
{{Zitat|Jedes Universale ist ein Einzelding und daher nur von bezeichnungswegen ein Universale.|ref=<ref>Wilhelm von Ockham, ''Summa logicae'', zitiert nach HWPh, Bd. 11, 182</ref>}}
Woloschins Autobiographie ''Die grüne Schlange'' reicht bis zu ihrer Übersiedlung nach Stuttgart. Eine Fortsetzung schien zunächst nicht geplant. Notizen und Aufzeichnungen aus ihrem Nachlass lassen allerdings darauf schließen, dass sie mit fortgeschrittenem Alter doch zu einem zweiten Band neigte. Dass es dennoch nicht dazu gekommen ist, wird ihren reduzierten Kräften zugeschrieben, die sie nur noch für die Malerei, ihrer eigentlichen Aufgabe, verwenden wollte.<ref name="Wermbter/Möhring/Rapp,29">Wermbter/Möhring/Rapp, ''Margarita Woloschin-Leben und Werk'', S. 29</ref>


;[[wikipedia:Pierre d’Ailly|Pierre d’Ailly]] (Nominalismus)
Aufgewachsen mit den [[Russisch-Orthodoxe Kirche|russisch-orthodoxen Riten]] und der schon als Kind erlebten Nähe zur Religion in Elternhaus und Erziehung spiegelten sich diese Erlebnisse nun in einer neuen Schaffensphase wieder. Mit großer Bestimmtheit widmete sie sich christlichen Themen. In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre entstanden eine Reihe Bilder mit biblischen Motiven. Sie lernte die 1922 gegründete [[Christengemeinschaft]] kennen und malte Altarbilder für die neu entstehenden Gemeinden.<ref name="Wermbter/Möhring/Rapp,36">Wermbter/Möhring/Rapp, ''Margarita Woloschin-Leben und Werk'', S. 36</ref>
{{Zitat|Da es ein Universale nicht dem Sein nach, sondern der Repräsentation nach gibt, ist recht verstanden ein Allgemeinbegriff, was von der Seele gebildet und mehreren Dingen in dem Sinn gemeinsam ist, dass es sie gemeinsam vorstellig macht.|ref=<ref>Pierre d’Ailly, ''Tractatus de anima'', zitiert nach HWPh, Bd. 11, 183</ref>}}


== Antike ==
Während eines Aufenthaltes in [[Freiburg im Breisgau|Freiburg]] ergab sich unvorhergesehen die Möglichkeit, einen Ausflug nach Dornach zu machen. Hier konnte sie viele lange nicht gesehene Freunde wiedertreffen. In den darauffolgenden Jahren hatte sie immer wieder Gelegenheit, nach Dornach zu fahren und in den 1930er Jahren stand für sie sogar ein eigenes Atelier in der Nähe des Goetheanum zur Verfügung. In Stuttgart gab sie Malkurse, darunter auch einen für Lehrer an der neu gegründeten [[Waldorfschule]]. Aus dieser Tätigkeit entstand die Idee, eine Malschule mit ordentlichem [[Curriculum (Pädagogik)|Curriculum]] zu gründen. Räumlichkeiten wurden angeboten, Lehrer für den Unterricht standen zur Verfügung. Nach langem Ringen entschied sich Woloschin aber für ihren künstlerischen Weg.<ref name="Wermbter/Möhring/Rapp,40">Wermbter/Möhring/Rapp, ''Margarita Woloschin-Leben und Werk'', S. 40</ref>
[[Datei:Schaubild Ideenlehre Platon.jpg|miniatur|hochkant=1.4|Schaubild Urbild-Abbild]]


=== Ideenlehre ===
Wenige Jahre danach sind einige ihrer Bilder als [[Entartete Kunst|entartet]] vernichtet worden. Die politische Lage wurde immer bedrückender und die Machtübernahme der [[Nationalsozialismus|Nationalsozialisten]] empfand sie als Beginn eines „dunklen Zeitalters“. Die Berichte aus Russland waren nicht weniger düster. Ihre Freunde in St. Petersburg und Moskau waren entweder tot oder verhaftet und in Lagern interniert. 1932 erhielt sie Nachricht vom Tod ihres Gatten Maximilian Woloschin, der inzwischen mit Maria Stepanowna Sabolozkaja verheiratet gewesen war<ref name="Stiftung">[http://www.biographien.kulturimpuls.org/detail.php?&id=794 Biographie] der Stiftung Kulturimpuls</ref> und den sie seit 1914 nicht mehr gesehen hatte. Ein Jahr später starb ihre Mutter.<ref name="Wermbter/Möhring/Rapp,41">Wermbter/Möhring/Rapp, ''Margarita Woloschin-Leben und Werk'', S. 41</ref>
Eines der Kernthemen der Philosophie Platons ist das Verhältnis der sogenannten ‚Ideen‘ (''ideai'') zu den empirischen Gegenständen und den Handlungen der Menschen. In den [[Platonischer Dialog|Platonischen Dialogen]] fragt [[Sokrates]] nach dem, was [[Gerechtigkeit|gerecht]], [[Tapferkeit|tapfer]], [[Frömmigkeit|fromm]], [[Das Gute|gut]] usw. ist. Die Beantwortung dieser Fragen setzt die Existenz der Ideen, die in den Allgemeinbegriffen ausgedrückt werden, voraus. Die Idee ist das, was in allen Gegenständen oder Handlungen dasselbe bleibt, so sehr sich diese auch voneinander unterscheiden mögen. Sie ist die Form (''[[eidos]]'') oder das Wesen (''[[ousia]]'') der Dinge.  
Die Ideen werden bei Platon durch eine Art geistiger „Schau“ (''[[Theoros|theoria]]'') erkannt. Diese Schau erfolgt im Dialog, der die Kunst der richtigen [[Mäeutik|Gesprächsführung]] ([[Dialektik#Platon|Dialektik]]) voraussetzt.


Die Ideen sind das „Urbild“ (''paradeigma'') aller Dinge. Sie sind unveränderlich und den Einzeldingen vorgeordnet (''universale ante rem''), die an ihnen nur teilhaben (''[[methexis]]''). Nur sie sind im wahren Sinn des Wortes seiend. Die sichtbaren Einzeldinge stellen nur mehr oder minder vollkommene [[Abbild]]er der Ideen dar. Einzeldinge entstehen, verändern sich und vergehen. Ihr Ort ist zwischen Sein und Nicht-Sein.
Margarita Woloschin war auch in ihren späteren Jahren nicht von sesshafter Natur. Immer noch reiste sie ihren Möglichkeiten entsprechend gerne und viel. Sie tat es, um Kurse zu geben, Vorträge zu halten oder um an Tagungen teilzunehmen. In ihrem 56. Lebensjahr unternahm sie eine Reise zu den Stätten ihrer Kindheit und Jugend und fuhr über Rom nach Sizilien. Es war ihre letzte große Unternehmung.


Gegenüber seinen frühen und mittleren Schriften hat Platon seine Ansicht in den Spätschriften (''[[Parmenides]]'') relativiert und auf Probleme der Ideenlehre hingewiesen.
Ende der dreißiger Jahre wurde Woloschin von den Behörden vor die Wahl gestellt, nach Russland zurückzukehren oder in ein Internierungslager gebracht zu werden. Freunde erwirkten für sie im letzten Augenblick eine Legalisierung ihres weiteren Aufenthaltes unter der Bedingung der regelmäßigen Meldepflicht bei der [[Geheime Staatspolizei|Gestapo]]. Zu Beginn der Luftangriffe auf Stuttgart kam sie mit anderen in einem Dorf im nördlichen Schwarzwald unter, wo sie mit der Arbeit an ihrer Autobiografie begann. Gegen Ende des Krieges musste sie wegen ihres russischen Passes erneut eine Verhaftung befürchten. Freunde nahmen sie auf und gewährten ihr Unterschlupf. Den Winter 1945/46 verbrachte die Malerin bereits wieder in Stuttgart.<ref name="Wermbter/Möhring/Rapp,45">Wermbter/Möhring/Rapp, ''Margarita Woloschin-Leben und Werk'', S. 45</ref>


[[Aristoteles]] milderte in seiner [[Wikipedia:Metaphysik (Aristoteles)|Metaphysik]] den [[Idealismus (Philosophie)|idealistischen]] Ansatz Platons mit einer neuen Abstraktionslehre ab. Er vertrat aber ebenso einen Universalienrealismus. Auch er hielt [[Erkenntnis]] nur für möglich, wenn das Allgemeine (''katholou'') Existenz (''on he on'') hat. Diese Existenz war für ihn jedoch nicht unabhängig von den Einzeldingen. Universalien sind nichts Abgetrenntes (''chorismos''). Allgemeines gibt es nur, wenn auch Einzeldinge existieren. Das Allgemeine entsteht, „wenn sich aus vielen durch Erfahrung gewonnene Gedanken eine allgemeine Auffassung über Ähnlichkeit bildet.“ (Met. I, 1, 981 a 5-5) Das Allgemeine ist eine Abstraktion, etwas aus den Einzeldingen „Abgezogenes“. Damit hat das Sein der Einzeldinge Priorität vor dem Allgemeinen. Universalien haben die Form einer „zweiten Substanz“. Sie kennzeichnen das Wesen (''eidos'') eines Einzeldings, einer „ersten Substanz“ (''ousia'') (siehe ''[[Kategorien]]''). Ideen und das Sein der wahrgenommenen Gegenstände fallen in den Objekten noch zusammen (''universale in re'') und werden erst durch intellektuelle Akte von ihnen getrennt.
In den Nachkriegsjahren gab Margarita Woloschin Kurse am anthroposophischen Lehrerseminar, hielt Vorträge an der Eurythmieschule, wirkte bei Berufsorientierungskursen mit und erzählte den Kindern in der Schule. Daneben bewältigte sie den täglichen Strom von Besuchern. Man suchte ihren Rat und ihre Anteilnahme, wollte von ihr Begebenheiten aus der Vergangenheit geschildert wissen und man bat sie an verschiedenen Gremien und Sitzungen beratend teilzunehmen.<ref name="Wermbter/Möhring/Rapp,46">Wermbter/Möhring/Rapp, ''Margarita Woloschin-Leben und Werk'', S. 46</ref>


Gegen Platons Lehre vom unabhängigen Sein der Ideen wandte Aristoteles ein, dass
Zwei Jahre nach ihrem siebzigsten Geburtstag erschien ihre Autobiografie bei der [[Deutsche Verlags-Anstalt|Deutschen Verlagsanstalt]]. Ihre weiteren schriftstellerischen Aktivitäten flossen in biografischen Darstellungen über Michael Tschechow, [[Michail Lomonossow]], Leo Tolstoi, Georg von Albrecht und vielen anderen ein. Dennoch war ihr eigentliches Betätigungsfeld die Malerei. Auch im höheren Alter malte sie täglich, sofern die vielen Verpflichtungen, Besucher und Krankheitsphasen es zuließen.
* die platonischen Ideen keine Bewegung erklären können, weil sie unveränderlich sind.
{{"|Ich fühle, daß mit dem allmählichen Schwund des Tastsinns aus beiden Händen, die mir immer so gute Diener waren, wie zwei helfende Wesen, die unmittelbar Anschluß an das Herz hatten und besser wußten als ich, was zu geschehen hat […] meine Laufbahn als Malerin zu Ende gehen.<ref name="Wermbter/Möhring/Rapp,52">Wermbter/Möhring/Rapp, ''Margarita Woloschin-Leben und Werk'', S. 52</ref>}} Dieser Ausspruch der Künstlerin aus ihren späten 80er Jahren ist kennzeichnend für die beginnende Abnahme ihrer physischen Kräfte. Ein Nachlassen ihres Hör- und Sehvermögens kam hinzu. Der Umzug in ein Altersheim war unausweichlich geworden. Ihre Befürchtung {{"|…jetzt wird mir meine Muse endgültig davonlaufen,<ref name="Wermbter/Möhring/Rapp,52"></ref>}} traf allerdings nicht ein. Auch hier dominierte eine Staffelei ihr Zimmer. Ihr letztes großes Werk, ''Orpheus'', konnte sie nicht mehr vollenden.
* die Vorstellung einer eigenständigen Existenz der Ideen zu einer unnötigen Verdopplung der Gegenstände in der Welt führt.
* man für die Bestimmung der Ähnlichkeit der Idee „Mensch“ mit einem individuellen Menschen einen anderen Menschen als Vergleichsmaßstab benötigt (Argument „des dritten Menschen“), für den als Maßstab wiederum ein weiterer Mensch erforderlich ist und so fort, sodass ein [[unendlicher Regress]] entsteht.


=== Nominalismus bei Boethius ===
Im November 1972 wurde in Baden-Baden die Ausstellung ''Russischer Realismus 1850–1900'' eröffnet. Viele Bilder von Künstlern, die Woloschin aus ihrer frühen Zeit als junge Malerin kannte, begegneten ihr hier wieder. Margarita Wassiljewna Woloschin-Sabaschnikow starb ein Jahr später am 2. November 1973.<ref name="Wermbter/Möhring/Rapp,54">Wermbter/Möhring/Rapp, ''Margarita Woloschin-Leben und Werk'', S. 54</ref>
Nominalistische Überlegungen finden sich erst in der [[Spätantike]] bei dem christlichen Philosophen [[Boethius]] (6. Jh.). Der neuplatonische Philosoph [[Porphyrios]] (3. Jh. n. Chr.) hatte eine (griechische) Einführung zur Kategorienlehre des Aristoteles mit dem Titel ''[[Isagoge]]'' verfasst. Darin erklärt er auch die aristotelischen [[Prädikabilien]]: die Art und Weise, über etwas zu sprechen. Die ausführlich kommentierte lateinische Übersetzung dieses Textes von Boethius wurde während des gesamten Mittelalters gelesen und blieb eine Voraussetzung für die Diskussion des Universalienproblems in der scholastischen Philosophie. Darin heißt es (Buch I, 2. Kommentar):


{{Zitat|Was nun die genera [Gattungen] und species [Arten] betrifft, so werde ich über die Frage, ob sie subsistieren oder ob sie bloß allein im Intellekt existieren, ferner, falls sie subsistieren, ob sie körperlich oder unkörperlich sind und ob sie getrennt von den Sinnendingen oder nur in den Sinnendingen und an diesen bestehend sind, es vermeiden, mich zu äußern; denn eine Aufgabe wie diese ist sehr hoch und bedarf einer eingehenden Untersuchung.}}
== Werk ==
=== Malerei ===
Margarita Woloschin war vor allem und besonders in der ersten Hälfte ihres Schaffens eine Portraitmalerin. Sie portraitierte, neben Menschen ihres Umkreises, sich selbst und viele Persönlichkeiten des kulturellen Lebens wie [[Leo Tolstoi]], [[Michael Tschechow]], [[Michael Bauer (Anthroposoph)|Michael Bauer]] oder Rudolf Steiner. Sie fertigte viele Auftragsarbeiten und ihre Bilder wurden von zahlreichen Museen erworben. Vereinzelt sind sie heute noch in Moskau, [[Astrachan]] und [[Koktebel]] zu sehen. Die meisten ihrer Werke aus dieser Zeit sind allerdings durch die Wirren der Revolution und der Weltkriege verschollen.<ref name="Schmidt">Evelies Schmidt: [http://www.a-tempo.de/amschreibtisch/am_schreibtisch_11_2009.pdf ''Margarita Woloschin - Portätkunst – Gemalt und Geschrieben''] In: ''a tempo'', Stuttgart 11/2009 (pdf.)</ref><ref name="Stiftung"></ref>


Porphyrios hatte zwar keine Stellung bezogen, aber die Grundlagendiskussion vorbereitet.
Ein Teil des malerischen Werks aus ihrer zweiten Lebenshälfte, vor allem religiöse Motive, Altarbilder, Märchendarstellungen, Landschaften und Portraits sind zu einem Teil erhalten. Sie befinden sich verstreut in Privatbesitz, in verschiedenen Kirchen der [[Christengemeinschaft]] und im Nachlass der Künstlerin.<ref name="Wermbter/Möhring/Rapp,172">Wermbter/Möhring/Rapp: ''Margarita Woloschin-Leben und Werk''. Werkverzeichnis, S. 172</ref> Diese vielfach mit Pflanzenfarben gemalten Bilder wurden damals als neue religiöse Malerei angesehen, die Stilisierung in der Darstellung mit der strengen Welt der Ikonenmalerei verglichen.<ref name="Wermbter/Möhring/Rapp,36"></ref>


== Scholastik ==
Ihre Tätigkeit verstand Woloschin immer als eine Auseinandersetzung mit dem dreidimensionalen Raum und der Farbe als vierter Dimension. Den Betrachter wollte sie nicht nur vor dem Bild stehend, sondern auch in ihm empfinden. Er sollte sowohl Betrachter als auch Teilhaber am schöpferischen Prozess sein.<ref name="Wermbter/Möhring/Rapp,159">Wermbter/Möhring/Rapp, ''Margarita Woloschin-Leben und Werk'', S. 159</ref> Ihre unstete Rastlosigkeit, die sie im Laufe ihres Lebens an viele verschiedene Orte führte, schlug sich auch in ihrer Malerei nieder. {{"|Sie besaß ein geniales kompositorisches Talent, das einen Maler des 19. Jahrhunderts berühmt gemacht hätte. Sie hat diese Chance nicht genützt. […] Das Aufsehen, das ihre ersten Bilder [] erregten, gab ihr alle Möglichkeiten auf der Straße des Ruhm fortzuschreiten. Doch […] eine Schicksalsunruhe trieb sie weiter. [] Woloschin […] fühlte auch manchmal einen leisen Vorwurf in ihrer Seele, eine Möglichkeit zu einem ganz neuen Kunstschaffen nicht ergriffen zu haben. Aber sie ließ sich nicht ablenken von einem Weg, den sie gehen wollte}}<ref name="Wermbter/Möhring/Rapp,164">Dorothea Rapp in: Wermbter/Möhring/Rapp ''Margarita Woloschin-Leben und Werk''. S. 164</ref>
=== Starker Realismus ===
In der [[Scholastik|Frühscholastik]] findet sich zunächst die Position des Universalienrealismus, da der [[Neuplatonismus]] der Spätantike (5. Jahrhundert) die vorherrschende philosophische Grundlage war. Dieser Weg führte über Boethius und vor allem über [[Augustinus von Hippo|Augustinus]], der die Ideen als Gedanken Gottes vor der Schöpfung ansah.  


Erster prominenter Vertreter eines radikalen Realismus war im 9. Jahrhundert [[Johannes Scotus Eriugena|Eriugena]], für den die Universalien geistige Wesenheiten waren, die den Einzeldingen in der Entstehung vorausgingen. Aufgrund der hierarchischen Gliederung von den Einzeldingen über die Art (''species'') bis zur Gattung (''genus''), der die Art inhärent sei, nahm Eriugena an, dass es am Ende nur eine Substanz in der Welt gebe – eine [[Pantheismus|pantheistische]] Weltsicht.  
Ihre Aufzeichnungen unterstreichen diesen Weg: {{"|Stets aus der Stimmung malen; keinen Strich tun, ohne ihn aus dem Gesamten, Tief-Erlebten zu beschließen. Der gedankliche Inhalt – besser: das Erlebnis – muß Stimmung werden. Das Erleben des Gefühls in Farbe verwandeln, in die Bewegung der Farbe, die zum Rhythmus und endlich zur Form wird. Das Bild soll als etwas Unerwartetes auftreten. Aber die Idee [] muß immer als ein Wesenhaftes, ein Ganzes geahnt werden. Die Komposition soll nicht, im Voraus, mathematisch-architektonisch wie bei den alten Meistern festgelegt werden, sondern entstehen}}<ref>Aus Aufzeichnungen Margarita Woloschins, in: Wermbter/Möhring/Rapp, ''Margarita Woloschin-Leben und Werk''. S. 56</ref>


Einen ähnlich konsequenten Realismus vertraten im 11. Jahrhundert auch [[Anselm von Canterbury]] und [[Wilhelm von Champeaux]]. Da man jeder Substanz [[Akzidenz (Philosophie)|Akzidenzien]] zuordnete, musste Individualität aus den verschiedenen Akzidenzien hervorgehen. Das Universale wurde auf eine einzige identische Substanz zurückgeführt. Daraus wiederum ergab sich logisch die Indifferenz des Universalen. Diese „Indifferenztheorie“ Wilhelms wirkte noch Generationen später nach.
=== Literatur ===
Ihre Lebenserinnerungen ''Die grüne Schlange'' sind in mehreren Auflagen erschienen. Sie stellen nicht nur eine persönliche Entwicklungsgeschichte dar, sondern schildern ausführlich das Panorama einer ganzen kulturellen Epoche Russlands zu Beginn des letzten Jahrhunderts.<ref name="Schmidt"></ref>
Vor allem die Elite des russischen Geisteslebens um die Jahrhundertwende (Tolstoi, [[Iwanow]], [[Leonid Wassiljewitsch Solowjow|Solowjew]], [[Fjodor Iwanowitsch Schaljapin|Schaljapin]] und andere) werden dem Leser nahe gebracht. Aber auch die [[Anthroposophie]] um Rudolf Steiner, in der Woloschin eine geistige Heimat fand, wird ausführlich charakterisiert und lässt den seltsam zwiespältigen Eindruck, den Steiner mit seiner Sehergabe und Genialität auf viele Zeitgenossen von damals machte deutlich werden.<ref name="Zeit 1955">[http://www.zeit.de/1955/11/nachdenklicher-rueckblick ''Nachdenklicher Rückblick - Margarita Woloschins Erinnerungen''] ''Die Zeit'', 17. März 1955</ref> ''Die grüne Schlange'' wurde in viele Sprachen übersetzt und ist seit 2009 in einer erweiterten Auflage erhältlich.


=== Starker Nominalismus ===
Neben ihren vielen Erzählungen und Gedichten war die ''Grüne Schlange'' der Höhepunkt ihres literarischen Schaffens. Den in den 1930er Jahren abgeschlossenen Roman ''Die Regenbrücke'' sah Woloschin als eine Art Vorläufer ihrer Erinnerungen. Er hatte stark autobiografische Züge und war nach Ansicht der Autorin nach Erscheinen ihrer Autobiografie überflüssig geworden.<ref name="Wermbter/Möhring/Rapp,49">Wermbter/Möhring/Rapp, ''Margarita Woloschin-Leben und Werk'', S. 49</ref>
Als einer der Begründer des extremen Nominalismus gilt [[Johannes Roscelin|Roscelin]]. Seine Auffassung ist überwiegend durch seine Kritiker überliefert. Danach existieren nur Gegenstände, die mit den [[Sinnesorgan]]en wahrgenommen werden können. Sie sind besonders (partikulär) und unteilbar (individuell). Begriffe dagegen – die von den Realisten als eigentlich existierend angesehen werden – seien lediglich Bezeichnungen (''[[flatus vocis]]'' = von der Stimme erzeugter Lufthauch) und als solche nur Schall und Rauch.  


Dazu gehören nach [[Anselm von Canterbury]]s Kritik des Nominalismus die Farbe und die Weisheit, die vom Körper beziehungsweise von der Seele abstrahiert werden. Die Relationen zwischen den Dingen bestehen nach nominalistischer Auffassung durch die Dinge selbst. Nichts besteht aus Teilen. Deshalb gibt es keine Species. Also sind Universalien nicht real, und Logik ist nur eine Wortkunst (''ars vocalis'').
== Rezeption ==


Eine Schlussfolgerung war, dass die [[Trinität|Dreieinigkeit]] lediglich ein Begriff sei, der ein [[Aggregat]] von drei [[Substanz]]en bezeichne. Dieser „[[Tritheismus]]“ war eine eindeutig [[Häresie|häretische]] Auffassung, die Roscelin auf einer Synode in Soissons 1092 auf Anselms Betreiben widerrufen musste. Roscelins Standpunkt wird auch [[Vokalismus (Philosophie)|Vokalismus]] genannt.
DIE ZEIT würdigt das literarische Wirken Margarita Woloschins:
[[Datei:REPIN_portret_REPIN.jpg|thumb|180px|Ilja Jefimowitsch Repin - Margarita Woloschins Lehrer (Selbstportrait, 1878)]]
{{"|…[diese Lektüre, die] nicht nur literarischen Genuß, sondern auch einen bemerkenswerten Zuwachs an Weltkenntnis bedeutet. Ein solches Buch ist: Margarita Woloschin: Die grüne Schlange. Lebenserinnerungen.
Was aber ihr Buch, vom prallen Inhalt abgesehen, so fesselnd macht, ist die geistige Regsamkeit, mit der diese in ihrer Art ungewöhnliche Frau die Geschehnisse und Gestalten ihres Lebenskreises gesehen und geschildert hat. Und es sind keine unerheblichen Gestalten, […] die ihren Weg gekreuzt haben. Vor allem die Elite des russischen Kulturlebens vor der und um die Jahrhundertwende: der Maler [[Ilja Repin]] (der Lehrer der Autorin), [[Leo Tolstoj]], [[Iwanow]], [[Solowjew]], [[Berdjajew]], [[Schaljapin]], [[Stanislawsky]], [[Diaghilew]] – Vertreter jener russischen Geistigkeit, deren Existenz und Bedeutung im bürgerlichen Deutschland allzu unzulänglich bekannt war und in deren Kreisen umgekehrt der gewisse provinzielle deutsche Akademikerstolz so gern verspottet wurde. Alle diese markanten Erscheinungen treten dem Leser auf eine frappierend unmittelbare Art nahe.
Sehr erregend sind auch die Berichte über die Zustände in Rußland kurz nach der Revolution: wieviel prachtvolle menschliche Substanz da noch verschleudert, verwüstet und erstickt wurde. Margarita Woloschin ist damals aus der Schweiz in die Heimat gefahren mit einem der Züge, in denen Ludendorff Lenin und Genossen quer durch Deutschland nach Rußland brachte, um das Land endgültig in Zwietracht, Aufruhr und Elend zu stürzen.}}<ref name="Zeit 1955"></ref>


=== Konzeptualismus ===
Jeder Raum, in dem Woloschin lebte, nahm bald ihre unverwechselbaren Eigenheiten an. Mitteleuropäische Wohnideale und Bürgerlichkeit konnten in ihrer Nähe nicht gedeihen. Die Malerin lebte spartanisch. Ihre Existenz hing von den spärlich eingehenden Porträt-Aufträgen und gelegentlichen Malkursen ab. Darüber Kurt Wistighausen:
Im Universalienstreit hatte [[Petrus Abaelardus|Abaelard]] die konträren Positionen bei seinen Lehrern, zunächst den radikalen Nominalismus bei [[Johannes Roscelin|Roscelinus]] und danach den entschiedenen Realismus bei [[Wilhelm von Champeaux]] kennen gelernt. Abaelard rückte bei seiner Untersuchung dieser Frage in seinen Schriften ''Logica Ingredientibus'' und ''Logica Nostrorum Petitioni Sociorum'' neben dem rein [[Ontologie|ontologischen]] Aspekt auch die [[Sprachphilosophie|sprachlogische]] Perspektive in den Vordergrund. Zunächst kritisierte er die vorhandenen Argumente. Für ihn konnten die Universalien nicht eine je einheitliche [[Entität (Philosophie)|Entität]] sein, weil sie nicht verschiedenen, getrennten Dingen zugleich innewohnen können. Auch konnte das Universale nicht etwas Zusammengefasstes sein, weil jedes Einzelne dann das Ganze enthalten müsse. Ebenso wies er die These zurück, Universalien seien zugleich individuell und universell, da der Begriff der [[Individualität]] als Eigenschaft des Universellen durch sich selbst widersprüchlich definiert würde. So können z.&nbsp;B. Begriffe wie [[Lebewesen]] nicht existieren, weil diese nicht zugleich vernunftbegabt (Mensch) und nicht-vernunftbegabt (Tiere) sein könnten.


Da die Argumente für die Realität der Allgemeinbegriffe nicht zu einem haltbaren Ergebnis führten (Wilhelm von Champeaux musste sich verärgert korrigieren), schloss Abaelard, dass die Universalien [[Wort|Wörter]] (''voces'') sind, die vom Menschen zur [[Bezeichnung]] festgelegt werden. Soweit sie sich auf sinnlich konkret [[Wahrnehmung|Wahrnehmbares]] beziehen, sah Abaelard in ihnen nur Benennungen, also uneigentliche Universalien (''appellatio''). Soweit sie sich auf sinnlich nicht Wahrgenommenes beziehen, handelt es sich um echte Allgemeinbegriffe (''significatio''). Solche Begriffe werden vom Menschen konzipiert, um das Gemeinsame und nicht Unterscheidende verschiedener gleichartiger Gegenstände zu bezeichnen. Die Erkenntnis hierüber entsteht nicht durch körperliche Sinneswahrnehmung (''sensus''), sondern durch gedankliches Begreifen (''intellectus'') der Seele, indem der Geist (''animus'') eine Ähnlichkeit (''similitudo'') herstellt. [[Stoff (Philosophie)|Stoff]] und [[Form (Philosophie)|Form]] existieren verbunden und werden nur durch die [[Imagination|Einbildungskraft]] (''imaginatio'') der [[Vernunft]] (''ratio'') im Wege der [[Abstraktion]] (''forma communis'') getrennt.
{{"|Ihr Zimmer war gleichzeitig Atelier und meistens auch Küche. Mitten zwischen Malpapieren, Paletten, Bildern und Büchern, die in genialer Unordnung … umherlagen, wurde liebevoll der obligate Tee aufgebrüht und serviert. […] Die Gastgeberin scherzte selbst über ihr ‚Chaos‘ und erzählte, die erste Zeit im Westen sei ihr bei der Heimkehr der Mantel immer zu Boden gefallen, weil ja niemand mehr da war, der ihn ihr von den Schultern nahm und versorgte – so sehr war sie von ihrer Jugend und den wohlhabenden Verhältnissen im Elternhaus her gewohnt gewesen, daß sofort ein Diener herbeisprang. [] Jetzt in der Emigration, hatte die Künstlerin weder einen dienstbaren Geist, noch Geld. Jedoch: keinen Augenblick war es dies, was sie ernstlich beschäftigte.}}<ref>Kurt v. Wistinghausen, ''Margarita Sabaschnikow-Woloschin †''. In: ''Die Christengemeinschaft 12/1973''</ref>


Universalien sind damit weder „vor den Dingen“ (Realismus), noch „nach den Dingen“ als Bezeichnungen (Nominalismus), sondern rein im Verstand als Abstraktion der einzelnen Dinge entstanden. Sie liegen damit „in den Dingen“ (''in rebus''). Das Wort als Naturlaut (''vox'') ist Bestandteil der Schöpfung. Aber das Wort  als [[Sinn (Semantik)|Sinn]] (''sermo'') ist eine menschliche Einrichtung, ein menschlicher Gebrauch (''institutio hominum''). Dadurch, dass Allgemeinbegriffe eine eigene Bedeutung haben, stehen sie zwischen den realen Dingen (''res'') und den reinen gedanklichen Bezeichnungen (''ficta''). Universalien sind damit semantisch existent (mental wirklich). Diese Auffassung, die ähnlich von [[Gilbert von Poitiers|Gilbert De La Poirée]], [[Adelard von Bath]] und [[John von Salisbury]] vertreten wurde, wurde später als [[Konzeptualismus]] bezeichnet.
[[Datei:20921Woloschin_Erzengel_Michael.jpg]]


=== Gemäßigter Realismus ===
== Publikationen ==
Als Aristoteliker und ausgehend von den Kommentaren zu Aristoteles von [[Averroes]] und [[Avicenna]] vertraten in der Hochscholastik (13. Jahrhundert) [[Albertus Magnus]] und [[Thomas von Aquin]] einen gemäßigten Realismus. Das Allgemeine hat eine denkunabhängige Grundlage in den Einzeldingen; es existiert zwar nicht selbst, ist aber in den Dingen realisiert (''non est ens, sed entis''<ref>Thomas von Aquin: Summa contra gentiles, I, 65, 3m</ref>). Ohne die Realisierung im Einzelding ist das Allgemeine nur ein Gedanke. Thomas unterschied dabei
* Margarita Woloschin: ''Die grüne Schlange'', Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart, 1954, 1982, 2009
#Universalien, die sich in der göttlichen Vernunft bilden und vor den Einzeldingen existieren (''ante rem''),  
* Margarita Woloschin: ''Green Snake'', Floris Books, Edinburgh 2010
#Universalien, die als Allgemeines in den Einzeldingen selbst existieren (''in re''),  
#Universalien, die als Begriffe im Verstand des Menschen existieren, das heißt nach den Dingen (''post rem'').


Auch die modistische Sprachtheorie des [[Thomas von Erfurt]] nimmt eine Position des gemäßigten Realismus ein.
== Literatur ==
* Ruth Moering, Dorothea Rapp, Rosemarie Wermbter: ''Margarita Woloschin-Leben und Werk'', Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1982


=== Natura Communis bei Duns Scotus ===
== Weblinks ==
Eine neue Denkrichtung in der Universalienfrage entwickelte [[Johannes Duns Scotus]]. Er hob die Frage auf die erkenntniskritische (sprachkritische) Ebene und wandte ein, dass Begriffe jeweils nur etwas Allgemeines bezeichnen. Die Singularität könne durch einen Begriff nicht erfasst werden. Das, was ein Individuum konstituiert, kann durch Sprache nicht ausgedrückt werden, so sehr man sich auch bemüht, durch Differenzierungen und Untergliederungen dem Individuellen nahe zu kommen.
* [http://www.zeit.de/1955/11/nachdenklicher-rueckblick ''Nachdenklicher Rückblick - Margarita Woloschins Erinnerungen''], ''DIE ZEIT'', 17. März 1955
 
* [http://biographien.kulturimpuls.org/detail.php?&id=794 Biographie] der Stiftung Kulturimpuls
Scotus war davon überzeugt, dass es Allgemeines oder Universalien gibt, und war insofern Universalienrealist wie Aristoteles und Thomas. Das Individuelle betrachtete er als etwas Positives, Eigenständiges in der [[Natur]], das gesondert neben der ''species'' steht. Mehr noch, der einzelne Gegenstand war für ihn die letzte vollendete Wirklichkeit eines Seienden.
* Evelies Schmidt: [http://www.a-tempo.de/amschreibtisch/am_schreibtisch_11_2009.pdf ''Margarita Woloschin - Portätkunst – Gemalt und Geschrieben''] In: ''a tempo'', Stuttgart 11/2009 (pdf.)
 
* [http://www.fink-verlag.de/shop/fink/cdrom/html/woloschina_margaritasebaschnikowa.htm Beitrag des Fink-Verlages]
[[Datei:DunsScotus Universalien.jpg|miniatur|hochkant=1.6|Schema zur Lehre von Natura Communis und Universalien]]
 
Indem er den individuellen Menschen (das Einzelding) und das Menschsein (seine Artnatur) als zwei formal verschiedene Gegenstände auffasste, die in der Natur noch vor der Wahrnehmung enthalten sind, schuf Scotus den Begriff der ''distinctio formalis''. Für Scotus gab es bereits im wahren Sein außerhalb der Seele eine Gemeinsamkeit zwischen den verschiedenen Individualitäten, die nicht von den ‚Operationen‘ des Intellekts abhängen. Das Menschsein beispielsweise gehört zu Sokrates, unabhängig davon, wie er erkannt wird. Die Wahrnehmung richtet sich auf das Einzelding. Dieses enthält bereits die Artnatur (''natura communis'') als reales Fundament der Abstraktion von Allgemeinbegriffen (''fundamentum in re'').
 
Erst im [[Intellekt]] wird die ''natura communis'' durch Reflexion zu Universalien umgewandelt, indem das Allgemeine aus mehreren Akten der Sinneswahrnehmung gebildet wird. Der tätige abstraktive Intellekt bildet dabei spontan Begriffe aufgrund der Gelegenheit ([[Okkasion]]) der Wahrnehmung, auch wenn die Wahrnehmung falsch ist oder wenn ein Ding in der Wahrnehmung erstmals auftaucht. Der Übergang von der erfassenden Empfindung zur Erkenntnis findet dadurch statt, dass der Intellekt die Wahrheit des Verhältnisses zweier Individuen erfasst, die beide vereint. Universalien sind einerseits konzeptualistisch (nur im Intellekt), weil sie Begriffe auf mehrere Dinge beziehen, zum Beispiel „Mensch“. Sie sind andererseits realistisch (''in re''), wenn es sich um Allgemeinbegriffe handelt, die sozusagen absolut gelten, die also nicht auf etwas Einzelnes beziehbar sind, zum Beispiel „Menschheit“.
 
Die Artnatur ist vor den Dingen, weil sie von Gott geschaffen ist. Sie ist in den Dingen als formaler Rahmen der Dinge. Das Individuum in seiner Diesheit (''haecceitas'') ist das Vollkommenere, weil es vom Begriff, vom Allgemeinen nicht in seiner Ganzheit, sondern nur durch die Anschauung in der intuitiven Erkenntnis erfasst werden kann. Universalien zeigen sich als gleich bleibende Wesenheit (''natura communis'') in den Dingen und sind damit Realitäten zweiten Grades ohne körperliche Existenz. Der Mensch erkennt das Allgemeine (''qua natura communis'') durch die abstraktive Erkenntnis, indem er die entsprechenden Begriffe für Arten und Gattungen (Universalien) bildet.
 
Allerdings sind solche Begriffe, die reale Begriffe (z.&nbsp;B. Pflanzen und Säugetiere) miteinander vergleichen wie beispielsweise die fünf ''[[Prädikabilien]]'' des [[Porphyrios]] – Gattung, Art, spezifische Differenz, Proprium (wesentliches Merkmal) und Akzidenz (unwesentliches Merkmal) –, keine Realitäten. Solche logischen Begriffe zweiter Ordnung sind vollkommen allgemein (''complete universale'') und daher nur im Verstand (nominalistisch). Scotus’ differenzierte Darlegung kann als konzeptualistischer Kompromiss angesehen werden, der den Weg zu Ockhams Nominalismus vorbereitete.
 
Scotus selbst schloss die Möglichkeit eines reinen Nominalismus, den Ockham allerdings auch nicht lehrte, entschieden aus und lieferte eine Reihe von Argumenten dagegen. Vor allem wehrte sich Scotus gegen die Auffassung, dass es keine andere denkbare Einheit als den einzelnen Gegenstand und keine anderen Unterschiede als einen numerischen Unterschied gebe.
 
Seine Hauptthesen hierzu lauten:
* Wenn alles nur numerisch unterschieden wäre, wie kann man dann zwei weiße Entitäten von zwei anderen unterscheiden, von denen eine weiß und eine schwarz ist? Ohne die Artnatur ist dies nicht möglich. (Warum sind zwei weiße Schwäne ebenso zwei Schwäne wie ein weißer und ein schwarzer Schwan? Nach Scotus: weil sie die Artnatur des „Schwanseins“ haben.)
* Wenn es die numerische Unterscheidbarkeit für alle Gegenstände gäbe, hätten alle diese Gegenstände teil an dem Phänomen der Unterscheidbarkeit. Das Phänomen der Teilhabe aller Elemente ist aber ein Widerspruch zur numerischen Unterscheidbarkeit.
* Das Einzelne ist unsagbar (''individuum ineffabile''), weil jeder Begriff bereits Allgemeinheit umfasst. Das Einzelne ist sogar stumm, weil der Begriff nicht in der realen Welt entsteht, sondern im Intellekt. Die Gegenstände sind, was sie sind – ohne [[Logos]].
* Die Einheit der Gattung ist keine numerische Einheit, wie schon Aristoteles betonte. Wenn alles nur numerisch unterschieden wäre, könnte man keine realen Ähnlichkeiten oder Gegensätze zwischen den Einzeldingen feststellen.
 
=== Semantischer Nominalismus ===
Im 14. Jahrhundert wurde die sprachphilosophische Debatte intensiviert. Als Disziplin gewann die [[Logik]] im Vergleich zur [[Metaphysik]] zunehmendes Gewicht. Man fragte weniger nach dem Wesen des Seins, sondern untersuchte verstärkt die Redeweisen über das Sein. Welche Bedeutung war mit den verwendeten Begriffen verbunden?
 
[[Datei:William of Ockham - Logica - 1341.jpg|miniatur|Wilhelm von Ockham - Skizze aus einem ''Summa logicae''-Manuskript von 1341 mit der Inschrift ''frater Occham iste'']]
 
[[Wilhelm von Ockham]] gilt in der Rezeption als ein herausragender Vertreter eines differenzierteren Nominalismus, der die Frage der Universalien mit [[Zeichentheorie|zeichentheoretischen]] Überlegungen verband und insofern auf die moderne Sprachlogik verwies. Realität hatten für Ockham nur [[extramental]]e Einzeldinge. Die Allgemeinbegriffe haben keine eigene Existenz, sondern sind nur die Summe der gedachten Dinge.
:''Beispiel:'' Eine einzelne Rose hat eine reale Existenz, „die Rose“ an sich, als Begriff, hat hingegen nur eine rein gedankliche Existenz.
 
Begriffe entstehen zunächst unabhängig von der gesprochenen und geschriebenen Sprache im Geist (''conceptus mentis'') und dienen der Bezeichnung (''significatio'') der [[extramental]]en Dinge. Die Grundlage für Sprachlaute und Schrift ist die Vereinbarung ihrer Bedeutung als Zeichen. Allgemeinbegriffe werden allein im Geist gebildet und dienen als Zeichen, die auf mehrere Dinge verweisen können (''signum praedicabile de pluribus''<ref>Wilhelm von Ockham: Summa logica, I, 14</ref>). Soweit sich Allgemeinbegriffe nicht auf extramentale Dinge beziehen, sind sie Zeichen von Zeichen. Als Zeichen stehen Begriffe für etwas, wobei sich die Bedeutung aus dem Satzzusammenhang ergibt. Je nachdem, ob man sagt, „ein Mensch rennt“, „Mensch ist eine Art“ oder „Mensch ist eine Bezeichnung“, hat das Wort Mensch einen anderen Sinn.
 
Ockham war ein scharfer Kritiker des tradierten Realismus. Gegen die platonische Vorstellung eigenständiger Ideen wandte er ein, dass diese dann ja selbst wieder Einzeldinge seien. Gegen Aristoteles argumentierte er, dass abstrakte Gegenstände auch als zweite Substanz keine eigenständige Existenz haben können; denn sonst würde das nicht nur zu einer Verdopplung, sondern sogar zu einer „Vervielfachung des Seienden“ führen. Universalien können keine Existenz außerhalb der Seele haben. Entsprechend lehnte er auch die von Duns Scotus vertretene Existenz von Relationen und die Lehre von der Artnatur (''natura communis'') ab. Indem er aber Allgemeinbegriffe als eine Qualität der Seele (''qualitas mentis'') annahm, gestand er den Universalien ein Sein im Geist (''ens in anima'') zu und war damit eher ein nominalistischer Konzeptualist als ein reiner Nominalist.
 
Der Nominalist [[Pierre d’Ailly]] vertrat auf dem [[Konzil von Konstanz]] die These, dass aus dem Realismus die ketzersiche [[Konsubstantiation]]slehre folge, die der Lehre der [[Transsubstantiation]] widerspricht. Damit wurde dem Realisten Jan Hus erfolgreich eine ketzerische Position unterstellt. Viele Universitäten drängten in der Folgezeit den Realismus zugunsten des Nominalismus zurück. Die offizielle Begründung war, dass der Realismus im Gegensatz zum Nominalismus schwieriger zu verstehen sei und daher nur er Anlass für philosophische Mißverständnisse gäbe, die zur Ketzerei führten.<ref>Marten J.F.M. Hoenen, Kontroversen in der Philosophie, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, 5. Vorlesung am 22.11.2010, 1:05 - 1:20</ref>
 
Weitere Vertreter des Nominalismus waren [[Nicolaus von Autrecourt]], [[Marsilius von Inghen]] (der erste Rektor der [[Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg|Universität Heidelberg]]), [[Jean Gerson]] und [[Gabriel Biel]] (Professor in Tübingen), [[Johannes Buridan]] und [[Albert von Rickmersdorf]] ebenso wie [[Nikolaus von Oresme]] als bedeutender Naturphilosoph des 14. Jahrhunderts.
 
Weil im Nominalismus der Einzelne als Träger der Ideen galt, geriet die [[Katholische Kirche|Kirche]] als vermittelnde Instanz zwischen dem Gläubigen und Gott mit ihren überkommenen [[Dogma|Dogmen]] in Rechtfertigungsschwierigkeiten. Auch für die Entwicklung der [[Naturwissenschaft]]en war ein Zurückdrängen der Dogmen der Kirche befreiend. Die zunehmende Wirksamkeit des Nominalismus bedeutete jedoch kein Ende der Debatte. Auch in der Folgezeit wurden realistische Positionen vertreten, so z.&nbsp;B. durch [[Walter Burley]], [[John Wyclif]] oder [[Johannes Sharpe]].
 
== Neuzeit ==
[[Datei:Frans Hals - Portret van René Descartes.jpg|miniatur|René Descartes in einem Portrait von [[Frans Hals]], 1648]]
 
In der [[Neuzeit]] verschoben sich ab dem 17. Jahrhundert die philosophischen Fragestellungen insbesondere in Folge der von [[René Descartes]] aufgeworfenen Frage der [[Erkenntnis]].
 
Der Einfluss der Scholastik schwand, obwohl sich ihre Nachwirkungen bis ins 18. Jahrhundert zeigen. Der in der Scholastik üblichen [[Deduktion]] des besonderen Falls von anerkannten Lehrsätzen stellte sich zunehmend das umgekehrte Verfahren entgegen, nämlich die [[Induktion (Denken)|Induktion]] von Erfahrungstatsachen auf allgemeine Regeln. Dadurch verloren die hergebrachten Autoritäten an Einfluss, und neue Allgemeinbegriffe, Prinzipien und Gesetze wurden gefunden oder geschaffen. Diesen Wechsel hatte der Nominalismus mit seiner Bevorzugung des Besonderen vor dem Allgemeinen vorbereitet.
 
Durch Descartes erhielt der Begriff des Realismus eine zusätzliche, parallel verwendete Bedeutung als [[Erkenntnistheorie|erkenntnistheoretischer]] Realismus. Es bildete sich das Gegensatzpaar von [[Empirismus]] und [[Rationalismus]]. Die Frage lautete nun, ob die Gegenstände unmittelbar erkannt werden (Realismus) oder ob sie durch Vorstellungen bestimmt sind ([[Idealismus (Philosophie)|Idealismus]]). In diesem Sinne nahmen die Vertreter des Rationalismus überwiegend eine Position des Realismus ein, während die Vertreter des Empirismus vorrangig der nominalistischen Grundkonzeption folgten.
 
Das Problem der Universalien stand zur Kennzeichnung philosophischer Differenzen zwar nicht mehr im Vordergrund – es wurde jedoch in aller Regel als Bestandteil der Philosophie weiter behandelt. Auch in der Neuzeit finden sich alle grundlegenden Variationen vom Realismus über den Konzeptualismus bis hin zum Nominalismus. Dabei neigten die Empiristen zum Nominalismus; andererseits herrschte bei den Rationalisten neben dem [[Erkenntnistheorie|erkenntnistheoretischen]] auch ein Begriffsrealismus vor. Konzeptualistische Abschwächungen und Differenzierungen finden sich in beiden Lagern.
 
=== Thomas Hobbes und John Locke ===
In seiner vorwiegend [[materialistisch]] geprägten, empiristischen Philosophie vertrat [[Thomas Hobbes]] einen starken Nominalismus. Er unterschied Namen für die Einzeldinge und Allgemeinbegriffe, die bei der sprachlichen Klassifizierung von Einzeldingen verwendet werden.<ref>Vgl. Thomas Hobbes, ''[[Leviathan (Thomas Hobbes)|Leviathan]]'' (1651) I,4</ref>
 
{{Zitat|Ein allgemeiner Name wird vielen Dingen zugelegt aufgrund der Ähnlichkeit in Hinblick auf eine Qualität oder ein anderes Akzidenz (dieser Einzeldinge)|ref=<ref>Thomas Hobbes: Elemente der Philosophie I: Vom Körper, Kap 11, Abschn. 3</ref>}}
 
Auch [[John Locke]] war der Auffassung, dass alle Dinge, die existieren, Einzeldinge (partikulär) sind.<ref>Vgl. John Locke, ''[[An Essay concerning Humane Understanding]]'' (1690) III, 3 und ebd. IV, 21</ref> Er entwickelte eine psychologisch orientierte Theorie zur Entstehung von Allgemeinbegriffen. Wörter erhalten Allgemeinheit als Zeichen von allgemeinen Ideen. Diese entstehen durch einen Abstraktionsprozess, indem man von Raum, Zeit und anderen Faktoren zur Bestimmung einzelner Individuen absieht. Der Abstraktionsprozess ist eine Verstandestätigkeit, die Ähnlichkeiten von Individuen analysiert und hieraus eine abstrakte Idee formt. Der abstrakte Begriff ist demnach ein Name der allgemeinen Idee.
 
{{Zitat|Das Allgemeine gehört nicht zum Bereich der existierenden Dinge, es ist vielmehr Erfindung und Produkt des Verstandes, der es sich für seinen eigenen Gebrauch herstellt; das Allgemeine bezieht sich lediglich auf Zeichen, seien diese nun Worte oder Vorstellungen.|ref=<ref>John Locke: An Essay concerning Human Understanding, III, 3, 11)</ref>}}
 
Locke vertritt in der Universalienfrage einen nominalistischen Konzeptualismus, d.h. er geht davon aus, dass die durch Abstraktion gewonnenen allgemeinen Ideen eigenständige Entitäten im Verstand sind.
 
=== George Berkeley und David Hume ===
[[Datei:George Berkeley by John Smibert.jpg|miniatur|George Berkeley]]
 
[[George Berkeley]] kritisierte vor allem den von Locke beschriebenen Abstraktionsprozess.<ref>Vgl. George Berkeley, ''A treatise concerning the principles of human knowledge'' (1710)</ref> Demnach bleibt, wenn man von den spezifischen Eigenschaften eines Individuums absieht, nichts Beschreibbares übrig. So kann man das Allgemeine im Begriff „schnell“ nicht erklären, indem man von einem schnell gehenden Menschen oder einem schnell fahrenden Schiff die Vorstellung eines Menschen oder eines Schiffes wegdenkt. Auch kann man den allgemeinen Begriff eines Dreiecks, entgegen Lockes Darstellung, nicht denken, indem man es sich zugleich stumpf, rechtwinklig und spitzwinklig vorstellt. Vielmehr ergibt sich, so Berkely, die Bedeutung einer allgemeinen Vorstellung aus ihrem Gebrauch.
 
Diese These erinnert stark an den späten [[Ludwig Wittgenstein]], der Allgemeinbegriffe als den jeweiligen Konventionen unterworfen ansah.  Diese rein nominalistische Auffassung einer Universalie umgeht die Verbindung des Begriffs der Allgemeinheit mit der Vorstellung eines idealen Seins. Damit wurden Allgemeinbegriffe unabhängig von der Existenz eines primären Prinzips gebildet – eine Verknüpfung, die das Denken der gesamten Scholastik beherrscht und dem Realismus als starkes Verteidigungsargument gedient hatte.
 
Die Lösung von der Metaphysik des Seins war ein wichtiger Impuls der [[Zeitalter der Aufklärung|Aufklärung]]. [[David Hume]] schloss sich Berkeley uneingeschränkt an und betonte, dass Allgemeinbegriffe als Repräsentationen von Individuen eingeführt werden können und ihre Eigenständigkeit durch Gewohnheit erhalten.<ref>Vgl. David Hume, ''A treatise of human nature'' (1740)</ref> Es handelt sich dabei nicht um Abstraktionen. Zugrunde gelegt wird vielmehr ein bestimmtes Individuum, das repräsentativ für andere Individuen steht.
 
=== Rationalisten ===
Die [[Rationalismus|Rationalisten]] Spinoza, Descartes und Leibniz vertraten einen mehr oder weniger [[Konzeptualismus|konzeptualistisch]] geprägten Realismus. So vertrat [[Baruch de Spinoza|Spinoza]] den Standpunkt, dass es durch die subjektive Weise der Bildung von Allgemeinbegriffen zu unterschiedlichen Auffassungen der Begriffsinhalte kommt. Er sah hierin eine der Ursachen verschiedener Strömungen in der [[Philosophie]]. Die ''Ratio'' und die ''Scientia intuitiva'' waren für Spinoza höhere Erkenntnisweisen, durch die das [[Wesen (Philosophie)|Wesen]] einer Sache zu erfassen sei.<ref>Spinoza, ''[[Ethica, ordine geometrico demonstrata]]'' (1677) II</ref>
 
Nach [[René Descartes|Descartes]] verfügt der Mensch von vornherein über eine Vielzahl von Ideen über die unveränderliche wahre Natur der Dinge. Die Universalie ist ein Name für eine bestimmte Art und Weise zu denken.<ref>Descartes, ''Principia philosophiae'' (1644) I</ref>
 
[[Gottfried Wilhelm Leibniz|Leibniz]] sah Ähnlichkeiten nicht nur als Produkt des Verstandes, sondern sprach ihnen eine Realität zu. Empirische [[Induktion (Denken)|Induktion]] kann nicht zur Allgemeinheit führen. Dazu bedarf es der [[Vernunftwahrheiten und Tatsachenwahrheiten|Vernunftwahrheiten]].<ref>Leibniz, ''Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand'' (1704) III</ref>
 
=== Kant und der deutsche Idealismus ===
[[Datei:Immanuel Kant (painted portrait).jpg|miniatur|Immanuel Kant]]
 
[[Immanuel Kant]] hat zwar nicht unmittelbar zum Universalienproblem Stellung genommen, durch die Art seiner Unterscheidung von Anschauungen und Begriffen<ref>Vgl. den Abschnitt „Von den logischen Verstandesbegriffen“ in der Kritik der reinen Vernunft, B 92ff</ref> jedoch Einfluss auf die Diskussion der Folgezeit ausgeübt. „Anschauung“ nennt Kant eine einzelne Vorstellung (''repraesentatio singularis''), die sich auf einen unmittelbaren Gegenstand bezieht. Ein „Begriff“ entsteht hingegen durch die Bildung einer [[Synthese]] in einem [[Schlussfolgerung|Urteil]], indem aus der [[Mannigfaltigkeit]] der Anschauungen eine mittelbare Beziehung zu den Gegenständen anhand gemeinsamer Merkmale hergestellt wird. „Allgemeinheit“ besteht, so Kant, vorbegrifflich und wird durch die Funktion des Urteils erfasst. Die Urteilskraft ist das Vermögen, „das Besondere als enthalten unter dem Allgemeinen zu denken“ (KdU B XXV).
 
{{Zitat|Der Begriff vom Hund bedeutet eine Regel, nach welcher meine Einbildungskraft die Gestalt eines vierfüßigen Tieres allgemein verzeichnet, ohne auf irgendeine besondere Gestalt, die nur die Erfahrung darbietet, oder auch ein jedes mögliche Bild, was ich ''in concreto'' darstellen kann, eingeschränkt zu sein.|ref=<ref>KrV B 180</ref>}}
 
Der Mensch bildet Begriffe „durch Handlungen reinen Denkens“ (KrV B 81). Sie sind daher immer „allgemeine“ reflektierte Vorstellungen (''repraesentatio per notas communes''), sodass es [[Tautologie (Logik)|tautologisch]] wäre, von „allgemeinen Begriffen“ zu sprechen. Kant unterschied empirische Begriffe (aufgrund sinnlicher [[Erfahrung]]) von reinen Verstandesbegriffen, die ohne sinnliche Anschauung ausschließlich im [[Verstand]] ihren Ursprung haben. Mit „Idee“ bezeichnete Kant nur reine Vernunftbegriffe wie die Idee der [[Republik]] oder die Idee der [[Freiheit]]. Diese entstehen aus Prinzipien, die in den Begriffen und Urteilen des Verstandes liegen.
Im [[Deutscher Idealismus|Deutschen Idealismus]] forderte bereits [[Johann Gottlieb Fichte|Fichte]] die Aufhebung des Gegensatzes von „Allgemeinem“ und „Besonderem“, der durch Setzungen des „[[Ich]]s“ entsteht.<ref>Vgl. Wissenschaftslehre</ref> Das Einzelne als [[a posteriori]], wie es in den Wissenschaften behandelt wird, ist durch das [[Apriori]] des Allgemeinen gesetzt und begründet. Der Begriff ist daher für Fichte nicht das Allgemeine, sondern das Einschränkende, das Bestimmende der Anschauung.
 
[[Georg Wilhelm Friedrich Hegel|Hegel]] polemisierte gegen die vorbegriffliche Allgemeinheit als „die Nacht, in der alle Kühe schwarz sind“<ref>Phänomenologie des Geistes, 19</ref>. Für ihn bestand das „Wahre“ in einem Allgemeinen, das das Besondere in sich selbst ist. Erkenntnis des Absoluten ist ein Selbsterkennungsprozess. Die „sich wissende Vernunft“ ist das „absolute Allgemeine“.
 
=== 19. Jahrhundert ===
Nach Kant stand das Universalienproblem nicht mehr explizit im Vordergrund der philosophischen Diskussion. Die scholastische Tradition, die das Problem in den Zusammenhang einer gottgewollten Ordnung stellte, verlor nach der [[Französische Revolution|Französischen Revolution]] ihre Geltung. Im 19. Jahrhundert wurde zumeist in Verbindung mit einem [[Empirismus]] eine nominalistische Position vertreten ([[Johann Friedrich Herbart|Herbart]], [[Friedrich Eduard Beneke|Beneke]], [[John Stuart Mill|Mill]], [[Alexander Bain (Philosoph)|Bain]]).
 
Dies gilt auch für [[Franz Brentano]], der die Vorstellungen von Anschauungen [[a priori]] ebenso wie Begriffe a priori ablehnte. Erfahrungsurteilen, deren Wahrheit jedermann unmittelbar einsieht, kommt Allgemeinheit zu ([[Evidenz]]). Solche Erfahrungsurteile entstehen aus einer unmittelbaren, intentionalen Beziehung auf ein Objekt ([[Intentionalität]]). Für Brentano waren Begriffe wie „die Röte“ oder „Dreieckigkeit“ Abkürzungen für Bezeichnungen von mehreren Einzeldingen. Reine Verstandesbegriffe betrachtete er als Fiktionen. Allgemeines entsteht durch Abstraktion, indem Menschen generelle Prädikate mit bestimmten Arten von Vorstellungsbildern verknüpfen. Diese Auffassung ist nicht rein logisch, sondern empirisch überprüfbar, weshalb [[Wolfgang Stegmüller|Stegmüller]] Brentano als psychologischen Konzeptualisten bezeichnete.<ref>Stegmüller, Das Universalienproblem einst und jetzt, 78)</ref> Der nominalistischen Auffassung Brentanos folgten auch die meisten Vertreter des [[Psychologismus]] ([[Gustav Theodor Fechner|Fechner]], [[Wilhelm Wundt|Wundt]], [[Hugo Münsterberg|Münsterberg]], [[Theodor Lipps|Lipps]]).
 
== Moderne ==
Das Universalienproblem der Moderne wird überwiegend mit den Begriffen des (wissenschaftstheoretischen) [[Platonismus]] und des [[Essentialismus]] verbunden. Stets wird noch diskutiert, ob Begriffe wie [[Klasse (Mengenlehre)|Klasse]] oder [[Naturgesetz]] Namen oder Entitäten sind.
 
Vorstellungen von verallgemeinernden Ursprüngen oder Gesetzen, die unabhängig von ihrer Wahrnehmung existieren und zu entdecken seien, stehen dem Universalienrealismus oder Konzeptualismus nahe. Dies zeigt sich seit dem späteren 19. Jahrhundert in Strömungen der [[Psychologie]] (vgl. [[Archetypus]]), der [[Anthropologie]] („anthropologische Konstante“), oder der [[Ästhetik]] (siehe etwa [[Universalien der Musikwahrnehmung]]). Der philosophische [[Naturalismus (Philosophie)|Naturalismus]] und zahlreiche Begriffe mit dem Wortbestandteil „Natur“ wie [[Naturzustand]], [[Naturrecht]] oder Naturgesetz sind mit realistischen Vorstellungen verbunden. – Gegen solche Festlegungen wandten und wenden sich u.&nbsp;a. unterschiedlichste Varianten des [[Konstruktivismus (Philosophie)|Konstruktivismus]].
 
=== Realistische Positionen der Moderne ===
==== Charles Peirce ====
[[Datei:Charles Sanders Peirce theb3558.jpg|miniatur|Charles Sanders Peirce]]
 
Einen ausdrücklichen Universalienrealismus vertrat [[Charles S. Peirce]]. Seinen Realitätsbegriff kann man mit der kurzen Formel beschreiben: Real ist, was nicht [[fiktiv]] ist. Insofern haben [[Naturgesetz]]e Realität, da sie „eine entschiedene Tendenz sich zu erfüllen“ (CP 1.26) haben. Weil man mit Naturgesetzen Prognosen stellen kann, gilt, dass die „zukünftigen Ereignisse in einem bestimmten Maß tatsächlich durch eine Gesetzmäßigkeit beherrscht sind.“ (ebd., vgl. auch CP 5.100). Insbesondere hatten auch die Gesetze der [[Logik]] und der Mathematik für Peirce Realität. Er knüpfte seine Vorstellung der Realität von Universalien eng an den Begriff des [[Kontinuum (Mathematik)|Kontinuum]]s. Eine der Begründungen sah er in dem [[Theorem]] des Mathematikers [[Georg Cantor]], „dass die über eine Menge gebildete Potenzmenge stets größer ist als diese.“<ref>Charles S. Peirce: Naturordnung und Zeichenprozess, hrsg. und eingeleitet von Helmut Pape, Suhrkamp, Frankfurt 1998,  S. 378–399 (MS 439 von 1898), hier: Fußnote von Pape, S. 393</ref>
 
„Es ist absurd anzunehmen, dass eine beliebige Ansammlung wohlunterschiedener Individuen, wie es ja alle Ansammlungen von überabzählbaren Mächtigkeiten sind, eine ebenso große Mächtigkeit haben kann wie die der Ansammlung der möglichen Ansammlungen ihrer individuellen Elemente“<ref>Peirce, ebd.</ref>
„Damit ist das Kontinuum, in welcher Dimension es auch kontinuierlich sein mag, alles was möglich ist. Aber das Allgemeine oder Universale der gewöhnlichen Logik umfasst ebenfalls alles Mögliche, zu welcher bestimmten Art es auch gehören mag. Und so ist das Kontinuum das, was sich in der Logik der Relative als wahre Universale erweist.“<ref>Peirce, ebd. 395</ref>
 
Peirce hielt es für eine besondere Disposition des menschlichen Geistes, in der Form eines Kontinuums zu denken, wie beispielsweise im Fall des Begriffs der [[Zeit (Philosophie)|Zeit]]. Ideen sind nicht selbständig, sondern kontinuierliche Systeme und zugleich Fragmente eines großen kontinuierlichen Systems. „Verallgemeinerung, das Ausgießen von kontinuierlichen Systemen im Denken, im Fühlen und im Tun ist der wahre Zweck des Lebens.“<ref>Peirce, ebd. 399</ref>  Wirklichkeit bedeutete damit für Peirce, „dass es etwas im Sein der Dinge gibt, das dem Prozess des Schlussfolgerns, dass die Welt lebt und sich bewegt und ihr Sein hat, in der Logik der Ereignisse entspricht.“<ref>Peirce, ebd. 396</ref> Einer solchen Vorstellung kann sich, postuliert Peirce, auch der „mechanistische Philosoph“, der einen grundlegenden Nominalismus vertritt, nicht entziehen.
 
==== Edmund Husserl ====
[[Edmund Husserl]] übernahm von seinem Lehrer Brentano zwar die erkenntnistheoretischen Konzepte von [[Evidenz]] und [[Intentionalität]], sah jedoch den Zugang zum Allgemeinen in der [[Immanuel Kant|kantischen]] Unterscheidung von Anschauung und Begriff:
 
{{Zitat|Daß die allgemeinen Vorstellungen aus den individuell-anschaulichen genetisch erwachsen sind, wird allgemein angenommen. Wenn sich aber das Bewußtsein des Allgemeinen an der individuellen Anschauung immer wieder entzündet, aus ihr Klarheit und Evidenz schöpft, so ist es darum nicht aus dem einzelnen Anschauen entsprungen. Wie sind wir also dazu gekommen, über die individuelle Anschauung hinauszugehen und, statt der erscheinenden Einzelheit, etwas anderes zu meinen, ein Allgemeines, das sich in ihr vereinzelt und doch nicht reell in ihr enthalten ist?|ref=<ref>Husserl, Logische Untersuchungen, Band II, 1. Teil, Halle 1928, 189</ref>}}
 
Husserl formulierte in Hinblick auf die [[Wesen (Philosophie)|Wesensanschauung]] eine realistische Position: „Das Wesen (Eidos) ist ein neuartiger Gegenstand. So wie das Gegebene der individuellen oder erfahrenden Anschauung ein individueller Gegenstand ist, so das Gegebene der Wesensanschauung ein reines Wesen.“<ref>Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, erstes Buch 1913, 14</ref> Mit Kant unterschied Husserl empirisch Allgemeines und rein Allgemeines. Während Begriffe bei Kant als spontane Handlungen im Urteil gebildet werden, versucht Husserl durch Analyse des Bewusstseins die logische Konstitution allgemeiner Begriffe zu erfassen. Empirische Begriffe erhält man durch Vergleich und Variation von Anschauungen, indem man das Verschiedene ausscheidet und das absolut Identische als eine unveränderliche Größe (Invariante) festhält. Das konkrete Erschaute ist zwar [[Kontingenz (Philosophie)|kontingent]], es enthält aber invariant das reine Wesen als oberste Kategorie des Gegebenen. Reine (a priorische) Begriffe geben die Regeln für die Erfahrung vor. Sie werden nicht durch Erfahrung ermittelt, vielmehr umfassen sie die „Unendlichkeit des Fortlaufens“. Die Sätze der Logik sind zeit- und raumunabhängige Wesenheiten, die [[Idee |ideelle]] Realität haben.
 
==== Nicolai Hartmann ====
Für [[Nicolai Hartmann]] ist die Wirklichkeit in allem Seienden:
 
{{Zitat|Das Sein des Seienden ist eines, wie mannigfaltig dies auch sein mag. Alle weiteren Differenzierungen des Seins sind aber nur Besonderungen der Seinsweise.|ref=<ref>Nicolai Hartmann: Zur Grundlegung der Ontologie, Berlin 1935, S.38.</ref>}}
 
Realität und Idealität schließen sich aus. Ein Daseiendes ist entweder real oder ideal. Ideales ist nicht etwas nur Gedachtes, sondern nicht-gegenständliches Seiendes. Hierzu zählte Hartmann Mathematisches, Wesenheiten, Logisches und Werte. Ideales Seiendes ist zeitlos, allgemein und unveränderlich. Reales Seiendes ist dagegen zeitlich, konkret und vergänglich. Realität ist aufdringlich. Man erfährt sie in einem Widerstandserlebnis. Ideales ist in Realem als Struktur oder Gesetzmäßigkeit enthalten. So ist eine geometrische Kugel ein ideales Gebilde, das die Struktur einer materiellen Kugel beschreibt. Empirische Urteile beziehen sich stets auf reale Entitäten, mathematische Urteile auf ideales Seiendes. Beide Arten von Urteilen sind ein Erfassen von etwas An sich- Seiendem ([[Kritischer Realismus]]).
 
Das Seiende und seine Eigenschaften sind unabhängig vom Subjekt. Das Ideale ist im Realen enthalten („universalia in rebus“). „Das allgemeine eben besteht keineswegs jenseits der Fälle (ante res) für sich, aber auch keineswegs in mente als von ihnen abstrahiertes (post rem), sondern durchaus in rebus.“ (GdO, 259) Das An-sich–Sein des Idealen begründete Hartmann damit, dass man nicht erklären könne, dass die Natur mathematisch geformt ist, wenn es keine idealen Beziehungen gäbe. (GdO, 265) Diese Auffassung entspricht dem aristotelischen Universalienrealismus. Logische Sätze gelten, weil sie mit Seinstrukturen übereinstimmen (GdO, 302). Das reale Sein ist demnach das höhere Sein, das auf dem in ihm enthaltenen idealen Sein aufbaut (GdO 291).
 
==== Bertrand Russell ====
 
 
Logiker wie [[Bernhard Bolzano|Bolzano]] und später zu Beginn des 20. Jahrhunderts [[Gottlob Frege|Frege]], [[Alfred North Whitehead|Whitehead]] oder [[Bertrand Russell|Russell]] bekannten sich eindeutig zum Platonismus. [[Willard Van Orman Quine|Quine]] nannte diese Haltung „ontological commitment“. Nachdem Russell die [[Russellsche Antinomie|Paradoxien der Mengenlehre]] entdeckt hatte, bemühte er sich um eine zurückhaltendere Analyse. Dennoch „setzt jede Erkenntnis von Wahrheiten die Bekanntschaft mit Universalien voraus.“<ref>Bertrand Russell: Probleme der Philosophie, Suhrkamp, Frankfurt 1967</ref>
 
Er unterschied drei Arten von [[Entität]]en, für die Begriffe gebildet werden:
* Sinnesdaten als einfache Inhalte und konkrete Individuen
* Daten der Introspektion (Selbstbeobachtung), die bei der Reflexion von Wahrnehmung entstehen (die Wahrnehmung, dass wir wahrnehmen)
* Universalien
 
Jede Aussage über einen Sachverhalt enthält mindestens eine Universalie und eine Relation. Universalien können nicht als Individuen aufgefasst werden: „Weil es viele schwarze Dinge gibt, muss eine Ähnlichkeit zwischen vielen verschiedenen Paaren zu vergleichender schwarzer Dinge bestehen, und gerade das ist ein charakteristisches Merkmal von Universalien. Es hat keinen Zweck, wenn man sagt, dass es für jedes Paar eine andere Ähnlichkeit gibt; denn dann müssten wir zugeben, dass sich diese Ähnlichkeiten ähnlich sehen, und so kommen wir wieder darauf, dass die Ähnlichkeit eine Universalie sein muss.“<ref>Bertrand Russell: Probleme der Philosophie, Suhrkamp, Frankfurt 1967, 85</ref>.
 
Russell diskutierte das Universalienproblem aus [[Erkenntnistheorie|erkenntnistheoretischer]] Sicht am Beispiel des Begriffs der Bewegung.<ref>Bertrand Russell: Unser Wissen von der Außenwelt (nach den Lowell Lectures von 1914), hrsg. und eingeleitet von Michael Otte, Meiner, Hamburg 2004</ref> Wahrnehmungen beziehen sich auf Objekte; logische Aussagen hingegen setzen andere Aussagen voraus. Zwischen „Wahrnehmungstatsachen“ und „Gesetzesaussagen“ bestehen Relationen, die man als real ansehen muss, wenn man Aussagen als [[Wahrheit|wahr]] anerkennen will.
 
Für Nominalisten wie [[Wilhelm von Ockham|Ockham]] war Bewegung ein Wort, mit dem die Menge der Positionen bezeichnet wird, die ein bewegter Körper einnimmt. Für [[Isaac Newton|Newton]] war Bewegung demgegenüber eine eigenständige Form mit einer eigenständigen Qualität. Anhand der [[Pfeil-Paradoxon]]s von [[Zenon von Elea|Zenon]] untersuchte Russell den mathematischen Charakter von Bewegung. Eine gleichförmige Bewegung ist als lineare [[Funktion (Mathematik)|Funktion]] darstellbar, sodass eine Quantifizierung für jede Position des Pfeils während des Fluges möglich ist. Bewegung wäre danach eine Qualität (Eigenschaft) zweiten Grades und könnte nominalistisch interpretiert werden. Berücksichtigt man jedoch zusätzlich Beschleunigung, ergibt sich eine nichtlineare Beziehung, in der die Kräfte als [[Vektor]]en zusätzlich zu berücksichtigen sind. Die mathematische Darstellung dieses Sachverhalts erfordert eine Funktion, in der die [[Stetigkeit]] als [[Axiom]] vorausgesetzt wird. Stetigkeit setzt aber die Dichtheit rationaler Zahlen voraus, bei denen zwischen zwei noch so kleinen Werten eine unendliche Anzahl von Zwischenwerten liegt. Danach wäre Bewegung nicht nur ein Sammelbegriff, sondern eine eigene Entität.
 
Russell beschäftigte sich ähnlich wie Peirce mit der Frage des Kontinuums, kam aber zu dem Schluss, dass ein Kontinuum aus der Sinnenwelt nicht ableitbar ist, weil es nur [[Korrelation]]en verschiedener (partikularer) Sinneseindrücke gibt. Als Schüler von Peirce wandte [[John Dewey|Dewey]] hiergegen ein, dass die Annahme einzelner Sinneseindrücke bereits eine Realität voraussetze und einzelne Wahrnehmungen zu einer höheren umfassenderen Ebene eines Kontinuums zu rechnen sind.
 
==== Gegenwartsphilosophie ====
Ein bekannter Vertreter des Universalienrealismus in der Gegenwartsphilosophie ist [[David Armstrong]]. Wie bei [[Aristoteles]] gibt es Universalien nur in Verbindung mit den Einzeldingen. „Das Allgemeine ist im Einzelnen.“ Armstrong vertritt zugleich einen strengen physikalistisch begründeten naturwissenschaftlichen Realismus. [[Naturgesetz]]e bezeichnet er als Universalien, die die objektiven Strukturen der Natur beschreiben. Sie sind Relationen einer höheren Ordnung, die den Zusammenhang zwischen universellen Eigenschaften beschreiben.<ref>Vgl. David M. Armstrong: Universals – An Opinionated Introduction, Westview Press, Boulder 1989, 139</ref>
 
Im Gegensatz zu Armstrong vertrat [[Roderick Chisholm]] in der Erkenntnistheorie eine [[Idealismus (Philosophie)|idealistische]] Position. Dennoch hielt er Universalien für real. Anknüpfend an die Auffassung von [[Franz Brentano]] über die [[Intentionalität]] war Chisholm der Meinung, dass alles real ist, worauf sich Intentionen richten können.<ref>Vgl. Roderick Chisholm: A Realistic Theorie of Categories – An Essay on Ontology, Cambridge University Press, Cambridge 1996</ref>
 
Als wichtiges Argument für den Universalienrealismus wird in der modernen Philosophie häufig vorgebracht, dass Aussagen, in denen Universalien vorkommen, „wahr“ oder „falsch“ sein können. Als „Wahrmacher“ (truth maker) werden Universalien daher benötigt.
 
=== Nominalistische Positionen der Moderne ===
==== Analytische Sprachphilosophie ====
Mit dem [[Linguistic Turn]] und der [[Sprachphilosophie]] des 20. Jahrhunderts setzte sich eine stark nominalistische Position durch. Insbesondere im [[Neopositivismus]] des [[Wiener Kreis]]es wurde [[Erkenntnis]] auf die sinnlich wahrnehmbaren Einzeldinge beschränkt. Entsprechend war man der Auffassung, dass die Bedeutung von Begriffen und Aussagen ausschließlich auf die Erfahrung zurückzuführen ist. Vor allem [[Rudolf Carnap|Carnap]] und der frühe [[Ludwig Wittgenstein|Wittgenstein]] wollten alle Begriffe auf phänomenalistische Grundbegriffe zurückführen und hieraus eine rein nominalistische Sprache entwickeln. Aus dieser Sicht gibt es für Allgemeinbegriffe außerhalb des Bewusstseins keine Bezugsgrößen ([[Designat]]e). Klassen sind nichts Reales, sondern Zusammenfassungen in Gedanken.
 
Gesetzesaussagen werden deshalb als bloße syntaktische Regeln ohne Wahrheitswerte (bei [[Hermann Weyl]], [[Frank Plumpton Ramsey]] u.&nbsp;a.) oder als bloße [[Hypothese]]n (bei [[Moritz Schlick]], [[Karl Popper]] u.&nbsp;a.) aufgefasst.
 
===== Ludwig Wittgenstein =====
[[Ludwig Wittgenstein|Wittgenstein]] hat in den [[Philosophische Untersuchungen|Philosophischen Untersuchungen]] einen Teil seiner früheren Auffassungen zwar verändert, hielt aber weiterhin an einem Nominalismus fest. Begriffe beruhen auf Konventionen. Ihre Bedeutung ergibt sich aus ihrem Gebrauch. Allgemeinheiten kann man als [[Familienähnlichkeit]]en bezeichnen. So zeigt die Analyse des Gebrauchs für den Begriff „Spiel“, dass es nicht möglich ist, das Allgemeine dieses Begriffs auf einen exakten, einheitlichen Punkt zu bringen. Sprache versuchte er als ein [[Sprachspiel]] bestehend aus einer Vielzahl von unterschiedlichen Sprachspielen zu beschreiben.
 
Diese sprachbezogene Auffassung Wittgensteins ist eine moderne Formulierung des reinen Nominalismus von Berkeley ([[Universalienproblem#George Berkeley und David Hume|siehe oben]]), die man als Ähnlichkeits-Nominalismus bezeichnen kann. Andere Interpreten sehen darin eine Ablehnung des Universalienproblems als [[Scheinproblem]], ähnlich wie Carnap dies getan hatte. Wittgenstein sah die Familienähnlichkeiten auch im Zahlbegriff: „Wir dehnen unseren Begriff der Zahl aus, wie wir beim Spinnen eines Fadens Faser an Faser drehen. Und die Stärke des Fadens liegt nicht darin, dass irgendeine Faser durch seine ganze Länge läuft, sondern dass viele Fasern einander übergreifen.“<ref>Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, § 67</ref>
 
===== W. V. O. Quine =====
[[Willard Van Orman Quine|Quine]] untersuchte das Universalienproblem mit den Mitteln der [[Quantorenlogik]].<ref>Vgl. die grundlegenden Aufsätze Quines in Wolfgang Stegmüller (Hrsg.): Das Universalien-Problem: „Über Universalien“ (1947), „[[Was es gibt]]“ (1948), „Semantik und abstrakte Gegenstände“ (1951), „Logik und die Verdinglichung von Universalien“ (1953) und „Bezeichnung und Modalität“ (1953)</ref> So muss man für eine präzise Handhabung den Satz „Dies ist eine rote Rose“ in der Weise lesen:
 
:''Es gibt ein X, für das gilt: X ist eine Rose und X ist rot.''
 
X wird als gebundene Variable bezeichnet. Durch die Umformulierung erreicht man, dass Begriffe nur als Namen eines Gegenstandes verwendet werden. Quines These lautet, dass auch Prädikate grundsätzlich als logische Subjekte formulierbar und als Variablen in die logische Aussageform überführbar sind. Doch entscheidend ist, welcher Begriff als Wert für die Variable einsetzbar ist. Der Nominalist wird fordern, dass der Gültigkeitsbereich der Variablen auf Begriffe beschränkt wird, die auch tatsächlich als Namen umformulierbar sind. Der Platonist wird hingegen die Formel für Begriffe wie „Wert“, „Seiendes“, oder „Variable“ in Anspruch nehmen wollen.
 
Die analytisch formulierte Weise des Universalienproblems bringt zwar Präzisierung, liefert aber weiterhin kein Entscheidungskriterium für das Problem. Der Platonist kann weiter sagen, dass mit dem Sprechen über Universalien deren Existenz bereits anerkannt ist. Ebenso kann der Nominalist darauf verweisen, dass Allgemeines kein Gegenstand sein kann, weil ein solcher Begriff ja bis zum [[infiniter Regress|infiniten Regress]] wieder Teil eines anders gearteten Allgemeinen sein kann. Quine zog die Schlussfolgerung, dass in bestimmten Anwendungsbereichen der Mathematik und der Logik „Klassen“ nicht verzichtbar sind. Solche Begriffsebenen entstehen aber durch menschliche Konstruktionen und werden nicht etwa entdeckt. Er bezeichnete seine Position als konzeptualistisch im Gegensatz zum platonischen Realismus.<ref>Quine in Stegmüller, Logik und Verdinglichung von Universalien, 158</ref> Nominalismus bezeichnete er als [[Agnostizismus]] gegenüber einer Unendlichkeit von Entitäten.
 
===== Peter Strawson, Nelson Goodman =====
Eine kritische Position gegenüber Quine entwickelte [[Peter Frederick Strawson|Strawson]], der auf einen aus seiner Sicht wesentlichen Funktionsunterschied zwischen Begriffen für Einzelnes und Besonderes hinwies.<ref>Strawson: Einzelding und logisches Subjekt, insbesondere Kapitel 8 (Logische Subjekte und Existenz)</ref> Singuläre Begriffe haben die Aufgabe, konkrete Objekte zu identifizieren. Allgemeine Begriff werden in Aussagen verwendet, in denen die Existenz bereits unterstellt wird. Sie haben keine „identifizierende Referenz“.
 
Prädikate in Aussagesätzen können sich auf verschiedene Subjekte beziehen, je nach dem, was der Fall ist. Prädikate sind daher immer allgemeiner als Subjekte. Deshalb ist eine konsequente Ersetzung von Prädikaten durch „logische Subjekte“ nicht möglich. Aussagen über Einzelnes sind nur aufgrund empirischer Tatsachen möglich. Die Auffassung von Allgemeinem als „logischem Subjekt“ setzt voraus, dass es Identifikationssysteme gibt, in denen Bezüge zu raum-zeitlichen Einzeldingen hergestellt werden können.
 
[[Nelson Goodman]] vertritt einen so genannten [[Mereologie|mereologischen]] Nominalismus, nach dem es nicht zulässig ist, aus individuellen Grundelementen unendliche Ketten neuer Entitäten zu bilden. Nach dieser Auffassung sind die Möglichkeiten der [[Mengenlehre]] formal eingeschränkt. Dies ergebe sich aus dem Prinzip, dass von mehreren zutreffenden Theorien die einfachste zu bevorzugen ist ([[Ockhams Rasiermesser]]).
 
==== Vilém Flusser ====
[[Vilém Flusser]] sah das Universalienproblem [[Kulturkritik|kulturkritisch]] im Zusammenhang mit der Entwicklung der [[Informationstechnologie]]. Der [[Buchdruck]] habe den Universalienstreit zu Gunsten der Realisten entschieden, denn er habe bewusst gemacht, dass Schrift aus Typen bestehe und diese Typen greifbar gemacht. Das spekulative Denken sei in der Folge zu einem handfesten Manipulieren von Zeichen geworden, und die modernen Universalien hätten sich von der Ebene des Begrifflichen auf diejenige der praktisch geformten Typen verlagert, weil man an „Atompartikel“, „Gene“, „Völkertypen“ oder „Gesellschaftsklassen“ glaube. [[Positivismus|Positivisten]] und [[Phänomenologie|Phänomenologen]] seien dagegen die modernen Nominalisten.<ref>Vilém Flusser: ''Die Schrift. Hat Schreiben Zukunft?'', Göttingen: European Photography, 5. Aufl. 2002, S. 51</ref>
 
=== Philosophie der Mathematik ===
Die klassische Auffassung in der [[Philosophie der Mathematik]] ist ein Universalienrealismus, nach dem die Gegenstände der Mathematik eine eigenständige Existenz besitzen und nicht erfunden, sondern entdeckt werden. Die Realisten sind sich allerdings nicht einig darüber, wie und wie weitgehend der Mensch fähig ist, zu diesen Universalien vorzudringen. Aus der Sicht des [[Formalismus (Mathematik)|Formalismus]], der von [[David Hilbert|Hilbert]] begründet wurde, oder des [[Logizismus]] von [[Gottlob Frege|Frege]] ist eine systematische Annäherung möglich. Für [[Kurt Gödel|Gödel]] ist es dagegen die Intuition, die es den Mathematikern erlaubt, ihren Universalien näher zu kommen.
 
Als Gegenbewegung im 20. Jahrhundert entstehen nominalistische Auffassungen: Die [[Konstruktive Mathematik]] beschränkt den Existenzbegriff auf konstruierbare Objekte. Der [[Intuitionismus]] vertritt die Ansicht, dass Wahrheit erst im Prozess der Verifizierung entsteht. Diese Ansätze wurden von [[L.E.J. Brouwer]] begründet und unter anderen von [[Paul Lorenzen]] ausgearbeitet. Sie gehen davon aus, dass die Gegenstandsbereiche der Mathematik durch schrittweise Entwicklung von [[Theorie]]n erfunden werden. Die Gewohnheit bestätigt dann, dass die Voraussetzungen sinnvoll sind.
 
Gödel vermittelte zwischen klassischen und intuitionistischen Standpunkten. Wenn mit der Entwicklung von Theorien die Vorstellung verbunden wird, dass die durch menschliche Leistungen entstandenen Allgemeinbegriffe eine semantische Existenz haben, wird auch hier der Begriff des [[Konzeptualismus]] verwendet. So [[Willard Van Orman Quine|Quine]] in seinem Aufsatz ''[[Was es gibt]]''. Diese Terminologie wird später von [[Wolfgang Stegmüller|Stegmüller]] aufgenommen.
 
== Siehe auch ==
* [[Begriffsschrift]] ([[Gottlob Frege]])
 
== Literatur ==
* [[Herbert Witzenmann]]: ''Das Universalienproblem und der Erkenntnisprozeß'', in: Witzenmann, Die Kategorienlehre Rudolf Steiners, Gideon Spicher Verlag, 1994, ISBN 3857042265
* [[Herbert Witzenmann]]: ''Das Universalienproblem in linguistischer und strukturphänomenologischer Bedeutung'', in: Witzenmann, Die Kategorienlehre Rudolf Steiners, Gideon Spicher Verlag, 1994, ISBN 3857042265
* [[wikipedia:David Armstrong|David Malet Armstrong]]: ''Universals: an Opinionated Introduction'', Westview Press, Boulder/Colorado 1989.
* [[wikipedia:Joseph Maria Bocheński|Innocentius Bochenski]], [[wikipedia:Alonzo Church|Alonzo Church]], [[wikipedia:Nelsond Goodman|Nelson Goodman]]: ''The Problem of Universals. A Symposium'', Notre Dame, Ind., (1956)
* J.M. Bochenski: ''Zum Universalienproblem.'' In: Logisch-philosophische Studien, Alber, Freiburg/München 1959.
* [[wikipedia:Pierre Bourdieu|Pierre Bourdieu]]: ''Meditationen. Zur Kritik der scholastischen Vernunft.'', Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2. Aufl. 2004. ISBN 3-51829-295-1
* [[wikipedia:Carl Friedrich Gethmann|Carl Friedrich Gethmann]]: Stichwort ''„Allgemeinheit“'' in: Handbuch philosophischer Grundbegriffe, hrsg. von Hermann Krings, Hans Michael Baumgarten und Christoph Wild, Kösel, München 2. Aufl. 2003 (CD-Ausgabe) sowie Stichwörter ''„Universalien“, „Universalienstreit“ und „Universalienstreit, moderner“'' in: Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Band 4, hrsg. von Jürgen Mittelstraß, Metzler, Stuttgart 1996
* Guido Küng: ''Ontologie und logistische Analyse der Sprache. Eine Untersuchung zur zeitgenössischen Universaliendiskussion.'' Springer-Verlag, Wien 1963.
* Wolfgang Künne: ''Abstrakte Gegenstände. Semantik und Ontologie''. Frankfurt am Main: Klostermann 2007, ISBN 978-3-465-04032-3
* Alain de Libera: ''Der Universalienstreit. Von Platon bis zum Ende des Mittelalters'', München: Fink 2005 (Original: La querelle des universaux, 1996). ISBN 3-7705-3727-0
* [[wikipedia:Wolfgang Stegmüller|Wolfgang Stegmüller]]: ''Glauben, Wissen und Erkennen. Das Universalienproblem einst und jetzt'', 3. Aufl. Darmstadt: Wiss. Buchges. 1974. ISBN 3-534-03322-1
* Wolfgang Stegmüller (Hrsg.): ''Das Universalien-Problem'', WBG, Darmstadt 1978 <small>Sammelband mit einer Einleitung von Stegmüller und wichtigen Aufsätzen unter anderem von [[wikipedia:Bertrand Russell|Russell]], [[wikipedia:Frank Plumpton Ramsey|Ramsey]], [[wikipedia:Willard Van Orman Quine|Quine]] (4x), [[wikipedia:Alonzo Church|Church]] (3x), [[wikipedia:Nelson Goodman|Goodman]], [[wikipedia:Michael Dummett|Dummett]] und [[wikipedia:Rudolf Carnap|Carnap]]</small>
* [[wikipedia:Peter Frederick Strawson|Peter Frederick Strawson]]: ''Einzelding und logisches Subjekt'', Stuttgart: Reclam, 3. Aufl. 1983. ISBN 3-15-009410-0
* Hans-Ulrich Wöhler (Hrsg.): ''Texte zum Universalienstreit.'', 2 Bde., Berlin: Akademie 1992. Band 1: ISBN 3-05-001792-9, Band 2: ISBN 3-05-001929-8


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<references />
<references />


== Weblinks ==
{{SORTIERUNG:Woloschin, Margarita}}
* {{SEP|http://plato.stanford.edu/entries/universals-medieval/|The Medieval Problem of Universals|Gyula Klima}}
[[Kategorie:Anthroposoph]]
* {{SEP|http://plato.stanford.edu/entries/nominalism-metaphysics/|Nominalism in Metaphysics|Gonzalo Rodriguez-Pereyra}}
[[Kategorie:Künstler]]
* {{IEP|http://www.iep.utm.edu/universa/|Universals|Mary C. MacLeod und Eric M. Rubenstein }}
[[Kategorie:Maler]]
* Wolfgang Stegmüller: [http://www.blutner.de/philos/Texte/steg.html Geschichtliches zum Universalienstreit]
[[Kategorie:Schriftsteller]]
* Georg Reichelt: [http://www.uni-konstanz.de/FuF/ueberfak/sfb511/publikationen/universalien.html Universalien]
[[Kategorie:Russe]]
* [http://www.information-philosophie.de/?a=1&t=227&n=2&y=1&c=2# Wolfgang Künne: Der Universalienstreit in der neueren analytischen Philosophie] in: Information Philosophie
[[Kategorie:Geboren 1882]]
 
[[Kategorie:Gestorben 1973]]
[[Kategorie:Scholastik]]
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{{Wikipedia}}
{{Wikipedia}}

Version vom 20. Juli 2018, 14:03 Uhr

Margarita Wassiljewna Woloschin-Sabaschnikow (russisch Маргарита Васильевна Сабашникова/Margarita Wassiljewna Sabaschnikowa; * 31. Januar 1882 in Moskau; † 2. November 1973 in Stuttgart) war eine russische Malerin und Schriftstellerin. Sie machte sich in frühen Jahren hauptsächlich als Porträt-Malerin russischer Geistesgrößen einen Namen, während in der zweiten Lebenhälfte vor allem religiöse Motive entstanden. Als Schriftstellerin wurde sie mit ihrer Autobiographie Die grüne Schlange bekannt.

Margarita Woloschin um 1950

Leben

Kindheit und Jugend

Margarita Woloschin-Sabaschnikow wurde am 31. Januar 1882 als Tochter der Moskauer Kaufmannsfamilie Sabaschnikow geboren, die dem gebildeten fortschrittlichen Bürgertum angehörte. Ihre Kindheit verbrachte sie zum Teil im Elternhaus ihrer Familie, zum Teil bei ihrer Großmutter und teils auf einem elterlichen Gut.[1] Ihr Vater war allerdings als Kaufmann nicht sehr erfolgreich, weshalb das Haus der Familie verkauft werden musste. Daraufhin ging sie im Alter von zehn Jahren mit ihrer Mutter, ihren Geschwistern und mit zwei Hauslehrerinnen ins Ausland, wo sie durch ihre verschiedenen Aufenthalte in Paris, Lausanne, Belgien, Italien eine umfassende Bildung erfuhr. Ihr Interesse für Kunst und Kultur wurde frühzeitig geweckt. Nach drei Jahren zurück in Russland, erhielt sie Unterricht in Musik und Literatur und bald darauf ihren ersten professionellen Unterricht bei dem Maler Abram Archipow.

Nach dem Abitur ging Margarita Sabaschnikow nach St. Petersburg, um im Atelier des Malers Ilja Repin zu arbeiten. Seine naturalistische Malerei hinterfragte sie: „Hat es denn einen Sinn zu wiederholen, was schon da ist? Es muss eine ganz andere Kunst entstehen, die eine nie dagewesene Welt offenbart.[2]“ Mit ihren Fragen wandte sie sich an den damals schon alten Leo Tolstoi (seine Frau und ihre Mutter waren befreundet), von dem sie sich Rat erhoffte. Er empfahl ihr, die Kunst als Freizeitgestaltung zu betreiben und ansonsten das Leben einer Bäuerin zu führen. Trotz dieser für sie erschütternden Äußerung ließ sich Sabaschnikow von ihrem eingeschlagenen Weg nicht abbringen. Die einmal aufgeworfenen Fragen der Probleme der Kunst, der sozialen Ordnung und der Stellung der Malerei beschäftigten sie weiter und führten sie letztlich zu tiefen Fragen über den Sinn des Lebens überhaupt.[3]

Frühe Erwachsenenzeit

M. Woloschin in jungen Jahren, Selbstporträt

Margarita Sabaschnikow beschäftigte sich mit der Analogie des Farbspektrums und der Tonskala, mit Goethes Farbenlehre und immer wieder mit der Frage des Sinns der Kultur und des Lebens, das für sie in diesen Jahren ohne Grund und Richtung verlief.[4] Ihre ernsthafte Auseinandersetzung mit den Themen des Daseins und des Materialismus führte sie zu Darwin und Haeckel und von da zu Du Bois-Reymonds Grenzen der Naturerkenntnis. Antworten auf ihre Fragen konnte sie nicht finden. Einzig im Objektiv-Absoluten der Mathematik fand Sabaschnikow Halt.[5]

Der Maler Mussatow ermutigte sie, zwei ihrer Porträtbilder zu der Ausstellung Moskauer Maler einzureichen. Sie hatte damit ihren ersten durchschlagenden Erfolg. Eine Teilnahme an der Ausstellung Welt der Kunst in St. Petersburg und in Paris folgten. Bei einer Abendgesellschaft im Hause des Kunstsammlers Sergei Schtschukin lernte sie den Dichter und Maler Maximilian Woloschin kennen. Sie gelangte in die Kreise der russischen Symbolisten um Andrei Bely, Waleri Brjussow, Konstantin Balmont und andere. 1903 reiste sie erneut nach Paris. Dort hatte sie Gelegenheit im Atelier eines befreundeten Malers zu arbeiten. Maximilian Woloschin, ebenfalls in Paris, führte sie in die Pariser Künstlerkreise ein, wo sie Odilon Redon kennenlernte.[6]

Während ihres erneuten Auslandsaufenthalts in Westeuropa 1904/05 brach in Russland die Revolution aus, wodurch Margarita Sabaschnikow vorübergehend an ihrer Rückkehr gehindert wurde. In dieser Zeit lernte sie Rudolf Steiner und seine Weltanschauung kennen. Hier fand sie Antworten auf ihre Lebensfragen, reiste zu vielen seiner Vorträge in verschiedenen europäischen Städten und lernte ihn schließlich persönlich kennen.[7]

1906 heiratete sie Maximilian Woloschin. Nach einem kurzen Aufenthalt in Koktebel, an der Nordküste der Krim, beabsichtigten sie nach München überzusiedeln. Die Begegnung mit dem Dichter Wjatscheslaw Iwanow in St. Petersburg, der für sie seit Jahren eine Welt bedeutete, in der sie ihre geistige Heimat fand[8], machte dieses Vorhaben zunichte. „In der Weltanschauung von Wjatscheslaw Iwanow vereinigt sich das griechische Erleben der Geistigkeit in der Natur mit dem Christentum. In dieser Beziehung stand er für mich höher als Nietzsche, dessen Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik eine entscheidende Wirkung auf mich ausgeübt hatte.[…] dass ich ihn bald kennenlernen sollte, bedeutete für mich eine atemberaubende Aussicht[9]

Ihre wachsende Berühmtheit und die vielen Kontakte ihres Mannes ermöglichten schnell die Aufnahme in die St. Petersburger Künstlerkreise. Sie trafen unter anderen auf den Dichter Alexei Remisow, den Maler Konstantin Somow, den sie bereits aus Paris kannten, den Philosophen Nikolai Berdjajew und den Schriftsteller Alexander Blok. Von einer Kunstzeitschrift wurden Portraits von Alexei Remisow und Michail Kusmin bestellt, die Woloschin in Kohle zeichnete. Ihre literarischen Versuche förderte Iwanow nachhaltig und ermutigte sie, diese öffentlich vorzutragen. Durch diese Zusammenarbeit entwickelte sich ein ambivalentes Liebesverhältnis, das zwangsläufig zu einem Störfaktor ihrer Ehe wurde. Bei einem Berlinaufenthalt 1908 entschied sie sich vorerst in Deutschland zu bleiben, um über ihr Privatleben Klarheit zu bekommen.[10]

In der folgenden Zeit reiste Margarita Woloschin durch Europa, um die Vorträge Rudolf Steiners zu hören, die er in verschiedenen Städten hielt. Um Wjatscheslaw Iwanow nahe zu sein, kehrte sie schließlich zurück nach St. Petersburg. Zu ihrer Enttäuschung heiratete er aber seine Stieftochter Wera. Woloschin zog sich darauf von allen gesellschaftlichen Begegnungen zurück, lebte ganz für sich in ihrem Atelier, hatte kaum Kontakte zur Außenwelt. Sie begann eine Lehre bei dem berühmten Ikonenmaler Tjulin[11] und begegnete dem Komponisten Nikolai Medtner, von dem sie ein Porträt malte. Ihre literarischen Aktivitäten erweiterte sie durch die Übersetzung von Meister Eckharts Werken ins Russische. An eine Veröffentlichung dachte sie zuerst nicht, nahm aber das Angebot des Verlages Musaget zur Publikation an. Eine kleine Erbschaft verlieh ihr größere Unabhängigkeit, was ihre Reisefreudigkeit wieder aufleben ließ. Sie mietete in Paris ein Atelier, wollte den Winter in Rom verbringen, blieb dann aber in München. Ein anderes Mal unterbrach sie die Rückreise von Prag nach Paris und blieb in Stuttgart, um ein bestimmtes Buch über die Mystiker zu lesen, das sie für das Vorwort zu ihrer Eckhart-Übersetzung benötigte. „Mein unruhiger Lebenswandel war aber nur ein Abbild meines inneren Zustandes. Ich war schon achtundzwanzig Jahre alt, war als Dichterin und als Malerin anerkannt und wußte meinen Weg doch noch nicht.[12]

Mittleres Lebensalter

1911 wählte Margarita Woloschin München als ihren Wohnsitz, weil sie dem Umfeld Rudolf Steiners nahe sein wollte. In diesen Kreisen traf sie auf den Grafen Otto von Lerchenfeld, Christian Morgenstern, Albert Steffen und andere. Die Arbeit an ihrem Triptychon Drei Opfer unterbrach sie im März 1911 wegen einer schweren Erkrankung ihrer Mutter, um nach Moskau zu fahren. Sie blieb aber nur wenige Tage dort. Steiners Vortragsreihe in Helsingfors wollte sie nicht vermissen. In München sollte für die Mysteriendramen Steiners und die sonstigen kulturellen Veranstaltungen der anthroposophischen Bewegung ein adäquates Gebäude errichtet werden. Woloschin wurde angeboten darin ihr Atelier einzurichten. Sie lehnte aber ab. Insgesamt wurden die Pläne für den Bau nicht genehmigt. Das Vorhaben sollte bald darauf in der Schweiz begonnen werden.[13]

Als 1914 in Dornach der Bau des ersten Goetheanum begann, war Margarita Woloschin zunächst mit vielen anderen Künstlern aus unterschiedlichen Ländern als Schnitzerin tätig. Ihnen oblag es, die Kapitelle der vielen Säulen, die die Doppelkuppel des ganz aus Holz bestehenden Baues trugen, zu schnitzen. Später war sie an den Deckenmalereien der kleinen Kuppel beteiligt. „Das Leben in Dornach gestaltete sich so, daß man immer in gemeinsamer Arbeit eingespannt war. Der Tag verlief mit Schnitzen, Malen, Üben und Proben für die Eurythmie und einzelne Szenen der Faust-Aufführung.[14]…“

Im Sommer brach der Erste Weltkrieg aus. Geldtransfers aus Russland wurden immer spärlicher, was ihren Mann Maximilian veranlasste, als Journalist nach Paris zu gehen. Es sollte ihr letzter Abschied sein.[15] Nach Beendigung ihrer Arbeit an der Kuppel fuhr Woloschin 1917 zurück nach Russland und geriet in das Chaos der Revolution. Zusammen mit Bely und Iwanow unterrichtete sie Arbeiter und Bauern in Kunst und Literatur. Sie wurde Mitarbeiterin im Volkskommissariat für Theaterwesen und Bildung. Sie konnte aber nicht produktiv arbeiten, weil den ständig wechselnden Behörden die Zuständigkeiten fehlten und es an Wichtigem für das tägliche Leben mangelte. Nach einer schweren Typhuserkrankung 1920 gab sie Malunterricht an einer gerade gegründeten Schule für hochbegabte Waisenkinder. Auch diese Initiative misslang wegen mangelnder bürokratischer Erfahrungen einer im Entstehen begriffenen neuen Verwaltung.[16]

In St. Petersburg wurde ihr im Kommissariat des Äußeren eine Stelle in der Bibliothek für ausländische Literatur angeboten, die bald darauf wegen der gleichen behördlichen Unzulänglichkeiten gekündigt wurde. Zurück in Moskau konnte Woloschin für einen Verleger eine Serie von Portraitzeichnungen bekannter Persönlichkeiten, unter anderem auch von Michael Tschechow fertigen.[17] Später traf sie ihn öfter in Stuttgart, Berlin und am Ammersee.

Im August 1922 erhielt sie die lange beantragte Genehmigung zur Ausreise in die Niederlande, von wo sie nach Dornach weiterreiste. Kurz vor ihrer Abreise erreichte sie die Mitteilung vom brennenden Goetheanum. Wegen politischer Komplikationen zwischen der Schweiz und Russland musste sie nach einem halben Jahr die Schweiz wieder verlassen. Durch eine Einladung der Familie Lory Maier-Smits konnte sie nach Deutschland einreisen und übersiedelte 1924 nach Einsingen bei Ulm. Ihr Lungenleiden flammte wieder auf, worauf ihre Gastfamilie ihr den Aufenthalt in einer Stuttgarter Klinik ermöglichte. Stuttgart sollte von da an ihr neues Zuhause werden.

Zweite Lebenshälfte

Woloschins Autobiographie Die grüne Schlange reicht bis zu ihrer Übersiedlung nach Stuttgart. Eine Fortsetzung schien zunächst nicht geplant. Notizen und Aufzeichnungen aus ihrem Nachlass lassen allerdings darauf schließen, dass sie mit fortgeschrittenem Alter doch zu einem zweiten Band neigte. Dass es dennoch nicht dazu gekommen ist, wird ihren reduzierten Kräften zugeschrieben, die sie nur noch für die Malerei, ihrer eigentlichen Aufgabe, verwenden wollte.[18]

Aufgewachsen mit den russisch-orthodoxen Riten und der schon als Kind erlebten Nähe zur Religion in Elternhaus und Erziehung spiegelten sich diese Erlebnisse nun in einer neuen Schaffensphase wieder. Mit großer Bestimmtheit widmete sie sich christlichen Themen. In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre entstanden eine Reihe Bilder mit biblischen Motiven. Sie lernte die 1922 gegründete Christengemeinschaft kennen und malte Altarbilder für die neu entstehenden Gemeinden.[19]

Während eines Aufenthaltes in Freiburg ergab sich unvorhergesehen die Möglichkeit, einen Ausflug nach Dornach zu machen. Hier konnte sie viele lange nicht gesehene Freunde wiedertreffen. In den darauffolgenden Jahren hatte sie immer wieder Gelegenheit, nach Dornach zu fahren und in den 1930er Jahren stand für sie sogar ein eigenes Atelier in der Nähe des Goetheanum zur Verfügung. In Stuttgart gab sie Malkurse, darunter auch einen für Lehrer an der neu gegründeten Waldorfschule. Aus dieser Tätigkeit entstand die Idee, eine Malschule mit ordentlichem Curriculum zu gründen. Räumlichkeiten wurden angeboten, Lehrer für den Unterricht standen zur Verfügung. Nach langem Ringen entschied sich Woloschin aber für ihren künstlerischen Weg.[20]

Wenige Jahre danach sind einige ihrer Bilder als entartet vernichtet worden. Die politische Lage wurde immer bedrückender und die Machtübernahme der Nationalsozialisten empfand sie als Beginn eines „dunklen Zeitalters“. Die Berichte aus Russland waren nicht weniger düster. Ihre Freunde in St. Petersburg und Moskau waren entweder tot oder verhaftet und in Lagern interniert. 1932 erhielt sie Nachricht vom Tod ihres Gatten Maximilian Woloschin, der inzwischen mit Maria Stepanowna Sabolozkaja verheiratet gewesen war[21] und den sie seit 1914 nicht mehr gesehen hatte. Ein Jahr später starb ihre Mutter.[22]

Margarita Woloschin war auch in ihren späteren Jahren nicht von sesshafter Natur. Immer noch reiste sie ihren Möglichkeiten entsprechend gerne und viel. Sie tat es, um Kurse zu geben, Vorträge zu halten oder um an Tagungen teilzunehmen. In ihrem 56. Lebensjahr unternahm sie eine Reise zu den Stätten ihrer Kindheit und Jugend und fuhr über Rom nach Sizilien. Es war ihre letzte große Unternehmung.

Ende der dreißiger Jahre wurde Woloschin von den Behörden vor die Wahl gestellt, nach Russland zurückzukehren oder in ein Internierungslager gebracht zu werden. Freunde erwirkten für sie im letzten Augenblick eine Legalisierung ihres weiteren Aufenthaltes unter der Bedingung der regelmäßigen Meldepflicht bei der Gestapo. Zu Beginn der Luftangriffe auf Stuttgart kam sie mit anderen in einem Dorf im nördlichen Schwarzwald unter, wo sie mit der Arbeit an ihrer Autobiografie begann. Gegen Ende des Krieges musste sie wegen ihres russischen Passes erneut eine Verhaftung befürchten. Freunde nahmen sie auf und gewährten ihr Unterschlupf. Den Winter 1945/46 verbrachte die Malerin bereits wieder in Stuttgart.[23]

In den Nachkriegsjahren gab Margarita Woloschin Kurse am anthroposophischen Lehrerseminar, hielt Vorträge an der Eurythmieschule, wirkte bei Berufsorientierungskursen mit und erzählte den Kindern in der Schule. Daneben bewältigte sie den täglichen Strom von Besuchern. Man suchte ihren Rat und ihre Anteilnahme, wollte von ihr Begebenheiten aus der Vergangenheit geschildert wissen und man bat sie an verschiedenen Gremien und Sitzungen beratend teilzunehmen.[24]

Zwei Jahre nach ihrem siebzigsten Geburtstag erschien ihre Autobiografie bei der Deutschen Verlagsanstalt. Ihre weiteren schriftstellerischen Aktivitäten flossen in biografischen Darstellungen über Michael Tschechow, Michail Lomonossow, Leo Tolstoi, Georg von Albrecht und vielen anderen ein. Dennoch war ihr eigentliches Betätigungsfeld die Malerei. Auch im höheren Alter malte sie täglich, sofern die vielen Verpflichtungen, Besucher und Krankheitsphasen es zuließen. „Ich fühle, daß mit dem allmählichen Schwund des Tastsinns aus beiden Händen, die mir immer so gute Diener waren, wie zwei helfende Wesen, die unmittelbar Anschluß an das Herz hatten und besser wußten als ich, was zu geschehen hat […] meine Laufbahn als Malerin zu Ende gehen.[25]“ Dieser Ausspruch der Künstlerin aus ihren späten 80er Jahren ist kennzeichnend für die beginnende Abnahme ihrer physischen Kräfte. Ein Nachlassen ihres Hör- und Sehvermögens kam hinzu. Der Umzug in ein Altersheim war unausweichlich geworden. Ihre Befürchtung „…jetzt wird mir meine Muse endgültig davonlaufen,[25]“ traf allerdings nicht ein. Auch hier dominierte eine Staffelei ihr Zimmer. Ihr letztes großes Werk, Orpheus, konnte sie nicht mehr vollenden.

Im November 1972 wurde in Baden-Baden die Ausstellung Russischer Realismus 1850–1900 eröffnet. Viele Bilder von Künstlern, die Woloschin aus ihrer frühen Zeit als junge Malerin kannte, begegneten ihr hier wieder. Margarita Wassiljewna Woloschin-Sabaschnikow starb ein Jahr später am 2. November 1973.[26]

Werk

Malerei

Margarita Woloschin war vor allem und besonders in der ersten Hälfte ihres Schaffens eine Portraitmalerin. Sie portraitierte, neben Menschen ihres Umkreises, sich selbst und viele Persönlichkeiten des kulturellen Lebens wie Leo Tolstoi, Michael Tschechow, Michael Bauer oder Rudolf Steiner. Sie fertigte viele Auftragsarbeiten und ihre Bilder wurden von zahlreichen Museen erworben. Vereinzelt sind sie heute noch in Moskau, Astrachan und Koktebel zu sehen. Die meisten ihrer Werke aus dieser Zeit sind allerdings durch die Wirren der Revolution und der Weltkriege verschollen.[27][21]

Ein Teil des malerischen Werks aus ihrer zweiten Lebenshälfte, vor allem religiöse Motive, Altarbilder, Märchendarstellungen, Landschaften und Portraits sind zu einem Teil erhalten. Sie befinden sich verstreut in Privatbesitz, in verschiedenen Kirchen der Christengemeinschaft und im Nachlass der Künstlerin.[28] Diese vielfach mit Pflanzenfarben gemalten Bilder wurden damals als neue religiöse Malerei angesehen, die Stilisierung in der Darstellung mit der strengen Welt der Ikonenmalerei verglichen.[19]

Ihre Tätigkeit verstand Woloschin immer als eine Auseinandersetzung mit dem dreidimensionalen Raum und der Farbe als vierter Dimension. Den Betrachter wollte sie nicht nur vor dem Bild stehend, sondern auch in ihm empfinden. Er sollte sowohl Betrachter als auch Teilhaber am schöpferischen Prozess sein.[29] Ihre unstete Rastlosigkeit, die sie im Laufe ihres Lebens an viele verschiedene Orte führte, schlug sich auch in ihrer Malerei nieder. „Sie besaß ein geniales kompositorisches Talent, das einen Maler des 19. Jahrhunderts berühmt gemacht hätte. Sie hat diese Chance nicht genützt. […] Das Aufsehen, das ihre ersten Bilder […] erregten, gab ihr alle Möglichkeiten auf der Straße des Ruhm fortzuschreiten. Doch […] eine Schicksalsunruhe trieb sie weiter. […] Woloschin […] fühlte auch manchmal einen leisen Vorwurf in ihrer Seele, eine Möglichkeit zu einem ganz neuen Kunstschaffen nicht ergriffen zu haben. Aber sie ließ sich nicht ablenken von einem Weg, den sie gehen wollte“[30]

Ihre Aufzeichnungen unterstreichen diesen Weg: „Stets aus der Stimmung malen; keinen Strich tun, ohne ihn aus dem Gesamten, Tief-Erlebten zu beschließen. Der gedankliche Inhalt – besser: das Erlebnis – muß Stimmung werden. Das Erleben des Gefühls in Farbe verwandeln, in die Bewegung der Farbe, die zum Rhythmus und endlich zur Form wird. Das Bild soll als etwas Unerwartetes auftreten. Aber die Idee […] muß immer als ein Wesenhaftes, ein Ganzes geahnt werden. Die Komposition soll nicht, im Voraus, mathematisch-architektonisch wie bei den alten Meistern festgelegt werden, sondern entstehen“[31]

Literatur

Ihre Lebenserinnerungen Die grüne Schlange sind in mehreren Auflagen erschienen. Sie stellen nicht nur eine persönliche Entwicklungsgeschichte dar, sondern schildern ausführlich das Panorama einer ganzen kulturellen Epoche Russlands zu Beginn des letzten Jahrhunderts.[27] Vor allem die Elite des russischen Geisteslebens um die Jahrhundertwende (Tolstoi, Iwanow, Solowjew, Schaljapin und andere) werden dem Leser nahe gebracht. Aber auch die Anthroposophie um Rudolf Steiner, in der Woloschin eine geistige Heimat fand, wird ausführlich charakterisiert und lässt den seltsam zwiespältigen Eindruck, den Steiner mit seiner Sehergabe und Genialität auf viele Zeitgenossen von damals machte deutlich werden.[32] Die grüne Schlange wurde in viele Sprachen übersetzt und ist seit 2009 in einer erweiterten Auflage erhältlich.

Neben ihren vielen Erzählungen und Gedichten war die Grüne Schlange der Höhepunkt ihres literarischen Schaffens. Den in den 1930er Jahren abgeschlossenen Roman Die Regenbrücke sah Woloschin als eine Art Vorläufer ihrer Erinnerungen. Er hatte stark autobiografische Züge und war nach Ansicht der Autorin nach Erscheinen ihrer Autobiografie überflüssig geworden.[33]

Rezeption

DIE ZEIT würdigt das literarische Wirken Margarita Woloschins:

Ilja Jefimowitsch Repin - Margarita Woloschins Lehrer (Selbstportrait, 1878)

„…[diese Lektüre, die] nicht nur literarischen Genuß, sondern auch einen bemerkenswerten Zuwachs an Weltkenntnis bedeutet. Ein solches Buch ist: Margarita Woloschin: Die grüne Schlange. Lebenserinnerungen. Was aber ihr Buch, vom prallen Inhalt abgesehen, so fesselnd macht, ist die geistige Regsamkeit, mit der diese in ihrer Art ungewöhnliche Frau die Geschehnisse und Gestalten ihres Lebenskreises gesehen und geschildert hat. Und es sind keine unerheblichen Gestalten, […] die ihren Weg gekreuzt haben. Vor allem die Elite des russischen Kulturlebens vor der und um die Jahrhundertwende: der Maler Ilja Repin (der Lehrer der Autorin), Leo Tolstoj, Iwanow, Solowjew, Berdjajew, Schaljapin, Stanislawsky, Diaghilew – Vertreter jener russischen Geistigkeit, deren Existenz und Bedeutung im bürgerlichen Deutschland allzu unzulänglich bekannt war und in deren Kreisen umgekehrt der gewisse provinzielle deutsche Akademikerstolz so gern verspottet wurde. Alle diese markanten Erscheinungen treten dem Leser auf eine frappierend unmittelbare Art nahe. Sehr erregend sind auch die Berichte über die Zustände in Rußland kurz nach der Revolution: wieviel prachtvolle menschliche Substanz da noch verschleudert, verwüstet und erstickt wurde. Margarita Woloschin ist damals aus der Schweiz in die Heimat gefahren mit einem der Züge, in denen Ludendorff Lenin und Genossen quer durch Deutschland nach Rußland brachte, um das Land endgültig in Zwietracht, Aufruhr und Elend zu stürzen.“[32]

Jeder Raum, in dem Woloschin lebte, nahm bald ihre unverwechselbaren Eigenheiten an. Mitteleuropäische Wohnideale und Bürgerlichkeit konnten in ihrer Nähe nicht gedeihen. Die Malerin lebte spartanisch. Ihre Existenz hing von den spärlich eingehenden Porträt-Aufträgen und gelegentlichen Malkursen ab. Darüber Kurt Wistighausen:

„Ihr Zimmer war gleichzeitig Atelier und meistens auch Küche. Mitten zwischen Malpapieren, Paletten, Bildern und Büchern, die in genialer Unordnung … umherlagen, wurde liebevoll der obligate Tee aufgebrüht und serviert. […] Die Gastgeberin scherzte selbst über ihr ‚Chaos‘ und erzählte, die erste Zeit im Westen sei ihr bei der Heimkehr der Mantel immer zu Boden gefallen, weil ja niemand mehr da war, der ihn ihr von den Schultern nahm und versorgte – so sehr war sie von ihrer Jugend und den wohlhabenden Verhältnissen im Elternhaus her gewohnt gewesen, daß sofort ein Diener herbeisprang. […] Jetzt in der Emigration, hatte die Künstlerin weder einen dienstbaren Geist, noch Geld. Jedoch: keinen Augenblick war es dies, was sie ernstlich beschäftigte.“[34]

Publikationen

  • Margarita Woloschin: Die grüne Schlange, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart, 1954, 1982, 2009
  • Margarita Woloschin: Green Snake, Floris Books, Edinburgh 2010

Literatur

  • Ruth Moering, Dorothea Rapp, Rosemarie Wermbter: Margarita Woloschin-Leben und Werk, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1982

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Margarita Woloschin: Die grüne Schlange. Stuttgart 1982, S. 11
  2. M. Woloschin: Die grüne Schlange. S.101
  3. M. Woloschin: Die grüne Schlange. S.106
  4. M. Woloschin, Die grüne Schlange. S. 111
  5. M. Woloschin: Die grüne Schlange. S. 120
  6. M. Woloschin: Die grüne Schlange. S. 142
  7. M. Woloschin: Die grüne Schlange. S. 166
  8. M. Woloschin: Die grüne Schlange. S. 171
  9. M. Woloschin: Die grüne Schlange. S. 172
  10. M. Woloschin: Die grüne Schlange. S. 199
  11. M. Woloschin: Die grüne Schlange. S. 223
  12. M. Woloschin: Die grüne Schlange. S. 230
  13. M. Woloschin: Die grüne Schlange. S. 270
  14. M. Woloschin: Die grüne Schlange. S. 294
  15. M. Woloschin: Die grüne Schlange. S. 300
  16. M. Woloschin: Die grüne Schlange. S. 338
  17. M. Woloschin: Die grüne Schlange. S. 361/362
  18. Wermbter/Möhring/Rapp, Margarita Woloschin-Leben und Werk, S. 29
  19. 19,0 19,1 Wermbter/Möhring/Rapp, Margarita Woloschin-Leben und Werk, S. 36
  20. Wermbter/Möhring/Rapp, Margarita Woloschin-Leben und Werk, S. 40
  21. 21,0 21,1 Biographie der Stiftung Kulturimpuls
  22. Wermbter/Möhring/Rapp, Margarita Woloschin-Leben und Werk, S. 41
  23. Wermbter/Möhring/Rapp, Margarita Woloschin-Leben und Werk, S. 45
  24. Wermbter/Möhring/Rapp, Margarita Woloschin-Leben und Werk, S. 46
  25. 25,0 25,1 Wermbter/Möhring/Rapp, Margarita Woloschin-Leben und Werk, S. 52
  26. Wermbter/Möhring/Rapp, Margarita Woloschin-Leben und Werk, S. 54
  27. 27,0 27,1 Evelies Schmidt: Margarita Woloschin - Portätkunst – Gemalt und Geschrieben In: a tempo, Stuttgart 11/2009 (pdf.)
  28. Wermbter/Möhring/Rapp: Margarita Woloschin-Leben und Werk. Werkverzeichnis, S. 172
  29. Wermbter/Möhring/Rapp, Margarita Woloschin-Leben und Werk, S. 159
  30. Dorothea Rapp in: Wermbter/Möhring/Rapp Margarita Woloschin-Leben und Werk. S. 164
  31. Aus Aufzeichnungen Margarita Woloschins, in: Wermbter/Möhring/Rapp, Margarita Woloschin-Leben und Werk. S. 56
  32. 32,0 32,1 Nachdenklicher Rückblick - Margarita Woloschins Erinnerungen Die Zeit, 17. März 1955
  33. Wermbter/Möhring/Rapp, Margarita Woloschin-Leben und Werk, S. 49
  34. Kurt v. Wistinghausen, Margarita Sabaschnikow-Woloschin †. In: Die Christengemeinschaft 12/1973


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