Legende und Weltgegenden: Unterschied zwischen den Seiten

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[[Datei:Landschaft mit Geschichte des Wilhelm Tell.jpg|thumb|Wilhelm Tell. Gemälde, Öl auf Leinwand, Umkreis Paul Bril]]
[[Datei:Hecataeus world map-de.svg|mini|300px|Die damals bekannte Welt, auf die sich die Lehren des [[Aristoteles]] beziehen, nach einer Rekonstruktion der Weltkarte von [[Wikipedia:Hekataios von Milet|Hekataios von Milet]] (6. - 5. Jh. v. Chr.)]]


Die '''Legende''' ist eine dem [[Märchen]] und der [[Sage]] verwandte [[Wikipedia:Textsorte|Textsorte]] bzw. [[Wikipedia:Gattung (Literatur)|literarische Gattung]].
Vier '''Weltgegenden''' ([[lat.]] ''plagae mundi'') oder '''Himmelsgegenden''' wurden seit der [[Antike]] unterschieden, die sich an den vier [[Haupthimmelsrichtungen]] bzw. am täglichen [[Sonne]]nlauf orientieren. Schon die [[Römer]] teilten die ihnen bekannte Welt zunächst in vier Teile auf, die sie nach der römischen Sonnenuhr bestimmten. [[Aristoteles]] leitete die Weltgegenden von den primären [[klima]]tischen [[Qualität|Qualität]]en ''Trocken'' ([[Osten]], entsprechend der riesigen kontinentalen Landmasse [[Asien]]s), ''Feucht'' ([[Westen]], entsprechend dem [[Wikipedia:Atlantik|Atlantik]]), ''Warm'' ([[Süden]]) und ''Kalt'' ([[Norden]]) ab und stellte auch eine Verbindung zu den [[vier Elemente]]n her, in denen je zwei dieser Qualitäten zusammenwirken: [[Erde (Element)|Erde]] = kalt/trocken, [[Wasser]] = kalt/feucht, [[Luft]] = warm/feucht und [[Feuer]] = warm/trocken<ref>vgl. dazu Aristoteles: ''Über Entstehen und Vergehen'', II [http://www.odysseetheater.org/jump.php?url=http://www.odysseetheater.org/ftp/bibliothek/Philosophie/Aristoteles/Aristoteles_Werke_Vier_B%FCcher_%FCber_das_Himmelsgebaude.pdf#page=440&viewe=Fit pdf]</ref>. Nach [[Rudolf Steiner]] wurde auch [[Alexander der Große]] für seinen zehnjährigen [[Alexanderzug]] (334 bis 324 v. Chr.), durch den die [[griechisch]]e [[Kultur]] in der ganzen damals bekannten Welt verbreitet wurde, von Aristoteles in dieser Lehre unterwiesen, die ihren Ursprung in den [[Mysterien]] hatte:
Der Begriff leitet sich von dem mittelalterlich-lateinischen Ausdruck ''legenda'' ab, was so viel bedeutet wie „das, was zu lesen ist“,<ref>Harald-Martin Wahl: ''Die Jakobserzählungen. Studien zu ihrer mündlichen Überlieferung, Verschriftung und Historizität.'' Berlin / New York 1997, S. 87 f., ISBN 3-11-015758-6.</ref> „das Vorzulesende“<ref name="Vollmann1109f">Benedikt Konrad Vollmann: ''Sage und Legende.'' In: Volker Drehsen, Hermann Häring u. a. (Hrsg.): ''Wörterbuch des Christentums''. 1500 Stichwörter von A-Z. München 2001, S. 1109 f., ISBN 3-572-01248-1.</ref> bzw. „die zu lesenden Stücke“.<ref>Silke Müller, Susanne Wess: ''Studienbuch neuere deutsche Literaturwissenschaft 1720-1848'' (= Lern- und Arbeitshilfen für Schule und Universität). 2., durchges. Aufl., Würzburg 1999, S. 151, ISBN 3-8260-1713-7.</ref> Die Herkunft des Begriffs deutet somit – im Unterschied zur [[Sage]] – eine enge Beziehung zur literarischen Tradition an. Bereits in der [[Antike]] entstanden literarische [[Erzählung]]en über [[Person]]en, die als überragende religiös-sittliche Persönlichkeiten und „[[Wikipedia:Heiliger|Heilige]]“ wahrgenommen wurden.<ref name="Vollmann1109f" />


== Allgemeines ==
{{GZ|Alexander lernte durch Aristoteles
gut kennen, daß dasjenige, was draußen in der Welt lebt als das
irdische, das wäßrige, das luftige, das feurige Element, auch im
Menschen drinnen lebt, daß der Mensch in dieser Beziehung ein
wirklicher Mikrokosmos ist, daß in ihm, in seinen Knochen, das
irdische Element lebt, daß in seiner Blutzirkulation und in alle dem,
was Säfte in ihm sind, Lebenssäfte sind, das wäßrige Element lebt;
daß in ihm das luftige Element in der Atmung und Atmungserregung
wirkt, in der Sprache wirkt, daß das feurige Element in den
Gedanken lebt. Alexander wußte sich noch in den Elementen der
Welt lebend. Aber indem man sich in den Elementen der Welt
lebend fühlte, fühlte man auch noch seine innige Verwandtschaft
mit der Erde. Heute reist der Mensch nach Ost, nach West, nach
Nord, nach Süd: er empfindet nicht, was da eigentlich alles auf ihn
einstürmt, denn er sieht ja nur dasjenige, was seine äußeren Sinne
wahrnehmen, und er sieht ja nur, was die irdischen Substanzen in
ihm wahrnehmen, nicht was die Elemente in ihm wahrnehmen.
Aber Aristoteles konnte den Alexander lehren: Wenn du auf der
Erde nach dem Osten ziehst, ziehst du immer mehr und mehr
hinein in ein dich austrocknendes Element. Du ziehst in das
Trockene hinein (siehe Zeichnung).


In der [[Wikipedia:Hagiographie|Hagiographie]] werden derartige [[Wikipedia:Heiligenlegende|Heiligenlegende]]n neben [[Wikipedia:Märtyrerberichte|Märtyrerakten]] und anderen überlieferten Texten als [[Wikipedia:Vita|Vita]] untersucht.<ref>Christina Adenna: ''Heiligenviten als stabilisierende Gedächtnisspeicher in Zeiten religiösen Wandels.'' In: Peter Strohschneider (Hrsg.): ''Literarische und religiöse Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit.'' Berlin / New York 2009, S. 526, ISBN 978-3-11-020061-4.</ref> Solche hagiographischen Texte werden auch heute noch von einigen Gelehrten unter Absehung ihres besonderen Charakters der [[Wikipedia:Geschichtsschreibung|Geschichtsschreibung]] zugerechnet,<ref>Meinolf Vielberg, Jürgen Dummer: ''Zwischen Historiographie und Hagiographie. Ausgewählte Beiträge zur Erforschung der Spätantike.'' Stuttgart 2005, S. 7, ISBN 3-515-08661-7.</ref> wobei allerdings zwischen „Heiligenlegende“ und „Heiligenbiographie“ zu unterscheiden wäre. Nicht zuletzt bei den politischen Legenden ist indessen die Vorstellung verbreitet, dass es sich um „unzutreffende Tatsachenbehauptungen“ handele.  Dennoch können einzelne Legenden einen Kern von historischer Wahrheit enthalten, indem sie in bildhafter oder szenischer Erzählform den Kern eines Faktums oder den Sinn eines Geschehens zu vermitteln suchen, auch wenn die jeweils erzählte Geschichte [[Wikipedia:Quelle (Geschichtswissenschaft)|quellenmäßig]] unverbürgt ist.<ref>Gerd Krumeich: ''Die Dolchstoßlegende.'' In: Étienne François, Hagen Schulze (Hrsg.): ''Deutsche Erinnerungsorte.'' 4., durchges. Aufl., München 2002, S. 586, ISBN 3-406-47222-2.</ref>
Sie müssen sich das nicht so vorstellen, daß, wenn man nach
Asien hinüberzieht, man ganz austrocknet. Es ist natürlich das so,
daß es feine Wirkungen sind, aber Wirkungen, die durchaus nach
den Anleitungen des Aristoteles Alexander in sich empfand. Er
konnte sich in Makedonien sagen: Ich habe einen gewissen Grad von
Feuchtigkeit in mir; der vermindert seine Feuchtigkeit, indem ich
nach Osten hinüberziehe. - So fühlte er mit der Wanderung auf der
Erde die Konfiguration der Erde, wie man fühlt, sagen wir, wenn
man einen Menschen berührt, über irgendeinen Teil seines Körpers
streichelnd fährt, wie der Unterschied ist zwischen Nase und Augen
und Mund. So nahm eine solche Persönlichkeit, wie die geschilderte,
noch wahr, wie der Unterschied ist, wenn man sich erlebt, indem
man immer mehr und mehr in das Trockene hineinkommt, und wie
man sich erlebt, wenn man nach der anderen Seite, nach dem
Westen, in das Feuchte hineinkommt.


In der Form der Heiligenlegende zielt die Legende aber überhaupt nicht auf die für sie nur vordergründige historische Wahrheit, sondern auf  die Verkündigung einer Glaubenswahrheit.<ref>Siehe Ringler (s. o.: Literatur), S.  260f.; 267.</ref> Es geht in ihr zentral um die Offenbarung des göttlichen [[Wikipedia:Heilsgeschichte|Heilswirkens]], das in der Person eines Heiligen zur Erscheinung kommt, zeichenhaft beglaubigt vor allem durch das Signum des [[Wunder]]s.<ref name="Reichertz77f">Jo Reichertz: ''Die Macht der Worte und der Medien.'' 2. Auflage, Wiesbaden 2008, S. 77f., ISBN 978-3-531-16307-9; Ringler (s. o.: Literatur), S. 257–259.</ref> Bekannteste Beispiele sind die Christophorus- und Georgslegende, die als eine Art narrativer Theologie gelten können. Hierbei bleibt der Erzählrahmen der Legende, ebenso wie bei der Sage, dem Mythos und [[Märchen]], im [[Wikipedia:Fiktion|fiktionalen]] Bereich.<ref name="Reichertz77f" />
[[Datei:GA233 079.gif|center|500px|Zeichnung aus GA 233, S. 79 (Tafel 6)]]


Im Medien-Sprachgebrauch wird der Begriff auch häufig in der allgemeinen Bedeutung „[[Wikipedia:Ruhm|Ruhm]]“ und „[[Wikipedia:Berühmtheit|Berühmtheit]]“ verwendet.<ref>Peter Tepe: ''Mythos & Literatur.'' Selbstanzeige. In: ''Archiv für Begriffsgeschichte'' 44, Ausg. 25-26, Hamburg 2002, S. 258. (Quelle: Peter Tepe: ''Mythos & Literatur.'' Würzburg 2001, ISBN 3-8260-2136-3.)</ref>
Die anderen Differenzierungen, die erleben die Menschen, wenn
auch grob, noch heute. Gegen Norden erleben sie ja das Kalte,
gegen Süden das Warme, das Feurige. Aber jenes Zusammenspiel
von feucht-kalt, wenn man nach dem Nordwesten hinüberkam, das
fühlen die Menschen nicht mehr. Aristoteles machte rege in Alexander,
was Gilgamesch erlebt hat, als er den Zug nach dem Westen
hinüber unternommen hatte. Und die Folge davon war, daß im unmittelbaren
inneren Erleben der Schüler das wahrnehmen konnte,
was nun eben erlebt wird in der Zwischenzone zwischen feucht und
kalt nach Nordwesten hin: Wasser. Und es war durchaus nicht nur
eine mögliche, sondern eine sehr wirkliche Redensart für einen
solchen Menschen wie Alexander, daß er nicht sagte: Dahin geht der
Zug, nach Nordwesten -, sondern: Dahin geht der Zug, wo das
Element des Wassers die Oberherrschaft führt. - In der Zwischenzone
zwischen feucht und warm liegt das Element, wo die Luft die
Oberherrschaft führt. So war es in den alten [[Chtonische Mysterien|griechisch-chthonischen
Mysterien]] gelehrt, so war es in den alten [[Samothrakische Mysterien|samothrakischen Mysterien]]
gelehrt, so war es von Aristoteles seinem unmittelbaren Schüler
gelehrt. Und in der Zwischenzone zwischen kalt und trocken, also
gegen Sibirien zu von Makedonien aus, wurde die Region der Erde
erlebt, wo die Erde selbst, das Irdische die Oberherrschaft führte,
das Element Erde, das Feste. In der Zwischenzone zwischen warm
und trocken, also gegen Indien hin, wurde jene Region der Erde
erlebt, wo vorherrschte das Feuerelement. Und so war es, daß der
Schüler des Aristoteles nach Nordwesten zeigte und sagte: Da empfinde
ich herwirkend auf der Erde die Wassergeister. - Daß er nach
Südwesten zeigte und sagte: Da her empfinde ich die Luftgeister. -
Daß er nach Nordosten zeigte, und da die Geister der Erde vorzugsweise
heranschweben sah. Daß er nach Südosten zeigte, gegen
Indien zu, und die Geister des Feuers heranschweben oder in ihrem
Elemente sah.
 
Und Sie empfinden jene tiefe Verwandtschaft gegenüber dem
Natürlichen und gegenüber dem Moralischen, wenn ich jetzt am
Schlusse sage, es entstand in Alexander die Redensart: Ich muß aus
dem kaltfeuchten Elemente heraus mich ins Feuer stürzen, den Zug
nach Indien unternehmen! - Das war eine Redensart, die ebenso an
Natürliches anknüpfte, wie sie anknüpfte an Moralisches, wovon wir
dann morgen sprechen wollen. Aber ich wollte Sie hineinführen
anschaulich in dasjenige, was da lebte. Denn in dem, was da verhandelt
wurde zwischen Alexander und Aristoteles, sehen Sie zu
gleicher Zeit sich spiegeln den ganzen Umschwung in der weltgeschichtlichen
Entwickelung. Man konnte noch im intimen Unterricht
in der damaligen Zeit sprechen von den großen Mysterien der
vergangenen Zeit. Dann nahm die Menschheit nur mehr das Logische,
das Abstrakte, die Kategorien auf, während sie das andere
zurückstieß. Daher deuten wir damit zugleich auf einen ungeheuren
Umschwung in der weltgeschichtlichen Entwickelung der Menschheit,
auf einen allerwichtigsten Punkt in dem ganzen Hergang der
europäischen Zivilisation in ihrem Zusammenhange mit dem Orient.|233|78ff}}
 
{{Panorama|MakedonischesReich.jpg|1100|Der Feldzug [[Alexander der Große|Alexanders des Großen]] von Frühjahr 334 bis März 324 v. Chr.}}


== Siehe auch ==
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Kategorie:Legende}}
 
* {{WikipediaDE|Legende}}
* {{WikipediaDE|Weltgegenden}}
* {{WikipediaDE|Märchen}}
* {{WikipediaDE|Sage}}


== Literatur ==
== Literatur ==
* Hans-Peter Ecker: ''Die Legende. Kulturanthropologische Annäherung an eine literarische Gattung'' (= ''Germanistische Abhandlungen'', Band 76), Metzler, Stuttgart / Weimar 1993, ISBN 3-476-00899-1 (Habilitation Universität Passau 1991, XI, 397 Seiten).
#Rudolf Steiner: ''Die Weltgeschichte in anthroposophischer Beleuchtung und als Grundlage der Erkenntnis des Menschengeistes'', [[GA 233]] (1991), ISBN 3-7274-2331-5 {{Vorträge|233}}
* Hubertus Halbfas: ''Die Wahrheit der Legende''. In: Ewald Volgger (Hrsg.): ''Sankt Georg und sein Bilderzyklus in Neuhaus, Böhmen (Jindřichův Hradec). Historische, kunsthistorische und theologische Beiträge'' (= ''Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens'', Band 57). Elwert, Marburg 2002, ISBN 3-7708-1212-3.
* Siegfried Ringler: ''Zur Gattung Legende. Versuch einer Strukturbestimmung der christlichen Heiligenlegende des Mittelalters.'' In: Peter Kesting (Hrsg.): ''Würzburger Prosastudien II. Untersuchungen zur Literatur und Sprache des Mittelalters. Festschrift für Kurt Ruh zum 60. Geburtstag.'' München 1975 (''Medium Aevum'' 31), S. 255–270.
* Hellmut Rosenfeld: ''Legende.'' 4., verbesserte Auflage. Metzler, Stuttgart 1982, ISBN 3-476-14009-1.
* Herbert Walz (Hrsg.): ''Legende'' (= ''Themen, Texte, Interpretationen'', Band 7). Buchner, Bamberg 1986, {{falsche ISBN|3-7661-4337-6}} (Aufsätze zur Gattungstheorie sowie beispielhafte Texte).


== Weblinks ==
{{GA}}
{{Wiktionary}}
{{Wiktionary|Märchen}}
{{Wiktionary|Sage}}
{{Wikiquote|Legende}}
{{commonscat|Legends|Legende}}


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<references />
<references />


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[[Kategorie:Erde]] [[Kategorie:Geographie]] [[Kategorie:Mysterien]]
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[[Kategorie:Fiktionale Literatur]]
 
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{{Wikipedia}}

Version vom 3. September 2017, 21:45 Uhr

Die damals bekannte Welt, auf die sich die Lehren des Aristoteles beziehen, nach einer Rekonstruktion der Weltkarte von Hekataios von Milet (6. - 5. Jh. v. Chr.)

Vier Weltgegenden (lat. plagae mundi) oder Himmelsgegenden wurden seit der Antike unterschieden, die sich an den vier Haupthimmelsrichtungen bzw. am täglichen Sonnenlauf orientieren. Schon die Römer teilten die ihnen bekannte Welt zunächst in vier Teile auf, die sie nach der römischen Sonnenuhr bestimmten. Aristoteles leitete die Weltgegenden von den primären klimatischen Qualitäten Trocken (Osten, entsprechend der riesigen kontinentalen Landmasse Asiens), Feucht (Westen, entsprechend dem Atlantik), Warm (Süden) und Kalt (Norden) ab und stellte auch eine Verbindung zu den vier Elementen her, in denen je zwei dieser Qualitäten zusammenwirken: Erde = kalt/trocken, Wasser = kalt/feucht, Luft = warm/feucht und Feuer = warm/trocken[1]. Nach Rudolf Steiner wurde auch Alexander der Große für seinen zehnjährigen Alexanderzug (334 bis 324 v. Chr.), durch den die griechische Kultur in der ganzen damals bekannten Welt verbreitet wurde, von Aristoteles in dieser Lehre unterwiesen, die ihren Ursprung in den Mysterien hatte:

„Alexander lernte durch Aristoteles gut kennen, daß dasjenige, was draußen in der Welt lebt als das irdische, das wäßrige, das luftige, das feurige Element, auch im Menschen drinnen lebt, daß der Mensch in dieser Beziehung ein wirklicher Mikrokosmos ist, daß in ihm, in seinen Knochen, das irdische Element lebt, daß in seiner Blutzirkulation und in alle dem, was Säfte in ihm sind, Lebenssäfte sind, das wäßrige Element lebt; daß in ihm das luftige Element in der Atmung und Atmungserregung wirkt, in der Sprache wirkt, daß das feurige Element in den Gedanken lebt. Alexander wußte sich noch in den Elementen der Welt lebend. Aber indem man sich in den Elementen der Welt lebend fühlte, fühlte man auch noch seine innige Verwandtschaft mit der Erde. Heute reist der Mensch nach Ost, nach West, nach Nord, nach Süd: er empfindet nicht, was da eigentlich alles auf ihn einstürmt, denn er sieht ja nur dasjenige, was seine äußeren Sinne wahrnehmen, und er sieht ja nur, was die irdischen Substanzen in ihm wahrnehmen, nicht was die Elemente in ihm wahrnehmen. Aber Aristoteles konnte den Alexander lehren: Wenn du auf der Erde nach dem Osten ziehst, ziehst du immer mehr und mehr hinein in ein dich austrocknendes Element. Du ziehst in das Trockene hinein (siehe Zeichnung).

Sie müssen sich das nicht so vorstellen, daß, wenn man nach Asien hinüberzieht, man ganz austrocknet. Es ist natürlich das so, daß es feine Wirkungen sind, aber Wirkungen, die durchaus nach den Anleitungen des Aristoteles Alexander in sich empfand. Er konnte sich in Makedonien sagen: Ich habe einen gewissen Grad von Feuchtigkeit in mir; der vermindert seine Feuchtigkeit, indem ich nach Osten hinüberziehe. - So fühlte er mit der Wanderung auf der Erde die Konfiguration der Erde, wie man fühlt, sagen wir, wenn man einen Menschen berührt, über irgendeinen Teil seines Körpers streichelnd fährt, wie der Unterschied ist zwischen Nase und Augen und Mund. So nahm eine solche Persönlichkeit, wie die geschilderte, noch wahr, wie der Unterschied ist, wenn man sich erlebt, indem man immer mehr und mehr in das Trockene hineinkommt, und wie man sich erlebt, wenn man nach der anderen Seite, nach dem Westen, in das Feuchte hineinkommt.

Zeichnung aus GA 233, S. 79 (Tafel 6)
Zeichnung aus GA 233, S. 79 (Tafel 6)

Die anderen Differenzierungen, die erleben die Menschen, wenn auch grob, noch heute. Gegen Norden erleben sie ja das Kalte, gegen Süden das Warme, das Feurige. Aber jenes Zusammenspiel von feucht-kalt, wenn man nach dem Nordwesten hinüberkam, das fühlen die Menschen nicht mehr. Aristoteles machte rege in Alexander, was Gilgamesch erlebt hat, als er den Zug nach dem Westen hinüber unternommen hatte. Und die Folge davon war, daß im unmittelbaren inneren Erleben der Schüler das wahrnehmen konnte, was nun eben erlebt wird in der Zwischenzone zwischen feucht und kalt nach Nordwesten hin: Wasser. Und es war durchaus nicht nur eine mögliche, sondern eine sehr wirkliche Redensart für einen solchen Menschen wie Alexander, daß er nicht sagte: Dahin geht der Zug, nach Nordwesten -, sondern: Dahin geht der Zug, wo das Element des Wassers die Oberherrschaft führt. - In der Zwischenzone zwischen feucht und warm liegt das Element, wo die Luft die Oberherrschaft führt. So war es in den alten griechisch-chthonischen Mysterien gelehrt, so war es in den alten samothrakischen Mysterien gelehrt, so war es von Aristoteles seinem unmittelbaren Schüler gelehrt. Und in der Zwischenzone zwischen kalt und trocken, also gegen Sibirien zu von Makedonien aus, wurde die Region der Erde erlebt, wo die Erde selbst, das Irdische die Oberherrschaft führte, das Element Erde, das Feste. In der Zwischenzone zwischen warm und trocken, also gegen Indien hin, wurde jene Region der Erde erlebt, wo vorherrschte das Feuerelement. Und so war es, daß der Schüler des Aristoteles nach Nordwesten zeigte und sagte: Da empfinde ich herwirkend auf der Erde die Wassergeister. - Daß er nach Südwesten zeigte und sagte: Da her empfinde ich die Luftgeister. - Daß er nach Nordosten zeigte, und da die Geister der Erde vorzugsweise heranschweben sah. Daß er nach Südosten zeigte, gegen Indien zu, und die Geister des Feuers heranschweben oder in ihrem Elemente sah.

Und Sie empfinden jene tiefe Verwandtschaft gegenüber dem Natürlichen und gegenüber dem Moralischen, wenn ich jetzt am Schlusse sage, es entstand in Alexander die Redensart: Ich muß aus dem kaltfeuchten Elemente heraus mich ins Feuer stürzen, den Zug nach Indien unternehmen! - Das war eine Redensart, die ebenso an Natürliches anknüpfte, wie sie anknüpfte an Moralisches, wovon wir dann morgen sprechen wollen. Aber ich wollte Sie hineinführen anschaulich in dasjenige, was da lebte. Denn in dem, was da verhandelt wurde zwischen Alexander und Aristoteles, sehen Sie zu gleicher Zeit sich spiegeln den ganzen Umschwung in der weltgeschichtlichen Entwickelung. Man konnte noch im intimen Unterricht in der damaligen Zeit sprechen von den großen Mysterien der vergangenen Zeit. Dann nahm die Menschheit nur mehr das Logische, das Abstrakte, die Kategorien auf, während sie das andere zurückstieß. Daher deuten wir damit zugleich auf einen ungeheuren Umschwung in der weltgeschichtlichen Entwickelung der Menschheit, auf einen allerwichtigsten Punkt in dem ganzen Hergang der europäischen Zivilisation in ihrem Zusammenhange mit dem Orient.“ (Lit.:GA 233, S. 78ff)

Der Feldzug Alexanders des Großen von Frühjahr 334 bis März 324 v. Chr.

Siehe auch

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Die Weltgeschichte in anthroposophischer Beleuchtung und als Grundlage der Erkenntnis des Menschengeistes, GA 233 (1991), ISBN 3-7274-2331-5 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Einzelnachweise

  1. vgl. dazu Aristoteles: Über Entstehen und Vergehen, II pdf