Weltgegenden und Marxistische Wirtschaftstheorie: Unterschied zwischen den Seiten

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[[Datei:Hecataeus world map-de.svg|mini|300px|Die damals bekannte Welt, auf die sich die Lehren des [[Aristoteles]] beziehen, nach einer Rekonstruktion der Weltkarte von [[Wikipedia:Hekataios von Milet|Hekataios von Milet]] (6. - 5. Jh. v. Chr.)]]
Die '''marxistische Wirtschaftstheorie''' – die [[Wikipedia:politische Ökonomie|politische Ökonomie]] auf der Grundlage von ''[[Wikipedia:Das Kapital|Das Kapital]]'' von [[Karl Marx]] – bildet sowohl ihrem Umfang als auch ihrem Inhalt nach den Hauptteil der [[Marxismus|marxistischen]] Gesellschaftstheorie ([[Wikipedia:Historischer Materialismus|Historischer Materialismus]]). Sie untersucht die ökonomische Funktionsweise der „bürgerlichen“, [[Kapitalismus|kapitalistischen]]“ Gesellschaft gemäß der Ansicht von der historischen Begrenztheit einer jeden [[Wikipedia:Gesellschaftsformation|Gesellschaftsformation]]. Diese werden seiner Meinung nach wesentlich durch die Entwicklung der [[Wikipedia:Produktiovkräfte|Produktivkräfte]] vorangetrieben und durch spezifische [[Wikipedia:Produktionsverhältnisse|Produktionsverhältnisse]] gekennzeichnet. Im Besonderen setzt sich Marx mit den theoretischen Ansätzen der [[Klassische Nationalökonomie|klassischen Nationalökonomie]] auseinander, insbesondere mit [[Adam Smith]] und [[David Ricardo]]. Von diesen unterscheidet er die „[[Wikipedia:Vulgärökonomie|Vulgärökonomie]]“, die er im Gegensatz dazu wegen deren oberflächlichen Anschauungen vom Wirtschaften und der Apologetik der bestehenden Verhältnisse grundsätzlich ablehnt. Die marxistische Wirtschaftstheorie selbst weist, wie jede groß-angelegte ökonomische Theorie, noch viele ungeklärte Fragen und umstrittene Punkte auf.


Vier '''Weltgegenden'''  ([[lat.]] ''plagae mundi'') oder '''Himmelsgegenden''' wurden seit der [[Antike]] unterschieden, die sich an den vier [[Haupthimmelsrichtungen]] bzw. am täglichen [[Sonne]]nlauf orientieren. Schon die [[Römer]] teilten die ihnen bekannte Welt zunächst in vier Teile auf, die sie nach der römischen Sonnenuhr bestimmten. [[Aristoteles]] leitete die Weltgegenden von den primären [[klima]]tischen [[Qualität|Qualität]]en ''Trocken'' ([[Osten]], entsprechend der riesigen kontinentalen Landmasse [[Asien]]s), ''Feucht'' ([[Westen]], entsprechend dem [[Wikipedia:Atlantik|Atlantik]]), ''Warm'' ([[Süden]]) und ''Kalt'' ([[Norden]]) ab und stellte auch eine Verbindung zu den [[vier Elemente]]n her, in denen je zwei dieser Qualitäten zusammenwirken: [[Erde (Element)|Erde]] = kalt/trocken, [[Wasser]] = kalt/feucht, [[Luft]] = warm/feucht und [[Feuer]] = warm/trocken<ref>vgl. dazu Aristoteles: ''Über Entstehen und Vergehen'', II [http://www.odysseetheater.org/jump.php?url=http://www.odysseetheater.org/ftp/bibliothek/Philosophie/Aristoteles/Aristoteles_Werke_Vier_B%FCcher_%FCber_das_Himmelsgebaude.pdf#page=440&viewe=Fit pdf]</ref>. Nach [[Rudolf Steiner]] wurde auch [[Alexander der Große]] für seinen zehnjährigen [[Alexanderzug]] (334 bis 324 v. Chr.), durch den die [[griechisch]]e [[Kultur]] in der ganzen damals bekannten Welt verbreitet wurde, von Aristoteles in dieser Lehre unterwiesen, die ihren Ursprung in den [[Mysterien]] hatte:
== „Kritik der politischen Ökonomie“ ==


{{GZ|Alexander lernte durch Aristoteles
[[Datei:Zentralbibliothek Zürich Das Kapital Marx 1867.jpg|mini|Der erste Band der Trilogie Das Kapital]][[Datei:Kapital manuskript.jpg|mini|Manuskriptseite des Kapitals]]
gut kennen, daß dasjenige, was draußen in der Welt lebt als das
irdische, das wäßrige, das luftige, das feurige Element, auch im
Menschen drinnen lebt, daß der Mensch in dieser Beziehung ein
wirklicher Mikrokosmos ist, daß in ihm, in seinen Knochen, das
irdische Element lebt, daß in seiner Blutzirkulation und in alle dem,
was Säfte in ihm sind, Lebenssäfte sind, das wäßrige Element lebt;
daß in ihm das luftige Element in der Atmung und Atmungserregung
wirkt, in der Sprache wirkt, daß das feurige Element in den
Gedanken lebt. Alexander wußte sich noch in den Elementen der
Welt lebend. Aber indem man sich in den Elementen der Welt
lebend fühlte, fühlte man auch noch seine innige Verwandtschaft
mit der Erde. Heute reist der Mensch nach Ost, nach West, nach
Nord, nach Süd: er empfindet nicht, was da eigentlich alles auf ihn
einstürmt, denn er sieht ja nur dasjenige, was seine äußeren Sinne
wahrnehmen, und er sieht ja nur, was die irdischen Substanzen in
ihm wahrnehmen, nicht was die Elemente in ihm wahrnehmen.
Aber Aristoteles konnte den Alexander lehren: Wenn du auf der
Erde nach dem Osten ziehst, ziehst du immer mehr und mehr
hinein in ein dich austrocknendes Element. Du ziehst in das
Trockene hinein (siehe Zeichnung).


Sie müssen sich das nicht so vorstellen, daß, wenn man nach
=== Ziel, Methode und Konzept des ''Kapital'' ===
Asien hinüberzieht, man ganz austrocknet. Es ist natürlich das so,
daß es feine Wirkungen sind, aber Wirkungen, die durchaus nach
den Anleitungen des Aristoteles Alexander in sich empfand. Er
konnte sich in Makedonien sagen: Ich habe einen gewissen Grad von
Feuchtigkeit in mir; der vermindert seine Feuchtigkeit, indem ich
nach Osten hinüberziehe. - So fühlte er mit der Wanderung auf der
Erde die Konfiguration der Erde, wie man fühlt, sagen wir, wenn
man einen Menschen berührt, über irgendeinen Teil seines Körpers
streichelnd fährt, wie der Unterschied ist zwischen Nase und Augen
und Mund. So nahm eine solche Persönlichkeit, wie die geschilderte,
noch wahr, wie der Unterschied ist, wenn man sich erlebt, indem
man immer mehr und mehr in das Trockene hineinkommt, und wie
man sich erlebt, wenn man nach der anderen Seite, nach dem
Westen, in das Feuchte hineinkommt.


[[Datei:GA233 079.gif|center|500px|Zeichnung aus GA 233, S. 79 (Tafel 6)]]
Schon mit dem Titel „[[Das Kapital]]“ bringt Karl Marx deutlich zum Ausdruck, was seit der [[François Quesnay|Quesnayschen]] Revolution in der ökonomischen Theorie deren zentrale Kategorie darstellt: das [[Kapital]].<ref>Robert E. Eagly: ''The Structure of Classical Economic Theory.'' Oxford University Press, New York London Toronto 1974, S. 3.</ref> Marx integriert in seine theoriegeleitete Darstellung zwar auch die geschichtliche Dimension, so etwa die „[[ursprüngliche Akkumulation]]“ oder das Arbeitsrecht in England im 19. Jahrhundert und die Problemgeschichte der ökonomischen Theorien. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, das ''Kapital'' sei „wesentlich ein historisches Werk“.<ref>[[Karl Kautsky]]: ''Karl Marx’ ökonomische Lehren.'' 20. Auflage. 1921, S. VIII, zit. nach [[Henryk Grossman]]: ''Aufsätze zur Krisentheorie.'' S. 13.</ref> Denn Marx sieht dessen Schwerpunkt in der Analyse und theoretischen Darstellung der Bewegungsgesetze der kapitalistischen Wirtschaft:


Die anderen Differenzierungen, die erleben die Menschen, wenn
: „Was ich in diesem Werk zu erforschen habe, ist die kapitalistische Produktionsweise und die ihr entsprechenden Produktions- und Verkehrsverhältnisse. (…) An und für sich handelt es sich nicht um den höheren oder niederen Entwicklungsgrad der gesellschaftlichen Antagonismen“ [= Gegensätze], „welche aus den Naturgesetzen der kapitalistischen Produktion entspringen. Es handelt sich um diese <''Natur-''> Gesetze selbst.“<ref>Karl Marx: ''Das Kapital.'' Band I (MEW 23), S. 12, in spitzen Klammern Einfügung.</ref>
auch grob, noch heute. Gegen Norden erleben sie ja das Kalte,
gegen Süden das Warme, das Feurige. Aber jenes Zusammenspiel
von feucht-kalt, wenn man nach dem Nordwesten hinüberkam, das
fühlen die Menschen nicht mehr. Aristoteles machte rege in Alexander,
was Gilgamesch erlebt hat, als er den Zug nach dem Westen
hinüber unternommen hatte. Und die Folge davon war, daß im unmittelbaren
inneren Erleben der Schüler das wahrnehmen konnte,
was nun eben erlebt wird in der Zwischenzone zwischen feucht und
kalt nach Nordwesten hin: Wasser. Und es war durchaus nicht nur
eine mögliche, sondern eine sehr wirkliche Redensart für einen
solchen Menschen wie Alexander, daß er nicht sagte: Dahin geht der
Zug, nach Nordwesten -, sondern: Dahin geht der Zug, wo das
Element des Wassers die Oberherrschaft führt. - In der Zwischenzone
zwischen feucht und warm liegt das Element, wo die Luft die
Oberherrschaft führt. So war es in den alten [[Chtonische Mysterien|griechisch-chthonischen
Mysterien]] gelehrt, so war es in den alten [[Samothrakische Mysterien|samothrakischen Mysterien]]
gelehrt, so war es von Aristoteles seinem unmittelbaren Schüler
gelehrt. Und in der Zwischenzone zwischen kalt und trocken, also
gegen Sibirien zu von Makedonien aus, wurde die Region der Erde
erlebt, wo die Erde selbst, das Irdische die Oberherrschaft führte,
das Element Erde, das Feste. In der Zwischenzone zwischen warm
und trocken, also gegen Indien hin, wurde jene Region der Erde
erlebt, wo vorherrschte das Feuerelement. Und so war es, daß der
Schüler des Aristoteles nach Nordwesten zeigte und sagte: Da empfinde
ich herwirkend auf der Erde die Wassergeister. - Daß er nach
Südwesten zeigte und sagte: Da her empfinde ich die Luftgeister. -
Daß er nach Nordosten zeigte, und da die Geister der Erde vorzugsweise
heranschweben sah. Daß er nach Südosten zeigte, gegen
Indien zu, und die Geister des Feuers heranschweben oder in ihrem
Elemente sah.


Und Sie empfinden jene tiefe Verwandtschaft gegenüber dem
Daher sagt er auch im Band I des ''Kapital'':
Natürlichen und gegenüber dem Moralischen, wenn ich jetzt am
Schlusse sage, es entstand in Alexander die Redensart: Ich muß aus
dem kaltfeuchten Elemente heraus mich ins Feuer stürzen, den Zug
nach Indien unternehmen! - Das war eine Redensart, die ebenso an
Natürliches anknüpfte, wie sie anknüpfte an Moralisches, wovon wir
dann morgen sprechen wollen. Aber ich wollte Sie hineinführen
anschaulich in dasjenige, was da lebte. Denn in dem, was da verhandelt
wurde zwischen Alexander und Aristoteles, sehen Sie zu
gleicher Zeit sich spiegeln den ganzen Umschwung in der weltgeschichtlichen
Entwickelung. Man konnte noch im intimen Unterricht
in der damaligen Zeit sprechen von den großen Mysterien der
vergangenen Zeit. Dann nahm die Menschheit nur mehr das Logische,
das Abstrakte, die Kategorien auf, während sie das andere
zurückstieß. Daher deuten wir damit zugleich auf einen ungeheuren
Umschwung in der weltgeschichtlichen Entwickelung der Menschheit,
auf einen allerwichtigsten Punkt in dem ganzen Hergang der
europäischen Zivilisation in ihrem Zusammenhange mit dem Orient.|233|78ff}}


{{Panorama|MakedonischesReich.jpg|1100|Der Feldzug [[Alexander der Große|Alexanders des Großen]] von Frühjahr 334 bis März 324 v. Chr.}}
: „… es ist der letzte Endzweck dieses Werkes, das ökonomische Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft zu enthüllen.“<ref>a. a. O., S. 15f., Text redigiert.</ref>
 
Dabei ging es ihm um einen
 
: „… wissenschaftlichen Versuch zur Revolutionierung einer Wissenschaft.“<ref>Karl Marx: „Zur Kritik der politischen Ökonomie.“ (MEW 13), S. 21.</ref>
 
Seine grundsätzliche Methode bezeichnete er in der ''Einleitung zur Kritik der politischen Ökonomie'' als von den einzelnen Bestimmungen der Ökonomie (wie Ware, Tauschwert usw.) zu den komplexen Zusammenhängen aufsteigend:
 
: „Die Ökonomen des 17. Jahrhunderts z. B. fangen immer mit dem lebendigen Ganzen, der Bevölkerung, der Nation, Staat, mehreren Staaten etc. an; sie enden aber immer damit, daß sie durch Analyse einige bestimmende abstrakte, allgemeine Beziehungen, wie Teilung der Arbeit, Geld, Wert etc. herausfinden. Sobald diese einzelnen Momente mehr oder weniger festgestellt und abstrahiert waren, begannen die ökonomischen Systeme, die von den einfachen <''Momenten''>, wie Arbeit, Teilung der Arbeit, Bedürfnis, Tauschwert, aufsteigen bis zum Staat, Austausch der Nationen und Weltmarkt. Das letztere ist offenbar die wissenschaftlich richtige Methode.“<ref>Karl Marx: ''Einleitung zur Kritik der politischen Ökonomie.'' (MEW 13) S. 632, Text redigiert und in spitzen Klammern Einfügung.</ref>
 
[[Datei:Marx - Theorien über den Mehrwert, 1956 - 5708926.tif|mini|''Theorien über den Mehrwert'', 1956]]
 
Diese Konzeption der Darstellung lag auch dem ursprünglichen Plan für sein ökonomisches Werk zugrunde, das mit der „Kritik der politischen Ökonomie“ beginnen und in sechs Teilen die Themen „Kapital, Grundeigentum, Lohnarbeit, Staat, auswärtiger Handel, Weltmarkt“ umfassen sollte,<ref>siehe Karl Marx ''„[[Zur Kritik der politischen Ökonomie]]“'' (MEW 13), S. 7.</ref> wobei er den ersten Band des ''Kapital'' anfänglich noch als Fortsetzung seiner Schrift ''„[[Zur Kritik der politischen Ökonomie]]“'' ansah. Später änderte er dieses Konzept seines Werkes zugunsten der jetzigen vierbändigen Darstellung des ''Kapital'' ab (Produktionsprozess des Kapital im Band I, Zirkulationsprozess des Kapitals in Band II, Gesamtprozess des Kapitals im Band III und Theoriegeschichte in den „[[Theorien über den Mehrwert]]“ als Band IV des ''Kapital''), behielt aber die Methode bei. Die historischen Darstellungen dienten ihm dabei zur Illustration, so wie er bereits in der ''Einleitung zur Kritik der politischen Ökonomie'' geschrieben hatte, dass das Abstrakte zum Konkreten entwickelt werden muss.
 
Dieser [[Dialektik bei Marx und Engels#Dialektik als die Methode des Aufsteigens vom Abstrakten zum Konkreten|Aufstieg vom Abstrakten zum Konkreten]] resultiert aus der dialektischen Darstellungsmethode [[Georg Wilhelm Friedrich Hegel|Hegels]]. Dessen Kategorienlehre übertrug Marx auf die Ökonomie, in der es um ökonomische [[Kategorie (Philosophie)|Kategorien]], d. h. ökonomische ''Formen'', gehe, wie es [[Helmut Reichelt]] in einem bekannten Zitat formulierte:
 
: „[W]as – so könnte man den Marxschen Ansatz in Form einer Frage zusammenfassen – verbirgt sich in den Kategorien selbst; was ist der eigentümliche Gehalt der ökonomischen Formbestimmtheiten, also der Waren''form'', der Geld''form'', der Kapital''form'', der ''Form'' des Profits, des Zinses usw.? Während die bürgerliche politische Ökonomie generell dadurch charakterisiert ist, daß sie die Kategorien äußerlich aufgreift, besteht Marx auf einer strengen Ableitung der Genesis dieser Formen – eine Programmatik, die unmittelbar an Hegels Kritik der Kantischen Transzendentalphilosophie erinnert.“<ref>Helmut Reichelt, zitiert in: Ken Kubota: ''Die dialektische Darstellung des allgemeinen Begriffs des Kapitals im Lichte der Philosophie [[Georg Wilhelm Friedrich Hegel|Hegels]]. Zur logischen Analyse der politischen Ökonomie unter besonderer Berücksichtigung [[Theodor W. Adorno|Adornos]] und der Forschungsergebnisse von [[Isaak Iljitsch Rubin|Rubin]], [[Hans-Georg Backhaus|Backhaus]], [[Helmut Reichelt|Reichelt]], [[Kōzō Uno|Uno]] und [[Thomas T. Sekine|Sekine]].'' In: ''Beiträge zur Marx-Engels-Forschung''. Neue Folge 2009, S. 199–224, hier S. 199.</ref>
 
=== Die Neuerungen gegenüber der klassischen Ökonomie ===
1.) In seinem Brief an Engels vom 8. Januar 1868 bezeichnet Marx als erstes der „drei grundneuen Elemente des Buches“ [= des 1. Bandes des „[[Das Kapital|Kapital]]“], dass alle frühere Ökonomie die Teile, in die sich der Mehrwert als „Profit“, „Rente“ und „Zins“ teilt, als gegeben betrachtet hat, während sie von ihm erst in der allgemeinen Form des Mehrwerts behandelt wurden.<ref name="ReferenceA">''Marx Engels Briefwechsel.'' Band IV, S. 9.</ref>
 
2.) In seiner Schrift „Zur Kritik der politischen Ökonomie“ schrieb Marx bereits 1859:
 
: „Die Analyse der Ware auf Arbeit in Doppelform:
:* des Gebrauchswertes auf reale Arbeit oder zweckmäßig produktive Tätigkeit,
:* des Tauschwertes auf Arbeitszeit oder gleiche gesellschaftliche Arbeit,
: ist das Endergebnis der Kritik<ref>Bei Marx: „das kritische Endergebnis“</ref> der mehr als anderthalbhundertjährigen Forschungen der klassischen politischen Ökonomie, die in England mit William Petty, in Frankreich mit Boisgilbert beginnt, in England mit Ricardo, in Frankreich mit Sismondi abschließt.“<ref>Karl Marx: ''Zur Kritik der politischen Ökonomie.'' (MEW 13) S. 37, Text redigiert.</ref>
 
Und in Band 1 des „Kapital“ führt er 1867 weiter aus:
 
: „Diese zwieschlächtige Natur der in der Ware enthaltenen Arbeit ist zuerst von mir kritisch nachgewiesen worden.“<ref>Karl Marx: ''[[Das Kapital]].'' Band I (MEW 23), S. 56.</ref>
 
Diese Unterscheidung wird auch in seinem bereits angeführten Brief an Engels vom 8. Januar 1868 als zweites der „drei grundneuen Elemente“ des [[Das Kapital|Kapital]] bezeichnet.<ref name="ReferenceA" /> Er betrachtete dies also als eine wesentliche Neuerung gegenüber der klassischen politischen Ökonomie, die er sich selbst zurechnete. Auf der Grundlage dieser Unterscheidung formte Marx die von der klassischen politischen Ökonomie übernommenen Kategorien um und betrachtete sie jeweils getrennt unter ihrer Wert- und ihrer Stoffseite. Hierin liegt nach Henryk Grossmann Marx’ eigene Neuerung gegenüber seinen Vorgängern.<ref>Henryk Grossmann: ''Marx, die klassische Nationalökonomie und das Problem der Dynamik.'' S. 22ff.</ref>
 
3.) Als dritte der drei Neuerungen gegenüber der klassischen Ökonomie gibt Marx in dem genannten Brief an Engels vom 8. Januar 1868 an, „zum erstenmal“ an den „beiden Formen des Arbeitslohns: Zeitlohn und Stücklohn“ den Arbeitslohn als eine „irrationale Erscheinungsform eines dahinter versteckten Verhältnisses“ dargestellt zu haben.<ref name="ReferenceA" />
 
4.) Im Unterschied zur klassischen Ökonomie unterscheidet Marx die Begriffe Arbeit und [[Wikipedia:Arbeitskraft|Arbeitskraft]]. Die Arbeit hat keinen Wert oder Preis, sondern die Arbeiter verkaufen an die Kapitalisten ihre Arbeitskraft als eine Ware, deren Wert durch die [[Wikipedia:Arbeitswertlehre|Arbeitswertlehre]] bestimmt wird.<ref>Vgl. Kapital Band I, 2. Abschnitt, 4. Kapitel.</ref><ref name="MH">Vgl. z.B. Michael Heinrich: Die Wissenschaft vom Wert. 3. Auflage. 2003, Münster, S. 258.</ref> Der Kapitalist setzt die von ihm gekaufte Arbeitskraft im Produktionsprozess ein, und zwar nicht nur solange, bis der Wert der Arbeitskraft erstattet ist, sondern länger, so dass ihm ein [[Wikipedia:Mehrwert (Marxismus)|Mehrwert]] entsteht.
 
5.) Eine weder von Marx noch von Engels besonders hervorgehobene, aber auf Marx zurückgehende Neuerung besteht in seiner Erkenntnis im Band I des „Kapital“, dass kapitalistische Gesellschaften zu großen Teilen von einem [[Wikipedia:Warenfetisch|Warenfetisch]] bestimmt werden.<ref>Siehe Karl Marx: ''Das Kapital.'' Band I (MEW 23), S. 86f.:
: „Dies nenne ich“ (!) „den Fetischismus, der den Arbeitsprodukten anklebt …“</ref> [[Wikipedia:Analogie (Philosophie)|Analog]] zur [[Wikipedia:Projektionstheorie|Projektionstheorie]] ist damit der Umstand gemeint, dass gesellschaftliche Produktionsverhältnisse als stoffliche Eigenschaften der Arbeitsgegenstände und daher historische und durch gesellschaftliche Umstände geschaffene Kategorien wie Ware und [[Wikipedia:Tauschwert|(Tausch-) Wert]] als natürliche und unabänderliche Tatsachen erscheinen.
 
6.) Nach Marx gebe es bei den Ökonomen die Tendenz, die herrschenden Produktionsverhältnisse als natürliche Gesetze aufzufassen und darzustellen, dem entgegnet er mit der Theorie, dass die ökonomischen Kategorien der Analyse nur theoretische, abstrakte Ausdrücke der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse darstellen und daher ebenso wenig ewig seien wie die Produktionsverhältnisse selbst, sie sind „historische, vergängliche, vorübergehende Produkte.“<ref>Marx: ''Elend der Philosophie.'' MEW 4: 130; vgl. auch Marx: ''Das Kapital.'' MEW 23: 95 f., speziell auch Fußnote 33.</ref>
 
7.) Im Band I des „Kapital“ nimmt Marx die Bildung der „Kategorien: variables und konstantes Kapital“ ausdrücklich für sich in Anspruch. Sie waren zwar schon vorher von der klassischen Ökonomie inhaltlich beschrieben, aber nicht benannt und mit den von Adam Smith gebildeten Kategorien „fixes“ und „zirkulierendes Kapital“ durcheinandergebracht worden.<ref>Karl Marx: ''Das Kapital.'' Band I (MEW 23), S. 638, Fußnote 67.</ref>
 
8.) In seinem Nachwort zur zweiten Auflage von Band I des „Kapital“ weist Marx noch darauf hin, dass der Professor der politischen Ökonomie an der Universität Kiew, N. Sieber, 1871 in seiner Schrift „D. Ricardos Theorie des Werts und des Kapitals etc.“ ihm für seine „Theorie des Wertes, des Geldes und des Kapitals“ bescheinigte und „nachgewiesen“ habe, „in ihren Grundzügen“ eine „notwendige Fortbildung der Smith-Ricardoschen Lehre“ zu sein.<ref>A. a. O., S. 22, Text redigiert.</ref>
 
9.) In Band III des „Kapital“ führt Marx dann an, dass es „aller bisherigen Ökonomie“ nicht gelungen sei, das Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate „zu entdecken“,<ref>Karl Marx: ''Das Kapital.'' Band III (MEW 25), S. 233.</ref> beziehungsweise dass sie es „nicht zu erklären wusste“.<ref>A. a. O., S. 233.</ref> Es handelt sich also ebenfalls um eine Neuerung von Marx gegenüber der klassischen Ökonomie, die er für sich in Anspruch nahm.
 
10.) Friedrich Engels führt in „Ergänzung und Nachtrag zum III.Buche des Kapital“ 1895 Conrad Schmidt an, der in einem Artikel über den 3.Band des „Kapital“ in Nr.22 von „Sozialpolitisches Centralblatt“ vom 25. Februar 1895 den Nachweis führte, dass die
: „… Marxsche Ableitung des Durchschnittsprofits vom Mehrwert zum ersten Mal eine Antwort auf die von der bisherigen Ökonomie nicht einmal aufgeworfene Frage gibt, wie denn die Höhe dieser Durchschnittsprofitrate bestimmt werde<ref>vergleiche dazu Marx’ Angabe in ''Das Kapital'' Band III (MEW 25), S. 224.</ref> und wie es komme, dass sie sage<''n wir''> 10 oder 15 Prozent und nicht 50 oder 100 Prozent <''gross''> ist.“<ref>A. a. O., S. 904, Text redigiert, in spitzen Klammern Einfügung.</ref>
 
11.) Zu den Neuerungen von Marx gehört schließlich auch die Kritik der Ricardo’schen Grundrententheorie im Band III des „Kapital“ und ihre Weiterentwicklung. Lenin weist in seiner etwa 1913 geschriebenen Arbeit „Karl Marx (Kurzer biographischer Abriss mit einer Darlegung des Marxismus)“ darauf hin, dass Marx „restlos den Irrtum Ricardos“ aufgedeckt habe, die Differentialrente setze eine allmähliche Bodenverschlechterung voraus.<ref>Lenin: ''Karl Marx (Kurzer biographischer Abriss mit einer Darlegung des Marxismus).'' LW 21, S. 56f.</ref> In diesem Zusammenhang entwickelte Marx seine Darstellung der absoluten Rente als Folge des Monopols des Bodeneigentums.


== Siehe auch ==
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Marxistische Wirtschaftstheorie}}


* {{WikipediaDE|Weltgegenden}}
== Literatur ==
=== Klassische Darstellungen ===
 
* Karl Marx: ''Das Kapital''. Band I – III (MEW 23–25), Dietz Verlag, Berlin 1975.
* Karl Marx: ''Theorien über den Mehrwert''. Band I–III (MEW 26.1–26.3), Dietz Verlag Berlin 1965.
 
=== Weiterführung und Vertiefung ===
* Hans-Georg Backhaus: ''Dialektik der Wertform. Untersuchungen zur Marxschen Ökonomiekritik'', Freiburg i. Br. 1997.
* Henryk Grossmann: ''Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz des kapitalistischen Systems''. Verlag Neue Kritik, Frankfurt 1967.
* Henryk Grossmann: ''Aufsätze zur Krisentheorie''. Verlag Neue Kritik, Frankfurt 1971.
* Henryk Grossmann: ''Marx, die klassische Nationalökonomie und das Problem der Dynamik''. Europäische Verlagsanstalt Frankfurt, Europa Verlag, Wien 1969.
* Michael Heinrich: ''Kritik der politischen Ökonomie : eine Einführung''. Schmetterling Verlag, Stuttgart, 2004.
* Rosa Luxemburg: ''Die Akkumulation des Kapitals''. (Gesammelte Werke V) Dietz Verlag, Berlin 1975.
* Rosa Luxemburg: ''Die Akkumulation des Kapitals oder was die Epigonen aus der Marxschen Theorie gemacht haben. Eine Antikritik''. (Gesammelte Werke V) Dietz Verlag, Berlin 1975.
* Ernest Mandel: Der Spätkapitalismus. Versuch einer marxistischen Erklärung, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1967
* Ernest Mandel: ''Marxistische Wirtschaftstheorie.'' Suhrkamp, Frankfurt am Main 1967.
* Helmut Reichelt: ''Zur logischen Struktur des Kapitalbegriffs bei Karl Marx.'' Freiburg i. Br. 2001. Ursprünglich erschienen 1970 in Frankfurt am Main und Wien mit einem Vorwort von Iring Fetscher, zugl. Diss. Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main.
* {{Literatur
|Autor = Roman Rosdolsky
|Titel = Zur Entstehungsgeschichte des Marxschen ‚Kapital‘. Der Rohentwurf des Kapital 1857–1858
|Verlag = Europäische Verlagsanstalt (EVA)/Europa Verlag
|Ort = Frankfurt am Main/Wien
|Jahr = 1968
|Kommentar = Posthum veröffentlicht. Band 1, ISBN 3-434-45003-3; Band 2, ISBN 3-434-45004-1; Band 3, ISBN 3-434-45041-6.
}}
* Thomas T. Sekine: ''The Dialectic of Capital. A Study of the Inner Logic of Capitalism.'' 2 Bände, Tokio 1986.
* Dieter Wolf: [http://www.dieterwolf.net/pdf/DialekWid(Teil2x,223).pdf Auswahl aus: ''Der dialektische Widerspruch im Kapital.''] (PDF; 478&nbsp;kB) ''Der dialektische Widerspruch im Kapital. Ein Beitrag zur Marxschen Werttheorie.'' Hamburg 2002, ISBN 3-87975-889-1.
* Ansgar Knolle-Grothusen, Stephan Krüger, Dieter Wolf: ''Geldware, Geld und Währung. Grundlagen zur Lösung des Problems der Geldware.'' Hamburg 2009, ISBN 978-3-88619-345-5.


== Literatur ==
=== Sonstiges ===
#Rudolf Steiner: ''Die Weltgeschichte in anthroposophischer Beleuchtung und als Grundlage der Erkenntnis des Menschengeistes'', [[GA 233]] (1991), ISBN 3-7274-2331-5 {{Vorträge|233}}
 
* ''Politische Ökonomie Kapitalismus Sozialismus''. Dietz Verlag Berlin 1977.
* Platon: ''Der Staat''. (Werke Band III) Akademie Verlag, Berlin 1987.
* ''Karl Marx und Friedrich Engels: Briefwechsel''. Band II + IV, Dietz Verlag, Berlin 1950.
* Karl Marx, Friedrich Engels: ''Manifest der kommunistischen Partei''. (MEW 4) Dietz Verlag, Berlin.
* Lenin: ''Offener Brief an Boris Souvarine''. (LW 23) Dietz Verlag, Berlin 1972.
* Fred Moseley (Hrsg.): ''Marx’s Method in ''Capital'' – A Reexamination.'' Humanities Press, New Jersey 1993.


{{GA}}
== Weblinks ==
* [http://marxmyths.org/chris-arthur/article2.htm The Myth of ‚Simple Commodity Production‘], Christopher J. Arthur, 2005.
* [http://www.trend.infopartisan.net/litlisten/poloek/index.html Linksammlung von Überblickstexten zur Kritik der Politischen Ökonomie]


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<references />


<references />
[[Kategorie:Wirtschaftswissenschaft]]
[[Kategorie:Wirtschaftstheorie]]


[[Kategorie:Erde]] [[Kategorie:Geographie]] [[Kategorie:Mysterien]]
{{Wikipedia}}

Version vom 10. September 2017, 22:20 Uhr

Die marxistische Wirtschaftstheorie – die politische Ökonomie auf der Grundlage von Das Kapital von Karl Marx – bildet sowohl ihrem Umfang als auch ihrem Inhalt nach den Hauptteil der marxistischen Gesellschaftstheorie (Historischer Materialismus). Sie untersucht die ökonomische Funktionsweise der „bürgerlichen“, „kapitalistischen“ Gesellschaft gemäß der Ansicht von der historischen Begrenztheit einer jeden Gesellschaftsformation. Diese werden seiner Meinung nach wesentlich durch die Entwicklung der Produktivkräfte vorangetrieben und durch spezifische Produktionsverhältnisse gekennzeichnet. Im Besonderen setzt sich Marx mit den theoretischen Ansätzen der klassischen Nationalökonomie auseinander, insbesondere mit Adam Smith und David Ricardo. Von diesen unterscheidet er die „Vulgärökonomie“, die er im Gegensatz dazu wegen deren oberflächlichen Anschauungen vom Wirtschaften und der Apologetik der bestehenden Verhältnisse grundsätzlich ablehnt. Die marxistische Wirtschaftstheorie selbst weist, wie jede groß-angelegte ökonomische Theorie, noch viele ungeklärte Fragen und umstrittene Punkte auf.

„Kritik der politischen Ökonomie“

Der erste Band der Trilogie Das Kapital
Manuskriptseite des Kapitals

Ziel, Methode und Konzept des Kapital

Schon mit dem Titel „Das Kapital“ bringt Karl Marx deutlich zum Ausdruck, was seit der Quesnayschen Revolution in der ökonomischen Theorie deren zentrale Kategorie darstellt: das Kapital.[1] Marx integriert in seine theoriegeleitete Darstellung zwar auch die geschichtliche Dimension, so etwa die „ursprüngliche Akkumulation“ oder das Arbeitsrecht in England im 19. Jahrhundert und die Problemgeschichte der ökonomischen Theorien. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, das Kapital sei „wesentlich ein historisches Werk“.[2] Denn Marx sieht dessen Schwerpunkt in der Analyse und theoretischen Darstellung der Bewegungsgesetze der kapitalistischen Wirtschaft:

„Was ich in diesem Werk zu erforschen habe, ist die kapitalistische Produktionsweise und die ihr entsprechenden Produktions- und Verkehrsverhältnisse. (…) An und für sich handelt es sich nicht um den höheren oder niederen Entwicklungsgrad der gesellschaftlichen Antagonismen“ [= Gegensätze], „welche aus den Naturgesetzen der kapitalistischen Produktion entspringen. Es handelt sich um diese <Natur-> Gesetze selbst.“[3]

Daher sagt er auch im Band I des Kapital:

„… es ist der letzte Endzweck dieses Werkes, das ökonomische Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft zu enthüllen.“[4]

Dabei ging es ihm um einen

„… wissenschaftlichen Versuch zur Revolutionierung einer Wissenschaft.“[5]

Seine grundsätzliche Methode bezeichnete er in der Einleitung zur Kritik der politischen Ökonomie als von den einzelnen Bestimmungen der Ökonomie (wie Ware, Tauschwert usw.) zu den komplexen Zusammenhängen aufsteigend:

„Die Ökonomen des 17. Jahrhunderts z. B. fangen immer mit dem lebendigen Ganzen, der Bevölkerung, der Nation, Staat, mehreren Staaten etc. an; sie enden aber immer damit, daß sie durch Analyse einige bestimmende abstrakte, allgemeine Beziehungen, wie Teilung der Arbeit, Geld, Wert etc. herausfinden. Sobald diese einzelnen Momente mehr oder weniger festgestellt und abstrahiert waren, begannen die ökonomischen Systeme, die von den einfachen <Momenten>, wie Arbeit, Teilung der Arbeit, Bedürfnis, Tauschwert, aufsteigen bis zum Staat, Austausch der Nationen und Weltmarkt. Das letztere ist offenbar die wissenschaftlich richtige Methode.“[6]
Theorien über den Mehrwert, 1956

Diese Konzeption der Darstellung lag auch dem ursprünglichen Plan für sein ökonomisches Werk zugrunde, das mit der „Kritik der politischen Ökonomie“ beginnen und in sechs Teilen die Themen „Kapital, Grundeigentum, Lohnarbeit, Staat, auswärtiger Handel, Weltmarkt“ umfassen sollte,[7] wobei er den ersten Band des Kapital anfänglich noch als Fortsetzung seiner Schrift Zur Kritik der politischen Ökonomie ansah. Später änderte er dieses Konzept seines Werkes zugunsten der jetzigen vierbändigen Darstellung des Kapital ab (Produktionsprozess des Kapital im Band I, Zirkulationsprozess des Kapitals in Band II, Gesamtprozess des Kapitals im Band III und Theoriegeschichte in den „Theorien über den Mehrwert“ als Band IV des Kapital), behielt aber die Methode bei. Die historischen Darstellungen dienten ihm dabei zur Illustration, so wie er bereits in der Einleitung zur Kritik der politischen Ökonomie geschrieben hatte, dass das Abstrakte zum Konkreten entwickelt werden muss.

Dieser Aufstieg vom Abstrakten zum Konkreten resultiert aus der dialektischen Darstellungsmethode Hegels. Dessen Kategorienlehre übertrug Marx auf die Ökonomie, in der es um ökonomische Kategorien, d. h. ökonomische Formen, gehe, wie es Helmut Reichelt in einem bekannten Zitat formulierte:

„[W]as – so könnte man den Marxschen Ansatz in Form einer Frage zusammenfassen – verbirgt sich in den Kategorien selbst; was ist der eigentümliche Gehalt der ökonomischen Formbestimmtheiten, also der Warenform, der Geldform, der Kapitalform, der Form des Profits, des Zinses usw.? Während die bürgerliche politische Ökonomie generell dadurch charakterisiert ist, daß sie die Kategorien äußerlich aufgreift, besteht Marx auf einer strengen Ableitung der Genesis dieser Formen – eine Programmatik, die unmittelbar an Hegels Kritik der Kantischen Transzendentalphilosophie erinnert.“[8]

Die Neuerungen gegenüber der klassischen Ökonomie

1.) In seinem Brief an Engels vom 8. Januar 1868 bezeichnet Marx als erstes der „drei grundneuen Elemente des Buches“ [= des 1. Bandes des „Kapital“], dass alle frühere Ökonomie die Teile, in die sich der Mehrwert als „Profit“, „Rente“ und „Zins“ teilt, als gegeben betrachtet hat, während sie von ihm erst in der allgemeinen Form des Mehrwerts behandelt wurden.[9]

2.) In seiner Schrift „Zur Kritik der politischen Ökonomie“ schrieb Marx bereits 1859:

„Die Analyse der Ware auf Arbeit in Doppelform:
  • des Gebrauchswertes auf reale Arbeit oder zweckmäßig produktive Tätigkeit,
  • des Tauschwertes auf Arbeitszeit oder gleiche gesellschaftliche Arbeit,
ist das Endergebnis der Kritik[10] der mehr als anderthalbhundertjährigen Forschungen der klassischen politischen Ökonomie, die in England mit William Petty, in Frankreich mit Boisgilbert beginnt, in England mit Ricardo, in Frankreich mit Sismondi abschließt.“[11]

Und in Band 1 des „Kapital“ führt er 1867 weiter aus:

„Diese zwieschlächtige Natur der in der Ware enthaltenen Arbeit ist zuerst von mir kritisch nachgewiesen worden.“[12]

Diese Unterscheidung wird auch in seinem bereits angeführten Brief an Engels vom 8. Januar 1868 als zweites der „drei grundneuen Elemente“ des Kapital bezeichnet.[9] Er betrachtete dies also als eine wesentliche Neuerung gegenüber der klassischen politischen Ökonomie, die er sich selbst zurechnete. Auf der Grundlage dieser Unterscheidung formte Marx die von der klassischen politischen Ökonomie übernommenen Kategorien um und betrachtete sie jeweils getrennt unter ihrer Wert- und ihrer Stoffseite. Hierin liegt nach Henryk Grossmann Marx’ eigene Neuerung gegenüber seinen Vorgängern.[13]

3.) Als dritte der drei Neuerungen gegenüber der klassischen Ökonomie gibt Marx in dem genannten Brief an Engels vom 8. Januar 1868 an, „zum erstenmal“ an den „beiden Formen des Arbeitslohns: Zeitlohn und Stücklohn“ den Arbeitslohn als eine „irrationale Erscheinungsform eines dahinter versteckten Verhältnisses“ dargestellt zu haben.[9]

4.) Im Unterschied zur klassischen Ökonomie unterscheidet Marx die Begriffe Arbeit und Arbeitskraft. Die Arbeit hat keinen Wert oder Preis, sondern die Arbeiter verkaufen an die Kapitalisten ihre Arbeitskraft als eine Ware, deren Wert durch die Arbeitswertlehre bestimmt wird.[14][15] Der Kapitalist setzt die von ihm gekaufte Arbeitskraft im Produktionsprozess ein, und zwar nicht nur solange, bis der Wert der Arbeitskraft erstattet ist, sondern länger, so dass ihm ein Mehrwert entsteht.

5.) Eine weder von Marx noch von Engels besonders hervorgehobene, aber auf Marx zurückgehende Neuerung besteht in seiner Erkenntnis im Band I des „Kapital“, dass kapitalistische Gesellschaften zu großen Teilen von einem Warenfetisch bestimmt werden.[16] Analog zur Projektionstheorie ist damit der Umstand gemeint, dass gesellschaftliche Produktionsverhältnisse als stoffliche Eigenschaften der Arbeitsgegenstände und daher historische und durch gesellschaftliche Umstände geschaffene Kategorien wie Ware und (Tausch-) Wert als natürliche und unabänderliche Tatsachen erscheinen.

6.) Nach Marx gebe es bei den Ökonomen die Tendenz, die herrschenden Produktionsverhältnisse als natürliche Gesetze aufzufassen und darzustellen, dem entgegnet er mit der Theorie, dass die ökonomischen Kategorien der Analyse nur theoretische, abstrakte Ausdrücke der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse darstellen und daher ebenso wenig ewig seien wie die Produktionsverhältnisse selbst, sie sind „historische, vergängliche, vorübergehende Produkte.“[17]

7.) Im Band I des „Kapital“ nimmt Marx die Bildung der „Kategorien: variables und konstantes Kapital“ ausdrücklich für sich in Anspruch. Sie waren zwar schon vorher von der klassischen Ökonomie inhaltlich beschrieben, aber nicht benannt und mit den von Adam Smith gebildeten Kategorien „fixes“ und „zirkulierendes Kapital“ durcheinandergebracht worden.[18]

8.) In seinem Nachwort zur zweiten Auflage von Band I des „Kapital“ weist Marx noch darauf hin, dass der Professor der politischen Ökonomie an der Universität Kiew, N. Sieber, 1871 in seiner Schrift „D. Ricardos Theorie des Werts und des Kapitals etc.“ ihm für seine „Theorie des Wertes, des Geldes und des Kapitals“ bescheinigte und „nachgewiesen“ habe, „in ihren Grundzügen“ eine „notwendige Fortbildung der Smith-Ricardoschen Lehre“ zu sein.[19]

9.) In Band III des „Kapital“ führt Marx dann an, dass es „aller bisherigen Ökonomie“ nicht gelungen sei, das Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate „zu entdecken“,[20] beziehungsweise dass sie es „nicht zu erklären wusste“.[21] Es handelt sich also ebenfalls um eine Neuerung von Marx gegenüber der klassischen Ökonomie, die er für sich in Anspruch nahm.

10.) Friedrich Engels führt in „Ergänzung und Nachtrag zum III.Buche des Kapital“ 1895 Conrad Schmidt an, der in einem Artikel über den 3.Band des „Kapital“ in Nr.22 von „Sozialpolitisches Centralblatt“ vom 25. Februar 1895 den Nachweis führte, dass die

„… Marxsche Ableitung des Durchschnittsprofits vom Mehrwert zum ersten Mal eine Antwort auf die von der bisherigen Ökonomie nicht einmal aufgeworfene Frage gibt, wie denn die Höhe dieser Durchschnittsprofitrate bestimmt werde[22] und wie es komme, dass sie sage<n wir> 10 oder 15 Prozent und nicht 50 oder 100 Prozent <gross> ist.“[23]

11.) Zu den Neuerungen von Marx gehört schließlich auch die Kritik der Ricardo’schen Grundrententheorie im Band III des „Kapital“ und ihre Weiterentwicklung. Lenin weist in seiner etwa 1913 geschriebenen Arbeit „Karl Marx (Kurzer biographischer Abriss mit einer Darlegung des Marxismus)“ darauf hin, dass Marx „restlos den Irrtum Ricardos“ aufgedeckt habe, die Differentialrente setze eine allmähliche Bodenverschlechterung voraus.[24] In diesem Zusammenhang entwickelte Marx seine Darstellung der absoluten Rente als Folge des Monopols des Bodeneigentums.

Siehe auch

Literatur

Klassische Darstellungen

  • Karl Marx: Das Kapital. Band I – III (MEW 23–25), Dietz Verlag, Berlin 1975.
  • Karl Marx: Theorien über den Mehrwert. Band I–III (MEW 26.1–26.3), Dietz Verlag Berlin 1965.

Weiterführung und Vertiefung

  • Hans-Georg Backhaus: Dialektik der Wertform. Untersuchungen zur Marxschen Ökonomiekritik, Freiburg i. Br. 1997.
  • Henryk Grossmann: Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz des kapitalistischen Systems. Verlag Neue Kritik, Frankfurt 1967.
  • Henryk Grossmann: Aufsätze zur Krisentheorie. Verlag Neue Kritik, Frankfurt 1971.
  • Henryk Grossmann: Marx, die klassische Nationalökonomie und das Problem der Dynamik. Europäische Verlagsanstalt Frankfurt, Europa Verlag, Wien 1969.
  • Michael Heinrich: Kritik der politischen Ökonomie : eine Einführung. Schmetterling Verlag, Stuttgart, 2004.
  • Rosa Luxemburg: Die Akkumulation des Kapitals. (Gesammelte Werke V) Dietz Verlag, Berlin 1975.
  • Rosa Luxemburg: Die Akkumulation des Kapitals oder was die Epigonen aus der Marxschen Theorie gemacht haben. Eine Antikritik. (Gesammelte Werke V) Dietz Verlag, Berlin 1975.
  • Ernest Mandel: Der Spätkapitalismus. Versuch einer marxistischen Erklärung, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1967
  • Ernest Mandel: Marxistische Wirtschaftstheorie. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1967.
  • Helmut Reichelt: Zur logischen Struktur des Kapitalbegriffs bei Karl Marx. Freiburg i. Br. 2001. Ursprünglich erschienen 1970 in Frankfurt am Main und Wien mit einem Vorwort von Iring Fetscher, zugl. Diss. Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main.
  •  Roman Rosdolsky: Zur Entstehungsgeschichte des Marxschen ‚Kapital‘. Der Rohentwurf des Kapital 1857–1858. Europäische Verlagsanstalt (EVA)/Europa Verlag, Frankfurt am Main/Wien 1968 (Posthum veröffentlicht. Band 1, ISBN 3-434-45003-3; Band 2, ISBN 3-434-45004-1; Band 3, ISBN 3-434-45041-6.).
  • Thomas T. Sekine: The Dialectic of Capital. A Study of the Inner Logic of Capitalism. 2 Bände, Tokio 1986.
  • Dieter Wolf: Auswahl aus: Der dialektische Widerspruch im Kapital. (PDF; 478 kB) Der dialektische Widerspruch im Kapital. Ein Beitrag zur Marxschen Werttheorie. Hamburg 2002, ISBN 3-87975-889-1.
  • Ansgar Knolle-Grothusen, Stephan Krüger, Dieter Wolf: Geldware, Geld und Währung. Grundlagen zur Lösung des Problems der Geldware. Hamburg 2009, ISBN 978-3-88619-345-5.

Sonstiges

  • Politische Ökonomie Kapitalismus Sozialismus. Dietz Verlag Berlin 1977.
  • Platon: Der Staat. (Werke Band III) Akademie Verlag, Berlin 1987.
  • Karl Marx und Friedrich Engels: Briefwechsel. Band II + IV, Dietz Verlag, Berlin 1950.
  • Karl Marx, Friedrich Engels: Manifest der kommunistischen Partei. (MEW 4) Dietz Verlag, Berlin.
  • Lenin: Offener Brief an Boris Souvarine. (LW 23) Dietz Verlag, Berlin 1972.
  • Fred Moseley (Hrsg.): Marx’s Method in Capital – A Reexamination. Humanities Press, New Jersey 1993.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Robert E. Eagly: The Structure of Classical Economic Theory. Oxford University Press, New York London Toronto 1974, S. 3.
  2. Karl Kautsky: Karl Marx’ ökonomische Lehren. 20. Auflage. 1921, S. VIII, zit. nach Henryk Grossman: Aufsätze zur Krisentheorie. S. 13.
  3. Karl Marx: Das Kapital. Band I (MEW 23), S. 12, in spitzen Klammern Einfügung.
  4. a. a. O., S. 15f., Text redigiert.
  5. Karl Marx: „Zur Kritik der politischen Ökonomie.“ (MEW 13), S. 21.
  6. Karl Marx: Einleitung zur Kritik der politischen Ökonomie. (MEW 13) S. 632, Text redigiert und in spitzen Klammern Einfügung.
  7. siehe Karl Marx Zur Kritik der politischen Ökonomie (MEW 13), S. 7.
  8. Helmut Reichelt, zitiert in: Ken Kubota: Die dialektische Darstellung des allgemeinen Begriffs des Kapitals im Lichte der Philosophie Hegels. Zur logischen Analyse der politischen Ökonomie unter besonderer Berücksichtigung Adornos und der Forschungsergebnisse von Rubin, Backhaus, Reichelt, Uno und Sekine. In: Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 2009, S. 199–224, hier S. 199.
  9. 9,0 9,1 9,2 Marx Engels Briefwechsel. Band IV, S. 9.
  10. Bei Marx: „das kritische Endergebnis“
  11. Karl Marx: Zur Kritik der politischen Ökonomie. (MEW 13) S. 37, Text redigiert.
  12. Karl Marx: Das Kapital. Band I (MEW 23), S. 56.
  13. Henryk Grossmann: Marx, die klassische Nationalökonomie und das Problem der Dynamik. S. 22ff.
  14. Vgl. Kapital Band I, 2. Abschnitt, 4. Kapitel.
  15. Vgl. z.B. Michael Heinrich: Die Wissenschaft vom Wert. 3. Auflage. 2003, Münster, S. 258.
  16. Siehe Karl Marx: Das Kapital. Band I (MEW 23), S. 86f.:
    „Dies nenne ich“ (!) „den Fetischismus, der den Arbeitsprodukten anklebt …“
  17. Marx: Elend der Philosophie. MEW 4: 130; vgl. auch Marx: Das Kapital. MEW 23: 95 f., speziell auch Fußnote 33.
  18. Karl Marx: Das Kapital. Band I (MEW 23), S. 638, Fußnote 67.
  19. A. a. O., S. 22, Text redigiert.
  20. Karl Marx: Das Kapital. Band III (MEW 25), S. 233.
  21. A. a. O., S. 233.
  22. vergleiche dazu Marx’ Angabe in Das Kapital Band III (MEW 25), S. 224.
  23. A. a. O., S. 904, Text redigiert, in spitzen Klammern Einfügung.
  24. Lenin: Karl Marx (Kurzer biographischer Abriss mit einer Darlegung des Marxismus). LW 21, S. 56f.


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