Jerzy Grotowski und Georges I. Gurdjieff: Unterschied zwischen den Seiten

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'''Jerzy Marian Grotowski''' (* [[11. November]]<ref>Tadeusz Burzyński und Zbigniew Osiński: ''Das Theater Laboratorium Grotowskis,'' Warschau 1979, Seite 9, und Manfred Brauneck: ''Theater im 20. Jahrhundert,'' Reinbek bei Hamburg 1982, Seite 471</ref> oder [[11. August]]<ref>[http://www.grotowski-institute.art.pl/index.php?option=com_content&task=view&id=42&Itemid=33 Grotowski Institute]; Henning Rischbieter (Hg): ''Theater-Lexikon,'' Zürich und Schwäbisch Hall 1983, Spalte 558; Uwe Steffen: Registerband zu ''Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters,'' München und Zürich 1997, Seite 274; Paul S. Ulrich: ''Biographisches Verzeichnis für Theater, Tanz und Musik,'' Berlin 1997, Band 1, Seite 660 mit weiteren Nachweisen</ref> [[1933]] in [[w:Rzeszów|Rzeszów]], [[w:Polen|Polen]]; †&nbsp;[[14. Januar|14.&nbsp;Januar]] [[1999]] in [[w:Pontedera|Pontedera]], [[w:Italien|Italien]]) war ein [[w:Polen|polnischer]] [[Regisseur]] und Theaterleiter, -methodiker, -theoretiker und -reformer. Er gilt als einer der führenden Vertreter der Theateravantgarde, Mitbegründer der [[w:Theateranthropologie|Theateranthropologie]] und zusammen mit [[w:Henryk Tomaszewski (Schauspieler)|Henryk Tomaszewski]] und [[w:Tadeusz Kantor|Tadeusz Kantor]] als einer der größten Künstler des polnischen Theaters des 20.&nbsp;Jahrhunderts.
 
'''Georges I. Gurdjieff''' ({{ruS|Георгий Иванович Гюрджиев}}, [[w:Transkription (Schreibung)|Transkription]] ''Georgi Iwanowitsch Gjurdschijew,'' wiss. [[w:Transliteration|Transliteration]] ''Georgij Ivanovič Gjurdžiev;'' vermutlich * [[1866]]<ref>[http://www.gurdjieff.org/chronology.htm Chronologie von James Moore auf gurdjieff.org]</ref> in [[w:Gjumri|Alexandropol]], [[w:Russisches Kaiserreich|Russisches Kaiserreich]]; † [[29. Oktober]] [[1949]] in [[Paris]]) war ein [[Griechen|griechisch]]-[[w:Armenien|armenischer]] [[Esoterik]]er, [[Schriftsteller]], [[Choreographie|Choreograph]] und [[Komponist]], der zunächst in [[Russland]] und später in [[Frankreich]] wirkte. Bekannt wurde er als Lehrer des sog. [[Vierter Weg|Vierten Weges]] und Begründer einer weltweiten und verzweigten Anhängerschaft.


== Leben ==
== Leben ==
Bis zum Beginn des [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkriegs]] lebte seine Familie in [[w:Przemyśl|Przemyśl]] und wurde dann getrennt. Seine Mutter zog mit ihm in ein kleines Dorf und sein Vater wurde Offizier der polnischen Armee. Nach der Kapitulation Polens 1939 floh der Vater nach England und wurde Soldat einer polnischen Division innerhalb der britischen Armee.
=== Begegnungen mit bemerkenswerten Menschen ===
 
Gurdjieff kam im griechischen Viertel der zum zaristischen Russland gehörigen Stadt Alexandropol (heute [[w:Gjumri|Gjumri]], Armenien) zur Welt. Die in seinen Pässen aufgeführten Geburtsdaten reichen vom 1. Januar 1864 bis zum 28. Dezember 1877.<ref>James Moore: ''Georg Iwanowitsch Gurdjieff.'' Scherz, 1992, ISBN 3-502-18450-X, S. 351 f. Siehe auch Gary Lachman: {{Webarchiv|url=http://digitalseance.wordpress.com/2007/05/12/in-search-of-p-d-ouspensky/|text=''In Search of P. D. Ouspensky,'' Kap. 6.|archive-is=20120710060159}}</ref> Sein Vater, ''Ioannis Georgiadis'' ({{elS|Ιωάννης Γεωργιάδης}}) war ein wohlhabender Viehbesitzer und wirkte als ''Aschoch'' ([[w:Barde|Barde]]), seine Mutter war Armenierin. Der Familienname wurde im [[w:Armenische Sprache|Armenischen]] als ''Gjurdschjan'' ({{lang|hy|Գյուրջյան}}) wiedergegeben, woraus im Russischen ''Gjurdschijew'' ([[Französische Sprache|französisch]] transkribiert ''Gurdjieff'') wurde. Nachdem die Herden der Familie an einer Seuche zugrunde gingen (vermutlich 1872/73), eröffnete der verarmte Vater einen Holzhandel, mit dem er jedoch 1877 scheiterte. Er wurde daraufhin Tischler und zog 1878 mit Georg(ios) und dessen vier jüngeren Geschwistern in das gerade vom Zarenreich eroberte [[w:Kars|Kars]] in der Türkei.
 
1883 zog Gurdjieff nach [[w:Tiflis|Tiflis]]. Auf der Suche nach Orten verborgener [[Esoterik|esoterischer]] Traditionen, deren Spuren er seit seiner frühen Jugend meinte erkennen zu können, reiste er jahrzehntelang durch [[Zentralasien]], Nordafrika und Europa. In seinem teils autobiographischen, teils wohl [[Allegorie|allegorischen]] Werk ''Begegnungen mit bemerkenswerten Menschen'' beschreibt er die Erfahrungen, die er und eine Gruppe Gleichgesinnter, die „Sucher der Wahrheit“, dabei angeblich machten. 1908 ließ er sich in [[w:Taschkent|Taschkent]] nieder, wo er begann, in der Öffentlichkeit zu wirken. Ab 1912 leitete er in [[w:Moskau|Moskau]] und [[w:Sankt Petersburg|Sankt Petersburg]] Studiengruppen, deren Teilnehmer ein umfangreiches esoterisches Wissen in täglichen Übungen anwenden sollten, um so zu einer „voll- und eigenständigen Entwicklung ihres menschlichen Potenzials“ zu gelangen. 1915 stieß sein bekanntester Schüler [[w:P. D. Ouspensky|P. D. Ouspensky]] zu ihm, der bald darauf als Erster über Gurdjieffs System zu publizieren begann.
 
Um der [[w:Oktoberrevolution|Oktoberrevolution]] und deren Folgen zu entkommen, zogen Gurdjieff und seine Studenten über den [[w:Kaukasus|Kaukasus]] nach Tiflis, wo er im September 1919 ein erstes ''Institut'' eröffnete. Aufgrund der Situation in Tiflis hatte dieses nur sieben Monate Bestand, und eine deutlich verkleinerte Gruppe folgte Gurdjieff 1920 nach [[w:Istanbul|Konstantinopel]]. Im Dezember 1920 erhielt Gurdjieff eine Einladung von [[w:Émile Jaques-Dalcroze|Émile Jaques-Dalcroze]], sich in der Gartenstadt [[w:Hellerau|Hellerau]] bei [[w:Dresden|Dresden]] niederzulassen, wo dieser eine Bildungsanstalt für [[w:Rhythmische Erziehung#MJD|Rhythmische Gymnastik]] betrieb. Gurdjieff nahm das Angebot an und machte sich 1921 auf den Weg nach Deutschland. Er fuhr mit einer kleinen Gruppe Vertrauter per Eisenbahn nach [[Berlin]] und ließ sich Ende August zunächst im heutigen Berliner Ortsteil [[w:Berlin-Schmargendorf|Schmargendorf]] nieder. Im November des gleichen Jahres hielt er erste Lesungen in Berlin. Allerdings scheiterte das Vorhaben, sein Institut in Hellerau zu eröffnen, nach langwierigen Verhandlungen mit einer Zivilklage, die Gurdjieff im Juni 1922 verlor.
 
=== Institut für die harmonische Entwicklung des Menschen ===
 
Nach weiteren kurzen Stationen in London und Südengland ging Gurdjieff nach Frankreich und eröffnete am 1. Oktober 1922 das ''[[w:Institut für die harmonische Entwicklung des Menschen|Institut für die harmonische Entwicklung des Menschen]]'' im Schloss [[w:Prieuré des Basses Loges|Prieuré des Basses Loges]] bei Paris. Dort zog er schnell eine illustre Schülerschaft internationaler Künstler und Intellektueller an (darunter [[w:Frank Lloyd Wright|Frank Lloyd Wright]], [[w:Katherine Mansfield|Katherine Mansfield]] und [[w:Alfred Richard Orage|Alfred Richard Orage]]) und lehrte, unter anderem, seine 'Heiligen Tänze‘ oder ‚Movements‘. Zu gewissen Anlässen ließ er diese öffentlich aufführen, so in der ''Prieuré'', 1923 im [[Théâtre des Champs-Elysées]] in Paris sowie bei einer ersten Reise nach Amerika im Frühjahr 1924. Bis 1939 folgten sieben weitere Amerika-Reisen, eine letzte im Winter 1948/1949.
 
Da das Institut in einem großen Wald lag, wurde vom [[w:Boulevardzeitung|Boulevard]], der die schillernden Geschichten um seine Bewohner und Studenten aufgriff, der Ausdruck ''Waldphilosophen'' geprägt.
 
Nach der Rückkehr von der ersten Amerika-Reise war Gurdjieff im Sommer 1924 an einem schweren Verkehrsunfall beteiligt, der nach Ansicht vieler sein weiteres Leben und Wirken veränderte. Dennoch setzte er, nachdem 1933 die ''Prieuré'' geschlossen wurde und auch während der deutschen Besatzung die ''Arbeit'' mit seinen Schülern in einer Wohnung in der ''Rue des Colonel Renard N° 6'' in Paris fort. Angeblich habe er alle seine jüdischen Schüler geschützt und gerade rechtzeitig vor der [[w:Rafle du Vélodrome d’Hiver|Deportation der Pariser Juden]] am 16. Juli 1942 in Sicherheit gebracht.
 
Gurdjieff genoss auch nach dem Krieg eine zunehmende internationale Publizität, und es kamen, neben vielen Neugierigen und Schaulustigen, immer wieder neue Schüler zu ihm. Unter diesen gab es auch eine Gruppe junger amerikanischer, zumeist lesbischer Künstlerinnen um [[w:Kathryn Hulme|Kathryn Hulme]] und [[w:Margaret Anderson|Margaret Anderson]], genannt ''[[w:The Rope|The Rope]]''. Nicht zuletzt seine „Toasts to the Idiots“ markieren in dieser Zeit eine veränderte und für manchen früheren Schüler wie [[w:P. D. Ouspensky|P. D. Ouspensky]] fragwürdige methodische Lehrpraxis. Seltene Filmdokumente zeigen Momentaufnahmen dieser letzten Periode Gurdjieffs in Frankreich.
 
Gurdjieffs Tochter Lida heiratete 1947 den englischen Gartengestalter [[Russell Page]], einen Anhänger Gurdjieffs,<ref>Marina Schinz, Gabrielle van Zuylen, The Gardens of Russell Page. London, Francis Lincoln 2008, 39</ref> die Ehe wurde 1954 geschieden.


1955 beendete Grotowski ein Schauspielstudium in Kraków ([[w:Krakau|Krakau]]) und ging dann nach Moskau. Dort lernte er die Theaterkunst der russischen Avantgardisten, aber auch die Schauspielertrainingsmethoden [[w:Konstantin Sergejewitsch Stanislawski|Stanislawskis]], die „rhythmischen Übungen“ von Charles Dullin, das „[[w:Biomechanik (Meyerhold)|bio-mechanische Training]]“ [[w:Wsewolod Emiljewitsch Meyerhold|Meyerholds]] sowie Wachtangows Synthese kennen, die ihn ebenso beeinflussten wie [[w:Bertolt Brecht|Bertolt Brecht]] oder [[w:Antonin Artaud|Antonin Artaud]]. 1956 kehrte er nach einer Reise nach Mittelasien und China, wo er die [[w:Peking-Oper|Peking-Oper]], das indische [[w:Kathakali|Kathakali]] und das japanische [[w:No-Theater|No-Theater]] studierte, nach Polen an die Schauspielschule in Krakau zurück, um ein Regiestudium zu beginnen, das er 1960 mit dem Regie-Diplom abschloss.
[[Datei:Georges Gurdjieff dead.JPG|mini|200px|Der aufgebahrte Leichnam Gurdjieffs]]


== Das Teatr Laboratorium ==
Georges I. Gurdjieff starb nach einem Zusammenbruch mitten im ''Movement''-Unterricht am 29. Oktober 1949 im [[w:Amerikanisches Krankenhaus Paris|amerikanischen Krankenhaus]] von [[w:Neuilly-sur-Seine|Neuilly]]. Sein Leichnam wurde in einer russisch-orthodoxen Begräbniszeremonie auf dem Friedhof von [[w:Avon (Seine-et-Marne)|Avon]] beigesetzt.
Noch während des Studiums übernahm er 1959 mit dem Literaturkritiker Ludwik Flaszen (*&nbsp;1930) das Teatr 13 Rzędów, das Theater der 13 Reihen (mit insgesamt 34 Plätzen) in [[w:Opole|Opole]] (Oppeln), das später in „Teatr Laboratorium 13 Rzędów“ umbenannt wurde. Zuvor hatte er schon bei verschiedenen Bühnen und beim polnischen Rundfunk Regie geführt. Das Theater der 13 Reihen war ein experimentelles Theater und gleichzeitig ein Theaterlaboratorium zur Erforschung der Theater- und Schauspielkunst. Zwischen 1961 und 1968 beschäftigte sich Grotowski hauptsächlich mit der Ausbildung der [[Schauspieler]], der Körper trat in den Mittelpunkt seiner Forschung mittels vergleichender [[w:Theateranthropologie|Theateranthropologie]]. Die Verbindung von Leben und Theater wurde immer wichtiger, es kam zu einer Neudefinition der Zuschauer-/Schauspielerrolle und einer Öffnung der Schauorte.<ref>Cornelia Adam: ''Ang Gey Pin – Theater nach Grotowski und Richards?'' Diplomarbeit an der Universität Wien, März 2010. Unter der [http://othes.univie.ac.at/9112/ Universitätsbibliothek Wien] kann ein PDF heruntergeladen werden.</ref> Sein Konzept des „armen Theaters“ entstand.


Zu den Gründungsmitgliedern gehörten die Schauspieler Rena Mirecka, Antoni Jaholkowski und Zygmunt Molik, später auch Ryszard Cieślak (Auszeichnung: bester Schauspieler des [[w:Off-Broadway|Off-Broadway]] der Saison 1969/70 in zwei Kategorien; zum ersten Mal an einen Schauspieler, der nicht in Englisch spielt), der zu Grotowskis engsten Mitarbeitern zählte, weil er seine Methode am besten umsetzen konnte, und Zbigniew Cynkutis. Einer seiner Schüler während der Zeit in Opole war [[w:Eugenio Barba|Eugenio Barba]], der auf den Grundlagen seiner Arbeit mit Grotowski das [[w:Odin Teatret|Odin Teatret]] in Oslo gründete (siehe dazu auch: [[Straßentheater]]).
== Werk ==
=== Das Enneagramm ===
[[Datei:Schöpfungsstrahl.jpg|mini|Der Schöpfungsstrahl nach G.I.Gurdjieff]]
Ausgehend von seiner fundamentalen Kritik am modernen Menschen, dessen ''fragmentiertem Ich und unterentwickeltem Sein'', präsentierte Gurdjieff ein [[System]] für eine [[ganzheitlich]]e menschliche Entwicklung, das er „esoterisches Christentum“ nannte: ''„We can only strive to be able to be Christians“''.<ref>G. I. Gurdjieff 1924; zitiert in Kenneth Walker, ''A Study of Gurdjieff’s Teaching,'' Fletcher & Son, 1957.</ref> Ihm zufolge kann der Mensch sich der göttlichen Wahrheit bzw. einem bewussten Sein nur nähern, wenn alle Teile oder „Zentren“, die laut Gurdjieff den Menschen ausmachen, ''harmonisch'' entwickelt und integriert werden: das ''Denken, das Fühlen und die Bewegungen des Körpers''.


Am 2. Januar 1965 zog das Theater nach Wrocław ([[w:Breslau|Breslau]]) um und bekam dort den offiziellen Status eines Instituts. Der vollständige Name war „Theater Laboratorium der 13 Reihen – Forschungsinstitut für schauspielerische Methode“. Ab 1966 wurden die dreizehn Reihen im Titel gestrichen, ab 1975 nur noch „Institut Laboratorium“. Der o.&nbsp;g. Schauspielerstamm wurde um Elizabeth Albahaca, Andrzej Paluchiewicz und Stanisław Scierski erweitert. Noch später kamen Irena Rycyk, Zbigniew Kosłowski, Teo Spychalski und Jacek Smisłowski hinzu, wobei zu bemerken ist, dass es eine gewisse Fluktuation unter den Schauspielern des Laboratoriums gab. Alle in diesem Artikel genannten jedoch blieben von ihrem jeweiligen Zugang an über den gesamten Zeitraum des Bestehens des Theaters und leiteten teilweise auch nachfolgende Institute.
Ein wesentliches Symbol für diesen transformatorischen Prozess wurde von Gurdjieff im [[Enneagramm]] dargestellt, das Einzug und mehr oder weniger willkürlichen Gebrauch im weiten Spektrum des sogenannten [[New Age]] fand.


Nach dem Ende des Theaterlaboratoriums gründete Grotowskis zeitweilige Assistentin Teresa Nawrot 1984 eine Schule für Schauspiel und Film in Berlin, „in der die Trainingsmethoden, die Schauspieltechnik und die Philosophie von Grotowskis Theater-Laboratorium gepflegt, weiterentwickelt und authentisch weitergegeben werden.“<ref>{{Webarchiv|url=http://reduta-berlin.de/index.php/das-sind-wir/schulleitung |wayback=20120624063910 |text=Reduta-Berlin, Schulleitung |archiv-bot=2019-04-20 05:58:22 InternetArchiveBot }}, zuletzt abgerufen am 18.&nbsp;September 2012</ref> Andere Schauspieler eröffneten verschiedene Institute, die sich mit Aspekten der Theater- und Schauspielerarbeit Grotowskis beschäftigten und diese verbreiteten.
=== Der Vierte Weg / Das Werk ===


== Die „Special Projects“ ==
Gurdjieff spricht von einem [[Vierter Weg|Vierten Weg]] als Synthese und Weiterentwicklung der drei traditionellen Wege zur Evolution des ''Denkens'' ([[Yoga|Yogi]]), des ''Fühlens'' ([[Mönch]]) und des ''Körpers'' ([[Fakir]]). Demnach verläuft der Vierte Weg ''im täglichen Leben'' – nicht etwa hinter Klostermauern oder im fernen Himalaya – und in drei idealerweise synchronen Linien unter der Führung eines ''erfahrenen'' Lehrers:
1975 vollzog Grotowski den einschneidendsten Schritt in seiner Entwicklung: Er wandte sich von Theater im Sinne einer Aufführung konsequent ab und vollführte nur noch sogenannte „Special Projects“, also paratheatralische Experimente und Selbsterfahrungspraktika, in denen die Teilnehmer auf unerwartete Aufgaben und Situationen gestoßen werden. Diese gingen meist über mehrere Tage in freier Natur und standen jeweils unter einem Motto, etwa „Tree of people“.


== Weitere Arbeitsphasen ==
* der bewussten Auseinandersetzung mit (oder ''Arbeit'' an) sich selbst
[[Datei:Jerzy Grotowski.jpg|mini|250px|rechts|Grotowski-Porträt von Zbigniew Kresowaty, 1983]]
* der gemeinsamen ''Arbeit'' und des bewussten Austausches mit Gleichgesinnten
Von 1976 bis 1982 arbeitete Grotowski mit einer multinationalen Gruppe von 36 ausgewählten Personen am „Theatre of Sources“, in dem es ihm um den Ursprung überlieferter Techniken ging. Seine Forschungsreisen führten ihn etwa erneut nach Indien sowie nach Mexico und Haiti.<ref name="workcenter">[https://web.archive.org/web/20120215175246/http://theworkcenter.org:80/brief-history.html Brief History – Workcenter of Jerzy Grotowski and Thomas Richards] im Internet Archive vom 15.&nbsp;Februar 2012</ref> In Haiti ging er auf Spurensuche nach den ab 1802 im Auftrag Frankreichs als Söldner eingesetzten Polen und bemerkte auf zahlreichen [[w:Voodoo|Voodoo]]-Altären ein Bild der heiligen Maria, die der Ikone der [[w:Schwarze Madonna von Tschenstochau|Schwarzen Madonna von Częstochowa]] unglaublich ähnelte.<ref>[[w:WDR 5|WDR 5]]: Dok 5 – Das Feature: „Die Vodou-Ikone – Die schwarze Madonna von Częstochowa zwischen Polen und Haiti“, [[w:Deutschlandfunk Kultur|]]/[[w:Westdeutscher Rundfunk Köln|WDR]] 2017; siehe zur Geschichte der Polen in Haiti auch: [http://www.kriegsreisende.de/absolutismus/polen-haiti.htm Kriegsreisende: „Der große Betrug – Die Polnische Legion auf Haiti.“]</ref>
* der Arbeit für die ''Schule'' bzw. die ''Lehre,'' in weiten Teilen seiner Nachfolge ''Das Werk'' genannt.


Daran schloss sich das „objektive Drama“ (Objective Drama, 1983 bis 1986) an, eine Phase, während der Grotowski theatrale Elemente wie Tänze, Gesänge, Beschwörungen, Rhythmen und den Gebrauch des Raums studierte. Der Fokus wurde auf extreme Genauigkeit der künstlerischen Fertigkeiten und der professionellen Ausführung jeden Details gelegt. Die Vermittlung fand durch Kurse unter weitgehender Ausschaltung der Öffentlichkeit statt.<ref>Für eine ausführlichere Übersicht: [http://www.univie.ac.at/theaterethnologie/gte_buchsite%201.Huettler.html Michael Hüttler: „Für ein Theater der Kulturen.“] In: Michael Hüttler, Susanne Schwinghammer, Monika Wagner: ''Aufbruch zu neuen Welten. Theatralität an der Jahrtausendwende.'' IKO, Frankfurt am Main/London 2006, ISBN 3-88939-546-5</ref>
Wesentliche Elemente dieser ''Arbeit'' sind:


Seine letzten dreizehn Jahre verbrachte er am Workcenter of Jerzy Grotowski and Thomas Richards mit der Phase von „Art as vehicle, in which, as in certain old traditions, the attention for art goes together with the approach of the interiority of the human being“<ref name="workcenter" /> in Pontedera, wo er auch starb.
* die beständige Übung einer besonderen inneren [[Achtsamkeit]] ''(Sich seiner selbst erinnern)''
* die Nicht-Identifikation, z.&nbsp;B. mit Vorlieben und Abneigungen ''(Bewusstes Leiden)''
* das praktische Studium und die ''Verifikation'' (also die ganzheitliche ''Erfahrung'') universaler Gesetzmäßigkeiten, wie sie im ''[[Enneagramm]]'' und im sogenannten ''Schöpfungsstrahl'' von Gurdjieff dargestellt wurden.


== Für ein armes Theater ==
Der vierte Weg zeigt also auf verschiedene Weise, wie im menschlichen Leben eine ''beständige Aufmerksamkeit bzw. Achtsamkeit'' erhöht und ''Tagträumerei'' sowie ''Zerstreutheit'' mit ihren negativen Auswirkungen minimiert werden können. Laut Gurdjieff ist eine solche innere Entwicklung der Beginn eines weiteren Veränderungsprozesses mit dem Ziel, den Menschen zu seinem vollständigen Potential zu entwickeln.
Grotowski wollte ein von allem Überfluss des Theaterapparats (des „reichen Theaters“) gereinigtes Zurückbesinnen auf den Urgrund der Schauspielkunst erreichen. Er entwirft in seinem Plädoyer ''Für ein armes Theater'' ein Schauspiel, das „ohne Schminke, ohne eigenständige Kostüme und Bühnenbild, ohne abgetrennten Aufführungsbereich (Bühne), ohne Beleuchtungs- und Toneffekte usw. existieren kann“ (Grotowski, 1994 und früher). Dabei versucht Grotowski, den Schauspieler zu enthemmen, seine Physis zu lockern, seine Psyche aufzureißen und ihm seine Maske zu nehmen: Der Schauspieler tritt dem Publikum quasi nackt gegenüber – das Publikum wird zum Zeugen. Dabei benutzt Grotowski ein hartes körperliches und psychisches Training, weil er vom Schauspieler ein „Sich-Überschreiten“ verlangt, sowie die genaue Analyse der einzelnen Prozesse durch Spezialwissenschaften. „Der Schauspieler ist zumindest in seiner Rolle Schöpfer, Modell und Schöpfung in einem“, so Grotowski. Diesem Anspruch entspricht die Arbeits- und Lebensform seines Ensembles, nämlich „freiwilliger Verzicht auf materielle Güter, sektenartiges Zusammenleben, kollektive Erfindung, hohes Ethos“.<ref>''Theaterlexikon.'' Henschelverlag Kunst und Gesellschaft, 2. unveränderte Auflage, Berlin 1977</ref>


{{LZ|Unsere Methode ist keine deduktive, keine Ansammlung von Fertigkeiten. Hier ist alles auf das »Reifen« des Schauspielers konzentriert, das sich durch eine Spannung hin zum Äußersten, durch eine vollständige Selbstenthüllung, durch eine Bloßlegung seiner eigenen Intimität ausdrückt - und dies alles ohne den leisesten Anflug von Egoismus oder Selbstgefälligkeit. Der Schauspieler gibt sich selbst als absolutes Geschenk hin. Dies ist eine Technik der »Trance« und der Einbeziehung aller psychischen und körperlichen Kräfte des Schauspielers, die aus den intimsten Schichten seines Seins und seiner Instinkte hervorgehen und in einer Art »Durchstrahlen« hervorsprudeln.
=== Mutmaßliche Quellen ===


Bei der Ausbildung eines Schauspielers in unserem Theater geht es nicht darum, ihn irgend etwas zu lehren; wir arbeiten darauf hin, die Widerstände seines Organismus gegen diesen psychischen Vorgang zu eliminieren. Das Ergebnis ist ein Befreitsein vom Zeitsprung zwischen innerem Impuls und äußerer Reaktion, so daß der Impuls schon eine äußere Reaktion ist. Impuls und Aktion fallen zusammen: Der Körper verschwindet, verbrennt, und der Zuschauer sieht nur eine Reihe sichtbarer Impulse. Unser Weg ist mithin eine ''via negativa'' - keine Ansammlung von Fertigkeiten, sondern die Zerstörung von Blockierungen.|Grotowski 2006, S. 14f}}
Neben vielen unbekannten Quellen enthält Gurdjieffs ''System'' Elemente des [[Sufismus]] (islamische Mystik), gewisser [[Buddhismus|buddhistischer]] und [[Hinduismus|hinduistischer]] Traditionen sowie [[Essener|essenisch]]-[[Christliche Mystik|christlicher Mystik]]. Es gibt auch Anhaltspunkte für einen nicht unbedeutenden [[Pythagoras von Samos|pythagoräischen]] Einfluss, betrachtet man etwa die deutliche Affinität bei den mathematisch-systemischen Lehren wie z.&nbsp;B. dem ''Gesetz der Oktave'' sowie den musikalischen Werken Gurdjieffs.


== Leistungen ==
=== Schüler und Opus ===
Grotowskis Charisma ließ ihn schnell zu einem neuen Theater-Guru heranwachsen, der bei konventionellem Theaterpublikum zwar Ablehnung und sogar Ekel hervorrief, dem die jungen Schauspieler jedoch im Geiste der Jugendbewegungen von 1968 wie Jünger folgten. Er schuf durch seine Schriften auch die theoretische Grundlage für seine Arbeit, die ein „armes Theater“, also ein von allen überflüssigen Requisiten befreites und nur auf den Schauspieler und seine Kunst beschränktes Theater forderten. Seine Lehre übt immer noch einen großen Einfluss auf viele Schauspieler, Regisseure (hier vor allem: [[Peter Brook]]) und freie [[w:Theatergruppe|Theatergruppe]]n aus.


== Werke ==
Zu seinen wichtigsten Schülern zählen [[w:P. D. Ouspensky|P. D. Ouspensky]], [[w:Jeanne de Salzmann|Jeanne de Salzmann]], [[w:Alfred Richard Orage|Alfred Richard Orage]] (der die ersten amerikanischen Gruppen leitete), [[w:John G. Bennett|John G. Bennett]], [[w:Maurice Nicoll|Maurice Nicoll]] und der Pianist [[w:Thomas de Hartmann|Thomas de Hartmann]]. Mit diesem komponierte er gemeinsam über 300 Stücke sogenannter „Sacred Music“, die zum Beispiel auch von [[Keith Jarrett]] gespielt und publiziert wurden. Darüber hinaus hinterließ Gurdjieff eine Reihe streng choreografierter ''Movements,'' darunter die als zentral gewertete ''Serie der 39''.
* ''Für ein armes Theater.'' Friedrich, Velber 1970, Orell Füssli, Zürich und Schwäbisch Hall 1986 und Alexander-Verlag, Berlin 1994. ISBN 978-3923854844.
 
* ''Unbetitelter Text.'' In: [[w:Michael Hüttler|Michael Hüttler]], [[w:Susanne Schwinghammer|Susanne Schwinghammer]], [[w:Monika Wagner (Theaterwissenschaftlerin)|Monika Wagner]]: ''Aufbruch zu neuen Welten. Theatralität in der Jahrtausendwende.'' IKO, Frankfurt am Main 2000, S. 207–209. ISBN 3-88939-542-2.
Als literarisches Opus Magnum gilt die dreibändige Schrift ''Beelzebubs Erzählungen für seinen Enkel – Eine objektiv unparteiische Kritik des Lebens des Menschen''. In einer Art kosmologischer [[Science-Fiction]] erzählt darin [[Beelzebub]], Bewohner einer weit entfernten und harmonischen Welt, seinem Enkel Hassin die lange und lehrreiche Geschichte seiner Abenteuer, Erfahrungen und Begegnungen, die er im Verlauf mehrerer Aufenthalte auf der [[Erde]] erlebte. ''Beelzebubs Erzählungen'' wurden als erster Teil der Serie ''All und Alles'' veröffentlicht, deren zweiten und dritten Teil die postum publizierten ''Begegnungen mit bemerkenswerten Menschen'' und ''Das Leben ist nur wirklich, wenn „ich bin“'' bilden.
* [[Peter Brook]], [[w:Jean-Claude Carrière|Jean-Claude Carrière]], Jerzy Grotowski: ''Georg Iwanowitsch Gurdjieff.'' Alexander-Verlag, Berlin 2001.
 
=== Gurdjieff-Stiftungen ===
Nach seinem Tod wurde in den 50er Jahren die ''Gurdjieff-Stiftung'' ([[w:Gurdjieff Foundation|Gurdjieff Foundation]]) durch [[w:Jeanne de Salzmann|Jeanne de Salzmann]] in Kooperation mit anderen Schülern Gurdjieffs gegründet und von Jeanne de Salzmann bis zu ihrem Tod 1990 geleitet. Danach wurde die Stiftung von [[w:Michel de Salzmann|Michel de Salzmann]] bis zu seinem Tod im Jahr 2001 geleitet. Heute werden diese und weitere weltweite Stiftungen unter der ''International Association of the Gurdjieff Foundations'' zusammengefasst und von [[w:Alexandre de Salzmann|Alexandre de Salzmann]] – Sohn von Michel de Salzmann – geleitet.<ref>[http://www.iagf.org/ Website der International Association of the Gurdjieff Foundations]</ref><ref>[http://www.gurdjieff.org/foundation.htm Internationale Struktur der Gurdjieff Foundation auf gurdjieff.org]</ref>
 
== Rezeption & Kritik ==
 
Gurdjieffs Bedeutung ist umstritten. Entweder wird er als charismatischer ''Meister'' angesehen, der fundamental neues Wissen in den westlichen Kulturraum brachte – oder als wirrer [[w:Scharlatan|Scharlatan]] mit großem Ego und Selbstdarstellungstrieb. Anekdoten aus seiner Biografie und seinem Werk bieten je nach Perspektive genug Stoff für beide Einordnungen.
 
Die radikale Kritik Gurdjieffs am „modernen Menschen“ und dessen psychischer Verfassung stellt scheinbar mitleidlos das bisherige Selbstbild auf irritierende Weise in Frage. So bezeichnet Gurdjieff uns zum Beispiel als ''willenlose'' Geschöpfe, die in ''schlafähnlichem Unverstand'' den wechselnden Einflusssphären des Universums ausgesetzt sind. Gurdjieff-Anhänger deuten eine Ablehnung seines Systems als motiviert durch ein Übergewicht solcher Kränkungen gegenüber dem Wunsch für einen Zugang zu den methodischen Inhalten und deren lebendiger Praxis.
 
=== Heutige Situation ===
 
Gurdjieffs heutige Anhängerschaft weist Brüche und unterschiedlichste Verzweigungen auf, die zum Teil schon vor seinem Tod zu beobachten waren. So haben sich neben den [[#Gurdjieff-Stiftungen|Gurdjieff-Stiftungen]] weltweit zahlreiche Gruppierungen gebildet, die Fragmente der Gurdjieff-Lehre adaptiert haben. Einige bezogen sich z.&nbsp;B. sehr spezifisch auf die ''Movements'', andere bildeten theoretisierende Debattierclubs.
 
Ungeachtet dessen hat seine Lehre nichts von ihrer Anziehungskraft eingebüßt. Allein in Nordamerika schätzt man zwischen 5.000 und 15.000 Anhänger. Folgende Gruppen wurden von Schülern Gurdjieffs gegründet:
 
* die von Willem A. Nyland, neben Jeanne de Salzmann Gurdjieffs langjährigster Schüler, gegründeten Gruppen;<ref>[http://www.nyland.org/ Website der Nyland-Gruppen]</ref>
* die „Rochester Folk Art Guild“, gegründet von Louise March (geb. L. Göpfert), welche „Beelzebubs Erzählungen für seinen Enkel“ sowie Ouspenskys „Auf der Suche nach dem Wunderbaren“ ins Deutsche übersetzte;<ref>[http://www.rfag.org/ Website der Rochester Folk Art Guild]</ref>
* die „Two Rivers Farm“, gegründet von A.L. Staveley, Schülerin Gurdjieffs und Jane Heaps;<ref>[http://www.tworiversfarm.org/ Website der Two Rivers Farm]</ref>
* John G. Bennetts Gruppen unter Leitung seiner Söhne.<ref>[http://www.abbington.com/holbert/gurdjieff.html Website der Gurdjieff Boston Fourth Way Group]</ref>
* die von Paul H. Beidler gegründete Gruppe "Search at Northeon Forest".<ref>[http://www.endlesssearch.co.uk/northeon1.htm Website der Search at Northeon Forest Gruppe]</ref>


== Literatur ==
== Literatur ==
* [[w:Manfred Brauneck|Manfred Brauneck]]: ''Theater im 20. Jahrhundert.'' Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1982, S. 412–421 und 471–476, ISBN 3-499-16290-3.
=== Werke von Gurdjieff ===
* Tadeusz Burzyński und Zbigniew Osiński: ''Das Theater Laboratorium Grotowskis.'' Verlag Interpress, Warszawa 1979.
* ''Beelzebubs Erzählungen für seinen Enkel. Eine objektiv unparteiische Kritik des Lebens der Menschen. All und Alles.'' 3 Bände, Triangle Editions 2010, ISBN 978-0-9823518-0-2 (Band 1); ISBN 978-0-9823518-1-9 (Band 2), ISBN 978-0-9823518-2-6 (Band 3).
* Thomas Richards: ''Theaterarbeit mit Grotowski an physischen Handlungen.'' Alexander, Berlin 1996.
* ''Begegnungen mit bemerkenswerten Menschen.'' Aus dem Franz. und Engl. von François Grunwald und Hans-Henning Mey. Alexander Verlag, Berlin u.&nbsp;a. 2013, ISBN 978-3-89581-310-8.
* Barbara Schwerin von Krosigk: ''Der nackte Schauspieler. Die Entwicklung der Theatertheorie Jerzy Grotowskis.'' Publica, Berlin 1986, ISBN 3-89087-022-8.
* ''Das Leben ist nur wirklich, wenn „ich bin“.'' Sphinx Verlag, Basel 1998, ISBN 978-3-85914-182-7.
* [[w:Wallace Shawn|Wallace Shawn]] und André Gregory: ''Mein Essen mit André. Ein Drehbuch.'' Alexander, Berlin 2003, ISBN 3-89581-103-3. (Drehbuch des gleichnamigen Films von [[w:Louis Malle|Louis Malle]], in dem zwei Männer – einer davon besuchte gerade ein „Special Project“ Grotowskis – über den Sinn des Lebens und über das Projekt sprechen).
* ''Aus der wirklichen Welt. Gurdjieffs Gespräche mit seinen Schülern in Moskau, Essentuki, Tiflis, Berlin, London, Paris, New York, Chicago. Aus den Jahren 1917–1931.'' Sphinx, Basel 1982, ISBN 3-85914-144-9.
* ''The Herald of Coming Good. First Appeal to Contemporary Humanity.'' Holmes Publishing Group, Sequim 1987, ISBN 978-0-916411-72-5.
* ''Struggle of the Magicians.'' Ballettszenario von 1914 ([https://www.jcrows.com/struggleofthemagicians.pdf PDF]; 2,94 MB)
 
=== Sekundärliteratur ===
 
* [[w:Margaret Anderson|Margaret Anderson]]: ''The Unknowable Gurdjieff.'' Routledge & Kegan Paul, London 1962.
* [[w:John G. Bennett|John G. Bennett]]: ''J.G. Benetts Talks on Beelzebub's Tales.'' Elisabeth Bennett 1977.
** deutsch: ''Gurdjieff entschlüsselt. Die innere Bedeutung von Gurdjieffs "Beelzebubs Erzählungen".'' Verlag Bruno Martin, Frankfurt am Main 1981, ISBN 3-921786-25-8.
* [[w:John G. Bennett|John G. Bennett]]: ''Gurdjieff: Ursprung und Hintergrund seiner Lehre''. Sphinx, Basel 1989, ISBN 3-85914-358-1.
* John G. Bennett: ''Das Durchqueren des großen Wassers. Die Geschichte einer Suche – Autobiografie'', Chalice, Xanten 2011, ISBN 978-3-942914-02-4
* John G. Bennett und Elizabeth Bennett: ''Monsieur Gurdjieff und seine Idioten – Paris 1949. Aus den Tagebüchern und Memoiren zweier Reisender in die Wirklichkeit'', Chalice, Xanten 2016, ISBN 978-3-942914-14-7
* Anna Butkovsky-Hewitt: ''With Gurdjieff in St. Petersburg and Paris.'' Weiser, New York 1978, ISBN 0-87728-387-7.
* Lillian Firestone: ''Die vergessene Sprache der Kinder''. Chalice, Xanten 2019, ISBN 978-3942914-37-6.
* Olga und [[w:Thomas de Hartmann|Thomas de Hartmann]]: ''Our Life with Mr. Gurdjieff''. Penguin, Baltimore 1972. Deutsch: ''Expeditionen ins Wunderbare – Unser Leben mit Herrn Gurdjieff'', Chalice, Xanten 2019, ISBN 978-3-942914-39-0
* Jane Heap: ''Notes''. Two Rivers Press, Aurora 2002, ISBN 0-89756-023-X.
* Kathryn Hulme: ''Unentdecktes Land. Ein geistiges Abenteuer.'' Herder, Freiburg im Breisgau 1968.
* Gregory M. Loy (Hrsg.): ''Gurdjieff International Review'' (bisher 18 Hefte). Gurdjieff Electronic Publishing, Los Altos 1997-2007. [http://www.gurdjieff.org/]
* James Moore: ''Georg Iwanowitsch Gurdjieff. Magier, Mystiker, Menschenfänger. Eine Biografie.'' Scherz, Bern 1992, ISBN 3-502-18450-X.
* Jacob Needleman / George Baker: ''Gurdjieff. Essays and Reflections on the Man and His Teachings''. Continuum, New York 1997, ISBN 0-8264-1049-9.
* Maurice Nicoll: ''Psychological Commentaries on the Teachings of Gurdjieff and Ouspensky''. 6 Volumes. Weiser Books, Boston/York Beach 1996, ISBN 0-87728-910-7.
* Charles Stanley Nott: ''Teachings of Gurdjieff. A Pupil's Journal.'' Arkana, London 1990, ISBN 0-14-019156-9.
* [[w:P. D. Ouspensky|P. D. Ouspensky]]: ''Auf der Suche nach dem Wunderbaren''. O.W. Barth, Weilheim 1966, {{DNB|457748524}}.
* Louis Pauwels: ''Gurdjew der Magier. Wunderheiler, Fakir und Philosoph.'' Wilhelm Goldmann, München 1988, ISBN 978-3-442-11718-5.
* [[w:John Pentland|John Pentland]]: ''Exchanges Within. Questions from Everyday Life''. Continuum, New York 1997, ISBN 0-8264-1025-1.
* [[w:Fritz Peters (Schriftsteller)|Fritz Peters]]: ''Boyhood with Gurdjieff''. Victor Gollancz, London 1964.
** deutsche Ausgabe: ''Eine Kindheit mit Gurdjieff''. Innenwelt Verlag, Köln 2003, ISBN 3-936360-09-X.
* Irmis B. Popoff: ''Gurdjieff. His Work: On Myself, With Others, For The Work.'' Vantage, New York 1969.
* John Shirley: ''Gurdjieff. Leben und Werk''. Schirner, Darmstadt 2006, ISBN 3-89767-516-1.
* Jeanne de Salzmann: ''Die Wirklichkeit des Seins – Der Vierte Weg Gurdjieffs''. Chalice, Xanten 2017, ISBN 978-3-942914-17-8.
* Nicolas Tereshchenko: ''Mister Gurdjieff and the Fourth Way.'' Kesdjan, Austin 2003, ISBN 0-9706476-2-X.
* Nicolas Tereshchenko: ''Mister Gurdjieff's Hapax Legomena.'' By The Way Books, Waukee 2002.
* Henry Tracol: ''The Taste for Things that Are True. Essays & Talks by a Pupil of G. I. Gurdjieff''. Element Books, Shaftesbury 1994, ISBN 1-85230-468-5.
* Kenneth Walker: ''Venture with Ideas.'' Second edition. Luzac Oriental, London 1995, ISBN 1-898942-05-6.
* [[w:James Webb (Historiker)|James Webb]]: ''The Harmonious Circle: The Lives and Work of G. I. Gurdjieff, P. D. Ouspensky, and Their Followers.'' Putnam Publishing, New York 1980, ISBN 0-399-11465-3.
* Louise M. Welch (Hrsg.): ''Guide and Index to G.I. Gurdjieff's Beelzebub's Tales to His Grandson.'' Second Edition. Traditional Studies Press, Toronto 2003, ISBN 0-919608-12-4.
* Edwin Wolfe: ''Episodes with Gurdjieff.'' Red Mountain Study Group, Birmingham, Alabama 2002.
* Alexander Knorr: ''Metatrickster: Burton, Taxil, Gurdjieff, Backhouse, Crowley, Castaneda; eine Interpretation von Leben, Werk und Wirken ausgesuchter historischer Persönlichkeiten, deren Wohlgelingen der Hilfe des Diskurses zur mythologischen Trickstergestalt bedurfte'', herausgegeben von Matthias Samuel Laubscher (= ''Alteritas'', Band 3), Vasa, [[Pondicherry]] / München 2004, ISBN 978-3-9809131-6-4 (Dissertation Universität München 2002, XI, 394 Seiten, Illustrationen).
 
== Film ==
 
* ''Begegnungen mit bemerkenswerten Menschen''; Spielfilm; Großbritannien 1979; Regie: [[Peter Brook]]; Drehbuch: Peter Brook; Jeanne de Salzmann; Darsteller: Dragan Maksimovic, [[Terence Stamp]], Athol Fugard u.&nbsp;a.<ref>[http://www.brookdvd.com/ ''Begegnungen mit bemerkenswerten Menschen'' – Peter Brook DVD]</ref>
 
: Der Film basiert auf dem gleichnamigen Buch Gurdjieffs, mit dem sich der Shakespeare-Regisseur [[Peter Brook]] intensiv beschäftigt hat.
 
: Darin beschreibt Gurdjieff seine Kindheit und Jugend am Fuße des [[w:Kaukasus|Kaukasus]] und seine Begegnungen mit den Menschen, die angeblich den Ursprung seiner Lehren formten. Höhepunkte des Filmes sind unter anderem die Reisen zu [[Sufismus|Sufi]]-Lehrern und die (original von Gurdjieff-Schülern aufgeführten) heiligen Tänze im verborgenen Kloster der geheimnisvollen Bruderschaft [[w:Sarmoung|Sarmoung]].
 
* ''Ich - bin Gurdjieff. Ich - sterbe nicht'' (''Я - Гурджиев. Я - не умру''); Dokumentarfilm; Russland 2007; Regie: Martiros Fanosjan<ref>{{Webarchiv | url=http://www.it-pk.ru/en/product/ja-gurdzhiev-ja-ne-umru-martiros-fanosjan-2007-g-dokumentalnyj-tvrip/ | archive-is=20120903174129 | text= ''Я - Гурджиев. Я - не умру'' (Мартирос Фаносян)}} 2007 г., Документальный, TVRip (russisch)</ref>
 
* ''Hitler, Stalin und Gurdjieff'' (''Гитлер, Сталин и Гурджиев''); Dokumentarfilm; Russland 2007; Regie: Julia Agejewa<ref> {{Webarchiv|text=''Гитлер, Сталин и Гурджиев'' |url=http://www.om-kali.com/news/2009-07-03-101 |wayback=20111024060137  }} (russisch)</ref>


== Weblinks ==
== Weblinks ==
* {{DNB-Portal|118542729}}
{{Commonscat|G. I. Gurdjieff}}
* [https://www.youtube.com/watch?v=JNclSg2-Y2s Porträt des Künstlers] in einem Film von [[w:Arte|Arte]]
* {{DNB-Portal|118543679}}
* {{Webarchiv | url=http://bmrc.berkeley.edu/people/misc/School.html | wayback=20090530033806 | text=G. I. Gurdjieff and His School by Jacob Needleman, Professor of Philosophy San Francisco State University}}
* [http://www.gurdjieff.org/ International Gurdjieff Review]
* [http://www.gurdjieff-internet.com/ Gurdjieff Internet Guide]
* [http://schuledesrades.org/palme/books/denkstil/?Q=1/1/3/146 Das ganzheitliche Denken – Gurdjieff] aus „Geschichte der Denkstile“ von Arnold Keyserling
* [https://chalice-verlag.de/texte/tp-bennett-gurdjieff/ Schilderung von Gurdjieff in den Tagebüchern von Elizabeth und John G. Bennett]
* [https://chalice-verlag.de/tp-de-hartmann-gurdjieff/ Schilderung von Gurdjieff in den persönlichen Aufzeichnungen von Olga und Thomas de Hartmann]


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<references />
<references />


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Aktuelle Version vom 11. Dezember 2019, 08:06 Uhr

Georges I. Gurdjieff

Georges I. Gurdjieff (russisch Георгий Иванович Гюрджиев, Transkription Georgi Iwanowitsch Gjurdschijew, wiss. Transliteration Georgij Ivanovič Gjurdžiev; vermutlich * 1866[1] in Alexandropol, Russisches Kaiserreich; † 29. Oktober 1949 in Paris) war ein griechisch-armenischer Esoteriker, Schriftsteller, Choreograph und Komponist, der zunächst in Russland und später in Frankreich wirkte. Bekannt wurde er als Lehrer des sog. Vierten Weges und Begründer einer weltweiten und verzweigten Anhängerschaft.

Leben

Begegnungen mit bemerkenswerten Menschen

Gurdjieff kam im griechischen Viertel der zum zaristischen Russland gehörigen Stadt Alexandropol (heute Gjumri, Armenien) zur Welt. Die in seinen Pässen aufgeführten Geburtsdaten reichen vom 1. Januar 1864 bis zum 28. Dezember 1877.[2] Sein Vater, Ioannis Georgiadis (griech. Ιωάννης Γεωργιάδης) war ein wohlhabender Viehbesitzer und wirkte als Aschoch (Barde), seine Mutter war Armenierin. Der Familienname wurde im Armenischen als Gjurdschjan (Գյուրջյան) wiedergegeben, woraus im Russischen Gjurdschijew (französisch transkribiert Gurdjieff) wurde. Nachdem die Herden der Familie an einer Seuche zugrunde gingen (vermutlich 1872/73), eröffnete der verarmte Vater einen Holzhandel, mit dem er jedoch 1877 scheiterte. Er wurde daraufhin Tischler und zog 1878 mit Georg(ios) und dessen vier jüngeren Geschwistern in das gerade vom Zarenreich eroberte Kars in der Türkei.

1883 zog Gurdjieff nach Tiflis. Auf der Suche nach Orten verborgener esoterischer Traditionen, deren Spuren er seit seiner frühen Jugend meinte erkennen zu können, reiste er jahrzehntelang durch Zentralasien, Nordafrika und Europa. In seinem teils autobiographischen, teils wohl allegorischen Werk Begegnungen mit bemerkenswerten Menschen beschreibt er die Erfahrungen, die er und eine Gruppe Gleichgesinnter, die „Sucher der Wahrheit“, dabei angeblich machten. 1908 ließ er sich in Taschkent nieder, wo er begann, in der Öffentlichkeit zu wirken. Ab 1912 leitete er in Moskau und Sankt Petersburg Studiengruppen, deren Teilnehmer ein umfangreiches esoterisches Wissen in täglichen Übungen anwenden sollten, um so zu einer „voll- und eigenständigen Entwicklung ihres menschlichen Potenzials“ zu gelangen. 1915 stieß sein bekanntester Schüler P. D. Ouspensky zu ihm, der bald darauf als Erster über Gurdjieffs System zu publizieren begann.

Um der Oktoberrevolution und deren Folgen zu entkommen, zogen Gurdjieff und seine Studenten über den Kaukasus nach Tiflis, wo er im September 1919 ein erstes Institut eröffnete. Aufgrund der Situation in Tiflis hatte dieses nur sieben Monate Bestand, und eine deutlich verkleinerte Gruppe folgte Gurdjieff 1920 nach Konstantinopel. Im Dezember 1920 erhielt Gurdjieff eine Einladung von Émile Jaques-Dalcroze, sich in der Gartenstadt Hellerau bei Dresden niederzulassen, wo dieser eine Bildungsanstalt für Rhythmische Gymnastik betrieb. Gurdjieff nahm das Angebot an und machte sich 1921 auf den Weg nach Deutschland. Er fuhr mit einer kleinen Gruppe Vertrauter per Eisenbahn nach Berlin und ließ sich Ende August zunächst im heutigen Berliner Ortsteil Schmargendorf nieder. Im November des gleichen Jahres hielt er erste Lesungen in Berlin. Allerdings scheiterte das Vorhaben, sein Institut in Hellerau zu eröffnen, nach langwierigen Verhandlungen mit einer Zivilklage, die Gurdjieff im Juni 1922 verlor.

Institut für die harmonische Entwicklung des Menschen

Nach weiteren kurzen Stationen in London und Südengland ging Gurdjieff nach Frankreich und eröffnete am 1. Oktober 1922 das Institut für die harmonische Entwicklung des Menschen im Schloss Prieuré des Basses Loges bei Paris. Dort zog er schnell eine illustre Schülerschaft internationaler Künstler und Intellektueller an (darunter Frank Lloyd Wright, Katherine Mansfield und Alfred Richard Orage) und lehrte, unter anderem, seine 'Heiligen Tänze‘ oder ‚Movements‘. Zu gewissen Anlässen ließ er diese öffentlich aufführen, so in der Prieuré, 1923 im Théâtre des Champs-Elysées in Paris sowie bei einer ersten Reise nach Amerika im Frühjahr 1924. Bis 1939 folgten sieben weitere Amerika-Reisen, eine letzte im Winter 1948/1949.

Da das Institut in einem großen Wald lag, wurde vom Boulevard, der die schillernden Geschichten um seine Bewohner und Studenten aufgriff, der Ausdruck Waldphilosophen geprägt.

Nach der Rückkehr von der ersten Amerika-Reise war Gurdjieff im Sommer 1924 an einem schweren Verkehrsunfall beteiligt, der nach Ansicht vieler sein weiteres Leben und Wirken veränderte. Dennoch setzte er, nachdem 1933 die Prieuré geschlossen wurde und auch während der deutschen Besatzung die Arbeit mit seinen Schülern in einer Wohnung in der Rue des Colonel Renard N° 6 in Paris fort. Angeblich habe er alle seine jüdischen Schüler geschützt und gerade rechtzeitig vor der Deportation der Pariser Juden am 16. Juli 1942 in Sicherheit gebracht.

Gurdjieff genoss auch nach dem Krieg eine zunehmende internationale Publizität, und es kamen, neben vielen Neugierigen und Schaulustigen, immer wieder neue Schüler zu ihm. Unter diesen gab es auch eine Gruppe junger amerikanischer, zumeist lesbischer Künstlerinnen um Kathryn Hulme und Margaret Anderson, genannt The Rope. Nicht zuletzt seine „Toasts to the Idiots“ markieren in dieser Zeit eine veränderte und für manchen früheren Schüler wie P. D. Ouspensky fragwürdige methodische Lehrpraxis. Seltene Filmdokumente zeigen Momentaufnahmen dieser letzten Periode Gurdjieffs in Frankreich.

Gurdjieffs Tochter Lida heiratete 1947 den englischen Gartengestalter Russell Page, einen Anhänger Gurdjieffs,[3] die Ehe wurde 1954 geschieden.

Der aufgebahrte Leichnam Gurdjieffs

Georges I. Gurdjieff starb nach einem Zusammenbruch mitten im Movement-Unterricht am 29. Oktober 1949 im amerikanischen Krankenhaus von Neuilly. Sein Leichnam wurde in einer russisch-orthodoxen Begräbniszeremonie auf dem Friedhof von Avon beigesetzt.

Werk

Das Enneagramm

Der Schöpfungsstrahl nach G.I.Gurdjieff

Ausgehend von seiner fundamentalen Kritik am modernen Menschen, dessen fragmentiertem Ich und unterentwickeltem Sein, präsentierte Gurdjieff ein System für eine ganzheitliche menschliche Entwicklung, das er „esoterisches Christentum“ nannte: „We can only strive to be able to be Christians“.[4] Ihm zufolge kann der Mensch sich der göttlichen Wahrheit bzw. einem bewussten Sein nur nähern, wenn alle Teile oder „Zentren“, die laut Gurdjieff den Menschen ausmachen, harmonisch entwickelt und integriert werden: das Denken, das Fühlen und die Bewegungen des Körpers.

Ein wesentliches Symbol für diesen transformatorischen Prozess wurde von Gurdjieff im Enneagramm dargestellt, das Einzug und mehr oder weniger willkürlichen Gebrauch im weiten Spektrum des sogenannten New Age fand.

Der Vierte Weg / Das Werk

Gurdjieff spricht von einem Vierten Weg als Synthese und Weiterentwicklung der drei traditionellen Wege zur Evolution des Denkens (Yogi), des Fühlens (Mönch) und des Körpers (Fakir). Demnach verläuft der Vierte Weg im täglichen Leben – nicht etwa hinter Klostermauern oder im fernen Himalaya – und in drei idealerweise synchronen Linien unter der Führung eines erfahrenen Lehrers:

  • der bewussten Auseinandersetzung mit (oder Arbeit an) sich selbst
  • der gemeinsamen Arbeit und des bewussten Austausches mit Gleichgesinnten
  • der Arbeit für die Schule bzw. die Lehre, in weiten Teilen seiner Nachfolge Das Werk genannt.

Wesentliche Elemente dieser Arbeit sind:

  • die beständige Übung einer besonderen inneren Achtsamkeit (Sich seiner selbst erinnern)
  • die Nicht-Identifikation, z. B. mit Vorlieben und Abneigungen (Bewusstes Leiden)
  • das praktische Studium und die Verifikation (also die ganzheitliche Erfahrung) universaler Gesetzmäßigkeiten, wie sie im Enneagramm und im sogenannten Schöpfungsstrahl von Gurdjieff dargestellt wurden.

Der vierte Weg zeigt also auf verschiedene Weise, wie im menschlichen Leben eine beständige Aufmerksamkeit bzw. Achtsamkeit erhöht und Tagträumerei sowie Zerstreutheit mit ihren negativen Auswirkungen minimiert werden können. Laut Gurdjieff ist eine solche innere Entwicklung der Beginn eines weiteren Veränderungsprozesses mit dem Ziel, den Menschen zu seinem vollständigen Potential zu entwickeln.

Mutmaßliche Quellen

Neben vielen unbekannten Quellen enthält Gurdjieffs System Elemente des Sufismus (islamische Mystik), gewisser buddhistischer und hinduistischer Traditionen sowie essenisch-christlicher Mystik. Es gibt auch Anhaltspunkte für einen nicht unbedeutenden pythagoräischen Einfluss, betrachtet man etwa die deutliche Affinität bei den mathematisch-systemischen Lehren wie z. B. dem Gesetz der Oktave sowie den musikalischen Werken Gurdjieffs.

Schüler und Opus

Zu seinen wichtigsten Schülern zählen P. D. Ouspensky, Jeanne de Salzmann, Alfred Richard Orage (der die ersten amerikanischen Gruppen leitete), John G. Bennett, Maurice Nicoll und der Pianist Thomas de Hartmann. Mit diesem komponierte er gemeinsam über 300 Stücke sogenannter „Sacred Music“, die zum Beispiel auch von Keith Jarrett gespielt und publiziert wurden. Darüber hinaus hinterließ Gurdjieff eine Reihe streng choreografierter Movements, darunter die als zentral gewertete Serie der 39.

Als literarisches Opus Magnum gilt die dreibändige Schrift Beelzebubs Erzählungen für seinen Enkel – Eine objektiv unparteiische Kritik des Lebens des Menschen. In einer Art kosmologischer Science-Fiction erzählt darin Beelzebub, Bewohner einer weit entfernten und harmonischen Welt, seinem Enkel Hassin die lange und lehrreiche Geschichte seiner Abenteuer, Erfahrungen und Begegnungen, die er im Verlauf mehrerer Aufenthalte auf der Erde erlebte. Beelzebubs Erzählungen wurden als erster Teil der Serie All und Alles veröffentlicht, deren zweiten und dritten Teil die postum publizierten Begegnungen mit bemerkenswerten Menschen und Das Leben ist nur wirklich, wenn „ich bin“ bilden.

Gurdjieff-Stiftungen

Nach seinem Tod wurde in den 50er Jahren die Gurdjieff-Stiftung (Gurdjieff Foundation) durch Jeanne de Salzmann in Kooperation mit anderen Schülern Gurdjieffs gegründet und von Jeanne de Salzmann bis zu ihrem Tod 1990 geleitet. Danach wurde die Stiftung von Michel de Salzmann bis zu seinem Tod im Jahr 2001 geleitet. Heute werden diese und weitere weltweite Stiftungen unter der International Association of the Gurdjieff Foundations zusammengefasst und von Alexandre de Salzmann – Sohn von Michel de Salzmann – geleitet.[5][6]

Rezeption & Kritik

Gurdjieffs Bedeutung ist umstritten. Entweder wird er als charismatischer Meister angesehen, der fundamental neues Wissen in den westlichen Kulturraum brachte – oder als wirrer Scharlatan mit großem Ego und Selbstdarstellungstrieb. Anekdoten aus seiner Biografie und seinem Werk bieten je nach Perspektive genug Stoff für beide Einordnungen.

Die radikale Kritik Gurdjieffs am „modernen Menschen“ und dessen psychischer Verfassung stellt scheinbar mitleidlos das bisherige Selbstbild auf irritierende Weise in Frage. So bezeichnet Gurdjieff uns zum Beispiel als willenlose Geschöpfe, die in schlafähnlichem Unverstand den wechselnden Einflusssphären des Universums ausgesetzt sind. Gurdjieff-Anhänger deuten eine Ablehnung seines Systems als motiviert durch ein Übergewicht solcher Kränkungen gegenüber dem Wunsch für einen Zugang zu den methodischen Inhalten und deren lebendiger Praxis.

Heutige Situation

Gurdjieffs heutige Anhängerschaft weist Brüche und unterschiedlichste Verzweigungen auf, die zum Teil schon vor seinem Tod zu beobachten waren. So haben sich neben den Gurdjieff-Stiftungen weltweit zahlreiche Gruppierungen gebildet, die Fragmente der Gurdjieff-Lehre adaptiert haben. Einige bezogen sich z. B. sehr spezifisch auf die Movements, andere bildeten theoretisierende Debattierclubs.

Ungeachtet dessen hat seine Lehre nichts von ihrer Anziehungskraft eingebüßt. Allein in Nordamerika schätzt man zwischen 5.000 und 15.000 Anhänger. Folgende Gruppen wurden von Schülern Gurdjieffs gegründet:

  • die von Willem A. Nyland, neben Jeanne de Salzmann Gurdjieffs langjährigster Schüler, gegründeten Gruppen;[7]
  • die „Rochester Folk Art Guild“, gegründet von Louise March (geb. L. Göpfert), welche „Beelzebubs Erzählungen für seinen Enkel“ sowie Ouspenskys „Auf der Suche nach dem Wunderbaren“ ins Deutsche übersetzte;[8]
  • die „Two Rivers Farm“, gegründet von A.L. Staveley, Schülerin Gurdjieffs und Jane Heaps;[9]
  • John G. Bennetts Gruppen unter Leitung seiner Söhne.[10]
  • die von Paul H. Beidler gegründete Gruppe "Search at Northeon Forest".[11]

Literatur

Werke von Gurdjieff

  • Beelzebubs Erzählungen für seinen Enkel. Eine objektiv unparteiische Kritik des Lebens der Menschen. All und Alles. 3 Bände, Triangle Editions 2010, ISBN 978-0-9823518-0-2 (Band 1); ISBN 978-0-9823518-1-9 (Band 2), ISBN 978-0-9823518-2-6 (Band 3).
  • Begegnungen mit bemerkenswerten Menschen. Aus dem Franz. und Engl. von François Grunwald und Hans-Henning Mey. Alexander Verlag, Berlin u. a. 2013, ISBN 978-3-89581-310-8.
  • Das Leben ist nur wirklich, wenn „ich bin“. Sphinx Verlag, Basel 1998, ISBN 978-3-85914-182-7.
  • Aus der wirklichen Welt. Gurdjieffs Gespräche mit seinen Schülern in Moskau, Essentuki, Tiflis, Berlin, London, Paris, New York, Chicago. Aus den Jahren 1917–1931. Sphinx, Basel 1982, ISBN 3-85914-144-9.
  • The Herald of Coming Good. First Appeal to Contemporary Humanity. Holmes Publishing Group, Sequim 1987, ISBN 978-0-916411-72-5.
  • Struggle of the Magicians. Ballettszenario von 1914 (PDF; 2,94 MB)

Sekundärliteratur

  • Margaret Anderson: The Unknowable Gurdjieff. Routledge & Kegan Paul, London 1962.
  • John G. Bennett: J.G. Benetts Talks on Beelzebub's Tales. Elisabeth Bennett 1977.
    • deutsch: Gurdjieff entschlüsselt. Die innere Bedeutung von Gurdjieffs "Beelzebubs Erzählungen". Verlag Bruno Martin, Frankfurt am Main 1981, ISBN 3-921786-25-8.
  • John G. Bennett: Gurdjieff: Ursprung und Hintergrund seiner Lehre. Sphinx, Basel 1989, ISBN 3-85914-358-1.
  • John G. Bennett: Das Durchqueren des großen Wassers. Die Geschichte einer Suche – Autobiografie, Chalice, Xanten 2011, ISBN 978-3-942914-02-4
  • John G. Bennett und Elizabeth Bennett: Monsieur Gurdjieff und seine Idioten – Paris 1949. Aus den Tagebüchern und Memoiren zweier Reisender in die Wirklichkeit, Chalice, Xanten 2016, ISBN 978-3-942914-14-7
  • Anna Butkovsky-Hewitt: With Gurdjieff in St. Petersburg and Paris. Weiser, New York 1978, ISBN 0-87728-387-7.
  • Lillian Firestone: Die vergessene Sprache der Kinder. Chalice, Xanten 2019, ISBN 978-3942914-37-6.
  • Olga und Thomas de Hartmann: Our Life with Mr. Gurdjieff. Penguin, Baltimore 1972. Deutsch: Expeditionen ins Wunderbare – Unser Leben mit Herrn Gurdjieff, Chalice, Xanten 2019, ISBN 978-3-942914-39-0
  • Jane Heap: Notes. Two Rivers Press, Aurora 2002, ISBN 0-89756-023-X.
  • Kathryn Hulme: Unentdecktes Land. Ein geistiges Abenteuer. Herder, Freiburg im Breisgau 1968.
  • Gregory M. Loy (Hrsg.): Gurdjieff International Review (bisher 18 Hefte). Gurdjieff Electronic Publishing, Los Altos 1997-2007. [1]
  • James Moore: Georg Iwanowitsch Gurdjieff. Magier, Mystiker, Menschenfänger. Eine Biografie. Scherz, Bern 1992, ISBN 3-502-18450-X.
  • Jacob Needleman / George Baker: Gurdjieff. Essays and Reflections on the Man and His Teachings. Continuum, New York 1997, ISBN 0-8264-1049-9.
  • Maurice Nicoll: Psychological Commentaries on the Teachings of Gurdjieff and Ouspensky. 6 Volumes. Weiser Books, Boston/York Beach 1996, ISBN 0-87728-910-7.
  • Charles Stanley Nott: Teachings of Gurdjieff. A Pupil's Journal. Arkana, London 1990, ISBN 0-14-019156-9.
  • P. D. Ouspensky: Auf der Suche nach dem Wunderbaren. O.W. Barth, Weilheim 1966, DNB 457748524.
  • Louis Pauwels: Gurdjew der Magier. Wunderheiler, Fakir und Philosoph. Wilhelm Goldmann, München 1988, ISBN 978-3-442-11718-5.
  • John Pentland: Exchanges Within. Questions from Everyday Life. Continuum, New York 1997, ISBN 0-8264-1025-1.
  • Fritz Peters: Boyhood with Gurdjieff. Victor Gollancz, London 1964.
    • deutsche Ausgabe: Eine Kindheit mit Gurdjieff. Innenwelt Verlag, Köln 2003, ISBN 3-936360-09-X.
  • Irmis B. Popoff: Gurdjieff. His Work: On Myself, With Others, For The Work. Vantage, New York 1969.
  • John Shirley: Gurdjieff. Leben und Werk. Schirner, Darmstadt 2006, ISBN 3-89767-516-1.
  • Jeanne de Salzmann: Die Wirklichkeit des Seins – Der Vierte Weg Gurdjieffs. Chalice, Xanten 2017, ISBN 978-3-942914-17-8.
  • Nicolas Tereshchenko: Mister Gurdjieff and the Fourth Way. Kesdjan, Austin 2003, ISBN 0-9706476-2-X.
  • Nicolas Tereshchenko: Mister Gurdjieff's Hapax Legomena. By The Way Books, Waukee 2002.
  • Henry Tracol: The Taste for Things that Are True. Essays & Talks by a Pupil of G. I. Gurdjieff. Element Books, Shaftesbury 1994, ISBN 1-85230-468-5.
  • Kenneth Walker: Venture with Ideas. Second edition. Luzac Oriental, London 1995, ISBN 1-898942-05-6.
  • James Webb: The Harmonious Circle: The Lives and Work of G. I. Gurdjieff, P. D. Ouspensky, and Their Followers. Putnam Publishing, New York 1980, ISBN 0-399-11465-3.
  • Louise M. Welch (Hrsg.): Guide and Index to G.I. Gurdjieff's Beelzebub's Tales to His Grandson. Second Edition. Traditional Studies Press, Toronto 2003, ISBN 0-919608-12-4.
  • Edwin Wolfe: Episodes with Gurdjieff. Red Mountain Study Group, Birmingham, Alabama 2002.
  • Alexander Knorr: Metatrickster: Burton, Taxil, Gurdjieff, Backhouse, Crowley, Castaneda; eine Interpretation von Leben, Werk und Wirken ausgesuchter historischer Persönlichkeiten, deren Wohlgelingen der Hilfe des Diskurses zur mythologischen Trickstergestalt bedurfte, herausgegeben von Matthias Samuel Laubscher (= Alteritas, Band 3), Vasa, Pondicherry / München 2004, ISBN 978-3-9809131-6-4 (Dissertation Universität München 2002, XI, 394 Seiten, Illustrationen).

Film

  • Begegnungen mit bemerkenswerten Menschen; Spielfilm; Großbritannien 1979; Regie: Peter Brook; Drehbuch: Peter Brook; Jeanne de Salzmann; Darsteller: Dragan Maksimovic, Terence Stamp, Athol Fugard u. a.[12]
Der Film basiert auf dem gleichnamigen Buch Gurdjieffs, mit dem sich der Shakespeare-Regisseur Peter Brook intensiv beschäftigt hat.
Darin beschreibt Gurdjieff seine Kindheit und Jugend am Fuße des Kaukasus und seine Begegnungen mit den Menschen, die angeblich den Ursprung seiner Lehren formten. Höhepunkte des Filmes sind unter anderem die Reisen zu Sufi-Lehrern und die (original von Gurdjieff-Schülern aufgeführten) heiligen Tänze im verborgenen Kloster der geheimnisvollen Bruderschaft Sarmoung.
  • Ich - bin Gurdjieff. Ich - sterbe nicht (Я - Гурджиев. Я - не умру); Dokumentarfilm; Russland 2007; Regie: Martiros Fanosjan[13]
  • Hitler, Stalin und Gurdjieff (Гитлер, Сталин и Гурджиев); Dokumentarfilm; Russland 2007; Regie: Julia Agejewa[14]

Weblinks

Commons: G. I. Gurdjieff - Weitere Bilder oder Audiodateien zum Thema

Einzelnachweise

  1. Chronologie von James Moore auf gurdjieff.org
  2. James Moore: Georg Iwanowitsch Gurdjieff. Scherz, 1992, ISBN 3-502-18450-X, S. 351 f. Siehe auch Gary Lachman: In Search of P. D. Ouspensky, Kap. 6. (Memento vom 10. Juli 2012 im Webarchiv archive.is)
  3. Marina Schinz, Gabrielle van Zuylen, The Gardens of Russell Page. London, Francis Lincoln 2008, 39
  4. G. I. Gurdjieff 1924; zitiert in Kenneth Walker, A Study of Gurdjieff’s Teaching, Fletcher & Son, 1957.
  5. Website der International Association of the Gurdjieff Foundations
  6. Internationale Struktur der Gurdjieff Foundation auf gurdjieff.org
  7. Website der Nyland-Gruppen
  8. Website der Rochester Folk Art Guild
  9. Website der Two Rivers Farm
  10. Website der Gurdjieff Boston Fourth Way Group
  11. Website der Search at Northeon Forest Gruppe
  12. Begegnungen mit bemerkenswerten Menschen – Peter Brook DVD
  13. Я - Гурджиев. Я - не умру (Мартирос Фаносян) (Memento vom 3. September 2012 im Webarchiv archive.is) 2007 г., Документальный, TVRip (russisch)
  14. Гитлер, Сталин и Гурджиев (Memento vom 24. Oktober 2011 im Internet Archive) (russisch)


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